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Das Ende einer Kindheit
ОглавлениеDie Vergangenheit: Sang Dei, drei Jahre nach dem Ende der Sholo’Sa-Kriege Der 8. Tag im 3. Mond des 70. Ceonslaufs des Bundes
Ich kann mich genau erinnern, wie ich den Wohnraum unseres großzügigen Anwesens, mitten in Sang Wan Yao, betrat. Jener Tag veränderte alles.
Alles begann freundlich und harmlos:
Ich war ganze elf Ceonsläufe alt. Das Frühjahr setzte ein, sodass ich ohne dicke Jacke und Handschuhe zum Spielen hinaus konnte.
Raureif zeigte sich nur noch in den Gärten, die das niedrig stehende feurige Auge Caliopés noch nicht erreichte.
In einem dieser Gärten der anderen Stadthälfte - in Dei Nawa, wo der Shogun herrschte, klaubte ich mit meiner Freundin Yanai alte Kastanien auf; zusammen mit anderen Dingen, die der Schnee wieder freigab.
Wir vernahmen panische Schreie. Rauch stieg über der Stadt auf.
Häuser brannten. Menschen riefen durcheinander.
Ein durchgegangenes Pferd galoppierte vorbei. Wir hörten die wilden Hufschläge über das steinerne Pflaster donnern.
Kurz darauf setzten bleiche Gestalten mit schwarzen Augen und widerwärtig gespaltenen Zungen über den niedrigen Zaun des Gartens.
Ich versteckte mich hinter dem kleinen Misthaufen, der in der hinteren Ecke des Gartens stand, wo ich ein paar welke Blätter vom vorigen Herbst entsorgte.
Als ich die Gestalten erblickte, duckte ich mich ängstlich hinter dem dampfenden Sichtschutz.
Sie nahmen Yanai mit sich. Ihr Vater stürzte aus dem Haus und verschwand ebenso.
Yanais Mutter überlebte als Einzige. Ich habe Ceonsläufe Später das Haus aufgesucht. Sie weiß, dass es mich gibt. Dass ich eine Shan Quai bin.
Seit ich sie hin und wieder besuche, ist ein wenig von der Traurigkeit gewichen, die ihr Gesicht beherrscht.
Doch damals verfiel ich in helle Panik. Es war, als hätten die Sholo’Sa-Kriege nie aufgehört. Als hätte Thororn, der Anführer der Seelenvampire, sich aus seinem dunklen Grab erhoben und wäre zurückgekehrt.
Auf dem Heimweg stolperte ich über eine Leiche, was mir blutige Handflächen bescherte. Der tote Mann lag mitten auf der Straße. Ich konnte meine Augen nicht von seinem Gesicht abwenden: Seine Haut war grau und brüchig. Risse durchzogen das Gesicht, als bestünde die Haut aus altem Reispapier.
Sein Hals war an der Seite aufgerissen. Blut rann daraus zu Boden. Das meiste war bereits angetrocknet.
Nie zuvor während der fünf Jahre der Sholo’Sa-Kriege hatte ich ein Opfer der Seelenvampire selbst erblickt. Die Wirklichkeit war grausamer, als jede der Schilderungen, die meine Eltern versucht hatten, von mir fernzuhalten.
Ich rannte über eine der hoch über dem Drachenfluss gespannten Hängebrücken, die Sang Wan Yao und Dei Nawa miteinander verbanden.
Einhundert Schritt tiefer trieben die Wassermassen dahin, nachdem sie den Virkahirfall herabgestürzt waren, genau an der Nordmauer der Stadt.
Gefrorener Nebel machte die Brücken glatt. Jeder unbedachte Tritt konnte den Tod bedeuten.
Doch ich rannte hinüber, ohne ein einziges Mal auszugleiten.
Ich erreichte sicher das Gebiet des Kaisers. Den Westen der Stadt - meine Heimat.
Völlig außer Atem bog ich in die Straße der Händler ein, in der unser Haus lag.
Weinend wollte ich meinen Eltern von dem verstörenden Erlebnis berichten. Mich auf dem Schoß meiner Mutter sitzend an ihrer Brust ausweinen. Die tröstende Stimme meines Vaters dazu vernehmen.
Stattdessen sah ich auf ihre Körper hinab; die Gesichter und das Haar grau, als hätte sie jemand geschminkt, wie zum jährlichen Ceonsfestspiel: Risse in der Haut. An den Seiten ihrer Hälse zeichneten sich dünne Spuren getrockneten Blutes ab, wie auf jenen der Schausteller, die bei den Festspielen die Opfer des Krieges darstellten. Opfer der Seelenvampire.
Ich wusste, was geschehen war: Die Sholo’Sa hatten den Dorn ihres Seelenstachels, der aus der linken Handfläche ragte, hineingebohrt. Ihnen zuerst das Leben und dann die Seele entrissen. Meine Eltern traten nicht vor Borin, den Urdrachen des Todes und des Lebens, den Herrn der Erde. Ihre Seelen waren fort - für immer. So sagten es die Priester der Sieben Urdrachen.