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Mauer und Erinnerungskultur

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»Wo war eigentlich die Berliner Mauer?« Bei der Beantwortung der Mutter aller Fragen eines Berlin-Besuchers kann es nicht allein darum gehen, den Verlauf eines monströsen Bauwerks nachvollziehbar zu machen. Es muss auch darum gehen, wie an dieses Bauwerk der deutsch-deutschen Teilung erinnert wird. Im Zentrum der öffentlichen Erinnerung steht deshalb vor allem das Gedenken an die Opfer der Mauer sowie die Dokumentation der Auswirkungen der Teilung Berlins auf das Leben der Menschen.


Feiernde Menschen am Grenzübergang Bornholmer Straße am 9. November 1989

Doch wie sieht die »richtige Erinnerung« aus? Verschiedene Ansätze stehen hier heute – auch im Stadtbild – nebeneinander und konkurrieren nicht selten miteinander um die Aufmerksamkeit: privates Gedenken und offizielles Erinnern, wissenschaftliche Aufarbeitung und touristische Eventkultur. Seit dem Bau der Mauer und auch nach deren Fall wurden für die zahlreichen Opfer Gedenkorte eingerichtet, die von Gedenkplatten im Straßenbelag über Kreuze bis hin zu Gedenkstelen reichen. Viele dieser Orte gehen auf private Initiativen zurück, wie z.B. die ›Weißen Kreuze‹ am Reichstag, aber auch auf Anregung von Parteien oder einzelner Abgeordneter. Nach 1990 wurden zudem zahlreiche Anstrengungen unternommen, den früheren Verlauf der Mauer im Stadtbild sichtbar zu machen.

Das Land Berlin konzentrierte sich zunächst auf das Angebot von Informationen im öffentlichen Raum und auf die künstlerische Auseinandersetzung mit der Mauer. 1996 wurde der Kunstwettbewerb ›Übergänge‹ ausgelobt, bei dem es um die künstlerische Gestaltung der einstigen Grenzübergänge ging. Einer der realisierten Siegerentwürfe befindet sich am Beginn der ersten Geschichtstour (siehe auch S. 92).

Nach dem Fall der Mauer hatte vielen der Abriss dieses Symbols der Teilung nicht schnell genug gehen können, auch wenn schon frühzeitig Stimmen laut wurden, die den Erhalt einzelner Abschnitte als Erinnerungsorte anmahnten. Um das vollständige Verschwinden aus dem Stadtbild zu verhindern, wurden einige Mauerabschnitte unter Denkmalschutz gestellt, so z.B. an der Bernauer Straße, der »East Side Gallery« am Ostbahnhof und an weiteren Orten mit kleineren, meist unscheinbaren Überresten.

Mit größerem zeitlichem Abstand setzte das Bedauern darüber ein, die Mauer in der Stadt so gründlich beseitigt zu haben. Viele der noch bestehenden Reste sind oft schwer erkennbar und ohne Hintergrundinformationen nicht unmittelbar verständlich. Um zumindest sichtbar zu machen, wo sich die einstige Mauer erstreckte, wurde deren innerstädtischer Verlauf durch Markierungen im Straßenbelag nachvollzogen. Hierbei handelt es sich überwiegend um eine Doppelreihe aus Pflastersteinen, die gelegentlich durch Eisenplatten mit der Inschrift ›Berliner Mauer 1961- 1989‹ unterbrochen werden. Im Bereich des Abgeordnetenhauses (Niederkirchnerstraße) ist der Verlauf durch ein Kupferband mit der gleichen Inschrift gekennzeichnet, am Reichstag durch Platten von der Breite des Betonfußes der Vorderlandmauer.9


Die Doppelpflasterreihe markiert den ehemaligen Verlauf der Vorderlandmauer

Von Nord nach Süd und westlich um die Stadt herum ist der Berliner Mauerweg angelegt worden. Er wird durch grau-weiße Schilder gekennzeichnet und lädt Berliner und Touristen ein, dem ehemaligen Mauerverlauf zu Fuß oder per Fahrrad zu folgen.


Der Mauerweg ist durch die ganze Stadt mit Schildern ausgewiesen

An zahlreichen Orten entlang dieses Weges wurden im Auftrag des Berliner Senats viersprachige Informationstafeln (deutsch, englisch, französisch und russisch) der Geschichtsmeile Berliner Mauer aufgestellt. Mit Fotos geben sie Auskunft über Ereignisse am jeweiligen Standort, die im Zusammenhang von Teilung, Mauerbau und Maueröffnung stehen.10 Diese Tafeln werden an zentralen Orten durch Informationssäulen ergänzt, die weiterführende Informationen liefern – auf Knopfdruck auch in verschiedenen Sprachen zum Anhören.11

2006 legte der Berliner Senat ein Gesamtkonzept zur Erinnerung an die Berliner Mauer vor, das vorsieht, im öffentlichen Stadtraum ebenso über die Mauer zu informieren wie an deren Opfer zu erinnern. Es bildet die Handlungsgrundlage bis zum Jahr 2011, in dem sich die Errichtung der Mauer zum fünfzigsten Mal jähren wird. Das Konzept baut auf dem auf, was bereits vorhanden war, und will die verschiedenen Gedenk- und Informationsorte in ein einheitliches Konzept integrieren. Diese sollen zueinander in Beziehung gesetzt werden. Darüber hinaus noch bestehende Spuren will man lesbar machen.

