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Kapitel 2 EIN FUNKEL HOFFNUNG

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Marco Russ in der Bundesliga – wenn mir das jemand ein paar Jahre zuvor prophezeit hätte, ich hätte ihn wohl ausgelacht. Auch wenn es sich nur um die Zweite Liga handelte, für mich war der Start in die Saison 2004/05 der berühmte Sprung ins kalte Wasser. In meinem Fall vom Fünf-Meter-Turm ins Eiswasser, denn schon bald sollte ich feststellen, wie sehr die Uhren anders tickten bei den Profis. Wenige Tage vor dem Start in die neue Spielzeit war ich 19 Jahre alt geworden. Ein richtiger Grünschnabel, der sich vom ersten Gehalt einen Golf III kaufte und die Dinge des Lebens auf die leichte Schulter nahm. Eine Einstellung, die mit dem Dasein als Lizenzfußballer nicht wirklich kompatibel ist. Vor allem dann nicht, wenn man gerade frisch aus der Jugend zu den Senioren gedraftet wurde und sich die ersten Einsatzminuten erst mal hart erarbeiten muss. Schon in den ersten Tagen in der Vorbereitung merkte ich, wie sehr ich meine neue Aufgabe unterschätzt hatte. Hier musste man wirklich jede Übung hochkonzentriert und gewissenhaft angehen. Und nicht wie ich, der nach einem Spinning-Kurs im Fitnessstudio die durchgeschwitzten Sportklamotten einfach liegenließ, statt sie dem Zeugwart zu überreichen. Eine Kleinigkeit, aber auch Kleinigkeiten sind auf diesem Niveau entscheidend. Und das musste ich erst mal lernen. Mein Glück, dass ich auf strenge, aber fürsorgliche Lehrer traf, die mir das ein oder andere Mal pädagogisch wertvolle Tritte in den Hintern gaben. Zeugwart-Legende Franco Lionti machte mir geduldig, aber lautstark deutlich, was man als Profifußballer auch zu beachten hatte. Zum Beispiel seinen Turnbeutel ordnungsgemäß abzugeben.

Begierig sog ich alle neuen Eindrücke in mich auf, meine laxe Lebenseinstellung bedeutete nicht, dass ich nicht gewillt war, unbedingt dazuzulernen. Und genau darum ging es in dieser ersten Saison: als junger Neuling immer besser zu verstehen, wie das Fußballgeschäft funktionierte. Es dauerte nicht lange, und ich war morgens der Erste und abends der Letzte beim Training. Und meinen Beutel habe ich immer persönlich abgeliefert, Ehrenwort.

Ich profitierte dabei von einer gesunden Selbsteinschätzung. Natürlich brannte ich auf meine ersten Einsätze, gleichzeitig war mir klar, dass noch viel Arbeit vor mir lag, um in der Mannschaft voll akzeptiert zu werden. Die Hierarchie im Team war ziemlich klar und wurde nicht hinterfragt. Anders als heute, wo eine Hackordnung nicht mehr ohne Weiteres zu erkennen ist. Wir Jüngeren hatten uns ganz hinten anzustellen und gefälligst zu tun, was uns die älteren Spieler sagten. Wenn das Training vorbei war, war es selbstverständlich, dass wir die Tore wegtrugen und die Bälle einsammelten. Mir machte das nichts aus, ich fand es nur natürlich, dass ich mir als junger Kerl erst mal meine Sporen verdienen musste.

