Читать книгу Seeabenteuer und Schiffsbrüche - Александр Дюма - Страница 2
Die »Juno«
(1795.)
1
ОглавлениеAn der äußersten Spitze des indischen Reiches Birma liegt an der Mündung des Urawaddi, die einen prächtigen Hafen bildet, die Stadt Ranguhn, einer der bedeutendsten Handelsplätze von Pegu.
Zu Anfange Mai des Jahres 1705 lag in ihrem Hafen ein altes englisches Schiff von 450 Tonnen Gehalt, Namens »Juno,« Kapitain Alexander Bremner, welches eine Ladung Teckholz einnahm, um damit nach Madras abzugehen.
Kurz vor der Abreise wurde der zweite Hochbootsmann des Schiffes krank, und es zeigte sich bald, daß er nicht im Stande war, die Seereife mitzumachen.
Da diese Reise, eine Fahrt über den Meerbusen von Bengalen an seiner breitesten Stelle, nicht ohne Gefahr war, besonders während des bevorstehenden Südostpassatwindes, so hielt man es für nöthig, den kranken Hochbootsmann durch einen andern zu diesem Posten befähigten Mann zu ersetzen.
Der Kapitain Bremner hatte nicht nöthig, lange zu suchen. Es meldete sich ein im kräftigsten Alter, das heißt, in den letzten dreißiger Jahren stehender erfahrener Seemann, dessen vorzügliche Zeugnisse bewiesen, daß er die Gewässer, in denen man sich befand, nach allen Richtungen hin befahren hatte. Sein Name war John Mackay.
Der Kapitain Bremner prüfte diesen Mann, untersuchte seine Papiere, und als er die Ueberzeugung gewonnen hatte, daß er dem in Rede stehenden Posten vollkommen gewachsen sein werde, engagierte er ihn auf ein Jahr.
Da das Fahrzeug, auf dem ein Seemann sich einschifft, für ihn ein Gegenstand von Wichtigkeit ist, weil er demselben sein Leben anvertraut, so untersuchte John Mackay, als er sich an Bord befand, die »Juno« in allen ihren Theilen.
Diese Untersuchung fiel nicht zum Vortheil des Schiffes aus. Die »Juno« war alt, in jeder Beziehung in schlechtem Zustande, und die aus dreiundfünfzig Köpfen bestehende Mannschaft, mit Ausnahme von acht bis zehn Europäern, lauter Lascars, erweckte in dem erfahrenen John Mackay keineswegs hinlängliches Vertrauen, um die Besorgnisse aufzuwiegen, welche das Alter, der schlechte Zustand und die mangelhafte Ausrüstung des Dreimasters in ihm rege gemacht hatten.
Er hielt es daher für nöthig, dem Kapitain ganz offen seine Meinung darüber zu sagen und ihm den üblen Eindruck zu gestehen, den sein Schiff nach genauer Untersuchung auf ihn gemacht hatte.
Der Kapitain Bremner aber war einer von den sorglosen Seeleuten, die auf dem Ozean alt geworden sind, und welche die Vergangenheit als eine Garantie für die Zukunft betrachten. Er antwortete seinem Hochbootsmann, daß er bereits seit zwanzig Jahren auf der »Juno« fahre, daß ihm noch nie ein Unglück begegnet sei, und daß das Schiff, wenn es zwanzig Jahre gut gegangen sei, auch noch eins gut gehen werde, das heißt bis zum Ablaufe des Engagements, das er mit seinem Hochbootsmann abgeschlossen habe.
John Mackay erwiderte darauf, daß die Bemerkung, die er sich erlaubt, durchaus keinen egoistischen Grund habe, sondern daß er sie nur im Interesse der ganzen Mannschaft äußere; daß er, Gott sei Dank, mit dem Meere hinreichend vertraut sei, um nöthigenfalls in einer Schaluppe über den bengalischen Meerbusen zu fahren, daß aber jeder Kommandoposten an Bord eines Schiffes mit einer größeren oder geringeren Verantwortlichkeit verbunden sei, und daß er es demnach für seine Pflicht gehalten habe, ihn auf die Mängel des Schiffes aufmerksam zu machen.
Der Kapitain dankte ihm in einem ziemlich ironischen Tone, und indem er ihm seine Gattin zeigte, die eben an Bord kam, um ihn auf der Fahrt zu begleiten, fragte er ihn, ob er nicht glaube, daß ihm selbst am Meisten an einer glücklichen Reise gelegen sein müsse.
Und in der That, ein flüchtiger Blick auf Madame Bremner war hinreichend, um einzusehen, daß das Wohl einer solchen Frau ihrem Gatten am Herzen liegen mußte.
