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Das Rascheln des Universums

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von Alfred Bekker

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Weit entfernt von der Erde, im Einflussbereich der Allianz Kalimpan...

Ein unruhiges Zittern erfasste Hgrreks grazilen Körper. Es war eine Reaktion der Nerven, die höchste emotionale Erregung signalisierte. Allzu lange hatte Hgrrek Fassung bewahren und den wahren Zustand seiner Seele verschleiern müssen.

Er war schließlich der Erste der Chgorr.

Der oberste Repräsentant eines der Völker, die sich in der Allianz Kalimpan zusammengeschlossen hatten. Die Chgorr glichen etwa ein Meter sechzig hohen Schmetterlingen von ausgesprochen filigraner, zartgliedriger Gestalt. Trotz der Tatsache, dass sie auf Angehörige anderer Spezies sehr zerbrechlich wirkten, wussten sie sich durchaus ihrer Haut zu wehren und verfügten über eine Flotte von bewaffneten Raumschiffen. Einen mehrere Dutzend Lichtjahre durchmessenden Raumsektor um die Heimatwelt Lasraf herum hatten sie unter ihrer Kontrolle. Stützpunkte und Kolonien befanden sich auf einer ganzen Reihe von Planeten.

Aber das Volk der Chgorr stand jetzt an einem Wendepunkt in seiner Entwicklung. Genau wie die gesamte Allianz Kalimpan.

Die Krise stand unmittelbar bevor.

Hgrrek spürte es mit jeder Faser seines zerbrechlich wirkenden Körpers. Auch wenn viele in seinem Volk sich vor dieser Erkenntnis noch drückten -—es half nichts, die Augen vor dem Unvermeidlichen zu verschließen.

Hgrrek stieß ein paar Töne im Hochfrequenz-Bereich aus, die nicht einmal das feine Gehör eines Chgorr noch wahrzunehmen vermochte. Allerdings hatten diese unhörbaren Laute eine beruhigende Wirkung auf die Psyche. Sie waren Teil eines Rituals der Hgalrrah-Meditationsschule. Es war üblich, dass die geistige und politische Elite von Lasraf bei Hgalrrah-Lehrern die Kunst der Selbstbeherrschung gelernt hatte. Mit Hilfe bestimmter Übungen und Rituale sollte unter höchster psychischer oder physischer Belastung ein Zustand des Gleichgewichts erreicht werden. Ein Nebeneffekt war die weitgehende Beherrschung äußerlich sichtbarer Anzeichen emotionaler Regungen. Die Veränderungen der Flügelfärbung gehörten dazu.

Hgrrek trat auf die von innen durchsichtige Wand seiner Residenz zu. Seine langen, sehr dünnen Bein-Extremitäten verliehen ihm dabei ein erstaunliches Maß an Stabilität.

Die Residenz des Ersten der Chgorr lag hoch über As-Lasraf.

"Perle von Lasraf" - so lautete die Übersetzung dieses Namens.

As-Lasraf war die größte und bedeutendste Stadt auf der Heimatwelt der Chgorr. Die kokonartigen Gebäude waren nahezu perfekt an die natürliche Umgebung angepasst. Der einzige Kontinent Lasrafs war zum Großteil mit dichtem Dschungel bedeckt. Die Luftfeuchtigkeit war enorm. Der hohe Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre sorgte für einen beträchtlichen Treibhauseffekt. Die Vegetation neigte unter diesen Bedingungen zu Riesenwuchs. Bäume von bis zu dreihundert Metern Höhe waren durchaus keine Seltenheit. Die kokonartigen Gebäude der Chgorr hingen wie reife Früchte von den gewaltigen Ästen dieser aus extrem hartem Holz bestehenden Bäume, von denen manche bis zu zwanzigtausend Planetenumläufe alt werden konnten.

Lasrafs Sonne leuchtete wie ein verwaschener Lichtfleck durch die Wolken hindurch.

Ka-La-Lasraf wurde sie in der Sprache der Chgorr genannt. Das große Licht von Lasraf.

Im Gegensatz dazu gab es in der Nacht die kleinen Lichter von Lasraf. So bezeichneten die Chgorr sowohl die drei bei Nacht sichtbaren Monde ihres Heimatplaneten, als auch den Nachbarplaneten Tasaragh, der von Lasraf aus wie eine gewaltige tiefblau leuchtende Scheibe wirkte.

Außer den Nachtmonden besaß Lasraf auch noch drei Trabanten, die vom Tageslicht überstrahlt wurden und daher unsichtbar waren.

Sämtliche Planeten und Monde des Heimatsystems der Chgorr wurden durch röhrenartige Konstrukte miteinander verbunden. Die sechs Monde umliefen Lasraf deshalb in geostationären Bahnen, die die Chgorr vor langer Zeit mit großem technischem Aufwand synchronisiert hatten.

Die Umlaufgeschwindigkeit der anderen Planeten des Systems war ebenfalls mit Lasrafs Umlauf um seine Sonne synchronisiert.

Gemeinsam umkreisten sie Ka-la-Lasraf, ihr Zentralgestirn.

Die Verbindungen zu den Trabanten und Nachbarwelten waren nicht fest verankert. Die röhrenartigen, aus einem überraschend dünnen, karbonartigen Material bestehenden Bauwerke waren durch ein Energiefeld mit der Planetenoberfläche verbunden. Durch Eigenrotation wanderten sie und erschienen Tag für Tag zur gleichen Uhrzeit wieder exakt am selben Ort. Durch diese Verbindungen verkehrte eine Art interplanetarer Rohrpost. Es gab Fracht- und Personenkabinen die unablässig zwischen den einzelnen Welten hin und her pendelten.

Yrgadh nannten die Chgorr diesen Weltenverbund.

Ein Begriff, den bisher niemand wirklich zufriedenstellend in eine der anderen Allianz-Sprachen hatte übersetzen können.

Er bedeutete gleichermaßen so etwas wie System, Verbund, aber auch Heimat oder vertrauter Kokon.

Hgrrek ließ den Blick über die Stadt schweifen. Seine Residenz hing am höchsten Ast eines besonders großen Urwaldriesen. Gut sechshundert Meter ragte dieser fast hundert Meter durchmessende Stamm empor und war damit selbst für lasrafische Verhältnisse von außergewöhnlicher Größe. Nirgends in As-Lasraf gab es einen Punkt, von dem aus man eine bessere Sicht über die gesamte Stadt gehabt hätte.

Ein Rascheln erfüllte die Luft.

Sensoren übertrugen dieses Geräusch ins Innere der Residenz.

Der Erste der Chgorr wollte es so.

Es beruhigte ihn zusätzlich. Ist es nicht paradox?, überlegte er. Einerseits möchte ich allein sein, um durch die Rituale der Hgalrrah-Meditation neue Kraft für die vor mir liegenden Aufgaben und Prüfungen zu schöpfen—andererseits hole ich mir per Sensorschaltung DAS RASCHELN in meine Einsamkeit.

DAS RASCHELN wurde einerseits durch die Blätter verursacht, die der leichte Wind aus Nordwest bewegte. Andererseits gab es Hunderttausende von Chgorr-Flügeln, die diesem Rascheln eine spezielle Note hinzufügten. Es wimmelte nur so von schmetterlingshaften Chgorr, die von einem Gebäude zum anderen flogen.

DAS RASCHELN war für einen Chgorr nicht einfach irgendein Geräusch. Schon gar nicht für Anhänger der Hgalrrah-Meditationsschule. DAS RASCHELN hatte eine spirituelle Bedeutung. Es versicherte einen Chgorr der Anwesenheit seiner Artgenossen und vermittelte dadurch ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Chgorr, die auf einsamen Stützpunkten, draußen im All ihren Dienst tun mussten und nur Kontakt zu einer Handvoll Crewmitglieder hatten, ließen sich dieses RASCHELN per Hyperfunk übertragen. Tonträgeraufzeichnungen kamen dafür nicht in Frage. Um das richtige Gefühl zu erzeugen, musste DAS RASCHELN live aus einer der Städte auf Lasraf übertragen werden. Notfalls taten es auch Sendungen von anderen Welten, die zum Weltenverbund des Yrgadh gehörten.

Hgrrek blickte nach Westen.

Ein Gebilde, das zunächst wie ein gewaltiger Strich aussah, den jemand in den Himmel hineingemalt hatte, näherte sich und wurde rasch größer.

Die Verbindung nach Tasaragh, erkannte Hgrrek sofort. Pünktlich wie stets. Das Energiefeld, das die interplanetare Röhrenverbindung an die Oberfläche Lasrafs band, ließ die Vegetation am Boden vollkommen unbeschadet. Es strich über die Oberfläche wie ein heftiger Wind. In den Wanderschneisen der interplanetaren Fahrstühle befanden sich selbstverständlich keine Siedlungen.

Hgrrek beobachtete, wie der Fahrstuhl nach Tasaragh sich immer weiter näherte.

In der Umgebung stiegen mit Antigravaggregaten ausgestattete Gleiterkabinen empor und verschwanden nach und nach in der Öffnung des Fahrstuhls. Aus derselben Öffnung kamen im Gegenzug Dutzende von Kabinen ins Freie und landeten nach kurzem Flug in der Umgebung.

Wir sind ein Teil der Natur geblieben trotz all des technischen Fortschritts, den wir erreicht haben!, ging es Hgrrek durch den vergleichsweise winzigen Kopf, der auch keineswegs seine gesamte Gehirnmasse beherbergte. Aber nun steht unsere Zivilisation am Scheideweg...

Die Chgorr hatten sich der Allianz Kalimpan angeschlossen, um Schutz vor den aggressiven Menschen zu bekommen, jenen vollkommen rücksichtslosen Eroberern, die sich ein Planetensystem nach dem anderen einverleibten. Ihre Eroberungsgier schien dabei keine Grenze zu kennen. Kein noch so geschickter diplomatischer Schachzug konnte sie stoppen. Außerdem waren sie die Einzigen, die bislang die Wurmloch-Transition von Raumschiffen beherrschten.

Diese Technologie brachte sie gegenüber allen anderen bekannten organischen Lebensformen in Vorteil.

Schließlich konnten sie auf diese Weise viel schneller als ihre Gegner Nachschub an jeden beliebigen Ort der Galaxis bringen. Und dabei waren sie nur noch bei sehr langen Stecken auf das Netz der Permanenten Wurmlöcher angewiesen, mit dem einst die Alten Götter die Galaxis überzogen hatten. Viel zu lang suchte diese Pest nun schon das Universum heim.

Bislang war es der Allianz nicht gelungen, die Technik der Transition per künstlicher Wurmloch-Passage zu kopieren oder wenigstens eines der Menschen-Schiffe in ihre Hände zu bekommen. Lieber vernichteten sich die skrupellosen Eroberer selbst, bevor sie es zuließen, dass ihre Technik in die Hände ihrer Gegner geriet.

Immer dreister wurden die Vorstöße der Menschen und ihres aggressiven Imperiums der Humanität. Einen Planeten nach dem anderen verleibten sich die unersättlichen zweibeinigen Eroberer ein und es schien niemanden zu geben, der willens oder in der Lage war, ihnen Einhalt zu gebieten.

Seit einiger Zeit existierte etwa zwanzig Lichtjahre von Lasraf entfernt ein Passage-Wurmloch der Menschen, durch das bereits große Truppenverbände geschleust worden waren.

Lange Zeit war die Gefahr durch die Menschen für die meisten Chgorr etwas Abstraktes gewesen. Ein weit entfernter Schatten, der sich nur langsam näherte und dessen Existenz sich zwischenzeitlich immer wieder aus dem Bewusstsein drängen ließ.

Aber diese Zeiten waren vorbei.

Die Gefahr manifestierte sich jetzt in unmittelbarer Nähe jener Zone, die die Chgorr als ihr Einflussgebiet definiert hatten. Mehrere Planetensysteme hatten die Eroberer bereits in Besitz genommen. Jegliche Proteste und diplomatische Annäherungsversuche waren ungehört verhallt. Die Menschen setzten ihre Eroberungspläne ohne den Hauch irgendeiner Rücksicht in die Tat um. Sie wussten, dass sie ihren Gegnern überlegen waren und niemanden zu fürchten brauchten.

Es gab vereinzelt Stimmen in der Allianz, die sich für ein entschiedenes militärisches Auftreten gegenüber den Menschen aussprachen.

Auch im Rat der Chgorr waren solche Stimmen inzwischen laut geworden.

Aber sie waren weit davon entfernt, die Mehrheitsmeinung zu repräsentieren. Die Chgorr waren ein Volk, das Gewalt in jedweder Form zutiefst verabscheute. Die militärischen Kräfte waren weitgehend defensiv ausgerichtet und für machtpolitische Muskelspiele nur bedingt geeignet.

Der Rat belügt sich selbst, dachte Hgrrek und seine Fühler bewegten sich dabei leicht. Die Tatsache, dass das Imperium der Humanität der Menschen bislang lediglich Planeten besetzt hat, auf denen es keine Chgorr-Siedlungen gibt, sollte uns nicht in trügerischer Sicherheit wiegen...

Das Interkomsystem meldete sich mit einem Summton.

"Der Erste der Chgorr ist in seiner heiligen Zeit ansprechbar", sagte Hgrrek und sprach damit eine rituelle Formel aus, die gleichzeitig das Interkom aktivierte. Heilige Zeit war die Chgorr-Bezeichnung für Zeitspannen, die nicht von Arbeit oder Schlaf erfüllt waren. Zeiten, die, nach allgemein unter den Chgorr verbreiteten Ansicht, der mentalen Regeneration und der Meditation gewidmet werden sollten. Jemanden während seiner heiligen Zeit anzusprechen oder gar mit einem dienstlichen oder geschäftlichen Anliegen zu belästigen, wurde normalerweise als Sakrileg angesehen. In der Position des ersten Chgorr konnte man das Privileg einer unantastbaren Heiligen Zeit natürlich nur eingeschränkt in Anspruch nehmen. Schließlich musste Hgrrek im Ernstfall >jederzeit> erreichbar sein. Mochte sich das auch noch so sehr mit den Traditionen sämtlicher Chgorr-Meditationsschulen beißen.

Aber diesen Besucher hatte Hgrrek erwartet.

"Hier spricht Shatragh, dein Meister, der dir den Weg in die Harmonie deiner Heiligen Zeit zeigen wird", kam die ebenfalls formelhafte Erwiderung über den Interkomlautsprecher.

"Tritt ein, Meister Shatragh!", forderte Hgrrek sein Gegenüber auf.

Eine Schiebetür öffnete sich. Dahinter lag ein röhrenartiger Gang.

Ein Chgorr schwebte herein. Er trug das traditionelle Purpur-Gewand der Hgalrrah-Meditationsschule. Er war gekommen, um mit Hgrrek einige der Meditationsübungen der Hgalrrah-Schule durchzuführen.

Die Flügelmembrane des Meisters hatte ein verwaschenes Muster aus ineinanderlaufenden Pastelltönen angenommen. Das äußere Zeichen innerer Harmonie und Ausgeglichenheit.

Und Kontrolle, überlegte Hgrrek. Denn um die Kontrolle seiner selbst ging es letztlich in den Lehren sämtlicher Chgorr-Meditationsschulen. Das Ziel war die absolute Selbstbeherrschung in Harmonie mit der Umgebung. Die nahezu perfekt ihrer Umwelt angepassten Siedlungen und Städte der Chgorr waren wie ein Spiegelbild dieses Ideals.

Meister Shatragh ließ sich auf dem Boden nieder. Die aus hauchdünner Membran bestehenden Flügel stellten ihre Bewegungen ein und wurden leicht nach hinten geklappt. Das untere Extremitätenpaar wirkte zerbrechlich, obwohl es das Körpergewicht zu tragen hatte. Die Bewegungen, mit denen Meister Shatragh sich auf seinen Gastgeber zu bewegte, waren federnd.

Der Purpurgekleidete neigte Kopf und Fühler.

"Sei gegrüßt, Erster unter den Chgorr."

"Ich grüße dich ebenfalls, Meister Shatragh."

"Du hast nach mir gerufen."

"Ich nehme an, du kennst den Grund dafür."

"Gewiss. Du wirst in nächster Zeit viel Kraft brauchen, Erster der Chgorr."

Hgrrek bewegte bestätigend die Fühler. "Unser Rat findet es wichtiger, über die Frage zu debattieren, ob das volle Bürgerrecht nicht bereits im Raupenstadium verliehen werden muss!"

"Die Frage der Raupenemanzipation ist ein alter Streitpunkt", erwiderte Meister Shatragh.

"Angesichts der Gefahr, in er sich unser Volk befindet, ist es geradezu lächerlich. Es gibt zu viele, die ihre Fühler ins Moos stecken..."

Hgrrek führte Meister Shatragh zu einer Sitzmatte, wie sie bei den Chgorr üblich war.

Dort ließen sich beide nieder.

"Die heilige Zeit ist ein kostbares Gut, Erster unter den Chgorr."

"Du sagst es!"

"Verschwende sie nicht mit Gedanken an die Politik, so drängend dir die damit zusammenhängenden Probleme auch erscheinen mögen."

"Ich werde es versuchen", versprach Hgrrek.

"Du wirst die innere Kraft brauchen, um jene Prüfungen zu bestehen, denen du entgegen siehst."

"Ich weiß."

Die nächsten Ratsversammlungen zählte Hgrrek ebenso zu diesen Prüfungen, wie seine nächste Reise nach Larsyrc, die Zentralwelt der Allianz Kalimpan. Sobald sich die Krise zuspitzte, würde man ihn dorthin rufen.

Hgrrek versuchte die Gedanken von allem Ballast zu befreien.

Aber es wollte ihm nicht gelingen.

Wertvolle heilige Zeit verrann.

Dann ertönte erneut der Summton des Interkom.

Das Signal hatte diesmal eine andere Tonhöhe, was dem Ersten der Chgorr sofort deutlich machte, dass es sich um eine Alarmmeldung der Prioritätsstufe eins handelte.

Eine Projektion wurde automatisch aktiviert.

Das drei-dimensionale holografische Abbild eines Chgorr in Raumflottenuniform erschien mitten im Raum. Deutlich trug er das Abzeichen der Allianz Kalimpan.

"Hier spricht Kommandant Trarigh."

Hgrrek wandte den Kopf in Richtung der Projektion.

"Was ist los, Kommandant?", fragte er ihn, um gleich zur Sache zu kommen. Es musste etwas Außergewöhnliches geschehen sein. Andernfalls wäre er niemals während seiner heiligen Zeit mit dieser holografischen Botschaft belästigt worden.

"Die Menschen haben das Marala-System angegriffen! Der Kontakt zu unserem Stützpunkt ist abgebrochen."

Die Fühler des ersten Chgorr erstarrten für einen Moment. Der Rot-Ton seiner Flügelmembran wurde deutlich dunkler.

"Irgendwann musste das ja kommen!", stieß Hgrrek hervor.

*



"Kontaktversuch mit dem Hauptquartier gescheitert!", meldete Suarrgh, der Kommunikationsoffizier des Chgorr-Stützpunkts auf Pa-Marala, dem vierten Planeten des Marala-Systems.

Die Flügelmembran des Stützpunktkommandanten war dunkelrot. Leroghor starrte auf die Projektionen, die den Angriff der Menschen zeigten. Über ihre nahegelegene Wurmloch-Basis konnten sie jede beliebige Menge an Nachschub herbeischaffen. Ihre Raumschiffe schwebten über allen wichtigen Städten der reptiloiden aber warmblütigen Ureinwohner des Planeten.

Die Chgorr bezeichneten sie aufgrund ihrer schuppigen Haut als Jarash - die Gepanzerten.

Die Jarash lebten in oft untereinander verfeindeten Staatsverbänden und waren gerade dabei, zu erkennen, dass Pa-Marala keine Scheibe, sondern eine Kugel war. Erste Feuerwaffen waren entwickelt worden, mit denen die Anhänger des Sonnengottes ihren Glauben zu verbreiten suchten.

Den Invasoren konnten sie natürlich keinerlei nennenswerten Widerstand entgegensetzen.

Die Begegnung mit den Menschen musste ein kulturhistorischer Schock für die Reptiloiden sein. An die Möglichkeit, dass es Leben auf fernen Sternen gab, hatte auf Pa-Marala noch nie jemand gedacht. Für die Jarash waren die Sterne nichts anderes als Lichter, die der Sonnengott erschaffen hatte, um auf Pa-Marala die Nacht zu erhellen.

Der Chgorr-Stützpunkt, den es seit etwa 50 Lasraf-Jahren auf Pa-Marala gab, war stets getarnt gewesen. Die intelligenten Ureinwohner des Planeten ahnten nichts davon, dass eine andere Spezies einen Beobachtungsposten auf dieser Welt unterhielt. Die Chgorr folgten einer Doktrin, die für alle Angehörige der Allianz Kalimpan galt. Danach konnten von intelligenten Spezies besiedelte Welten nicht einfach besetzt und kolonisiert werden. Vielmehr wurde jeder Spezies ein Recht auf eigenständige Evolution zugesprochen. Dieses Recht zog natürlich weitreichende Einschränkungen im Handel und im Technologietransfer nach sich.

Einschränkungen, die so weit gehen konnten, dass in Einzelfällen sogar jedwede Kontaktaufnahme unterbleiben musste, da sie einen zu starken Eingriff in die kulturelle Revolution des jeweiligen Planeten darstellte.

Die Menschen waren in dieser Hinsicht weit weniger rücksichtsvoll.

Stützpunktkommandant Leroghor ließ sich auf der Sitzmatte des Kommandanten nieder. Noch immer betrachtete er schweigend die verschiedenen Projektionen. Hunderte von Beobachtungssonden sandten diese Aufnahmen zum Stützpunkt, sodass sich für dessen Besatzung ein ziemlich genaues Bild der planetaren Lage ergab.

"Es wird nicht einmal Stunden dauern, bis die Menschen Pa-Marala unter ihre Kontrolle gebracht haben!", stellte Leroghors Stellvertreter Quossrrgh fest.

Kommandant Leroghor konnte dem nicht widersprechen.

Der Stützpunkt lag zwar in einer entlegenen Gegend, weit ab der großen Jarash-Metropolen. Aber es war dennoch nur eine Frage der Zeit, wann die Menschen den Stützpunkt entdeckten. Da half auch die relativ ausgefeilte Tarn- Technik der schmetterlingshaften Chgorr auf die Dauer nicht weiter. Den Menschen standen Mittel und Wege zur Verfügung, die Tarnung der Station zu überwinden. Schließlich gab es genügend verräterische Emissionen.

Zur Station gehörte ein unterirdischer Hangar mit zwei kleinen zylinderförmigen Raumschiffen.

Aber um diese zu starten, war es jetzt zu spät.

Ein im Orbit befindliches Beobachtungsschiff der Chgorr war von den Invasoren ohne Vorwarnung abgeschossen worden.

Dasselbe galt für den Satelliten, über den normalerweise die Kommunikation mit Lasraf abgewickelt wurde. Es war anzunehmen, dass den im Stationshangar befindlichen Raumern dasselbe Schicksal drohte, sobald sie den Tarnschirm verlassen hatten.

"In Kürze werden die Invasoren damit beginnen, intensiv nach uns zu suchen", vermutete Quossrrgh. "Was werden wir dann tun, Kommandant?"

"Uns so gut wie möglich verteidigen", erwiderte Kommandant Leroghor. "Ansonsten müssen wir auf Hilfe von außen hoffen."

"Eine Art Geleitschutz für die beiden Raumer im Hangar?"

"Ja", stimmte Leroghor zu.

Quossrrgh blieb skeptisch. Er ließ sich auf der Sitzmatte des stellvertretenden Kommandanten nieder. Auf der Matte gab es ein Sensorfeld. Quossrrgh berührte es und aktivierte damit eine holografische Konsole.

Der Blick von Kommandant Leroghor war hingegen auf eine der Drei-D-Projektonen gerichtet. Die Bilder wiederholten sich. Menschen-Schiffe schwebten über den Städten der Reptiloiden. Unter den Jarash breitete sich Panik aus. Die Meisten von ihnen glaubten, dass sie sich den Zorn des Sonnengottes zugezogen hatten, der nun seine furchtbaren Heerscharen aussandte, um die Ungehorsamen zu strafen.

Kampfgleiter wurden ausgeschleust.

Sie trafen auf keinerlei ernstzunehmenden Widerstand, landeten an strategisch wichtigen Plätzen und schleusten Truppen aus.

Die Übertragungen der Chgorr-Sonden zeigten, wie schwer bewaffnete Raumsoldaten des Imperiums der Humanität ausschwärmten. Sie trugen Strahlwaffen im Anschlag.

