Читать книгу Heart to heart - Alexia Meyer Kahlen - Страница 7

2.

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Machst du heute noch was oder lässt du Bogart stehen?

Paula las die Textnachricht ihrer Reiterfreundin Anne, als sie gerade aus der Haustür trat, um Bogart aus seiner Box zu holen.

Freundin war eigentlich das falsche Wort, denn auf den Turnieren, wo sie sich regelmäßig trafen, waren sie erbitterte Konkurrentinnen. Mit ihrem Fuchs Furioso war die gleichaltrige Anne ähnlich ambitioniert wie Paula und auch sie stand auf der Auswahlliste für den Kader.

Weiß nicht, was machst du?, textete Paula zurück. Eigentlich hatte sie ihrem Pferd heute einen Ruhetag gönnen wollen, bevor es morgen nach Warendorf zum Bundesstützpunkt des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei, kurz DOKR, ging. Bogart war für die Kader-Qualifikationsprüfung top in Form, und es tat seiner Kraft sicher besser, den Tag heute einfach auf der Weide zu verbringen, als noch mal irgendwelche Lektionen abzurufen oder einen Parcours zu springen.

Ich glaube, ich lasse Furioso noch mal über ein paar Geländesprünge gehen, sonst wird der mir zu gechillt, textete Anne jetzt zurück.

Paula zögerte einen Moment. Da war sie wieder, diese innere Anspannung, die ihren Magen zusammenkrampfen ließ und ihren Herzschlag in die Höhe trieb.

Ich auch, schrieb sie schnell zurück. Wollte Bogart noch mal über unsere festen Sprünge auf der Wiese nehmen, dann bleibt er schön knackig.

Einen kurzen Moment ärgerte sie sich darüber, was sie Anne geantwortet hatte. Eigentlich war der Tag so geplant gewesen, dass sie heute Morgen Bogarts Mähne und Schweif waschen und ihn einflechten wollte und am Nachmittag mit ihren Eltern und deren Friesengespann auf eine Kutschfahrt gehen würde. Es gab für Paula nichts Entspannenderes, als neben ihrem Vater auf dem Kutschbock zu sitzen und die Welt einfach an sich vorbeiziehen zu lassen.

Sie seufzte. Daraus wurde dann wohl nichts. Aber wahrscheinlich hatte Anne recht, und es war gut, die Pferde im Training zu halten. Ausruhen konnten sie sich nach der Quali noch genug.

Beim gemeinsamen Mittagessen drehte sich alles um die bevorstehende Qualifikationsprüfung. Paulas Vater war von Beruf Hufschmied, und wenn seine Tochter ein wichtiges Turnier hatte, legte er seine Kundentermine immer so, dass er Paula und ihr Pferd begleiten konnte.

»Alles gepackt, mein Schatz?«, meinte er jetzt und nahm sich einen ordentlichen Schlag Kartoffelsuppe.

»Schon vorgestern«, versuchte Johannes seine Schwester aufzuziehen, doch ein Blick von Paula brachte ihn zum Schweigen.

»Bogart sieht wunderschön aus«, bemerkte ihre Mutter. »Vielleicht könntest du ihm den Schweif noch etwas kürzen, meinst du nicht?«

Paula nickte und schob ihren vollen Teller zur Seite.

»Komm, komm, du musst doch was essen«, protestierte ihr Vater jetzt.

»Ich kann nicht, bin zu nervös«, gab Paula zurück.

»Die Kutschfahrt wird dir gleich richtig guttun«, schaltete sich ihre Mutter wieder ein. »Papa und ich haben eine neue Route, die geht eine Stunde nur durch den Wald. Du wirst sehen, danach kommt auch dein Appetit zurück.«

Paula zögerte, dann stieß sie schnell hervor: »Ich komme nicht mit. Ich wollte Bogart noch mal über die festen Sprünge auf der großen Wiese gehen lassen.«

»Was soll das denn?«, runzelte ihr Vater die Stirn. »Wir hatten doch abgesprochen, dass du ihn heute stehen lässt.«

»Kind, damit machst du deine Nervosität sicher nicht besser«, fügte ihre Mutter hinzu.

