Читать книгу John Davys Abenteuer eines Midshipman - Александр Дюма - Страница 6
Erster Teil
VI
ОглавлениеAus den ersten drei Jahren meines Lebens ist mir nur erinnerlich, daß meine Mutter sehr zärtlich mit mir war und mich ihr liebes Kind nannte.
So weit als ich zurückdenken kann, sehe ich mich auf einem großen Rasenplatz, der sich vor der Freitreppe des Schlosses ausdehnte und mit spanischem Flieder und Geisblatt bepflanzt war. Während ich mich ans dem weichen Rasen herumtummelte, saß meine Mutter auf einer grünen Bank und las oder stickte und warf mir von Zeit zu Zeit Kußhände zu. Gegen zehrt Uhr Morgens erschien mein Vater, nachdem er die Zeitungen gelesen hatte, aus der Freitreppe; meine Mutter eilte ihm entgegen ; ich trippelte ihr nach und kam gewöhnlich an die Treppe, während sie mit ihm herunterkam. Dann machten wir einen kleinen Spaziergang, dessen Ziel fast immer die »Grotte« war, und setzten uns auf die Bank, auf welcher Sir Edward gesessen, als er Anna Mary zum ersten Male gesehen hatte.
Dann kam Georges und sagte, daß angespannt sei. Wir machten eine zwei- bis dreistündige Spazierfahrt und einen Besuch bei dem alten Fräulein von Villevieille, welche das Häuschen und die kleine Rente meiner Mutter geerbt hatte, oder bei einer nothleidenden Familie, wo Anna Mary immer als tröstender Engel erschien. Endlich kehrten wir ins Schloß zurück und setzten uns mit ausgezeichnetem Appetit zu Tische. Nach dem Essen nahm mich Tom in Beschlag und das war meine größte Freude; er trug mich auf der Schulter, zeigte mir die Hunde und Pferde, kletterte auf die Bäume, um Vogelnester auszunehmen, während ich ihm von unten zurief: »Fall nicht, lieber Tom!«
Endlich ward ich so müde, daß ich die Augen kaum offen halten konnte, und Tom trug mich nach Hause Aber trotz meiner Müdigkeit machte ich ein saures Gesicht , wenn Mr. Robinson kam, weil seine Ankunft fast immer das Signal meines Rückzugs in die Schlafstube war. Wenn ich allzu großen Widerstand leistete, wurde Freund Tom geholt. Er erschien dann im Salon mit einer Miene, die mir großen Respect einflößte, ich folgte ihm willig. Er legte mich dann in eine Hängematte, die er in Bewegung setzte, und fing an gar wundersame Geschichten zu erzählen, die ich aber selten hörte, weil ich gewöhnlich schon bei den ersten Worten einschlief. Dann kam meine Mutter und trug mich aus der Hängematte in mein Bett.
Der Leser verzeihe mir diese mir so theuern Erinnerungen: jetzt sind meine Eltern und Tom todt, und ich befinde mich in dem Alter, wo mein Vater heimkehrte, allein in dem alten Schlosse, in bessert Nachbarschaft keine Anna Mary als tröstender Engel mehr waltet.
Ich erinnere mich des ersten Winters, welcher kam, weil er für mich die Quelle neuer Freuden ward; es lag hoher Schnee und Tom stellte Fallen, Sprenkel und Netze, um die von den Feldern herbeieilenden Vögel zu sangen.
Mein Vater hatte uns einen großen Schuppen überlassen, den Tom mit einem feinen Draht geflochten schloß. Dieser Schuppen war das Gefängniß für alle unsere Vögel, welche hier reichliches Futter und einige in Kasten gesetzte Tannenbäume fanden. Am Ende des Winters waren die eingefangenen Vögel kaum zu zählen. Ich konnte mich nicht satt an ihnen sehen, kaum hielt ich’s bei Tische aus. Meine Mutter war anfangs um meine Gesundheit besorgt, aber als ihr mein Vater meine vollen rothen Backen zeigte, beruhigte sie sich und ließ mich zu meinem Vogelhanse zurückkehren.