Sofern vereinzelte Jarash es wagten, mit ihren primitiven Waffen Widerstand zu leisten, wurde rücksichtslos von der Waffe Gebrauch gemacht. Hier und da blitzten Strahlschüsse auf. Mit Schwertern, Äxten und Armbrüsten versuchten an mehreren Orten Jarash-Kämpfer sich gegen die Invasoren zu wehren. Aber die Widerständler hatten nicht den Hauch einer Chance. Das Blasterfeuer der Menschen brannte sie zu Asche nieder.

"Der Großteil der Bevölkerung wird sich sehr schnell in sein Schicksal ergeben", vermutete Quossrrgh.

Leroghor bog seine Flügelmembrane etwas nach hinten. Eine Körperhaltung, die Anspannung und Konzentration signalisierte.

Seine Augen wirkten starr.

Plötzlich wandte er sich an den Kommunikationsoffizier.

"Ich möchte die letzte Videosequenz wiederholt haben!"

"Jawohl, Kommandant."

Die Sequenz, die eine der Chgorr-Sonden in der Jarash-Stadt Rroshrrar aufgezeichnet hatte, zeigte wie die Menschen-Soldaten damit begannen scheinbar willkürlich Gefangene unter der Bevölkerung zu machen.

Die Reptiloiden wurden aus ihren Häusern geholt, mit Handschellen gefesselt und in große Mannschaftsgleiter verschleppt, die in der Nähe gelandet waren.

"Ich frage mich, was da vor sich geht", sagte Kommandant Leroghor.

Der Rot-Ton seiner Flügel war etwas heller geworden und ging hier und da bereits in verwaschene Pastellfarben über. Ein Zeichen dafür, dass er das erste, unmittelbare Entsetzen über die Invasion der Menschen einigermaßen verwunden hatte.

"Mir scheint, wir sollten uns im Augenblick lieber Sorgen um unser eigenes Schicksal machen", erwiderte sein Stellvertreter Quossrrgh in einem Frequenzbereich der selbst für die Ohren von Chgorr als schrill empfunden wurde. "Ich schlage zum Beispiel vor, sämtliche Systeme auf Minimalniveau zu fahren, um verräterische elektromagnetische Emissionen so weit wie möglich zu vermeiden. Außerdem sollten wir im Augenblick den Kontakt zu sämtlichen Sonden abbrechen."

"Einen Augenblick!", schritt Kommandant Leroghor ein.

"Die Impulse, die von den Sonden ausgehen sind zwar stark gedämpft, könnten aber die Menschen trotzdem auf uns aufmerksam machen. Beim strahlenden Licht von Ka-la-Lasraf! Die Menschen werden uns keinen freien Abzug gewähren!"

Leroghor wusste, dass Quossrrgh mit seiner letzten Bemerkung Recht hatte. Jegliche diplomatischen Bemühungen in Bezug auf die Eroberer waren gescheitert. Die Menschen folgten einfach ihrem Eroberungsplan und ließen sich dabei von niemandem von ihren Zielen abbringen.

Leroghor erhob sich von seiner Sitzmatte. Er bewegte sich auf Kommunikationsoffizier Suarrgh zu, dessen oberste Extremitäten über ein Terminal glitten. "Es gibt ähnliche Szenen aus anderen Jarash-Städten", erklärte er. Mehrere Projektionsfelder erschienen und zeigten Bilder aus unterschiedlichen Ortschaften.

"Ich will wissen, was da vor sich geht", meinte Leroghor mehr zu sich selbst als an seine Crew gerichtet.

Ein sehr hochgewachsener und mit besonders langen Extremitäten und Fühlern ausgestatteter Chgorr, der bislang geschwiegen hatte, mischte sich nun in das Gespräch ein. "Es scheint immer nach demselben Muster abzulaufen", stellte er fest. "Die Jarash werden aus ihren Häusern geholt, in die Menschen-Gleiter gebracht und wenig später wieder auf freien Fuß gesetzt."

Kommandant Leroghor wandte sich an den Langbeinigen, der als exzellenter Experte über die Jarash-Kultur galt.

"Könnte es sich um irgendeine Art der Registrierung handeln, der die Bevölkerung unterworfen wird, Wertugh?"

Der Angesprochene wollte sich in dieser Hinsicht nicht endgültig festlegen.

"Es wäre möglich. Allerdings wundert es mich, dass sie damit so früh beginnen und nicht abwarten, bis sie den Widerstand vollständig gebrochen haben."

Der Kommunikationsoffizier meldete sich zu Wort. "Ich lasse eine Rechneranalyse durchführen."

Auf einer der Projektionsflächen erschien ein Jarash, der gerade gefangen genommen worden war und jetzt zum offenstehenden Außenschott eines Mannschaftsgleiters geführt wurde. "Auf Standbild umschalten", befahl Suarrgh dem Rechner. Die Projektion gefror. Ein Fenster bildete sich, in dem gezeigt wurde, was danach geschah. Wenige Minuten später verließ der Jarash den Mannschaftsgleiter wieder. Einer der Menschen nahm ihm die Fesseln ab. Suarrgh sorgte erneut dafür, dass ein Standbild erzeugt wurde.

Anschließend wurde ein Abgleich durchgeführt.

Eine Markierung blinkte auf. Sie bezeichnete eine Stelle am Nacken des Reptiloiden.

"Vergrößern", befahl Suarrgh über die Spracheingabe.

Der markierte Bildausschnitt wurde maximal vergrößert.

Nur bei genauem Hinsehen konnte man die Veränderung auf den Schuppen sehen.

"Sieht aus wie eine frische Narbe!", stellte Leroghor fest.

"Der Rechner teilt diese Ansicht, Kommandant", sagte Suarrgh und deutete auf ein Anzeigefenster. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei der markierten Stelle um frisch vernarbtes Gewebe handelte, wurde mit 98 Prozent angegeben.

"Infrarotsicht!", befahl jetzt Kommandant Leroghor.

Die Infrarotsicht zeigte dort, wo sich die Narbe befand eine etwa daumennagelgroße Region, deren Temperatur erheblich vom Niveau des übrigen Körpergewebes abwich.

"Ein Implantat!", vermutete Quossrrgh.

Leroghor bewegte leicht die Fühler. "Fragt sich nur, wozu es dient."

"Vermutlich wird es den Bewohnern unterworfener Welten zur besseren Lokalisierung und Überwachung eingesetzt", war Suarrghs Vermutung.

"Möglich", gestand der Kommandant zu. "Andererseits erscheint mir der Aufwand bei einer technologisch derart rückständigen planetaren Bevölkerung stark übertrieben..."

"Und worum handelt es sich Ihrer Meinung nach, Kommandant?", hakte Quossrrgh nach.

"Wenn ich das wüsste."

Kommandant Leroghor kam nicht mehr dazu, weiter über diese Frage nachzudenken. Die Datenübertragung der Sonde brach ab. Die Projektion verblasste und wurde von einer entsprechenden Fehlermeldung des Zentralrechners überblendet.

"Scheint so, als wäre unsere Sonde einem Magnetfeld zum Opfer gefallen", meldete der Kommunikationsoffizier.

"Ich nehme nicht an, dass dieses Magnetfeld natürlichen Ursprungs war", vermutete Leroghor.

Suarrgh wandte sich seiner Konsole zu und blickte angestrengt auf die Displays. "Ich denke, es war ein gezielter Angriff auf unsere Sonden. Etwa neunzig Prozent von ihnen sind ausgefallen."

"Jetzt wird es ernst", erklärte Quossrrgh.

"Die Verbindung zu sämtlichen noch intakten Sonden abbrechen und Energieniveau der Station auf Minimum herunterfahren", befahl Leroghor. "Wir spielen jetzt tote Raupe."

Quossrrgh unterdrückte ein Zittern seiner Fühler.

"Wenn es dazu mal nicht längst zu spät ist, Kommandant."

*



Schlaf im eigentlichen Sinn kannte der Metabolismus eines Chgorr nicht. Vielmehr verbrachte ein Chgorr auf dem Höhepunkt seiner täglichen heiligen Zeit ein bis zwei Stunden in einem tranceartigen Zustand, der dafür sorgte, dass sich der Geist regenerieren konnte.

Ein schrillendes Alarmsignal weckte Kommandant Leroghor aus dieser Trance. Ein schmerzhaftes Erwachen. Er fühlte sich benommen und schwindelig. Einige Augenblicke lang drehte sich alles vor seinen Augen.

Eine Erschütterung erfasste die Station.

Offenbar war es den Menschen gelungen, den Beobachtungsposten der Chgorr ausfindig zu machen und die Tarnung zu neutralisieren.

Jetzt begann der Angriff.

Leroghor erhob sich von seiner Matte, schwankte dann, als erneut eine Erschütterung das gesamte Gebäude zittern ließ.

Leroghor schwebte zur Tür. Sie glitt lautlos zur Seite. Auf den Korridoren der Station herrschte Chaos. Über Interkom waren die Anweisungen des stellvertretenden Kommandanten Quossrrgh zu hören, der während Leroghors heiliger Zeit die Befehlsgewalt innehatte.

Offenbar hatte Quossrrgh eine Evakuierung der oberirdischen Bereiche angeordnet.

Etwa ein Drittel des Stützpunktes befand sich unter der Oberfläche Pa-Maralas.

Leroghors empfindlicher Geruchssinn registrierte einen beißenden Geruch. Es roch nach geschmolzenem Metallplastik.

Der oval geformte oberirdische Teil der Station war offenbar bereits schwer durch Energiefeuer in Mitleidenschaft gezogen worden.

Einer der diensthabenden Offiziere schwebte ihm mit dunkelrot gefärbten Flügeln entgegen.

"Schnell, Kommandant! Hier wird in Kürze alles zerstört sein!"

Leroghor versuchte ein Interkom-Aggregat zu aktivieren.

Es war defekt.

Leroghor schwebte dem Offizier hinterher.

Ein Teil der Decke stürzte plötzlich in sich zusammen und begrub den Offizier unter sich.

Leroghor bremste gerade noch rechtzeitig seinen Flug. Er schwebte zurück.

Für den Offizier konnte er nichts mehr tun.

Wieder durchlief ein Zittern das gesamte Gebäude. Risse durchzogen die Wände. Weitere Teile der Decke brachen herab. Staub raubte Leroghor beinahe den Atem. Die Lungen der Chgorr waren sehr fein strukturiert und an eine hohe Luftfeuchtigkeit gewöhnt. Staub konnte einen Chgorr schnell in akute Lebensgefahr bringen.

Während hinter ihm alles im Chaos versank, flog Leroghor so schnell es ging den Korridor zurück. Es ging um wenige Augenblicke. Die Atmung fiel ihm bereits schwer. Eine Wolke aus grauweißem Staub folgte ihm. Schon spürte er ein leichtes Schwindelgefühl. Der Vorbote akuten Sauerstoffmangels. Wenn er das Bewusstsein verlor, war es aus.

Detonationen grollten dumpf durch das Gebäude.

Leroghor erreichte einen Schacht, der hinunter in den unterirdischen Teil des Stützpunktes führte.

Der Kommandant schwebte hinab. Mehr als zwanzig Meter sank er in die Tiefe. Das Summen seiner vibrierenden Flügelmembranen verlor sich in den Explosionsgeräuschen.

Leroghor erreichte schließlich den Fuß des Schachtes und passierte ein Schott, das sich selbsttätig öffnete und hinter ihm wieder schloss.

Offenbar befand er sich nun in einem Teil des Stützpunktes, in dem die internen Systeme noch einigermaßen funktionierten.

Leroghor passierte ein weiteres Schott und gelangte in den Kontrollraum für die Raumschiff- und Gleiter-Hangars.

Suarrgh und Quossrrgh befanden sich dort zusammen mit einem halben Dutzend weiteren Besatzungsmitglieder der Pa-Marala-Station. Einer der Chgorr war schwer verletzt. Zwei andere kümmerten sich um ihn und leisteten erste Hilfe.

"Schön, dass Sie es geschafft haben, Kommandant!", wurde Leroghor von Quossrrgh begrüßt.

"Schadensbericht?", fragte Leroghor.

"Zwei Drittel der Stationsbesatzung dürften tot sein. Der oberirdische Gebäudeteil ist zum Großteil zerstört." Quossrrgh deutete auf eine schematische Darstellung. Daneben waren Drei-D-Aufnahmen angreifender Menschen-Kampf-Gleiter zu sehen. "Glücklicherweise funktionieren einige unserer Außensensoren noch. Sie sehen, dass sich insgesamt fünf schwere Kampfgleiter der Menschen über der Station positioniert haben und sie mit konzentriertem Blasterfeuer unter Beschuss nehmen. Da wird nichts weiter als ein großer Aschehaufen übrig bleiben."

"Was ist mit den Raumschiffen?"

"Einige von uns sind gerade dabei, die beiden Einheiten startklar zu machen." Quossrrgh deutete erneut auf die schematische Darstellung der Station. Normalerweise war es in der Chgorr-Architektur unüblich, unterirdisch zu bauen. Dass sich ein Teil der Station unter der Planetenoberfläche befand, war aus Sicherheitsgründen geschehen. Aus den unterirdischen Hangars führten lange Tunnel in einer Entfernung von mehreren Chgorr-Meilen an die Oberfläche. Sie hatten die Aufgabe, eine Flucht im Fall eines Angriffs auf die Station selbst zu ermöglichen. Schließlich hatte der Stützpunkt auf Pa-Marala neben der Erfoschung der Jarash auch strategischen Zwecken gedient.

"Wir müssen sehen, dass wir schnell hier herauskommen!", war Quossrrghs Ansicht. "Es wird zwar schwierig sein, das Marala-System zu verlassen, aber ich fürchte, es bleibt uns keine andere Wahl."

"Ist ein Notsignal gesendet?", erkundigte sich Leroghor.

"Ja. Auch auf einer verschlüsselten Geheimdienst-Frequenz."

Über Interkom meldete sich ein Chgorr-Offizier.

"Hier Pilot Garard. Beide Raumschiffe startklar."

"Wir sind unterwegs", erklärte Quossrrgh. "Unser Kommandant hat übrigens wider Erwarten überlebt und ist soeben zu uns gestoßen."

"Der großen Ur-Raupe sei dank! Wenigstens eine gute Nachricht!"

Leroghor blickte nachdenklich auf die Anzeigen der Kontroll-Displays. "Gibt es da oben wirklich keine Überlebenden?", fragte er.

"Wenn doch, dann können wir ihnen nicht helfen, Kommandant", drang Quossrrghs Stimme in sein Bewusstsein.

Leroghor wusste nur zu gut, dass sein Stellvertreter Recht hatte.

Dennoch fiel es Leroghor schwer, einen Großteil der Chgorr, für die er Verantwortung getragen hatte, einfach abzuschreiben. Leroghor versuchte, mit Hilfe einer Hgalrrah-Technik, seine Atmung zu kontrollieren und damit auch seine Psyche zu stabilisieren. Inneres und Äußeres sind einander Spiegelbild und beeinflussen sich gegenseitig, so lautete einer der Hgalrrah-Lehrsätze, die ihm dabei in den Sinn kamen.

"Die Systeme arbeiten noch einwandfrei. Und soweit es möglich war, haben wir alles nach Lebenszeichen von Chgorr gescannt, aber zuletzt nichts mehr gefunden."

*



Insgesamt gab es nur etwa zwei Dutzend Überlebende unter der Stützpunktbesatzung. Sie verteilten sich an Bord der beiden zylinderförmigen Raumschiffe der Tasaragh-Klasse, von denen jedes normalerweise eine Besatzung von bis zu sechzig Chgorr beherbergen konnte.

Quossrrgh hatte sich jedoch für einen Fluchtversuch mit beiden Raumern ausgesprochen, um das Risiko zu vermindern.

Quossrrgh ging an Bord der KA-LA-LASRAF, Leroghor hingegen begab sich an Bord des zweiten Raumers, der KA-LA-YRGADH.

Beide Raumschiffe starteten kurz hintereinander, schossen zur gleichen Zeit durch den Tunnel, der zur Außenrampe führte. Normalerweise vermied man es aus Sicherheitsgründen, dass sich zwei Raumfahrzeuge gleichzeitig im Tunnel befanden. Aber jetzt spielte das keine Rolle.

Nur Augenblicke später schossen beide Raumer in die Atmosphäre Pa-Maralas hinein. Das Außenschott des Tunnelausgangs schloss sich hinter ihnen. Nur Sekunden später wurde dieses Außenschott aus seinen Halterungen herausgesprengt und in die Höhe geschleudert. Eine Feuerzunge spuckte aus der Tunnelöffnung heraus.

"Scheint, als wären wir gerade noch rechtzeitig vor der völligen Zerstörung des Stützpunktes geflohen!", stellte Pilot Garard fest, der die Steuerkonsole der KA-LA-YRGADH bediente.

"Maximale Geschwindigkeit!", befahl Leroghor.

Schnell gewannen die Raumer an Höhe. Die Beschleunigung war so extrem, dass trotz der Ausgleichssysteme noch ein Teil der Auswirkungen spürbar blieben. Leroghor fühlte sich, als würde er an seine Sitzmatte gedrückt. Gegen die Auswirkungen von starken G-Kräften, wie sie bei extremer Beschleunigung auftreten konnten, waren die zerbrechlichen Chgorr-Körper sehr empfindlich. Zumindest sobald sie das Falter-Stadium erreicht hatten.

"Eine Raupe müsste man jetzt sein", meinte Kommunikationsoffizier Suarrgh schleppend, was deutlich machte, welche Probleme er beim Atmen durch die Auswirkungen der G-Kräfte hatte. Seine Flügelmembran hatte fast sämtliche Farbpigmentierung verloren.

"Gravitatonsabsorber auf maximales Level schalten!", befahl Leroghor.

"Das ist längst geschehen, Kommandant! Wir werden übrigens verfolgt."

"Kampfgleiter?"

"Auch. Aber die werden uns nicht lange folgen können. Ich spreche von Raumjägern der Menschen, die sich auf Abfangkurs befinden."

Die Projektion einer schematischen Positionsdarstellung erschien.

Die herannahenden Menschen-Jäger waren darauf als rote Punkte zu sehen.

"Schutzschilde aktivieren!", sagte Leroghor. "Feind-Einheiten ins Visier nehmen!"

"Jawohl."

Eine Erschütterung erfasste das Schiff. Alarmsignale schrillten. Die Anzeigen flackerten, Projektion verblassten oder wurden von Fehlermeldungen überblendet. Die Andruckabsorber fielen offenbar vollkommen aus. Die Chgorr an Bord der KA-LA-YRGADH hatten für einige Augenblicke das Gefühl, durch zentnerschwere Lasten an den Boden gedrückt werden. Sie waren unfähig sich zu bewegen. Über die Spracheingabe versuchte Pilot Garard die KA-LA-YRGADH unter Kontrolle zu halten. Vergeblich.

Die Kunststimme des Rechners betete einen erschütternden Schadensbericht herunter, verbunden mit allerhand Sicherheitswarnungen.

Die KA-LA-YRGADH verlor an Höhe, begann der Oberfläche entgegenzutrudeln. Das Haupttriebwerk war ausgefallen. Der Andruck normalisierte sich wieder, sodass Garard seine Konsole bedienen konnte.

"Machen Sie dem verdammten Kokon eine Membran!", rief Leroghor. Einem Kokon eine Membran machen war eine Chgorr-Redewendung, die bedeutete, dass etwas oder jemand beschleunigt werden sollte. Andere Spezies hätten vielleicht von 'Beine machen' gesprochen.

"Leichter gesagt als getan, Kommandant!", rief Garard. "Das Haupttriebwerk ist nicht mehr funktionstüchtig..."

"Rekalibrieren Sie es!"

"Rekalibrierung erfolglos. Ich kann nur versuchen, mit den Nebentriebwerken eine einigermaßen weiche Landung hinzubekommen."

Erneut erfasste eine Erschütterung die KA-LA-YRGADH.

Kommunikationsoffizier Suarrgh wurde von seiner Konsole weggeschleudert. Leroghor konnte sich nur mit Mühe halten.

"Erneuter Treffer?", fragte der Kommandant.

"Nein. Auswirkungen einer Druckwelle", erklärte Garard.

"Druckwelle?", echote der Kommandant. Mit den Augen suchte er die Anzeigen und Displays ab. Die meisten Systeme waren ausgefallen.

"Es war die KA-LA-Lasraf", erklärte der Pilot mit Blick auf die Ortungsanzeige, die zumindest teilweise funktionierte. "Sie ist explodiert."

*



Die KA-LA-YRGADH schrammte über die Baumwipfel eines ausgedehnten Waldgebietes im Westen des Nordkontinents von Pa-Marala. Die Bäume bremsten den Flug etwas ab. Garard blickte hochkonzentriert auf die Positionsanzeigen seiner Konsole. Da nur ein Teil der Systeme einwandfrei arbeitete, fehlten ihm zum Teil wichtige Daten zur Landung. Er hatte auf manuellen Flug geschaltet, da er sich auf das Rechnersystem nicht mehr ausreichend verlassen konnte.

Nur die eigentlich zur Steuerung im Unterlichtflug gedachten Nebentriebwerke standen dem Piloten für sein Landemanöver zur Verfügung.

Bei den Chgorr war die Unterweisung in einer der Meditationsschulen für Piloten obligatorisch.

Garards Flügelmembran hatte einen blassen Pastellton angenommen. Er war also in einem Zustand psychischer Stabilität.

Die Flugbahn des Chgorr-Raumers senkte sich.

Die KA-LA-YRGADH setzte auf dem Boden auf und verlor dabei ein Teil des ohnehin beschädigten Hecks. Das Raumschiff rutschte über den Boden, mähte Dutzende von Bäumen nieder und grub sich einen halben Meter tief in den weichen Waldboden, ehe es schließlich liegen blieb.

Die Insassen waren durcheinandergewirbelt worden. Ein Besatzungsmitglied war sogar verletzt und hatte sich einen schmerzhaften Fühlerbruch zugezogen.

Kleinere Blessuren bis zu einem leichten Flügelmembranriss hatten auch andere Besatzungsmitglieder erlitten.

Aber sie waren alle noch flugfähig.

"Wir müssen weg hier!", bestimmte Kommandant Leroghor. "Unsere Verfolger werden das Gebiet weiträumig absuchen..."

In aller Eile wurden Handfeuerwaffen und eine Notausrüstung verteilt. Darunter auch Nährstoffkonzentrate und Tabletten, die den im Vergleich zu Lasraf geringeren Kohlendioxid-Gehalt der Atmosphäre von Pa-Marala ausgleichen sollten.

Keines der Außenschotts war noch passierbar. Die Besatzung verließ über den Hüllenbruch im Heck die KA-LA-YRGADH. Einer nach dem anderen schwebten sie hinaus in die feuchtheiße Dschungelluft. Abgesehen von der Tatsache, dass es hier weniger Kohlendioxid in der Atmosphäre gab und keinen Baum, der größer als dreißig Meter emporwuchs, erinnerten die Umweltbedingungen stark an die von Lasraf.

Die ein Dutzend Überlebenden des Chgorr-Stützpunktes schwebten zwischen den schlanken Baumstämmen daher.

Sie waren jetzt vollkommen auf sich gestellt.

Jagdbeute für die Menschen, die nicht zögern würden, sie zu töten.

Im Namen der Humanität, die ihrem Imperium den Namen gab.

Was mag es sein, was das Menschen-Imperium zu seiner grausamen Eroberungslust antreibt?, ging es Leroghor während des Flugs durch den Kopf. Warum können sie nicht auf die Kooperationsangebote der Diplomatie eingehen?

Jegliche Versuche in dieser Hinsicht waren bislang gescheitert. Es machte den Anschein, dass die brutalen Zweibeiner mit ihrer offensichtlich ethisch vollkommen unterentwickelten Kultur, gar nicht die Absicht hatten, sich mit irgendwem zu verständigen. Es war ihnen gleichgültig, was der Rest der Galaxis von ihnen hielt. Wer sich ihnen nicht fügte, der wurde an die Wand gedrückt.

*



In der Nähe einer Jarash-Siedlung gingen die Chgorr zu Boden. Wie schnell die Menschen daran gingen, das Gebiet um die Abschussstelle abzusuchen, hing davon ab, für wie wichtig sie die ganze Angelegenheit hielten und ob sie überhaupt glaubten, dass den Absturz jemand überlebt hatte.

"Ich hoffe, wir haben jetzt erst einmal ein bisschen Luft", meinte Leroghor.

Die Chgorr waren vom Flug vollkommen erschöpft. Derartige körperliche Anstrengungen war keiner von ihnen gewöhnt. Sie hatten ihren Kräften das Äußerste abverlangen müssen.

Leroghor hatte den Befehl gegeben, sämtliche Ortungsgeräte und andere technischen Ausrüstungsgegenstände zunächst zu deaktivieren, um nicht verräterische Energie-Signaturen zu emittieren. Nur ab und zu nahmen sie eine kurze Ortung der Umgebung vor, um sich zu orientieren. In unregelmäßigen Abständen hatte der Kommandant mit Hilfe eines Impulsgebers ein codiertes Geheimsignal abgesetzt, von dem die Chgorr nur hoffen konnten, dass es das Lasraf-System erreichte.

