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Erster Band
II

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Aus Witebsk herausfahrend fand ich die russische Zollstätte; da ich aber nur einen Mantelsack bei mir hatte, so dauerte trotz der sichtlich guten Absicht, welche der Beamte des Postens die Untersuchung in die Länge zu ziehen hatte, dieselbe doch nur zwei Stunden zwanzig Minuten, was in den Annalen des moscowitischen Zollwesens beinahe unerhört ist. Nachdem diese Untersuchung geschehen, so konnte ich in dieser Beziehung bis nach St. Petersburg unbesorgt sein.

Am Abende gelangte ich nach Veliki-Louki, dessen Name großer Bogen bedeutet, es verdankt diese malerische Bezeichnung den Krümmungen des Flusses Lova, welcher unter seinen Mauern hinfließt. Im 11. Jahrhunderte erbauet, wurde diese Stadt im 12. Jahrhunderte von den Litthauern verwüstet, dann von dem Könige von Polen, Ballori, erobert, hierauf Iwan Wasiewith wiedergegeben, und dann endlich durch den falschen Demetrius verbrannt. Neun Jahre lang öde geblieben wurde sie wieder durch die Kosacken vom Don und vom Jaik bevölkert, von denen die gegenwärtige Bevölkerung fast ganz abstammt, Sie hat drei Kirchen, von welchen zwei an der Hauptstraße liegen, und vor welchen mein Postillon im Vorüberfahren nicht ermangelte, das Zeichen des Kreuzes zu machen.

Trotz der Härte des nicht hängenden Wagens, den ich gekommen, und dem schlechten Zustande der Straßen, war ich doch entschlossen, mich durchaus nicht aufzuhalten; denn man hatte mir gesagt, daß ich die hundert und zwei und siebzig Stunden, welche Witebsk von St. Petersburg trennen, in acht und vierzig Stunden machen könnte, ich hielt mich demnach vor den Posthäusern nicht länger auf, als Zeit nöthig die Pferde anzuspannen, und fuhr gleich wieder weiter. Es ist unnöthig zu sagen, daß ich die ganze Nacht keine Stunde lang schlief, ich tanzte in meinem Karren, wie eine Nuß in ihrer Schaale. Ich versuchte wohl, mich an der hölzernen Bank, über welche man eine Art von ledernem Kissen von der Dicke eines Buches Papier ausgebreitet hatte, festzuklammern, aber nach Verlauf von zehn Minuten waren meine Arme, verstaucht und ich gezwungen, mich von Neuem diesem entsetzlichen Gerüttel zu überlassen indem ich von Grund meines Herzens die ungleichen russischen Courier bedauerte, die zuweilen ein Tausend Meilen in einem solchen Wagen machen.

Schon war der Unterschied der moscowitischen Nächte und der Nächte Frankreichs fühlbar. In jedem anderen Wagen würde ich haben lesen können, ich muß sogar gestehen, daß ich, ermüdet durch meine Schlaflosigkeit, es versuchte; aber bei der vierten Zeile sprang mir das Buch bei einem Stoße aus den Händen, und da ich mich bückte, um es wieder aufzuraffen, warf mich ein anderer Stoß von der Bank. Ich brachte eine gute halbe Stunde damit zu, mich in meinem Kasten abzukämpfen, bevor ich mich wieder auf meine Beine setzen konnte, und ich war von dem Belangen meine Lektüre fortzusetzen,geheilt.

Mit Tages Anbruch befand ich mich in Bejanitzi, einem kleinen Dorfe ohne Bedeutung, und um vier Uhr Nachmittags zu Porkhoff, einer alten an der Chelonia gelegenen Stadt, welche ihren Leinsaamen und ihr Getreide nach dem Ilmer-See bringt, von wo diese Erzeugnisse durch den Fluß, der diese beiden Seen unter sich verbindet, den Ladoga erreichen: ich war auf der Hälfte meines Weges. Ich gestehe daß meine Versuchung groß war, eine Nacht anzuhalten aber die Unsauberkeit des Wirthshauses war so fürchterlich, daß ich mich wieder in meinen Karren warf. Ich muß auch gestehen, daß die mir vom Postillon gegebene Versicherung, daß der Weg, welchen ich noch zu machen hatte, besser sey, als der, welchen ich zurückgelegt, viel zu diesem heroischen Entschlusse beitrug. Dem zu. Folge fuhr mein Perekladnoi wieder im Galop davon, und ich fuhr fort, mich wieder im dem Inneren meines Kastens abzukämpfen, während dem daß mein Postillon auf einem Bocke ein schwermüthiges Lied sang, von dem ich zwar die Worte nicht verstand, dessen Melodie mir aber auf eine wundervolle Weise auf meine schmerzliche Lage anwendbar schien. Wenn ich sage, daß ich einschlief, so wird man mir nicht glauben, und ich würde es selbst nicht geglaubt haben, wenn ich nicht mit einer fürchterlichen Beule an der Stirn erwacht wäre. Es hatte eine solche heftige Erschütterung stattgefunden, daß der Postillon von seinem Bocke geschleudert worden war. Was mich anbetrifft, so war ich durch das Dach meines Karrens zurückgehalten worden, und die Beule, welche mich erweckt hatte, kam von der Berührung meiner Stirn mit dem Weidenholze. Ich hatte nun die Idee, den Postillon in den Wagen, und mich auf den Bock zu setzen; aber welche Anerbietungen ich ihm auch machte, er wollte nicht einwilligen, sey es nun, daß er nicht verstand, was ich von ihm verlangte, oder sey es, daß er seine Pflicht zu verletzen glaubte, wenn er meiner Aufforderung gehorche. Dem zu Folge begaben wir uns wieder auf den Weg; der Postillon begann seinen Gesang wieder, und ich meinen Tanz. Gegen fünf Uhr Morgens kamen wir nach Selogorodez, wo wir anhielten, um zu frühstücken. Dem Himmel sey Dank, es blieben uns nur noch ein fünfzig Stunden zu machen.

