Читать книгу Vom Wienerwald zur Buckligen Welt - Alexandra Gruber Carina - Страница 10
Оглавление6Steinwandklamm, Furth an der Triesting
Rolltreppenfahren in der Klamm
Der Betreiber des Triestingtaler Naturjuwels führt alle Jahre wieder Reporter und Wanderer hinters Licht.
Seit 2012 ereignet sich in Furth an der Triesting jedes Jahr zu Saisonbeginn Erstaunliches. Einmal wird direkt in der Klamm eine Rolltreppe eingebaut, ein anderes Mal der erste sensorgesteuerte Selfie-Elevator Europas, der folgendermaßen funktioniert: Der Sensor begleitet in einer Selfie-Halterung die Kletterer auf einer 15 m langen Leiter nach oben, damit sie sich selbst mit ihrem Handy filmen können. 2019 wurde ein 983 m langer Verbindungsstollen zwischen den Myrafällen (siehe Kapitel 5) und der Steinwandklamm gefunden, der mit Hilfe eines Investors rasch wieder begehbar gemacht werden konnte.
Eines dieser ungewöhnlichen Ereignisse lockte am 1. April 2016 einen Lokalreporter nach Furth, um über eine neue Pumpstation in der Steinwandklamm zu berichten. Die hochmoderne Anlage der Vorarlberger Firma Pumpi sollte laut Klamm-Betreiber Franz Singer in der Lage sein, bis zu zwei Millionen Sekundenliter Wasser in ein Sammelbecken zu pumpen. Diese Innovation würde selbst an den wochenlangen Hundstagen im Hochsommer für einen tosenden Wasserfall sorgen!
Der Redakteur hat die Einladung zur Einweihung der Pumpstation wohl nur flüchtig überflogen und das Datum ignoriert. Als ihm klar wurde, dass er das Opfer eines Aprilscherzes geworden war, nahm er es mit Humor. Die Geschichte erschien genauso in der Zeitung, wie sie sich zugetragen hatte.
»Seit 2012 lasse ich mir jedes Jahr etwas Kurioses einfallen, das ich am 1. April auf die Webseite stelle. Immer wieder fallen Leute auf meine Fake-News herein, der eine möchte den Selfie-Elevator nutzen, ein anderer mit der Rolltreppe fahren oder den Tunnel durchqueren«, erzählt Singer mit einem breiten Grinsen. Für 2020 habe er auch schon eine Idee. Der 79-jährige Klamm-Betreiber hat sich bei manchen den Ruf eines Querulanten erarbeitet, wir erleben ihn als bodenständig, witzig und freundlich. Er äußert lediglich seinen Unmut energisch, wenn ihm etwas auf die Nerven geht – so ärgern ihn jene Wanderer, die sich heimlich beim Drehkreuz vorbei in die Klamm schleichen, weil sie zu geizig sind, um die paar Euro Erhaltungsbeitrag zu bezahlen. Obendrein stört ihn die überbordende EU-Bürokratie. Vor allem letztere Aversion wird den Besuchern nicht lange vorenthalten. Im Eingangsbereich steht eine Tafel mit der Aufschrift: »EU-freie Zone. Hier gilt der gesunde Hausverstand! Vergessen Sie den Regulierungswahn der EU-Bürokraten!« »Manchmal verziehen Leute das Gesicht, wenn sie die Hinweistafel lesen. Aber die meisten schmunzeln«, erzählt er. Mit Politikern im Allgemeinen hat der Klamm-Betreiber auch nicht viel Freude. »Regierungsmitglieder zahlen bei uns € 98,– Eintritt.« Natürlich sei in den letzten Jahren noch kein bekannter Parlamentarier vorbeigekommen, aber falls einer auftauchen sollte, würde er zur Kasse gebeten …
Beschauliche Wanderung entlang des Wasserfalls.
Klamm-Betreiber Franz Singer ist naturverbunden und mag keine Bürokratie.
Türkenloch und das größte Spiegelei der Welt
Gemeinsam spazieren wir entlang eines Baches und überqueren im Wald eine Brücke, bis wir die Steinwandklamm erreichen. Von dort wandern wir in der Schlucht über Stege, Treppen und flache Wege kontinuierlich entlang des Wasserfalls. Singer hat die Klamm von seinem Vater geerbt, der das 35 Hektar große Grundstück in den 1930er Jahren erworben hat. Bis 2010 war sie an den Österreichischen Touristenklub (ÖTK) verpachtet, seither kümmert er sich selbst darum. »Ich bin hier aufgewachsen und kenne jeden Stein«, sagt Singer. Zwei- bis dreimal pro Woche gehe er in die Klamm, um die Steiganlagen zu kontrollieren. Die Wanderwege sind seit 1884 ausgebaut, Kaiser Franz Joseph I. war einer der ersten, der hier durchgegangen ist.
Nach rund zwanzig Minuten erreichen wir eine Abzweigung, rechts ist der Weg blau markiert, links führt eine rote Markierung zum Rudolf-Decker-Steig, wo mehrere Höhlen durchkrochen und fast senkrechte Leitern überwunden werden müssen. Die längste ist 15 m, kann aber auch auf einer sechs Meter hohen Leiter umgangen werden. Oben kommen wir bei den Wildschützhöhlen an. Von diesem Punkt aus erreichen wir rasch das Türkenloch, wo der Weg wieder mit dem blau markierten Pfad zusammentrifft.
Beide Routen, sowohl die über den Rudolf-Decker-Steig als auch die blau markierte einfachere Variante führen zu besagtem Türkenloch. In dieser finsteren Höhle sollen sich die Einheimischen im Jahr 1683 vor den Osmanen versteckt haben. Doch sie verrieten sich mit dem Rauch eines Feuers und wurden verschleppt oder getötet. Ob es sich dabei lediglich um eine Sage handelt, ist ungewiss, 1981 fanden Archäologen in der Höhle Münzen, Tonscherben und Knochen. Nach dem Verlassen des Türkenlochs folgen wir einem Waldweg und kehren eine Viertelstunde später beim Wirtshaus Jagasitz ein.
Bei Eiskaffee und Panoramablick erzählt Singer, dass ihm 1988–1990 auch ein Eintrag ins Buch der Rekorde gelungen sei. »Damals haben wir das größte Spiegelei der Welt mit 2.500 Eiern und einer Größe von 8 m2 gebraten.« Singer sagt, er habe noch viel vor und plane, mindestens 150 Jahre alt zu werden. Der Spruch auf seiner Kappe verrät sein Motto: »Legenden sterben nicht im Bett.«
Tipp
Singers Schmankerl
Singers selbstgemachter Eierlikör soll der beste weit und breit sein. Er ist ebenso käuflich zu erwerben wie seine kaltgeräucherten Lachsforellen aus eigener Zucht.
Jährlich am ersten sonnigen Sonntag nach Ostern veranstaltet er ein Bärlauchfest, bei dem zur Gratisverkostung der Riesenbärlaucheierspeise aus seiner Rekordpfanne geladen wird.