Das Ha'Gardy.

Den heimatlichen, vertrauten Kokon.

Leroghor war Realist genug um zu wissen, dass selbst dann die Chancen für eine Rettung nicht gut standen. Alles hängt vom Mut der Verantwortlichen ab, war ihm klar. Riskierten sie einen offenen Konflikt mit den Menschen oder hielten sie einfach still. In der irrigen Annahme, man könnte vielleicht doch noch zu irgendeiner Form der Verständigung gelangen.

"Es geht jetzt darum, dass wir durchhalten", stellte Leroghor an die anderen Chgorr gewandt fest. "Wir müssen uns tot stellen und darauf hoffen, dass jemand kommt, um uns hier herauszuholen."

"Eine ziemlich vage Hoffnung, würde ich sagen", meinte Kommunikationsoffizier Suarrgh. Seine Fühler zitterten.

Er braucht dringend seine heilige Zeit, erkannte Leroghor. "Wir werden einen Platz zum Lagern suchen", erklärte er. "Und außerdem sollten wir uns die Jarash-Siedlung hier in der Nähe mal ansehen."

"Es werden Menschen dort sein", gab Garard zu bedenken.

Leroghor machte eine bestätigende Geste mit den Fühlern.

"Eben deshalb!", sagte er.

"Sie wollen doch nicht etwa vorschlagen, dass wir versuchen, den Menschen ein Raumschiff abzunehmen."

"Das wäre natürlich das Beste."

"Niemand garantiert uns, dass wir überhaupt im Stande wären, es zu fliegen. Davon abgesehen sind alle bisherigen Versuche, in den Besitz eines Menschen-Raumers zu gelangen, gescheitert. Die Menschen sind eher bereit, ihre eigenen Schiffe zu zerstören, als auch nur eines davon in unsere Hände fallen zu lassen."

"Das ist mir bekannt", erwiderte Leroghor. "Wahrscheinlich werden wir in dieser kleinen Siedlung auch gar kein Menschen-Raumschiff finden. Aber ein funktionstüchtiger Gleiter wäre doch auch schon was... Wir könnten damit in eine entferntere Region flüchten, wo wir es vielleicht schaffen, uns auf Dauer versteckt zu halten."

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen unter den Chgorr.

Suarrgh war der erste, der sich zu Wort meldete.

"Auf Dauer?", echote er niedergeschlagen. "Sie rechnen wohl damit, dass wir eine Weile hier bleiben müssen, was?"

Leroghors Antwort war glasklar und ehrlich.

"Ja", sagte er. "Wir müssen uns darauf einstellen, länger hier zu bleiben."

*



Die Dämmerung brach herein. Es wurde rasch dunkel und die drei Purpur-Monde von Pa-Marala erschienen am Nachthimmel.

Die Chgorr-Gruppe suchte sich im Schutz des Unterholzes einen Lagerplatz.

Leroghor brach zusammen mit Garard in Richtung der nächsten Jarash-Siedlung auf. Im Schutz der Dunkelheit konnten sie hoffen, dass man sie vielleicht mit den etwa gleichgroßen aber nichtintelligenten Riesenlibellen verwechselte, die in den Wäldern des Nordkontinents von Pa-Marala zu finden waren.

Es dauerte nicht lange, bis sie die Siedlung der Jarash erreichten. Sie befand sich auf einer gerodeten Fläche und bestand aus vergleichsweise primitiven Holzbauten.

Ein großer Kampfgleiter der Menschen war auf dem Mittelplatz gelandet, um den die Holzbauten herum gruppiert waren. Lagerfeuer brannten. Außerdem erhellten zahlreiche Öllampen die Siedlung. Leroghor wusste, dass die Jarash aus den Früchten des auf Pa-Marala weit verbreiteten Hrazu-Baums ein brennbares Öl pressten, das unter den meisten Reptiloiden-Nationen auch als gültiges Zahlungsmittel akzeptiert wurde.

Leroghor und Garard waren in der Nähe gelandet und hatten sich das letzte Stück zu Fuß durch das Unterholz gekämpft, um näher an die Siedlung heranzukommen. Für einen Chgorr war so ein Marsch durch dichtes, dorniges Unterholz nicht ganz ungefährlich. Es bestand immer die Gefahr eines Flügelmembran-Risses.

Schließlich hatten die beiden einen günstigen Beobachtungspunkt gefunden.

Menschen-Soldaten patrouillierten durch die Siedlung. Sie hielten ihre Blaster im Anschlag. Die primitiven Waffen der Reptiloiden waren neben dem Kampfgleiter aufgehäuft. Hunderte von Schwertern, Armbrüsten und Lanzen lagen dort.

Die Jarash selbst bildeten lange Schlangen.

Einer nach dem anderen wurde von einem Team von Menschen-Ärzten einer kurzen Untersuchung unterzogen und bekam anschließend ein medizinisches Instrument an den Nacken gesetzt. Leroghor konnte der Versuchung nicht widerstehen. Gegen jede Vorsicht aktivierte er ein Sichtgrät und stellte es auf maximalen Zoom.

"Die Menschen scheinen tatsächlich die Absicht zu haben, die gesamte Jarash-Bevölkerung mit Implantaten zu versehen", stellte Leroghor fest.

"Es scheint den Menschen sehr wichtig zu sein, dass diese Prozedur möglichst schnell bei allen Jarash durchgeführt wird", sagte Garard. "Sonst würden sie nicht buchstäblich Tag und Nacht damit fortfahren."

Leroghor konnte dem nur zustimmen.

"Die gesamte militärische Infrastruktur der Invasoren schien auf diesen einen Zweck hin ausgerichtet zu sein", meinte er.

"Darin könnte unsere Chance liegen. Glauben Sie mir, Kommandant, die Menschen hätten uns längst gekriegt, wenn sie uns auch nur annähernd so wichtig nähmen wie das Einsetzen der Implantate."

"Soweit ich sehe befindet sich nur ein schwerer Kampfgleiter in dieser Ortschaft."

"Sie denken noch immer daran, den Menschen so eine Maschine abzunehmen?"

"Nein, nicht so ein schweres Gerät, mit dem eine halbe Hundertschaft von Menschen-Soldaten transportiert wird! Eine kleinere Einheit wäre besser..."

"Wir werden es uns nicht aussuchen können, Kommandant."

Ein leises Summen ließ die Fühler der beiden Chgorr zitternd erstarren.

Ein hantelförmiger Flugkörper näherte sich ihnen.

Eine Drohne!, durchzuckte es Leroghor. Vermutlich hatte sie die Aufgabe, das Dorf zu bewachen, um die Menschen-Soldaten für den Vollzug der Implantierungs-Prozedur freizustellen. Ein Strahl zuckte durch die Nacht.

Gleißend hell durchschnitt er die Dunkelheit und erfasste Garard. Die Flügelmembran glühte auf.

Leroghor griff zu seinem Strahler und feuerte blitzschnell zurück. Sein Strahlschuss erfasste die Drohne und ließ sie zerplatzen. Funken sprühten. Metallteile wurden durch die Gegend geschleudert.

Die Soldaten in der Jarash Siedlung waren natürlich augenblicklich alarmiert.

Leroghor reagierte beinahe automatisch. Mochte er auch ansonsten ein sehr empfindsamer und feinsinniger Charakter sein, so sorgte eine spezielle Konditionierung durch Hgalrrah-Meditationstechniken dafür, dass er in Gefahrensituationen mit ausgesprochener Kaltblütigkeit reagieren konnte.

Für Garard konnte er nichts mehr tun.

Vom Piloten der KA-LA-YRGADH war nichts weiter als etwas Asche geblieben.

Leroghor flog davon. Strahlschüsse wurden ihm von Menschen-Soldaten hinterhergesandt. Die Eroberer feuerten auf alles, was sich im Wald bewegte. Ganze Baumkronen wurden durch die Strahlschüsse versengt. Manche gerieten in Brand dabei. Leroghor floh in die Dunkelheit. Er flog beinahe blind. Hin und wieder kam es zu leichteren Kollisionen mit Baumstämmen. Er erlitt eine Verletzung an der Flügelmembran, die ihn aber zum Glück nicht flugunfähig machte. So gut es ging, versuchte sich Leroghor auf den nur noch rudimentär vorhandenen Sonar-Sinn seiner Vorfahren zu besinnen. Mit Hilfe seines Meditationsmeisters war es ihm gelungen, ihn zeitweilig zu reaktivieren. Die Anlagen dazu waren nach wie vor in jedem Chgorr vorhanden, auch wenn dieser Sinn schon seit Zeitaltern als verkümmert galt.

Aber jetzt befand er sich in einer akuten Gefahrensituation.

Leroghor wusste, dass er keinen zweiten Versuch hatte.

Schließlich gelang es ihm, auch in dunklen Waldregionen einigermaßen unbeschadet fliegen zu können. Er wagte es nicht einmal, sein Nachtsichtgerät zu aktivieren. Schließlich konnte er ja nicht wissen, ob die Menschen ihn nicht doch mit einem großen Aufwand an hochspezialisierten Drohnen aufzuspüren versuchten und das umliegende Gebiet einer eingehenden Feinortung unterzogen.

In dem Fall konnte jede noch so feine Energiesignatur verräterisch sein.

Soweit Leroghor sich zu orientieren vermochte, versuchte er sich vom Rest der Gruppe zu entfernen.

Auf keinen Fall wollte er seine Verfolger zu ihnen führen.

Er musste sich jetzt allein durchschlagen.

Leroghor konnte noch nicht einmal Verbindung mit dem Rest der Gruppe von Chgorr-Überlebenden aufnehmen, wollte er sie nicht in Gefahr bringen.

*



Pa-Marala wies eine sehr schnelle Eigenrotation auf. Der Wechsel von Tag und Nacht ging etwa mit dem doppelten Tempo vonstatten, das auf Lasraf üblich war.

Leroghor schlug sich durch, versteckte sich.

Seine Gruppe wollte er nicht in Gefahr bringen, daher nahm er auch in der Folgezeit keinerlei Kontakt auf. Allerdings sandte er mehr oder minder regelmäßig das Notsignal auf der Geheimfrequenz ab. Es war seine letzte Hoffnung. Dass die Nahrungsmittelkonzentrate langsam zur Neige gingen war nicht ganz so schlimm. Notfalls war es auch möglich, die nötigen Nährstoffe aus der Flora und Fauna des Waldes zu gewinnen. Schlimmer war, dass das Präparat zum Ausgleich des geringeren Kohlendioxidgehaltes in der Atmosphäre Pa-Maralas nicht mehr lange reichen würde.

Halluzinationen und Störungen der Hirnleistung waren die unvermeidlichen Folgen. Da halfen auch die Hgalrrah-Meditationstechniken nicht weiter.

Leroghor versuchte seinen Vorrat an dem CO2-Ersatzpräparat so lange wie möglich zu strecken. Aber die Auswirkungen der geringeren Dosis machten sich bereits nach etwa einer Pa-Marala-Woche bemerkbar.

Leroghor fiel in eine Art Delirium.

Er verlor jedes Gefühl für Zeit und reagierte immer sensibler auf jedes Dschungelgeräusch. So gut es ging versuchte er mit Hilfe der Meditationstechniken der Hgalrrah-Schule sein inneres Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Es fiel ihm immer schwerer. Dutzende von Riesenlibellen fielen seiner Strahlwaffe zum Opfer, weil er in Anflügen von Panik glaubte, dass die Drohnen der Menschen ihn gefunden hatten.

In einer der kurzen Pa-Marala-Nächte wurde Leroghor durch ein Geräusch aus seiner Trance-Zeit geweckt. Das Geräusch lag in einem Frequenzbereich, der für die Fauna des Pa-Marala-Dschungels nicht hörbar war. Wohl aber für das überaus empfindliche Gehör eines Chgorr. Leroghor griff zur Waffe.

Er aktivierte sein Sichtgerät.

Im Nachtsichtmodus erkannte er einen schnell heranfliegenden Gegenstand, dessen Flugbahn auf eine Drohne schließen ließ. Leroghor riss seine Waffe empor. Aber er kam nicht mehr dazu, sie zu benutzen. Ein grünlich schimmernder Strahl erfasste ihn.

Dunkelheit senkte sich über sein Bewusstsein.

*



Zwei Lasraf-Standard-Tage später...

Hgrrek deaktivierte die Projektion. Einen Augenblick lang hielt er inne. Die Färbung seiner Flügelmembranen war jetzt ein von kleinen roten Inseln durchsetztes Muster aus Pastelltönen. Die Stellung seiner Fühler verriet höchste Konzentration.

Außer ihm waren noch einige hohe Kommandanten der Chgorr-Raumflotte versammelt, darüber hinaus der Leiter des Geheimdienstes.

Letzterer hieß Basrigh.

Hgrrek wandte ihm den Blick zu und sagte schließlich: "Ich kann Ihrer Organisation nur zu der Aktion gratulieren, die zur Evakuierung der Überlebenden unserer Station auf Pa-Marala geführt hat."

"Es war nicht ohne Risiko, mit einem getarnten Spezialraumer auf der Planetenoberfläche zu landen", erklärte Basrigh. "Aber die Raumkontrolle der Menschen befindet sich im Marala-System noch in den Anfängen. Ich weiß nicht, ob wir es sonst geschafft hätten."

Basrigh hatte dem Ersten der Chgorr einen ausführlichen Bericht erstattet. Die Geheimdiensteinheit, die zur Evakuierung der Überlebenden eingesetzt worden war, hatte Kommandant Leroghor in äußerst instabiler mentaler Verfassung angetroffen. Aufgrund der Signale eines Impulsgebers, den er bei sich getragen hatte, war es möglich gewesen, den Kommandanten zu orten. Eine Suchdrohne hatte ihn paralysieren müssen.

Der Rest der Gruppe war sogar noch in weitaus schlechterer Verfassung gewesen.

Kohlendioxidmangel konnte im Gehirn eines Chgorr langanhaltende und schwerwiegende Beeinträchtigungen verursachen. Ob es bei den Betroffenen zu Spätschäden kam, würde erst die Zeit erweisen.

Basrighs Spezialschiff PANSHOOG war es gelungen, das Marala-System unbemerkt zu verlassen.

Jetzt lagen die ersten Ergebnisse der Befragungen vor, denen die Überlebenden unterzogen worden waren.

Ergebnisse, die Hgrrek hatten aufhorchen lassen.

"Was glauben Sie, wozu diese Implantate dienen, mit denen offenbar die gesamte Jarash-Bevölkerung von Pa-Marala versehen wird?", fragte Hgrrek.

"Tut mir leid. Das ist ein leerer Kokon für mich."

Ein leerer Kokon war eine Chgorr-Metapher für das Unerklärliche.

"Keine Hypothesen?", hakte Hgrrek nach. "Was ist mit einer Art mentalen Kontrolle, die über diese Chips gesteuert wird?"

"Streng genommen wir noch nicht einmal sicher, ob es sich bei dem, was den Jarash implantiert wird wirklich um Chips handelt. Das sind nur Vermutungen der Überlebenden. Einen handfesten Beweis gibt es nicht."

Hgrreks Fühler senkten sich etwas.

Eine Geste, die bedeutete, dass ein Chgorr die Argumente seines Gegenübers anerkannte.

"Ich möchte genauer wissen, was da vor sich geht", erklärte der der Erste der Chgorr nach einer kurzen Pause. "Basrigh, ich will, dass Sie ein Spezialkommando auf den Weg schicken. Der Auftrag lautet, sich auf die Oberfläche Pa-Maralas zu begeben und mindestens einen Jarash mit Implantat in unsere Hände zu bekommen und nach Lasraf zu bringen."

"Ein Auftrag voller Risiko", meinte Basrigh. "Nicht nur für die Beteiligten, auch was die politischen Implikationen angeht, falls dieses Kommando entdeckt wird."

"Ich glaube kaum, dass wir unser Verhältnis zu den Menschen noch maßgeblich verschlechtern können", erwiderte Hgrrek.

Er wusste, worauf der Geheimdienst-Chef hinauswollte.

Schließlich gab es für die Allianz Kalimpan abgesehen von den Menschen noch ein zweites Problem.

Die anorganischen Canyaj, die jedwedes organisches Leben als ihren Feind ansahen.

Aber Hgrrek hatte in dieser Angelegenheit eine Entscheidung getroffen, die auch durch die Bedenken Basrighs nicht mehr erschüttert werden konnte. "Ich möchte, dass Sie Ihre Spezialeinheit sofort ins Marala-System schicken. Wer weiß, ob dort überhaupt noch eine Chance besteht, derartige Operationen durchzuführen, wenn die Menschen ihre Herrschaft erst einmal stabilisiert haben. Noch sind sie offenbar dabei ihre Infrastruktur aufzubauen..."

Basrigh senkte die Fühler.

"Wie Sie wünschen, Erster der Chgorr."

"Vielleicht werden wir endlich herausfinden, was die Menschen eigentlich zu ihrem rücksichtslosen Eroberungsfeldzug treibt."

"Sie meinen, dass es mit diesen Implantaten zu tun hat?"

"Wäre das so abwegig?"

Basrigh kam nicht mehr dazu, darauf zu antworten.

Die Drei-D-Projektion eines Chgorr-Gesichtes erschien mitten im Raum. "Eine Nachricht von Larsyrc ist für Sie eingetroffen, Erster der Chgorr", sagte die dazugehörige Stimme.

"Ich möchte die Nachricht im Nebenraum entgegen nehmen", erklärte Hgrrek und deaktivierte die Projektion.

Er schwebte in den Nebenraum. Die Schiebetür schloss sich hinter ihm. Die Projektion des Chgorr-Gesichtes erschien erneut, diesmal um den Faktor 2 verkleinert.

"Ich grüße Sie, Erster der Chgorr."

"Ich grüße Sie ebenfalls Adjutant Herragh." Hgrrek spreizte die Fühler etwas voneinander ab, ehe er fortfuhr. "Eine Botschaft von Larsyrc bedeutet im Moment wohl nichts anderes, als dass sich die Lage in Bezug auf die Menschen zuspitzt", stellte Hgrrek fest, noch ehe sein Gegenüber etwas sagen konnte.

"Nein, mit den Menschen hat es diesmal nichts zu tun. Nichts desto trotz ist Ihre Anwesenheit auf Larsyrc unbedingt erforderlich."

"Warum?"

"Yc und Fairoglan sind von ihrer diplomatischen Mission bei den Canyaj zurückgekehrt."

Fairoglan der Yroa und Yc das Pflanzenwesen...

Beide im Auftrag der Allianz Kalimpan unterwegs, um Kontakt mit den anorganischen Canyaj aufzunehmen.

Die Namen sagten Hgrrek natürlich etwas.

Und mit der Mission der beiden verbanden viele in der Allianz große Hoffnungen.

"Ich verstehe...", sagte Hgrrek

"Es gibt viel, worüber jetzt die Allianz Kalimpan beraten muss."

"Das glaube ich auch."

"Die Canyaj sind ein Problem, das wir nicht unterschätzen dürfen..."

"Ich werde unverzüglich nach Larsyrc aufbrechen", erklärte Hgrrek und unterbrach die Verbindung. Er hatte damit gerechnet, schon sehr bald die Zentralwelt der Allianz aufsuchen zu müssen. Allerdings aus anderen Gründen.

Immerhin erfüllte es Hgrrek mit Erleichterung, dass wenigstens Fairoglan und Yc die Expedition zu den Canyajs überlebt hatten.

Die Färbung von Hgrreks Flügelmembran bekam einen leichten Gelbstich. Ein Zeichen dafür, dass ihn etwas amüsierte. Seine Gedanken galten dem Pflanzenwesen Yc. Ein eigenartiges Gefühl, sich vorzustellen, dass eine Kopie meines Bewusstseins in dieser Kreatur steckt, die wie eine wuchernde Goarigh-Staude aussieht, wie man sie an der Südküste des Lasrafischen Festlandes findet..., sinnierte der Erste der Chgorr. Ein zweites Ich als Botschafter der Allianz...

Auch von den anderen Regenten der Allianz-Völker waren jeweils Bewusstseinskopien in Ycs äußerst wandelbaren und anpassungsfähigen Körper zu finden.

Der Yroa Fairoglan und sein inzwischen verstorbener Klonbruder Shafor hatten seinerzeit lange nach einem Wesen Ausschau halten müssen, das in der Lage war, die Bewusstseinskopien in sich aufzunehmen. Es wird sicher in mehrfacher Hinsicht interessant sein, meinem zweiten Ich zu begegnen..., ging es dem Ersten der Chgorr durch den Kopf.

Er aktivierte den Kom-Kanal. Mit den Vorbereitungen seiner Reise nach Larsyrc musste er sofort beginnen.

*



Fairoglans Haut schimmerte in einem blassen Grünton. Das hagere, kantige Gesicht wirkte angestrengt. Der mäßig psi-begabte Humanoide gehörte zum Allianz-Volk der Yroa, das über viele Galaxien und sogar unterschiedliche Universen hinweg verbreitet war. Fairoglan blickte auf das beeindruckende Landschaftspanorama einer zerklüfteten Bergwelt. (Allerdings gehörten nicht alle Yroa der Allianz an, sondern nur jene, die in einigen örtlichen Kolonien dieser Spezies lebten. Da die Yroa sowohl in parallelen Universen und Raumzeiten siedelten, als auch an unvorstellbar fernen Orten dieses Universums, wäre etwas anderes auch gar nicht möglich gewesen. Aber jede Kolonie der Yroa war unabhängig. Und so war es durchaus vernünftig, im Interesse der eigenen Sicherheit, lokale Bündnispartner zu suchen.)

Der Himmel schimmerte bläulich. Ein leichter Wind wehte und Fairoglan sog die frische, kühle Luft ein. Kaum zu glauben, dass ich mich unter der Oberfläche Larsyrcs befinde - und nicht auf einem Yroa-Planeten!, ging es ihm durch den Kopf. Larsyrc kreiste um einen weißen Zwerg. Ein atmosphäreloser Gesteinsbrocken, der um einen verlöschenden, kalten Stern kreiste. Sogenannte Schalen aus Verbundraumschiffen schützten diesen eigentlich trostlosen Ort gegen Angriffe aller Art.

Denn Larsyrc war nichts anderes als das Zentrum der Allianz Kalimpan: Ein Schmelztiegel verschiedenster galaktischer Kulturen. Allerdings spielte sich das Leben ausschließlich in den ausgedehnten unterirdischen Anlagen ab. Sechs große Hauptzonen gab es, die jeweils den spezifischen Lebensbedingungen eines Kalimpan-Volkes angepasst waren. Larsyrc glich damit einem Konglomerat von Hohlwelten, die sich in Luftdruck, Gravitation, Zusammensetzung der Atmosphäre und der vorherrschenden Temperatur teilweise gravierend unterschieden. In der Zone der Chgorrs beispielsweise brauchte der Yroa Fairoglan ein Atemgerät, um sich vor dem hohen Kohlendioxid-Gehalt zu schützen. Andernfalls wäre nach einigen Minuten ein Sauerstoffmangel im Gehirn mit anschließender Bewusstlosigkeit die Folge gewesen.

Neben den sechs Hauptzonen für Chgorr, Yroa, Shaalkaanen, Morrhm, K'aradan und Fulirr gab es noch zahllose kleinere Zonen, in denen sich Angehörige anderer galaktischer Völker angesiedelt hatten.

Wenn es so etwas wie eine Gemeinschaft unterschiedlichster planetarischer Zivilisationen gab, dann existierte sie auf Larsyrc.

Dieser Planet glich einem Wunschbild der Allianz als Ganzer.

Ein Ort des Friedens und der Verständigung zwischen den organischen Völkern.

Außer den Menschen, ging es Fairoglan durch den äußerst hageren und vollkommen haarlosen Kopf. Auf ihrer Reise zu den anorganischen Canyaj hatten Fairoglan und Yc erfahren, dass letztere einen letzten, vernichtenden Krieg gegen die Menschen planten. Außerdem hatten sie versucht, die Politik der Allianz Kalimpan zu beeinflussen, sie durch Unterwanderung in diesen drohenden Konflikt hineinzuziehen. Auf den ersten Blick sah eine Koalition zwischen Canyaj und Kalimpan wie eine logische Konsequenz der Ereignisse aus.

Aber nur auf den ersten.

Es war nämlich anzunehmen, dass die Canyaj den Feldzug gegen die Menschen nur als Auftakt zu einem Krieg gegen alles organische Leben betrachteten.

Ein Laut, den Fairoglan spontan als klagend interpretierte, ließ den Yroa den Kopf zur Seite wenden.

Etwa einen Meter neben ihm befand sich Yc, der Pflanzenartige. Sein pflanzlicher Metabolismus war derart wandlungsfähig, dass er sich mühelos an jede der auf Larsyrc simulierten Umweltbedingungen anpassen konnte.