Unsere damalige Mannschaft hatte die unterschiedlichsten Charaktere in ihren Reihen. Da war wie gesagt Alex Schur, der bereits seit 1995 für die Eintracht spielte und sich gerade endgültig bei den Fans unsterblich gemacht hatte, weil er auch nach dem Abstieg in Frankfurt geblieben war. Alex war ein total lockerer Typ, der gerne Scherze machte. Gemeinsam mit Oka Nikolov sorgte er dafür, dass ich mich sehr schnell als vollwertiger Teil der Mannschaft fühlte. Einer meiner Konkurrenten in der Defensive war unser Kapitän Jens Keller, dessen Karriere bereits im Herbst angekommen war und der mich als Rivalen um seinen Stammplatz betrachtete. Im Vergleich zu Alex Schur war er sehr verbissen und verschlossen. Vorne im Zentrum hatten wir Arie van Lent, ein unheimlich abgezockter Typ, mit allen Wassern gewaschen. Arie hatte Erfahrung ohne Ende und von dieser Erfahrung konnte ich profitieren. Allerdings auf recht schmerzhafte Art und Weise, denn jedes Mal, wenn ich meine 70 Kilo in den Zweikampf gegen Arie warf, blockte er mich ganz locker ab, machte eine Körpertäuschung und war auf und davon. Die Duelle mit ihm im Training verbesserten mein Spiel von Mal zu Mal.

Wir waren eine gesund zusammengewürfelte Mannschaft aus Jung und Alt, unerfahren und routiniert. Verantwortlich für diese Mischung war Heribert Bruchhagen. Schon damals musste sich Herri einiges an Kritik gefallen lassen, den Fans war seine zurückhaltende, fast biedere Art oft ein Dorn im Auge. Sie wünschten sich spektakuläre Neuzugänge, doch Bruchhagen ging es erst einmal darum, die Eintracht wieder in ruhige Fahrwasser zu bringen. Wir waren als Fahrstuhlmannschaft verschrien und durch den Stadionumbau für die WM 2006 chronisch klamm, der Ruf der launischen Diva vom Main haftete uns immer noch an. Bruchhagen wollte das ändern und legte letztendlich das Fundament für den Erfolg in der Gegenwart. Er hat den wankenden Klub mit seiner besonnenen Art damals vor dem Absturz bewahrt. Viele wissen gar nicht, wie schlecht es um die Eintracht bestellt war. Wenn wir damals eine Pandemie gehabt hätten, wäre der Verein in wenigen Monaten am Ende gewesen.

Für mich als Jungprofi war es mit der Ruhe erst mal vorbei. Denn als solcher war ich auf einmal ein interessantes Thema für die Medien und für die Fans mit ihren Hoffnungen und Erwartungen. Auf einmal sollte ich Autogramme schreiben und Interviews geben. Etliche von diesen Anfragen lehnte ich ab, ich war schlichtweg zu scheu, um in der vordersten Linie zu bestehen. Einen Berater hatte ich damals noch nicht. Karlheinz Förster, der ehemalige Weltklasse-Verteidiger, wollte mich unter seine Fittiche nehmen, doch wozu brauche ich einen Berater, fragte ich mich, wenn ich meinen Vertrag eh schon unterschrieben hatte? Bald darauf nahm ich dann doch die Dienste eines Experten in Anspruch, aber viel zu tun hatte der Mann zunächst nicht.

Einen der wichtigsten Wegbereiter meiner noch jungen Laufbahn habe ich noch gar nicht vorgestellt. Was irgendwie auch passend ist, denn Friedhelm Funkel ist einer, der gerne im Hintergrund arbeitet. Zur neuen Saison war er Trainer in Frankfurt geworden, eine Entscheidung, die sich als sehr klug und umsichtig erweisen sollte. Anders als Willi Reimann suchte Funkel von Anfang an den Kontakt zu uns Spielern. Den gebürtigen Neusser habe ich als lockeren, umgänglichen Typen kennengelernt, als jemanden, der sich seit Jahrzehnten in der Fußballszene bewegt und diese Routine jeden Tag ausstrahlt. Dabei konnte er ordentlich auf den Putz hauen, wenn er es für nötig hielt. Offenbar hatte der neue Coach ein gewisses Faible für mich. Vielleicht erkannte er sich ja selbst ein bisschen in mir wieder. Ich glaube, er ahnte, dass ich einmal ein sehr wertvoller Spieler für die Eintracht werden konnte. Ohne solch einen Vertrauensvorschuss schafft es kein Nachwuchsspieler, sich in der Bundesliga durchzusetzen. Schon bald sollte ich das Vertrauen von Friedhelm Funkel allerdings auf eine harte Probe stellen …

