Читать книгу DSA 128: Der Pfad des Wolfes - Alex Spohr - Страница 7

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Haerad Mortakh

Als sich Druan und Daragh dem Eingang des Palisadenwalls näherten, öffneten die Wächter das Tor und grüßten sie freundlich. Druan erblickte Gaschnig bren Barwad, den Sanftmütigen. Er war auch ein Durro-Dûn, folgte jedoch Arrardh, dem Großen Bären, und war fast so groß wie ein Trollkind. Zu jedem war er hilfsbereit und freundlich, vor allem zu den Kindern. Er kämpfte nicht gern, sondern war vor allem in der Heilkunst bewandert. Doch wenn es sein musste, so konnte er in einen Kampfrausch verfallen, der jeden Gegner das Fürchten lehrte. Druan betrachtete Gaschnig als einen seiner Freunde und begrüßte ihn besonders herzlich. Bärtig war er und besaß einen breiten Mund. Sein Lachen konnte man noch bis zur anderen Seite des Haerad vernehmen. Er besaß eine bekannte Axt, sie war Familienbesitz und hatte in der Vergangenheit schon so manchem Oger den Schädel gespalten.

»Mögen dein Odûn und Natûru-Gon mit dir sein, mein Freund«, rief Druan ihm zu.

»Schön, euch zu sehen. In letzter Zeit habe ich euch selten in Mortakh erblickt«, antwortete der Durro-Arradh-Dûn.

Daragh, der nur knapp hinter Druan stand, antwortete für diesen: »Wir waren in den Wäldern und im Moor. Druan hat seine Krallessa vollendet. Er ist nun ein wahrer Durro-Dûn!«

Gaschnig musterte Druan einen kurzen Augenblick und fuhr dann fort: »Seltsam, er sieht eigentlich noch genauso aus wie vorher, wie ein Hasenfuß.«

Bei dieser Bemerkung begannen er und die andere Wache laut und herzhaft zu lachen. Während Daragh empört wirkte, fiel Druan in das Gelächter mit ein. Er wusste, dass für Gaschnig jeder außer ihm selbst ein Hasenfuß war, und er war sich sicher, dass sich der Bärenkrieger in Wirklichkeit für ihn freute.

Vor einigen Monden hatte es eine große Schlacht gegen die Orks gegeben. Die Schwarzpelze hatten es gewagt, nicht nur in das Territorium des Haerad Mortakh einzudringen, sondern gar auch noch eines der heiligen Brenna-Gons – ein Mammut – zu töten. Die Mortakher hätten die Orks weiterziehen lassen, wären sie friedlich geblieben, aber nachdem sie Natûru-Gon selbst herausgefordert hatten, beschloss der Yalding mit den Brenchi-Dûn, dass man die Orks für ihre Untat bestrafen musste.

Gaschnig und Bartakh hatten den Angriff angeführt. Druan selbst war damals noch zu jung gewesen, noch nicht in der Zeit der Reife und mitten in der Vorbereitung auf seine Krallessa, doch er hatte aus den Geschichten der Stammeskrieger gehört, dass Natûru-Gons und Ifrunns Rache über die Orks gekommen war. Es war ein glorreicher Sieg gewesen. Alle Schwarzpelze waren erschlagen worden. Obwohl Bartakh dafür gestimmt hatte, auch die Orkfrauen und die Kinder zu töten, weil er deren Rache fürchtete, hatte Gaschnig darauf bestanden, sie gehen zu lassen.