Yc pflegte sich in Gesprächen zumeist sehr zurückzuhalten.

Ein Grübler, dachte Fairoglan. Er wusste, dass das Pflanzenwesen noch immer von Heimweh nach seiner Heimat geplagt wurde.

Außerdem nagte der Schmerz an ihm, der letzte seiner Art zu sein.

"Es hat keinen Sinn, mit den Gedanken in der Vergangenheit zu weilen", sagte Fairoglan.

Er wusste nicht, ob er damit Worte gefunden hatte, die den Pflanzenartigen in seiner Trauer erreichten.

Aber er hatte das sichere Gefühl, dass der Pflanzenartige darauf gewartet hatte, von ihm angesprochen zu werden.

"Du wirst gleich an einer Lagebesprechung der Allianz-Regenten teilnehmen, Fairoglan. Vielleicht erscheinen dir meine Gedanken dagegen lächerlich unwichtig..."

"Keineswegs."

"Keine Kunstsonne kann das Licht von meiner Heimat ersetzen."

"Ich weiß."

Yc hatte auf einer gigantischen Spore gelebt. Diese Spore hatte in einem Gasring existiert, der seine Sonne wie ein breites leuchtendes Band umgab.

Byylari - so lautete der Name dieses Ortes. Zumindest in er Kalimpan-Terminologie. Anderswo mochte er andere Namen tragen.

Aber nun war jedes Leben auf dort erloschen.

Nur Yc hatte überlebt.

Es gab im gesamten Universum niemanden mehr von seiner Art. So sehr sich Fairoglan auch als Freund und Lehrer erwiesen hatte, so wenig vermochte der Humanoide das zu ersetzen, was Yc verloren hatte.

Eine ganze Weile standen sie schweigend da und sahen dem Spiel des Lichtes zu, das die Kunstsonne auf die Felsmassive sandte.

Yc hatte jedoch keinen Sinn für die Schönheit dieses Schauspiels.

Kein Wunder, dachte Fairoglan. Es ist für die Augen von Yroa geschaffen worden - nicht für ein Pflanzenwesen, dessen sehnlichster Wunsch es ist, wieder auf einer Spore zu sitzen, die ihrerseits in einem Gasring treibt.

Ein paar Larsyrc-Tage waren vergangen seit Konard, der Letzte der Noleek, sie in unmittelbarer Nähe Larsyrcs abgesetzt hatte.

Sowohl Yc als auch Fairoglan waren in dieser Zeit umfangreichen Befragungen unterzogen worden. Es würden nicht die letzten sein.

Konard hingegen hatte sich gleich daraufhin abgesetzt. Unter anderem wohl auch deshalb, weil der Noleek sich derartige Verhöre hatte ersparen wollen.

"Hast du inzwischen schon etwas über den Inhalt des Speichers herausgefunden, den Konard dir vor unserem Abschied gab?", fragte Yc unvermittelt. “Als wir von Bord seines Raumschiffs gingen und abgesetzt wurden...”

Er schien sich jetzt aktiv der Gegenwart zuwenden zu wollen. Es hatte wirklich keinen Sinn, voll Trauer rückwärts zu sehen.

Fairoglan holte den Speicher aus einer Tasche seiner Kombination hervor.

Er nahm ihn zwischen zwei Finger der linken Hand, hob ihn in das Licht der Kunstsonne und verengte ein wenig die Augen. Seine Gesichtsknochen traten stark hervor und gaben seinem Antlitz unverwechselbare Konturen. Allerdings war Yc kaum in der Lage, die Mimik dieses Gesichtes richtig zu deuten.

"Ich habe wirklich alles versucht", sagte Fairoglan schließlich.

"Du hattest keinen Erfolg?"

"Nicht eine einzige Datensequenz konnte ich bislang entschlüsseln. Und dabei gibt es auf Larsyrc die besten Spezialisten dafür, die man in der gesamten Allianz auftreiben kann!"

"Du solltest nicht den Mut verlieren, Fairoglan."

"Das werde ich auch nicht."

Erneut schwiegen sie.

Schließlich sagte Yc: "Diese eigenartige Welt ist nicht Byylari. Aber sie ist interessant genug, um sich jedes Detail darin genau anzusehen!"

"Es sind eigentlich mehrere Welten in einer, Yc."

"Ja, ich weiß. Ich sollte sie mir alle ansehen."

"Wenn es hier möglich ist, für jedes Allianz-Volk Areale mit speziell ausgerichteten Lebensbedingungen zu schaffen, warum kann man dann nicht etwas Ähnliches wie Byylari im Inneren von Larsyrc erschaffen?"

"Der Aufwand wäre immens groß..."

Yc stieß einen Laut aus, den Fairoglan im ersten Augenblick nicht zu interpretieren wusste. Erst ein paar Augenblicke später fiel ihm ein, dass es vielleicht das Äquivalent des bei humanoiden Völkern sehr verbreiteten Lachens war.

"Du bist so ernst, Fairoglan!"

"Soll das heißen, dass das ein Scherz sein sollte?"

"Du kannst es so nennen."

"Tut mir leid, aber zurzeit ist mir einfach nicht nach so etwas zumute. Die Lage ist ernst."

"Ich bin trotzdem froh."

"Froh?", echote Fairoglan verständnislos.

"Die Bewusstseinskopien der Regenten sind nicht mehr in meinem Inneren."

"Na, und?"

"Ist das nicht der Grund dafür, dass ich an dieser Besprechung nicht teilzunehmen brauche?"

"Yc..."

Ein tadelnder Tonfall schwang in den Worten des Yroa mit. Fairoglan war sich jedoch nicht sicher, inwieweit der Pflanzenartige überhaupt in der Lage war, die Feinheiten sprachlicher Modulation zu erfassen.

Die Naivität, mit der das Pflanzenwesen alles betrachtete, ging Fairoglan im Übrigen hin und wieder durchaus auf die Nerven.

*



Die Besprechung fand in einem spartanisch eingerichteten Konferenzraum statt.

Die Regenten der Shaalkaanen, Morrhm, K'aradan, Fulirr, Yroa und Chgorr waren ebenso anwesend wie zahlreiche Räte und Sicherheitsexperten der Allianz. Außerdem einige der militärischen Kommandanten. Enielraq, der morrhmische Regent ging demonstrativ auf Fairoglan zu und begrüßte ihn. In der Vergangenheit hatten sie zwar des Öfteren unterschiedliche Meinungen vertreten, aber beide respektierten sich. Fairoglan schätzte an Enielraq die ehrliche, offene Art. Der Morrhm hielt mit seiner Meinung selten hinter dem Berg. Speichel troff von seinen Hauern.

Hgrrek, der Erste der Chgorr, war als letzter eingetroffen.

Fairoglan registrierte, dass der Chgorr auf Enielraq, den Herrscher der Morrhm zuging und ihn mit ungewohnter Herzlichkeit begrüßte.

Beide Regenten waren in der Vergangenheit selten einer Meinung gewesen und hatten ihre gegenseitige Geringschätzung nur mühsam verbergen können.

Das war allgemein bekannt.

Offenbar hatte sich die Einstellung beider aber geändert.

Eine andere Möglichkeit bestand darin, dass sie sich gegenseitig für irgendeine kurzfristige Koalition dringend brauchten.

Ein seltsames Paar!, ging es Fairoglan durch den Kopf. Da war auf der einen Seite der filigran-zerbrechliche, nur etwa ein Meter sechzig große Körper des Chgorr mit seiner empfindlichen und farblich entsprechend der momentanen Stimmung changierenden Flügelmembran. Auf der anderen ein breitschultriger Morrhm, der über zwei Meter groß war. Ein Humanoide mit tierhaftem Kopf und hervorstehenden Hauern. Er war von ausgesprochen kräftiger Statur, gegen den auch weniger zierliche Yroa ausgesprochen schmächtig wirkten. Hornplatten schützten den Schädel. Die Augen lagen sehr tief. Die Haut wirkte ledrig.

Den Morrhm wurde ein Hang zum kriegerischen nachgesagt. Aber dieser Ruf stammte wohl eher aus einer aus heutiger Sicht der Kalimpan-Historiker unrühmlichen Vergangenheit, als die Morrhm in zahllose Konflikte verwickelt gewesen waren. Kriege untereinander und gegen andere galaktische Völker hatten die frühe Geschichte dieses Kalimpan-Volkes geprägt.

Aber das war lange vorbei.

So war der Morrhm Enielraq auch eher für vermittelnde Positionen bekannt.

Fairoglan informierte die Anwesenden über das, was er auf der Reise zu den Canyaj erfahren hatte. "Die Anorganischen haben den Plan, die Führungsspitzen der Allianz gegen Klone auszutauschen. Ich nehme an, dass Yc deswegen auch die Bewusstseinskopien der Regenten entnommen wurden."

"Sie meinen, dass diese Kopien jetzt in geklonte Körper implantiert werden", stellte ein shaalkaanischer Rat fest.

Fairoglan konnte dies nur mit einem leichten Senken des Kopfes bestätigen. "Ja", sagte er anschließend. "Zumindest besteht die Möglichkeit!"

Fairoglan fiel auf, dass bei Hgrrek, dem Ersten der Chgorr, die Farbe der Flugmembran leicht changierte.

Einer der Räte meldete sich zu Wort. Ein Shaalkaane. Fairoglan war überzeugt, dass er von seiner Regierung vorgeschoben wurde.

"Niemand bezweifelt Ihre Loyalität zur Allianz", erklärte der Shaalkaane. "Allerdings mussten unsere Sicherheitskräfte einige Ungereimtheiten im Zusammenhang mit Ihrer Rückkehr feststellen. Ungereimtheiten, die bisher auch nicht aufgeklärt worden sind."

Fairoglan wusste natürlich nur zu gut, worauf der Shaalkaane anspielte.

"Es ist wirklich so, wie ich immer wieder erklärt habe", sagte Fairoglan ruhig. "Konard hat Yc und mich in der Nähe von Larsyrc ausgesetzt und ist danach weitergereist."

"Aber warum dieses offensichtlich getarnte Vorgehen?", kam die Gegenfrage.

Fairoglan verzog das Gesicht.

"Das muss ich mich ausgerechnet von einem Shaalkaanen fragen lassen?"

Hier und da wurden unter den Angehörigen verschiedenen Allianz-Völker ganz unterschiedliche Ausdrucksformen von Heiterkeit bemerkbar.

Fairoglan fuhr fort: "Mir ist klar, dass die Umstände unserer Rückkehr einige Fragen aufwirft, für die es keine zufriedenstellenden Antworten gibt. Aber ich bin bereit, mich jeder Art von Untersuchung zu stellen."

"Sie wissen genau, dass niemand die Ereignisse jetzt noch genau zu rekonstruieren vermag", meinte ein k'aradanischer Rat. Fairoglan konnte dem nicht widersprechen.

"Ich kann Sie nur um Ihr Vertrauen bitten."

"Was mich angeht, so denke ich, dass niemand diesen Vertrauensvorschuss mehr verdient hätte, als Fairoglan und Yc", meldete sich Hgrrek, der Erste der Chgorr zu Wort. "Wir sollten uns auf das konzentrieren, was sie an Erkenntnissen von ihrer Reise mitgebracht haben."

Die Äußerung des Chgorr traf auf allgemeine Zustimmung.

Hgrrek musterte den Yroa einige Augenblicke lang. Fairoglans Ruf in der Allianz war außerordentlich gut. Außerdem hat er entscheidend zur Auffindung Ycs beigetragen. Niemand mochte sich vorstellen, dass jemand wie er vielleicht doch Teil einer Verschwörung war.

Allerdings konnte das auf der anderen Seite auch nicht heißen, dass die Führungsspitzen der Allianz nun jegliche Vorsicht vermissen ließen.

Einer der Sicherheitsexperten meldete sich zu Wort. Er war Morrhm und hieß Tremleg.

"Wir sollten bedenken, dass die Trümmer der RAUMBARKE KALIMPAN inzwischen gefunden wurden - und zwar genau an den Koordinaten, die Fairoglan uns angegeben hat."

Von allen Seiten kamen Signale der Zustimmung. Diejenigen, die Fairoglan misstrauten waren in der absoluten Minderheit.

"Bei nüchterner Analyse ist die Lage der Allianz mehr als kritisch", stellte er etwas später fest, als sich die Beratungen endlich dem eigentlichen Gegenstand der Sitzung zuwandten. "Dass die Menschen unsere Feinde sind, ist nichts Neues. Jegliche Versuche, sie auf diplomatischem Weg zur Aufgabe ihres Eroberungsfeldzuges zu bewegen müssen wir als gescheitert ansehen. Sie werden nicht eher mit ihrem Krieg aufhören, als bis ihnen eine gleichwertige Macht militärisch gegenübertritt." Fairoglan blickte in die Runde. Die Augen von Morrhm, Shaalkaanen, Yroa, K'aradan, Fulirr und Chgorr waren auf ihn gerichtet. "Die Allianz Kalimpan ist ein Bündnis, das auf Verständigung und Kooperation beruht. Früher gab es auch zwischen unseren Mitgliedsvölkern blutige Konflikte. Diese Zeit sind zum Glück vorbei."

"Wir müssen uns vielleicht an den Gedanken gewöhnen, dass wir es mit Gegnern zu tun haben, die weder an Kooperation noch an Verständigung überhaupt interessiert sind", warf Hgrrek ein. "Da hilft nur Härte!"

Ein k'aradanischer Rat war entrüstet. "Die Allianz wollte niemals als Hegemonialmacht auftreten!", erklärte er.

"Im Moment geht es wohl eher um die Frage, ob wir uns vor den Karren der Canyaj spannen lassen sollten", erklärte Fairoglan.

"Immerhin wären die Anorganischen ein Gegner, der es mit den Menschen aufnehmen könnte!", gestand Hgrrek zu.

Sein neuer morrhmischer Freund Enielraq unterstützte ihn dabei.

"Unser drängendstes Problem sind die Menschen", erklärte der Regent der Morrhm. "Sie nagen bereits an der Peripherie des Allianz-Territoriums. Und das sollten wir ihnen nicht länger gestatten."

"Und die Canyaj als Bündnispartner ansehen?", fragte Fairoglan skeptisch.

"Warum nicht?", fragte Enielraq. Einige Augenblicke lang herrschte Stille. Der Morrhm schien die Reserve zu spüren, die gegenüber dieser Alternative unter den Anwesenden vorhanden war. Trotz seines martialischen Aussehens war Enielraq offenbar sensibel genug, um das schnell zu bemerken. "Wir sollten zumindest darüber nachdenken", sagte er. "Auch wenn es keine offizielle Übereinkunft zwischen uns und den Canyaj gibt, so sind sie doch faktisch unsere Verbündeten gegen die Menschen. Lassen wir ihnen doch den Vortritt! Ich bin nicht gegen den Krieg. Ich bin aber gegen einen Krieg, den wir gegenwärtig kaum gewinnen können, weil uns der Gegner haushoch überlegen ist. Ich erinnere nur daran, dass wir noch immer nicht die Zentralwelt dieser Sternenbestien kennen! Geschweige denn, dass wir auch nur irgendeine Aussage über ihre militärische Stärke wagen sollten."

Fairoglan hob leicht das Kinn. Seine hageren Gesichtszüge wirkten konzentriert. "Mag sein", gestand er zu. "Aber ich fürchte, wir wären nach einem Sieg der Canyaj über die Menschen das nächste Opfer der Anorganischen."

"Es gibt einen weiteren Bedrohungsfaktor", meldete sich ein anderer Yroa zu Wort. Er war deutlich korpulenter als Fairoglan, der sich unwillkürlich an seinen verstorbenen Klonbruder Shafor erinnert fühlte. Es handelte sich um einen in Sicherheitsfragen seit langem sehr engagierten Mann namens Zegrian. In der Vergangenheit war er einer der wenigen Hardliner in den Reihen der Kalimpan-Führung gewesen, die für ein entschiedeneres Auftreten gegenüber den Feinden der Allianz eintraten.

Hgrrek hatte Zegrian in der Vergangenheit häufig kritisiert. Inzwischen war er zu der Ansicht gelangt, dass der Yroa kein Hardliner, sondern ein Realist war.

Alle Augen waren auf Zegrian gerichtet, der diese Aufmerksamkeit sichtlich genoss.

Seine Miene wirkte ernst.

"Wir haben Informationen darüber, dass der Aqua Kubus jüngst eine belebte Welt assimiliert hat", erklärte Zegrian.

"Ich dachte, das wären unbestätigte Gerüchte", mischte sich der erste Repräsentant der Morrhm ein.

"Inzwischen wurden die Fakten bestätigt", sagte Zegrian. "Der Planet, der dem Aqua-Kubus zum Opfer fiel heißt Masana, umreiste als Vierter von acht Planeten eine gelbe Sonne und war nur wegen einiger seltener Vorkommen von Mineralien interessant."

Der Kubus...

Ein gigantisches, offenbar autark operierendes Gebilde im Kosmos. Ein schwebender Riesen-Ozean, in dem ganze Planeten schwammen und das zweifellos das technische Artefakt einer unbekannten Hochzivilisation war.

Und gefährlich...

Ein kosmisches Monstrum.

"Soweit ich mich erinnere, war Masana mit der Allianz Kalimpan assoziiert", stellte Hgrrek fest.

Zegrian bestätigte dies. "Das hat den Kubus nicht daran gehindert, diese Welt einfach zu assimilieren."

"Vernichten wäre ein passenderes Wort", kommentierte Fairoglan.

Zegrian bedachte ihn mit einem nachdenklichen Blick und sagte schließlich: "Die Bevölkerung eines ganzen Planeten fiel diesem brutalen Angriff zum Opfer. Mehrere hundert Millionen Individuen der unterschiedlichsten galaktischen Spezies."

"Könnte es sein, dass dieser Angriff mit den Plänen der Canyaj in Zusammenhang steht?", wandte sich Hgrrek an Fairoglan.

"Dafür konnten wir während unserer Reise keinerlei Anhaltspunkte finden", erwiderte Fairoglan.

Zegrian ergriff erneut das Wort. "Es bleibt die Tatsache, dass wir uns darauf vorbereiten müssen, mit dem Kubus einen weiteren Gegner zu haben. Ich schlage vor, seine gegenwärtigen Koordinaten zu ermitteln und mit geballter Macht zurück zu schlagen, sollte er versuchen, eine Kalimpan-Welt einzuverleiben."

Dieser Vorschlag stieß auf allgemeine Zustimmung.

Der Wind hat sich gedreht, ging es Hgrrek durch den Kopf. Noch vor kurzem wäre jemand wie Zegrian mit einem derartigen Vorschlag niemals so leicht durchgedrungen.

Hgrreks Ansicht nach wurde es Zeit, dass Kalimpan zu einer realistischeren Politik fand.

Die Ereignisse im Marala-System zwangen die Allianz ebenso dazu wie der jüngste Angriff des Aqua-Kubus und die Canyaj-Verschwörung.

*



Yc war von kindlichem, fast ehrfürchtigem Staunen erfüllt, als er die gewaltigen, teilweise mehrere hundert Meter aufragenden Bäume sah. Kokonartige Gebäude hingen an den ausladenden Ästen auf den ersten Blick konnte man sie für Früchte halten.

Es war heiß.

Der Dschungel dampfte förmlich. Die Luftfeuchtigkeit war so hoch, dass Angehörige der meisten Kalimpan-Völker in diesem Habitat ihre Probleme gehabt hätten. Das Gleiche galt für den hohen Kohlendioxid-Anteil in der Atemluft.

Yc befand sich in einer der sechs Hauptzonen von Larsyrc. Es handelte sich um einen Bereich der Chgorr. Hin und wieder sah er Angehörige anderer Kalimpan-Völker unter den zahllosen Chgorr. Zumindest die Shaalkaanen und Yroa unter ihnen trugen Atemmasken, um sich vor dem Kohlendioxid zu schützen.

Yc hingegen hatte seinen Stoffwechsel problemlos an diese Umgebung anpassen können.

Er war entschlossen, sich so viel wie nur irgend möglich von dieser Welt anzusehen.

Diesen vielen Welten in einer, korrigierte er sich. Denn genau das war Larsyrc. Wahrscheinlich kann man nirgendwo in der Galaxis auf so engem Raum derart viele verschiedene Umgebungen kennen lernen.

Die den Verhältnissen auf Lasraf nachgebildete Zone der Chgorr übte dabei eine ganz besondere Faszination auf das Pflanzenwesen aus. Woran das genau lag, wusste Yc noch nicht so recht. Er genoss einfach die Intensität des kindlichen Staunens, das ihn erfüllte. Dieses Staunen war ein gutes Mittel gegen die Trauer in ihm.

Yc erreichte den Fuß eines dieser gewaltigen Urwaldriesen. Angeblich sollte es auf Lasraf noch gewaltigere Exemplare geben.

Der Stamm war von enormer Dicke und bestand aus einem Holz, das wesentlich härter war, als alle organisch-pflanzlichen Gewebe, die Yc jemals kennen gelernt hatte. Mit seinen tentakelartigen Auswüchsen berührte er dieses besondere Holz.

Die Hauptzone der Chgorr gefiel ihm mehr als alle anderen Habitate im Inneren von Larsyrc, die er bisher kennen gelernt hatte. Vielleicht lag es daran, dass die Vegetation hier eine besonders wichtige Rolle spielte. Die Chgorr schienen einen sehr engen Kontakt zur Flora ihres Heimatplaneten zu haben.

Ein Umstand, der Yc gefiel.

Tausende von Chgorr flatterten zwischen den kokonartigen Gebäuden hin und her, die von den Ästen herunterhingen. Ein faszinierender Anblick.

Das Pflanzenwesen lauschte.

Rascheln erfüllte die Luft. Ein sich dauernd verändernder, filigraner Klangteppich. So fein gesponnen wie die feinen Strukturen auf den Flügelmembranen der Chgorr.

Yc hatte sich über einen der öffentlichen Zugänge zu dem Datennetz von Larsyrc einige Grundkenntnisse über die die Chgorr und die von ihnen bevorzugten Umweltbedingungen angeeignet. So wusste er, dass DAS RASCHELN für die Chgorr eine meditative, beinahe religiöse Bedeutung hatte. Es war für sie Sinnbild der Verbundenheit aller Chgorr.

Als Yc daran dachte, überschwemmte eine Welle tiefer Traurigkeit sein Bewusstsein.

Du bist allein, Yc!, erinnerte ihn eine innere Gedankenstimme. So allein wie sonst wohl kaum jemand im Universum.

Schließlich war er der letzte seiner Art.

Seine Lage war allenfalls mit der Konards vergleichbar.

Einer der Chgorr flatterte auf Yc zu und ließ sich vor ihm nieder.

Einige weitere Chgorr landeten in der Nähe.

Yc war im ersten Augenblick etwas irritiert.

"Sei gegrüßt, Yc", sagte einer der Chgorr. Er bewegte sich etwas zögernd auf das Pflanzenwesen zu.

Die anderen Chgorr schienen unter dem Befehl des Sprechers zu stehen. Yc bemerkte, dass sie bewaffnet waren.

"Wer bist du?", fragte das Pflanzenwesen.

"Mein Name ist Hgrrek."

"Ich habe von dir gehört..."

"Ich bin der Erste der Chgorr."

"Verstehe."

"Auch ich habe viel von dir gehört, Yc. Du hast deine Heimat verloren. Mehr als das!"

"Byylari..."

"Ich weiß. Die Spore, auf der du gelebt hast..."

Ycs tentakelartige Fortsätze bewegten sich leicht. Niemand im gesamten Universum vermochte diese Geste noch zu deuten. Es gab einfach keinen zweiten Pflanzenartigen mehr. Was will dieser Hgrrek von mir?, fragte sich Yc.

"Eigentlich kann ich mir kaum vorstellen, dass jemand, der nicht wie ist, meine Trauer nachempfinden kann."

"Vielleicht empfindest du etwa das, was ein Chgorr fühlt, wenn er DAS RASCHELN nicht hören kann", vermutete Hgrrek.

Nach allem, was Yc bisher über das Leben und die Kultur der Chgorr wusste, war diese Analogie gar nicht mal so abwegig.

"Was willst du von mir, Hgrrek?", fragte Yc unvermittelt.

Die Flügelmembran des Ersten der Chgorr war in einem verwaschenen Muster aus Pastelltönen gehalten. Ein Zeichen dafür, dass Hgrrek sich emotional absolut unter Kontrolle hatte. Er spreizte leicht die Fühler. "Es ist reiner Zufall, dass wir uns hier getroffen haben", erklärte er.

Auf Yc wirkte das nicht sehr überzeugend. "Diese Zone ist riesig! Geradezu gigantisch!"