Das Konzept sieht als zentralen Ort für das Gedenken an die Opfer die Gedenkstätte Bernauer Straße vor, die erheblich ausgebaut und erweitert werden wird. Die dezentrale Struktur der Erinnerungslandschaft soll jedoch respektiert und die zahlreichen Einzelinitiativen von Organisationen und Vereinen gewürdigt und gestärkt werden. Als dezentrale Orte werden im Einzelnen genannt: Die Wachtürme am Kieler Eck und am Schlesischen Busch, das Parlament der Bäume an der Bibliothek des Deutschen Bundestages, der Potsdamer Platz, die Niederkirchnerstraße, die East Side Gallery, der Bahnhof Friedrichstraße mit Tränenpalast und der Checkpoint Bravo.12


Infostelen bieten zusätzliche Informationen über die Geschichte der Mauer

Mit der Fortschreibung seines Gedenkstättenkonzepts 2008 hat sich auch der Bund als ein wichtiger erinnerungskultureller Akteur in der Hauptstadt neu positioniert.12b Das Gedenkstättenkonzept sieht vor, die erinnerungspolitische Aufarbeitung des SED-Unrechts zu verstärken und in diesem Zusammenhang Widerstand und Opposition besonders zu würdigen. Der Bund ist bereits heute ebenso am Ausbau des Gedenkareals Bernauer Straße zur Teilungsgeschichte der Hauptstadt Berlin beteiligt wie auch Förderer der neuen Landesstiftung »Berliner Mauer«. Im Rahmen eines Geschichtsverbunds zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Deutschland soll die Zusammenarbeit aller Einrichtungen zur Geschichte der SBZ und der DDR gefördert werden. Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien finanziert u.a. das zurzeit laufende Projekt »Todesopfer an der Berliner Mauer, 1961–1989«, mit dem die Zahl der Maueropfer in Berlin und die näheren Umstände ihres Todes erforscht wird. In Berlin soll das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland im »Tränenpalast« am Bahnhof Friedrichstraße eine Dauerausstellung zum Thema »Teilung und Grenze im Alltag der Deutschen« einrichten. Hier sollen dem Gedenkstättenkonzept zufolge »auch die Überwindung der Teilung und die Darstellung des Vereinigungsprozesses 1989/90 Berücksichtigung finden, da bislang kein Ort existiert, an dem die bedeutenden Ereignisse zwischen dem Herbst 1989 und dem 3. Oktober 1990 umfassend gewürdigt werden.«12c Der Deutsche Bundestag hat zudem am 9. November 2007 die Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals beschlossen, das an die friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands erinnern, zugleich aber auch die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte würdigen soll.

Neben diesen verschiedenen Formen des Erinnerns, die der Information und dem Gedenken dienen, ist jedoch auch eine zunehmende Kommerzialisierung bei der Erinnerung an die Mauer zu beobachten. So werden insbesondere im Bereich des früheren Grenzübergangs am Checkpoint Charlie eine Vielzahl von Aktionen und Produkten für Touristen angeboten, z.B. Fotos mit Uniformierten, ›Stamp Your Passport‹-Aktionen, Mauerrundflüge oder eine Trabi-Safari. Im Shop des Mauer-Museums können neben Publikationen zur Mauer aus dem hauseigenen Verlag auch T-Shirts und Kaffeebecher mit dem Aufdruck »You are leaving the American sector«, Mauerstücke und Spielzeugtrabis käuflich erworben werden. So fragwürdig diese Angebote manchmal sind, weil sie die Mauer popkulturell verharmlosen – sie zeigen aber auch ganz deutlich, dass die Teilung der Stadt tatsächlich Geschichte geworden ist, die von vielen nicht einmal mehr erinnert wird und heute nunmehr Touristenakttraktion geworden ist.


Touristenattraktion: Die Berliner Mauer wird heute erfolgreich vermarktet

Wie weit wir uns von der Zeit entfernt haben, in der die Mauer als eines ihrer schockierendsten Zeichen verstanden wurde, trat im Frühjahr 2009 an der East Side Gallery zu Tage. Das längste erhaltene Mauerstück in der Nähe des Ostbahnhofs wurde aufwendig restauriert und konserviert, ein sinnvoller und richtiger Schritt, um die Erinnerung an die Teilung, die Mauertoten und die Folgen des real existierenden Sozialismus wach zu halten. Das Bild der Mauer und ihrer Restaurierung birgt aber auch Absurdes in sich, wenn man daran denkt, dass Generationen gegen dieses Bauwerk gekämpft, es sprichwörtlich untergraben, den Fall ersehnt und bejubelt haben. Die Mauer und ihre erhaltenen Anlagen sind heute ein Freilichtmuseum, das unter Denkmalschutz steht – aber nach wie vor Fragen stellt, auch nach über 20 Jahren Mauerfall.


Exotik pur: Safaris in den Dschungel der Vergangenheit. DDRGeschichte ist vielfach nur noch Gegenstand unterhaltsamer Event-Angebote

Die Berliner Mauer

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