Seufzend kehrte ich in meinen Käfig zurück, und setzte mich wieder auf meinen Stock. Nur fiel mir jetzt ein zu fragen, ob es nicht möglich wäre, das Dach meines Karrens abzunehmen, worauf man mir antwortete, daß nichts leichter von der Welt sey. Ich befahl demnach, daß man sogleich an’s Werk schritte, und es war jetzt nur noch der untere Theil meiner Person, der sich fortwährend in Gefahr befand.

Zu Louga hatte ich einen nicht minder glücklichen Einfall, als den ersteren, er bestand darin, die Bank wegzunehmen, Stroh auf dem Boden meines Wagens auszubreiten, und mich darauf zu legen, indem ich mir aus meinem Mantelsacke ein Kopfkissen machte. So von Verbesserung zu Verbesserung schreitend, wurde mein Zustand am Ende beinahe erträglich.

Mein Postillon ließ mich nach und nach vor dem Schlosse von Garchina, wohin Paul I. während der ganzen Zeit der Regierung Katharinas verbannt war, und vor dem Palast von Zarsko-Selo, der Sommer-Residenz des Kaisers Alexander, anhalten; aber ich war so ermüdet, daß ich mich nur den Kopf zu erheben begnügte, um diese beiden Wunder anzuschauen, indem ich mir vornahm, später in einem bequemeren Wagen zurückzukehren, um sie zu sehen.

Beim Hinausfahren aus Zarsko-Selo brach plötzlich die Achse einer Droschke, welche vor mir fuhr, und der Wagen legte sich ohne umzuwerfen auf die Seite. Da ich auf Hundert Schritte hinter der Droschke war; so hatte ich Zeit, bevor ich sie einholte, aus derselben einen langen und mageren Herrn steigen zu sehen, der in der einen Hand einen Claquehut, und in der anderen eine jener kleinen Violinen hielt, die man Sackgeigen nennt. Er war in einen schwarzen Rock, wie man sie im Jahre 1812 in Paris trug, in schwarze Beinkleider, schwarzseidene Strümpfe und Schnallen-Schuhe gekleidet, und sobald er sich auf der Heerstraße befand, begann er Battierungen mit dem rechten Beine, dann mit dem linken Beine, hierauf Entrechats mit allen beiden Beinen zu machen, und endlich sich dreimal um sich selbst zu drehen, ohne Zweifel um sich zu überzeugen, daß er nichts gebrochen hätte. Die Besorgniß, welche dieser Herr für seine Erhaltung zeigte, fesselte mich dermaßen, daß ich nicht an ihm vorüber gehen zu können glaubte, ohne still zu halten und ihn zu fragen, ob ihm etwa ein Unfall begegnet sey.

– Keiner, mein Herr, keiner, antwortete er, wenn es nicht der ist, daß ich meine Stunde verfehlen werde, eine Stunde, die man mir mit einem Louisdor bezahlt, mein Herr, und der hübschesten Person von St. Petersburg, an Fräulein von Vlodeck, welche übermorgen Philadelphie, eine der Töchter des Lord Warton, in dem Tableau Anton Vandyks bei dem Feste vorstellt, welches der Hof der Erb-Herzogin von Weimar gibt!

– Mein Herr, antwortete ich ihm, ich verstehe nicht recht, was Sie mir sagen, aber es macht nichts, wenn ich Ihnen in etwas dienen kann?

– Wie, mein Herr, ob Sie mir in etwas dienen können? Mein Gott, Sie können mir das Leben retten. Denken Sie sich, mein Herr, ich komme so eben von einer Tanzstunde, welche ich der Prinzessin Lubomirska gegeben habe, deren Landhaus zwei Schritte weit von hier ist, und die die Cornelia vorstellt. Eine Stunde von zwei Louis d’or, mein Herr, ich gebe für weniger keine; ich habe den Zulauf, ich benutze ihn; das ist ganz einfach, es gibt in St. Petersburg keinen andern französischen Tanzmeister, als mich. Nun denken Sie sich, daß dieser Schelm da mir einen Wagen gibt, der zerbricht, und der mich beinahe lahm gemacht hätte; glücklicher Weise sind die Beine heil. Ich werde mir Deine Nummer merken, geh, Schurke.

– Wenn ich mich nicht irre, mein Herr, antwortete ich ihm, so besteht der Dienst, welchen ich Ihnen erweisen kann, darin, daß ich Ihnen einen Platz in meinem Wagen anbiete?

– Ja, mein Herr, Sie haben es gesagt, das würde ein unermeßlicher Dienst sein, aber wahrlich, ich wage nicht . . .

– Wie denn, unter Landsleuten . .

– Mein Herr ist Franzose?

– Und unter Künstlern . . .

– Mein Herr ist Künstler? Ach! mein Herr, St. Petersburg ist ein recht schlechter Platz für Künstler. Der Tanz, vor allen der Tanz; o! er geht nur auf einem Beine. Mein Herr ist doch nicht zufällig Tanzmeister?

– Wie, der Tanz geht nur noch auf einem Beine, aber Sie sagten mir doch eben, daß man Ihnen die Stunde mit einem Louis d’or bezahlt: sollte das vielleicht zufällig sein, um auf einem Beine hüpfen zu lernen? Ein Louis d’or, mein Herr, das ist inzwischen ein hübsches Geld, wie mir scheint?

– Ja, ja, in diesem Augenblicke, wegen der Umstände, ohne Zweifel, aber, mein Herr, es ist nicht mehr das alte Rußland. Die Franzosen haben alles verdorben. Mein Herr ist doch nicht Tanzmeister, denke ich?

– Man hat mir inzwischen von St. Petersburg als von einer Stadt gesprochen, in der jeder sich Auszeichnende gewiß wäre, eine gute Aufnahme zu finden?

– Ach ja! ja, mein Herr, früher war es so bis zu dem Grade, daß es daselbst einen elenden Perückenmacher gab, der bis auf 600 Rubel täglich verdiente, während dem ich Mühe habe, wenn ich deren 80 verdiene. Mein Herr ist doch nicht Tanzmeister, hoffe ich?