"Und doch trifft man sich immer wieder an denselben Orten und Plätzen, Yc. Ich verfolge wirklich keine besondere Absicht, sondern wollte einfach nur jenes Wesen kennen lernen, das in der Lage war, die Bewusstseine der sechs Regenten von Kalimpan in sich aufzunehmen."

"Ich habe diese Bewusstseine nicht mehr in mir", stellte Yc sachlich fest.

Er war etwas irritiert.

Warum kommt er jetzt auf dieses Thema zu sprechen?, überlegte er.

"Ich weiß", erklärte Hgrrek. "Dein Freund Fairoglan hat vor den Regenten und einigen hohen Kommandanten unserer Raumflotte sowie ein paar Sicherheitsexperten einen ausführlichen Bericht über eure Reise zu den Canyaj geliefert."

"Dann weißt du ja bescheid", stellte Yc fest.

"Wir sind froh, dass Fairoglan dich gefunden hat. Wir alle - die gesamte Allianz von Kalimpan schuldet ihm dafür Dank."

"Ja, das stimmt."

"Was ist mit den Bewusstseinskopien geschehen, die in dir gespeichert waren, Yc?", fragte Hgrrek.

Warum interessiert er sich ausgerechnet für diesen Punkt?, fragte sich Yc. Weil gewissermaßen ein Teil seiner selbst mit dieser Kopie verloren ging? Empfindet er das so?

Aus irgendeinem Grund schien der Chgorr in dieser Hinsicht sensibler zu sein als die anderen Regenten.

"Ich weiß nicht, was mit den Kopien letztlich geschah. Die Canyaj haben sie mir entzogen. Das ist alles."

"Und es ist wirklich nichts davon in dir übrig geblieben?", hakte Hgrrek nach.

"Nein."

"Ich frage das insbesondere in Bezug auf..."

"...die Kopie deines Bewusstseins?"

"Ja."

"Ich muss dich täuschen, Hgrrek. Es ist nichts mehr von dir da."

"Das wollte ich nur wissen." Der Chgorr blickte auf das winzige Display seines Kommunikators. "Ich werde gerufen. Zurzeit reiht sich eine Lagebesprechung an die andere. Kalimpan befindet sich in der Krise... Aber ich brauche dir ja wohl nicht zu erklären warum."

"Nein."

Ein eigenartiges Gefühl breitete sich in Ycs Innerem aus. Er konnte diese Empfindung selbst nicht so recht einordnen. Er wusste nur, dass es mit Hgrrek zu tun hatte.

Dieses Gefühl irritierte Yc zutiefst.

Unbehagen ließ die tentakelartigen Fortsätze sich zurückziehen. Ist Hgrreks Interesse an dir nicht eigentlich nur allzu gut verständlich?, ging es dem Pflanzenwesen dann durch die Gedanken. Schließlich gab es eine sehr Bindung zwischen uns beiden, obgleich wir uns heute zum ersten Mal begegnet sind! Ich trug seine Gedanken in mir....

Eine Spur Misstrauen blieb.

Der Erste der Chgorr erhob sich zusammen mit seinen Leibwächtern wieder in die Luft. Die Gruppe schwebte davon, mischte sich in die gewaltige Schar von Chgorr, die gemeinsam DAS RASCHELN erzeugten.

Ein RASCHELN, das inzwischen beinahe die gleiche Beliebtheit erreicht hatte, wie DAS RASCHELN der großen Metropolen von Lasraf und daher auch in die Datennetze der Yadragh-Welten eingespeist wurde.

Yc sah der Gruppe von Chgorr nach und blieb etwas verwirrt zurück.

Er empfand noch immer Unbehagen, ohne sich den Grund dafür erklären zu können.

Plötzlich nahm er einen Luftzug wahr.

Etwas kam von oben auf ihn zu.

Das RASCHELN veränderte sich, wurde von schrillen Schreckenslauten hunderter Chgorr durchsetzt.

Eines der Kokon-Gebäude stürzte hernieder. Es hatte sich von seiner hängenden Position unterhalb eines dicken, knorrig wirkenden Astes gelöst und rast nun in die Tiefe.

Yc bewegte sich blitzartig seitwärts. Seine gesamte körperliche Kraft legte das Pflanzenwesen in diese Bewegung seines tentakelartigen Geästs.

Im nächsten Augenblick erzitterte der Boden der Chgorr-Zone unter dem Aufprall des Gebäudes. Große Brocken des weichen Waldbodens wurden in die Höhe geschleudert. Hunderte von Chgorr stoben zu allen Seiten davon. Ein Alarmsignal ertönte.

Das Gelände, auf dem das Kokon-Gebäude gelandet war, war abschüssig.

Yc bemerkte, dass es sich in Bewegung setzte.

Wie eine gewaltige, haushohe Walze, rollte es auf ihn zu.

Yc ergriff die Flucht.

Aber er war nicht schnell genug.

Die Walze näherte sich unaufhaltsam. So sehr sich das Pflanzenwesen auch bemühte, aussichtslos war es doch, dem rollenden Kokon zu entkommen.

Die Walze kam in Fahrt.

Panik ergriff Yc.

Einer seiner tentakelartigen Fortsätze geriet unter die Walze. Im letzten Moment schaffte Yc es, den Fortsatz zurückzuziehen. Er wusste, dass er damit nichts gewonnen hatte. Schon drückte ihn die Last der aus einem holzähnlichen Material bestehenden Außenhülle des Kokon-Gebäudes zu Boden.

Das ist das Ende, war ihm klar.

*



Er ist in der Nähe. Und irgendetwas beunruhigt ihn stark.

Der mäßig Psi-begabte Fairoglan >spürte< die Anwesenheit des Morrhm noch bevor sich die Schiebetür zu dem Aufenthaltsraum geöffnet hatte.

Im nächsten Moment betrat die hoch aufragende, breitschultrige Gestalt des Morrhms den Raum.

Zwei Leibwächter befanden sich in seinem Gefolge.

Enielraq machte ihnen ein Zeichen.

Sie verstanden sofort und entfernten sich.

In der Nähe eines Nahrungsmittel- und Getränkespenders warteten sie.

"Sie wollen mich sprechen, Enielraq?", wandte sich Fairoglan an den morrhmischen Regenten.

"Das ist richtig."

"Worum geht es?"

Das ansonsten recht scharf geschnittene, von furchenartigen Falten durchzogene Gesicht des Morrhm entspannte sich leicht.

Er ist nicht wirklich entspannt, ging es Fairoglan durch den Kopf. Sein Psi-Sinn sagte es ihm. Außerdem kannte er die Körpersprache der Morrhm inzwischen recht gut. Irgendetwas liegt ihm auf der Seele...

"Zurzeit folgt eine Versammlung der anderen. Wichtige Entscheidungen stehen bevor."

"Das ist richtig", gestand Fairoglan zu.

Eine kleine Pause entstand, die auf Seiten des Morrhms von Verlegenheit geprägt war.

Ein guter Diplomat ist Enielraq nie gewesen, überlegte Fairoglan.

"Ich schätze Sie seit langem sehr, Fairoglan. Und in Zeiten wie diesen tut es manchmal ganz gut, die persönliche Einschätzung von jemandem zu erfahren, dem man trauen kann."

"Meine Einschätzung kennen Sie doch! Ich wiederhole es gerne nochmal Ihnen gegenüber. Wir haben nicht die Möglichkeit, die Menschen und ihr Imperium zurzeit zu schlagen. Aber wenn wir herausbekämen, wo die genauen Koordinaten liegen..."

Das Imperium der Humanität hatte es verstanden, die genauen Koordinaten der Erde und des Sol-Systems in den letzten 1000 Jahren zu verbergen. Dazu wurden aufwändige Technologien verwendet, die es unmöglich machten, die Koordinaten des Sol-Systems so exakt anzupeilen, wie das für die Navigation von Raumschiffen notwendig war. Und da diese Abwehrtechnologie gegen fremde Ortung weit fortgeschritten und sich die Erde ohnehin (wie jeder Planet und jedes Sonnensystem in der Galaxis) mit großer Geschwindigkeit durch den Raum bewegte und das galaktische Zentrum umkreiste, war es seit langem selbst Zivilisationen wie den Qriid, den Fulirr oder den K’aradan nicht mehr möglich, eine ausreichend exakte Position des Sol-Systems allein durch Extrapolation alter Positionsdaten zu errechnen.

"Dann wüssten wir zumindest, welche militärischen Reserven sie noch haben!", meinte Enielraq. Er atmete tief durch. Schließlich fuhr er fort: "Während der Lagebesprechung hat sich ein Angehöriger Ihres Volkes sehr vernünftig geäußert."

"Sie sprechen von Zegrian."

"Ja. Leider entspricht seine Position nicht ganz der seines Regenten."

"Zegrian ist ein Sicherheitsexperte der Allianz. Er hat eine unabhängige Position und ist nicht an Weisungen gebunden."

"Mag sein."

"Sie möchten, dass ich die Position der Yroa-Kolonien-Koalition beeinflusse!"

Enielraq verzog den Mund, bleckte dabei die Zähne wie ein Raubtier. Es war das morrhmische Äquivalent eines Grinsens.

"Ihr Einfluss hier auf Larsyrc ist nicht zu unterschätzen, Fairoglan."

"Sie übertreiben."

"Mag sein, dass es während der Lagebesprechung die oder andere kritische Fragen im Hinblick auf Ihre Rückkehr gegeben hat. Aber die große Mehrheit vertraut Ihnen und könnte sich niemals vorstellen, dass Sie etwa die Interessen der Allianz verraten würden. Wenn Sie sich auf Hgrreks Seite schlagen und für ein entschlosseneres, offensiveres Vorgehen gegenüber den Menschen eintreten, bliebe das nicht ohne Wirkung."

"Dasselbe gilt, wenn ich mich auf die Gegenseite schlagen würde."

"Sicher. Und? Was ist nun Ihre Position, Fairoglan?"

"Ich glaube nicht, dass die Allianz im Augenblick stark genug wäre, um in die Offensive zu gehen! Mal ganz abgesehen davon, dass es auch politisch nur schwer durchsetzbar wäre!"

Der Morrhm trat noch etwas näher an Fairoglan heran. Er sprach jetzt in gedämpftem Tonfall. "Was Ihre Einschätzung der militärischen Möglichkeiten angeht, die der Allianz Kalimpan zurzeit zur Verfügung stehen, teile ich Ihre Ansicht voll und ganz, Fairoglan."

"Wie schön, dass wir uns einig sind."

"Für meinen Geschmack haben Sie es ziemlich eilig damit, die Allianz mit den Menschen in einen Krieg zu verwickeln."

"Hat der Krieg in Wahrheit nicht längst begonnen?"

"Vielleicht."

"Na sehen Sie! Und wenn aber andererseits die Notwendigkeit besteht, möglichst schnell und entschieden gegen die Menschen vorzugehen, liegt die Konsequenz doch auf der Hand! Wir brauchen langfristig Verbündete."

"Den Canyaj traue ich nicht, wenn Sie darauf hinauswollen."

Fairoglan bemerkte ein akustisches Signal seines Kommunikators. Er meldete sich. Auf dem Mini-Display erschien das Gesicht eines k'aradanischen Sicherheitsbeamten.

"Ich melde mich wegen Yc. Im Sektor der Chgorr gab es einen Unfall..."

*



Leroghor erwachte.

Für einen Chgorr, der Schlaf im herkömmlichen Sinn nicht kannte, war dies ein seltenes Ereignis. Leroghor war der Unterschied zum normalen Emportauchen aus der Trancephase innerhalb der heiligen Zeit sofort klar.

Die Tatsache, dass er so etwas zum ersten Mal erlebte, spielte dabei keine Rolle.

Ich war bewusstlos, erkannte er. Ein Zustand, der für jeden Chgorr etwas Beängstigendes hatte und nur im äußersten Notfall bei medizinischen Eingriffen angewandt wurde. Lange Zeit hatten die Meditationsschulen auf Lasraf heftig darüber debattiert, ob es grundsätzlich abzulehnen sei, jemanden zu betäuben. In den religiös-philosophischen Vorstellungen der Chgorr bestand die Gefahr, dass ein Individuum nach dem Erwachen nicht mehr dasselbe war. Berühmte Meditationsmeister der Hgalrrah-Schule sowie der mit ihr verfeindeten Schule von Jarragha hatten in ihren Schriften darum gestritten, ob der Faden des Lebens durch eine Bewusstlosigkeit abgeschnitten und damit die Kontinuität der Persönlichkeit abgeschnitten würde. Die Bewusstseine anderer galaktischer Völker mochten weder im Schlaf noch in der Bewusstlosigkeit etwas Bedrohliches sehen. Die Chgorr hielten noch immer den Schlaf für ein Merkmal der Primitivität. Nur langsam hatte sich der Gedanke durchgesetzt, dass es vor allem in der Medizin notwendig sein konnte, einen schlafähnlichen Zustand herbeizuführen.

Oder wenn es darum ging, jemanden zu stoppen, dessen Steuerungsfähigkeit nicht mehr vorhanden war, überlegte Leroghor.

Genau das war offenbar bei ihm der Fall gewesen.

Erinnerungen stiegen in ihm auf.

Er war durch den Dschungel von Pa-Marala geirrt und hatte sich gegen Fauna und Flora verteidigen müssen. Der größte Feind aber war der Mangel an Kohlendioxid gewesen. Sein Gehirn hatte immer schlechter funktioniert. Immer weniger hatte er seiner eigenen Wahrnehmung trauen können.

Ein Alptraum, der nun offensichtlich ein Ende hatte.

Leroghor versuchte sich zu bewegen und stellte fest, dass er durch ein Energiefeld auf der Matte fixiert war.

Es hatte keinen Sinn, seine Kraft damit zu verschwenden, sich gegen diese Fixierung zu wehren.

Die Kräfte eines Chgorr reichten dafür einfach nicht aus.

In Augenblicken wie diesen wünscht man sich ins Raupenstadium zurück!, ging es ihm durch den Kopf.

Er vernahm ein brummendes Geräusch, das den Boden vibrieren ließ.

Ich bin an Bord eines Raumschiffs!, erkannte er.

Eine Schiebetür öffnete sich.

Ein Chgorr schwebte herein und ließ sich neben der Matte nieder.

"Wie ich sehe, sind Sie erwacht, Leroghor", stellte er fest. Er aktivierte eine Projektion, die ihm die physiologisch-medizinischen Parameter anzeigte.

"Wo bin ich?", fragte Leroghor.

"An Bord des Raumschiffs PANSHOOGH. Erinnern Sie sich nicht?"

Panshoogh war eigentlich der Name eines etwa zwanzig Meter langen amphibischen Raubtiers, das für seine gute Tarnung bekannt war.

"Sind wir auf dem Weg nach Lasraf?"

"Oh, nein, wir sind vor kurzem von dort aufgebrochen. Erinnern Sie sich an mich?"

"Tut mir leid."

"Mein Name ist Gradossagh. Ich bin der medizinische Offizier an Bord der PANSHOOGH."

"Kommt mir bekannt vor, aber..."

"Schon gut. Bei dem, was Sie durchgemacht haben, Leroghor, kann es durchaus zu Amnesie-Phasen kommen."

"Vielleicht helfen Sie mir ein bisschen auf die Sprünge."

"Können Sie mit dem Namen Pa-Marala etwas anfangen?"

"Ein Planet!"

"Das ist doch ein Anfang. Sie wurden von Spezialkräften des Geheimdienstes im Dschungel von Pa-Marala gerettet. Leider mussten sie dabei paralysiert werden. Sie waren sehr lange einer Kohlendioxidmangelatmosphäre ausgesetzt. Es konnte nicht ausgeschlossen werden, dass es zu Hirnschäden gekommen ist. Daher wurden sie gründlich untersucht. Allerdings kann auch bei der gründlichsten Untersuchung etwas übersehen werden..."

Gradossagh deaktivierte das Energiefeld, das Leroghor bis dahin fixiert hatte.

"Aber inzwischen bin ich wieder auf dem Weg nach Pa-Marala?", vergewisserte sich Leroghor. Er sah zum Chronometer an der Wand. Seine Fühler erstarrten. "Ich war mehrere Lasraf-Tage bewusstlos?" Leroghor war fassungslos und verlor vollkommen die Kontrolle über die Färbung seiner Flügelmembran.

Gradossagh blieb ruhig.

"Sie leiden offensichtlich an einer Erinnerungslücke. Das kann eine Spätfolge einer Kohlendioxid-Unterversorgung sein. Sie sind natürlich während des Rückfluges von Pa-Marala so schnell wie möglich aus der Paralyse geweckt worden und haben sich auf Lasraf umfangreichen Befragungen unterziehen müssen..."

Leroghors Körperhaltung entspannte sich etwas. "Ja, ich..." Er sprach nicht weiter. Erinnerungsfetzen tauchten in seinem Inneren auf. Noch waren es nur Schnipsel, die sich nicht zu einem vollständigen Bild fügen wollten. Plötzlich wusste er, weshalb er an Bord der PANSHOOG war. "Wir sind auf einer Mission, nicht war? Die PANSHOOG hat den Auftrag, einige der Jarash zu entführen, denen die Menschen Implantate eingesetzt haben, damit wir endlich herausfinden, was es damit auf sich hat!"

Gradossagh senkte bestätigend seine Fühler nach vorn.

"Das ist korrekt", sagte er sachlich. "Sie nehmen an dieser Mission teil, weil Sie uns mit Ihren Kenntnissen über Pa-Marala und die Jarash sicher helfen können."

"Warum wurde ich betäubt?"

"Sie litten unter starken Wahnvorstellungen und drohten großen Schaden anzurichten, Leroghor. Die Diagnose lautet: Störungen bei den Impulsübertragungen im Gehirn durch einen vor kurzem erlittenen Kohlendioxid-Mangel. Aber wir haben die Sache im Griff."

"Können Sie mir garantieren, dass das nicht noch einmal geschieht?", fragte Leroghor.

"Ich denke ja..."

Weitere Erinnerungsfetzen tauchten in Leroghors Bewusstsein auf. "Ich habe die Einrichtung meines Quartiers zerstört." Es war eine Feststellung, keine Frage.

"Das haben Sie."

"Tut mir leid."

"Aus medizinischer Sicht hätten wir Sie gar nicht auf diese Mission mitnehmen dürfen, Leroghor. Nach einem erlittenen Kohlendioxid-Mangel braucht ein Chgorr-Körper eine lange Phase der Erholung. Aber die konnten wir Ihnen leider nicht gönnen. Wir brauchen Sie."

"Ich weiß."

"Mit Hilfe der Medikamente, die Sie bekommen, ist Ihr Zustand stabil."

Ein Summton war zu hören.

Über Interkom meldete sich ein Brückenoffizier.

"Wir nähern uns dem Marala-System. Kommandant Basrigh wünscht die Anwesenheit Leroghors auf der Brücke, sofern dies medizinisch vertretbar ist."

Gradossagh zögerte einige Augenblicke mit seiner Antwort.

"Es ist vertretbar", behauptete er schließlich.

*



Als Leroghor die Brücke betrat, waren schon deswegen alle Blicke auf ihn gerichtet, weil er nicht schwebte, sondern tatsächlich ging.

Kommandant Basrigh musterte ihn.

"Wie ich sehe, sind Sie wieder auf den Beinen, Leroghor."

"Der medizinische Offizier riet mir, für ein paar Stunden auf den Gebrauch der Flügel zu verzichten."

"Ja, das ist ein Routinehinweis nach jeder Form von Schlaf oder Bewusstlosigkeit." Kommandant Basrigh deutete zu der großen Hauptprojektion auf der Brücke der PANSHOOG. Im Vordergrund war eine dunkelrote Kugel zu sehen. "Ich denke, ich brauche Ihnen nicht zu sagen, was das ist."

"Ga-Marala, der äußerste Planet des Marala-Systems. Besteht zu einem erheblichen Teil aus Eisen, das an der Oberfläche oxidiert ist und den Großteil des Kohlendioxids bindet. Eine wasserlose Welt, so gut wie ohne Atmosphäre..."

"Mit anderen Worten: Bis Pa-Marala ist es nur noch ein Flügelschlag."

In einem gesonderten Fenster dieser Projektion erschien jetzt eine schematische Darstellung, auf der die gegenwärtigen Positionen aller zum Marala-System gehörenden Himmelskörper zu sehen war. Leroghor wusste als Angehöriger der Raumflotte natürlich auch, was die aufblinkenden Markierungen bedeuteten, die über das gesamte System erteilt waren.

Der ehemalige Kommandant des Chgorr-Stützpunktes auf Pa-Marala trat etwas näher an die Projektion heran. "Scheint so, als wären die Menschen intensiv damit beschäftigt, rund um Pa-Marala eine wirksame Raumkontrolle aufzubauen", stellte er fest.

Kommandant Basrigh senkte die Fühler. "Sie haben in den letzten Tagen weitere Truppen durch ihr nahegelegenes Wurmloch herbeigeschafft. Ich zweifle daran, dass all die Raumschiffe nur dazu dienen sollen, das Marala-System zu sichern."

"Ich gebe Ihnen Recht. Wahrscheinlich haben sie das nächste System, das sie unterjochen wollen, schon im Visier."

Leroghor blickte nach links. Ein shaalkaanischer Offizier schaute dort angestrengt auf die Anzeigen seiner Konsole. Er trug eine Atemmaske, um sich vor dem hohen Kohlendioxid-Gehalt in der den Chgorr-Standards angepassten Luft an Bord der PANSHOOG zu schützen.

Gemischte Mannschaften waren normalerweise bei der Kalimpan-Flotte unüblich. Jedes der Mitgliedsvölker hatte seine eigenen Flotteneinheiten. An Bord der PANSHOOG war das aus gutem Grund anders. Der Shaalkaane war für die besondere Tarntechnik des Spezialraumers verantwortlich.

"Alle Tarnsysteme klar", meldete der Shaalkaane. "Es spricht nichts dagegen, auf Pa-Marala zuzufliegen. Die Menschen werden uns auf Grund eines falschen ID-Signals für eines ihrer eigenen Transportschiffe halten."

"Gut", murmelte Basrigh. "Wir waren schon einmal dort - es gibt keinen Grund, weshalb wir es nicht wieder schaffen sollten!"

*



Yc fühlte einen Ruck seinen gesamten pflanzlichen Körper erfassen.

Die Fortsätze schrammten über die raue Oberfläche der Kokon-Behausung. Yc fühlte Schmerz. Einen Schmerz, der ihm beinahe die Sinne raubte. Gleichzeitig spürte er, wie er in die Höhe gerissen wurde.

Mehrere Chgorr hatten seine Tentakelfortsätze gepackt und ihn empor gerissen.

Jetzt schwebten sie mit ihm in die Höhe, während unter ihnen die tödliche Kokon-Walze ihren Weg nahm. Chgorr, die sich in ihrer Vernichtungsbahn befanden, schlugen mit den Flügeln und erhoben sich in die Luft, um nicht niedergewalzt zu werden.

In einer Mulde kam das Gebäude endlich zur Ruhe.

Die Chgorr, die Yc gerettet hatten, waren jetzt im Sinkflug begriffen. Sie verloren zusehends an Höhe. Ihre grazilen Körper waren für den Transport von Last einfach nicht geschaffen. Mehr als eine einigermaßen weiche Landung konnten sie nicht mehr hinbekommen.

Yc war froh, den Boden wieder unter sich zu spüren.

Die Chgorr setzten ebenfalls auf.

Sie waren vollkommen erschöpft.

Es dauerte Augenblicke, bis sie in der Lage waren, zu sprechen.

"Ich danke euch", sagte Yc. "Ihr habt mir das Leben gerettet!"

"Ich verstehe das nicht", sagte einer der Chgorr. Er war der Größte unter ihnen. Seine Flügelmembran wurde durch einen wahren Teppich an verschiedenen Farbklecksen gezeichnet. Ein Ausdruck seiner Verwirrung. "Ich kann mich nicht daran erinnern, dass je eines der Kokon-Gebäude herabgestürzt ist!", erklärte er mit zitternden Fühlern. "Zumal wir die sehr strengen Sicherheitsvorschriften wirklich genau einhalten!"

"Hier war das offensichtlich nicht der Fall!", mischte sich einer der anderen Chgorr in das Gespräch ein. Er wandte sich an Yc. "Wie geht es dir?"

"Körperlich fehlt mir nichts. Mein Gewebe ist vollkommen in Ordnung. Allerdings muss ich diesen Schrecken wohl erst assimilieren."

"Wie?"

"Verdauen würdet ihr vielleicht sagen." Yc musterte seine Retter. Er stellte fest, dass sie keinerlei Uniformen oder Abzeichen trugen, die sie als Angehörige der Sicherheitskräfte, der Raumflotte oder der Allianz-Verwaltung ausgewiesen hätten. Im ersten Moment war Yc das überhaupt nicht aufgefallen.

"Ihr gehört nicht zu den Sicherheitskräften", stellte Yc überrascht fest.

