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Die »Juno«
(1795.)
4.
Der Todeskampf
ОглавлениеIn Folge eines Gefühls von Mitleid und Achtung, das noch im Herzen der Unglücklichen schlummerte und das besonders durch den braven John geweckt wurde, erhielten Madame Bremner und ihr Gatte die nämlichen Plätze im Besanmastkorbe wieder, die sie früher inne gehabt hatten.
Der Kapitain war so schwach, daß er ganz ohne Besinnung zu sein schien, und er war im gewöhnlichen Zustande ein gesunder und kräftiger, an alle Leiden und Entbehrungen, denen man auf der See ausgesetzt ist, seit dreißig Jahren gewöhnter Seemann.
Seine Gattin dagegen, ein zartes und nervenschwaches Weib, halte alle diese Anstrengungen, Entbehrungen und Leiden mit seltenen Muthe und wunderbarer Kraft ertragen.
Kaum war er wieder im Mastkorbe angekommen, so wurde er vom Delirium ergriffen; in diesem Zustande glaubte er einen mit allerhand Speisen besetzten Tisch zu sehen, fragte in unzusammenhängenden Worten, warum man ihn von diesem Tische entfernt halte; warum man ihm ein Stück Brot und ein Glas Wasser verweigere, da man doch einen solchen Ueberfluß von Speise und Trank vor ihm aufgestellt und er so großen Hunger und Durst habe.
Der Todeskampf eines Sterbenden ist immer ein peinliches Schauspiel, aber im gewöhnlichen Leben spielt dabei nur der Trennungsschmerz die Hauptrolle; Die, welche den Sterbenden umgeben, vergießen Thränen an seinem Lager und diese Thränen strömen um so reichlicher, wenn der Weinende selbst aus jeder Gefahr ist. Ein Andres ist es mit dem Todeskampfe eines Unglücklichen, welcher Hungers stirbt und der von anderen Unglücklichen umgeben ist, denen ein gleiches Loos bevorsteht. Da erblickt Jeder im Todeskampfe des Anderen das Bild seines eigenen Todeskampfes. Auch sie empfinden schon die nämlichen Leiden, denen der Sterbende erliegt; das Delirium, das ihn ergriffen hat, wird auch sie in kürzerer oder längerer Frist ergreifen, auch sie wird früher oder später der Tod in seine Knochenarme schließen. Da steht man keine lindernden Thränen fließen; nur trockene Augen, eine finstere Verzweiflung, knirschende Zähne, wenn man die ersten Symptome der Schmerzen, die man vor Augen steht, in sich selbst verspürt, rasendes Gebrüll anstatt,der Klagen, Verwünschungen anstatt der Trostworte.
Am 1. Juli endlich, elf Tage nach dem Untergange des Schiffes, gab der Kapitain den Geist auf.
In seinen krampfhaften Todeszuckungen hatte er seine Gattin so fest umklammert, daß man kaum im Stande war, sie aus seinen Armen und Händen zu befreien.
Uebrigens wollte sie noch nicht glauben, daß er todt sei, und als er sie so fest an seine Brust drückte, gab sie. es anfangs nicht zu, daß man sie seiner letzten Umarmung entriß. Es kostete große Mühe, sie von der traurigen Wahrheit zu überzeugen. Endlich ließ sie sich von ihm losmachen und sonderbarer Weise versiegten auch in dem nämlichen Augenblicke ihre Thränen.
Die Mannschaft vertheilte die wenigen Kleidungsstücke des Kapitains unter sich und warf dann seinen Leichnam in's Meer.
Als Madame Bremner das Geräusch des Falles im Wasser hörte, stieß sie einen leisen Schrei aus, rang die Hände und fiel in Ohnmacht;
John Mackay leistete ihr nach Möglichkeit Beistand, und als sie wieder zu sich gekommen war, konnte sie wieder weinen.
Während der fünf Tage, welche zwischen der Rückkehr des Floßes und dem Tode des Kapitains verstrichen waren, hatte sich, außer verschiedenen aufeinanderfolgenden Todesfällen, kein Unfall ereignet. Einer oder der Andere empfand plötzlich Leibschmerzen, bekam Zuckungen und war binnen wenigen Augenblicken verschieden. Zuweilen umklammerte er im Todeskampfe einen Gegenstand mit solcher Heftigkeit, daß mehrere Männer ihre ganze Kraft aufbieten mußten, um seine Hände davon loszumachen.
