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20. September 2015

DIE FRANZÖSISCHE KASSANDRA: JEAN RASPAIL

I.

In seinem visionären Roman Das Heerlager der Heiligen, 1973 auf Deutsch erschienen, beschreibt der französische Autor Jean Raspail das Eintreffen von einer Million der ärmsten Inder an der französischen Küste. Bei Abfahrt der Flotte, die sich von Kalkutta aus mit hundert schrottreifen Schiffen auf den Weg macht, weigert sich einzig Australien (!) mit Verweis auf seine Einwanderungsgesetze, die Notleidenden aufzunehmen, und wird dafür von der Weltgemeinschaft geächtet und moralisch ausgeschlossen. Südafrika hat, als Apartheidstaat, sowieso keinen Ruf mehr zu verlieren und droht angesichts der Flotte vom Ganges mit militärischen Mitteln. Die ablehnende Haltung der beiden Staaten hat den Effekt, dass die hundert Schiffe vom Kap der Guten Hoffnung Richtung Norden steuern, Richtung Europa. Eine ungewöhnlich gute Wetterlage lässt die geheime Hoffnung der europäischen Regierungen, die Schiffe der Elenden würden in einem Sturm untergehen, rasch schwinden. Während alle darauf hoffen, dass der Kelch der Invasion an ihnen vorüber gehen wird, überbieten sich die einzelnen Regierungen, aufgrund des Drucks der moralisch Aufrechten in ihren Ländern, gegenseitig in Solidaritäts- und Willkommensadressen an die Flotte der Unglücklichen. Tägliche Medienkampagnen und eine landesweite pädagogische Indoktrination der intellektuellen Eliten verhindern jegliche kritische Auseinandersetzung in der französischen Öffentlichkeit über die Folgen des Ansturms der Elenden. Diese sollen vielmehr die kapitalistische und rassistische weiße Kultur – unter der Parole »Wir alle sind Menschen vom Ganges« läutern und erlösen.

Ein großer, landesweiter Wettbewerb unter dem Motto »Kinder zeichnen das Weltgeschehen« hat das Thema »Wir und die Gäste vom Ganges« zum Gegenstand. Künstler und Prominente, die heroisch auf ihr Golfturnier am Wochenende verzichten, fungieren als Schirmherren. Eigens komponierte Balladen und Lieder ergänzen die erbauliche Veranstaltung. Zahlreiche Petitionen von linken Organisationen, Kirchen und Migrantenverbänden fordern die französische Regierung dazu auf, die potenziellen Einwanderer herzlich willkommen zu heißen. Zur gleichen Zeit beschließen siebzehntausendzweihundertzwölf Oberschullehrer, den Unterricht am folgenden Tag mit einer Ansprache gegen Rassismus zu beginnen.

Aus Gründen, die im Roman nicht näher benannt werden, steuert die »Armada der letzten Chance«, wie ein bekannter linker Aktivist die Flotte in einem Anfall von Geistesblitz nennt, tatsächlich auf die Küste Frankreichs zu. Noch bevor sie mit ihrer Fracht von Toten, Sterbenden und Zerlumpten die südfranzösische Küste erreicht, flieht die Bevölkerung in böser Vorahnung bereits nach Norden. Militär und Polizei, von fanatischen Propagandisten und Kirchenvertretern im Vorfeld ideologisch bearbeitet, lösen sich rasch auf. Der Präsident kapituliert am Ende vor der Invasion, da er längst ahnt, dass »das Weltgewissen« von ihm verlangt, die ausbeuterische und rassistische Kultur Europas zu verurteilen und die neue, bunte Welt zu begrüßen. Am Ostersonntag, als die Flotte Frankreich erreicht, wird endgültig klar, dass niemand mehr bereit ist, für seine Werte einzustehen. Angesichts der »Armada der letzten Chance« hat die Grande Nation nichts mehr entgegenzusetzen:

»Ihre Waffen sind die Schwäche, die Armut und das Mitleid, das sie erwecken, sowie das ungeheure moralische Gewicht, das ihnen in den Augen der Weltmeinung zukommt. (…) Wer vermag in einer solchen Lage in seinem Herzen noch einen letzten Rest jenes geächteten Mutes aufzubringen, der ihn vor dem Ansturm des Mitleids schützen könnte? Wo soll er im Labyrinth der vorgekauten Gedanken und der vorgefertigten Gefühle noch nach Widerstandskräften suchen?«

Die Armada strandet schließlich auf dem Sand und den Felsen der Cote d’Azur. Nach ihrem Vorbild schiffen sich auch an anderen Orten der Dritten Welt Millionen nach Norden ein …

II.

