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Die »Juno«
(1795.)
2.
Der Besanmastkorb

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Leider sollte man bald die traurige Erfahrung machen, daß der zweite Hochbootsmann auf dem ganzen Schiffe der Einzige war, welcher Recht hatte, und daß die »Juno« weit besser gethan haben würde, wenn sie nach Ranguhn zurückgekehrt wäre, so gefährlich auch die Küste von Pegu sein mochte, anstatt ihre Fahrt über den bengalischen Meerbusen, in welchem der Südostpassatwind es erwartete, fortzusetzen.

Als am 12. Juni der Wind stärker wurde und man aus dem schauerlichen knarren in den Fugen der »Juno« ersah, daß sie mit großer Anstrengung arbeitete, ertönte zum zweiten Male der Ruf, der die Mannschaft schon einmal in Angst versetzt hatte:

»Wir sind leck, Herr Kapitän!«

Man eilte sogleich hinunter ins Zwischendeck; das nämliche Leck hatte sich wieder geöffnet, Die schwache Verstopfung, welche bei ruhiger See genügt hatte, erwies sich bei stürmischem Wetter als unzureichend.

Dies Mal war jedoch die Oeffnung viel größer, als das erste Mal, und da die durch den Ballastsand verursachten Uebelstände dadurch vermehrt wurden, erwiesen sich die Pumpen als ungenügend, obgleich fortwährend drei im Gange waren und man das Wasser noch außerdem mit Eimern ausschöpfte.

Am 16. war die Mannschaft, welche seit vier Tagen unausgesetzt arbeitete, durch die Anstrengung und den Mangel an Schlaf fast erschöpft.

Ueberhaupt hatte man alle Ursache zu sehr ernsten Besorgnissen.

Leider war es jetzt zu spät, um noch umzukehren, denn man war von Ranguhn mindestens eben so weit entfernt, als von Madras. Man entschloß sich daher, das Aeußerste zu wagen, alle Segel beizusetzen und so vielleicht den nächsten Punkt der Küste Koromandel zu erreichen.

Hatte man sie erreicht, so wollte man entweder längs derselben hinsegeln oder landen, je nachdem die »Juno« noch die See halten konnte oder außer Stande war, weiter zu segeln.

Das Schiff ging jetzt sehr schnell,sogar schneller, als man gehofft hatte; im Verhältniß seiner Schnelligkeit mußte es sich aber auch anstrengen, und da Jedermann an den Pumpen beschäftigt war, hatte Niemand Zeit, an die Takelage zu denken. Nach Verlauf von; zwei Tagen hatte der Wind alle Segel, mit Ausnahme der Focksegel, zerrissen; man sah sich daher am 18. genöthigt, bis zum 19. Mittags beizulegen, an welchem Tage zu gleicher Zeit die Höhe aufgenommen und dadurch ermittelt wurde, daß man sich unter 170 101 nördlicher Breite befand.

Trotz der fast übermenschlichen Anstrengung, mit der Jedermann, an den Pumpen arbeitete, bemerkte man dennoch, daß das Wasser immer höher stieg und das Schiff zu sinken begann. In dem Maße aber, als es sank, wurde es zugleich so schwer, daß man zu zweifeln begann, ob es sich je wieder zu dem gewöhnlichen Tiefgange werde heben können.

Von diesem Augenblicke an verbreitete sich eine finstere Entmuthigung an Bord,' und da Jedermann verloren zu sein glaubte und alle ferneren Anstrengungen für nutzlos hielt, wurde es sehr schwer, die Leute auf ihrem Posten zu erhalten.

Gegen Mittag indessen ging man auf Befehl des Kapitains und auf Bitten seiner Gattin wieder an die einen Augenblick unterbrochene Arbeit.

Es wurde der Befehl' gegeben, das Focksegel zu stellen; der Befehl wurde ausgeführt und das Schiff ging jetzt nur noch unter diesem einen Segel.