Paula wandte ihren Blick Hilfe suchend Richtung Johannes, doch auch der schüttelte langsam den Kopf. »Keine gute Idee, Schwesterherz. Du springst den nur sauer.«

»Aber Anne macht das auch«, protestierte Paula hilflos.

»Ach, daher weht der Wind«, warf ihre Mutter sofort ein. »Anne trainiert heute noch mal, also musst du auch trainieren. Die erzählt dir das doch nur, damit du dein Pferd müde reitest und sie morgen abräumen kann.«

Paulas Magen zog sich noch mehr zusammen. Sie hasste es, wenn das Gespräch auf Anne kam und ihre Mutter so reagierte. Und vielleicht hatte sie ja noch nicht mal ganz unrecht. Paula wusste oft nicht, woran sie bei der ehrgeizigen Anne war. Aber vielleicht war es ja doch so, dass sie Furioso heute noch mal sprang, und dann war er morgen vielleicht den Hauch besser, der über Platz oder Sieg entschied.

»Ich habe das für mich so beschlossen«, gab sie mit betont fester Stimme zurück. »Ich nehme Bogart nur mal über ein paar Baumstämme, ganz locker, damit er elastisch bleibt.«

Ihre Mutter schüttelte resigniert den Kopf. »Den Dickkopf hast du von deinem Vater.«

»Paula, du bist alt genug, um deine eigenen Entscheidungen zu treffen«, schaltete sich dieser nun ein. »Und du musst deine Prüfungen selbst reiten. Ich persönlich würde dir davon abraten, aber tu, was du meinst, tun zu müssen. Mama und ich machen unsere Kutschfahrt auf jeden Fall. Um zwei geht es los, wenn du es dir noch anders überlegst.«

»Danke, Papa, aber ich weiß echt, was ich tue«, meinte Paula. Aber irgendwie klang ihre Stimme nicht so überzeugt, wie sie es gerne gehabt hätte.

Bogart war ein angenehmes Pferd, das ohne Zögern die Leistung brachte, die man von ihm verlangte. Nachdem Paula ihn mit ein paar Biegungen und Seitengängen im Schritt, im leichten Trab und Galopp aufgewärmt hatte, ließ sie ihn zuerst locker über einzelne Natursprünge gehen. Aus verschieden dicken Stämmen und Stangen, Reisern und Strohballen hatte sie zusammen mit ihrem Vater und Johannes auf der großen Wiese einen Parcours aufgebaut, damit sie auch für den Geländeteil der Vielseitigkeitsprüfungen zu Hause ein wenig trainieren konnte. Bogart nahm die Hindernisse elastisch und in den Kombinationen war sein Gefühl für Distanzen tadellos.

Jetzt einmal den ganzen Parcours durchspringen. Er lief wie ein Uhrwerk.

Eigentlich ist es echt nicht nötig gewesen, dachte Paula. Wie schön wäre es jetzt, stattdessen auf der Kutsche zu sitzen und entspannt durch den Frühlingswald zu zockeln. Sie beschloss, zum Abschluss noch mal den dicken Baumstamm zu nehmen und ihr Pferd dann wirklich in Ruhe zu lassen.

War es eine Unachtsamkeit des Pferdes oder der Reiterin? Der zu frühe Absprung, den Paula überrascht wahrnahm, als sie schon über dem Sprung waren, oder eine Ermüdungserscheinung bei Bogart, dass er die Beine nicht mehr richtig hob? Alles ging so irre schnell, und bevor Paula wusste, wie ihr geschah, drehte sich das Unterste zuoberst, sie wurde vom Pferd geschleudert und nahm aus den Augenwinkeln wahr, dass auch Bogart sich irgendwie überschlug. Dann knallte sie hart auf dem Boden auf.

Als sie die Augen öffnete, galt ihr erster Gedanke ihrem Pferd. Bogart hatte sich wieder aufgerichtet und stand mit hängendem Kopf und zerrissenem Zügel ein paar Meter von ihr entfernt.

