Читать книгу PMP - Das Pride Month Project - Alex Frost - Страница 8
Neustart
Оглавлениеvon Phobos Escanor
Müde fuhr ich mir mit den Fingern durch die Haare und ließ mich auf den Stuhl inmitten unzähliger Kartons sinken. Der Umzug war härter gewesen, als ich es erwartet hatte. Ich seufzte und konnte ein spöttisches Auflachen nicht verhindern, denn ich machte mir etwas vor. Nicht das Umziehen war es, das mich geschlaucht hatte, sondern vielmehr der Grund, warum ich meine Familie verlassen hatte. Aber nach so vielen Jahren war es einfach nicht mehr möglich gewesen, mit der Lüge zu leben.
Ich hatte mich mein Leben lang verstellt – vor meinen Eltern, meinen Freunden. Nicht zuletzt vor dem Jungen, der in mir die erste Sehnsucht entfacht und den ich zurückgestoßen hatte, weil niemand mein Geheimnis wissen durfte, nicht einmal er.
Wie es alle von mir erwartet hatten, war ich nach dem Abschluss meiner Lehre vor den Traualtar getreten und es vergingen danach nicht einmal ganz zwölf Monate, bis meine Tochter geboren wurde. Mein Augenstern.
Trotz all meiner zwiespältigen Gefühle und meiner geheimen Sehnsüchte, die ich nie ausgelebt hatte, trotz des schlechten Gewissens meiner Frau Evelyn gegenüber, die ich liebte, aber nicht begehrte, war es das größte Glück für mich, dieses kleine Wunder in den Armen zu halten. Meine Tochter gab mir das Gefühl, dass doch noch alles gut werden könnte in meinem Leben und diese Hoffnung hat mich sehr lange aufrecht gehalten.
Doch der Mensch ist nicht aus Stein. Und ich war schwach.
Die lange Zeit des Versteckens und Leugnens hatte mich unvernünftig werden lassen. Und ich hatte mich neu verliebt. Wie gefangen in einem Taumel, um Jahre verjüngt, reifte in mir die Erkenntnis, dass mein bisheriges Leben unmöglich so weitergehen konnte wie bisher.
An dem Abend, an dem ich meiner Frau erzählte, dass ich sie verlassen würde, hielt sie es für einen Scherz. Sie lachte erst, merkte dann, dass ich es ernst meinte und wir entbrannten im Streit.
Wer die Schlampe sei, für die ich unsere Ehe und unser Kind aufgeben wollte, hatte sie mich gefragt, schreiend und zornig, doch ich schwieg.
Ich konnte, ich wollte ihr noch nicht sagen, dass ich das nicht für eine Frau tat, sondern für einen Mann, mehr als eine Dekade jünger als ich. Einer, der mir zum ersten Mal das Gefühl gab, das Leben zu haben, das ich wollte, mit all dem, was ich in den sechzehn Jahren meiner Ehe so sehr vermisst hatte.
Ich hatte Evelyn reden und schreien lassen und mich irgendwann nicht mehr gegen ihre Vorwürfe verteidigt, denn sie hatte ja schließlich recht. Mir war selbst klar gewesen, wie egoistisch meine Absicht war, sie und unsere gemeinsame Tochter zu verlassen. Aber ich redete mir ein, ein Recht darauf zu haben, glücklich zu sein. Ich liebte meine Familie, doch ich empfand ebenso viel für diesen Mann.
Meine Frau war irgendwann auf dem Stuhl mir gegenüber zusammengebrochen, hatte geweint und nichts, was ich hätte tun können, hätte ihr Trost gespendet. Was hätte ich auch sagen sollen? Ich hatte nicht vor, meine Meinung zu ändern.
Evelyn hielt mir vor, sie wegen einer Jüngeren zu verlassen; jammerte, was sie falsch gemacht hätte und schrie mich dann wieder an, wie egoistisch ich sei, gerade unser Kind im Stich zu lassen. Aber das war nicht wahr. Ich wollte kein Ehemann mehr sein, doch der Vater meiner Tochter würde ich bleiben, für alle Zeit. Ich würde niemals einer dieser abwesenden Männer sein, der nicht nur seine Frau, sondern auch seine Kinder verließ. Denn mein kleines Mädchen war mir das Wichtigste.
Als Evelyn irgendwann nur noch weinte, hatte ich sie allein gelassen, um zu packen und schließlich meine Koffer in den Flur gestellt.
»Papa? Wo willst du denn hin?«
Meine Frau hatte geschwiegen, nur an die Wand gestarrt und meine Tochter stand in der Tür, angezogen wie immer in ihren zerfetzten Jeans und einem dieser bunten Shirts, die Haare unordentlich zu einem Zopf zusammengenommen, aber in meinen Augen hübscher als jedes andere Mädchen der Stadt. Der Blick war von mir zu ihrer Mutter und wieder zurück gewandert.
»Mama und ich werden uns trennen, Schatz. Ich ziehe aus.«
Die hellen Augen meines Kindes, blau wie der Himmel, hatten sich ein Stück geweitet, ihr Mund stand offen und sie war schließlich einfach weggelaufen. Das hatte mir am meisten leid getan.
