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Unbewusstes sichtbar machen

„ICH KANN ERST SEHEN UND ERKENNEN, WAS ICH BIN, WENN ICH DEN SCHALTER FINDE UND DAS LICHT ANMACHE.“

(Alexandra Stierle)

Ausgrenzung

Wer kennt diese Sätze nicht:

Wie du nur wieder rumläufst!

Dein Lachen sieht aus wie ein Breitfroschmaul.

Schau mal, was die heute anhat!

Trägt man das bei dir zu Hause etwa?

Sag mal, kannst du dir keine coolen Klamotten leisten?

(…)

Diese und viele weitere Sätze bekam ich früher ständig zu hören, insbesondere von meinen Klassenkameraden. In der Schule hatte ich keine guten Erfahrungen gemacht und dachte immer: Ich kann ja nichts dafür, ich hatte eben Pech und nicht so viel Glück wie die anderen. Ich komme nun mal aus einer großen Familie, wir sind fünf Kinder, da bleibt nicht viel übrig.

Stopp: falscher Denkansatz! Wenn ich heute an diese Zeit zurückdenke, dann schmerzt es immer noch, obwohl ich Frieden mit der damaligen Zeit geschlossen habe. Heute würde man dazu sagen, dass ich heftig gemobbt wurde. Ich hatte keine Freunde, man könnte sogar sagen, ich war ein Außenseiter in der Klasse, gefühlt sogar in der ganzen Schule.

Woran das lag? Wenn ich heute mit Abstand darauf schaue, dann waren es sehr viele Gründe: Zum einen kam ich aus einer Großfamilie, das erwähnte ich ja bereits (wir waren fünf Kinder zu Hause, ich die Jüngste), und wir hatten nicht das Geld für teure Markenklamotten von Marco Polo oder BOSS wie die anderen in meiner Klasse. Wir lebten nicht in der Stadt, sondern im Gewerbegebiet und waren dort eher unter uns, in der Familie und Verwandtschaft. Zum anderen trug ich die Kleider von meinen Geschwistern auf und machte mir gar nicht so viel aus Kleidung und legte auch nicht den Fokus darauf. Doch die Klasse, in der ich ab der 7. Klasse im Gymnasium war, war gespickt mit Kindern von Rechtsanwälten, Ärzten und sehr wohlhabenden Familien. Wir waren auch nur 17 Schüler damals in der Lateiner-Klasse, und zudem kamen in diesem Jahrgang zwei Mädchen und zwei Jungen zu mir in die Klasse, die fast zwei Jahre älter waren als ich und scheinbar leichte Beute suchten, um sich selbst zu profilieren. Die Lehrer – Pädagogen, wie sie sich nennen – schauten weg, zu Hause erzählte ich es nicht, wie es mir damals ging, und so ließ ich es über mich ergehen. Was genau mit mir alles gemacht wurde – das wäre an dieser Stelle zu viel. Ich kann nur eines sagen: Es war grausam! Es ist zwar mittlerweile verheilt, aber gedankliche Narben sind heute noch immer ab und an zu spüren. Diese Erlebnisse haben sich bei mir eingeschliffen wie eine Rille in der Schallplatte.

Sicher, ich kann nicht jeden für mein Leben verantwortlich machen – das ist auch gar nicht mein Gedanke mehr. Obwohl: Gewünscht hätte ich mir auch eine andere Jugendzeit. Doch die Zeit war damals, wie sie war, und daran kann ich auch heute nichts mehr ändern. Das Leben ist eben Zeichnen ohne Radiergummi.

Heute bin ich fest überzeugt: Es hatte seinen Grund, dass es mir so ergangen ist. Ich war bestimmt nicht einfach und auch nicht so, wie es jeder gerne gehabt hätte. Ich zog aus irgendeinem Grund Menschen an, die ein Opfer suchten. Und weil ich es nicht erkannte oder auch nicht den Attacken kontern konnte, war ich in der Tat ein Opfer, doch ich machte mich auch selbst dazu. Es wäre so einfach gewesen, Hilfe zu suchen und um Hilfe zu bitten. Doch es war mein Stolz und mein Charakter, die mich daran hinderten. Es fiel mir extrem schwer, auf andere aktiv zuzugehen und um Hilfe zu bitten. Hätte ich dabei doch eingestehen müssen, dass ich nicht gut genug war. Das ist der erste Glaubenssatz, der mir damals im Weg stand: „Ich bin nicht gut genug“ oder anders gesagt: Nicht so, wie man es von mir erwartet hatte. Irgendwie war ich anders als die anderen, so dachte ich es zumindest. Woher dieser Glaubenssatz kam, ist eine ganz andere Geschichte, auf die ich später noch einmal zurückkomme. Sicher hatte es viel mit meiner Erziehung und meinem Umfeld zu tun, in dem ich aufgewachsen war. Doch ist es nicht zu einfach, die Schuld bei den anderen zu suchen? Hätte ich nicht etwas selbst tun können, damit es mir besser gegangen wäre? Ich meine nein! Zum einen war ich damals 12 Jahre alt und noch lange nicht so reif, dass ich mich hätte selbst reflektieren können. Zum anderen war mein Bewusstsein noch gar nicht voll entfaltet. Ich kannte nur das, was ich bis dato vermeintlich gelernt hatte, von meinen Eltern, Geschwistern, Lehrern, Verwandten und von meinen Erfahrungen, die ich bis dahin gemacht hatte. Womit hätte ich es denn damals vergleichen sollen? Schließlich war ich noch mitten in der Pubertät und konnte mich nur an meinem Umfeld orientieren und an meinen Gefühlen.

Die Stimme des Ozeans – Unbewusstes sichtbar machen

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