Bartakh hatte ihm nicht verziehen, dass er seinen Willen gegen ihn durchgesetzt hatte. Die Entscheidung hatte die Stammeskrieger in zwei Lager gespalten, von denen die einen Gaschnig zustimmten und die anderen Bartakh folgten. Druan selbst hatte lange Zeit darüber nachgedacht, wem er zustimmen sollte. Er konnte Bartakh auf der einen Seite durchaus verstehen. Die Orkfrauen würden entweder auf ihrer Reise sterben oder zu Sklaven von anderen Orks werden und so weitere Orkkrieger gebären, die in spätestens zehn Jahren eine Gefahr für Mortakh darstellen würden und sich mit Freude an der Jagd auf die Brenna-Gons beteiligen würden. Auf der anderen Seite lag kein Mór – keine Ehre – darin, Wehrlose abzuschlachten. Die Götter höchstselbst konnten den Gjalskern so etwas übelnehmen. Druan glaubte, dass er so wie Gaschnig gehandelt hätte, allein schon deswegen, weil er ihn für einen großen Krieger hielt, dem Ehre viel bedeutete, genauso wie ihm.

Druan und Daragh verabschiedeten sich von Gaschnig und dem anderen Wächter und gingen schnellen Schrittes zu Daraghs moosbewachsenem Haus. Daragh schob das Fell zur Seite, das den Eingang verhüllte. Im Inneren war es warm und gemütlich. Es brannte ein Feuer, und Gedwed, der Schüler Daraghs, saß dort und schaute in die Flammen. Als er jedoch Daragh und Druan erblickte, erhob er sich hastig. Druan merkte ihm deutlich an, dass er aufgeregt und nervös war.

»Bei Sindarras Weisheit und Güte, ihr seid beide wieder da!«

»Aber natürlich sind wir das, Ged. Hast du je daran gezweifelt?«, merkte der Brenoch-Dûn neckend an.

Gedwed sah irritiert und beschämt aus. Druan musste schmunzeln, wusste er doch, dass Daragh seinen jungen Schüler hin und wieder auf den Arm nahm. Gedwed, der von allen nur Ged genannt wurde, war ein dünner Bursche von mittlerweile siebzehn Jahren und galt als tapsig und ungeschickt. Dass er eines Tages der Nachfolger des großen Daragh werden würde, konnten sich weder Druan noch die meisten anderen Mortakher vorstellen. Doch Daragh hielt viel von dem Jungen und sah in ihm offenbar etwas, das die anderen nicht erkennen konnten. Ged hatte auf jeden Fall einen wachen Verstand und begriff sehr schnell. Zudem kannte er sich sehr gut mit Kräutern aus. Vor einigen Monden hatte er eine Beinwunde Druans behandelt, und sie war sehr gut und außergewöhnlich schnell verheilt.

Druan vertraute Daraghs Urteil. In Ged steckte ein Brenoch-Dûn, doch er hatte noch viel zu lernen.

»Verzeiht mir bitte. Ich dachte, ich hätte im Feuer ein schlimmes Omen gesehen. Die Ahnen waren aufgeregt, vielleicht sogar erzürnt«, entschuldigte sich der junge Bursche.

»Aufgeregt warst nur du. Die Ahnen waren tatsächlich heute Nacht hier, aber im Moor. Druan wandelte auf dem Pfad des Wolfes, und der Madadh hat ihn erhört. Er ist nun ein Durro-Madadh-Dûn.«

»Ich beglückwünsche dich, Druan bren Anargh! Du hast es verdient.«

»Danke, Gedwed. Ich habe den Großen Wolf gesehen, doch ich verstehe nicht alles, was er mir gesagt hat. Die Geisterwelt ist ein Ort, wo deine Sinne dich trügen können. Ich hoffe, dass ich für Mortakh und den Madadh Ehre erlangen werde. Doch nun will ich schlafen, ich bin müde wie noch nie zuvor in meinem Leben. Eine Erschöpfung meines Geistes, nicht meines Körpers.«

Ged hatte bereits die Schlafstätten vorbereitet. Sowohl Druan als auch Daragh legten sich auf ihre Felle und waren kurze Zeit später eingeschlafen. Ged weilte noch länger am Feuer und starrte in die Flammen, denn was er dort gesehen hatte, beunruhigte ihn trotz Daraghs Worten noch immer.

***

Als sich Dharra am nächsten Tag wieder zeigte, fühlte sich Druan nicht mehr ganz so müde. Während der Brenoch-Dûn und sein Schüler noch schliefen, machte er sich auf den Weg zum Fluss.