– Nein, mein lieber Landsmann, antwortete ich endlich, indem ich Mitleiden mit seiner Besorgniß hatte, und Sie können ohne Furcht, sich neben einem Nebenbuhler zu befinden, in den Wagen steigen.

– Mein Herr, ich nehme es mit dem größten Vergnügen an, rief sogleich mein Vestris aus, indem er sich neben mich setzte. Und Dank sei Ihnen, ich werde noch zu rechter Zeit in St. Petersburg sein, um meine Stunde zu geben.

Der Kutscher fuhr im Galopp davon; drei Stunden nachher, das heißt, mit einbrechender Nacht zogen wir in Petersburg durch das Thor von Moskau ein, und zu Folge der Auskunft, welche mir mein Reisegefährte gegeben, der mir, seitdem er die Ueberzeugung erlangt, daß ich kein Tanzmeister wäre, eine bewunderungswürdige Artigkeit gezeigt, stieg ich in dem Hotel von London, auf dem Admiralitäts-Platze, an der Ecke der Newskischen Perspective, ab.

Dort verließen wir uns; er sprang in eine Droschke, und ich trat in das Hotel.

Ich habe nicht nöthig zu sagen, daß, welche Lust ich auch hatte, die Stadt Peter I. zu besuchen, ich die Sache auf den andern Tag verlegte, ich war buchstäblich zerschmettert, und konnte mich nicht mehr auf meinen Beinen halten: kaum hatte ich die Kraft, in mein Zimmer hinauf zu gehen, wo ich glücklicher Weise ein gutes Bett fand, ein Möbel, das ich seit Wilna gänzlich entbehrt hatte.

Am andern Tage erwachte ich um Mittag, das erste, was ich that, war an mein Fenster zu eilen: ich hatte den Admiralitäts-Palast mit seinem langen, von einem Schiffe überragten goldenen Pfeile und seinem Baumgürtel vor mir; zu meiner Linken befand sich das Senats-Gebäude, zu meiner Rechten der Winterpalast und die Eremitage, dann in Zwischenräumen jene glänzenden Monumente, schmale Aussichten auf die Newa, die mir breit wie ein Meer schien.

Ich frühstückte während des Ankleidens, und sobald ich angekleidet war, eilte ich auf den Kai des Palastes, den ich bis an die Troitskoi-Brücke hinaufging, eine Brücke, die im Vorbeigehen gesagt, achtzehn Hundert Fuß lang ist, und von wo aus zuerst die Stadt zu übersehen man mich aufgefordert hatte. Das war der beste Rath, den ich in meinem Leben empfangen habe.

In der That, ich weiß nicht, ob es in der ganzen Welt ein dem ähnliches Panorama gibt, als das, welches sich vor meinen Augen entfaltete, als ich, den Rücken nach dem Stadtviertel von Wiborg drehend, meine Blicke bis nach den Inseln von Volnoi und nach dem Finnischen Meerbusen schweifen ließ.

Neben mir zu meiner Rechten, durch zwei leichte Brücken wie ein Schiff vor Anker liegend, erhob sich auf der Insel Aptekarsko die Festung, die erste Wiege von St. Petersburg, über deren Mauern sich der goldene Pfeil der Sanct Peters- und Sanct Pauls-Kirche, in welcher die Czaren begraben sind, schwenkte, und das ganz grüne Dach des Münzgebäudes. Der Festung gegenüber und auf dem andern Ufer hatte ich zu meiner Linken den Marmor-Palast, dessen großer Fehler ist, daß der Baumeister ihm ein Façade zu geben vergessen zu haben scheint; die Eremitage, eine von Katharina II. gebaute allerliebste Zufluchtsstätte gegen das Hofceremoniell, der kaiserliche Winterpalast, merkwürdiger durch seine Masse, als durch seine Gestalt, durch seine Großartigkeit, als durch seine Bauart, die Admiralität, mit ihren beiden Flaggen und ihren Granittreppen, die Admiralität, dieses riesenhafte Centrum, von wo aus die drei Hauptstraßen von St. Petersburg auslaufen; die Newskische Perspective, die Erbsenstraße, und die Auferstehungsstraße; – endlich, jenseits der Admiralität, der englische Kai mit seinen prachtvollen Gebäuden, welche die neue Admiralität beschließt.

Nachdem ich meine Blicke dieser langen Reihe majestätischer Gebäude hatte folgen lassen, richtete ich sie wieder nach der mir gegenüber liegenden Seite: dort erhob sich an der Spitze der Insel Wasiliefsko die Börse, ein neueres Denkmal, das, man weiß nicht recht warum, zwischen zwei, mit Schiffsschnäbeln verzierten Säulen gebaut ist, deren halbrunde Treppen ihre letzten Stufen in dem Flusse baden. Nach ihr befindet sich auf dem Ufer, welches nach dem englischen Kai geht, die Reihe der zwölf Kollegien, die Akademie der Wissenschaften, die der schönen Künste, und am Ende dieser prachtvollen Aussicht, die Bergwerksschule, welche am äußersten Ende der vom Flusse beschriebenen Biegung liegt.

An der andern Seite dieser Insel, welche ihren Namen einem Lieutenant Peters I., Namens Basilius verdankt, welchem dieser Fürst das Kommando übergeben hatte, während dem er selbst mit dem Baue der Festung beschäftigt, seine kleine Hütte auf der Insel Petersburg bewohnte, läuft nach den Inseln Volnoi der Arm des Flusses, den man die kleine Newa nennt. Dort ist es, wo in Mitte von köstlichen, mit vergoldeten Gittern verschlossenen Gärten, die alle für die drei Sommer-Monate, welche Petersburg genießt, mit Afrika und Italien entlehnten Blumen und Staudengeschmückt sind, die während der anderen neun Monate des Jahres die Temperatur ihres Mutterlandes in den Gewächshäusern finden, dort ist es, sage ich, wo die Landhäuser der reichsten Großen St. Petersburgs liegen. Eine dieser Inseln gehört selbst ganz der Kaiserin, welche daselbst einen allerliebsten Palast hat aufrichten lassen und sie ganz in Gärten und Spaziergänge verwandelt hat.

