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Über den reflexiven Charakter der Unendlichen Geschichte

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Betrachten wir die reflexiven Züge des Romans genauer, so wird der Unterschied zu Tolkien noch deutlicher. Ein Frodo Beutlin (die Hauptfigur des Herrn der Ringe), der auf seinem Weg nach Mordor plötzlich innehielte, um sich in gesetzten Worten an den Leser zu wenden, wäre eine Absurdität, die den Rahmen des Buches sprengen würde. Genau diese Art reflexiver Bewegung begegnet uns hingegen mehrfach und nachdrücklich in der Unendlichen Geschichte, etwa wenn das phantásische Wesen Uyulála klagt:

»[…] Wir sind nur Figuren in einem Buch,

und vollziehen, wozu wir erfunden.

Nur Träume und Bilder in einer Geschicht’,

so müssen wir sein, wie wir sind,

und Neues erschaffen – wir können es nicht […].« (UG 109)

An wen aber richten sich die Worte der Uyulála? An den Phantásier Atréju, der nach vielen Abenteuern in ihren Tempel vorgedrungen ist? An das »Menschenkind« Bastian, das dies alles gebannt auf seinem Matratzenlager verfolgt? Oder doch eher an den Leser von Endes Roman, der damit aufgefordert wird, zwischen innerer und äußerer Handlung, zwischen Atréjus Phantásien und Bastians »Menschenwelt« zu unterscheiden? Aber wie »realistisch« ist diese eigentlich? Nehmen wir das zentrale Kapitel der Unendlichen Geschichte, »Der Alte vom wandernden Berge« (UG 177–190), genauer in den Blick, so wird klar, daß die vermeintliche »Rahmenhandlung« um den Jungen auf dem Speicher tasächlich in höchstem Maße fiktiv ist, steht sie doch in einem Buch (die Unendliche Geschichte des Alten) in einem Buch (die Unendliche Geschichte aus dem Antiquariat Koreander) in einem Buch (Endes Roman) aufgezeichnet. Mehr noch: Augenzwinkernd geben auch die handelnden Personen dieser Ebene dem Leser zu verstehen, daß sie sich, ebenso wie die Uyulála, ihrer Rolle als »Figuren in einem Buch« durchaus bewußt sind, etwa wenn vom »erfahrenen Phantásienreisenden« (UG 427) Koreander gesagt wird: »Vielleicht hat [Die unendliche Geschichte] in genau diesem Augenblick gerade jemand anders in der Hand und liest darin« (UG 426) – womit er offenkundig auf den Leser von Endes Roman anspielt. Auf der Suche nach der »eigentlichen« Rahmenhandlung rutscht so der Leser gleichsam immer wieder ein Stockwerk tiefer, bis er schließlich bei sich selbst, bei seiner eigenen Existenz anlangt. Dadurch aber hat die reflexive Bewegung in der Unendlichen Geschichte ihren äußersten Kreis geschlagen, hat nicht nur die Figuren im Buch, nicht nur dessen fiktiven Leser Bastian,106 sondern auch den realen Leser von Endes Roman in ihren Bann gezogen – und der Autor sein erklärtes Ziel erreicht: »Geschichten zu schreiben, die [den Leser] auf sich selbst zurückverweisen.«107

Michael Endes Philosophie

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