Aber meine Entscheidung hatte festgestanden. Wenn sich alles beruhigt haben würde, würde ich es ihr erklären. Zwischen Tür und Angel und mit aufgewühlten Gefühlen hatte es keinen Sinn.
»Ich werde jetzt gehen. Ich komme die Tage und hole meine restlichen Sachen, wenn das für dich in Ordnung ist …«
»Damit du das, was wir gemeinsam angeschafft haben, mit deiner neuen Freundin teilst?«
Ich hatte geseufzt und gewusst, ich würde nicht drumherum kommen, es ihr zu sagen. »Evelyn … ich werde nicht mit einer Frau zusammen sein.«
»Und warum gehst du dann? Du lügst doch. Wer ist es?«
»Sein Name ist Greg.«
Ich hatte ihren entsetzten Blick in meinem Nacken spüren können, als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog.
Und da war ich nun, allein in meiner neuen kleinen Wohnung, nachdem ich mir von der Arbeit eine Zeit lang freigenommen hatte. Um mich von den trüben Gedanken abzulenken, räumte ich meine Möbel zurecht und packte meine Kisten aus.
Seit der Nacht meines Auszuges hatte meine Frau nicht mehr mit mir geredet. Meine Tochter war es gewesen, die mir Bescheid gegeben hatte, dass Evelyn das Haus verlassen hatte und ich mein Zeug würde holen können. Die wenigen Einrichtungsgegenstände in meinem neuen Heim hatte ich von Freunden bekommen, damit ich nicht auf den Boden würde sitzen müssen, solange zwischen meiner Frau und mir noch nicht alles geklärt war.
Während ich in meinem alten Zuhause meine restlichen Kleider zusammenpackte und meine persönliche Habe verstaute, hatte meine Tochter bei mir gestanden und die meiste Zeit geschwiegen. Sie hatte nicht geholfen, doch mich auch nicht abgehalten. Für gerade mal fünfzehn war sie vernünftiger als ihre Eltern.
Als ich fertig war und sie uns schließlich ein Sandwich gemacht hatte, saßen wir noch eine Weile zusammen. Sie sah mich immer wieder an, doch wandte den Blick ab, wenn ich ihn einfing und erwiderte.
»Was ist, Krümel?«
Sie grinste schief. »Stimmt es ...?«
»Was? Hat Mama was zu dir gesagt?«
Sie schüttelte den Kopf und knabberte an ihrer Lippe. »Nein … sie hat nicht mehr von dir gesprochen, seit du weg bist. Aber … ich habe gehört, was du gesagt hast.« Sie druckste weiter herum und ich nahm ihre Hand.
»Bist … bist du wirklich mit einem Mann zusammen?«
Ich nickte.
»Hast du sie denn überhaupt geliebt? Oder mich?«, fragte sie flüsternd und ich drückte ihre Finger.
»Ja. Und dich liebe ich mehr als alles. Aber … ich habe auch schon immer so empfunden wie jetzt.«
Sie legte den Kopf schief. »Du warst immer schon schwul und hast trotzdem Mama geheiratet? Warum?«
»Weil die Menschen damals anders getickt haben als heute. Und allein schon deinetwegen bereue ich keinen Tag mit deiner Mutter.«
Sie lächelte leicht. »Stellst du ihn mir dann auch vor?«
»Klar.«
Ich schmunzelte beim Gedanken daran. Meine Tochter würde sich schneller mit der Situation anfreunden als meine Noch-Ehefrau, die wahrscheinlich in zehn kalten Wintern noch kein Wort mit mir wechseln würde, wenn da nicht die Termine bei unseren Scheidungsanwälten anstehen würden. Immerhin galt es, sechzehn Jahre Ehe und ein gemeinsames Leben zu klären.
Das tat mir leid und ich wusste, dass es schwer werden würde für Evelyn. Alle unsere Freunde und Bekannten hatten stets unsere harmonische und liebevolle Beziehung bewundert, denn das war sie gewesen. Wir waren wunderbar miteinander ausgekommen und ihre Freundinnen hatten immer von meiner angeblich so verständnisvollen Art geschwärmt.
Und ich war ihr in der ganzen Zeit jeden einzelnen Tag treu, obwohl ich das in meinem Kopf oft nicht gewesen war. Nur hatte ich nie gewagt, meine geheime Neigung tatsächlich auszuleben, aus Angst, ertappt zu werden.
Das hatte sich erst vor vier Monaten auf dem Betriebsausflug meiner Firma geändert.
Nachdem die Feier im Restaurant zu Ende gegangen war, hatten einige meiner Kollegen noch weiterziehen wollen. Wir waren schließlich in einer Kneipe gelandet und bevor wir gemerkt hatten, dass es eine Schwulenbar war, waren die ersten bereits angeflirtet worden. Die Frauen hatten es lustig gefunden, sich mit den lesbischen Damen zu unterhalten, während die Männer peinlich berührt an der Bar gehockt und ihr Bier gekippt hatten. Sie hatten sich alle recht zügig aus dem Staub gemacht, doch ich war sitzen geblieben und meine Kolleginnen hatten ausgelassen getanzt.