Wenn man den Rücken der Festung zuwendet, und wenn man den Blick dem Laufe des Flusses nach hinauf, anstatt hinunter wendet, so wechselt die Aussicht den Charakter, indem sie immer großartig bleibt. In der That, von dieser Seite aus hatte ich an den beiden Enden der Brücke selbst, auf welcher ich stand, auf der einen Seite die Kirche der Dreieinigkeit, und auf der anderen den Sommer-Garten; dann auf meiner Linken das kleine hölzerne Haus, welches Peter I. bewohnte, während dem er die Festung bauen ließ. Neben dieser Hütte befindet sich noch ein Baum, an welchem in der Höhe von ohngefähr zehn Fuß ein Mutter-Gottes-Bild angenagelt ist. Als der Gründer von St. Petersburg frug, zu welcher Höhe sich bei großem Steigen der Fluß erhöbe, so zeigte man ihm dieses Mutter-Gottes-Bild, und bei diesem Anblicke war er nahe dran, sein riesenhaftes Unternehmen aufzugeben. Der heilige Baum und das unsterblich gewordene Haus sind von einem Gebäude mit Säulenhallen umgeben, das bestimmt ist gegen den Zahn der Zeit und die Angriffe des Climas diese Hütte zu beschützen, die von einer plumpen. Einfachheit nur aus drei Gemächern besteht, einem Speise-Saal, einem Salon und einem Schlaf-zimmer. Peter gründete eine Stadt, und hatte sich nicht die Zeit genommen, für sich ein Haus zu bauen.

Ein wenig weiter, immer zur Linken und auf der anderen Seite der großen Newa, liegt das alt Petersburg, das Militair-Hospital, die medicinische Akademie, endlich das Dorf Okla und seine Umgebungen; – diesen Gebäuden gegenüber, zu Rechten die Kaserne der Ritter-Garden, der taurische Palast mit seinem smaragdenen Dache, die Artillerie-Kasernen, das Armenhospital, und das alte Kloster von Smolna.

Ich vermag nicht zu sagen, wie lange ich in Entzücken versunken vor diesem doppelten Panorama verblieb. Auf den zweiten Blick glichen vielleicht alle die Paläste ein wenig zu sehr einer Opern-Decoration, und alle diese Säulen, die in der Ferne Marmor ähnlich sahen, wären in der Nähe vielleicht zu Backstein geworden; aber auf den ersten Blick ist es etwas Wundervolles, welches, so groß auch die Idee seyn möge, die man sich davon gemacht, sie dennoch übertrifft.

Es schlug vier Uhr. Man hatte mir gesagt, daß um halb fünf die Table d’hote angerichtet sey, ich schlug demnach zu meinem großen Bedauern den Weg nach dem Hotel ein, indem ich dieses Mal vor der Admiralität vorüber ging, um in der Nähe die kolossale Statue Peter I. zu sehen, die ich von meinem Fenster aus erblickt hatte.

Erst im Zurückkehren war es, so sehr war ich bis dahin mit den großen Massen beschäftigt gewesen, daß ich einige Aufmerksamkeit auf die Bevölkerung verwandte, welche es inzwischen durch den sehr verschiedenen Charakter, den sie zeigt, wohl verdient, daß man sich mit ihr beschäftigt. Zu St. Petersburg ist alles bärtiger Sklave, oder großer Herr mit Ordensbändern; es gibt keine Mittelklasse.

Freilich reizt auf den ersten Anblick der Moujick das Intresse eben nicht: im Winter umgewandte Schaffelle, im Sommer gestreifte Hemden, die anstatt in den Beinkleidern zu stecken, auf die Knie fallen, Sandalen, mit Riemen an den Füßen befestigt, die sich über die Beine kreuzen, kurze und gerade unter dem Nacken abgeschnittene Haare, ein langer Bart, der sich so struppig, wie es der Natur gefällt, entwickelt, das sind die Männer; – Pelze von gemeinem Stoffe, oder lange Kamisöler mit dicken Falten, die bis über den halben Unterrock hinabgehen, ungeheure Stiefel, in denen die Füße und das Bein ihre Form verlieren, das sind die Frauen.

Dagegen muß man aber auch sagen, daß man vielleicht in keinem Lande der Welt unter dem Volke einer solchen Heiterkeit der Gesichtszüge begegnet. In Paris drückt sich unter zehn der untersten Klasse der Gesellschaft angehörenden Gesichtern zum mindesten auf fünf oder sechs das Leiden, das Elend, oder die Angst aus. In St. Petersburg niemals etwas von dem allen. Der Sklave, der immer sicher der Zukunft, und fast immer zufrieden mit der Gegenwart, der sich weder um seine Wohnung, noch um seine Kleidung, noch um seine Nahrung zu bekümmern braucht, Sorgen, die sein Herr für ihn zu übernehmen gezwungen ist, wandert in das Leben ohne eine andere Bekümmerniß hinein, als die, einige Peitschenhiebe zu empfangen, an welche seine Schultern sei langer Zeit gewöhnt sind. Diese Hiebe vergißt er außerdem, Dank dem abscheulichen Kornbrandwein, den er zu seinem gewöhnlichen Getränk macht, sehr bald, und dieser gibt ihm anstatt ihn aufzureizen, wie der Wein, in dem sich unsere Lastträger berauschen, die demüthigste und tiefste Verehrung für seine Vorgesetzten, für seines Gleichen eine zärtlichere Freundschaft, und für alle endlich ein Wohlwollen der drolligsten und rührendsten Art, die ich kenne.

Das ist also wohl ein Grund, wieder auf den Moujick zurückzukommen, von dem uns ein ungerechtes Vorurtheil anfangs entfernt hat.

