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Chambre 212

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2015

Sie hatte leise an meine Tür geklopft, vor zwei Stunden. Jetzt ist es 3:30 Uhr, und wir liegen ineinander verkeilt auf meinem Bett. Wir küssen uns, erst zaghaft wie zwei Teenager, irgendwann ziehen ihre Zähne an meiner Lippe, locken mich. Ihre Lippen sind weich und warm und voll, ich öffne die Augen immer wieder, weil ich sie sehen will, sehen muss. Ihre weiße Bluse ist weit aufgeknöpft, nur ein Knopf ist noch geschlossen, ganz unten. Sie trägt weiße Spitzenwäsche, die teuer aussieht. Ihre Haut schimmert, ich sehe den Ansatz ihrer Brüste. Noch hat sie ihren BH an. Wir lassen es langsam angehen. Ich hoffe, sie sieht mich nicht so prüfend an wie ich sie.

Die griechische Sonne hat ihren Teint geschaffen. Ich mag ihre Augen, je näher ich ihr komme, desto mehr mag ich sie. Ich selbst bin vorhin ins Bad gegangen, einfach so, ohne Erklärung, weil mir nichts einfiel. Ich zog mir dort mein Hemd aus, ich wollte nicht, dass sie mich dabei sieht.

Sie hatte mir geschrieben, noch bevor ich im Ratsgebäude angekommen war:

»Hi. Ich bin zu erschöpft, um noch auszugehen. Wollen wir uns bei Dir treffen? Bei mir geht nicht. Es ist das Delegationshotel.«

Ich antwortete sofort:

»Renaissance Hotel, Chambre 212. À bientôt.«

Ich hatte noch zwei Aufsager für die verschiedenen Sendungen produziert, etwas über »weitreichende Differenzen« erzählt, die man »auf einer Sonderkrisensitzung« in zwei Wochen gesondert besprechen würde, eventuell würden sich auch die »Staats- und Regierungschefs noch mal dazu treffen müssen«, und am Schluss hatte ich das schöne leere Wort »Chefsache« benutzt. Pointe. Abgang. Feierabend.

An der Bar im Café d’Autriche gab es noch bis Mitternacht Jupiler-Bier, dem ich zusammen mit der sehr hübschen Kollegin vom ORF und ein paar alten Schreiberlingen von Neuer Zürcher Zeitung und St. Galler Tagblatt ordentlich zugesprochen hatte. Dass Bier im Ratsgebäude beinahe billiger ist als Espresso, ließe wohl auch viel Raum für Journalistenpsychogramme.

Ich nahm ein Taxi ins Hotel. Ich spürte mein Herz, es schlug mir bis zum Hals, ich legte den Kopf gegen die regennasse Scheibe und trommelte auf den Ledersitz. Warum war ich aufgeregt? Sicher nur der lange Tag, die Reise aus Paris, Hasten in den Rat, Hasten ins Resto, Hasten ins Hotel. Ein heißer Tag. Der Taxifahrer sprach nicht, was für ein toller Kerl, er fuhr einfach die fünf Minuten bis zur Place du Luxembourg durch dunkle Straßen, die Büros waren ausgestorben, das EU-Viertel-Raumschiff war gelandet, keine Spuren menschlichen Lebens.

Sie hatte geklopft, nachdem ich geduscht, mich wieder angezogen und den Gin aus der Minibar genommen und mit leichter Zugabe von Tonic trinkbar gemacht hatte.