"Nein", sagte der dritte Chgorr. "Wie kommst du darauf?"

"Allerdings wundert es mich, dass noch niemand hier ist", meldete sich ein anderer zu Wort.

Inzwischen flog eine halbe Hundertschaft von Sicherheitsbeamten heran. Sie waren uniformiert und bewaffnet. Der Unfallort wurde weiträumig abgesperrt. Mehrere Transportgleiter schwebten heran und setzten auf dem Boden auf.

"Brauchen Sie medizinische Versorgung?", wandte sich einer der uniformierten Chgorr an Yc.

Dieser verneinte. "Mit mir ist alles in Ordnung", erklärte er. "Ich möchte nur wissen, wie es sein kann, dass eines dieser Gebäude einfach hinabstürzen kann!"

"Das kann sich niemand von uns erklären", mischte sich ein anderer Chgorr in das Gespräch ein. "Meines Wissens hat es einen derartigen Absturz in der gesamten Geschichte der Chgorr-Zone von Larsyrc noch nicht gegeben!"

Mehrere Chgorr stimmten lauthals zu.

Auf jeden Fall habe ich wohl großes Glück gehabt, dachte das Pflanzenwesen. Neugierig beobachtete Yc die Aktivitäten der Sicherheitskräfte. Einige der Chgorr schwebten zu dem Ast empor, an dem das kokonförmige Gebäude gehangen hatte.

Inzwischen hatte sich eine große Gruppe von Schaulustigen gebildet, die ebenfalls interessiert den Fortgang der Ereignisse beobachtete.

Ein weiterer Gleiter schwebte heran und setzte in der Nähe des abgestürzten Gebäudes auf.

Ein Yroa stieg aus.

Er trug eine Atemmaske, um sich vor dem erhöhten Anteil von Kohlendioxid im Chgorr-Bereich zu schützen. Yc erkannte ihn trotz der Maske sofort.

"Fairoglan!"

Der Yroa ging auf Yc zu, blieb schließlich vor ihm stehen.

"Ich habe gehört, was sich ereignet hat", sagte Fairoglan.

"Keine Sorge, mir ist nichts passiert! Allerdings hätte nicht viel gefehlt!"

Fairoglans Gesicht war sehr ernst.

"Es gibt eigentlich kaum etwas, das sicherer ist, als ein Chgorr-Gebäude."

"In diesem Fall stimmt das wohl nicht ganz", erwiderte Yc.

Fairoglan wandte sich an einen der Chgorr-Beamten, die um das abgestürzte Gebäude herumflatterten. Sie trugen Scanner bei sich, um jede Kleinigkeit aufzuzeichnen, die vielleicht im Zusammenhang mit diesem Unfall relevant war.

Wenn es wirklich ein Unfall ist, dachte Fairoglan.

"Wie werden Chgorr-Gebäude eigentlich an den Ästen befestigt?", erkundigte sich der Yroa.

Einer der Beamten wandte sich ihm zu. Er trug eine blaue Uniform, außerdem das Emblem der Sicherheitskräfte und ein Rangabzeichen. Fairoglan wusste, dass die Chgorr trotz ihrer grundsätzlich eher pazifistischen Grundeinstellung Uniformen liebten. Genau wie sich ihr Seelenleben durch die Färbung der Flügelmembran zeigte, so war ein Chgorr in der Regel durch seine Kleidung als Mitglied einer bestimmten Berufsgruppe oder als Angehöriger einer Meditationsschule erkennbar.

Der Chgorr deutete auf ein paar kegelförmige Aggregate an der Oberseite des Kokon-Gebäudes. "Sehen Sie die Projektoren? Mit denen werden Energiefelder erzeugt, die das Gebäude an Ort und Stelle halten."

"Und warum werden sie nicht fester verankert?", wunderte sich Fairoglan.

Er wusste im Allgemeinen durchaus über die Kultur der Chgorr bescheid. Für die Frage, wie sie ihre Häuser an den Ästen von Riesenbäumen befestigten, hatte er sich allerdings zuvor noch nie interessiert.

Die Flügelmembran des Chgorr veränderte sich und zeigte nun ein gelbliches Flächenmuster. Das Zeichen für Erheiterung.

Die scheinbar unkontrollierten Bewegungen der Fühler unterstrichen diesen Eindruck.

"Die Gebäude sind auf bestmögliche Weise an den Ästen befestigt. Diese Energiefelder sind allerdings nicht starr, sondern flexibel genug, um auch bei schweren Stürmen zu gewährleisten, dass ein Chgorr-Gebäude nicht einfach weggerissen wird. Im Übrigen wären Verschraubungen oder das Hineintreiben von Bolzen in den Körper des Baumes einen Verstoß gegen die Lehren sämtlicher Meditations-Schulen."

"Verstehe", murmelte Fairoglan nachdenklich.

Der Chgorr sprach vom Körper eines Baumes, ging es ihm dabei durch den Kopf. Dieses Volk hat offenbar wirklich eine sehr innige Beziehung zur Natur seines Heimatplaneten!

"Was könnte dazu führen, dass diese Energiefelder versagen?", erkundigte sich der Yroa.

"Eigentlich nichts", erwiderte der Chgorr-Beamte. Seinen Flügelmembranen war anzusehen, dass er nur mit Mühe seine mentale Ausgeglichenheit aufrecht zu erhalten vermochte. Fairoglan spürte die Verwirrung seines Gegenübers gleichzeitig durch seinen Psi-Sinn.

"Was ist mit einem plötzlichen Energieabfall?", fragte Fairoglan. "Kein System funktioniert auf ewige Zeiten perfekt."

"Es gibt mehrere Sicherungen", versicherte der Chgorr. "Auf Lasraf kommt es in regelmäßigen Abständen zu heftigen Stürmen, denen die Gebäude standhalten müssen. Schwankungen in der Energieversorgung sind da keine Seltenheit. Selbst Ausfälle müssen hin und wieder hingenommen werden. Dafür sind die Halterungen der Häuser mit speziellen Energiespeichern versehen, die eventuelle Ausfälle ausgleichen können."

"Ich möchte über den Fortgang der Ermittlungen umfassend und sofort informiert werden", forderte Fairoglan.

"Haben Sie denn eine offizielle Befugnis in dieser Angelegenheit?", fragte einer der anderen Chgorr-Beamten, der dem Gespräch zugehört hatte.

"Nein, das nicht", gab Fairoglan zu. "Noch nicht..."

"Bei allem Respekt, Fairoglan. Sie sind eine bekannte Persönlichkeit, die sich um die Allianz Kalimpan verdient gemacht hat. Aber das heißt nicht, dass die Gesetze für Sie nicht gelten."

Fairoglan wandte sich ärgerlich ab.

"Dann werde ich eben auf eigene Faust herausfinden, was sich ereignet hat", knurrte er. Wegen der Atemmaske klang seine Stimme dumpf dabei.

"Es war ein Unfall", wandte sich Yc an ihn.

Fairoglan sah auf das Pflanzenwesen herab. Daran würde ich auch gerne glauben, dachte er. Aber Fairoglan hatte einfach das Gefühl, dass einige Dinge im Zusammenhang mit diesem Vorfall nicht zusammen passten. Er hatte die tiefe Verstörung der Chgorr-Beamten gespürt. Für sie war es nahezu unerklärlich, dass ein Gebäude sich von seinem Ast löste. Die Chgorr haben genau den gleichen Gedanken wie ich!, schoss es ihm durch den Kopf. Auch sie zweifeln daran, dass es ein Unfall war!

"Ich habe keine Ahnung, wie du auf den Gedanken kommst, dass es etwas anderes gewesen sein könnte, als ein bedauerlicher Unfall", sagte Yc. "Warum sollte mich jemand töten wollen?"

"Das weiß ich nicht."

"Ich bin der Letzte meines Volkes. Wir werden Vergangenheit sein, wenn ich sterbe. Das Einzige, was an mir vielleicht für andere einen gewissen Wert darstellte, waren die Bewusstseinskopien der sechs Kalimpan-Regenten, die mir eingepflanzt wurden. Aber diese Bewusstseinskopien wurden mir doch auf Gogran während unserer Canyaj-Mission gestohlen."

"Ja, ich weiß", erwiderte Fairoglan.

"Dann sag mir, weshalb du an diesem absurden Gedanken festhältst?"

Diesmal war es Fairoglan, der schwieg. Normalerweise war es Yc, der diese Rolle innehatte und sich zurück hielt.

Obwohl die Atemmaske nur den oberen Teil des Gesichts freiließ, bemerkte man eine Veränderung in Fairoglans Zügen. Eine qualvolle Anstrengung spiegelte sich in den Linien rund um die Augen wider. Angestrengt blickte Fairoglan erst zu Boden, dann hob er abrupt den Kopf und blickte in Richtung des Lasrafischen Urwaldriesen, an dessen Ast das Gebäude gehangen hatte.

Er ging auf den gewaltigen Stamm zu.

Yc folgte ihm.

Er muss irgendetwas gespürt haben, dachte er.

Sie erreichten schließlich beide den Fuß des Baumes. Fairoglan blickte hinauf. Er blinzelte gegen das Licht der Kunstsonne, die dieser Hohlwelt Licht schenkte.

"Genau hier ist etwas geschehen, das mit den sechs Bewusstseinskopien in Zusammenhang steht", sagte er mit Bestimmtheit. Er sah Yc forschend an. "Ich spüre deine Unruhe deswegen. Du denkst die ganze Zeit schon daran..."

"Ich traf hier zufällig Hgrrek."

"Den Ersten der Chgorr?" Fairoglan konnte seine Überraschung kaum verbergen.

Yc bekräftigte seine Aussage. "Er hat mich danach gefragt, ob wirklich nichts mehr von den Bewusstseinskopien in mir wäre..."

"Warum interessierte ihn das?"

"Wäre es dir gleichgültig, wenn jemand eine Kopie deines Bewusstseins in sich tragen und diese dann gestohlen würde?"

"Vermutlich nicht", murmelte der Yroa.

"Du glaubst doch nicht, dass Hgrrek etwas damit zu tun hat?"

Fairoglan zögerte, ehe er antwortete.

"Eigentlich nicht."

*



Die PANSHOOG trat in die Atmosphäre von Pa-Marala ein.

Bisher war das Spezialschiff des Chgorr-Geheimdienstes von der Raumkontrolle der Menschen nicht weiter behelligt worden. Die Eroberer waren durch ein falsches ID-Signal erfolgreich getäuscht worden. Ein spezieller Schutzschirm gaukelte den Menschen auch bei einer oberflächlichen Masseabtastung ein Bild vor, das in etwa dem eines ihrer eigenen Transportschiffe entsprach.

Bei einer eingehenderen Überprüfung wären den Ortungsoffizieren der Menschen wahrscheinlich einige Ungereimtheiten bei den Daten aufgefallen. Aber zu einer solchen Überprüfung bestand für die Eroberer im Moment gar kein Anlass. Sobald die PANSHOOG in die Atmosphäre eingetaucht war, aktivierte sie einen zusätzlichen Deflektorschirm, der sie unsichtbar machte. Die Gefahr, dass Menschen-Schiffe oder -Gleiter auf Sichtweite herankamen war einfach zu groß.

Das falsche ID-Signal verstummte im selben Augenblick, als der Deflektorschirm aktiviert wurde.

Die PANSHOOG verschwand buchstäblich.

Kommandant Basrigh gab die Anweisung, das Schiff möglichst abseits der von den Menschen bevorzugten Flugrouten zu halten.

Das Zielgebiet lag tief im Süden, etwa zweitausend Kilometer unterhalb des planetaren Äquators. Das Gebiet war nur dünn besiedelt. Die wenigen Jarash-Siedlungen lagen weit verstreut in einem gewaltigen Dschungelgebiet, der für seine aggressive Fauna berüchtigt war.

"Unser Landegebiet liegt in der Nähe einer Jarash-Siedlung mit dem Namen Ta-Draal", erklärte der Navigator und aktivierte die Projektion einer schematischen Drei-D-Darstellung, die die Zielposition anschaulich machte. "Mehrere Menschen-Schiffe sind in der Gegend gelandet. Wir können davon ausgehen, dass wir auch in den abgelegensten Gegenden Pa-Maralas genug Jarash finden werden, denen bereits ein Implantat eingesetzt wurde."

"Dieses Einsetzen der Implantate muss für die Menschen eine ganz zentrale Rolle spielen", stellte Basrigh fest. Er wandte sich an Leroghor. "Was ist Ihre Hypothese dazu?"

"Ich habe keine."

"Wie -—Sie haben nie darüber nachgedacht?"

"Das habe ich nicht gesagt. Aber alles, was es an Hypothesen bislang gibt, erscheint mir nicht sehr sinnvoll zu sein. Um Sicherheit zu gewährleisten brauchen die Menschen keine Überwachungschips. Dazu sind sie den Jarash zu sehr überlegen. Und ansonsten gibt es in meinen Augen kaum einen Zweck, der so große und kostspielige Mittel heiligen würde."

"Es gibt also einen Faktor, den wir noch nicht kennen", vermutete Kommandant Basrigh.

Leroghor senkte die Fühler. Sie bewegten sich leicht dabei.

"Das nehme ich ebenfalls an."

"Wir nähern uns dem Zielgebiet!", warf der Navigator ein. Die Landeprozedur begann. Der zylinderförmige Chgorr-Raumer sank mitten im Urwald durch das Blätterdach, begrub dichtes Unterholz unter sich und berührte schließlich den Boden.

"Alle Tarnsysteme funktionieren einwandfrei!", meldete der shaalkaanische Offizier. "Soweit ich das von hier aus beurteilen kann, haben uns die Menschen nicht bemerkt."

"Wollen wir hoffen, dass es so bleibt", sagte Basrigh.

Andernfalls erging es ihnen schlecht.

Die Menschen waren nicht gerade dafür bekannt, besonders zimperlich mit ihren Gegnern umzugehen.

Leroghor hatte es ja vor kurzem noch erlebt.

"Wie weit ist es bis zur Siedlung?", erkundigte sich Basrigh.

Der shaalkaanische Ortungsoffizier gab ihm Auskunft.

"Gut zehn Flugminuten für einen Chgorr würde ich sagen."

"Sie werden die Siedlung mit Hilfe Ihrer Ortungstechnik die ganze Zeit über im Auge behalten", forderte Kommandant Basrigh. "Falls sich dort auch nur das Geringste tun sollte, geben Sie es sofort an das Außenteam weiter. Eventuell müssen wir die Operation dann abbrechen."

"Jawohl", sagte der Shaalkaane.

"Für das Bodenteam ordne ich Kampfausrüstung an", fuhr Basrigh fort. Er wandte sich an Leroghor. "Wahrscheinlich ist es aus medizinischer Sicht besser, Sie nehmen nicht an dieser Operation teil. Zumindest nicht im Außenteam."

"Gradossagh sagte, dass mein Zustand unter der Wirkung von entsprechenden Medikamenten absolut stabil ist."

"Sie werden fliegen müssen."

"Ich kenne mich von Ihnen allen am Besten hier auf Pa-Marala aus. Vergessen Sie nicht, dass ich hier gelebt habe. Die Jarash waren unsere Studienobjekte."

"Ich weiß nicht..."

"Fragen Sie Gradossagh, der wird Ihre Bedenken zerstreuen, Kommandant."

Basrigh zögerte noch.

"Auf ihre Verantwortung", sagte er schließlich. Wie die Färbung seiner Flügelmembrane verriet, fühlte er sich dabei allerdings sichtlich unwohl.

*



Eine Gruppe von insgesamt sechs Chgorr flog in Richtung der nahen Jarash-Siedlung Ta-Draal. Kommandant Basrigh selbst führte den Trupp schwer bewaffneter Chgorr an. Der Erste Offizier führte derweil das Kommando an Bord.

Zur Ausrüstung der Chgorr-Truppe gehörten neben Blastern auch hochempfindliche Ortungsgeräte.

Am Rande der Lichtung, auf der Ta-Draal errichtet worden war, versteckte sich die Gruppe im Unterholz.

Nicht mehr als tausend Jarash lebten in der Siedlung.

Es fiel allerdings auf, dass im Verhältnis dazu recht viele Menschen-Soldaten zwischen den Hütten der Einheimischen umherpatrouillierten.

Das Zentrum von Ta-Draal war jetzt nicht mehr das traditionelle Versammlungshaus der Dorfältesten, sondern ein Menschen-Gleiter, der direkt in der Mitte des Dorfplatzes gelandet war.

"Das ist ein Dorf in einem Guranje-Gebiet", erklärte Leroghor. "Bei Einbruch der Dunkelheit wird ein Großteil der erwachsenen Jarash-Bevölkerung in den Wald gehen, um Guranje-Früchte zu ernten."

"Warum tun sie das nicht am Tag?", fragte Basrigh.

"Weil die Guranje-Frucht am Tag von einer sehr aggressiven Insektenart in Beschlag genommen wird. Aber die Insekten verschwinden bei Dunkelheit in ihren Bauten."

Basrigh blickte auf sein Chronometer. "Dann brauchen wir also nur abzuwarten, bis uns die Beute über den Weg läuft."

"Vorausgesetzt, die Besatzer haben den täglichen Rhythmus des Lebens in diesem Jarash-Dorf nicht kurzfristig außer Kraft gesetzt."

Es dauerte nicht lange bis zum Einbruch der Dämmerung.

Leroghor hatte das Dorfleben die meiste Zeit über mit einem Sichtgerät beobachtet. Die Chgorr befanden sich außer Hörweite, aber das Sichtgerät war dazu in der Lage, die Mundbewegungen der Jarash in Sprache zu übersetzen. Zumindest dann, wenn die Mundbewegung eindeutig Begriffen aus der Jarash-Sprache zugeordnet werden konnten. Das war nicht immer der Fall. Aber es reichte, um im Groben in den Inhalt der Gespräche mitzubekommen.

"Einige von ihnen denken noch an Widerstand", stellte Leroghor fest. "Aber sie sehen zur Zeit keine Chance, etwas gegen die übermächtigen Menschen zu unternehmen."

"Davon kann man jedem Jarash, dem sein Leben lieb ist, auch nur abraten", erwiderte Basrigh düster.

"Immerhin habe ich deutliche Anzeichen dafür gesehen, dass das allabendliche Guranje-Sammeln auch heute stattfindet. Die Vorräte sind nämlich knapp geworden. In den ersten Tagen der Menschen-Invasion fand wohl keine Sammlung statt."

"Das Einsetzen der Implantate hatte wohl absoluten Vorrang", vermutete Basrigh.

"So ist es."

Bei Einbruch der Dunkelheit versammelte sich eine Schar von etwa zweihundert Jarash auf dem Dorfplatz. Der Dorfpriester hielt eine kleine Zeremonie ab, der die Menschen-Soldaten teilnahmslos folgten.

Anschließend teilten sich die Jarash in kleinere Gruppen von höchstens vier oder fünf Personen auf und begannen damit, in den Dschungel zu gehen.

Die Menschen hielten es offensichtlich nicht für nötig, ebenfalls einen Teil der Truppen in den Dschungel zu schicken, um die Guranje-Sammler zu bewachen.

Wieder einmal stellte Leroghor fest, dass sich die Invasoren ihrer Sache sehr sicher waren.

Die Gruppe der Chgorr zog sich etwas weiter in das Unterholz des Dschungels zurück.

In der Dunkelheit waren sie ohne modernes Ortungsgerät so gut wie überhaupt nicht auszumachen.

Um Guranje-Früchte zu sammeln mussten die Jarash tief in den Dschungel hineingehen. Vor Morgengrauen mussten sie zurück sein, da sie sonst ein Opfer der aggressiven Insekten wurden, die niemanden davonziehen ließen, der eine Guranje- Frucht bei sich trug. Die Vorräte im Dorf konnten nur dadurch geschützt werden, dass sie vor der Lagerung mit einer Paste bestrichen wurden, die die Insekten abstieß.

Einer der Chgorr hatte einen Jarash ausgemacht, der etwas hinter seiner Gruppe her marschierte. Um den Jarash zu paralysieren wurde kein Strahlschuss verwendet. Die damit einhergehende Lichterscheinung hätte die anderen Jarash oder sogar die Menschen auf das Chgorr-Kommando aufmerksam gemacht. Einer der Chgorr schoss mit einer Injektionspistole auf den Nachzügler.

Das Projektil traf den Jarash im Rücken.

Er brach zusammen.

Sofort war das gesamte Chgorr-Kommando bei ihm. Sie packten den für sie recht schweren Körper des Reptiloiden und schleiften ihn ins Unterholz.

Einige Augenblicke verhielten sie sich ruhig. Mit Hilfe eines Ortungsgeräts wurde die Umgebung gescant. Keiner der ausschwärmenden Jarash schien das Verschwinden des Nachzüglers bemerkt zu haben.

Ein Antigrav-Aggregat wurde am Rücken des Entführten befestigt.

"Warten wir, bis die anderen Guranje-Sucher etwas weiter entfernt sind", befahl Basrigh.

Leroghor verfolgte die Bewegungen der anderen Jarash auf einem Ortungsgerät.

Nach einigen Minuten brach die Gruppe auf und schwebte mit ihrem paralysierten Gefangenen dicht über das Unterholz.

Es ist schon bemerkenswert, wie schnell sich unsere Führung über ethische Grundsätze hinweggesetzt hat, als ihr das Wasser bis zu den Fühlern stand, ging es Leroghor durch den Kopf. Während seiner Zeit auf dem Pa-Marala-Stützpunkt war jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten der planetaren Bevölkerung strengstens verboten gewesen. Das galt für die politische Ebene genauso wie für das Leben jedes einzelnen Jarash.

Leroghor bedauerte den Gefangenen zutiefst.

Aber wahrscheinlich gab es keine andere Möglichkeit, um endlich herauszufinden, was die Menschen auf den von ihnen besetzten Welten taten.

Was waren ihre Pläne?

Es mochte gut sein, dass von der Beantwortung dieser Frage das Schicksal der Allianz Kalimpan abhing.

Die Gruppe erreichte den Landeplatz der PANSHOOG.

Der Gefangene Jarash wurde in die Krankenstation gebracht, wo sich Gradossagh um ihn kümmerte. Der medizinische Offizier bestand darauf, sofort eine umfangreiche medizinische Untersuchung anzustellen.

"Ich möchte gerne dabei sein", forderte Leroghor.

"Haben Sie medizinische Kenntnisse?"

"Nein, aber ich könnte Ihnen trotzdem zur Hand gehen. Über die Jarash weiß ich schließlich mehr als jeder andere hier."

"Meinetwegen", sagte Gradossagh. "Wir sollten uns beeilen. Niemand darf ein intelligentes Lebewesen länger in Paralyse halten, als unbedingt notwendig."

"Heißt das, Sie wollen das Implantat gleich hier und jetzt entnehmen?", fragte Kommandant Basrigh.

"Ja. Wir könnten den Gefangenen danach wieder aussetzen und würden den Verstoß gegen unsere Doktrinen in Grenzen halten."

"Mal davon abgesehen, dass auch jeder zwangsweise durchgeführte medizinische Eingriff dagegen verstößt", stellte Leroghor fest.

Basrigh überlegte kurz. "Führen Sie den Eingriff durch. Ich möchte wissen, was mit den Jarash geschehen ist. Außerdem hängt von Ihren Untersuchungsergebnissen ab, ob es notwendig ist, weitere Implantierte gefangen zu nehmen.

*



Der Gefangene schwebte auf einem Energiefeld. Schon der erste medizinische Scan brachte neue Erkenntnisse.

Gradossagh wies Leroghor an, eine Projektion zu aktivieren, die das Innere des Jarash-Körpers zeigte. Die Region, in der das Implantat saß, zoomte Leroghor heran.

"Kennen Sie sich denn genügend mit der Jarash-Physiologie aus, um das Ding dort herausholen zu können?", fragte Leroghor.

"Glauben Sie die Menschen kannten sich damit aus, bevor sie hier auftauchten?", fragte Gradossagh etwas gereizt zurück. "Mal davon abgesehen, haben Sie diese Implantate wahrscheinlich auch Dutzenden von anderen Spezies eingesetzt."

"Wir sind nicht die Menschen!", erinnerte Leroghor.

Gradossagh quittierte diese Bemerkung mit verärgertem Überkreuzen der Fühler.

Er setzte mehrere Instrumente an den Körper des Jarash an, um noch genauere Untersuchungen durchführen zu können. Schließlich durfte er kein Risiko eingehen. Das galt einerseits für den Jarash, dem kein körperlicher Schaden zugefügt werden durfte. Andererseits beinhaltete ihr Auftrag aber auch, dass das Implantat möglichst funktionstüchtig erhalten werden musste.

"Es gibt zweifellos technische Komponenten", murmelte Gradossagh. Er schaltete in einen anderen Frequenzbereich um, sodass in der Projektion die metallischen Anteile deutlich hervortraten.

