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KAPITEL 3

1975

WEMBLEY, DER ALBTRAUM

Der Sehnsuchtsort eines Fußballers wird für Kostedde bereits zwei Stunden vor dem Anpfiff zum Albtraum. Sepp Maier tobt. Der Schlussmann der deutschen Nationalelf kann es nicht fassen und stellt den deutschen Fan zur Rede. Bei der Abfahrt vom Hotel hat dieser geätzt: „Einen Nigger haben sie jetzt auch noch, die Deutschen.“ Erwin Kostedde ist fassungslos, Maier raunzt den vermeintlichen Anhänger an und stutzt ihn zurecht. Zu spät.

England gegen Deutschland in Wembley ist mehr als nur ein Fußball-Länderspiel. Der Zweite Weltkrieg liegt bleiern über dem Verhältnis beider Staaten. Sportlich wird die Rivalität auf die Spitze getrieben. 1966 verliert die DFB-Auswahl gegen die Gastgeber an dieser Stelle das WM-Finale mit 2:4. Die deutsche Nationalelf gewinnt erst 1968 erstmals einen Vergleich mit den Briten in Hannover (1:0). Legendär ist auch der 3:2-Sieg der deutschen Mannschaft im Viertelfinale der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko nach einem 0:2-Rückstand. Im Viertelfinale der EM 1972 gewinnt das deutsche Team erstmals in Wembley (3:1), wenig später auch den Titel im Finale gegen Russland in Brüssel. Als am 12. März 1975 Deutschland zu einem Freundschaftsspiel nach England reist, steht auch Erwin Kostedde im Aufgebot. Zum zweiten Mal. Freundschaftsspiele gegen die Briten sind bitterer Ernst, freundlich geht es da nie zu.

Ende des Jahres 1974 debütiert Kostedde in der EM-Qualifikation auf Malta. Der Umbruch in der Nationalelf spült den Offenbacher ins Aufgebot. Der „Bomber der Nation“, Gerd Müller, ist zurückgetreten. Der Bayern-Block, 1974 Garant für den Gewinn der Weltmeisterschaft, fängt an sich aufzulösen, Bundestrainer Helmut Schön muss sein Team umbauen, es zukunftsfähig machen. Für Kostedde ist es endlich die große Chance, 28 Jahre ist er alt. Die deutsche Nationalelf ist sein Sehnsuchtsort, bereits als 14-Jähriger hat er davon geträumt, manchmal hat er davon erzählt, nicht selten ist er ausgelacht worden. Bei Standard Lüttich schlug er das Angebot aus, die belgische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Ein Stammplatz wäre garantiert gewesen, viele, viele Länderspiele wären wohl gefolgt. Obwohl die „Deutschen“ in Belgien schlecht gelitten sind. „Ich habe mich einmal als Spieler von Standard Lüttich bei einem Auswärtsspiel über den hygienischen Zustand einer Umkleidekabine beschwert. Ein Teamkollege, belgischer Nationalspieler, antwortete mir mit dem Hitler-Gruß“, erzählt Kostedde. Ausgerechnet ihm, dem schwarzen Deutschen, passiert das. Belgien sei weltoffen, auch durch die vielen Menschen, die aus den Kolonien gekommen sind, hört Kostedde als Argument für eine Willkommenskultur. Bei Dienstantritt in Lüttich glaubt er das. Bald weiß er, dass den Deutschen eher Hass entgegenschlägt als Sympathie. Und er weiß, dass man ihn auch im belgischen Nationalteam stets als Deutschen darstellen wird, wenn es schlecht läuft. Nein, Nationalspieler will er nur für Deutschland sein. Es gilt eine Rechnung zu begleichen, und das geht nur im Schwarzweiß der DFB-Auswahl.

