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KAPITEL 3 ESSEN

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Juni 1989. Auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking richten Soldaten ein Massaker unter demonstrierenden Studenten an. Im Iran stirbt der Ayatollah Khomeini. In Paris verliert Steffi Graf das Finale der French Open gegen Arantxa Sánchez Vicario. Und in Kaiserslautern sucht ein 20-jähriger zukünftiger Nationalspieler und Bundesliga-Torschützenkönig nach einem neuen Verein. Die Verantwortlichen vom FCK wollen Mario Basler zwar keinen Profivertrag geben, aber einfach so ziehen lassen wollen sie ihn auch nicht. Schließlich einigen sich beide Seiten auf eine Ausleihe. Fehlt nur noch der passende Verein.

Zweitligist Rot-Weiss Essen, trainiert von Baslers früherem Mentor Hans-Günther Neues, braucht dringend Spieler, die das treue Publikum an der Hafenstraße mal wieder begeistern können. Also schickt Neues Manager Hans Wüst in die Pfalz. Wüst schaut sich diesen Basler im Training an und als ihm auch die anwesenden Rentner versichern, dass „der Mario ein Guter ist“, nimmt er Kontakt zum Verein auf. Und erfährt, dass der Mario für 25.000 DM Leihgebühr zu haben ist. Zeitgleich ruft Neues bei Basler an: „Hast du Interesse, in Essen zu kicken?“

Hatte ich. Einige Tage später unterschrieb ich meinen neuen Vertrag in Essen und gehörte nun zu RWE. Ich fand eine Wohnung im Norden der Stadt, nicht weit entfernt von den Trainingsplätzen. Zu meinem Glück fehlte mir jetzt eigentlich nur noch einer: Fabrizio. Der war bei seinem neuen Arbeitgeber Karlsruhe SC ziemlich unzufrieden, also ging ich zu Neues und erzählte ihm davon. Er gab mir das Okay und ich klingelte bei meinem Kumpel durch: „Hast du nicht auch Bock, nach Essen zu kommen?“

Doch kaum hatte Fabrizios unterschrieben, wurde Hans-Günther Neues entlassen. Eine Woche vor dem Beginn des Trainingslagers. Für uns war das eine Katastrophe. Neuer Trainer wurde Hans-Werner Moors, der mit mir nicht besonders viel anfangen konnte. RWE definierte sich seit jeher als Malocherverein, hier waren Grasfresser wie unser Kollege Willi Landgraf die Helden, mit einer Blutgrätsche konnte man mehr Sympathien gewinnen als mit einem Außenristpass über 40 Meter. Die Symbolfigur des Klubs war Jürgen Röber. Für ihn waren wir zwei Rotzlöffel, die sich erstmal ganz hinten anzustellen hatten. Nach wenigen Tagen im Trainingslager wagte es Fabrizio Röber zu tunneln und kassiert dafür prompt eine Ohrfeige. Mein heißblütiger Kumpel trat dem Routinier dafür volle Lotte in die Beine – und sollte deshalb vorzeitig die Koffer packen! Das war einfach nicht fair. Ich marschierte zu Moors: „Wenn er gehen muss, gehe ich auch.“ Zum Glück war bald Gras über die Sache gewachsen.

Gleich am ersten Spieltag sollten wir an der heimischen Hafenstraße gegen den großen Rivalen Schalke 04 antreten. „Jetzt wirst du erleben, was es heißt, für Essen Fußball zu spielen“, raunte mir Manager Wüst zu.

Der erste Spieltag stand an und trotz des Vorfalls im Trainingslager standen Fabrizio und ich in der Startelf. Gemeinsam mit den 22.000 im Georg-Melches-Stadion fieberten wir dem Anstoß entgegen. Beim Aufwärmen flogen bereits die ersten Leuchtspurraketen durch die Luft. Spätestens mit dem Anpfiff gelang es auch mir, die besondere Atmosphäre zu genießen. Fußball pur, willkommen im Ruhrpott! Nach 72 Minuten wurde ich ausgewechselt, am Ende trennten wir uns 0:0. Ein anständiges Debüt, wie ich fand.

