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Die gläsernen Banktürme thronten wie eisige Gletscher über der City. Gigantische Stalaktiten, die bedrohlich aus dem Boden wucherten. Hinter den abweisend bläulich schimmernden Fassaden war es bitterkalt. Es fröstelte mich jedes Mal, wenn ich einen der Tower betrat und dort Kunden mit Kokain beliefern musste. Aber wenigstens war das Drogengeschäft in Frankfurt eine krisenfeste Branche: Wenn die Investmentbanker Erfolg hatten, zelebrierten sie ihn mit meinem Pulver und wenn sie Geld verloren, koksten sie, um nicht die Nerven zu verlieren. So war unabhängig von jedweder Kursentwicklung Kokain die perfekte Aktie. Sie hatte in dieser Stadt immer Konjunktur. Dabei waren die meisten Banker echte Spießer. Nerds in Anzügen, die den ganzen Tag vor ihren Bildschirmen hingen und mit einem Mausklick viele Millionen verspekulierten. Meine Pharmazeutika interessierten sie nur als Zusatz-Kick, denn ihre wahre Droge war das Geld. Ihr Heroin war der Dollar, und dem waren sie verfallen wie Junkies.

Mein Business lebte aber auch von den Brokern, die wussten, dass sie mega langweilig rüberkamen, sich aber trotzdem cool und sexy fühlen wollten. Insofern erfüllte meine Ware eine soziale Aufgabe. Sie hob das Selbstwertgefühl dieser Spritzer, die sich auf ihre Tradergeschäfte einsam vor dem Computer einen runterholten.

Nur Idioten verkauften tatsächlich ein ganzes Gramm Kokain, ich hingegen verpackte immer nur 900 Milligramm. Keiner hatte nachts eine Waage dabei, mit der er es kontrollierte, von daher gab es auch keine Beschwerden. Diese Methode war für mich bares Geld wert, denn ich vertickte im Schnitt 200 Portionen im Monat und sparte auf die Weise 20 Gramm, was meinen Umsatz um 1500 Euro monatlich steigerte. Allein durch diese winzige Maßnahme holte ich jährlich 18.000 Euro mehr aus meiner Ware heraus, ohne für diesen Bonus irgendjemanden ruinieren zu müssen.

Vor der Schicht besorgte ich Nachschub in meinem Kokainlager. Es war in einem Keller untergebracht, den ich von einem Typen gemietet hatte, der keine Fragen stellte, warum ich mehrere alte Waschmaschinen einlagern wollte. Dafür drückte ich ihm jeden Monat pünktlich 200 Euro in die Hand. Die ausrangierten Maschinen waren hervorragende Verstecke, denn die Dinger klaute keiner mal eben, dazu waren die Zentrifugen zu schwer. Meine Ware war in einer wasserdichten Folie an der Innenwand mit rustikalem Tape befestigt. Ich verstaute hier bis zu 150 Gramm mit einem Marktwert von 20.000 Euro.

Der Keller lag im Innenhof einer Wohnanlage, die nur mit einem Tür-Code oder von Mietern mit einem Schlüssel zu betreten war. Es war ein weitläufiges Untergeschoss wie ein U-Bahnhof mit hohen Decken und Wänden aus weißem Backstein; man hätte hier illegale Techno-Raves mit Hunderten von Leuten feiern können.

Entsprechend tief ging die steinerne Treppe hinunter bis zu einer schweren Eisentür, die ich auf- und hinter mir gleich wieder abschloss. Ich machte Licht und ging den breiten Hauptgang entlang, der genug Platz für einen Straßenkreuzer bot. Ich brauchte fast eine Minute zu meinem Abstellraum, der durch eine stabile Tür gesichert war. Ich betrat die zehn fensterlosen Quadratmeter und holte zwanzig Gramm aus dem Versteck. Sobald sich die Briefchen in meinen Sakkotaschen befanden, setzte meine natürliche Paranoia ein; einem Polizeizugriff hier unten wäre ich hilflos ausgeliefert. Es gab keine Fluchtmöglichkeiten oder einen Gully, in den ich das Zeug notfalls verschwinden lassen konnte. Mit einem mulmigen Gefühl verließ ich mein Lager, ging den endlosen Flur entlang und öffnete vorsichtig die Eingangstür. Ich horchte auf jedes Geräusch, dann stieg ich die Stufen langsam empor. Wie ein steckbrieflich gesuchter Mörder kroch ich aus der Unterwelt hervor und sah mich misstrauisch im Innenhof um. Kein Sondereinsatzkommando war zu sehen. Niemand umstellte mich, niemand zielte mit Sturmgewehren. Trotzdem atmete ich flach, bis ich endlich im Auto saß. Dann fuhr ich ausliefern.