Das Haerad war bereits erwacht, und die ersten Gjalsker kamen verschlafen aus ihren Häusern. Nur diejenigen, die sich um die Tiere kümmern mussten oder Wache gehalten hatten, waren schon oder immer noch auf den Beinen.

Druan erblickte Harun bren Meku, den stillen Jäger. Er war ein paar Jahre älter als Druan und galt als einer der besten Jäger Mortakhs. Gerade rüstete er sich zur täglichen Jagd, so wie er es immer machte. Meist kehrte er mit Beute zurück, bevor Sindarras Auge am Himmel verschwand. Druan sah ihn des Öfteren in den Wäldern, denn Harun unternahm manchmal weite Streifzüge. Wenn die Jagd die Mortakher in die Ferne führte, war er meist einer von jenen, die die Führung übernahmen. Manchmal zogen die Jäger sogar bis nach Rayyadh, einem weiter östlich gelegenen Haerad. Von dort stammte Haruns Frau Griwer brai Hasda. Sie war eine gemütliche Frau, die ihren Mann immer auf den Reisen nach Rayyadh begleitete, um ihre Familie zu besuchen und im Auftrag des Yaldings von Mortakh mit den Rayyadhern zu verhandeln.

»Guten Morgen, Harun. Gehst du auf die Jagd?«

Der stille Harun wirkte geistesabwesend, doch als er Druan ansah, lächelte er. »Ja.«

»Geht es nach Rayyadh mit den anderen, oder gehst du allein auf Jagd?«

»allein.«

Druan galt als jemand, der nur das sagte, was notwendig und wichtig war. In der Wildnis sprach er manchmal viele Tage mit keinem Menschen. Aber Harun wurde nicht umsonst der Stille genannt, neben ihm musste Druan als wortgewandt angesehen werden.

»Wann brichst du denn mit Griwer nach Rayyadh auf? Es müsste ja bald wieder so weit sein?«

»Griwer ist bei unserem letzten Besuch bei ihrer Familie geblieben. Ich hole sie bei der nächsten Reise wieder ab.«

Druan verstand. Harun war deshalb so wortkarg, weil er seine Frau vermisste. Vor drei Jahren hatte sie den Herzensbund mit ihm geschlossen. Sie war eine gute Frau und machte sich im Haerad sehr nützlich. Ihre Hände waren geschickt beim Korbflechten, darin war sie von allen Bewohnern des Haerad am besten. Harun sah man an, dass er sie vermisste.

»Dann viel Erfolg bei der Jagd, und möge Ifrunn deine Pfeile sicher zu ihrem Ziel führen.«

Harun nickte, und Druan ging weiter in die Richtung des Tors. Gaschnig und die andere Nachtwache waren bereits abgelöst worden.

Druan ging schnellen Schrittes zum Fluss. Der Tag war mild und freundlich. Unterwegs erblickte er einige andere Mortakher, denn nicht alle lebten innerhalb der Palisade. In der Umgebung des Haerad gab es mehrere kleine Höfe. Die Schaf- und Rinderhirten hatten ihre Tiere aus den Ställen gelassen und ließen sie in der Umgebung grasen. Druan kam auch an den Rübenfeldern vorbei und sah, wie sich die dort ansässige Bauernfamilie fleißig um die Ernte kümmerte. Er winkte ihnen kurz zu, und sie grüßten zurück. Unweigerlich kam ihm eine Situation aus seiner Kindheit in den Sinn, als seine Mutter ihn mit Rübenbrei hatte füttern wollen. Aber die orangefarbene Masse war nichts für ihn, damals wie heute, und so hatte er sie wieder ausgespien. Ihn erfreute ein Hasenbraten oder ein Stück Keule vom Wildschwein weitaus mehr.