Madame Bremner, die erst seit kaum einem halben Jahre mit dem Kapitain vermählt war, war wirklich ein reizendes Weibchen. Sie war in Ostindien von europäischen Eltern geboren worden und besaß außer ihrer nicht gewöhnlichen Schönheit die ganze Liebenswürdigkeit und Anmuth der Creolinnen, die in ihrem ganzen Wesen Etwas von der üppigen Natur haben, in deren Schooße sie das Licht der Welt erblickt haben, aufgewachsen sind und sterben sollen.
Ein malayisch er Sklave in seiner malerischen Tracht begleitete sie und vervollständigte das reizende Bild, dessen Hauptfigur sie war.
John Mackay sah daher ein, daß es unschicklich gewesen wäre, wenn er, der nur sein eigenes Leben auf's Spiel setzte, noch länger von den Gefahren gesprochen hätte, in die ein Schiff gerathen konnte, dem sein Kapitain ein so liebenswürdiges Geschöpf anvertraute.
Die letzten Vorbereitungen wurden demnach getroffen, ohne daß sich der Hochbootsmann neue Bemerkungen erlaubte, und am 29. Mai 1795 ging der Dreimaster mit dem Eintritte der Fluth bei einer Wassertiefe von fünfundzwanzig bis dreißig Fuß und schlammigem Grunde, unter Segel.
Sogleich im Anfange glaubte jedoch der Hochbootsmann zu bemerken, daß man das Schiff von der Richtung abweichen ließ, die es einhalten sollte; aber der Kapitain Bremner befuhr schon zu lange diese Gewässer, um annehmen zu können, daß er sich irre. John Mackay bemerkte indessen dem ersten Hochbootsmanne, Namens Wade, daß es ihm scheine, als ob das Schiff weiter nach rechts abhalte, als es sollte, und da dieser die Richtigkeit dieser Bemerkung erkannte, befahl er, daß das Senkblei ausgeworfen werden sollte.
Man hatte in der That noch nicht zwanzig Fuß Wasser.
Die Sache war sehr kritisch. Man benachrichtigte den Kapitain davon, der es nicht glauben wollte; als er sich aber selbst davon überzeugt hatte, befahl er sogleich, den Cours des Schiffes zu ändern.
Noch ehe aber der Steuermann den Helmstock hatte unter den Wind bringen können, verkündete ein heftiger Stoß, daß das Schiff aufgefahren war.
Es war keine Sekunde zu verlieren. Der Kapitain gab auf der Stelle Befehl, daß gebraßt werden sollte, um das Schiff wieder flott zu machen, allein dieser Befehl war unnütz, da es sich lediglich nur noch darum handelte, zu verhindern, daß es abgetrieben wurde.
Es wurden unverzüglich zwei Gabelanker ausgeworfen und man bemerkte zur großen Freude der ganzen Mannschaft, daß das Schiff still lag.
Man hatte nun Zeit, die Sache näher zu untersuchen.
Die »Juno« war auf eine fast steinharte Sandbank gestoßen, ohne jedoch eine Verletzung davon zu tragen, denn es hatte sich noch nirgends ein Leck gezeigt. Die Sache war daher noch nicht so schlimm, als sie Anfangs geschienen hatte. Da verlor plötzlich der eine von den beiden Ankern den Grund und in Folge dessen schleppte alsbald auch der andere.
Sogleich wurde der Befehl zum Auswerfen des Hauptankers gegeben und ausgeführt.
Das schon mit den Wellen treibende Schiff spannte die Ankerkette straff an, aber sie hielt und das Schiff lag wieder still.
Man hatte einen Augenblick in Angst geschwebt, die Unbeweglichkeit des Schiffes aber beruhigte Jedermann wieder.
Der Kapitain Bremner begann jetzt im Stillen die Richtigkeit der Bemerkungen seines zweiten Hochbootsmannes einzusehen; anstatt ihm aber dankbar dafür zu sein, daß er die Gefahr vorausgesehen und darauf aufmerksam gemacht hatte, grollte er ihm fast deshalb.
Uebrigens war, wie gesagt, noch Nichts verloren; wenn man während der Dauer der Ebbe das Scheitern glücklich verhinderte, so konnte man so ziemlich gewiß sein, daß das Schiff mit dem Eintritt der Fluth wieder flott wurde, und da der Unfall keine erheblichen Beschädigungen verursacht hatte, konnte man ohne Aufenthalt die Reise fortsetzen.
Die Hauptsache war für jetzt, daß das Schiff leichter gemacht wurde.
Man zog alle Segel ein. Während 'der Ebbe legte sich das Schiff furchtbar auf die Seite. Man hatte dies erwartet, und einige Augenblicke herrschte Todesangst an Bord, aber der kritische Moment ging ohne neuen Unfall vorüber.
Als der Kapitain bei John Mackay vorbeiging, sagte er mit Stolz zu ihm:
»Nun, ich dächte, die Juno benähme sich für ein altes Schiff nicht ganz schlecht!«
John Mackay schüttelte den Kopf.