Ich hatte Spaß daran gehabt, ihnen zuzusehen.
»Hallo, du. Wie lange willst du noch in dein leeres Glas starren?«
Als ich mich herumgedreht hatte, blickte ich in Augen, die mich vage an die meiner Tochter erinnerten.
»Äh …«, hatte ich nur herausgebracht, als der junge Mann sich auf den Hocker neben mir geschoben und dem Barkeeper ein Zeichen gegeben hatte. Kurz darauf hatte der Drinks vor uns abgestellt, die eindeutig kein Bier gewesen waren. Ich hatte zuerst auf den bunten Cocktail und dann zu dem Burschen neben mir geschaut, der mich neckisch angelächelt hatte.
»Koste mal. Geht auf mich.«
Mir war sofort aufgefallen, dass er ein ganzes Stück jünger als ich sein musste und wirklich gut aussah. Sein schlichtes Outfit, bestehend aus einer Jeans und einem T-Shirt, hatte das noch unterstrichen, ebenso sein strubbeliges, dunkelblondes Haar und die sehr reine Haut. Der gepflegte Stoppelbart nahm ihm etwas das Jungenhafte und ließ ihn verwegen und männlich wirken. Als ich gemerkt hatte, dass ich ihn anstarrte, hatte ich mich abgewandt und an dem Getränk genippt, das wirklich köstlich war.
Als meine Kolleginnen sich nach einer Weile ebenfalls verabschiedet hatten, beschloss ich, noch zu bleiben, denn ich war mit meinem Barnachbarn ins Gespräch gekommen und hatte angefangen, mich wohlzufühlen. Gregory, der seinen vollen Namen hasste, wie er mir verraten hatte, war gerade einmal fünfundzwanzig und Student. So etwas hatte ich mir bereits im ersten Augenblick gedacht, denn er sah aus wie jemand, der noch zur Uni ging – ungezwungen, frei, selbstbewusst …
Mir hatte sein Lächeln auf Anhieb gefallen und es hatte mich verwirrt, dass es so war. Ich hatte mich geschämt, denn ich sollte nicht so fühlen, immerhin war ich verheiratet und ich hatte mich sechzehn Jahre zusammengerissen. Ich durfte nicht schwach werden, doch auch Greg schien Gefallen an mir gefunden zu haben.
Trotz meiner siebenunddreißig Jahre sagte man mir häufiger, ich würde jünger aussehen.
Wir hatten uns stundenlang unterhalten, zusammen getrunken und ich hatte kein schlechtes Gewissen deswegen gehabt, denn ich hatte den darauffolgenden Tag frei und meine Frau war mit unserer Tochter über das Wochenende zu ihren Eltern gefahren.
Als der Barmann die letzte Runde angekündigt hatte, hatte ich bedauernd geseufzt und mein Glas geleert. Zu meiner Überraschung hatte der junge Mann auf mich gewartet, als ich von der Toilette zurückgekommen war.
»Und? Du siehst aus, als hättest du keine Lust, nach Hause zu gehen.« Gregs blaue Augen hatten geblitzt, als er mich angelacht hatte und ich hatte gespürt, wie sich mir der Hals zuzog. Ich hatte seine Anspielung verstanden und mein Körper angefangen, zu kribbeln.
»Komm.« Er hatte mir die Hand gereicht und ich schließlich einfach nachgegeben. So hatte es angefangen … das mit mir und Greg.
Und doch hatte ich vier Monate und mehrere verstohlene Treffen gebraucht, bis ich den Entschluss gefasst hatte, Evelyn zu verlassen.
Gregory schien es oberflächlich betrachtet nichts auszumachen, mit einem verheirateten Mann eine Affäre zu haben, aber ich hatte dennoch schon früh gespürt, dass es ihm lieber wäre, wenn er mich für sich hätte. Und ich fühlte genauso. Ich wollte endlich so leben, wie ich es schon als Jugendlicher gewollt hatte. Ich wollte frei und ohne Angst zu meiner Sexualität stehen können, nachdem ich diese fast vierzig Jahre verleugnet hatte.
Zufrieden wischte ich mir mit dem Handrücken den Pony aus der Stirn und sah mich in meiner Wohnung um. Alles war an Ort und Stelle, so wie ich es mochte. Sogar der Fernseher funktionierte bereits. Mein Nest war eingerichtet.
Vielleicht würde mein Neustart leichter werden, als es meine trüben Gedanken mir vorspielten.
Als es klingelte, blickte ich aus dem Fenster und sah ihn. Ein breites Lächeln stahl sich auf mein Gesicht.
Ich liebte meine Tochter und auch Evelyn würde nie ganz aus meinem Herzen verschwinden, doch der Mensch, mit dem ich zusammen sein wollte, stand unten an der Haustür, die Hände in den Taschen und den Kopf erhoben. Ich drückte den Öffner und zog Greg, kaum dass er die Tür hinter sich geschlossen hatte, in meine Arme.
Nichts war perfekt, aber alles war in Ordnung.