Zu gleicher Zeit arbeitete man mit verdoppelter Anstrengung an den Pumpen und mit den Eimern; nach Verlauf von zwei Stunden aber bemerkte man, daß man damit nur den Todeskampf der »Juno« um einige Stunden verlängere, daß aber das Schiff unrettbar verloren sei.

Die unten arbeitenden Matrosen kamen in der That um acht Uhr Abends herauf und sagten, daß das Wasser bereits das erste Verdeck erreicht habe.

Nachdem John Mackay's Prophezeiungen bezüglich des Schiffes in Erfüllung gegangen waren, bestätigte sich jetzt auch seine Meinung von der Mannschaft; die Lascars, welche drei Viertel derselben bildeten, weigerten sich zuerst, noch länger zu arbeiten, gaben sich der Verzweiflung hin und zogen einige auf dem Schiffe befindliche malayische Matrosen mit in den Abgrund der Entmuthigung. Die Europäer ließen den Muth noch nicht sinken, aber an dem finsteren Ausdrucke ihrer Gesichter war deutlich zu erkennen, daß nur eine moralische Kraft sie noch aufrecht erhielt und daß sie sich über das ihnen bevorstehende Schicksal keine Illusionen machten.

Mochte Madame Bremner die Größe der Gefahr nicht kennen oder war es wirklicher Muth, kurz, dieses schwache Weib, von der man hätte glauben sollen, daß ein Windstoß sie niederwerfen würde, tröstete und ermuthigte alle Anderen.

Am Abend gegen sieben Uhr empfand man einige Stöße und hörte ein eigenthümliches Rauschen.

Das Schiff sank immer tiefer. Die Schiffe haben ihren Todeskampf wie die Menschen; nur klagend und widerstrebender geben sie sich in ihr Schicksal.

Als die Mannschaft sah, daß die Wellen bald über das Schiff zusammenschlagen mußten, verlangte sie mit tumultuarischem Geschrei, daß die Bote ausgesetzt werden sollten; allein es bedurfte nur eines Blickes auf diese beiden Fahrzeuge, um die Gewißheit zu erlangen, daß sie unter den obwaltenden Umständen von keinem Nutzen sein konnten. Man hatte nur die Schaluppe, welche so alt war, daß sie fast unbrauchbar war, und ein kleines Boot mit sechs Rudern.

Nachdem die Mannschaft die beiden Fahrzeuge untersucht hatte, gab sie von selbst den Gedanken auf, sich ihrer zu bedienen.

Um neun Uhr rief der Kapitain den ersten und zweiten Hochbootsmann zu sich, um sich mit ihnen zu berathen, und es wurde verabredet, daß man den Hauptmast kappen wolle, um das Schiff zu erleichtern; durch diese Maßregel durfte man hoffen, es noch vierundzwanzig Stunden über dem Wasser zu halten.

Man ging sogleich an's Werk. Nach wenigen Augenblicken krachte der Mastbaum, neigte sich und fiel.

Unglücklicher Weise aber fiel er nicht über Bord, sondern auf's Verdeck.

Man kann sich denken, welche Verwirrung dieser Sturz verursachte.

Die Leute am Steuerruder konnten das Schiff nicht mehr regieren, es bot den Wellen die Breitseite dar, und im nächsten Augenblicke wurde es von einer Sturzwelle überfluthet, so daß das Wasser von allen Seiteneindrang.

Man hatte die Katastrophe hinausschieben wollen und hatte im Gegentheil ihren Eintritt beschleunigt.

Der Ruf: »Wir sinken! Das Schiff geht unter!« Ertönte von allen Seiten.

Madame Bremner, welche glaubte, daß das Schiff sich noch einige Stunden halten werde und der ihr Gatte wahrscheinlich die wirkliche Größe im Gefahr verschwiegen hatte, war in ihr Zimmer gegangen.