Im Frühjahr zeigte mir Tom an, daß wir alle unsere gefiederten Kostgänger in Freiheit setzen würden. Ich wollte es anfangs nicht zugeben ; aber meine Mutter bewies mir mit der ihr so natürlichen Logik des Herzens, daß ich nicht berechtigt sei, die armen überlisteten Vöglein mit Gewalt festzuhalten. Sie erklärte mir, daß es ungerecht sei, die Noth des Schwachen zur Unterjochung zu mißbrauchen ; sie zeigte mir, wie die armen kleinen Gefangenen durch das Drahtgitter zu schlüpfen suchten, um frei und fröhlich in der zu neuem Leben erwachten Natur umherzufliegen. Ein Vogel starb über Nacht: meine Mutter sagte mir, er habe sich zu Tode gegrämt, daß er nicht frei sei. Ich öffnete sogleich den Käfig und alle meine Gefangenen flogen zwitschernd in den Park.
Abends holte mich Tom ab und führte mich, ohne ein Wort zu sagen, an das Vogelhaus. Zu meiner großen Freude sah ich es fast eben so bevölkert wie am Morgens die meisten Vögel hatten bemerkt, daß die Bäume noch nicht dicht gering belaubt waren, um sie gegen die kalte Nachtluft zu schützen, und hatten sich wieder in die Tannen geflüchtet, wo sie ihre lieblichsten Lieder sangen, als hätten sie mir für das Obdach danken wollen. Ich erzählte es meiner Mutter ganz erfreut, und sie erklärte mir was Dankbarkeit sei.
Am andern Morgen eilte ich an mein Vogelhaus: alle meine gefiederten Kostgänger mit Ausnahme einiger Sperlinge, waren ausgeflogen Tom zeigte mir, wie sie Stroh und Wolle im Schnabel herbeischleppten, um sich Nester zu bauen. Ich hüpfte vor Freude bei dem Gedanken, daß ich kleine Vögel haben und heranwachsen sehen konnte, ohne aus einen Baum klettern zu müssen, wie Tom gethan hatte.
Die schöne Jahreszeit kam; die Sperlinge legten Eier und brüteten. Ich beobachtete dir Entwickelung der Jungen mit einer Freude, an die ich mich noch erinnere, wenn ich vierzig Jahre nachher dieses ganz verfallene Vogelhaus sehe. Es liegt in den frühesten Erinnerungen ein so großer Reiz, daß es wohl gestattet ist, einige Augenblicke auf den grünen, blühenden Fluren zu verweilen, welche man fast immer im Anfange des Lebensweges findet, ehe man eine lange Wanderung durch glühende Vulcane, blutige Felder und Eiswüsten antritt.
Der Sommer kam und unsere Spaziergänge dehnten steh immer weiter aus. – Eines Tages setzte mich Tom, wie gewöhnlich, auf seine Schulter; meine Mutter küßte mich noch zärtlicher als sonst; mein Vater nahm seinen Stock und ging mit uns. Wir gingen durch den Park, an dem Flüschen hinauf, und kamen an den See.
Es war sehr warm. Tom zog Jacke und Hemd aus; dann trat er ans Ufer, hielt die Hände hoch empor, machte einen Sprung, wie die fliehenden Frösche, und verschwand im Wasser.
Ich schrie laut auf und wollte ans Ufer laufen, ich weiß nicht in welcher Absicht, vielleicht um mich ebenfalls in den See zu stürzen; aber mein Vater hielt mich zurück. Ich weinte und rief meinen lieben Tom. – Endlich tauchte er wieder auf und kam ans Ufer. Ich war beruhigt, als ich ihn wieder bei mir sah.