Fünf Tage nach meinem 19. Geburtstag begann meine erste Profisaison mit einem Auswärtsspiel gegen Alemannia Aachen. Aachen hatte damals eine spannende Truppe mit Erik Meijer, dem jungen Simon Rolfes, Sérgio Pinto und Urgestein Willi Landgraf. Mir war klar, dass ich an diesem Tag nicht zum Einsatz kommen, ja nicht mal im Kader stehen würde. Aber Funkel wollte mir die Möglichkeit geben, schon etwas Zweitligaluft zu schnuppern. „Marco“, sagte er in der Woche vor dem Spiel zu mir, „ich nehme dich als 19. Mann mit, du setzt dich auf die Bank und schaust dir das Ganze einfach mal an.“ Gesagt, getan. Und so half ich beim Ein- und Auspacken des Mannschaftsbusses, machte mich mit den anderen warm und sah vor 20 000 Zuschauern am Tivoli, wie uns Reiner Plaßhenrich kurz vor Schluss das 1:1 einschenkte. In den kommenden Wochen war ich immer wieder als 19. Mann Teil der Zweitliga-Reisegruppe, meine Einsätze hatte ich in der zweiten Mannschaft, die in der Oberliga Hessen spielte. Für mich war das okay, ich stellte keine großen Ansprüche, sondern war froh, dabei sein zu dürfen und zu lernen.

Am neunten Spieltag mussten wir auswärts beim Spitzenreiter Fürth antreten. Erstmals hatte mich Funkel für seinen Kader nominiert. Zumindest theoretisch bestand jetzt die Möglichkeit, mein Profidebüt zu feiern. Christian Lenze brachte uns in Führung, bevor Sascha Rösler und Roberto Hilbert für Fürth trafen und unsere Gegner nach einer Stunde wieder in Front brachten. Währenddessen machte ich mich gemeinsam mit den anderen Kollegen von der Bank an der Seitenlinie warm, lockerte die Muskeln und sog die Atmosphäre auf. Zehn Minuten waren noch zu spielen, als mich Funkels Co-Trainer Armin Reutershahn zu sich rief. „Oha“, dachte ich, „jetzt geht es los.“ Letzte Instruktionen und dann schickte mich Funkel ins Feuer. Für den ausgewechselten Du-ri Cha sollte ich noch einmal Dampf nach vorne machen, um vielleicht doch noch einen Punkt mitzunehmen. Natürlich war ich mega angespannt, doch der erste Sprint über den Rasen wirkte wie eine Befreiung aus der Schockstarre. Adrenalin überschwemmte meinen Körper, ich war bereit, in diesen letzten Minuten alles reinzuwerfen, was ich anzubieten hatte. Kurz vor dem Abpfiff bekamen wir noch eine Ecke zugesprochen. Wie so oft im Training erprobt, rannte ich zum kurzen Pfosten, verlängerte mit dem Kopf – und drehte jubelnd ab, als einer meiner Mitspieler den Ball über die Linie drückte. Ausgleich in letzter Minute, Vorlage Marco Russ. Wie geil war das denn, bitte? Doch das schöne Gefühl hatte nicht lange Bestand. Entsetzt blickte ich zur Seitenlinie, wo der Assistent die Fahne gehoben hatte. Abseits, kein Tor. Endstand: 2:1 für die SpVgg Greuther Fürth. Bitter. Es dauerte aber nicht allzu lange, bis ich die Niederlage verdaut hatte. In den ersten zehn Zweitligaminuten meiner Karriere hatte ich mich ganz ordentlich verkauft. Prüfung bestanden. So konnte es weitergehen.