Als er endlich am Fluss angekommen war und auf einer kleinen Erhebung stand, sah er, dass bereits jemand im Wasser war: Caltha, die Tochter des Yalding, des Häuptlings von Mortakh. Sie war eine gutaussehende Frau mit roten Haaren, und sie würde Yaldingra werden, sobald ihr Vater Marzagh in Zwanfirs Reich einkehrte. Schon jetzt galt sie als die klügste Frau von ganz Mortakh, sie besaß Weitsicht und Mut und konnte sowohl gut mit den anderen Haeradi als auch mit den Nivesen und Norbarden verhandeln.

Sie wusch sich gerade, hatte ihre Kleidung am Ufer des Flusses abgelegt und Druan den Rücken zugewandt. Er wollte gerade weitergehen und sich eine etwas weiter entfernte Stelle suchen, als sie ihn bemerkte und sich umdrehte. Im ersten Augenblick war sie wohl überrascht, doch dann lächelte sie und sah Druan freundlich an. »Guten Morgen.«

»Guten Morgen, Caltha brai Marzagh.«

»Du bist früh auf. Gaschnig erzählte mir, dass du deine Krallessa bestanden hast. So bist du nun also ein Durro-Dûn. Bist du letzte Nacht wirklich deinem Odûn begegnet?«

»Ja, ich sah den Madadh, und ich sprach mit ihm. Ich spüre auch, dass er mich berührt hat. Doch ich kann noch nicht sagen, wie ich seinen Willen erfülle.«

»Bestimmt wird dir der Wolf bald offenbaren, was er von dir möchte. Habe Geduld.«

Druan und Caltha waren im gleichen Alter. Sie und Savia waren von allen Frauen in Mortakh die begehrtesten. Doch obwohl sie ebenso schön wie klug war, interessierte sich Druan nicht für sie.

In diesem Moment entdeckte er auf der anderen Seite des kleinen Flusses eine Gestalt. Bartakh.

Der Tierkrieger starrte Druan finster an, seine kleinen Augen blitzten ihn förmlich an und seine Mundwinkel zuckten, was Druan an der Bewegung seines Bartes erkennen konnte.

Bartakh sah aus, als wolle er ihm am liebsten eine Branndori, eine Blutfehde, ankündigen. Jeder im Haerad wusste, dass Bartakh und Caltha einander liebten. Sie hatten sich schon lange gefunden, allerdings noch keinen Herzensbund geschlossen, was viele junge Mortakher dazu veranlasste, sich insgeheim doch noch Hoffnungen zu machen. Doch Bartakh war überaus eifersüchtig, und offensichtlich hatte Druan diese Eifersucht gerade geweckt.

»Ja, so wird es sein. Ich muss los, Caltha.« Er verabschiedete sich eilig von der Tochter des Yaldings, die ihm verständnislos hinterherblickte. Sie war es nicht gewohnt, dass man ein Gespräch mit ihr so abrupt beendete. Doch als sie sich umschaute, bemerkte sie den nun langsam am Ufer entlanggehenden Bartakh und ahnte, warum Druan die Flucht ergriffen hatte.

Ein Stück weiter erreichte Druan eine andere Stelle, die sich für ein Bad eignete. Gerade wollte er sich entkleiden, da sah er, dass ihm schon wieder jemand zuvorgekommen war. Einige Schritte weiter weg stand Savia und entledigte sich gerade des Haarbandes, das ihre blonden Zöpfe zusammenhielt. Druan beobachtete sie so fasziniert wie ein Wolf, der sich an einen Hasen heranschlich. Nach und nach legte sie Fellumhang und Rock ab, ließ ihr Schwert zurück und stieg ins Wasser.

Es war nicht nur ihr Aussehen, das Druan so faszinierte. Sie hatte etwas in sich, etwas Kämpferisches, etwas Leidenschaftliches, und das schlug Druan in ihren Bann. Da sie ihn wohl noch nicht bemerkt hatte, sprach er sie vom Ufer aus an. »Ist das Wasser kalt?«

Savia zuckte zusammen, nicht weil sie sich vor Druans Blicken schämte, sondern weil sie ihn bisher tatsächlich noch nicht bemerkt hatte.