Sie war ohne jedes Zögern eingetreten. Wir hatten uns erst einmal gesehen, eine Minute aus der Ferne, es war vor zwölf Stunden gewesen und fühlte sich an, als sei es ewig lange her. Wir hatten uns zur Begrüßung auf die Wangen geküsst. Dann setzte sie sich auf mein Bett. Sie war wirklich erschöpft, ich sah die Müdigkeit, und doch lachte sie. Ich gab ihr ein Glas, und sie lachte wieder, sie war so präsent, wir sahen uns an, sprachen Englisch, sie hatte einen süßen griechischen Akzent:

»Ich mache das nicht sehr oft, dass ich irgendeinem Mann schreibe und mich gleich mit ihm treffe.«

Ich wollte mich gleich an ihr Lachen gewöhnen, es war ein schönes, offenes Lachen, ihre dunkelbraunen Augen funkelten. Doch zugleich hatte sie die Arme verlegen um den Oberkörper geschlungen, vielleicht war ihr kalt, sie sah sich um, mein Hotelzimmer war Standard, vielleicht ein bisschen besser als belgischer Standard, es gab sogar einen Schreibtisch. Und eine Badewanne. Ihr suchender Blick gab mir die Gelegenheit, sie weiter anzusehen: Sie war noch schöner, als ich es am Nachmittag wahrgenommen hatte. Ich hatte das Foto auf Tinder im Verlauf des Abends noch circa tausendzweihundertmal betrachtet. Doch nun sah ich ihre Bewegungen, ihr Gesicht, ihre Regungen. Die dunklen Locken ungezähmt und ungezählt.

»Was machst du so?«, fragte ich sie, ich fand das einen lässigen Gesprächsstart, wusste aber gleichzeitig, dass ich einfach nur beschissen aufgeregt war, in diesem Moment mit einem fremden Mädchen aus dem Internet auf meinem Zimmer. Und sie war ja nicht irgendein Mädchen. Irgendeine Frau. Sie war die, die ich gewollt hatte. Neben den anderen, die ich vorher nach rechts gewischt hatte. Sie hatte mich angesehen, mit diesem zarten Lächeln, ironisch, selbstbewusst.

»Ich bin Referentin in der Pressestelle des Ministers. Es ist mein erstes Jahr dort, ich komme von der Uni in Saloniki. Aber es läuft gut. Deshalb bin ich schon in Brüssel dabei.«

Das konnte ich mir vorstellen. Sie war jung, klug, und sie war rasend schön, sie war ein Hingucker, das öffnete Türen, das konnten auch der Pressesprecher und der Minister nicht übersehen haben. Die Griechen brauchten Fürsprecher in diesen Tagen.

»Und du bist also Reporter?«

Ich nickte und lächelte sie an: »Genau. Ich bin Deutsch-Franzose, ich pendele zwischen den Hauptstädten und den Sendern. Ich hab ’ne Wohnung in Berlin und eine WG in Paris und arbeite für zwei Nachrichtensender als Freelancer. Du siehst, ich bin immer unterwegs.«

»Das klingt toll. Du kommst viel rum. Und du bist doch noch sehr jung, oder?«

Merkwürdig, dass ausgerechnet sie mir diese Frage stellte. Dabei war sie doch bestimmt viel jünger als ich.

»Na ja, ich bin schon lange dabei. Sag, Agápi, wie ist es, derzeit ausgerechnet für diese Regierung zu arbeiten?«

Sie grinste, als hätte sie die Frage erwartet.

»Es brennt an allen Ecken und Enden, und gerade dadurch habe ich das Gefühl, Teil von etwas Großem zu sein, weißt du? Ich weiß gar nicht, wann ich zuletzt in meiner Wohnung in Athen war, geschweige denn, wann ich meine Familie das letzte Mal besucht habe.«

»Bist du in Athen aufgewachsen?«

»Nein, in Ioannina, das ist eine kleine Stadt im Osten Griechenlands, sozusagen in der linken oberen Ecke.«

Mir gefiel diese einfache Erklärung der geographischen Lage. Ich begann sie zu mögen. Ja, ich mochte sie wirklich. Sie war selbstbewusst, sie war klug. Wie viel wusste sie von den Plänen ihres Ministers? Ich fragte es mich und schämte mich im selben Moment dafür.

»Und wo stammst du ursprünglich her? Berlin oder Paris?«

Ich stockte. Natürlich wusste ich, dass diese Frage kommen würde. Mehr über mich, meine Geschichte, meine Vergangenheit. Mir war jetzt sehr nach Sex zumute.