Nur sieben Tage später bekam ich die nächste Gelegenheit. Diesmal hatte Funkel einen richtigen Härtetest für mich vorbereitet. Gegen Unterhaching brauchten wir ganz dringend mal wieder einen Sieg, in den letzten sechs Partien hatten wir lediglich vier Punkte geholt und standen auf einem enttäuschenden 13. Platz. Für einen Absteiger aus der Bundesliga natürlich viel zu wenig. Entsprechend angespannt war die Stimmung vor dem Spiel. Ganz besonders bei mir, denn Funkel wollte mich diesmal von Beginn an bringen. In der Dreierkette neben Jens Keller und Markus Husterer sollte ich das gefährliche Offensivspiel der Süddeutschen ausbremsen. Doch diesmal setzte ich die Prüfung in den Sand. Setzen, sechs. Mein Gegenspieler an diesem Tag war Francisco Copado, ein quirliger Techniker, der mir ganz klar meine Grenzen aufzeigte und deutlich machte, was mir noch alles fehlte. Seien wir ehrlich: Copado nahm mich brutal auseinander. Schon nach 16 Minuten verursachte ich einen Elfmeter, den er lässig an Markus Pröll vorbei ins Tor schob. Und in der 53. Minute sah ich wieder nicht gut aus, als er den Deckel auf das Spiel machte. 0:2 verloren, aber auch eine ganze Lkw-Ladung an Erfahrung gewonnen. Was mich damals natürlich nicht über das miese Gefühl angesichts des miesen Auftritts hinwegtrösten konnte. Zu meinem Glück hieß unser Trainer Friedhelm Funkel. Obwohl er selbst aufgrund der schlechten Leistungen seiner Mannschaft gehörig unter Druck geraten war, nahm er mich und alle anderen jungen Spieler nach der Partie in Schutz. Er gab uns in der Niederlage das gute Gefühl, dass solche Spiele notwendig seien, um als junger Fußballer besser zu werden. Sein Verhalten half mir, dass ich trotz des Ausgangs stolz sein konnte auf mein Debüt über 90 Minuten. Wie hätte ich ahnen können, dass ich exakt sechs Monate warten musste, ehe ich wieder ein Zweitligaspiel absolvieren durfte?

Schuld an der langen Pause war ich selbst, und das kam so: Im Dezember 2004 war es so eisig kalt, dass der Rasen auf unserem Trainingsplatz gefroren war. Weil er über keine Rasenheizung verfügte, wurde das Training kurzerhand nach Bad Homburg verlegt. Ich wohnte damals in Hanau, eine staufreie Autofahrt von einer Stunde entfernt. Als ich morgens in meinen Golf III stieg, hatte es angefangen zu schneien. Das könnte schwierig werden, dachte ich mir, und meine Befürchtungen bestätigten sich, als ich die B 43a erreichte. Nichts ging mehr, Stau schon auf der Bundesstraße. In meinem kalten Auto hockend rechnete ich durch: In eineinhalb Stunden war Trainingsbeginn, niemals würde ich es bei diesen Verkehrsverhältnissen pünktlich nach Bad Homburg schaffen. Scheiße, und nun? Vielleicht hatte der Frost ja auch mein Gehirn befallen, jedenfalls entschloss ich mich, zurück nach Hause zu fahren, meinen Co-Trainer anzurufen und ihm mitzuteilen, dass ich krank im Bett läge und deshalb heute das Training sausen lassen müsste. Was für eine selten dumme Idee. Kein Plan, warum ich ihm nicht einfach die Wahrheit sagte. „Okay“, hörte ich es am anderen Ende der Leitung, „ruh dich aus und ruf morgen den Doc an, wenn es nicht besser wird. Gute Besserung.“