Bei Einem wollte dies durchaus nicht gelingen und man ließ seinen Leichnam zwei Tage lang an dem Taue hängen, das er mit beiden Händen umklammert hatte. Als aber die Verwesung eintrat, schnitt man ihn an den Handgelenken ab, weil das Tau, an welchem er hing, mit dazu diente, den Mast am Schiffe festzuhalten.
Die Hände blieben hängen und der Körper fiel in's Meer.
Am Morgen des 28. Juni, drei Tage vor dem Tode des Kapitains, hatte der erste Hochbootsmann Wade erklärt, daß er nicht im Stande sei, diese Untätigkeit länger zu ertragen. Das Floß war noch unten am Besanmaste angebunden. Er fragte, ob einige Leute sich mit ihm einschiffen und noch einmal ihr Glück versuchen wollten. Acht Mann gingen auf den Vorschlag ein und fuhren mit dem Hochbootsmanne ab, obgleich John Mackay Alles aufbot, um sie zurückzuhalten. Wie das erste Mal, verlor man nach einigen Stunden das Floß aus dem Gesichte. Aber am folgenden Tage erblickte man es nicht wieder; der Wind. hatte sich am vorigen Abende erhoben und aller Wahrscheinlichkeit nach war das Floß untergegangen.
Dieser Wind, der den Abgefahrenen zum Verderben gereichte; hatte für die Zurückgebliebenen ein glückliches Resultat. Es hatte während der Nacht stark geregnet, die Schiffbrüchigen hatten Wasser auffangen und damit ihren Durst löschen können. So war wenigstens das schreckliche Leiden auf kurze Zeit gelindert.
Von diesem Augenblicke an vergingen selten zwei Tage, ohne daß ein neuer Wind wieder Regen brachte, und dieser verschaffte den Unglücklichen in Verbindung mit den in Meerwasser getauchten Kleidungsstücken merkliche Erleichterung. So oft sie ein wenig frisch es Wasser genießen konnten, empfanden sie in der That mehrere Stunden lang selbst die Qualen des Hungers in vermindertem Grade.
Am Todestage des Kapitains Bremner starben indessen noch zwei Andere im Besanmastkorbe und ebenfalls zwei im Fockmastkorbe.
Beide Parteien standen übrigens in keiner andern Verbindung mit einander, als daß sie sahen, was vorging; denn sie hatten nicht mehr die Kraft, sich durch Zurufe gegenseitig verständlich zu machen.
John wunderte sich jeden Morgen, daß er noch lebte, und er war jedes Mal beim Erwachen überzeugt, daß dieser Tag sein letzter sein und daß er die kommende Nacht nicht mehr erleben werde. Er hatte immer gehört, daß der Mensch nur eine gewisse Zeit, acht bis höchstens zehn Tage, die Nahrung entbehren könne, und am elften Tage, an welchem der Kapitain starb, lebte er noch immer.
An diesem Abende war die See ruhiger, als sie seit langer Zeit gewesen; einige Lascars verließen daher den Besanmastkorb, um nach dem Fockmastkorbe hinüber zu schwimmen, welcher nie so voll gewesen war, als jener und in dem durch den Tod der zwei Matrosen eine neue Lücke entstanden war. Mit großer Mühe legten sie die kurze Strecke zurück und kletterten unter dem Beistande ihrer Kameraden in den Mastkorb hinauf.
Vom 1. und 2. Juli an verfielen die noch lebenden in eine so große Schwäche, daß sie kaum noch sahen und hörten, was um sie her vorging, und diese Betäubung, von der selbst die Stärksten nicht verschont blieben, brachte sogar das Gefühl des Hungers in ihnen zum Schweigen. Wenn es. ein wenig regnete, schienen sie aus ihrer Lethargie zu erwachen und es entstand eine ungewöhnliche Bewegung unter ihnen; Jeder strengte sich an so viel Wasser als möglich aufzufangen, und wenn das Wasser getrunken war, wurden einige matte, traurige Worte gewechselt, worauf die vorige Stille und Unbeweglichkeit zurückkehrte.
Die heftigsten Qualen verursachten den erschöpften Leuten jetzt nicht mehr Hunger und Durst, sondern die Kälte. Obgleich man sich in der Nähe des Aequators befand, waren die Nächte dennoch empfindlich kalt, und man hörte dann gewöhnlich einige Jammerlaute und das Geklapper der zusammenschlagenden Zähne. Gegen Morgen wurde_es wieder wärmer und die erstarrten Glieder erhielten ihre vorige Elastizität wieder; aber nun begann eine andre Qual: – die Gluth der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen. Ueber diese Leiden vergaß man die der vergangenen Nacht und sehnte sich nach dem kühlen Abendwinde, wie man sich des Nachts nach der Sonnenwärme sehnte.