Eine andere Eigenthümlichkeit, die mich auch überraschte, ist die freie Cirkulation in den Straßen, ein Vortheil, den die Stadt ihren drei großen Kanälen, die sie einkreisen, verdankt, und durch – welche die Abfälle weggeschlemmt, die Aus- und Einzüge besorgt werden, die Nahrungsmittel ankommen und das Holz gefahren wird. Auf diese Weise findet niemals eine Versperrung von Karren statt, die uns zwingen, drei Stunden lang zu Wagen auf einem Wege zuzubringen, den man zu Fuße in zehn Minuten machen würde. Im Gegentheile, überall ist Raum: die Straße für die Drosky, die Kibick, die Briska und die Kutschen, welche sich nach allen Richtungen hin mit einer unsinnigen Schnelligkeit kreuzen, was nicht verhindert, daß man jeden Augenblick das Wort: pascaré, pascaré, schneller, schneller, hört; – die Trottoirs für die Fußgänger, die niemals überfahren werden, als wenn sie es durchaus seyn wollen; auch haben die russischen Kutscher eine solche Gewandheit, um ihr im stärksten Galopp dahin sprengendes Gespann kurz aufzuhalten, daß man dann noch viel geschickter, als der Kutscher seyn muß, damit einem kein Unfall begegnet.

Ich vergaß noch eine andere Vorsichtsmaßregel der Polizei, um den Fußgängern anzudeuten, daß sie auf den Trottoirs gehen müssen: die ist, daß wenn sie sich nicht wie die Pferde mit Eisen beschlagen lassen, es sehr ermüdend wird, auf dem Pflaster zu gehen, das auf eine angenehme Weise an die kleinen Kiesel Lyons erinnert. Demnach sagt man auch von St. Petersburg, daß es eine vornehme und schöne Dame ist, die prachtvoll gekleidet, aber abscheulich chauffiert sey.

Unter den Zierden, welche ihm seine Czare verliehen, ist ganz gewiß eine der ersten die Statue Peter I., welche es der Freigebigkeit Katharina II. verdankt. Der Czar reitet auf einem wilden Pferde, das sich bäumt, das Bild des moscowitischen Adels, den er so viele Mühe gehabt hat zu bändigen. Er sitzt auf einer Bärenhaut, welches den Zustand der Barbarei vorstellt, in welchem er sein Volk gefunden hat. Dann rollte man, als der Künstler seine Statue beendigt hatte, damit die Allegorie vollständig sey, einen rohen Felsen nach St. Petersburg, um ihr als Fußgestell zu dienen, zum Sinnbilde der Schwierigkeiten, welche der Civilisator des Nordens zu übersteigen gehabt hätte. Folgende lateinische Inschrift, welche auf der anderen Seite in russischer Sprache wiedergegeben ist, ist in den Granit gegraben:

Petro primo Catharina secunda. 1782.

Es schlug halb fünf, als ich zum dritten Male die Runde um das Gitter machte, welches dieses Monument einschließt, ich war demnach gezwungen, das Meisterstück unseres Landsmannes Falconnet zu verlassen, indem ich sonst große Gefahr gelaufen hätte, keinen Platz mehr an der Table d’hote zu finden. "

St. Petersburg ist die größte kleine Stadt welche ich kenne. Die Nachricht von meiner Ankunft hatte sich schon durch meinen Reisegefährte verbreitet, und da er nichts anderes von mir hatte sagen können, als daß ich mit Post reisete und kein Tanzmeister wäre; so hatte die Nachricht die Besorgniß, unter den Haufen französischer Industrie Ritter, welche den Titel Kolonie angenommen, geworfen, denn jeder empfand in Beziehung auf mich die Angst, welche mir mein Pirouetten-Macher so treuherzig an den Tag gelegt, und befürchtete in mir einem Conkurrenten oder einem Nebenbuhler zu begegnen.

Mein Eintritt in den Saal veranlaßte demnach auch ein so allgemeines Geflüster unter den ehren werthen Tischgenossen der Table d’hote, welche fast alle zur Kolonie gehörten, und jeder suchte in meinen Zügen zu lesen und aus meinen Manieren zu errathen, welcher Classe ich angehöre. Das war schwer, und erforderte zum mindesten einen großen Scharfsinn, denn ich begnügte mich zu grüßen und mich zu setzen.

Durch den Eifer des ersten Angriffes und der Scheu des ersten Zusammentreffens wurde mein Incognito während der Suppe noch ziemlich respektiert. Aber nach dem Rindfleisch machte sich die so lange unterdrückte Neugierde durch meinen Nachbar zur Rechten Luft.

– Mein Herr ist in St. Petersburg fremd, sagte er zu mir, indem er mir sein Glas hinreichte und sich verbeugte.

– Ich bin gestern Abend angekommen, sagte ich, indem ich ihm zu trinken einschenkte, und mich meinerseits verbeugte.

– Mein Herr ist ein Landsmann, sagte nun mein Nachbar zur Linken mit einem Tone falscher Brüderschaft zu mir.

– Ich weiß nicht, mein Herr, ich bin aus Paris.

– Und ich von Tours, dem Garten Frankreichs, der Provinz, in welcher man, wie Sie wissen, den schönsten Dialekt redet. Ich bin demnach auch nach St. Petersburg gekommen, um daselbst Dutchitel zu werden.

– Ohne Unbescheidenheit, mein Herr, fragte ich meinen Nachbar zu Rechten, darf ich Sie fragen, was das ist, ein Dutchitel?

– Ein Partizipien-Händler, antwortete mir mein Nachbar mit der verächtlichsten Miene.

– Ich will hoffen, fuhr mein Tourainer fort, daß mein Herr nicht aus derselben Absicht als ich kommt, sonst würde ich ihm einen freundschaftlichen Rath geben: nämlich ganz geschwind wieder nach Frankreich umzuwenden.

– Und warum das, mein Herr?

– Weil die letzte Professoren-Messe in Moskau sehr schlecht ausgefallen ist.

– Wie die Professoren-Messe? rief ich verdutzt aus.

