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PROLOG

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Der 28. Februar 2017. 285 Tage nach der Diagnose.

90. Minute im Viertelfinale des DFB-Pokals. Gegen Arminia Bielefeld führen wir mit 1:0. 39.000 Fans sind im Stadion und schreien meinen Namen. RUSS! RUSS! RUSS! Wie sehr habe ich diesen Augenblick herbeigesehnt.

285 Tage. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Und wie sie manchmal tatsächlich alle Wunden wieder heil werden lässt.

Ich schaue mich um. Versuche zu verstehen, was hier gerade abgeht. RUSS! RUSS! RUSS! Die vielen tausend Stimmen fühlen sich an wie die feste Umarmung der Kurve. Sie sagt mir, dass ich noch am Leben bin.

Auf meiner Brust, direkt über meinem Herzen, spüre ich den Adler, der auf unser Trikot gestickt ist. Er war schon Zeuge so vieler Abenteuer und Dramen. Das Leder meiner Schuhe schmiegt sich eng an meine Füße. Die Stollen versinken in dem Quadratmeter Rasen, der heute meine Eingangspforte ist. Dorthin, wo ich hingehöre. Und wo ich so lange nicht sein durfte.

Mein Name hallt noch immer durch das Stadion. Früher, auf dem Bolzplatz, habe ich nach Toren immer die Augen geschlossen und flog im Geiste auf die Kurve zu. Ich stellte mir vor, wie um mich herum Menschen in Schwarz und Weiß und Rot vor Freude explodieren, wie sie ihre Fäuste ballen und sich mein Jubel mit dem ihren vermengt. In Gedanken bin ich gerade wieder dort. Ganz am Anfang, als es nur mich gab und den Ball.

Ich öffne die Augen, stehe am Spielfeldrand und warte auf meine Einwechslung. Auf mein Comeback, das eigentlich gar nicht mehr möglich schien. Der Ball will einfach nicht ins Aus. Wie lange stehe ich schon hier? 20 Sekunden? Fünf Minuten? Ich rieche den Rasen. Viele große Schlachten wurden hier schon geschlagen. Oft genug war ich mit dabei. Dieser Rasen hat den Schweiß des Triumphes und die Tränen der Enttäuschung aufgesaugt. Gewinnen und verlieren. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich so viele Menschen in den Fußball verlieben. Weil nirgendwo schöner gewonnen und nirgendwo trauriger verloren wird. Weil sich nirgendwo das Leben so verdichtet wie auf dem Fußballplatz.

Sieg oder Niederlage. Was bedeutet das schon, wenn du am Leben bist? Wenn du am Leben sein darfst?

Mein Herz schlägt immer schneller. Ich spüre die Kraft und Energie. Für ein paar Minuten wird sie bestimmt reichen. Aber auch für die Verlängerung eines Pokal-Viertelfinales? Die vielen tausend Stimmen lassen die Zweifel verfliegen. Eigentlich war meine Einwechslung heute noch gar nicht geplant. Jemanden, der 285 Tage kein Spiel machen konnte, schickt man nicht beim Stand von 0:1 in der 90. Minute auf den Rasen. Doch der Trainer hat anders entschieden. Er glaubt an mich. Glaubt, dass ich genau der richtige Mann dafür bin, den letzten gefährlichen Ball aus dem Strafraum zu schlagen und den Sieg zu sichern. Was fühlt sich eigentlich besser an: die Willkommensschreie der Fans oder das Vertrauen meines Trainers? Ich bin nicht einfach noch am Leben. Ich bin wieder da!

Unzählige Gedanken jagen mir durch den Kopf. Bratwurst und Pokale beim VfB Großauheim. Fußball 2000 im heimischen Wohnzimmer. Das erste Spiel für Eintracht Frankfurt. Abstiege, Aufstiege. Klassenerhalt und Europapokal. Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin! 12 000 Frankfurter in Bordeaux. 2:2 in Porto. Die Diagnose. Das Eigentor gegen Nürnberg. Mit Moses und Vida auf dem Rasen. Siege. Niederlagen. Leben. Mein Leben.

In diesem Moment wird das Spiel unterbrochen. Von der Anzeigetafel leuchtet mein Name. RUSS! RUSS! RUSS! Dieser eine Moment für die Ewigkeit. Auf jetzt!

Kämpfen. Siegen. Leben.

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