Scheiße, Scheiße, Scheiße, schoss ihr durch den Kopf, und sie wollte sich ruckartig aufsetzen, um nach ihm zu sehen. Sofort schoss ein scharfer Schmerz durch ihren Kopf, ihr wurde schwindlig und übel. Paula musste sich wieder hinlegen.

Was sollte sie jetzt nur tun? Ihr Handy. Die Eltern waren noch unterwegs, aber vielleicht Johannes?

Mit übermenschlicher Konzentration zog sie ihr Telefon aus der Tasche und fand unter den Kontakten ihren Bruder, immer wieder unterbrochen durch Flimmern vor den Augen und einen stechenden Schmerz in ihrem Kopf. Schließlich gelang es ihr, den Ruf rauszusenden. Es klingelte und klingelte. Die Mailbox sprang an.

Als Paula versuchte, Johannes etwas draufzusprechen, lauschte sie verwundert dem Klang ihrer eigenen Stimme: nur einzelne krächzende Worte. Wieso hatte sie sich gerade nur so wenig im Griff?

Das ganze Ausmaß des Ereignisses traf sie plötzlich mit voller Wucht. Die Kader-Quali! Sie drehte den Kopf vorsichtig zur Seite und blickte wieder zu Bogart. Er belastete alle vier Beine gleichmäßig. Das war schon mal ein gutes Zeichen. Ein Ersatzzügel war schnell besorgt. Wenn nur ihr blöder Kopf nicht wäre. Der Schmerz kam jetzt in Wellen und raubte ihr fast das Bewusstsein.

Es konnte nichts Schlimmes sein, sie hatte doch eine Kappe getragen. Wenn der Familienarzt Dr. Kopp ihr ein gutes Schmerzmittel verschrieb, wäre sie schon wieder einsatzfähig.

Paula hatte jedes Gefühl für Zeit verloren, als sie plötzlich rennende Schritte wahrnahm und die Stimmen von Johannes und ihrem Vater. »Sieht aus, als wäre sie vom Pferd gestürzt. Schnell, ruf den Rettungswagen.«

Paula wollte protestieren: »Es ist doch nichts. Ich bin voll einsatzfähig«, doch aus ihrem Mund kam nur ein unzusammenhängendes Gebrabbel.

Was dann folgte, nahm sie nur durch einen Nebel wahr. Das Martinshorn, Sanitäter, die sie mit größter Vorsicht auf einer Bahre fixierten, ein Notarzt, der irgendwelche neurologischen Tests an ihr durchführte, und dann ging es mit Blaulicht ins Krankenhaus. Wieder endlose Tests und Untersuchungen, bis der Oberarzt schließlich Entwarnung gab. Die Wirbelsäule und der Schädel waren unverletzt.

»Du hast dir eine ordentliche Gehirnerschütterung zugezogen, kleine Schwester«, waren die ersten Worte, die sie wieder klar vernahm. Paula blickte in die besorgten Gesichter von Johannes und ihren Eltern, die sich um ihr Krankenbett versammelt hatten.

»Sie wollen dich noch bis morgen zur Beobachtung hierbehalten, dann kannst du wieder nach Hause«, fügte ihre Mutter hinzu.

Paula hörte gar nicht richtig hin. »Was ist mit Bogart?«, schoss es aus ihrem Mund.

»Der Tierarzt checkt die Beine noch mal gründlich durch, und die Osteopathin habe ich auch gleich angerufen, damit sie sich den Rücken anguckt. Aber für mich sieht es so aus, als wäre er noch mal mit einem blauen Auge davongekommen«, ließ ihr Vater jetzt hören. »Genau wie du.«

Paula stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Wo ist mein Handy?«

»Du hast jetzt erstmal handy- und pferdefrei. Der Arzt sagt, dass du dich ein paar Wochen schonen musst«, ermahnte sie ihre Mutter.

»Ein paar Wochen?«, rief sie aus. Sofort lief wieder eine Welle von Schmerz und Schwindel durch ihren Kopf. Paula versuchte, sich nichts anmerken zu lassen und möglichst normal weiterzusprechen. Warum klang ihre Stimme nur so schleppend?