– Ei! ja, mein Herr Wissen Sie nicht, daß dieser arme Herr Le Duc dieses Jahr die Hälfte auf seine Waare verloren hat?

– Mein Herr, sagte ich, indem ich mich an meinen Nachbar zur Rechten wandte, wollten Sie mir nicht. Sie zu fragen erlauben, was dieser Herr Le Duc ist?

– Ein ehrenwerther Speisewirth, mein Herr, der Unterricht-Ertheiler feil hält, sie beherbergt und sie nach ihren Verdiensten taxiert, und der, wenn Ostern und Weihnachten, diese hohen Feste der Russen, herbeigekommen, während welcher die Großen sich nach der Hauptstadt zu begeben gewöhnt sind, seine Magazine öffnet, und außer den Kosten, welche er für die Professoren aufgewandt, noch eine Comissions-Gebühr hat. Nun ist ihm denn dieses Jahr der dritte Theil seiner Schulfüchse übrig geblieben, und man hat ihm ein Sechstel von denen, welche er in die Provinz expediert, zurückgesandt, so daß der arme Mann auf dem Punkte steht zu fallen.

– Ha! wahrlich!

– Demnach sehen Sie, mein Herr, daß der Augenblick übel gewählt ist, wenn Sie gekommen sind, um Hofmeister zu werden, da Leute, die in der Touraine geboren sind, das heißt in der Provinz, wo man die französische Sprache am besten spricht, einige Mühe unterzukommen haben.

– Nun denn, mein Herr, beruhigen Sie sich über meine Person, antwortete ich, ich treibe einen anderen Zweig der Industrie.

– Mein Herr, sagte mein Gegenüber mit einer Aussprache zu mir, die sein Bordeaux eine Meile weit verkündigte, wenn Sie in Wein Geschäfte machen, so will ich Ihnen nur vorher sagen, daß das ein erbärmliches Geschäft ist, bei dem nichts mehr als Wasser zu trinken ist.

– Wie denn, mein Herr? antwortete ich, haben die Russen sich etwa an das Bier gemacht, oder haben sie vielleicht zufällig Weinberge in Kamtschatka angelegt?

– Lumperei! wenn es nichts als das wäre; so würde man ihnen Conkurrenz machen; aber die großen russischen Herren kaufen immer, und bezahlen niemals.

– Ich danke Ihnen, ’ mein Herr, für die Nachricht die Sie mir geben, aber ich habe die Gewißheit, daß man auf meine Lieferungen nicht Bankerott machen wird. Ich thue nichts in Weinen.

– In jedem Falle, mein Herr, sagte nun mit einem echt ausgesprochenem Lyonner-Accent eine, in eine Polonaise mit einem Pelzkragen gekleidete Person, obgleich es in Mitte des Sommers war, zu mir, in jedem Falle rathe ich Ihnen, wenn Sie Tuch- und Pelz-Händler sind, zuvörderst das Beste Ihrer Waare für sich selbst zu verwenden, indem Sie nicht das Aussehen einer sehr festen Constitution haben, und, sehen Sie, die mit schwacher Brust, die sind hier bald hin. Wir haben im letzten Winter fünfzehn Franzosen begraben. Sie sind demnach gewarnt.

– Ich werde meine Maßregeln nehmen, mein Herr, und da ich mich bei Ihnen zu versehen gedenke, so hoffe ich, daß Sie mich als Landsmann behandeln werden.

– Gewiß, mein Herr, mit dem größten Vergnügen. Ich bin aus der Stadt Lyon, der zweiten Hauptstadt Frankreichs, und Sie wissen, daß wir Lyonner den Ruf der Gewissenhaftigkeit haben, und wenn Sie nicht selbst Tuch- und Pelzhändler sind. . . .

– Ei! sehen Sie denn nicht, daß unser lieber Landsmann uns nicht sagen will, was er ist? lispelte ein Herr zwischen den Zähnen, dessen mit dem Eisen gelocktes Haar einen abscheulichen Geruch von Jasmin-Pomade verbreitete, und der seit einer Viertelstunde, ohne daß es ihm gelingen wollte, das Gelenk eines Geflügels zu finden suchte, von dem jeder ein Stück erwartete. Sehen Sie denn nicht, wiederholte er, indem er jedes Wort betonte, daß uns der Herr nicht sagen will, was er ist?

– Wenn ich das Glück hätte, Manieren wie die Ihrigen zu haben, mein Herr, antwortete ich, und einen so köstlich gewürzten Geruch zu verbreiten, so würde die Gesellschaft nicht so viel Mühe haben, zu errathen was ich bin, nicht wahr?

– Was soll das heißen, mein Herr, rief der junge frisierte Mann aus, was soll das heißen?

– Das soll heißen, daß Sie Perückenmacher sind.

– Mein Herr, haben Sie die Absicht mich zu beleidigen?

– Man beleidigt. Sie also, wie es scheint, wenn man Ihnen sagt, was Sie sind?

– Mein Herr, sagte der frisierte junge Mann, indem er die Stimme erhob, und aus seiner Tasche eine Karte zog, hier ist meine Adresse.

– Ei was! mein Herr, antwortete ich, zerlegen Sie Ihr Huhn.

– Das heißt, Sie weigern sich, mir Genugthuung zu geben?

– Sie wollten meinen Stand wissen, mein Herr? nun denn! mein Stand verbietet mir, mich zu schlagen.

– Sie sind also ein Feiger, mein Herr.

– Nein, mein Herr, ich bin Fechtmeister.

– Ah! sagte der frisierte junge Mann, indem er sich wieder setzte. Es entstand ein Augenblick des Schweigens, während welchem mein Sprecher, obgleich noch vergeblicher als bis jetzt, versuchte, von seinem Huhne einen Flügel abzutrennen; endlich, des Krieges müde, reichte er es seinem Nachbar.

– Ah! Sie sind Fechtmeister, sagte mir nach Verlauf einiger Secunden mein Nachbar, der Bordeauxer; ein hübscher Stand, mein Herr, als ich jung war, und einen wilden, hitzigen Kopf hatte, habe ich auch ein wenig darin gethan.