»Der Sohn von Anargh, dem alten Schafhirten. Was schleichst du dich so an mich ran?«, rief sie ihm trotzig entgegen, während sie an einer tieferen Stelle im Fluss Wasser trat.

»Ich will baden, so wie du auch.«

»Worauf wartest du dann?«, rief sie ihm spöttisch zu und grinste.

Druan begann, sich ebenfalls seiner Kleidung zu entledigen und betrachtete dabei sein Thar’an Mór, das Hautbild um seinen Bauchnabel herum. Die Schlange auf dem Sonnenrund war das erste Bild, das einem Gjalskerländer nach seiner Geburt zustand. Nach seiner erfolgreichen Krallessa war er nun bereit für ein weiteres Thar’an Mór: die Wurzeln des Lebensbaumes, die sich ausgehend vom Sonnenrund zu seinem Becken und zu seiner Brust ziehen würden.

Savia, die nun näher kam und nur noch bis zur Hüfte im Wasser stand, hatte ihre Krallessa bereits letztes Jahr hinter sich gebracht. Ihren Körper zierten bereits die Wurzeln des Lebensbaumes – ein wunderschönes Hautbild.

Auch an ihrem rechten Arm war ein Bild zu sehen, die Darstellung eines gewaltigen Wolfes. An dieser Stelle stand das Thar’an Mór für persönliche Heldentaten. Savia hatte eine gefährliche Bestie, einen weißen Wolf, getötet, der zahlreiche Schafe gerissen und auch die Hirten bedroht hatte. Druan hatte das Tier damals leidgetan, aber es hatte keine andere Wahl gegeben, der Wolf hatte sich nicht vertreiben lassen und schien tollwütig gewesen zu sein.

Ihren linken Arm zierte jedoch noch kein Bild, denn der war für persönliche und familiäre Ereignisse reserviert, zum Beispiel die Geburt der eigenen Kinder oder auch einen Herzensbund.

Er kannte Savia von Kindesbeinen an, auch wenn er die letzten Jahre mehr in der Wildnis als im Haerad verbracht hatte. Er glaubte, dass Savia die gleichen Gefühle hegte, doch anscheinend waren sie noch nicht bereit füreinander. Was hatte er ihr auch zu bieten? Er war ein Durro-Dûn, kein einfacher Jäger oder Krieger. Sein Leben würde anders verlaufen als das der anderen Mortakher. Er glaubte nicht, dass sie mit ihm glücklich werden konnte. Und doch hoffte er. Er mochte ihre Art und wie sie sich bewegte. Sie war zierlich im Vergleich zu den Kriegerinnen, doch das gefiel Druan. Frauen, die nur aus Muskeln bestanden, reizten ihn wenig. Savia war athletisch und schnell wie der Wind. Sie hatte ein hübsches Gesicht, vielleicht eine etwas zu breite Nase, aber auch das gefiel den meisten Männern.

»Wird das heute noch was?«, rief sie ihm ungeduldig zu und schwamm wieder zu den tieferen Stellen des Flusses. Druan stieg ins Wasser und watete, bis es tief genug war, um sich hineinzuwerfen und zu schwimmen.

Sie tollten durchs Wasser und spielten gemeinsam wie in früheren Zeiten. Ursprünglich hatte er gar nicht so lange im Wasser verweilen wollen, doch er konnte sich Savia nicht entziehen. Erst als sie sich wieder ans Ufer begab und sich ankleidete, folgte er ihr nachdenklich.

»Wirst du am Palenkel teilnehmen?«, fragte sie ihn.

»Nein. Ich fühle mich dieses Jahr noch nicht bereit dazu. Ich werde mir stattdessen heute noch ein neues Hautbild stechen lassen. Nun ja, zumindest wird Islogh damit anfangen müssen. Was ist mit dir?«

»Ja, ich werde daran teilnehmen. Es wird schwer werden, aber sofern Natûru-Gon und Wolkenkopf auf meiner Seite sind, werde ich gewinnen.«

»Ein stolzes Vorhaben. Aber Bartakh wird gewinnen.«

»So viel zu deiner Unterstützung«, antwortete sie und machte einen Schmollmund.