Sehnsuchtsort Nationalmannschaft

Der Wechsel zu Kickers Offenbach soll also auch ein Wechsel in die Reichweite der DFB-Auswahl sein. Es wäre mehr als nur ein sportlicher Erfolg für ihn, erst als Nationalspieler fühlt sich der Stürmer gesellschaftlich akzeptiert, das hat sich festgesetzt in seiner Gedankenwelt. Das ist für ihn das Zeichen dafür, alle Schwierigkeiten von Geburt an bis heute hinter sich lassen zu können. Das Nationaltrikot tragen zu dürfen ist somit auch ein spiritueller Akt. Kostedde hofft, damit die Wunden seines bisherigen Lebens schließen zu können. Genau dann ist er wer, gleichberechtigt, angekommen, groß. „Ich wollte unbedingt für mein Geburtsland spielen. Unbedingt. Ich habe mich immer als Deutscher gefühlt.“ Bei der Nominierung ist er euphorisch, wie er sagt, um fünf Minuten später wieder an sich zu zweifeln. Aber in den wenigen Momenten des Glücks ist er stolz darauf, deutscher Nationalspieler zu sein und stolz darauf, der erste schwarze Nationalspieler Deutschlands zu sein. Deutsch und schwarz, das ist eine Traumsequenz für ihn. Bald darauf, sagt er, schämt er sich wieder für seine Hautfarbe. An diesem Punkt kommt die ganze Zerrissenheit des Menschen Erwin Kostedde zum Vorschein: „Ich wollte nie schwarz sein, ich wollte nie weiß sein.“

So wird das Nirvana Nationalelf keines für Kostedde, diese Illusion fühlt sich nur kurz großartig an. Er rutscht in das Malta-Aufgebot vor allem deshalb, weil Bundestrainer Helmut Schön krankheitsbedingt ausfällt. Schön ist nicht überzeugt von Kostedde, irgendwas passt dem Coach offenbar nicht. Dafür aber ist sein Assistent Jupp Derwall von dem Offenbacher angetan und macht sich für ihn stark. Ein Empfang mit offenen Armen sieht jedoch anders aus. Er spürt die ablehnende Haltung von Funktionären, die ihm als Schwarzem nicht die Hand geben wollen. So erinnert er sich an die Tage im Advent 1974. Da ist einerseits sein ungläubiges Staunen über die Nominierung, die pure Freude, dass der Traum von der Nationalelf wahr geworden ist. Die Frage des DFB nach der Konfektionsgröße von Kostedde ist wie ein vorgezogenes Präsent, es ist so unglaublich schön, ein enormes Glücksgefühl macht sich breit – bei ihm selbst und seiner Frau. Das ist die für ihn größte Anerkennung überhaupt.

Da ist aber auch gleich wieder der Zweifel, ob er überhaupt hier hingehört, inwieweit ihn die Mannschaft aufnehmen wird, er gewollt ist. Alle reden über ihn, Kostedde ist das Thema. Es gefällt ihm, und gleichzeitig missfällt es ihm. Für Kostedde ist es ein kleiner Schritt, Gesprächsthema im sportlichen Sinne zu sein, hin zum Gerede über seine Person. Er glaubt am Ende fast immer, sie, die anderen, reden nur über seine Hautfarbe. Ist er wieder mal an diesem Punkt angekommen, zweifelt er an sich. In Offenbachs Mannschaft kann er diese Zweifel mit seinen Toren sehr oft von sich schieben, hier ist er Publikumsliebling, die Zuneigung der Fans ist schier grenzenlos, das ist gewachsen, die Sterne stehen gut. Die Nationalelf aber ist anders, ein Starensemble, die Besten der Besten aus der Bundesliga, die Hierarchie findet sich gerade neu. Es ist eine Zeit für neue Anführer, unsichere Kantonisten unerwünscht. Kostedde sieht sich selbst in der zweiten Kategorie.

„Der beste spielende Mittelstürmer in Europa“

„Wo stehe ich hier eigentlich?“ Kostedde weiß es nicht, die Nationalelf ist Neuland. Er tritt eben nicht mit provozierender Aggressivität auf, sein gewählter Habitus ist lässiger und entspannter. Dabei ist gerade Franz Beckenbauer einer seiner Fürsprecher, er hat zum Saisonstart die Qualitäten von Kostedde bei der 0:6-Pleite der Bayern in Offenbach zu spüren bekommen. Kostedde spielt so, wie es sich der „Kaiser“ von einem Stürmer wünscht. Ballsicher, technisch stark, mit einem tollen Instinkt beim Abschluss, oft uneigennützig, echte Klasse extravagant verpackt und dabei ganz undeutsch flamboyant auf dem Platz. Kostedde ist der Prototyp des neuen Angreifers, der weit mehr als nur Tore schießen soll und kann. Nicht von ungefähr schwärmt Kickers-Trainer Otto Rehhagel förmlich von Kostedde: „Er ist der beste spielende Mittelstürmer in Europa.“ Nicht wenige Experten sehen in dem 28-Jährigen zumindest eine erfolgversprechende Übergangslösung nach der Ära von Gerd Müller. Nun gut, Jupp Heynckes (Borussia Mönchengladbach) ist auch da oder Manfred Burgsmüller (Borussia Dortmund) wie auch Klaus Fischer (Schalke 04). Für die Europameisterschaft 1976 sowie die WM in Argentinien 1978 könnte Kostedde dennoch die Angriffssorgen zumindest teilweise beheben. Aber da ist auch noch Dieter Müller, der sich als Jung-Profi in Offenbach 1973 nicht durchsetzen kann, dafür aber beim 1. FC Köln in den folgenden Jahren groß rauskommt. Kostedde gehört jedenfalls in den Kreis der deutschen Topstürmer, jetzt ist die Chance da, auf internationalem Niveau zu bestehen. Mit dem Adler auf der Brust.