– Das ist ein wenig cultivierter Zweig der Industrie, der hier nicht fehlen kann zu blühen, sagte der Professor, vor allem durch einen Mann, wie der Herr, gelehrt.

– Ja, ohne Zweifel, begann nun der Lyonner: aber ich rathe dem Herrn, Jacken von Flanell zu. tragen, wenn er seine Stunden gibt, und sich einen Mantel von Pelzwerk machen zu lassen, um sich darin jedes Mal einzuhüllen, wenn er seine Fechtübungen gegeben hat.

– Meiner Treue, mein lieber Landsmann, sagte nun der frisierte junge Mann, welcher während der Zeit seine Unbefangenheit wieder angenommen, indem er sich ein Stück von dem Huhne nahm, das er nicht hatte zerschneiden können, und das sein Nachbar für ihn zerschnitten hatte, meiner Treue, mein lieber Landsmann, denn Sie sind von Paris, wie Sie mir gesagt . . .

– Ja, mein Herr.

– Ich auch. . . . Sie haben da, wie ich glaube, eine vortreffliche Speculation gemacht; denn wir haben nach meiner Meinung hier nur eine Art von schlechtem Vorfechter, einen früheren Figuranten vom Theater de Gaieté, dem es gelungen ist, sich zum Fechtmeister der Garde ernennen zu lassen, indem er die Gefechte auf dem kleinen Theater anordnete. Sie sehen es da, an der Aussicht, und der seinen Schülern die vier Stöße lehrt. Ich hatte ihn kommen lassen, um mit ihm fortzusetzen; aber bei dem ersten Stoße habe ich gesehen, daß ich der Meister, und er der Schüler war, so daß ich ihn wie einen Pinsel fortgeschickt habe, indem ich ihm seine Marke mit der Hälfte von dem bezahlt, was ich für meine Frisur nehme, und der arme Teufel ist noch sehr damit zufrieden gewesen.

– Mein Herr, sagte ich zu ihm, ich kenne den Mann, von dem sie reden. Als Fremder und als Franzose hätten Sie das nicht sagen sollen, was Sie gesagt haben; denn als Fremder sind Sie der Wahl des Kaisers Achtung schuldig, und als Franzose dürfen Sie keinen Landsmann anschwärzen. Das ist eine Lection, je ich Ihnen meinerseits gebe, mein Herr, und die ich Sie nicht bezahlen lasse, selbst nicht einmal mit einer halben Marke, Sie sehen, daß ich großmüthig bin.

Bei diesen Worten stand ich vom Tische auf, denn ich hatte schon genug an der französischen Kolonie, und es drängte mich, sie zu verlassen. Ein junger Mann, der während der ganzen Dauer des Mittagessens kein Wort gesagt hatte, stand auch auf und ging mit mir zu gleicher Zeit hinaus.

– Es scheint, mein Herr, sagte er lächelnd zu mir, daß Sie keiner langen Sitzung bedurft haben, um unsere theuren Landsleute zu beurtheilen.

– Nein, gewiß nicht, und ich muß gestehen, daß das Urtheil ihnen nicht günstig ist.

– Nun denn, erwiederte er die Achseln zuckend, das ist inzwischen ohngefähr die Ansicht, nach welcher man uns in St. Petersburg beurtheilt. Die anderen Nationen senden ins Ausland, was sie bestes haben, wir senden im allgemeinen dasjenige dahin, was wir schlechtestes haben, und dennoch halten wir überall ihrem Einflusse die Wage. Das ist wohl ehrenvoll für Frankreich, aber es ist sehr traurig für die Franzosen.

– Und Sie wohnen in St. Petersburg, mein Herr? fragte ich ihn.

– Seit einem Jahre, aber ich verlasse es heute Abend.

– Wie?

– Ich gehe, um meinen Wagen zu bestellen. Mein Herr, ich habe die Ehre . . .

– Mein Herr, Ihr ergebenster . . .

Bei Gott! sagte ich zu mir selbst, indem ich meine Treppe hinaufstieg, während dem der, welcher mit mir gesprochen, die Thür erreichte, ich habe Unglück, ich begegne zufällig einem Manne, wie er sein muß, und er reiset an demselben Tage fort, an dem ich ankomme.

Ich fand in meinem Zimmer den Aufwärter beschäftigt, mir mein Bett für die Mittagsruhe zurecht zu machen. Zu St. Petersburg schläft man gewöhnlich wie in Madrid nach dem Mittagsessen; weil es in Rußland während zwei Monaten heißer als in Spanien ist.

Diese Ruhe that mir wundervoll gut, mir, der ich noch ganz gerädert von den zwei letzten Tagen war, die ich auf der Reise zugebracht, und der sobald als möglich eine jener schönen Nächte der Newa zu genießen wünschte, die man mir so sehr gepriesen hatte. Ich fragte demnach den Aufwärter, was man thun müsse, um sich eine Gondel zu verschaffen; er antwortete mir, daß das etwas sehr einfaches sey, daß ich nur zu befehlen nöthig habe, und daß mittelst zehn Rubeln, die Besorgung mit bezahlt, er diesen Auftrag übernehmen würde. Ich hatte schon einiges Geld in Papier umgewandelt, ich gab ihm daher ein rothes Billet, und empfahl ihm, mich um neun Uhr zu wecken.

Das rothe Billet hatte seine Wirkung hervorgebracht: um neun Uhr klopfte der Aufwärter an meine Thür, und der Schiffer erwartete mich unten.