»Du bist eine gute Kriegerin und wirst weit kommen, dessen bin ich sicher. Aber Bartakh ist der beste Krieger des ganzen Haerad. Er ist bereits ein Gon. Ich kenne niemanden, der sich mit ihm messen kann. Du hast es selbst erlebt. Du warst es, die mir erzählt hat, wie er die beiden Leibwächter des Orkhäuptlings und den Häuptling selbst getötet hat. Und vorher noch drei weitere Orks. Wolkenkopf ist mit ihm und auch sein Odûn.«

»Wir werden sehen. Noch hat Bartakh nicht gewonnen.«

Savia wirkte beleidigt, sie ging ohne ein weiteres Wort davon. Druan biss sich auf die Lippen. Er war schon immer ein Mensch gewesen, der das sagte, was er dachte. Er wünschte Savia den Sieg, doch Bartakh war wahrhaftig von Wolkenkopf gesegnet. Er selbst traute es sich nicht zu, gegen ihn zu bestehen, und er war im Gegensatz zu Savia ein Durro-Dûn. Selbst Gaschnig würde wohl verlieren.

Es gab nur eine Disziplin, in der Bartakh verlieren würde. Denn auch, wenn er im Nahkampf nicht zu bezwingen war, so war er doch recht kurzsichtig und hatte deswegen große Schwierigkeiten, mit einem Wurfspeer oder einem Pfeil ein Ziel zu treffen. Da könnte ihn tatsächlich jemand besiegen, vielleicht Islogh, der es verstand, mit solchen Waffen umzugehen. Doch Bartakh hatte das Gon’da-Gon-Palenkel in Niellyn gewonnen. Nein, er würde nicht verlieren.

Druan kehrte wieder ins Haerad zurück, denn er musste zu seinem Yalding gehen und Marzagh von der gelungen Krallessa in Kenntnis setzen. Zudem wollte er Islogh aufsuchen, denn der Durro-Skregna-Dûn, der Diener des Feuermolches, war ein geschickter Zeichner und würde Druans Hautbild stechen. Man musste es Islogh nur manchmal sehr geduldig erklären, was man von ihm wollte, denn er hörte nicht sonderlich gut.

Mittlerweile war auch der Rest des Haerad wach und ging dem Tagwerk nach. Eine Gruppe von Jägern machte sich gerade auf den Weg, als Druan ankam. Während einige Männer und Frauen vor ihren Hütten saßen und Körbe herstellten, stand der Schmied an seiner Esse und arbeitete an einer neuen Klinge. Gerade als er sie zum Abkühlen in einen Bottich Wasser tauchte und das Zischen des erkaltenden Stahls zu hören war, huschten einige freche Kinder durch die Schmiede und spielten Fangen.

Druan konnte sich kaum daran erinnern, wie es ganz früher gewesen war. Er wusste noch, dass auch er gespielt hatte, mit Savia, Caltha und anderen Kindern, doch sein Leben hatte erst wirklich begonnen, als der alte Daragh erkannte, dass in ihm ein Durro-Dûn schlummerte. Da war er fortgeschickt worden, hatte nicht mehr innerhalb des Palisadenwalls gelebt, sondern in einer kleinen Hütte im Wald, die Daragh ab und an nutzte, wenn er längere Zeit in der Wildnis unterwegs war, um Kräuter und Wurzeln zu sammeln, oder er mit den Geistern und den Göttern allein sein wollte.