Mitch, Rolf und Paul waren bei einer amerikanischen Bank in Frankfurt angestellt. Der Laden hatte tonnenweise Mitarbeiter, galt als Haifischbecken, aber die drei waren eine verschworene Clique. Sie waren nicht nur Arbeitskollegen, sie gingen auch zusammen saufen, feiern und sogar vögeln. Und wahrscheinlich hatten sie beruflich schon jeder Menge Kunden und Konkurrenten in den Arsch gefickt. Aber die drei Yuppies machten jährlich einen amtlichen Umsatz bei mir, weswegen ich ihnen ab und zu mal ein Gramm schenkte. Als respektvolle Geste für die vertrauensvolle Zusammenarbeit. Heute hatten sie mich in ihren »Salon« bestellt, wie sie ihr geheimes Apartment nannten, das sie sich teilten, um dort ungestört von den eigenen Freundinnen andere Weiber flachlegen zu können. Obwohl dort keiner von ihnen wohnte, war es schicker ausgestattet als die meisten Möbelhäuser. Zentraler Einrichtungsgegenstand war ein Kingsize-Bett, das wie auf einer Bühne stand, zu der zwei Stufen führten. Sie hatten es sich extra von einem Handwerksbetrieb anfertigen lassen. Hier bumsten sie am liebsten zu dritt mit einer Prostituierten.

Mitch öffnete mir die Tür im vierten Stock, aus dem man einen guten Blick auf die Wolkenkratzer der Banken hatte. Ich sah nur kurz aus dem Fenster, das vom Fußboden bis zur Decke reichte. Rolf und Paul fläzten sich in ihren edlen Anzughosen und Designerhemden auf dem schwarzen Chippendale-Sofa. Sie hatten ihre Krawatten bereits abgenommen und tranken Champagner.

»Ronnie, du coole Sau!«, begrüßten sie mich.

»Auch ein Glas?«, fragte Mitch.

Wenn sie mir von ihrem teuren Gesöff was anboten, musste ich ihnen einen Rabatt auf die vier Gramm geben. Das gehörte sich. Und das wussten sie. Es waren Geschäftsleute.

»Okay«, willigte ich ein.

Die drei grienten über den gelungenen Deal und stießen mit mir an. Der Champagner war schön kalt und sprudelte trocken.

»Was für eine Party steigt denn heute?«, erkundigte ich mich.

Paul deutete auf das Tablet, das auf dem Tisch lag. Er aktivierte es und wischte mit dem Mittelfinger über den Touch-Screen. Dann zeigte er mir die Bilder. Sie sahen erst aus wie die Sed-Card eines Models, aber dafür war die scharfe Braut in viel zu unartigen Posen fotografiert worden.

»Die ficken wir nachher«, sagte Rolf und rieb sich seinen wohlgenährten Bauch.

Ich sah mir das Mädchen noch einmal an. Sie war echt top. Blond mit dicken Lippen und ordinärem Gesichtsausdruck. Niemand für eine tiefschürfende Unterhaltung, aber perfekt für geilen Sex.

»Ein echtes Luxus-Callgirl«, verriet mir Mitch.

»Wir mussten dem Escort-Service vorher Fotos von uns zufaxen, weil die nur an gepflegte reiche Leute vermieten«, amüsierte sich Paul.