Die Nacht war nur eine sanfte und klare Dämmerung, bei der man leicht hätte lesen können, und die erlaubte, in einer beträchtlichen Ferne die Gegenstände in einem köstlichen Dunst und mit selbst unter dem Himmel. Neapels unbekannten Tönen bekleidet zu sehen. Die erstickende Hitze des Tages hatte sich in ein reizendes Lüftchen verwandelt, welches über die Inseln wehend einen vorübergehenden und lieblichen Wohlgeruch von Rosen und Orangen mit sich brachte. Die ganze, am Tage einsame und verlassene Stadt, hatte sich wieder bevölkert, und drängte sich auf ihren Spaziergängen am Meere, wohin ihre Aristokratie auf allen Zweigen der Newa zuströmte. Alle Gondeln reihten sich um eine ungeheure, der Festung gegenüber vor Anker liegende, und mit mehr als sechzig Musikern besetzte Barke. Plötzlich erhob sich eine wundervolle Harmonie, von der ich keine Ahnung gehabt hatte, von dem Flusse, und stieg majestätisch gen Himmel; ich befahl meinen beiden Ruderern mich so viel als möglich in die Nähe dieser riesenhaften und lebenden Orgel zu bringen, von der jeder Musiker so zu sagen eine Pfeife bildet, denn ich hatte jene Horn-Musik erkannt, von der man mir so viel erzählt, und bei der jeder Mitblasende nur eine Note macht, indem er auf ein Zeichen einen Ton von sich gibt, und ihn so lange hält, als der Taktstock des Kapellmeisters nach ihm ausgestreckt ist. Diese für mich so neue Instrumentierung gränzte an das Wundervolle; ich hätte nicht geglaubt, daß man mit Menschen spielen könnte, wie man Piano spielt, und ich wußte nicht, was ich mehr bewundern sollte, ob die Geduld des Anführers, oder die Gelehrsamkeit des Orchesters. Als ich späterhin Bekanntschaft mit dem russischen Volke gemacht, und seine außerordentliche Geschicklichkeit zu allen mechanischen Künsten gesehen hatte, verwunderte ich mich nicht mehr über seine Horn-Conzerte und über seine mit dem Beile gemachten Häuser. Aber für den Augenblick wurde ich, ich gestehe es, wie von Entzücken hingerissen, und der erste Theil des Conzertes war bereits beendigt, als ich noch horchte.

Dieses Conzert dauerte einen Theil der Nacht über. Bis zwei Uhr Morgens hielt ich mich in der Nähe, um zu hören und zu sehen, anstatt wie Jedermann von einem Orte zum andern zu gehen: es schien mir, daß das Conzert für mich allein gegeben wäre, und daß dergleichen Wunder der Harmonie sich nicht alle Abende erneuern könnten. Ich hatte demnach Muße, die Instrumente zu untersuchen, deren sich die Musiker bedienten, es sind nur am Mundstücke umgebogene Tuben, welche sich bis an das Ende hin, wo der Ton hinaus geht, erweitern. Diese Art von Zinken weichen von zwei Fuß bis zu dreißig Fuß Länge von einander ab. Nur vereinigen sich drei Personen, um diese letzteren zu blasen: zwei, welche das Instrument tragen, und eine die bläßt.

Ich kehrte, als der Tag zu scheinen begann, nach Hause zurück, ganz in Verwunderung gesetzt von dieser Nacht, die ich unter diesem byzantinischen Himmel, in Mitte dieser nordischen auf diesem so breiten Flusse, daß er ein See schien, und so rein, daß er wie ein Spiegel alle Sterne des Himmels und alle Lichter der Erde wiederspiegelte, zugebracht. Ich gestehe, daß mir St. Petersburg in diesem Augenblicke über alles das erhaben schien, was man mir von ihm gesagt hatte, und ich erkannte, daß, wenn es nicht das Paradies wäre, es zum mindesten etwas sey, was demselben sehr nahe käme.

Ich konnte nicht schlafen, so sehr verfolgte mich diese äolische Musik überall; obgleich ich mich demnach auch erst nach drei Uhr gelegt hatte, so war ich doch um sechs Uhr morgens schon wieder auf. Ich ordnete einige Empfehlungsbriefe, die man mir gegeben hatte, und die ich nicht eher zu überreichen gedachte, als bis ich eine öffentliche Fechtübung gegeben hätte, damit ich nicht genöthigt wäre, selbst über mich Auskunft zu ertheilen, nur einen einzigen steckte ich zu mir, den einer meiner Freunde mich beauftragt hatte, in eigene Hände zu übergeben. Dieser Brief war von seiner Maitresse, gestehen wir es, einer einfachen Grisette des Quartier latin, und an ihre Schwester adressiert, einer einfachen Modehändlerin, aber es ist nicht meine Schuld, wenn die Ereignisse alle Klassen vermengen, und wenn die Fluth der Revolutionen in unseren Tagen so oft das Volk dem Königthume gegenüber stellt.

Dieser Brief trug die Aufschrift: An Mademoiselle Louise Dupuy, bei Madame Xavier, Modehändlerin, Newskische Perspective, neben der armenischen Kirche, dem Bazar gegenüber.

Das alles mit dieser Schrift und mit dieser Orthographie geschrieben, die Sie kennen.

Nichts desto weniger machte ich mir ein Fest daraus, den Brief selbst zu übergeben. Acht Hundert Stunden weit von Frankreich ist es immer angenehm, eine junge und hübsche Landsmänninn zu sehen, und ich wußte, daß Louise jung und hübsch wäre. Außerdem würde sie, die St. Petersburg kannte, weil sie es seit vier Jahren bewohnte, mir Rathschläge über die Art, mich daselbst zu benehmen, ertheilen.

Da ich mich inzwischen schicklicher Weise nicht um sieben Uhr Morgens bei ihr vorstellen konnte, so entschloß ich mich, eine Tour durch die Stadt zu machen, und zu der Newskischen Perspective erst gegen fünf Uhr zurückzukehren.

Ich rief den Aufwärter; dieses Mal war es ein Lohnbedienter, der sich an seiner Statt anbot. Die Lohnbedienten sind zu gleicher Zeit die Bedienten und die Cicerones; sie wichen die Stiefeln, und zeigen die Paläste. Ich nahm ihn an, besonders für die erste dieser Verrichtungen; was die zweite anbelangt, so hatte ich im Voraus mein Sanct Petersburg der Art studiert, um darüber eben so viel, als er zu wissen.

Denkwürdigkeiten eines Fechtmeisters

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