Malta ist ein ordentliches Debüt für Kostedde. Niemand erwartet eine Glanzleistung der deutschen Mannschaft auf dem gewalzten Sandplatz, der einst auch für Hunde-Rennen und andere Spektakel genutzt wurde. Empire Stadium in Gzira heißt es heute, dort sieht man das Nationalelf-Debüt von Erwin Kostedde. Das „Hamburger Abendblatt“ versteigt sich zu einem Weihnachtsmärchen: „Es war einmal ein kleiner Mohr. Zwei Tage vor Heiligabend bereits wurde er beschert und sein Wunschtraum ging in Erfüllung. Der Mohr wurde Nationalspieler.“ Und der „braune Bomber“ darf auch nicht fehlen. Kostedde, der legitime Nachfolger von Gerd Müller, dem „Bomber der Nation“, soll es nun richten. Kostedde: „Damals hat mich keiner gefragt, ob ich als ,brauner Bomber‘ bezeichnet werden will.“ Und auch der „Kaiser“ ist überrascht, Franz Beckenbauer muss mit ansehen, wie sich das ganze Interesse der Medien in diesem Moment auf Erwin Kostedde konzentriert.

Vor Gerd Müller verneigt sich Kostedde: „Kein Zweifel, wenn er noch spielen wollte, käme keiner an ihm vorbei. So einen wie ihn gibt es nur alle 100 Jahre.“ Mit Josef Pirrung (MSV Duisburg) und Bernd Hölzenbein (Eintracht Frankfurt) bildet Kostedde die Dreierreihe im Angriff, eine Formation, die so nie wieder in der Nationalelf aufgestellt werden wird. Die grenzwertigen Bedingungen in Valetta veranlassen den Debütanten zu einer weiteren Aussage: „Unter solchen Platzbedingungen kann das Selbstvertrauen leiden. Mir wären Gegner wie England oder Polen vor einer großen Kulisse lieber gewesen.“ Es ist ein knappes Zeitfenster für ihn. Nach seinem Wechsel nach Offenbach 1971 hat er keine Chance, als Zweitliga-Spieler in das EM-Aufgebot zu rutschen. Zwei Jahre später bei der WM in Deutschland reicht es sportlich nicht gegen hochkarätige Konkurrenz. Nun bleiben ihm vielleicht noch zwei, drei Jahre, ehe jüngere Angreifer kommen werden, vielleicht reicht es für die EM 1976, maximal noch für die WM 1978 in Argentinien. Dafür muss er jetzt international in wenigen Partien seine ganze Klasse zeigen. Malta ist alles andere als ein leichter Einstand, gegen die Feierabend-Kicker auf dem Hartplatz kann keiner glänzen. Da muss ein anderer Auftritt her, doch das Zeitfenster schließt sich schon nach dem Länderspiel-Debüt.

„Man muss als Schwarzer immer etwas besser sein als alle anderen“

Diese Bühne, diesen Gegner bekommt er knapp drei Monate später im Londoner Wembley-Stadion. Kostedde hat eine Vorahnung, er glaubt, dass die Leistung in dieser Partie über seine weitere Karriere als Nationalspieler entscheiden wird. „Wenn ich mich in diesem Spiel bewähre, dann habe ich den Sprung in die Nationalelf geschafft. Wenn nicht, na ja, dann geht es eben weiter, normal wie bisher“, betätigt er sich als Wahrsager im Interview mit der „Frankfurter Rundschau“. Es sind bewegte Tage für Kostedde, denn nicht nur seine weiteren Ambitionen im Nationalteam stehen zur Debatte, sondern auch sein Vertrag in Offenbach endet. Der Poker, die Zockerei um ihn hat längst begonnen. Sorgt der Angreifer für eine furiose Show in Wembley, dann steigt der Marktwert beträchtlich. Jetzt muss er liefern, auf höchstem, auf härtestem Niveau, wegducken geht nicht mehr. In diesem Klassiker geht es um mehr als nur einen Länderspieleinsatz. Bundesliga-Alltag ist Kindergeburtstag im Vergleich dazu.