Doch zum Stammspieler sollte ich es zunächst nicht schaffen. In dieser schwierigen Zeit war es wichtig, einen so engen Freund wie Fabrizio an meiner Seite zu wissen. Obwohl ich damals bereits mit meiner ersten Frau Anke zusammenwohnte, lebte meistens auch Fabrizio mit unter unserem Dach. Gemeinsam gingen wir durch dick und dünn. Ob nun eingehakt am frühen Morgen von der Disco nach Hause oder wie bei jenem Trainingsspiel, als er zunächst den Krankenwagen rief, mich auf die Trage beförderte und mich schließlich noch mit Stollenschuhen und Trainingsleibchen ins Krankenhaus begleitete. Auch ihm war der Durchbruch noch nicht gelungen, aber die gemeinsame Leidenszeit schweißte uns als Freunde noch enger zusammen.

Vom letzten Saisondrittel an gehörte ich dann endlich zur Stammelf und weil sich meine Leistungen stabilisiert hatten, bekundete RWE sein Interesse, meine Ausleihe in eine feste Anstellung umzumodeln. Offiziell gehörte ich ja immer noch zum FCK. Die Saison beendeten wir auf einem passablen sechsten Platz, doch noch immer war meine Zukunft nicht geklärt. Denn der FCK verlangte plötzlich 250.000 D-Mark Ablöse für mich! Essen konnte die Kohle nicht aufbringen, also rief ich selbst bei Lauterns Reiner Geye an. Doch er blieb stur und meine noch junge Karriere als Fußballer geriet wieder einmal ins Stottern. Ich hasste Geye für diese Geschichte und für meine ohnehin angeschlagene Beziehung zum FCK war das nicht gerade förderlich. Erst als ich mir schon ernsthaft Gedanken darüber machte, ob ich zur neuen Saison ohne Verein dastehen würde, einigten sich beide Parteien. Mir fiel ein großer Stein vom Herzen.

Während ich in Essen blieb, hieß es für Fabrizio nach nur einem Jahr schon wieder Abschied nehmen. In insgesamt 19 Spielen für RWE war er nicht richtig glücklich geworden und so trennten sich unsere Wege erneut. Gemeinsam mit einem gewissen Jürgen Klopp ging Fabrizio zu Mainz 05.

In Essen galt es derweil die nächste Krise durchzustehen, denn bis kurz vor Saisonstart war gar nicht klar, ob wir überhaupt in der Zweiten Bundesliga würden starten können. Der Klub war knapp bei Kasse und musste lange um die Lizenz für die neue Spielzeit zittern. Im Trainingslager in Ascheberg erreichte uns schließlich die ersehnte Nachricht von Manager Wüst: Die Lizenz war in letzter Sekunde doch noch erteilt worden.

Wir starteten ziemlich wackelig in die Saison, nach drei Niederlagen und zwei Siegen in den ersten fünf Spielen bekamen wir am sechsten Spieltag Besuch von den Mainzern, leider stand Fabrizio nicht in der Startelf. Und endlich, ausgerechnet gegen den neuen Verein meines Freundes, gelang mir mein erstes Pflichtspieltor für meinen Klub. Auch durch meinen Treffer in der 34. Minute gewannen wir das Spiel mit 2:0. Für alle Anhänger von RWE war es trotzdem eine recht unbefriedigende Saison. Bis zum Schluss kämpften wir gegen den Abstieg und landeten schließlich auf dem 15. Platz, ein Sieg gegen Mannheim hatte die Entscheidung gebracht. Für mich persönlich war es ganz gut gelaufen. In 34 Punktspielen hatte ich sechs Tore geschossen – für einen Mittelfeldspieler eine gute Quote. Und auch im DFB-Pokal hatte ich erstmals Spuren hinterlassen – auch dank meines Treffers gegen Bayer Uerdingen wären wir fast ins Viertelfinale eingezogen, mussten uns dann aber doch in der Verlängerung geschlagen geben.