Die »Juno« zeigte sich in der That bis jetzt sehr gut; es fragte sich nur, ob sie dies auch fernerhin thun würde.
Die nächsten Augenblicke schienen übrigens die Meinung des Kapitains rechtfertigen zu wollen; mit dem Eintritt der Fluth wurde das Schiff wieder flott, und kaum hatte man dies bemerkt, so wurde der Befehl gegeben, den Anker aufzuziehen. Es wurden nun sogleich alle Segel beigesetzt, und bald befand man sich in so tiefem Wasser, daß ein nochmaliges Auffahren nicht zu befürchten war.
Am ersten Juni sprang der Wind um und blies heftig aus Südwest; fast in dem nämlichen Augenblicke begann die See hoch zu gehen und das Schiff arbeitete mit großer Anstrengung.
John Mackay hatte einen Mann in den Kielraum gestellt; nach Verlauf von etwa vier Stunden kam dieser herauf und meldete, daß das Schiff leck sei.
Dies hatte der Hochbootsmann schon längst befürchtet.
Der Kapitain ging sogleich selbst hinunter und überzeugte sich daß das Wasser wirklich einzudringen begann; leider aber befand sich nicht einmal ein Zimmermann und fast gar kein Handwerkszeug an Bord.
Das Wasser mußte daher ausgepumpt werden. Jedermann ohne Unterschied ging zu dem Ende an die Pumpen und arbeitete tüchtig; aber es war, als ob sich Alles zum Untergange der »Juno« verschworen hätte. Der Ballast des Schiffes bestand aus Sand, und dieser mit Wasser vermischte Sand verstopfte sehr bald die Pumpen. Das Wasser verminderte sich daher nicht, sondern es stieg im Gegentheil, wenn auch langsam, doch fortwährend.
Das stürmische Wetter dauerte acht Tage, während deren das Schiff übermäßig angestrengt wurde.
Es wurde nun berathen, ob man nicht lieber nach Ranguhn zurückkehren sollte, da aber der Kapitain dadurch eingestanden haben würde, daß der zweite Hochbootsmann Recht gehabt, ein Schiffskapitain aber nie Unrecht haben darf, so bemerkte Bremner. Daß die Küste bei Ranguhn so niedrig sei, daß man sie erst in einer Entfernung von wenigen Meilen sehen könne; daß man, wenn man mit einem leicht zu regierenden Schiffe den richtigen Weg einhalten wolle, man in einer Art von Kanal bleiben müsse, der nicht mehr als dreißig Fuß Tiefe habe, daß sich zu beiden Seiten dieses Kanals Sandbänke befänden, auf die man eben schon aufgefahren sei, und welche bei nochmaligem Auffahren das Schiff spalten würden, daß es demnach gerathener sei, die Fahrt auf jede Gefahr hin fortzusetzen, daß überdies das stürmische Wetter bereits acht Tage gedauert habe und es daher wahrscheinlich sei', daß die See sich bald beruhigen und daß es in diesem Falle wohl bald gelingen werde, das Leck zu verstopfen.
Der Kapitain war der Gebieter, seine Meinungsäußerung war ein Befehl, und man segelte daher so gut es bei dem stürmischen Wetter anging, weiter nach Madras.
Die Ereignisse schienen dem Kapitain Anfangs Recht zu geben. Am 6. Juli legte sich der Sturm, die See wurde ruhiger und das Leck verminderte sich so bedeutend, daß eine einzige Pumpe genügte, um seine Wirkung zu neutralisieren.
Das Schiff wurde nun genau untersucht, und man entdeckte bald, daß sich das Leck am Hintersteven, nicht weit unter dem Wasserspiegel, befand. An dieser Stelle war der Schaden leicht zu reparieren. An dem ersten vollkommen ruhigen Tage wurde das Boot ausgesetzt, und da man, wie gesagt, nicht nur keinen Zimmermann, sondern auch kein Handwerkszeug hatte, mußte man sich damit begnügen, das Leck mit Werg zu verstopfen und darüber zuerst ein Stück getheertes Segeltuch, dann eine Tafel Blattblei zu nageln.
Dies allerdings mangelhafte Aushilfsmittel genügte Anfangs vollkommen, und so lange das Wetter schön war, brauchte man täglich nur kurze Zeit zu pumpen, woraus natürlich Jedermann schloß, daß das Leck verstopft war.
Alle freuten sich, daß man der Gefahr glücklich entronnen war, und Jedermann war heiter, nur John Mackay nicht, der mitten in der allgemeinen Heiterkeit noch immer den Kopf schüttelte und ein englisch es Sprichwort vor sich hin murmelte, dessen Sinn ungefähr lautete;
»Wer's erlebt, wird's sehen!«