Als der Mannschaftsbus das Stadion erreicht, hat Kostedde den rassistischen Vorfall nicht Ansatzweise verarbeitet, es spukt in seinem Kopf. Wie so oft. Er sieht durch das Busfenster die deutschen Fans, ihm kommt das Gefühl, bei jedem einzelnen unerwünscht zu sein. Die große Verschwörung gegen ihn. Warum ausgerechnet jetzt? Das darf ihn nicht aus der Bahn werfen, er kennt das doch schon, immer und immer wieder ist ihm ähnliches widerfahren. Beleidigungen, Rassismus, Dummheit. Das muss sich doch irgendwann mal abgenutzt haben, ihn nicht mehr berühren. Abschalten, alles verdrängen, Fokus auf das Spiel – das gelingt ihm diesmal nicht.

Von Begeisterung keine Spur: „Bei der Hymne hatte ich ganz andere Gefühle. Manche waren ergriffen, keiner sang mit. Ich habe nur gedacht, was denken die jetzt alle von mir?“ Dies ist der Moment, wo er ganz groß werden kann, der Durchbruch vom guten Bundesliga-Spieler zum Star. Hier muss er beweisen, was er alles kann, Zweifel darf es nicht geben. Wembley kann in diesem Moment Erwin Kostedde unsterblich machen, für alle Fußball-Ewigkeit erhalten. Nur Fußball, nur das Spiel, aufgehen in dieser Partie, der Welt alles zeigen.

Doch Kostedde ist gelähmt, förmlich paralysiert, von Konzentration auf das Wesentliche ist nicht viel zu merken. Die Leistung auf dem Feld ist dementsprechend, die überharten englischen Verteidiger setzen ihm brachial zu, Colin Todd und Dave Watson kennen keine Gnade. Wembley ist der heilige Gral des britischen Fußballs, hier versagt man nicht, hier schont man den Gegner nicht. „Der Watson war ein Treter vor dem Herrn.“ Kostedde kommt mit den brutalen Tacklings nicht zurecht. Zudem findet das deutsche Kombinationsspiel nicht statt, Kostedde hängt in der Luft. Oft schweift sein Blick auf die Ränge, da sind auch seine Feinde. Nach 70 Minuten, seine Mannschaft liegt 0:2 zurück, muss er Jupp Heynckes weichen. Erwin Kostedde hat in seinem „Spiel der Spiele“ die 100.000 im Stadion nicht überzeugen oder gar bezaubern können. Er fühlt sich wie ein Versager, dem Druck hat er nicht standhalten können. Nur, wer hätte das an seiner Stelle, mit seiner Hautfarbe, gekonnt? Die alte Leier: Er muss immer besser sein als andere, er darf keine Fehler machen, und zudem soll er grenzenloses Selbstbewusstsein zur Schau stellen – diese hohen Erwartungen kann er in Wembley unter diesen Umständen nicht erfüllen.

„Man muss als Schwarzer immer etwas besser sein als alle anderen. Das ist die Realität. Sie galt für mich in Wembley, sie gilt auch für alle anderen. Damals in Wembley gab es in der englischen Mannschaft keine schwarzen Spieler. Alle schauten auf mich“, erzählt Kostedde. Hier, genau hier, wo sich noch einmal die Weggabelung seiner Karriere auftut, müsste er sein Allerbestes zeigen. Er kann es nicht, und deshalb wirkt es noch ein bisschen enttäuschender für Kostedde, für die Fans, die Medien und auch Bundestrainer Helmut Schön. Er hat keinen neuen Gerd Müller gefunden.

„German black power“ ist angekündigt worden, im Mutterland des Fußballs wird Kostedde wie ein bunter Vogel präsentiert. Das ganze Ballyhoo bekommt der Angreifer mit, auch das ist nicht förderlich für die Leistung, es lenkt ihn ab. Kostedde: „Ich hatte von diesem Spiel geträumt, aber dann war ich total überfordert.“ Ihm fehlt die internationale Erfahrung, die großen Spiele auf Vereinsebene, plötzlich ist er nur noch ein Fußball-Lehrling im Nationaldress.

Aus der Traum?

Die Quittung folgt. Bulgarien, Niederlande und Österreich – die nächsten Auftritte der Nationalmannschaft finden ohne Erwin Kostedde statt. Helmut Schön setzt auf andere, auch weil er nicht weiß, wie Kostedde der Wechsel zu Hertha BSC bekommen ist. Außerdem markierte er kein Tor in seinen ersten beiden Länderspielen.