Dabei ereigneten sich denn auch individuelle Dramen, welche Diejenigen, vor deren Augen sie sich zutrugen, kaum bemerkten.
Wir haben schon gesagt, daß fast Jedermann, obgleich Alle den nämlichen Qualen erlagen, eines anderen Todes starb. So war zum Beispiel der Sohn des Hochbootsmanns Wade, ein kräftiger und gesunder Jüngling, fast auf der Stelle und ohne einen Seufzer gestorben, während ein anderer, viel schwächerer junger Mann von gleichem Alter Hunger und Durst zwölf Tage lang ertrug und erst am dreizehnten Tage sein Ende herannahen fühlte.
Der Vater dieses jungen Mannes befand sich ebenfalls unter der Mannschaft, aber Beide waren getrennt worden, indem der Vater jener einzelne Matrose war, der sich in den Fockmastkorb begeben hatte, während sein Sohn sich auf dem Besanmaste befand.
So lange man sprechen konnte, wechselten die Leute in den beiden Mastkörben zuweilen einige Worte, und wenn die Stimme erlosch, begnügte man sich mit Zeichen und Winken. Als nun der unglückliche Vater aus dem Winken des jungen Mannes ersah, daß dieser dem Tode nahe war, schien er seine ganze Kraft wieder zu gewinnen, obgleich er bereits seit einigen Tagen fast unbeweglich gelegen hatte, stieg eiligst herab und kroch auf allen Vieren auf dem noch über dem Wasser befindlichen Plattbord des Wracks hinüber zu seinem Sohne. Er erreichte ihn glücklich, nahm ihn auf die Arme und trug ihn auf die Planken des noch nicht ganz versunkenen Hinterkastells, wo er ihn an das Geländer lehnte, damit das Wasser ihn nicht wegspülen konnte. Bekam der junge Mann einen jener Anfälle von Leibschmerz, die wir als Vorboten des Todes bezeichnet haben, so hob der Vater ihn auf und trocknete ihm den Schaum von den Lippen. Fielen einige tropfen Regen, so fing er sie mit ängstlicher Sorgfalt auf, rang das damit getränkte Stück Leinwand oder Zeug über dem Munde seines Sohnes aus und erfrischte seine brennende Zunge mit dem kühlenden Wasser. So brachte er fünf Tage auf dem Hinterkastell zu. Endlich starb aber der Sohn trotz der sorgsamsten Pflege. Der unglückliche Vater hob ihn nun wieder auf, drückte ihn mit einer Kraft, die man einem Menschen, welcher sechzehn Tage Nichts gegessen hat, kaum zutrauen sollte, an die Brust und hoffte noch lange, daß er zum Leben zurückkehren werde, bis endlich ein Zweifel an seinem Tode nicht mehr möglich war. Jetzt schien ihm Alles, selbst sein eigenes trauriges Loos, gleichgültig zu sein. Er blieb noch so lange in finsterem Hinbrüten bei dem Leichname, bis eine Stoßwelle ihn über Bord spülte; dann sah er ihn in den dunklen Fluthen versinken, und als er ihn nicht mehr erkennen konnte, hüllte er sich in ein Stück Segeltuch und legte sich nieder, um nicht wieder aufzustehen. Er _mußte jedoch noch zwei Tage gelebt haben, denn so oft eine Welle über seinen Körper hinwegging, sahen Diejenigen, welche das ganze Drama mit angstvollen Blicken beobachtet hatten, seine Glieder convulsivisch zusammenzucken.
Diese Scene war so herzzerreißend, daß sie einen tiefen Eindruck auf die Unglücklichen machte, obgleich das Gefühl ihrer eigenen entsetzlichen Lage jede Theilnahme für die Leiden Anderer zu ersticken schien.
Das Schiff wurde indessen von den Wellen des Ozeans, aber beständig unter Gottes Leitung, umher geworfen, ohne daß Jemand hätte sagen können, nach welcher Gegend es verschlagen wurde.
Endlich, am Abende des 10. Juli, zwanzig Tage nach dem Versinken der »Juno« richtete einer der Schiffbrüchigen den Blick lange auf einen Punkt, stand auf, um besser sehen zu können, und rief plötzlich aus:
»Ich sehe Land!«