Читать книгу Heart to heart - Alexia Meyer Kahlen - Страница 8
3.
ОглавлениеIch bin drin. Annes kurze Textnachricht platzte mitten in ihre nachmittägliche Döse- und Schlummerzeit. Paula hatte plötzlich das Gefühl, als würde in ihrem Magen ein Feuer brennen.
Sie sammelte sich einen Moment und textete zurück. Schön für dich. Herzlichen Glückwunsch.
Dann kam erst mal nichts. Sie starrte aufs Handy, als wolle sie es hypnotisieren.
Nach einer gefühlten Ewigkeit schrieb Anne: Wie geht es dir?
Gut, tippte Paula zurück. Anne sollte bloß nicht denken, dass sie aus dem Feld geschlagen war. Wie war’s denn so?
Sofort kam zurück: Wann bist du wieder einsatzfähig? Ich habe gehört, wie Horst zum Assistenztrainer gesagt hat: Die kleine Lippold hätte ich gerne noch dabei.
Paula stockte der Atem, und sie ignorierte den Stich, dass Anne den Cheftrainer jetzt offenbar schon duzte.
Sofort tippte sie ins Handy: Ich bin einsatzfähig. Jetzt. Sofort.
Cool, textete Anne zurück. Horst meldet sich sicher bei dir. Es gibt noch eine Nachquali in drei Wochen.
Die Worte tanzten vor Paulas Augen und in ihrem Kopf: Nachquali in drei Wochen. Da war sie, ihre zweite Chance. Und sie würde sie ergreifen, egal, was irgendwer sagte.
Paulas Kopfschmerzen waren von Tag zu Tag besser geworden, und so staunte ihre Mutter nicht schlecht, als sie zehn Tage nach dem Unfall wieder in Reitsachen am Frühstückstisch saß.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?«
»Ich muss Bogart wieder ins Training nehmen. Wir haben ja nur noch zwei Wochen, und ich kann förmlich zusehen, wie er jeden Tag mehr Muskeln abbaut.«
»Papa und ich haben deiner Teilnahme an dieser Nachqualifikation nur unter der Bedingung zugestimmt, dass dein Kopf wieder vollkommen in Ordnung ist.«
»Ist er«, gab Paula schnell zurück. Sie verschwieg, dass sie immer noch mit Übelkeit kämpfte, nachts schlecht schlief und dementsprechend tagsüber müde war.
»Ich würde das lieber erst noch mal mit Dr. Kopp abklären, ob du wirklich schon wieder reiten kannst. Du würdest mit einer Bänderzerrung am Sprunggelenk doch auch nicht gleich wieder Sport treiben.«
»Paula schon«, kam von Johannes, der gerade die große Wohnküche betrat. »Guten Morgen allerseits.«
»Mann, du nervst«, giftete Paula ihren Bruder an.
»Ich habe dich auch lieb«, gab Johannes grinsend zurück. »Was hältst du davon, wenn ich dein Olympiapferd einfach mal ein bisschen longiere. Ich kann ihn auch freispringen lassen. Dann hast du nicht so einen Stress mit dem Gesundwerden.«
Paula war hin- und hergerissen, was sie Johannes auf sein großzügiges Angebot antworten sollte. Sie spürte, dass sie von ihrer Konzentrationsfähigkeit und Reaktionszeit her noch nicht wieder die Alte war. Aber sie hatte nur noch knapp zwei Wochen, um sich und Bogart wieder in Topform zu bringen.
»Johannes kann Bogart doch heute einfach mal ein bisschen vom Boden aus arbeiten lassen, er hat ja jetzt zehn Tage gestanden. Und morgen setzt du dich drauf und beginnst, ihn wieder anzutrainieren«, schlug ihre Mutter vor.
Paula nickte langsam. »Okay, einverstanden.« Sie drückte den Arm ihres Bruders. »Danke, Jojo. Und sorry, dass ich dich vorhin so angepampt habe.«
»Dafür habe ich bei dir einmal Suchen gut«, gab Johannes grinsend zurück.