Auch privat hatte ich deutliche Fortschritte gemacht: Mit meiner Freundin Anke war ich inzwischen verheiratet und war stolzer Vater eines gesunden Jungen geworden. Wir nannten ihn Marcel. Sein Timing war damals noch nicht ganz so gut wie heute, er entschied sich just in der Nacht, in der ich ein wenig zu tief ins Glas geschaut hatte, auf die Welt zu kommen. Die letzten Stunden vor seiner Entbindung verbrachte ich schlafend im Auto und als er dann tatsächlich in meinen Armen lag, begrüßte ich ihn vermutlich mit einer leichten Fahne. Das war für mich einer der größten Momente meines Lebens. Stolz wie Bolle kurvte ich anschließend durch Essen, um die halbe Stadt über die Niederkunft meiner Frau zu informieren, und lud die Mannschaft nach dem Training zum Frühschoppen ein.

Sportlich waren wir zwar weiterhin zweitklassig – aber nun ging es mit dem Verein endgültig bergab. Vor dem letzten Spieltag bei den Stuttgarter Kickers wurde bekannt, dass der DFB uns nicht die Lizenz für die neue Spielzeit erteilen und der Traditionsverein in der kommenden Saison vom Status her nur noch ein Amateurklub sein würde. Bei der Rückkehr aus Stuttgart empfingen uns wütende Fans. Irgendwann flogen die ersten Fäuste, später sogar Steine. Bis kurz vor Mitternacht verschanzten wir uns im VIP-Raum. Ich konnte die Fans verstehen. Es war eine Schande, dass so ein großer Verein mit so einer großartigen Anhängerschaft so heruntergewirtschaftet worden war.

Meine Zeit in Essen war damit vorbei. Während sich mein Arbeitgeber auf dem Weg nach unten befand, wartete ich nur darauf, dass mein Stern endlich aufging. Die beiden Jahre in der Zweiten Liga hatten mich gestählt, neben meinem fußballerischen Talent war ich jetzt auch physisch in der Lage, mit den besten Fußballern mitzuhalten. Es musste sich nur endlich jemand finden, der mir die Chance dazu gab, mich ganz oben beweisen zu können.

Bei manchen Menschen braucht es eine gewisse Zeit, bis ich mit ihnen warm werde. Nicht so bei Mario. Wir waren beide aus dem gleichen Holz geschnitzt, zwei ähnlich verrückte, ähnlich kreative, ähnlich in den Fußball verknallte Halbstarke, die die Welt erobern und gleichzeitig das Leben genießen wollten.

Mario hatte eine Menge drauf, aber seine Schusstechnik war schlichtweg einmalig. Diese Mischung aus Härte und Präzision habe ich in all den Jahren bei keinem anderen Spieler gesehen.

Was Mario auch damals schon so stark machte, war seine unglaubliche mentale Power. Wenn ihm eine Aktion mal misslang, versuchte er sie eben bei nächster Gelegenheit erneut, es war ihm scheißegal, wenn ein Freistoß aus 30 Metern über das Tor ging, den nächsten knallte er trotzdem aus der Distanz drauf. Diese besondere Leck-mich-am-Arsch-Haltung hat ihn meiner Meinung nach zum Nationalspieler werden lassen.

Obwohl Mario schon mit seiner damaligen Frau zusammenlebte, verbrachten wir fast jede freie Minute miteinander. Wir passten gegenseitig auf uns auf. Wir waren damals mehr als nur Freunde. Wir waren wie Brüder.

So cool er sich immer gibt: Richtig aufblühen kann dieser Kerl erst dann, wenn er unter Seinesgleichen ist, wenn er mit seinen Jungs unterwegs ist, die ihn schon lange kennen, die wissen, wie er wirklich tickt, und die ihn 100 Prozent akzeptieren. Wenn er in diesem Umfeld seine Currywurst essen kann, dann ist er ganz der Mario, wie ich ihn schon seit vielen Jahren kenne und schätze.

Wir beide, Mario und ich, hätten es vielleicht sogar noch weitergebracht, wenn wir in der Lage wären, uns auch mal auf die Zunge zu beißen, statt die Schnauze aufzureißen. Aber so sind wir nun mal, alles andere als Arschkriecher, und deshalb können wir am Ende des Tages – anders als viele unserer Weggefährten – in den Spiegel schauen, ohne dabei ein komisches Gefühl zu bekommen.

(Fabrizio Hayer)

Eigentlich bin ich ein super Typ

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