"Aber es gibt noch etwas anderes", schloss Leroghor.

"Ja."

Gradossagh arbeitete mit äußerster Konzentration.

Aber die Färbung seiner Flügelmembrane verriet, dass ihn etwas beunruhigte.

Schließlich gab er entnervt auf.

"Dieses Implantat ist mit den Nervensträngen des Jarash verwachsen", stellte er fest. "Um ehrlich zu sein, ich weiß gar nicht exakt, wo das Implantat aufhört und der Körper des Jarash beginnt."

"Heißt das, es gibt biologische Komponenten?", erkundigte sich Leroghor. "Ja. Erstaunlich wie schnell diese Komponenten sich mit dem Gewebe des Reptiloiden verbunden haben. Schließlich sind die Menschen ja erst seit kurzem auf Pa-Marala." Gradossagh aktivierte das Interkom und stellte eine Verbindung zur Brücke der PANSHOOG her.

"Was gibt es, Gradossagh?", fragte Kommandant Basrigh.

"Es haben sich neue Erkenntnisse ergeben. Ich kann das Implantat hier nicht entfernen. Wir sind gezwungen den Gefangenen dazu nach Lasraf zu bringen. Außerdem sollten wir noch weitere Gefangene nehmen, um die empirische Breite unserer Untersuchungen zu erweitern."

*



Fairoglan befand sich in seinem Quartier. Nachdenklich saß er in einem Schalensitz. Der münzenartige Speicher, den Konard ihm gegeben hatte, lag in der Innenfläche seiner linken Hand.

Was für ein Geheimnis mag darin enthalten sein?, ging es ihm durch den Kopf. Der Speicher musste von Bedeutung sein, sonst hätte Konard ihn nicht an ihn übergeben. Er hätte mir auch sagen sollen, wie man an die Informationen gelangt!, dachte Fairoglan etwas ärgerlich. Viel Zeit hatte er schon damit verbracht, den Speicher zu knacken.

Alle Versuche waren bislang erfolglos gewesen.

Ein Kom-Signal ertönte.

"Jemand wünscht, Ihr Quartier zu betreten", sagte eine Kunststimme. "Die Person ist..."

"Tür öffnen!", befahl Fairoglan, noch ehe die Kunststimme ihm die Identität des Besuchers verraten hatte. Er spürte, wer zu ihm wollte.

Es war Yc.

Er war ziemlich aufgebracht.

Bevor sich die Schiebetür hinter dem Pflanzenwesen schloss, bemerkte Fairoglan zwei hochgewachsene Morrhm in der Uniform der Sicherheitskräfte auf dem Korridor. Sie waren mit Strahlern bewaffnet.

"Was soll ich davon halten?", fragte Yc, der seine sonst eher zurückhaltende Art ganz und gar aufgab.

Fairoglan reagierte gelassen.

"Es wäre schön, wenn du mir sagst, worum es eigentlich geht!"

"Worum es geht? Seit Neuestem ist meine Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt worden. Angeblich aus Sicherheitsgründen! Zwei martialisch aussehende Gestalten folgen mir auf Schritt und Tritt. Außerdem darf ich mich nur noch innerhalb gewisser Sektoren aufhalten."

"Tut mir leid, Yc. Ich hätte schon längst mit dir sprechen sollen, aber es war einfach zuviel zu tun."

Fairoglan legte den Speicher auf den sechseckigen durchsichtigen Tisch.

"Es geht immer noch um diesen Unfall, nicht wahr?", vermutete Yc. "Du hast den Gedanken, dass es sich um einen Anschlag handelte, noch nicht fallen gelassen und mit deinem großen Einfluss dafür gesorgt, dass ich jetzt von den Sicherheitskräften drangsaliert werde."

"Du wirst nicht drangsaliert, Yc."

"So?"

"Du wirst geschützt. Und was diesen angeblichen Unfall angeht, so habe ich inzwischen Beweise dafür, dass es ein Mordanschlag gewesen sein muss."

"Das ergibt doch keinen Sinn!"

"Sieh her, Yc!" Fairoglan aktivierte eine Holoprojektion. Ein Drei-D-Abbild des in die Tiefe gestürzten Gebäudes war zu sehen. "Achte auf die markierten Punkte. Dort werden die Energiefelder erzeugt, die das Gebäude am Ast des Riesenbaumes befestigen. Jedes dieser Aggregate arbeitet vollkommen unabhängig. Ein einziges würde noch ausreichen, um das gesamte Gebäude eine gewisse Zeit zu halten, bis eine Reparatur der anderen Aggregate durchgeführt wurde. Aber in dem Moment, als du dich unter diesem Gebäude befunden hast, wurden alle Aggregate auf einmal abgeschaltet. Das ist normalerweise nicht möglich. Sicherheitsprogramme verhindern einen gleichzeitigen Zugriff. Yc, ein Unfall ist nahezu ausgeschlossen."

Das Pflanzenwesen schwieg.

"Das habe ich nicht gewusst", sagte er kleinlaut.

"Wer immer es auf dich abgesehen hatte, muss genaue Kenntnisse der Energiefeldtechnik haben, die bei den Halterungen der Chgorr-Häuser Verwendung findet. Wahrscheinlich hatte er Zugang zu den sicherheitsrelevanten Bereichen des planetaren Datennetzes. Wer ein Kokon-Gebäude genau in dem Moment abstürzen lässt, in dem sich eine missliebige Person darunter befindet, verfügt über höchste Sicherheitsautorisationen! Leider sind es auf einer Welt wie Larsyrc immer noch recht viele Personen, auf die dieses Merkmal zutrifft. Ich gehe allerdings weiter davon aus, dass der Verantwortliche ein Chgorr ist oder zumindest mit Chgorr zusammenarbeitet."

Yc schwieg erneut eine Weile.

"Ich habe kurz vor dem Absturz des Kokon-Gebäudes Hgrrek getroffen."

"Angeblich ein Zufall."

"Gibt es irgendeinen Grund, daran zu zweifeln?"

"Nein, bis jetzt nicht", sagte Fairoglan. "Aber der Erste der Chgorr passt exakt in das Profil desjenigen der für das Attentat verantwortlich ist!"

"Das ist nicht dein Ernst!", erwiderte Yc empört. "Hat du vielleicht mal über die Möglichkeit nachgedacht, dass möglicherweise Hgrrek das eigentliche Opfer des Anschlags hätte sein sollen? Vielleicht ist das ganze ein fehlgeschlagener Versuch, bei der Chgorr einen Umsturz herbei zu führen?"

Fairoglan lächelte mild.

Er trat an sein Terminal, ließ die Finger darüber gleiten und ließ sich einige Übersichten anzeigen. "Daran habe ich auch gedacht, Yc. Aber glaubst du nicht, die Chgorr würden anders reagieren? Ich habe die letzten Stunden zu überprüfen versucht, was die Chgorr in Hgrreks Umgebung getan haben."

"Und?"

"Jedenfalls wirken sie nicht alarmiert. Sie haben auch keine Fahndungsmaßnahmen ergriffen oder zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für ihren Regenten getroffen."

"Nein, davon bin nur ich betroffen", sagte Yc etwas niedergeschlagen.

"Es ist zu deinem Besten, glaub mir!"

*



Yc verließ Fairoglans Quartier wieder. Die beiden morrhmischen Wachen folgten ihm wie ein Schatten.

"Ich fühle mich in eurer Gegenwart wie ein Gefangener", erklärte Yc an die beiden gewandt.

Der Kleinere der beiden antwortete dem Pflanzenwesen.

"Wir führen nur unsere Befehle aus", sagte er.

"Ja, das weiß ich. Aber ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt. Ich möchte, dass ihr mich jetzt wieder in den Chgorr-Bereich bringt."

Die beiden Morrhm wechselten einen schnellen Blick. "Ich weiß nicht, ob das unter den gegebenen Umständen wirklich eine gute Idee ist", sagte der Kleinere.

"Warum? Es hat mir dort gefallen! Und wenn ihr Kopfschmerzen oder Schlimmeres durch die kohlendoxidhaltige Atmosphäre dort befürchtet, so könnt ihr ja Atemmasken tragen!"

"Die gesamte Chgorr-Zone gehört nicht mehr zu den Bereichen, die Ihnen zugänglich sind", erklärte nun der Größere. "Und das mit gutem Grund. Der Anschlag hat dort stattgefunden und solange nicht die näheren Umstände ermittelt sind, sollten Sie vorsichtig sein!"

Yc stoppte an der nächsten Ecke abrupt.

"Wie heißt ihr?", fragte er.

"Raxeinen", antworte der Größere.

"Tobulén", erklärte der Kleinere.

"Ihr braucht mir gegenüber nicht so förmlich daher zu reden. Vielleicht verstehen wir uns ja ganz gut, wenn ich ein bisschen mehr Freiheit bekomme..."

Ein Ruck ging plötzlich durch Raxeinens Körper. Er griff zu seinem Blaster.

Seine sehr scharfen Augen hatten etwas gesehen, was Yc vollkommen entgangen war. Ein Flugkörper, der etwa die Größe eines Morrhm-Fingernagels hatte, war durch den Rost des Belüftungsschachtes in den Korridor geschwebt.

"Eine Drohne!", schrie Raxeinen, riss den Strahler hervor. Er feuerte blitzschnell.

Die Drohne glühte auf, zerbröselte zu einem schwarzen Staub, der zu Boden rieselte.

Im nächsten Moment zischte von der anderen Seite ein greller Strahlschuss durch die Luft.

Er erfasste Raxeinen am Kopf.

Der Morrhm sank getroffen zu Boden.

Yc registrierte, dass weitere Drohnen durch die Belüftung hereinkamen.

Tobulén hob den Strahler und schaltete ihn auf Streufeuer.

Mehrere der Drohnen glühten auf. Auf Grund der geringeren Energie beim Streuschuss wurden die Drohnen nicht völlig vernichtet, sondern fielen funktionsuntüchtig zu Boden.

Die Gefahr schien vorüber.

Tobulén packte Yc, riss ihn mit sich, während er noch einmal das nächstgelegene Lüftungsrost feuerte. Das Gitter begann zu glühen.

Mit Yc unter dem Arm wollte er die nächste Schiebetür passieren. Sie führte in einen Büroraum und war zurzeit verschlossen. Tobulén öffnete sie mit einem gezielten Strahlschuss auf das elektronische Schloss. Bei dessen Ausfall wurde eine Sicherheitsschaltung aktiviert. Eigentlich war sie dazu, um im Fall eines Brandes oder einer Störung der Energieversorgung eine Evakuierung des Gebäudes zu ermöglichen. Jetzt sorgte sie dafür, dass sich die Tür automatisch öffnete.

Die anderen Türen waren nicht verschlossen. Sie öffneten sich automatisch.

Tobulén und Yc passierten mehrere von ihnen.

Schließlich erreichte sie einen Raum mit zahlreichen Konsolen. Der Morrhm aktivierte eine von ihnen. Er gab einen Sicherheitscode der Prioritätsstufe eins ein und bekam auf diese Weise sofort Zugang zu den Systemen, die die Lebenserhaltungssysteme steuerten.

"Alle Türen dieses Raumes verschließen. Frischluftversorgung unterbrechen. Abluftwege verschließen."

Eine Rechnerstimme begann, den Morrhm auf die Folgen hinzuweisen. "Wenn Sie die Frischluftzufuhr unterbrechen, kann dies für sie erhebliche gesundheitliche Folgen..."

"Sicherheitshinweise abschalten!", befahl Tobulén.

Der Morrhm atmete tief durch.

Yc wirkte einige Augenblicke wie erstarrt.

"Was hast du vor?", fragte das Pflanzenwesen.

"Ich sorge dafür, dass wir uns hier für eine gewisse Zeit aufhalten können, ohne, dass weitere Drohnen uns jagen."

"Die Atemluft..."

"Bis die verbraucht ist, hat man uns hier längst herausgeholt und eventuell noch vorhandene Morddrohnen im Belüftungssystem gefunden."

Yc bemerkte die Unruhe, die den Morrhm nach wie vor erfüllte. Nein, Wachsamkeit ist der richtige Begriff, korrigierte sich das Pflanzenwesen.

Tobulén ließ den Blick kreisen. Den Blaster hielt er schussbereit in der rechten Hand.

Er traute dem Frieden offenbar noch nicht.

Schließlich konnte es ja sein, dass sich noch Drohnen in der Belüftung befanden, bevor Tobulén sämtliche Zugänge gesperrt hatte.

"Ich möchte, dass die Sicherheitskräfte verständigt werden", befahl der Wächter dem Computer. "Vorsichtsmaßnahmen nach Code 3456-23."

Augenblicke der Stille folgten.

"Erbitte Bestätigung!", sagte der Wächter.

"Alle Kommunikationskanäle sind blockiert!", kam die ernüchternde Antwort. "Es scheint ein schwerer Leitungsschaden vorzuliegen!"

"Können diese Mordmaschinen dafür verantwortlich sein?", fragte Yc.

Der Wächter verzog grimmig das Gesicht.

"Wer sonst?"

Tobulén versuchte die insgesamt drei Belüftungsroste im Büro gleichzeitig im Auge zu behalten.

"Sollte es doch noch eines dieser Biester schaffen, hier her zu gelangen, dann solltest du dich ruhig verhalten!"

Er hat die persönlichere Anredeform benutzt!, ging es Yc durch den Kopf.

"Was heißt ruhig?", fragte das Pflanzenwesen.

"Diese Drohnen reagieren auf Bewegung und Wärme. Was die Wärme angeht, werden sie Schwierigkeiten bei einem pflanzlichen Wesen haben..."

"Meine Temperatur weicht trotzdem etwas von der Umgebung ab."

"Ich werde sämtliche Konsolen in diesem Raum aktivieren. Das wird weitere Wärmefelder erzeugen, die unsere Feinde verwirren könnten."

"Kann ich dir helfen, Tobulén?"

"Du hast keine Sicherheitspriorität, die die privaten Zugriffscodes umgehen kann. Aber du solltest vielleicht die Augen offen halten."

Tobulén aktivierte eine Konsole nach der anderen.

Plötzlich stieß Yc einen Laut aus.

Der Wächter wirbelte herum.

Aus einem der Belüftungsroste war eine Drohne hervorgekommen. Sie schwebte beinahe lautlos dahin.

Tobulén riss die Waffe empor.

Ein Bewegungsreiz, auf den die Sensoren der Drohne reagierten.

Ein Strahlschuss traf den Morrhm.

Getroffen sackte er zu Boden.

Ein verbrannter Geruch verbreitete sich.

Tobuléns Schuss hatte ebenfalls getroffen, wenn auch nicht mit voller Energie. Die Drohne torkelte zu Boden. Weitere, völlig ungezielte Strahlschüsse zischten aus ihr hervor und versengten die Einrichtung. Eine der Konsolen wurde getroffen.

Weitere Drohnen kamen durch die Belüftungsroste.

Es waren insgesamt drei.

Yc war wie erstarrt.

Tobuléns Worte hallten in seinem Bewusstsein wider. Er musste sich ruhig verhalten. Vollkommen still, ohne irgendeine Bewegung.

Das war seine einzige Chance.

Die Drohnen flogen im Raum umher. Ihre Systeme verglichen die Formen, die ihre Sensoren wahrnahmen mit denen, die in ihre Speicher eingegeben worden waren. Sie verglichen auch Wärme und Bewegungsmuster.

Offenbar hatten sie Schwierigkeiten, ihr Opfer zu finden.

Schließlich gruppierten sie sich etwa einen halben Meter von Yc entfernt. Ihre Waffenmündungen zeigten auf das Pflanzenwesen.

Eine Bewegung und alles ist vorbei!, war es Yc klar. Das geringste Zittern der Tentakelfortsätze und sie werden mich in einen Haufen Asche verwandeln. Beim Licht von Byylari! Fairoglan hatte recht! Jemand hat es auf mich abgesehen, auch wenn ich mir beim besten Willen nicht vorzustellen vermag, warum!

Verzweiflung erfasste das Pflanzenwesen.

Ich habe keine Chance, dachte Yc.

Die Kommunikationskanäle waren abgeschnitten. Die Botschaft, die Tobulén ausgesetzt hatte, würde niemanden erreichen. Bis jemand das Büro aus anderen Gründen betrat, konnten Stunden oder Tage vergehen.

Fairoglan!, dachte Yc. Fairoglan vielleicht spürst du, dass hier etwas nicht in Ordnung ist!

Diese Möglichkeit war nicht völlig aus der Luft ergriffen.

Schließlich befand sich Fairoglans Quartier ganz in der Nähe.

Aber Yc wusste nicht, ob er wirklich hoffen sollte, dass der Yroa mit Hilfe seiner Psi-Begabung etwas von der Gefahr spürte, in der sich das Pflanzenwesen befand.

Leicht zitternd standen die drei Killer-Drohnen in der Luft. Mit Sicherheit liefen die Sensoren in ihrem Inneren auf Hochtouren.

Wer immer jetzt durch die Tür hereinkam, würde es mit dem Leben bezahlen.

Auch Fairoglan.

Gleichgültig, wer es auch sein mochte, der den Raum betrat: Für die Drohnen bedeutete er nichts weiter als einen Bewegungsreiz, auf den sie ihrer Programmierung entsprechend reagierten.

*



Ein Ruck ging durch Fairoglan. Er spürte mentale Energie ganz in der Nähe.

Der Yroa versuchte sich auf seinen Psi-Sinn zu konzentrieren.

Er spürte die Anwesenheit von jemand sehr vertrautem ganz in der Nähe...

Angst

Panik.

Fairoglan wusste plötzlich, dass es etwas mit Yc zu tun hatte.

Er sprang auf.

*



Die Minuten dehnten sich für Yc zu kleinen Ewigkeiten. Noch immer standen die drei Killer-Drohnen zitternd in der Luft und belauerten ihn.

Sie warteten.

Warteten auf eine Bewegung oder ein spezifisches Wärmesignal, das seinem pflanzlichen Körper entsprach.

Dann setzten zwei der Drohnen sich in Bewegung, patrouillierten durch den Raum, während die dritte in ihrer Position verharrte.

Die Schiebetür öffnete sich.

Yc bemerkte Fairoglan.

"Nein!", rief er.

Ihm war klar, dass dies sein eigenes Todesurteil bedeutete, denn indem er Fairoglan gewarnt hatte, hatte er auch sich selbst verraten.

Wie auf ein geheimes Kommando hin drehten sich die Drohnen in Richtung Tür.

Sie kamen nicht dazu zu schießen.

Torkelnd segelten sie zu Boden und blieben dort liegen.

In derselben Sekunde wurden sämtliche Konsolen deaktiviert.

"Alles in Ordnung?", rief Fairoglan, während er auf Yc zulief.

Mehrere Sicherheitsbeamte folgten ihm. Es waren mehrheitlich Morrhm und Yroa. Einer von ihnen trug statt einer Waffe ein etwa handgroßes Modul in der Hand.

Der Yroa wandte sich an Fairoglan. "Sehen Sie, es war doch gut, erst einen vollständigen Scan zu machen, bevor wir hier eingedrungen sind!", sagte er.

"Was ist mit den Drohnen geschehen?", fragte Yc.

Fairoglans Gesicht entspannte sich. Er deutete auf den Yroa mit dem Modul. "Wir haben ein sehr starkes elektromagnetisches Feld erzeugt, dass das Innenleben dieser Dinger lahmgelegt hat", erklärte er. "Ich denke, du zweifelst jetzt nicht mehr daran, dass es jemand darauf abgesehen hat, dich zu töten, Yc."

"Du hattest Recht."

"Wir werden die Überreste dieser Killer-Drohnen sehr gründlich untersuchen. Vielleicht erhalten wir dadurch wertvolle Hinweise. Und was dich angeht, Yc..."

"Ja?"

"Du wirst alle angeordneten Maßnahmen zu deiner Sicherheit peinlich genau einhalten."

Yc zögerte etwas mit seiner Antwort. Schließlich erklärte er: "Du hast dein Leben für mich riskiert."

"Und dafür bist du mir was schuldig, Yc."

*



Hgrrek nutzte eine Pause in den Beratungen mit den anderen Regenten, um eine Nachricht von Lasraf zu empfangen.

Er begann sich dazu in einen Extra-Raum.

Über eine Konsole aktivierte er eine holografische Anzeige. Das Abbild von Kommandant Trarigh erschien.

"Seien Sie gegrüßt, Erster der Chgorr. Ich hoffe, ich störe Sie nicht in Ihrer Heiligen Zeit."

"Nein, keine Sorge. Eine Nachricht von Lasraf ist eine willkommene Abwechslung von den Beratungen hier auf Larsyrc. Ich hoffe, Sie haben mal gute Nachrichten für mich."

"Das Spezialschiff PANSHOOG ist von seiner Mission ins Marala-System zurückgekehrt."

"War die Mission erfolgreich?"

"Ja. Kommandant Basrigh und seine Crew ist es gelungen mehrere Jarash gefangen zu nehmen, die von den Menschen mit Implantaten versehen worden sind."

"Ich hoffe, es ist Ihnen klar, dass diese ganze Angelegenheit auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen darf. Auch im Nachhinein nicht! Eine ethische Debatte über die Rechtmäßigkeit einer derartigen Aktion möchte ich in der gegenwärtigen Situation um jeden Preis vermeiden!"

"Die Operation und alles, was in irgendeiner Form damit zusammenhängt, unterliegt der strengsten Geheimhaltungsstufe, so wie Sie befohlen haben."

"Ich möchte, dass Sie das insbesondere den beteiligten Wissenschaftlern und Medizinern klar machen."

"In Ordnung."

"Gibt es schon Ergebnisse?"

"Es war sehr schwierig, den Gefangenen die Implantate zu entnehmen. Schließlich ist es aber unserem Spezialisten-Team doch gelungen. Offenbar handelt es sich bei den Implantaten um eine Kombination aus technischem und biologischem Material handelt. Das biologische Material verbindet sich sehr schnell und fast untrennbar mit den Nervensträngen des Implantierten. Das war auch der Grund, weshalb unsere Mediziner so große Schwierigkeiten hatten, die Gefangenen zu operieren."

"Gibt es schon irgendwelche Erkenntnisse darüber, welchem Zweck diese Implantate dienen?", fragte Hgrrek.

"Nein. Das einzige, was wir bislang wissen ist, dass der biologische Anteil wie eine Art Mini-Gehirn zu funktionieren scheint. Aber zur Zeit gibt es noch mehr Rätsel als konkrete Erkenntnisse."

Hgrrek beugte sich etwas vor.

"So fern es irgendetwas Neues gibt, möchte ich umgehend davon in Kenntnis gesetzt werden."

"Jawohl", bestätigte Kommandant Trarigh.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Hgrrek führte ein Atemritual der Hgalrrah-Schule durch. Es war dringend notwendig, dass er sich mental wieder stabilisierte. In den oberen Instanzen von Kalimpan gab es auch unter den Angehörigen anderer Rassen genug Personen, die die Flügelfärbung eines Chgorr genauestens zu interpretieren wussten.

Ein Summton ließ ihn aufhorchen.

Sein persönlicher Adjutant Rairagh wünschte herein zu kommen.

Hgrrek erteilte ihm die Erlaubnis. Im nächsten Moment schwebte ein Chgorr durch die geöffnete Schiebetür.

Er setzte auf dem Boden auf.

Der Erste der Chgorr drehte sich zu seinem Besucher herum.

Der Flügelfärbung nach ist mein Adjutant ziemlich durcheinander!, schloss Hgrrek.

"Das, was ich Ihnen jetzt mitzuteilen habe, wollte ich nicht über das Kommunikationsnetz gehen lassen", begann Rairagh etwas umständlich.

Hgrrek spreizte die Fühler.

"Worum geht es?"

"Es gibt Neuigkeiten, die Yc betreffen..."

Für einen kurzen Moment mischte sich ein Rotstich in das Farbmuster von Hgrreks Flügeln.

"Reden Sie!", forderte er.

*



In den Beratungen der nächsten Tage verschoben sich immer mehr die Gewichte. Fairoglan registrierte diesen Vorgang sehr genau. Die Befürworter einer zurückhaltenden Politik gegenüber den Feinden der Allianz verloren immer mehr an Boden.

Eine Schlüsselstellung nahm dabei Enielraq ein. Der Morrhm war zwar für ein entschiedenes Auftreten gegenüber den Menschen, neigte aber andererseits dazu, in dieser Hinsicht den Canyaj gewissermaßen den Vortritt zu lassen. Er nahm damit eine Art Mittelstellung ein. Viele Anhänger der Gemäßigten konnten seine Argumentation durchaus nachvollziehen. Aber auch unter den Befürwortern einer Konfrontationspolitik hatte er Anhänger, die in ihm jemanden sahen, der trotz aller Entschiedenheit nicht blindwütig losschlagen und dabei eventuell ins offene Messer rennen wollte. Gerade sein Ruf als Hardliner in der Vergangenheit ließ ihn jetzt als ehrlichen Makler erscheinen.