»Ich bin in Berlin geboren, in Lille aufgewachsen und hab dann wieder in Berlin studiert.«

»Und deine Familie?«

Eine längere Pause, ein Schluck aus dem dritten Glas Gin Tonic, ich hatte an der Rezeption nachgeordert.

»Meine Eltern sind getrennt, mein Vater lebt noch in Lille. Meine Mutter …«

»Schon gut«, sagte sie, weil sie spürte, dass ich nicht konnte, selbst wenn ich gewollt hätte. Sie sprach die zwei Worte sanft aus, ich ging darüber hinweg, sah sie erst mal eine Weile nicht an, doch sie nahm es mir ab, erzählte ein wenig von ihrem Tag, nichts Geheimes natürlich. Nur etwas über die Anreise, der griechische Minister flog mittlerweile Economy. Die EU-Finanzminister mochten diese neue Bescheidenheit, doch der Hauptgrund war wohl, dass es wirklich Geld sparte. Ich wiederum erzählte von meinen Schalten, vom Abendessen und wie sehr es mich freute, dass sie mein Tinder-Bild gematcht hatte. Zeit für Annäherung.

Nun liegt sie vor mir, ich weiß nicht, wer betrunkener ist, sie oder ich. Ich küsse sie, heftiger, ich löse mich von ihr, betrachte ihren Körper, streichele über ihre Haut, dann senke ich den Kopf wieder. Ich küsse ihre Arme, gleite tiefer, sie nimmt meinen Kopf in die Hände und zieht mich nach oben, um mich zu küssen, ich öffne ihren BH, schnell, mit einer Hand, streife ihn ab und betrachte sie, es ist ein unglaubliches Gefühl, im schummerigen Licht der Nachttischlampe ahne ich mehr, als ich sehe. Ich mag ihre Brüste, ich spüre, wie ich mit einem Schlag glücklich werde, glücklich und erregt. Ich senke meinen Kopf, küsse sie weiter, sanft, dann drängender, meine Hand fährt in ihre Hose, sie hat ihre Hände an meinem Hintern. Ich beiße sie in die Brust, ich will ihre Lust entfachen, stärker, schneller. Ich knöpfe ihre Hose auf, sie lässt es geschehen, stöhnt leicht. Und ich, mutiger, ziehe die Hose herunter, und in einer einzigen fließenden Bewegung gleitet meine Hand in ihren Slip, passend zum BH, weiße Spitze, sehr schön, sehr teuer. Die Krise hat offenbar noch nicht auf alle Bereiche griechischen Lebens übergegriffen, denke ich und hasse mich, weil ich den verdammten Zynismus nicht aus mir rauskriege, nicht einmal in diesem Moment. Ich spüre ihre Feuchte, spüre sie, streiche über ihre rasierte Scham. Dringe mit dem Finger in sie ein.

»Careful«, stöhnt sie. Vorsichtig.

Ich lasse nicht nach.

»Careful, slowly.«

Ich bewege meinen Finger heftiger, dann einen zweiten. Sie macht sich eng, ich denke, es gefällt ihr nun doch, dann wird sie noch enger, sie windet sich und setzt sich auf.

»Junge, stopp! Das ist keine Liveschalte. Der harte Tag ist vorbei. Du kannst entspannen. Es gibt hier nichts zu gewinnen.«

Sie sagt das deutlich und dennoch lächelt sie. Ich erstarre, senke den Kopf. Sie hat mich belehrt. Ich bin beleidigt, dabei weiß ich, dass sie recht hat. Oder? Ich habe es einfach nicht geschafft, ihre Lust in dem Maße zu wecken, wie sie meine geweckt hat, allein durch ihren Anblick. Ich küsse sie vorsichtig auf den Mund, sie erwidert den Kuss, spielt mit meiner Zunge. Es ist nicht vorbei. Ich atme erleichtert auf.

Dann spüre ich ihre Hand, die meinen Gürtel öffnet, in meine Hose gleitet. Die Party kann beginnen.

Und dann noch die Liebe

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