Irgendwie vermisste Druan seine Kindheit. Ihm war erst jetzt bewusst geworden, dass er nun als Mann galt. Seinen Vater und seine Mutter hatte er oft in der Berghütte besucht. Sie hatten ein einfaches und bescheidenes Leben geführt, waren beide keine Krieger gewesen. Doch starb sein Vater vor ein paar Jahren, als er einem Schaf hinterhergeeilt und abgestürzt war. Der Rest der kleinen Familie, seine Cousinen und sein Onkel, lebten hinter dem Palisadenwall, doch hatte er kaum eine Beziehung zu ihnen.

Er hatte die Zeit der Blüte mit der erfolgreichen Krallessa hinter sich gelassen und war nun in der Zeit der Reife. Das bedeutete, dass er ein echter Krieger war, ein Mann, ein Erwachsener. Dennoch wusste er nicht, was ihm die Zukunft bringen würde. Sein ganzes Leben lang waren die Initiation und das Treffen mit dem Großen Wolf das wichtigste Ereignis in seinem Leben gewesen, darauf hatte er sich mit Daraghs Hilfe vorbereitet. Nun hatte er die Nacht der Krallessa hinter sich.

Ich kann nicht auf Dauer hierbleiben. Und dennoch weiß ich nicht, wohin. Warum hast du, o Großer Madadh, mir nicht gesagt, was zu tun ist? Wohin soll ich gehen? Du hast kaum mit mir gesprochen.

Trotz des aufkommenden Selbstzweifels schritt Druan auf das lange Haus zu, das Haus des Yaldings. Dort angekommen, schob er das Fell am Eingang beiseite und trat ein.

Er konnte an einem Tisch vier Gestalten ausmachen. Einer davon war der alte Yuchdan, ein Brenoch-Dûn, der oftmals mit Daragh um die Deutung des Willens der Ahnen stritt, aber dennoch beim Yalding sehr angesehen war. Sein schlohweißes Haar hing ihm bis zur Hüfte hinab, und er verwendete in letzter Zeit einen Stock als Gehhilfe. Er war schon lange in der Welke, doch niemand wagte es, ihm das zu sagen.

Ein weiterer Mann, groß und dicklich, saß neben dem Brenoch-Dûn. Es war Ifrundach bren Wuran, ein Tierkrieger, der von Yuchdan aufgezogen worden war, wie Daragh Druan erzogen hatte. Er aß gerade aus einer hölzernen Schüssel, mehr wie ein Tier als wie ein Mensch.

Ganz wie sein Odûn, das Wildschwein, dachte Druan still in sich hinein.

Der dritte war der Sohn des Yaldings, Kazan mit Namen. Er war noch jung, kaum älter als Ged, und hatte rote Haare. Meist war er still und nachdenklich, fast wie ein Brenoch-Dûn, er war jedoch weder ein Schamane, noch hatte er eine andere überragende Fähigkeit und war für die Mortakher ein Klotz am Bein. Deshalb sahen viele Mortakher in ihm niemand Wichtiges.

Und da war Marzagh bren Chank, der bärtige und kräftige Yalding, der schon seit zwanzig Jahren ein guter Anführer war, genauso wie es sein Vater vor ihm gewesen war.

Druan ging auf den Tisch zu und stellte sich davor. Ifrundach hörte auf zu essen und stellte die Schüssel ab. Der gefräßige Tierkrieger gab ein Breken von sich, doch Druan irritierte das kaum, er war dies von ihm gewohnt.

Dem Yalding gebührte es, zuerst die Stimme zu erheben: »Druan bren Anargh, was führt dich in mein Haus?«

»O mächtiger Yalding Marzagh. Ich bin hier, damit du erfährst, dass ich mich nun in der Zeit der Reife befinde. Gestern Nacht habe ich meine Herausforderung, meine Krallessa, hinter mich gebracht und bin meinem Odûn begegnet. Ich bin bereit, dem Haerad Mortakh fortan als erwachsener Mann und als Krieger, als Durron, zu dienen.«

Bevor der Yalding etwas sagen oder Glückwünsche aussprechen konnte, polterte Ifrundach dazwischen: »Du? Ein Durro-Dûn? Du bist noch zu jung dafür und nicht stark genug.«