Ihr Bruder hatte Bogart einfach nur sein Stallhalfter angezogen und führte ihn an der Longe auf den Reitplatz. Paula und ihr Vater standen an der Umzäunung und sahen zu, wie er den Wallach im Schritt auf den Zirkel schickte. Bogart schnaubte entspannt ab.
Die tierärztliche Abklärung seiner Sehnen und Gelenke hatte nichts Auffälliges ergeben, und nachdem sie ein paar verklemmte Wirbel im hinteren Teil des Rückens gelöst hatte, erklärte auch die Osteopathin ihn wieder für uneingeschränkt leistungsfähig.
Nachdem er ein paar Runden Schritt gegangen war, ließ Johannes ihn antraben. Auch hier zeigte Bogart klare, elastische Gänge.
»Sieht alles super aus«, meinte ihr Vater.
Paula nickte. Warum hatte sie nur plötzlich so eine blöde Enge in der Brust?
Johannes wechselte die Hand und auch hier zeigte der Wallach einen klaren Trab. Paula entspannte sich allmählich und das Engegefühl klang ab.
»Lass ihn mal angaloppieren«, rief sie Johannes zu.
Dieser schnalzte und hob die Longierpeitsche. Das war wohl etwas zu viel für seine aufgestaute Energie, denn Bogart raste plötzlich wild buckelnd los, sodass Johannes ihn mit der Longe kaum auf der Kreisbahn halten konnte.
Im selben Augenblick hatte Paula das Gefühl, als schließe sich eine Eisenklammer um ihr Herz und nehme ihr die Luft zum Atmen. Ihr wurde schwindlig, ihr Herz begann wie verrückt zu rasen, und sie hatte das Gefühl, als müsse sie sich gleich übergeben.
»Der hat Dampf«, lachte ihr Vater neben ihr, doch Paula nahm ihn nur durch einen Nebel wahr. Sie war viel zu eingenommen von den intensiven Vorgängen in ihrem Körper. Das Schlimmste aber war die Angst. Wie eine gefräßige Krake nahm sie Paulas Denken und Fühlen vollkommen ein und schickte ihren ganzen Körper in ein unkontrolliertes Beben. Merkte denn keiner, was mit ihr los war?
Sie blickte auf den lachenden Johannes, dem Bogarts Temperamentsausbruch offenbar Spaß zu machen schien und der ihrem Vater jetzt irgendetwas zurief. Nein, nicht ihrem Vater. Ihr rief er scherzend etwas zu: »Willst du dich mal draufsetzen?«
Paula öffnete den Mund, aber konnte nicht antworten, weil sie das Gefühl hatte, als sei ihre Zunge auf die dreifache Größe angeschwollen. So plötzlich, wie der ganze Spuk gekommen war, flaute er auf einmal wieder ab.
»Alles gut?« Ihr Vater blickte sie an. »Bist ein bisschen blass um die Nase, Kleines.«
Paula schüttelte den Kopf. »Alles gut.«
Sie rief Johannes zu: »Lass ihn schon mal freispringen, ich muss nur mal eben aufs Klo.« Wenigstens ihre Stimme hatte sie wieder unter Kontrolle.
Sie rannte ins Haus und musste sich übergeben. Dann saß sie zitternd auf dem Klodeckel. Was war nur los mit ihr?
Wahrscheinlich hatte ihre Mutter recht und sie war einfach noch nicht wieder ganz fit. Sie würde Johannes fragen, ob er Bogart noch ein, zwei Tage länger bewegen konnte, und sie könnte sich noch ein bisschen erholen.
Paula spürte, wie sie sich bei dem Gedanken entspannte. Ja, das war ein guter Plan.
Die kleine innere Stimme, die ihr bedeutete, dass die Attacke eben nichts mit ihrer Gehirnerschütterung zu tun hatte, verdrängte sie irgendwo in den hintersten Teil ihres Bewusstseins.