Doch ich hatte in Sachen dumme Ideen noch ein Ass im Ärmel. Statt tatsächlich zu Hause zu bleiben, schnappte ich mir meine Freundin und fuhr mit ihr in die Stadt zum Bummeln. Und während ich als offiziell krank gemeldeter Eintracht-Profi durch Hanau flanierte, klingelte zu Hause das Telefon. Mein Vater nahm ab. „Hallo, hier ist Rainer Falkenhain“, hörte mein Vater die Stimme unseres Teammanagers, „ich wollte mal fragen, wie es dem Marco geht.“ Meinen alten Herrn hatte ich natürlich nicht eingeweiht und so antwortete er wahrheitsgetreu: „Ach, dem geht’s gut, der ist gerade mit seiner Freundin in der Stadt unterwegs.“ Das war natürlich nicht das, was die Verantwortlichen hören wollten. Sie drückten den roten Notfall-Knopf. Ein Jungschnösel, der sich mit einer Lüge vom Training abmeldet, weil er lieber shoppen geht, um nicht bei Minusgraden seine Kilometer abreißen zu müssen – das ging gar nicht! Völlig ahnungslos zog ich beim Verlassen eines weiteren Modeladens das Handy aus meiner Tasche, um meine Nachrichten zu checken. Drei Abrufe in Abwesenheit, eine Nachricht auf der Mailbox: „Junge“, knurrte die Stimme von Friedhelm Funkel, „sieh zu, dass du in der nächsten halben Stunde in meinem Büro aufkreuzt, sonst brauchst du nämlich überhaupt nicht mehr wiederzukommen.“

Panisch erklärte ich meiner Freundin kurz die Situation, hetzte zum Auto und raste in Rekordzeit nach Frankfurt. Dort sprintete ich in das Büro des Trainers. „Du Vollidiot“, schrie ich mich innerlich selbst an, „was ist, wenn der dich rausschmeißt? Dann landest du zur Strafe doch noch in Offenbach!“ Zu meiner allergrößten Verwunderung folgte Funkel meiner Erklärung und akzeptierte meine Entschuldigung: „Du bist jung, du bist naiv, so was kann passieren. Solange du aus der Geschichte lernst, ist die Angelegenheit für mich vom Tisch. Wichtig ist jetzt noch, dass du dich bei der Mannschaft entschuldigst. Ich kann dich allerdings auch nicht ungestraft davonziehen lassen. Das Ding ist nur: Geld kann ich dir nicht abknöpfen, denn du hast keins. Folgendes: Du gehst die nächsten Wochen zurück zu den Amateuren, bietest dich da an und dann sehen wir weiter. Und jetzt verschwinde.“

Mir fiel eine Lkw-Ladung Steine vom Herzen. Funkel hatte mich nicht hochkant rausgeschmissen, er hatte mich auch nicht zur Schnecke gemacht, nein, er hatte mir lediglich klipp und klar seine Meinung gegeigt und mir meine gerechte Strafe aufgebrummt. Damit konnte ich sehr gut leben. Was sein Verhalten für meine weitere Karriere bedeutete, konnte ich damals allerdings noch nicht ahnen. Heute weiß ich, dass mich ein anderer Trainer sehr wahrscheinlich vor die Tür gesetzt hätte. Im Profifußball darf man sich solche Aussetzer nicht erlauben, schon gar nicht als Novize. Es ist ein hartes und bisweilen raues Geschäft. Mein Glück, dass ich im Dezember 2004 von einem der Großen in der Szene trainiert wurde. Keine Ahnung, was ohne Friedhelm Funkel aus mir geworden wäre. Einige Wochen bestellte er mich erneut zu sich und sagte: „Ich hoffe, so was passiert dir nie wieder.“ Und damit war die Sache für ihn erledigt und vom Tisch.