Mein Vater zeigte mir nun die Schwäne, welche leicht auf dem Wasserspiegel glitten, und die einige Fuß tief schwimmenden Fische; dabei erklärte er mir, daß der Mensch mittelst gewisser Bewegungen mehre Stunden in dem Element der Fische und Schwäne bleiben könne. Um mir diese Erklärung recht anschaulich zu machen, ging Tom langsam in den See, ohne unter dem Wasser zu verschwinden; er schwamm vor meinen Augen, streckte von Zeit zu Zeit die Arme nach mir aus und fragte mich, ob ich Lust hätte mit ihm ins Wasser zu gehen. Ich schwankte zwischen Furcht und Verlangen, als mein Vater, der meine Gedanken errieth, zu Tom sagte:
»Quäle ihn nicht länger ; er fürchtet sich.«
Dieses Wort war ein Talisman, der eine wahre Zauberkraft aus mich ausübte. Ich hatte immer gehört, daß Tom und mein Vater mit großer Verachtung von feigen und furchtsamen Menschen sprachen, und ich erröthete bis über die Ohren.
»Nein, ich fürchte mich nicht,« sagte ich entschlossen, »ich will mit Tom ins Wasser gehen.«
Tom stieg wieder ans Ufer. Mein Vater kleidete mich aus und hob mich auf Tom’s Rücken. Ich schlang meine Arme um den Hals des Schwimmers, der nun wieder ins Wasser ging. Er mußte an dem Druck meiner Arme fühlen, daß mein Muth nicht so groß war, wie ich mich gerühmt hatte.
Im ersten Augenblick ging mir in dem kalten Wasser der Athem ans; aber nach und nach gewöhnte ich mich daran. Den folgenden Tag band mich Tom auf ein Bündel Binsen, zeigte mir die Bewegungen und schwamm neben mir. Acht Tage nachher hielt ich mich allein auf dem Wasser; im Herbst konnte ich schwimmen.
Meine Mutter hatte sich meine übrige Erziehung vorbehalten; aber sie wußte ihren Unterricht so angenehm zu machen und so sanft zu befehlen, daß ich gleichsam spielend lernte und sehr gern meine Spiele mit den Lehrstunden vertauschte.
Es war Herbst geworden, das Wetter fing an kalt zu werdens es war mir verboten an den See zu geben, und dies war mir um so unangenehmer, da ich bald merkte, daß dort etwas Ungewöhnliches vorging.
Ich hatte nemlich unbekannte Gesichter in Williamhouse gesehen; mein Vater hatte sich lange mit diesen Fremden unterhalten; endlich schien die Sache abgethan zu sein. Tom begleitete sie bis an die nach der Wiese hinabführende Parkthür, und als er wieder zurückkam, sagte er zu meiner Mutter:
»Für das nächste Frühjahr wird Alles fertig sein.«
Meine Mutter lächelte dabei wie gewöhnlich, es war also nichts Beunruhigendes; aber das Geheimniß reizte doch meine Neugierde. Jeden Abend kamen die fremden Männer ins Schloß, um zu essen und zu übernachten, und täglich gegen Mittag ging mein Vater fort, um ihnen einen Besuch zu machen.
Der Winter kam und mit ihm der Schnee. Dieses Mal hatten wir nicht nöthig Fallen und Netze zu stellen, um s die Vögel einzufangen; wir brauchten nur die Thüren des Vogelhauses aufzumachen und alle unsere vorjährigen Kostgänger kamen wieder mit noch vielen anderen, denen sie vermuthlich in ihrer Sprache die behaglichen Winterquartiere gerühmt hatten. Sie waren insgesammt willkommen und fanden ihren Hanfsamen, ihre Hirse und ihre Tannenbäume wieder.
In diesem Winter lernte ich von meiner Mutter lesen und schreiben, von meinem Vater die Anfangsgründe der Geographie und der Nautik. Ich war ein großer Freund von Reisebeschreibungen. Die Abenteuer Gulliver’s konnte ich von Anfang bis zu Ende erzählen, und aus einer Erdkugel verfolgte ich die Entdeckungsreisen Cook’s und Lapeyrouse’s. Mein Vater hatte auf dem Camin seines Zimmers das Modell einer Fregatte, und bald wußte ich die Namen aller Bestandtheile eines Schiffes. Im folgenden Frühjahr war ich ein sehr geschickter Theoretiker, dem nur noch die Uebung fehlte, und Tom behauptete, ich würde wie Sir Edward einst Contreadmiral werden; aber so oft als er diese Meinung äußerte, warf meine Mutter einen wehmüthigen Blick auf den Stelzfuß ihres Gatten und wischte verstohlen eine Thräne ab, die an ihren Wimpern zitterte.