»Bei denen suchen sich die Nutten die Kunden aus!«, rief Mitch erstaunt.

Ich hatte davon gehört. Es gab in Frankfurt zwei oder drei solcher Agenturen, die absolute Klassefrauen am Start hatten, und die wollten sich nicht von irgendwelchen schmierigen Wichsern vögeln lassen. Egal, wie viel Geld die dafür hinlegten.

»Was kostet die?«, interessierte ich mich routinemäßig.

»750 die Stunde«, gaben sie zu.

»Deswegen könntest du uns ja ein wenig entgegenkommen«, stieg Rolf in die Verhandlungen mit mir ein.

Vier Gramm machten normalerweise 300 Euro. Ich würde ihnen einen Fünfziger erlassen. Das teilte ich ihnen mit.

»Ist das auch erste Qualität?«, fragte Paul. »Ich will ihr nämlich ordentlich was davon auf ihre Pussy reiben!«

»Für Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker«, ermahnte ich ihn.

»Ist Koks auf der Pussy gesundheitsgefährdend?« Er klang ernsthaft alarmiert.

»Nein, aber wenn du sie anschließend leckst, kriegst du eine Weile keinen mehr hoch«, warnte ich ihn vor der Wirkung meines Stoffs.

»Danke für den medizinischen Rat, aber die Kleine kommt in zwanzig Minuten.« Mitch bedeutete mir, mein Glas auszutrinken und zu verduften.

Ich kippte es in einem Zug runter, legte ihnen vier Briefchen auf den Tisch, kassierte die 250 und wünschte ihnen viel Vergnügen. Und wollte gar nicht wissen, wer von den dreien sie als erstes flachlegen darf.

Auf meinem Business-Handy war eine weitere Bestellung eingegangen. Ich hörte im Wagen die Mailbox ab und meldete mich zurück. Ich fuhr nach Bornheim und klingelte bei Harald, der zwei G brauchte. Eigentlich war er Kiffer, aber er kriegte Besuch aus London und die Typen wollten White Lines ziehen. Harald arbeitete in einem Tonstudio und kannte international eine Menge Leute aus der Musikbranche. Ein DJ und sein Manager kamen für ein paar Tage aus England rüber. Die musste er vom Flughafen abholen, deswegen versorgte ich ihn sofort.

Am späten Nachmittag ging ich ins »Concorde«. Das war die adrette Cocktailbar, an der ich offiziell beteiligt war, als plausible Erklärung für meine Einkünfte, den Geländewagen und eine Wohnung in einem hochpreisigen Bezirk. Nach 20 Gramm hatte ich ihre Miete drin, das schaffte ich spätestens in zwei Tagen.

Wir machten erst in einer knappen Stunde auf, aber ich hatte einen Schlüssel. Einer der Cocktailshaker bereitete schon seinen Dienst vor und schnitt Limetten zurecht. Er wusste, dass ich auch sein Chef war, aber ansonsten glaubte er wohl, dass seine Caipirinhas mich finanzierten. Doch das wirkliche Geschäft wurde hier vor dem Tresen abgewickelt. Denn die Bar war mein Büro, in dem ich meine Kunden empfing. Sie wussten, dass ich mich hier abends aufhielt, um ihnen einen Cocktail aus Kopfschmerztabletten, Kokain und Speed zu servieren, der nicht auf der Karte stand.

Zivilfahnder hatten hier kaum eine Chance, denn ich verkaufte nur an Leute, die ich kannte oder die über eine Empfehlung zu mir kamen. Zudem sorgte ein Türsteher für eine gewisse Exklusivität des Publikums. Größere Herrengruppen ohne Damenbegleitung ließ er nicht herein, was es für die Ermittler problematisch machte, sich überhaupt Zutritt in den kleinen Laden zu verschaffen. Und selbst wenn sie hier ein Pärchen reinschleusen würden, ich hatte keine Neonreklame anfertigen lassen, auf der »Kokain 70 Euro« stand. Ich war äußerst vorsichtig und packte den Kunden das Zeugs in eine Streichholzschachtel, die ich zu einer Schale mit weiteren solcher Schachteln legte. Außenstehende würden es als normal in einer Bar empfinden, dass sich jemand eine Packung griff, denn dazu lagen sie ja auf dem Tresen herum. Meine Stammkunden kannten den Ablauf und achteten stets konzentriert darauf, wo ich die Schachtel hinlegte, damit sie keine nahmen, in der tatsächlich nur Streichhölzer waren. Das Geld dafür steckten sie mir vorher bei dem höflichen Handschlag zu, mit dem wir uns begrüßten. In Wirklichkeit war’s eine Bestellung. Kurz darauf ging ich ins Lager und präparierte eine Packung für die Übergabe.