»Ich muss Anne anrufen und ihr sagen, dass es mir gut geht. Ich will auf keinen Fall, dass Horst Ernst und die Kader-Kommission denken, ich sei aus dem Rennen.«

»Ich würde mal sagen, du bist aus dem Rennen, kleine Schwester«, meinte Johannes. »Und komme jetzt bitte nicht auf die Idee, die Hans-Günther-Winkler-Halla-der-Ritt-meines-Lebens-Nummer abzuziehen.«

»Ich will keine Nummer abziehen, sondern einfach nur tun, was ich tun muss«, gab Paula zurück. Sie kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung, das unangenehme Stechen auszuschalten, das vom Tageslicht in ihren Augen verursacht wurde. »Wenn Bogart okay ist und der Arzt mir irgendwas gegen diese blöden Schmerzen gibt, sehe ich kein Problem darin, in Warendorf an den Start zu gehen.«

»Es ist die Halla-Nummer«, wandte Johannes sich trocken an seinen Vater.

Frank Lippold ging erst gar nicht auf Paulas Worte ein und wandte sich an seinen Sohn: »Woher kennst du überhaupt die Geschichte von Hans Günther Winkler und seiner Halla? Das ist doch nun echt lange vor deiner Zeit.«

»Finde ich einfach cool, wie sie ihn damals in Stockholm fehlerlos durch den Parcours getragen hat, obwohl er komplett ausgeschaltet war«, zuckte Johannes mit den Schultern. »Wenn dein Pferd so was für dich tut … Respekt!«

»Hallo? Was redet ihr da?« In Paulas Stimme mischten sich Ärger und Verzweiflung. Sie wandte sich an ihre Mutter. »Mama, kannst du bitte mit dem Arzt reden, dass er mir was gibt und ich morgen reiten kann? Du weißt, was diese Qualifikation für mich bedeutet!«

»Das müssen wir gar nicht diskutieren«, gab ihre Mutter resolut zurück. »Du brauchst jetzt Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Ich rufe nachher im DOKR in Warendorf an und sage, dass du morgen nicht an den Start gehst.«

Da saß sie nun. »Du kannst alles tun, was deine Symptome nicht verschlimmert«, hatte ihr der Arzt bei der Entlassung mitgegeben. Sie durfte also draußen mit Familienhund Boomer spazieren gehen und Löcher in die Luft starren. Einmal am Tag besuchte sie Bogart auf der Weide, der gar nicht so traurig über die unverhoffte Pause zu sein schien.

Ihr Handy wurde ihr nur stundenweise von ihrer Mutter ausgehändigt, und wenn Paula ehrlich war, strengte es sie nach kurzer Zeit auch ziemlich an, sich auf die kleine Schrift zu konzentrieren. Oft schlief sie auf dem Sofa einfach ein.

Dafür lag sie nachts wach und starrte in die Dunkelheit. Wie sollte sie sich nun verhalten? Anne anrufen und hören, wie es gelaufen war und was man am Bundesstützpunkt über sie gesagt hatte? Doch der Gedanke, dass die Freundin nun vielleicht im Kader war, schien Paula unerträglich. Oder sollte sie direkt Horst Ernst, den Cheftrainer des Jugendperspektivkaders, anrufen und ihn fragen, ob sie noch eine Chance bekam? Doch was sollte sie ihm sagen? Ich bin bei einem einfachen Geländesprung vom Pferd gefallen?

Ehrlich gestanden wusste sie selbst gar nicht genau, was passiert war. Es schien, als sei Bogart irgendwie am Sprung hängen geblieben und habe sich überschlagen. Eigentlich hatten sie beide ein Riesenglück gehabt, dass ihnen nicht mehr passiert war. Paula versuchte, sich dazu zu bringen, es so zu sehen, doch irgendwie gelang es ihr nicht. Die Enttäuschung war einfach zu groß, dass die Tür, auf die sie so lange gestarrt hatte, sich wieder geschlossen hatte, als sie eben im Begriff war hindurchzugehen.

Heart to heart

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