Читать книгу Erwin Kostedde - Alexander Heflik - Страница 7
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VORWORT
Wir sitzen uns gegenüber. Erwin Kostedde fühlt sich nicht wohl, er will keinen Kaffee, ein wenig rutscht er auf dem Stuhl herum und schaut aus dem Fenster. Häufig haben wir Termine vereinbart, meist sind sie geplatzt. Es reicht, wenn überhaupt, nur zum Smalltalk oder für knappe Telefonate. Doch irgendwann sagt er an diesem Tag und wie aus heiterem Himmel: „Sie könnten das alles über mich schreiben. Wenn ich Ihnen alles erzähle …“
Dies ist sein Vertrauensbeweis für mich, nach all der Zeit, das kommt unerwartet. Er bricht ab, manchmal nutzen das Menschen, um die Bedeutung der gerade gesprochenen Worte zu erhöhen. Alles erzählen, nichts weglassen, reinen Tisch machen, die Seele befreien, auspacken. Ich weiß nicht, ob das wirklich sein Plan ist. Seine Geschichte also. Mutter aus Münster, der Vater ein unbekannter GI aus den USA, sechs Halbgeschwister, die Story eines Fußballers, des ersten schwarzen deutschen Nationalspielers, der alles hätte haben können. Er schoss das Tor des Jahres 1974, verdiente viel Geld, kassierte gewaltige Handgelder, verprasste vieles, setzte noch mehr mit dubiosen Geldanlagen in den Sand, versoff den kargen Rest. Als ob das nicht genug wäre, so viel auf und ab reicht doch schon für ein Leben, wird er verhaftet für den angeblichen Überfall auf eine Spielhalle. Er wird freigesprochen, aber erst nach einem Martyrium aus mehrmonatiger Untersuchungshaft und psychiatrischer Behandlung. Er, der Erwin, ist in dieser Phase seines Lebens selbstmordgefährdet. Kann man da noch einmal auf die Beine kommen? Eigentlich eine interessante Story.
Mein eigenes Fußballleben beginnt Anfang der 1970er-Jahre. Erwin Kostedde? Ich erinnere mich an einen meiner fünf Brüder, der vom „braunen Bomber“ spricht, der auch aus Münster komme und schon ein richtig guter Fußballer sei, ich bin da vielleicht acht Jahre alt, verstehe das nicht so wirklich. „Das ist der“, sagt er nun auch abfällig, „der häufig hinter dem Bahnhof an der sündigen Meile rumhängt.“ Ich verstehe noch weniger, aber es bleibt mir im Gedächtnis. Dieser Kiez ist in Münster im Übrigen vielleicht 200 Meter lang. Später frage ich mich, ob er da wirklich an der Eingangstür zu den Bars stand und mit den Scheinen wedelte? Kostedde der Hallodri, der Protzer, der Tunichtgut, der „Schwatte“, wie es damals häufig hieß.
Aber erstmal vergesse ich das praktisch sofort. Kostedde läuft mir nur über den Weg, weil er 1974 den Gladbacher Nationalspieler und Weltmeister Berti Vogts narrt und das Tor des Jahres erzielt. Für Offenbach ist er da aktiv, und dies ist eine Art Blaupause für ein Tor, das gut 40 Jahre später Deutschland in einen gewaltigen Freudentaumel stürzen wird. Auch Mario Götze bekommt den Ball von der linken Seite, verarbeitet ihn mit der Brust und schießt mit dem linken Fuß ein. Ein Artefakt des Fußballs, sowohl 1974 als 2014. Deutschland ist Weltmeister. Kostedde sieht den Treffer im Fernsehen und denkt an 1974. 40 years after.
Noch später dann: Als Kostedde den Kreisligisten Germania Mauritz als Trainer übernimmt, berichte ich darüber, ein kurzer Text für die „Frankfurter Rundschau“, gerade mal 60 Zeilen ist es das wert, Deutschland wird gerade wiedervereinigt. Nun also Coach in Mauritz, dem noblen Stadtteil Münsters. Die Anlage ist alles anderes als das, ein typischer Ascheplatz, es regnet, das Flutlicht rettet die Einheit so gerade. Kostedde spielt vorher ein wenig verträumt mit dem Ball, er ist Mitte 40, die Bewegungen haben immer noch Eleganz. Fülliger ist er geworden, aber seine Ballbehandlung überzeugt direkt. Was macht er hier nur, frage ich mich. Für diese Erkenntnis muss man kein Experte sein. Wir sind Ende der 1980er-Jahre, Kostedde hält es nicht lange aus bei dieser Rumpeltruppe, die Mannschaft mit ihm auch nicht.
Die Zeit rennt: Viele, viele Jahre danach ruft er, also Erwin Kostedde, in der Redaktion der „Westfälischen Nachrichten“ an, ob wir zwei Stehplatzkarten für das nächste Heimspiel von Preußen Münster hätten. Ich bin verwirrt. Ist das DER Kostedde? Also genau dieser Kostedde? So ist es, die Wiedererkennungsrunde ist in wenigen Sekunden abgeschlossen. Draußen in der Welt ist Angela Merkel Kanzlerin, die Zeit ist vergangen. Er, Kostedde, will nicht beim Verein vorsprechen, ein waschechter Preuße sei er nicht, aber mit uns hätte er nie schlechte Erfahrungen gemacht, ob da was geht? Es geht was. Kostedde holt seine zwei Karten ab. Immer und immer wieder, das geht so über mehrere Saisons. Ab und an sprechen wir kurz miteinander, über Fußball, über die Adlerträger, wie es ihm geht, oder über seine Frau, was das Leben so gemacht hat mit dem Erwin. Eines Tages dann sagt er bestimmt: „Sie müssen das Buch jetzt über mich schreiben.“