Noch einmal darf Erwin Kostedde vorspielen, ein dritter Anlauf, nun steht in Düsseldorf die EM-Qualifikation gegen Griechenland auf dem Programm. Acht Weltmeister sind mit dabei, darunter auch Beckenbauer, Netzer und Breitner, dazu noch Erich Beer, Kosteddes Teamkollege von Hertha BSC. Das Duo funktioniert in der Bundesliga, wieso also nicht auch in der Nationalelf bei diesen überragenden Mitstreitern? Jupp Heynckes trifft nach der Pause zur Führung, Griechenland gleicht prompt aus, Kostedde bekommt praktisch keinen Stich. Die Bananenflanken von Manfred Kaltz segeln an ihm vorbei. Er ist einfach nicht ganz bei der Sache, schon wieder nicht, das ist fast schon Paranoia. „Man kann das lächerlich von mir nennen, aber bei der Hymne habe ich auf der Tribüne zwei Bundesligaspieler aus Düsseldorf gesehen. Ich hatte das Gefühl, die sprechen über mich und machen sich lustig“, sagt Kostedde. Dieser flüchtige Eindruck bringt Kosteddes Koordinatensystem so knapp vor Spielbeginn aus den Fugen, Wembley lässt grüßen, dabei ist seine grundsätzliche Form recht ansprechend.

Unglaublich, nach drei Saisons in der belgischen Eliteliga und mittlerweile fünf Spielzeiten in der Bundesliga reagiert der Seismograph Kosteddes immer noch wild zuckend auf Nebensächlichkeiten, die keinem anderen auffallen. Das ist unerklärlich. Es passt ins Bild, dass ein Abseitstor von Kostedde nicht anerkannt wird. Auch das Lob von seinem „Ab-und-zu-Berater“ Ljubomir Barin tröstet nicht. Er kommt nach dem Spiel zu Kostedde, lange haben sich die beiden nicht mehr gesehen. „Er sagte, dass er den Hut vor mir ziehen würde, dass ich es in die Nationalmannschaft geschafft habe, wie ich es ihm 1971 nach meinem Wechsel von Lüttich nach Offenbach versprochen hatte. Er wollte mich ja in Rotterdam unterbringen und ich sollte für die belgische Nationalelf spielen.“ Dieser Plan des Stürmers ging jedenfalls auf. Es ist eine kleine Verneigung Barins vor ihm, dem eigentlich glücklosen Nationalspieler.

Die Karriere im Nationaldress ist nur eine kurze. Ohne Treffer endet die Reise. Zuerst steht Gerd Müller im Weg, dann, nach der WM 1974, wird es trotzdem nichts mit der ganz großen Karriere. Kostedde spielt „nur“ für Offenbach und Hertha, ihm fehlt die Lobby beim Verband. „Hermann Neuberger hat versucht, mich zu ignorieren, als ob ich nicht da wäre“, fühlt sich Kostedde vom allmächtigen DFB-Präsidenten hintergangen. Natürlich fehlt auch Selbstvertrauen. Bei der EM 1976 erhält Dieter Müller den Vorzug, dabei hätte Kostedde die Form gehabt. Der Nicht-Nominierung für die WM in Argentinien 1978 gewinnt er Positives ab, alles, was er über die Mannschaft zu hören bekommt, ist schlecht. Zudem befindet sich der Angreifer bei Borussia Dortmund auf dem Abstellgleis. Nur drei Einsätze in der Nationalelf sind am Ende nicht der Beleg eines Überzeugungstäters.

Viel später rückt er mit einer weiteren Wahrheit raus. Er hätte 1973 für die B-Nationalelf in Offenbach, praktisch ein Heimspiel, auflaufen sollen. „Ich habe eine Verletzung vorgetäuscht“, er will als Akteur in der zweiten Garde nicht in Erscheinung treten, diese Version soll durchgesickert sein beim DFB. Entweder A-Team oder gar nichts. Dass er Pluspunkte sammeln könnte, kommt ihm nicht in den Sinn. Zweite Wahl interessiert ihn nicht.

Seine durchwachsene Bilanz lautet: „Trotz eines Gerd Müller hätte ich viel mehr Länderspiele haben müssen, vielleicht 20 oder 30. Der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland habe ich immer hinterhergetrauert. Das wäre ein Traum gewesen. Da stand ich voll im Saft.“

Erwin Kostedde

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