Der Geburtstag meiner Mutter war im Mai, und zu meiner großen Freude kehrte dieses Fest alljährlich mit den Blumen und dem grünen Laube wieder. An diesem Tage fand ich, statt meiner gewöhnlichen Kleider, eine vollständige Midshipmanuniform. Ich eilte jubelnd in den Salon; mein Vater war in Uniform. Wie gewöhnlich waren alle unsere Bekannten erschienen. – Ich sah mich nach Tom um; er allein fehlte.
Nach dem Frühstück wurde ein Spaziergang an den See vorgeschlagen; der Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Wir brachen auf; aber statt den gewohnten kürzeren Weg über die Wiese zu nehmen, gingen wir den schönen Weg durch den Wald. Ich wunderte mich gar nicht über diese Veränderung unserer gewöhnlichen Marschroute.
Jener Tag ist mir noch so lebhaft im Gedächtniß, als ob es gestern gewesen wäre. – Wie alle Kinder, konnte ich mich auf den langsamen gemessenen Spazierschritt der Gesellschaft nicht beschränken; ich lief voraus und pflückte Maiblumen – da stand ich plötzlich am Saum des Waldes wie versteinert still und meine erstaunten Blicke waren auf den See gerichtet.
»Vater, eine Brigg!« mehr vermochte ich nicht zu sagen.
»Wahrhaftig, er weiß sie von einer Fregatte und Goelette zu unterscheiden!« rief mein Vater hoch erfreut. »Komm her, John, und laß Dich küssen.«
Eine allerliebste kleine Brigg, an deren Mastspitze die englische Flagge wehre, schaukelte sich anmuthig auf dein See. Am Vordertheile stand in goldenen Buchstaben »Anna Mary«. Die unbekannten Arbeiter, welche seit fünf Monaten im Schlosse gewohnt hatten, waren Zimmerleute von Portsmouth. Im April war das Schiff von Stapel gelassen und aufgetakelt worden, ohne daß ich etwas davon erfahren hatte. Als wir aus dem Walde traten, wurden wir von einer Salve seiner aus vier Kanonen bestehenden Artillerie begrüßt. Ich war entzückt.
In der nächsten Bucht des Sees lag die Schaluppe, von Tom und sechs Matrosen bemannt. Die ganze Gesellschaft stieg ein. Tom nahm am Steuer Platz, die Matrosen setzten die Ruder in Bewegung und wir glitten leicht über den See.
Sechs andere Matrosen, unter dem Befehle George’s, erwarteten den Capitän an Bord, um ihm die seinem Range gebührenden Ehren zu erweisen. Sobald Sir Edward aus dem Verdecke war, übernahm er das Commando. Wir wendeten auf dem Anker; die Marssegel wurden ausgespannt, dann senkten sich alle Segel und die Brigg setzte sich in Bewegung.
Ich fühlte eine unaussprechliche Freude, nun wirklich am Bord eines Schiffes zu sein. Als ich die Bewegung unter meinen Füßen fühlte, klatschte ich in die Hände und Freudenthränen traten mir in die Augen. Meine Mutter fing auch an zu weinen, sie dachte, daß ich einst ein wirkliches Seeschiff besteigen würde und daß ihre bis dahin so sanften friedlichen Träume voll von Stürmen und Kämpfen sein würden. Uebrigens freute sich die ganze Gesellschaft herzlich der von meinem Vater bereiteten Ueberraschung. Das Wetter war herrlich und die »Anna Mary« ließ sich lenken wie ein gut zugerittenes Pferd. Wir machten zuerst die Runde um den See, dann fuhren wir von einem Ende desselben zudem andern; endlich warf man zu meinem großen Bedauern die Anker und zog die Segel ein. Wir stiegen in die Schaluppe und fuhren wieder an’s Land. Während wir uns in’s Schloß zurückbegaben, wurden wir, wie bei unserer Ankunft, von einer Geschützsalve begrüßt.