»Stimmt, so fett wie du bin ich nicht.«

Gerade wollte sich Ifrundach erheben, um die Schmähung zu vergelten, da unterbrach Kazan ihn: »Lass gut sein, großer Ifrundach. Druan bren Anargh wäre nicht hier, wenn es nicht so wäre, wie er sagt. Daragh erzählte meinem Vater und mir bereits vor Tagen, dass er Druan auf die Initiation vorbereitet. So sei also willkommen im Kreis der Krieger, Druan bren Anargh.«

Zwar war es für Druan verwunderlich, dies aus dem Munde Kazans zu hören, denn dieser war, wie Gaschnig es formuliert hätte, ein Hasenfuß und kein Krieger, aber er nahm die Anerkennung dankend an. Kazan war ein Redner, und Redner brauchte man vielleicht im Süden, aber nicht hier.

»Ich danke dir, Kazan bren Marzagh. Ich hoffe, ich werde dem Haerad Mortakh große Ehre machen.«

Der Yalding wollte nun seinem Sohn in nichts nachstehen und erhob ebenfalls die Stimme: »Druan, dein Vater und ich, wir spielten früher als Kinder miteinander, genauso wie du und meine Tochter Caltha. Es macht mich glücklich, zu sehen, dass ihr beide eure Prüfung bestanden habt und nun Erwachsene seid. Ich hege überhaupt keinen Zweifel daran, dass du uns Ehre machen wirst. Daragh hat mir oft erzählt, wie geschickt du bist und dass niemand es mit deiner Ausdauer aufnehmen kann.«

»Hab Dank, Yalding.«

Marzagh erhob sich, ging auf Druan zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Es ist ein gutes Zeichen, dass du einen Tag vor dem Palenkel die Krallessa bestanden hast. So haben wir bald gleich zwei Sachen zu feiern. Geh zu Turdoch, er soll damit beginnen, dir ein Thar’an Mór zu stechen.«

»Turdoch? Aber er übt seine Kunst doch nur noch bei deiner Familie aus.«

»Dein Vater und ich, wir waren Blutsbrüder, das Blath’Braha verband uns. Es hätte ihm sicherlich gefallen, und ich bestehe darauf. Auch die Schlange stammt von Turdoch, dem Meister der Bilder.«

Druan war überrascht, denn er hatte nicht gewusst, dass Anargh und Marzagh Blutsbrüder waren. Er verabschiedete sich von Marzagh und Kazan und auch den anderen beiden Anwesenden, obwohl sie nicht seine Freunde waren, und trat wieder hinaus in die kühle Luft. Wieder waren seine Gedanken weit weg, bei Savia, dem Großen Madadh, bei Caltha und Bartakh.

Doch er wischte seine Tagträume kurzerhand fort und ging zielstrebig zur anderen Seite des Dorfes, wo das Haus von Turdoch stand. Der alte Turdoch war ein griesgrämiger Geselle, der mit einem lahmen Bein geboren worden war. Er war nie stark genug gewesen, um ein Krieger zu werden, doch er hatte geschickte Hände und war der beste Bilderstecher Mortakhs. Es war selten, dass heute noch jemand seine Thar’an Mórs von ihm gestochen bekam.

»Gesegnet von Sindarra seist du, Turdoch bren Kadla. Ich, Druan bren Anargh, habe meine Krallessa bestanden, und Marzagh bren Chank sagte mir, ich solle von dir mein nächstes Thar’an Mór erhalten, so wie damals, als ich noch ein Kind war.«

Der alte Bilderstecher drehte sich auf seinem Lager um und sah Druan mit zusammengekniffenen Augen an. »Sind bereits so viele Sommer vergangen, dass du dich in der Zeit der Reife befindest? Mir kommt es nicht viel länger vor als ein paar Jahre. Nun ja, ich habe es Marzagh versprochen, und er ist der Yalding. Setz dich, es wird eine Weile dauern, bis ich so weit bin.«

DSA 128: Der Pfad des Wolfes

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