Der Abend fing geschäftlich überschaubar an, bis ein Typ reinkam, der mir nicht gefiel. Er sah aus wie ein kräftiger Zivilbulle oder ein Dealer, der sich hier breit machen wollte. Beides konnte ich nicht gebrauchen. Er trug einen Mittelklasse-Anzug und begrüßte den Barmann höflich. Dann sah er kurz zu mir rüber. Er hatte eiskalte Augen und ein Rattengesicht. Er setzte sich in eine Ecke, aus der er alles beobachten konnte und benahm sich unauffällig. Und genau das machte mich noch misstrauischer. Ich trank die nächste Stunde nur noch Mineralwasser, um klar zu bleiben und ihn nicht aus den Augen zu lassen.

Ein Stammkunde von mir kam und es war zu gefährlich, den Deal direkt vorne am Tresen durchzuziehen. »Steck das Geld dezent in deine Manteltasche«, flüsterte ich ihm zu. »Ich bringe den Mantel nach hinten zur Garderobe und packe dir dort ein Gramm rein.«

»Was ist los?«, fragte er nervös. »Sind irgendwelche Cops hier?«

Ein solches Gerücht wäre geschäftsschädigend, deshalb beendete ich das Thema schnell. »Nein. Ich teste nur eine neue Methode aus.«

Er wühlte in seiner Hose und sah mich skeptisch an. Ich lächelte ihm beruhigend zu. »Bestell dir einen Drink und wenn du nachher gehen willst, kriegst du deinen Mantel von mir persönlich wieder.«

»Bist du irre?«, fragte mich mein Kunde. »Ich will nur schnell zum Klo und dann bin ich weg.«

Er hatte es eilig, also musste ich ihm wohl oder übel doch vor allen Leuten das Briefchen zustecken. Ich rückte nah an ihn heran und schob es ihm auf Höhe seines Bauchnabels diskret in die Hand. Seine Finger umschlangen es und steckten mir dafür zusammengefaltete 70 Euro zu. Dann flitzte der gierige Kokser zu den Toiletten.

Der verdächtige Typ saß bis fast 22 Uhr stumm in seiner Ecke, glotzte und trank nur Bier. Dann haute er endlich ab. Ich hatte mir sein Gesicht eingeprägt, falls er wieder auftauchen sollte. Ich war mir sicher, dass er den Laden abcheckte. Als Cop, um mich wegen Drogenhandels hochzunehmen oder als Dealer, weil er hier ein eigenes Business mit Kokain aufziehen wollte. Aber nicht mit mir. Ich hatte es endlich aus dem sozialen Brennpunkt herausgeschafft, war diesem zubetonierten Kriegsgebiet entkommen, während viele Schulfreunde da hängengeblieben waren: Als Leergut sammelnde Langzeitarbeitslose und Hartz-4-Empfänger, die Schnaps vom Discounter tranken und mit Alkoholikerinnen verheiratet waren. Und von niemandem auf der Welt würde ich mir meine Kundschaft und meinen Lifestyle wegnehmen lassen, den ich mir mühsam über Jahre aufgebaut hatte. Wenn das Arschloch meinte, er könnte meine Umsätze hier auch nur um ein Gramm reduzieren, würde ich ihm mit einer Baseballkeule beide Knie zerschlagen. Das musste ich tun. Bevor er mir meine Knie zerschlug.

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