Von jenem Tage an war die Brigg meine einzige Freude, meine einzige Zerstreuung. Mein Vater freute sich herzlich, daß ich so große Lust zum Seedienst hatte, und da die Schiffszimmerleute, welche bei der Festlichkeit die Bemannung gebildet hatten, wieder nach Portsmouth gingen, so ließ er sechs Matrosen von Liverpool kommen. Meine Mutter lächelte wehmüthig und tröstete sich mit dem Gedanken, daß ich noch sieben bis acht Jahre bei ihr zu bleiben hatte, ehe ich mich wirklich einschiffte.
Meine gute Mutter vergaß die Schule, die erste so schmerzliche Trennung, welche indeß den Vortheil hat, auf eine zweite fast immer folgende ernstere Trennung vorzubereiten.
Die verschiedenen Bestandtheile eines Schiffes waren mir bereits bekannt; nach und nach lernte ich auch den Gebrauch derselben. Im Herbste fing ich sogar an kleine Manöver auszuführen. Tom und mein Vater waren abwechselnd meine Exerciermeister. Der übrige Unterricht wurde dabei vernachlässigt, aber man hatte ihn auf den Winter verschoben.
Wenn ich meine Uniform angezogen hatte und an Bord der Brigg war, glaubte ich kein Kind mehr zu sein; meine Gedanken waren voll von Manövern, Stürmen und Schlachten. An einem Ende des Gartens wurde eine Scheibe aufgestellt; mein Vater ließ mir von London eine kleine Kugelbüchse und zwei Scheibenpistolen kommen. Ehe ich aber diese Zerstörungswerkzeuge berührte, sollte ich den ganzen Mechanismus derselben genau kennen lernen. Ein Büchsenmacher von Derby kam zweimal wöchentlich in’s Schloß und zeigte mir, wie ein Gewehrschloß auseinandergenommen und zusammengesetzt wird. Als ich endlich jedes Stück beim Namen nennen konnte, wurden die Schießübungen angefangen und den ganzen Herbst täglich fortgesetzt. Als der Winter kam, wußte ich mein kleines Arsenal schon ziemlich geschickt zu gebrauchen.
Das schlechte Wetter unterbrach keineswegs unsere nautischen Uebungen, es kam meinem Vater vielmehr in meiner seemännischen Ausbildung zu Hilfe. Unser See erlaubte sich bei stürmischem Wetter einen Wellenschlag, wie ein Meer, das Schiff machte recht hübsche Schwankungen. Dann kletterte ich mit Tom am Takelwerke hinauf, um die höchsten Segel einzuraffen. Das waren wirklich Festtage für mich; denn zu Hause hörte ich, wie mein Vater und Tom die heutigen Heldenthaten erzählten, und meine Eigenliebe wuchs fast zur Mannesgröße empor.
So vergingen drei Jahre unter diesen anstrengenden Uebungen, die man mir so anziehend zu machen wußte. Ich war nicht nur ein gewandter und kühner Matrose geworden, sondern ich hatte eine so genaue Kenntniß von dem gesammten Tau- und Takelwerk, daß ich im Stande war den Befehl zu führen. Zuweilen reichte mir mein Vater ein kleines Sprachrohr, und der kleine Matrose spielte nun die Rolle des Capitäns; auf mein Commando führte dann die Mannschaft die Bewegungen aus, welche ich selbst mitgemacht hatte, und ich konnte die von mir gemachten Fehler beurtheilen, wenn ich sah, daß geschicktere Matrosen als ich dieselben Fehler machten.
Uebrigens war meine Ausbildung langsam vorgeschritten, aber in der Geographie war ich so gut bewandert, wie von einem zehnjährigen Knaben zu erwarten. Im Scheibenschießen leistete ich Ausgezeichnetes; Jedermann freute sich, ausgenommen meine gute Mutter, die darin nur ein Zerstörungsstudium sah.
Der Tag kam, an welchem ich das Vaterhaus verlassen sollte.