Als der Kapitain fühlte, daß das Schiff mit reißender Schnelligkeit sank, stieß er einen Angstschrei aus und wollte in's Zwischendeck hinunter eilen; er verwickelte sich aber im Tauwerk und hatte nur noch Zeit, dem nicht weit von ihm entfernt stehenden Mackay zuzurufen:

»John, John! Meine Frau!«

Dieser eilte nach der Luke und fand auf der Treppe bereits den ersten Hochbootsmann Wade, der Madame Bremner die Hand reichte. Die junge Frau war sogleich aus dem Bette gesprungen, als sie den Mast hatte niederfallen hören. Beide halfen ihr beim Hinaufsteigen; zu ihrem großen Erstaunen aber hatte sie in der entsetzlichen Verwirrung keineswegs den Kopf verloren. Sie hatte zwar nicht Zeit gehabt, sich vollständig anzukleiden, aber dennoch einen Unterrock über das Hemd gezogen und etwa dreißig Rupien mitgenommen, die in ihrem Zimmer auf dem Tisch e gelegen hatten.

Man wundere sich nicht, daß wir uns bei solchen Nebenumständen aufhalten; man wird bald sehen, daß diese dreißig Rupien dazu bestimmt waren, eine wichtige Rolle in dem grauenvollen Drama zu spielen.

Als die Mannschaft bemerkte, daß das Schiff unter sank, klammerte sich Jedermann an den ersten besten Gegenstand an, der ihm in die Hände kam, und versuchte es, sich über dem immer höher steigenden Wasser zu erhalten.

Wade und John Makay, die sich bei der Luke der Kapitainskajüte befanden, ergriffen die Barkhölzer des Hintertheils und kletterten mit Madame Bremner an den Wandtauen des Besanmastes hinauf.

In dem nämlichen Augenblicke ließ sich ein Knall vernehmen, der einem Kanonenschusse glich, und auf den ein fürchterlicher Stoß folgte; die im Schiffsraume komprimierte Luft hatte das Verdeck gesprengt.

Jetzt glaubte Jedermann, daß Alles verloren sei, und dachte nur noch daran, seine Seele Gott zu empfehlen; kaum aber war das Wasser über dem Verdeck zusammengeschlagen, so hörte die sinkende Bewegung des Schiffes zwar nicht ganz auf, wurde aber so langsam, daß das untere Tauwerk nur allmählig unter sank, so daß die Unglücklichen Zeit hatten, nach und nach die oberen Partieen der Takelage zu erreichen.

Der Kapitain, der zu seiner Gattin gekommen war, welche von den beiden Hochbootsmännern unterstützt wurde, sah indessen so gut wie diese ein, daß sie nicht so in den Strickleitern hängen bleiben konnten und daß sie einen sichereren Zufluchtsort suchen mußten. Der Mastkorb des Besanmastes befand sich etwa zehn Fuß über ihnen; sie stiegen hinauf und waren die Ersten, welche darin ankamen.

Im nächsten Augenblicke fand ihr Beispiel Nachahmer, und der Mastkorb war bald gefüllt. Die übrige Mannschaft setzte sich im Tau- und Segelwerk des nämlichen Mastes fest.

Ein einziger Matrose, der sich am Vordertheil des Schiffes befand, kletterte in den Fockmastkorb hinauf.

Man erwartete nun in ängstlicher Spannung, was Gott, der über das Schicksal der »Juno« entschieden hatte, über die Passagiere verhängen würde.

Das Schiff sank langsam noch etwa zehn Fuß tiefer; dann kam es den unglücklichen Schiffbrüchigen vor, als ob es stationär bliebe und unter Wasser schwebte.

Die beiden Mastkörbe des Fock- und Besanmastes waren noch ungefähr zwölf Fuß über dem Wasser, und Diejenigen, welche der Besankorb nicht mehr hatte aufnehmen können, befanden sich, wie schon erwähnt, mit Ausnahme eines Matrosen, der in den Fockmastkorb gestiegen war, in der Takelage des Besanmastes.