Raspails Roman hat in vielen seiner Facetten im Deutschland des Jahres 2015 eine fast schon unheimliche Entsprechung gefunden. Seine Dystopie beschreibt den aktuellen Zustand in zum Teil harten, zynischen, aber auch satirischen Sequenzen. Fernsehen, Radio und Printmedien überbieten sich zur Zeit in Deutschland gegenseitig in der täglichen Berichterstattung über all die »Schätze« (wörtlich!), die zu uns kommen, preisen die endlose Bereicherung an, die großartige Vielfalt, die unglaublichen Chancen, unser unverhofftes Glück, und stimmen uns auf die Veränderungen unser aller langweiligen und grauen Leben ein. Man fragt sich unwillkürlich, so wie Raspails Erzähler, wie man so lange auf diese Menschen hatte verzichten können!

Die Diskrepanz zwischen der harten Realität und der medialen Dauerpropaganda (gibt es ein anderes Wort dafür?) wirkt bereits mehr als absurd. Applaudierende Bürger stehen an Bahnsteigen und begrüßen illegale Migranten, die mit »Zügen der Hoffnung« (SPIEGEL) ankommen, wie siegreiche Fußballspieler. Die eigene Hilfsbereitschaft, mittels Handy und Smartphone gut dokumentiert, übernimmt wohl nur in den wenigsten Fällen Verantwortung für das eigene Tun, das über kurzfristige moralische Erbauung hinausgeht. Die mittel- und langfristigen Folgen des Zuzugs Hunderttausender, in den nächsten Jahren über Familiennachzug und weitere »Flüchtlingswellen« wahrscheinlich von Millionen, sollen dann wieder andere übernehmen, in der Regel diejenigen, die an den Schnittpunkten sozialer Verwerfungen leben müssen. Die Bilder der jubelnden Deutschen, von den Ankommenden sofort in die Heimat gesendet, werden weitere Signalwirkung haben. Sie setzen Anreize für noch mehr Migration, für noch mehr Schilder mit Angela Merkels Konterfei und der lauten Forderung, unverzüglich nach Germany geführt zu werden, denn hier, so suggerieren es die Bilder, ist jeder willkommen. Wohnung, Arbeit, Geldleistungen eingeschlossen. Der Versuch, in Zukunft über verbindliche Quoten Flüchtlinge, die – wie deutlich zu sehen – überwiegend nach Deutschland wollen, auf Bulgarien, Polen oder Estland zu verteilen, ohne deren massiven Widerstand dagegen mitzubedenken, ist nur ein weiterer Beweis für die Hilflosigkeit der politischen Klasse. Wer die Quotenlösung durchsetzen will, muss bereit sein, schwer bewachte Transporte quer durch Europa zu begleiten, mit zehntausenden von Menschen die um keinen Preis in Länder wie Litauen oder die Slowakei wollen.

Die Fallhöhe der Willkommenskultur in Deutschland wird in den nächsten Monaten enorm sein. Die staatlichen Medien, allen voran ARD und ZDF, aber auch SPIEGEL, ZEIT und andere Blätter, die nur noch Erziehungskuren für die Uneinsichtigen verordnen, wären gut beraten, die deutsche Gesellschaft auf die Zeit nach der verpflichtenden Willkommenskultur vorzubereiten. Doch das wird strikt verweigert. Man kann zwar insgeheim auf die Macht des Faktischen vertrauen, aber es ist zu befürchten, dass es zu spät sein wird, die Folgen der hybriden Politik Deutschlands noch in irgendeiner politisch vertretbaren Weise handhaben zu können. Kein demokratisch regiertes Land kann etwa Massenabschiebungen durchsetzen. Zudem hat Deutschlands faktische Aufgabe aller europäischen Asylgesetze Folgen für die europäische Gemeinschaft als Ganzes. In diesem Punkt ist den Ungarn Recht zu geben.

Der in diesem Jahr 90 Jahre alt gewordene Jean Raspail kann seine vor fast einem halben Jahrhundert verfasste Vision heute wohl als bestätigt sehen. Aber ich vergaß den entscheidenden Einwand gegen seine Voraussagen: Raspail ist ein »Rechter«.

Deutscher Herbst 2015

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