Mein Vater hatte für meine wissenschaftliche Ausbildung das berühmte aristokratische College zu Harrow-on-the-Hill gewählt. Es war meine erste Trennung von meinen guten Eltern ; sie war schmerzlich, obgleich sich jeder von uns Gewalt anthat, seinen Schmerz zu verbergen. Tom allein sollte mich begleiten; er erhielt von meinem Vater einen Brief an den Doktor Butler, den Director der Lehranstalt, welchem die für besonders wichtig gehaltenen Unterrichtsgegenstande angelegentlichst empfohlen wurden. Turnen, Fechten und Boxen waren dick unterstrichen. Auf die alten Sprachen legte Sir Edward wenig Werth; er verbot indeß meine Theilnahme an dem Unterricht nicht.
Nachdem ich von der Brigg und den Matrosen einen fast eben so zärtlichen Abschied genommen, wie von meinen Eltern, setzte ich mich mit Tom in den Reisewagen meines Vaters. Die Jugend ist selbstsüchtig, sie unterscheidet die Zuneigung nicht von den Genüssen.
Unterwegs war Alles neu und merkwürdig für mich. Leider war Tom wenig geeignet meine Neugierde zu befriedigen, der Weg von London nach Williamhouse war seine einzige Landreise gewesen, und seitdem hatte er das Schloß nicht wieder verlassen. In jeder etwas großen Stadt, wo wir ankamen, fragte ich ob, es London sei.
Endlich kamen wir nach Harrow. Tom führte mich sogleich zu dem Doctor Butler. Dieser war eben an die Stelle des sehr beliebten Drury gekommen, und dieser Wechsel des Directors hatte unter den Schülern einen kaum beschwichtigten Aufstand hervorgerufen. Dieser Umstand machte meine Vorstellung zu einer steifen Förmlichkeit. Der Doctor saß in seinem Lehnstuhl, sah mich forschend an, las den Brief meines Vaters, gab seine Zustimmung durch Kopfnicken zu verstehen, bot Tom einen Stuhl und fragte mich was ich könne. Ich antwortete, daß ich ein Schiff lenken, die Mittagshöhe der Sonne aufnehmen, reiten, schwimmen und schießen könne. Der Pädagog erklärte, ich sei ein Narr, runzelte die Stirn und wiederholte seine Frage. Aber Tom kam mir zu Hilfe und versicherte, daß ich die Wahrheit gesagt.
»Und sonst kann er nichts?« fragte Doctor Butler naserümpfend.
Tom war ganz verblüfft; er glaubte, ich sei in meiner Ausbildung außerordentlich weit vorgeschritten, und hatte es immer für ganz überflüssig gehalten, mich in die lateinische Schule zu schicken, wo ich, wie er meinte, nichts mehr zu lernen hätte.
»Entschuldigen Sie,« erwiederte ich, »ich spreche sehr gut französisch, kann ziemlich viel Geographie, etwas Mathematik und bin einigermaßen in der Geschichte bewandert.
Ich vergaß das irische Kauderwelsch, welches ich wie ein wahrer Erinssohn sprach; ich hatte es von Mrs. Denison gelernt.
»Das ist schon etwas,« sagte der Professor, erstaunt über den zwölfjährigen Knaben, der in den gewöhnlichen Schulkenntnissen hinter den Knaben seines Alters zurück zu sein schien und Vieles wußte, was man sonst erst weit später zu erlernen pflegt. Aber haben Sie denn die Anfangsgründe des Lateinischen und Griechischen nicht gelernt?« setzte er hinzu.
Ich mußte gestehen, daß ich von diesen Sprachen nichts wisse. Der Professor nahm nun ein großes Register und schrieb in dasselbe:
»John Davys, angekommen im College zu Harrow-on-the-Hill den 7. October 1806, in die letzte Classe gesetzt.«
Da er Wort für Wort las, was er niederschrieb, so verstand ich die letzten demüthigenden Worte sehr gut. Das Blut stieg mir ins Gesicht, und ich wollte mich eben entfernen, als die Thür aufging und ein Zögling erschien. Es war ein Jüngling von sechzehn bis siebzehn Jahren, blaß von Gesichtsfarbe, mit feinen Zügen und stolzem, hochfahrendem Wesen. Sein schwarzes lockiges Haar war sorgfältiger geordnet, als sonst bei jungen Leuten der Fall zu sein pflegt. Ueberdies hatte er – ebenfalls eine Seltenheit bei Schülern – feine zarte Hände wie ein Mädchen. An einem Finger trug er einen kostbaren Ring.