Jetzt bemerkte man, daß dieser schwer beladene Mast zu brechen drohte. Er mußte durchaus erleichtert werden; da aber diese Erleichterung einigen Menschen das Leben kosten konnte, so wurde beschlossen, lieber einen Theil des Takelwerks zu opfern.

In Folge dessen wurde die große Segelstange mit Messern abgeschnitten und in's Meer geworfen.

Obgleich der mit Wasser gefüllte Rumpf des Schiffes gewissermaßen einen Schwerpunkt für die noch aus dem Wasser hervorragenden beiden Maste bildete; so wurden die Unglücklichen, die sich auf dieselben geflüchtet hatten, doch so heftig hin und her geschaukelt, daß sie sich kaum erhalten konnten. Die Meisten von ihnen waren indessen so ermüdet, daß sie trotz der prekären Lage, nachdem sie. sich mit ihren Taschentüchern festgebunden oder auch sich nur mit den Armen umklammert hatten, eingeschlafen waren.

Der zweite Hochbootsmann, John Mackay, gehörte jedoch nicht zu diesen.

Da er eine kräftigere Konstitution und vielleicht auch eine größere moralische Kraft besaß als die Andern, blieben seine Augen offen, um das grauenhafte Schauspiel zu betrachten, bei dem er selbst eine Rolle spielte.

Neben ihm befand sich Madame Bremner in den Armen ihres Gatten. Es war Nacht. Obgleich es im Monat Juli war, blies der Nachtwind doch empfindlich kalt. Der brave John, der wärmer gekleidet war als der Kapitain, zog seine Jacke aus und gab sie Madame Bremner. Sie dankte ihm durch einen Blick welcher sagen wollte: »Ach, warum hat man Ihren Rath nicht befolgt!«

John hätte sie gern getröstet; da er aber selbst keine Hoffnung mehr hatte, wollte er im Herzen Anderer den Muth nicht heben, der in seinem eigenen völlig gesunken war.

Als er jedoch nach einigen Stunden angstvollen Zweifels sich überzeugt hatte, daß das Schiff unter Wasser schwebend blieb, ohne noch tiefer zu sinken, stieg die Hoffnung in ihm auf, daß sich vielleicht in den vier oder fünf Tagen, während denen der Mensch den Hunger ertragen kann, ein Schiff zeigen und sie aufnehmen könne.

An diesen schwachen Strohhalm klammerte sich der Hochbootsmann fest und der Gedanke an den Tod, in den er sich schon fast ergeben hatte, war ihm wieder gräßlicher als zuvor.

Plötzlich erschrak er; er hatte den Knall eines Kanonenschusses zu hören geglaubt.

Drei Mal glaubte er den nämlichen Knall zu vernehmen; er machte Diejenigen von seinen Unglücksgefährten, welche nicht schliefen, darauf aufmerksam, und sie glaubten ihn ebenfalls zu hören.

Gegen Ende der Nacht erkannten sie jedoch ihren Irrthum.

Von der Ermüdung überwältigt, hatte John Mackay ebenfalls die Augen geschlossen, als einer der Matrosen beim ersten Scheine der Morgenröthe ein Schiff zu sehen glaubte und daher ausrief:

»Ein Segel!«

Es läßt sich denken, welchen Eindruck dieser Ruf auf die Unglücklichen machte.

Die Lascars, welche Muselmänner sind, riefen alsbald mit lauter Stimme ihren Propheten an und auch die Christen sandten ein Dankgebet zum Himmel.

Leider aber war es mit dem Segel wie mit den Kanonenschüssen in der vergangenen Nacht, und als Jedermann den Blick auf den bezeichneten Punkt gerichtet hatte, überzeugte man sich, daß dieser Punkt eben so einsam war wie die ganze unabsehbare Wasserfläche.

Seeabenteuer und Schiffsbrüche

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