In der Tabelle hatten wir uns zwischenzeitlich immer weiter nach oben gekämpft, die Hinrunde beendeten wir auf Platz 5 und damit in Sichtweite der Aufstiegsränge. Was auch die Fans mit uns versöhnte, denn anders als heute war die Stimmung in der Kurve ziemlich aufgeheizt. Machten wir ein paar schlechte Spiele, bekamen wir das umgehend zu spüren. Einmal schlichen sich ein paar Anhänger in die Wintersporthalle hinter dem Stadion, wo wir uns zum damaligen Zeitpunkt umzogen, und hängten Banner mit all unseren Niederlagen auf. Eine Drohung, die ein ganz schön mulmiges Gefühl hinterließ. Dass unsere Leute in der Rückrunde wieder mehr zu feiern hatten, lag auch an einem alten Bekannten, der uns seit der Winterpause verstärkte: Jermaine Jones, ein echter Frankfurter Bub, der sich bei Bayer Leverkusen nicht richtig hatte durchsetzen können und auf Leihbasis zurück in die Heimat gekommen war. Auch er konnte sich beim Trainerteam Funkel/Reutershahn bedanken, denn die beiden schulten den offensiven Jones zum defensiven Mittelfeldmann um, eine Position, die ihn später sogar zum Nationalspieler machen sollte. Jonesy war einer, der durch seine Art polarisierte. Er war kein ganz einfacher Typ, aber weder auf noch abseits des Platzes ist er mir je negativ aufgefallen. Im Gegenteil, ich fand es großartig, dass er sich nicht verbiegen ließ. Er war einer, der sagte, was er dachte, einer dieser „echten Typen“, die immer so vermisst werden. Die Kehrseite der Medaille: Ähnlich wie später Kevin-Prince Boateng bekam er den Stempel des „Bad Boy“ aufgedrückt, und diesen Stempel wurde er nicht wieder los, ganz egal, was er machte. Ich finde es schade, dass wir in Deutschland so schnell dabei sind, die Menschen in Schubladen zu packen. Natürlich ist es nicht die Aufgabe eines Profifußballers, die Klappe aufzureißen, andererseits sind mir Lautsprecher wie Boateng und Jones deutlich lieber als jene, die immer nur brav mit dem Strom schwimmen. Sowohl Jonesy als auch Boateng sind überragende Fußballer, die außerdem ihr Ding durchgezogen haben. Mit beiden bin ich sehr gut klargekommen.

Vor allem auch dank Jonesy kämpften wir uns in der zweiten Saisonhälfte immer weiter nach vorne und hatten am letzten Spieltag Wacker Burghausen zu einem echten Endspiel zu Gast. Vor der Partie standen wir mit einem Punkt Vorsprung vor 1860 München auf Platz 3, und weil es damals noch keine Relegation gab, hätte das zum Aufstieg gereicht. Die Münchener empfingen zeitgleich LR Ahlen, sie mussten gewinnen, um uns noch vom Platz an der Sonne zu verdrängen. Sonntag, 22. Mai 2005, 15 Uhr, wieder einer dieser Tage, die sich im kollektiven Eintracht-Gedächtnis eingebrannt haben. 42 772 Zuschauer waren da, natürlich ausverkauft, und schon nach 17 Minuten ließen wir sie jubeln. Benny Köhler traf zum 1:0, alle hofften, dass der Drops damit gelutscht war. Doch es dauerte noch bis zur 66. Minute, ehe uns Alex Meier mit einem Freistoß endgültig erlöste. In München stand es derweilen 3:2 für Ahlen, jetzt konnte eigentlich nichts mehr schiefgehen. Bereits zehn Minuten vor dem Abpfiff verteilte Franco Lionti die Aufstiegsshirts und wir machten uns langsam warm für die Party des Jahres. Für die Kirsche auf der Torte sorgte dann Markus Beierle mit seinem 3:0. Außer Rand und Band stürmten wir auf den Rasen und begruben den armen Markus unter uns. Was für ein grandioses Ende meiner ersten Saison. Weißbierduschen im Waldstadion, Balkonparty am Römer und anschließend alle Mann weiter Richtung Galerie Beachclub. Von der Nacht habe ich nicht mehr viel auf der Festplatte, ich weiß nur noch: Sie war lang und ziemlich feuchtfröhlich. Ich hatte zwar nur 111 Zweitliga-Minuten auf dem Konto, aber egal, ich fühlte mich als Aufsteiger, und dieses Gefühl war viel zu schön, um nicht voll ausgekostet zu werden. Endlich war die Eintracht wieder da, wo sie hingehörte – und ich, wo ich mich hingeträumt hatte: in der Ersten Fußballbundesliga.

Kämpfen. Siegen. Leben.

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