»Sie haben mich rufen lassen, Master Butler?« sagte er schon an der Thür mit hochfahrendem Tone.
»Ja, Mylord, antwortete der Professor.
»Darf ich wissen was mir diese Ehre verschafft?« fragte der aristokratische Zögling mit einem sarkastischen Lächeln, das von Keinem unbemerkt blieb.
»Ich wünsche zu wissen, Mylord, warum Sie gestern auf meine Einladung nicht mit den übrigen Zöglingen an meinem Tische erschienen sind.«
»Erlassen Sie mir die Antwort, Sir.«
»Leider kann ich das nicht, Mylord. Das gemeinsame Mahl am Schlusse eines Halbjahres ist ein alter Brauch, dem Sie zuwider gehandelt haben, und ich wünsche die Ursache zu wissen – wenn Sie nemlich eine Ursache angeben können.«
»Ja, ich habe eine Ursache.«
»So lassen Sie hören.«
»Ich will sie Ihnen sagen, Master Butler,« sagte der junge Lord mit der größten Ruhe, »ich würde Sie auch nicht zu Tisch laden, wenn Sie während der Ferien in mein Schloß Newstead kämen, und ich kann doch von Ihnen eine Einladung nicht annehmen, die ich zu erwiedern durchaus nicht geneigt bin.«
»Ich muß Ihnen erklären, Mylord,» erwiederte der Professor, dem die Zornglut ins Gesicht stieg, »daß Sie nicht hier bleiben können, wenn Sie Ihr Benehmen nicht ändern.«
»Und ich, Sir, erkläre Ihnen, daß ich morgen abreise, um in das Trinity-College zu Cambridge zu treten. Hier ist ein Brief meiner Mutter, der Sie von diesem Beschlusse in Kenntniß setzt.«
Bei diesen Worten reichte er den Brief hin, aber ohne näher zu treten.
»Mein Gott, so kommen Sie doch näher, Mylord,« sagte der Professor; »man weiß ja, daß Sie hinken.«
Der junge Lord war tief verletzt; aber statt zu erröthen, wie der Professor, ward er schrecklich blaß.
»Ich bin lahm, Sir,« antwortete der junge Peer, den Brief in seiner Hand zerdrückend; »aber es fragt sich, ob Sir mir folgen werden auf der Bahn, die ich zu wandeln gedenke. – James,« sagte er zu einem hinter ihm stehenden Diener in eleganter Livrée, »laß meine Pferde satteln, wir reiten fort.«
Und er verließ das Zimmer, ohne von dem Professor Abschied zu nehmen.
»Gehen Sie in Ihre Classe, Master Davys,« sagte Doktor Butler nach einer kurzen Pause zu mir, »und nehmen Sie sich das unziemliche Betragen dieses Jünglings zum abschreckenden Beispiel.«
Als wir über den Hof gingen, sahen wir den Zögling, dessen Beispiel mir zur Nichtbefolgung empfohlen worden war, mitten unter seinen Cameraden, die von ihm Abschied nahmen. Ein Diener, der schon zu Pferde saß, hielt ein anderes Pferd am Zügel. Der junge Lord schwang sich behende in den Sattel, winkte noch einmal mit der Hand und ritt im Galopp davon.
»Der scheint mir ein kecker Patron zu sein,« sagte Tom, ihm nachschauend.
»Frage doch, wie er heißt,» sagte ich zu ihm, denn der scheidende Zögling hatte meine Neugierde im höchsten Grade erregt.
Tom redete einen Schüler an, sprach einige Worte mit ihm und kam wieder zu mir.
»Er heißt George Gordon Byron,« sagte er.
Ich bezog also das College zu Harrow-on-the-Hill an dem Tage, wo Lord Byron austrat.