Hgrrek hingegen entwickelte sich immer mehr zum Sprecher der Hardliner, die insbesondere gegen die Menschen ein sofortiges und entschiedenes Eingreifen forderten.

Hatte er zu Beginn seines Aufenthalts auf Larsyrc noch eher eine vermittelnde Position vertreten, so wurde er nun zu einem immer entschiedeneren Befürworter eines Krieges gegen die Menschen.

Angesichts der Entwicklungen im Marala-Systen wunderte das niemanden sonderlich.

Die Menschen hatten ihre Truppenstärke dort nach der Invasion von Pa-Marala noch erheblich verstärkt. Ein Ende dieser Zusammenballung von Raumschiffen und Truppen war noch nicht absehbar. Dass ihre Mission ausschließlich auf Pa-Marala beschränkt war, konnte sich niemand so recht vorstellen.

Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie das nächste System in der Umgebung von Marala angreifen würden.

Sollte das der Fall sein, dann würde es erstmalig zu einem Angriff auf Welten kommen, auf denen sich nicht nur Stützpunkte, sondern auch regelrechte Siedlungskolonien eines Allianzvolkes befanden.

Mit anderen Worten: Der Ernstfall, für den diese Allianz gegründet wurde. Ein Angriff von außen.

Neben seiner Teilnahme an Beratungen, Lagebesprechungen und Konferenzen, in denen über das weitere Vorgehen verhandelt wurde, ging Fairoglan weiter seinen Ermittlungen nach.

Allerdings vermied er es, davon mehr bekannt werden zu lassen als unbedingt notwendig.

In einer Verhandlungspause wandte er sich an Enielraq und bat ihn in einen Nebenraum. Ein Getränkespender sorgte dafür, dass sie beide jeweils ein Getränk bekamen, das dem spezifischen Geschmack ihrer Spezies entsprach.

"Ich spreche Sie an, weil ich Ihnen - trotz aller Meinungsverschiedenheiten, die wir in der Vergangenheit gehabt haben - vertraue", wandte er sich an Enielraq.

Der Morrhm neigte den Kopf.

"Sie sind für mich ebenfalls über jeden Zweifel erhaben, Fairoglan."

"Ich möchte mit Ihnen über die beiden Attentatsversuche auf Yc sprechen. Ansonsten wüsste ich nicht, an wen ich mich wenden sollte."

"Ich habe davon gehört. Bei dem ersten Vorfall mag man noch an einen Unfall denken, aber der Angriff dieser Killer-Drohnen..."

Dass Enielraq offenbar über gut funktionierende Informationskanäle verfügte, wunderte Fairoglan nicht im Mindesten.

"Auch das, was Sie den ersten Vorfall nennen, war kein Unfall, sondern ein Mordanschlag. Ich habe einen Verdacht."

"Und der wäre?"

Die Blicke der beiden Männer begegneten sich.

Fairoglan zögerte noch einen Augenblick damit, sich seinem Gegenüber anzuvertrauen. Aber wenn nicht ihm - wem dann?, durchfuhr es ihn.

"Ich glaube, dass Hgrrek dahinter steckt."

"Sie müssen sich irren, Fairoglan. Warum sollte ein honoriger Allianz-Regent wie Hgrrek so etwas tun?"

"Die Canyaj beabsichtigen offensichtlich mit Hilfe der gestohlenen Bewusstseinskopien die Allianz durch Klone der Regenten zu unterwandern!"

"Ich kenne Hgrrek -—wir sind befreundet!"

"Ich weiß. Und mir fiel es genauso schwer daran zu glauben wie Ihnen, dass Hgrrek etwas damit zu tun hat! Doch die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache. Die Energiefelder, die das Kokongebäude gehalten haben, das auf Yc niederstürzte, wurden absichtlich und gleichzeitig deaktiviert. Mir kam gleich der Gedanke, dass es eigentlich ein Chgorr mit hoher Sicherheits-Autorisierung sein muss, der so etwas schaffen könnte!"

"Also ein Chgorr! Und da haben Sie gleich auf Hgrrek geschlossen! Ist das alles, was Sie vorzuweisen haben?"

"Dann hätte ich Sie niemals angesprochen, Enielraq."

Der Morrhm trank sein Glas aus und atmete tief durch. Was er gehört hatte, gefiel ihm nicht und um das zu erkennen, brauchte man nicht einmal besondere Kenntnisse über die Mimik von Morrhm zu haben. Aber auch wenn er es nicht gerne hörte, dass ein Regent, mit dem er persönlich verbunden war, möglicherweise in einen Mordanschlag verwickelt war, so war der Morrhm doch realistisch genug, um sich von guten Argumenten jederzeit überzeugen zu lassen. Enielraq galt als unbestechlich. Im Zweifel rangierte bei ihm die Loyalität zur Allianz Kalimpan vor freundschaftlicher Verbundenheit.

"Reden Sie, Fairoglan. Kennen wir uns nicht gut genug, als das wir uns gegenseitig nichts vorzumachen brauchen?"

"Sie haben Recht."

"Sie sprachen von weiteren Beweisen."

"Die Killer-Drohnen, mit denen Yc angegriffen wurde, entstammen Chgorr-Technik. Außerdem sprach ich inzwischen mit Shatragh, dem Meditationslehrer des Ersten der Chgorr. Er begleitet ihn auf dieser Reise."

"Was hat er ausgesagt?"

"Dass er Hgrrek die Hengraratah-Atemtechnik vor ihrem Aufbruch nach Larsyrc beigebracht habe. Es handelt sich um ein kompliziertes Hgalrrah-Ritual zur Erhöhung der geistigen Leistungsfähigkeit und inneren Stabilität."

"Und?"

"Als Shatragh nach der Ankunft auf Larsyrc zu seinem Regenten gerufen wurde, stellte sich heraus, dass dieser sich an das Ritual nicht mehr erinnern konnte. Und dabei war es ihm von Meister Shatragh auf seinen eigenen dringenden Wunsch hin gezeigt worden!"

Das Gesicht des Morrhms veränderte sich.

"Das ist in der Tat eigenartig."

"In den Logbüchern des Raumschiffs, mit dem Hgrrek die Reise von Lasraf nach Larsyrc hinter sich gebracht hat, gibt es erhebliche Ungereimtheiten im zeitlichen Ablauf. Einige Angaben können einfach nicht stimmen."

"Wie kommen Sie denn an das Logbuch eines Chgorr-Schiffes?", hakte der Regent der Morrhm nach.

Fairoglan verzog das Gesicht. "Es gibt da Mittel und Wege in ein Datennetz hineinzukommen..."

"Ich will das vielleicht gar nicht genauer wissen, werter Fairoglan."

"Tatsache ist, dass während der Reise von Lasraf nach Larsyrc etwas an Bord geschehen sein muss, was nicht bekannt werden darf."

Enielraq schwieg.

Sein Atem ging schneller als es normalerweise bei einem Mann seiner Spezies der Fall war. Der Blick war in sich gekehrt und nachdenklich. Auch das akustische Signal, dass das Ende der Beratungspause anzeigte, riss ihn nicht aus seinen Gedanken heraus.

Schließlich hob er den Kopf und sagte entschieden: "Setzen Sie Ihre Ermittlungen fort, Fairoglan. Sie haben absolut richtig gehandelt!"

"Es freut mich, dass Sie das so sehen!"

"Unterrichten Sie mich, sobald Sie etwas Neues herausgefunden haben. Sollte sich Ihr Verdacht weiter erhärten, dann stehen wir vielleicht vor der größten Krise, die die Allianz Kalimpan jemals durchmachen musste..."

*



Fairoglan setzte seine Ermittlungen fort. Er befragte die Raumlotsen, ob sie eine Erklärung für die offensichtlichen Ungereimtheiten im Logbuch von Hgrreks Schiff hatten. Aber das war nicht der Fall.

Für sie waren die Widersprüche ebenso rätselhaft wie für Fairoglan.

Der Chef der Raumlotsen hieß Dresgos und war K'aradan. Er machte den Vorschlag, Mitglieder der Besatzung einer verdeckten Befragung zu unterziehen.

"Die Befragungen würden von meinen Mitarbeitern durchgeführt", erklärte Dresgos. "Sie wären aus dem Spiel. Angesichts der politischen Verwicklungen, die Ermittlungen an Bord von Hgrreks Raumschiff mit sich bringen könnten, wäre diese Vorgehensweise vielleicht ratsam. Im Übrigen haben die Raumlotsen das formelle Recht, Befragungen durchzuführen, wenn diese der Aufrechterhaltung der Raumsicherheit im Allianz-Territorium dienen."

Fairoglan konnte dem nur zustimmen.

Ein Besatzungsmitglied nach dem anderen wurde befragt.

Fairoglan erfolgte die Verhöre aus einem Nebenraum.

Yc gesellte sich dabei zu ihm und verfolgte ebenfalls, was die Chgorr zu sagen hatten.

Sehr schnell stellte sich heraus, dass es während des Raumfluges von Lasraf nach Larsyrc genau eine Larsyrc-Standard-Stunde Verzögerung gegeben hatte. Eine Stunde, die weder in den Logbüchern korrekt wiedergegeben wurde, noch an die sich irgendjemand unter der Besatzung erinnern konnte.

"Genau 11 Larsyrc-Standard-Stunden nach dem Aufbruch von Lasraf ist irgendetwas an Bord geschehen, wovon noch nicht einmal die Besatzungsmitglieder etwas zu wissen scheinen!", meinte Fairoglan. Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten dabei.

"Hältst du die Aussagen der Chgorr-Besatzung für glaubwürdig?", erkundigte sich Yc.

"Es gibt keinen Grund, an dem zu zweifeln, was die Besatzung ausgesagt hat", war Fairoglans entschiedene Erwiderung. "Es fehlt eine Stunde..."

"Du glaubst, dass in dieser Zeit Hgrrek gegen einen Klon ausgetauscht wurde", schloss Yc.

"Ist das denn so abwegig? Es würde alles zusammen passen."

"Und warum hat er sich dann bei mir danach erkundigt, ob noch Reste der Bewusstseinskopie in mir wären?"

Fairoglan hob die Schultern und verschränkte anschließend die Arme, während er die Befragung des Ersten Offiziers nur mit halbem Ohr verfolgte.

"Ich habe keine Ahnung. Vielleicht befürchtete er, dass du einfach zu viel über ihn weißt... Der Plan der Canyaj scheint auf jeden Fall schon viel weiter fortgeschritten zu sein, als die meisten in der Allianz es für möglich gehalten hätten!"

Die neuen Beweise musste Fairoglan unverzüglich Enielraq vorlegen. Es musste gehandelt werden.

Sofort.

Möglicherweise waren auch andere Allianz-Regenten bereits durch Klon-Kopien ausgetauscht. Oder ein Austausch stand dicht bevor.

Über Interkom stellte Fairoglan eine Verbindung zum Herrscher der Morrhm her.

"Wir müssen uns erneut treffen", forderte er.

"Ich verstehe", erwiderte Enielraq mit maskenhaft wirkendem Gesicht. "Es geht um Dinge, die zu wichtig sind, als dass Sie sie mir über einen Kom-Kanal anvertrauen möchten."

"Ja."

"In einer Stunde. Sektion 3245-2."

"In Ordnung."

*



Bevor Fairoglan zu seinem Treffen mit Enielraq ging, kehrte er in sein Quartier zurück. Yc hingegen verfolgte weiter die Verhöre der Raumlotsen.

Als Fairoglan die Tür zu seinem Quartier passiert hatte, erlebte er eine Überraschung.

"Sei gegrüßt, Fairoglan!", sagte eine Stimme, die ihm nur allzu vertraut war.

Fairoglan erstarrte und blickte auf den sechseckigen durchsichtigen Tisch, auf den er den münzartigen Speicher gelegt hatte, an dessen Inhalt er noch immer nicht heran gekommen war.

"Konard!", entfuhr es dem Yroa unwillkürlich.

Über dem münzgroßen Speicher schwebte ein im Verhältnis zwei zu eins verkleinertes Hologramm des herzförmigen Tentakelwesens Konards, des letzten der Noleek mit dem zusammen Fairoglan und Yc von den Canyaj zurückgekehrt waren.

"Diese Nachricht war mit einem Zeitschloss codiert, das sich nun offensichtlich zum vorgesehenen Zeitpunkt geöffnet hat. Sonst könntest du dieses Hologramm nicht sehen."

"Was ist um des Allianz-Friedens Willen auf diesem Speicher?", fragte Fairoglan.

"Die Koordinaten des getarnten Heimatsystems der Menschen und ihres bis dahin für uns nicht direkt ansteuerbaren Ursprungsplaneten Erde..."

Das Konard-Hologramm betete anschließend die Koordinaten herunter.

Woher hat ein Wesen wie Konard diese Information?, fragte Fairoglan sich selbst. Konard hat uns zu den Canyaj gebracht und von dort wieder nach Larsyrc... Welche Interessen verfolgt dieses Wesen im intergalaktischen Machtspiel? Für ein organisches Wesen hatte dieser selbsternannte Botschafter ausgesprochen gute Kontakte zu den Canyaj, die doch einen Kreuzzug gegen alles organische Leben führen, auch wenn sie zurzeit mit dem Imperium der Menschheit gemeinsame Sache zu machen scheinen. Aber das ist ein taktisches Bündnis...

Fairoglan war wie vor den Kopf geschlagen.

Mit allem hatte er gerechnet, aber nicht damit.

Das stellt alles in den Schatten, war ihm klar. Selbst meine Ermittlungen im Hinblick auf Hgrrek.

Hatte Konard diese Koordinaten von den Canyaj? Handelte er in ihrem Auftrag? Oder war er selbst mal auf der Erde gewesen...

Wenn diese Koordinaten tatsächlich jenen Punkt der Galaxis bezeichneten, an dem die Heimatwelt der Menschen um ihre Sonne zog, dann bedeutete das einen Wendepunkt in der Allianz-Geschichte. Zum ersten Mal würde sich die Möglichkeit bieten, gegen das Zentrum der Eroberer vorzugehen!, durchzuckte es Fairoglan.

Diese Information durfte er nicht zurückhalten.

Die Führung der Allianz musste unverzüglich darüber beraten.

Selbst seine Ermittlungen gegen Hgrrek traten dahinter zurück.

Aber Fairoglan kamen Zweifel.

Wem in der Führungsriege der Allianz kann ich überhaupt noch trauen?, ging es ihm durch den Kopf. In seinen Händen lag jetzt das Wissen um die Koordinaten der Menschen-Heimat. Befand sich diese Information in den Händen der Regenten, würde dieser Umstand wahrscheinlich jenen Auftrieb geben, die ohnehin für ein rasches Vorgehen gegen die Menschen eintraten.

Hgrrek!, durchzuckte es Fairoglan.

Aber andererseits war es auch unmöglich, dieses Wissen einfach zurück zu halten, bis der Verdacht gegen Hgrrek endgültig geklärt war.

Fairoglan überlegte.

Dann stellte er eine Kom-Verbindung zu Enielraq her.

Das Gesicht des Morrhms erschien in einer Holo-Projektion.

"Ich dachte, wir wollten uns gleich ohnehin treffen, Fairoglan", wunderte sich Enielraq.

"Ich bin im Besitz der Koordinaten der Menschen-Heimat", sagte Fairoglan.

"Was?"

Für einen Moment verlor Enielraq die Kontrolle über seine Gesichtszüge.

"Die Daten waren in einem Speicher enthalten, den Konard mir übergab, bevor er Yc und mich in der Nähe Larsyrcs aussetzte. Ein Zeitschloss hat dafür gesorgt, dass ich bis jetzt nicht an die Informationen herankam."

"Eine weitere Facette in einer sehr eigenartigen Geschichte", sagte Enielraq und spielte damit auf die Tatsache an, dass Fairoglans Bericht über die Rückkehr von den Canyaj teilweise als unglaubwürdig angesehen worden war. "Aber wenn sich Ihre Koordinaten als wahr erweisen, wird der letzte Zweifel an Ihrer Darstellung ausgeräumt sein!"

"Sie meinen, ich sollte diese Information an den Allianzrat weitergeben?"

"Unbedingt. Es muss sofort eine Sondersitzung einberufen werden."

"Ihnen ist klar, dass damit unter Umständen die Frage entschieden wird, ob wir Krieg gegen die Menschen führen!"

"Nein, da bin ich anderer Ansicht", widersprach Enielraq. "Zunächst einmal geht es darum, den Wahrheitsgehalt der Daten zu überprüfen. Die Allianz muss ein Späh-Schiff losschicken. Danach kann man weitersehen."

Vielleicht hat er Recht, dachte Fairoglan.

*



Es wurde eine Sondersitzung einberufen, an der alle Regenten der Allianz und die Mitglieder des Rates teilnahmen. Außerdem einige Sicherheitsexperten wie zum Beispiel Zegrian.

Enielraq machte den Vorschlag, so schnell wie möglich ein Späh-Schiff auszusenden.

Kritische Stimmen, die nach der Herkunft der Koordinaten fragten, brachte der Morrhm schnell zum Verstummen, indem er Fairoglan öffentlich sein Vertrauen aussprach. "Ich zweifle nicht an einer Darstellung der Ereignisse", sagte er. "Im Übrigen ist für mich eine Frage von entscheidender Bedeutung: Ist an jenem Ort tatsächlich das Heimat-System der Menschen? Das würde viele Entscheidungen, die vor uns liegen vielleicht in einem neuen Licht erscheinen lassen!"

Der Beschluss, das Späh-Schiff auf den Weg zu schicken, wurde einstimmig gefasst. Bis zu seiner Rückkehr würde es ein paar Larsyrc-Standard-Tage brauchen.

Die Beratungen werden bis dahin weitergehen, dachte Fairoglan. Wahrscheinlich ohne jedes Ergebnis, so wie bisher.

Die Debatten der nächsten Tage waren überaus hitzig.

Hgrrek profilierte sich weiter als Befürworter eines schnellen Schlages gegen die Menschen.

"Worauf warten wir noch?", rief er mit großer Bewegung der Fühler. "Wenn sich tatsächlich erweist, dass wir die Heimat der Eroberer gefunden haben, dann gibt es keinen Grund, länger zu zögern. Sollen wir erst warten, bis sie sich System für System unserer Allianz-Mitgliedsvölker angeeignet haben? Sollen wir warten, bis sie unendliches Leid über Milliarden von Kalimpan-Bürgern gebracht haben? Die Individuen der unterworfenen Welten werden von ihnen mit Implantaten versehen, deren Sinn wir noch nicht genau kennen! Aber will irgendjemand ein Schicksal als Versuchsobjekt unseren Bürgern wirklich zumuten?"

Zu Fairoglans Überraschung unterstützte auch Enielraq diese Position. "Ich glaube, dass der Zeitpunkt für den großen Schlag gegen die Eroberer gekommen ist", erklärte er. "Auch wenn ich früher immer dafür eingetreten bin, dass wir nicht blindlings in ein Abenteuer hinlaufen sollten, dessen Ausgang niemand von uns kennt, so habe ich meinen Standpunkt inzwischen revidiert. Wir können nicht darauf warten, dass die Canyaj für uns in den Krieg ziehen. Vielleicht wird das nie geschehen und wir werden dann noch immer starr vor Angst auf die Menschen blicken."

*



Das Spähschiff hieß ALLIANZ. Es handelte sich um einen perfekt getarnten Raumer der Shaalkaanen. Als ALLIANZ die angegebenen Koordinaten erreichte, schickte sie eine Nachricht nach Larsyrc.

Das Sonnensystem, das an der angegebenen Stelle zu finden war, hatte sich tatsächlich als die Heimat der Menschen herausgestellt. Dafür sprach der abgehörte Funkverkehr ebenso wie die Tatsache, dass es nirgends in der Galaxis eine größere Konzentration von Raumschiffen der Eroberer gab.

Der dritte Planet war eine Sauerstoffwelt.

Die legendäre Erde.

Der Planet der Menschen.

Fairoglan nahm diese Nachricht in seinem Quartier entgegen. Nachdenklich lauschte er den Ausführungen des shaalkaanischen Kommandanten der ALLIANZ.

Die Würfel sind gefallen, dachte er. Der Krieg gegen die Menschen ist wohl nicht mehr aufzuhalten. Und die Canyaj können sich freuen...

Enielraq meldete sich über eine Kom-Verbindung.

"Ich nehme an, Sie haben die gute Nachricht auch schon gehört, Fairoglan."

"Ja, das habe ich."

"Ich bin davon überzeugt, dass dies der Anfang einer neuen Zeit ist."

"So optimistisch?"

"Jetzt, da wir die Heimat der Menschen kennen, haben wir eine Chance, sie auch zu besiegen. Ich habe niemals aus Feigheit Zurückhaltung geübt, sondern weil ich für ein realistisches Abschätzen von Chancen und Risiken war."

"Und in dieser Hinsicht haben sich die Gewichte verändert, ich weiß..."

"Fairoglan, ich nehme an, dass Sie weiter gegen Hgrrek ermittelt haben."

"Eine Datenspur führt von den deaktivierten Energiefeldern zu einem von Hgrreks Mitarbeitern!", sagte der Yroa.

"Kommen Sie ins Malén-Gebäude in der Zone der Morrhm. Ich möchte mich dort mit Ihnen treffen, damit Sie mich über den Stand der Dinge informieren. Falls Hgrrek tatsächlich ein Canyaj-Klon ist, müssen wir schleunigst etwas gegen ihn unternehmen."

"Dieser Meinung bin ich auch", stimmte Fairoglan zu.

"Allerdings muss jeder Schritt überlegt werden. Sonst besteht die Gefahr, dass das Ganze ein Schlag ins Wasser wird."

"Ja. Vor allen Dingen denke ich, müssen wir uns überlegen, wen von den anderen Regenten und Räten wir noch einweihen!"

"Das besprechen wir noch."

"Gut."

"Noch etwas: Bringen Sie Yc mit."

"Tut mir leid, aber das Malén-Gebäude in der Morrhm-Zone ist außerhalb der Zone, innerhalb der seine Sicherheit garantiert werden kann."

"Schade", sagte Enielraq. "Aber aus Sicht unserer Sicherheitsbehörden sicher verständlich."

*



Als Fairoglan den Treffpunkt erreichte, wartete Enielraq bereits auf ihn. Nur ein Leibwächter war in seiner Begleitung.

"Sie haben neues Beweismaterial gegen Hgrrek?", fragte Enielraq zur Eröffnung.

"Ja", bestätigte der Yroa.

"Dann wäre es vielleicht ratsam, wenn Sie ihn direkt damit konfrontieren"!"

Fairoglan starrte Enielraq überrascht an.

Eine Tür zu einem Nebenraum öffnete sich.

Hgrrek schwebte herein und ließ sich im nächsten Moment auf dem Boden nieder.

"Überrascht, Fairoglan?", fragte Hgrrek.

Fairoglan machte einen Schritt zurück.

"Enielraq, was soll das?", fragte er.

"Ihre Vermutung ist richtig, Fairoglan", erklärte Enielraq. "Hgrrek ist nichts anderes als ein Klon im Dienst der Canyaj, ausgestattet mit einer gestohlenen Bewusstseinskopie."

Fairoglan starrte Enielraq fassungslos an.

"Sie wussten schon davon, bevor ich Ihnen meine Ermittlungsergebnisse mitgeteilt habe!", erkannte er.

"Das ist richtig."

Fairoglan musste schlucken. "Sie auch, Enielraq?"

"Auch ich bin ein Canyaj-Klon."

"Den Canyaj scheint sehr viel daran zu liegen, dass die Allianz endlich Krieg gegen die Menschen führt!"

"Und dieses Ziel haben wir so gut wie erreicht", sagte Enielraq. "Übrigens auch dank Ihrer Hilfe Fairoglan!"

Der Leibwächter hob seine Waffe.

Fairoglan machte eine schnelle Bewegung, aber der Paralyse-Strahl erfasste ihn sofort. Getroffen sank er zu Boden und blieb regungslos liegen.

"Wir sollten ihn töten", sagte Hgrrek.

"Nein. Wer weiß, wozu er uns noch nützlich sein kann."

"Ich hoffe, wir werden dies nicht eines Tages bereuen."

"Wichtig ist doch erst einmal nur, dass Fairoglan keine Gelegenheit finden wird, sein Wissen mit den anderen Regenten zu teilen."

In diesem Moment summte der Kommunikator des Morrhms. Enielraq stellte eine Verbindung her. "Hier Kommandant Dasrionen", meldete sich eine Stimme. "Wir haben dieses Pflanzenwesen in seinem Quartier festgesetzt und die Wachen ausgeschaltet. Was sollen wir mit ihm machen?"

Der morrhmische Regent bleckte triumphierend die Zähne.

Speichel troff von seinen Hauern.


Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten

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