Читать книгу Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 13

Fairoglans Mission

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von Alfred Bekker

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»Hey, du Menschen-Gesicht!«

Der über zwei Meter große Morrhm verzog das Gesicht. Zumindest den Teil des Gesichts, der sich verziehen ließ und nicht durch Knochenpanzer einerseits geschützt und andererseits ziemlich starr gehalten wurde.

Er schlug dem um zwei Köpfe kleineren K'aradan jovial auf die Schulter.

»Lass das!«, knurrte dieses, als er in die Knie ging.

»Stell dich nicht so an, Dresgos.«

Der K'aradan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Du bist ein alter Rassist, Ontul!«, warf er dem Morrhm vor.

»War doch nur Spaß!«

»Oder um die Formulierung des Allianz-Gesetzes zu zitieren: Ein Spezies-Diskriminierer!«

»Jetzt mach aber mal halblang, Dresgos! Wie gesagt, es war nur ein Witz!« Ontul hob die breiten Schultern. »Morrhm-Humor eben!«

»Diese Art von Spaß mag ich nicht«, erwiderte der K'aradan kühl.

Sein Volk unterschied sich äußerlich kaum von den verhassten Menschen. Außerdem hatten die in ihrer Vergangenheit einen ähnlichen Expansionsdrang gehabt wie die Menschen, deren Raumflotten zurzeit ein System nach dem anderen besetzten und inzwischen bereits die Randzone der Allianz Kalimpan erreicht hatten.

Ausgehend von ihrer Zentralwelt Aradan hatten die K'aradan tausende von Sonnensystemen kolonialisiert. Viele waren jedoch nicht besonders dicht besiedelt. K'aradanische Handelskolonien existierten allerdings auch auf den meisten Allianzwelten anderer Völker. Was den interstellaren Handel anging, hatten k'aradanische Unternehmen eine teilweise beherrschende Stellung inne.

Als die außenpolitische Expansion der Menschen die Einflusssphäre Kalimpans zu bedrohen begann, war es auf Dutzenden von Allianz-Welten zu rassistischen Ausschreitungen gegen K'aradan gekommen. Schließlich glichen sie doch in frappierender Weise den verhassten Eroberern, die sich scheinbar unaufhaltsam über die Galaxis ausbreiteten.

Die Allianz-Führung hatte ihren ganzen Einfluss in die Waagschale werfen müssen, um den latenten Hass gegen die K'aradan unter Kontrolle zu halten. Schließlich war die Toleranz unter den Mitgliedsvölkern Kalimpans das oberste Prinzip der Allianz.

DNA-Untersuchungen bewiesen, dass es zwischen beiden Spezies keine auch nur annähernde genetische Übereinstimmung gab. Offenbar war die Ähnlichkeit zwischen Menschen und K'aradan einfach durch Anpassung an ähnliche Umweltbedingungen entstanden.

»Mein Bruder war ebenfalls Raumlotse wie ich«, sagte Dresgos. »Er hieß Nedram und lehrte an der Raumakademie von Morrhm III Angehörige deines Volkes darin, wie man die vergleichsweise primitive Raumüberwachung des Morrhm-Systems effektiver einrichten könnte. Ein paar von euch Panzerschädeln haben es ihm dadurch gedankt, dass sie so lange auf ihn einprügelten, bis er selbst durch die fortschrittlichste Fulirr-Medizin nicht mehr zu reanimieren war.«

Ontul schwieg.

Er verschränkte die mächtigen, sehr muskulösen Arme vor der breiten Brust.

»Das wusste ich nicht«, bekannte er. »Der sportliche Kampf untereinander ist bei uns Morrhm Gewohnheit. Dazu zählt auch die verbale Provokation. Selbst unter Freunden. Vermutlich bin ich in deinem Fall aber zu weit gegangen. Es täte mir Leid, wenn ich deine zart besaitete k'aradanische Seele verletzt hätte!«

»Nein«, sagte Dresgos. »Es liegt nicht an dir. Ich bin sonst nicht so empfindlich. Schließlich kenne ich dich ja nicht erst seit gestern...«

Retan Dresgos Ko Nomsol – so der vollständige Name des K'aradan – war der Chef der Raumlotsen auf Larsyrc, der Kalimpan-Zentralwelt. Ontul hingegen war Offizier bei den Inneren Sicherheitskräften. Kennen gelernt hatten sie sich während einer offiziellen Ermittlung, die Ontul geleitet hatte. Ein shaalkaanisches Syndikat hatte illegale Stimulanzien nach Larsyrc importiert und dabei nicht nur auf überlegene shaalkaanische Tarntechnik vertraut, sondern ebenso auf die Mithilfe von Komplizen unter den Raumlotsen gesetzt.

Seit damals war ihre Verbindung nie abgebrochen.

Dass es Morrhm gewesen waren, die Dresgos' Bruder getötet hatten, tat dieser Freundschaft dabei keinen Abbruch. Dresgos war aufgeklärt genug, um jegliche Form von Rassenhass zu verabscheuen. Er hatte Ontul als einen Mann kennen gelernt, der kaum den Stereotypen entsprach, die unter K'aradan über Morrhm im Umlauf waren.

Die meisten dieser Denkschablonen bezogen sich auf die kriegerische Vergangenheit der oft als »Panzerschädel« verunglimpften Morrhm. Tatsächlich taten viele von ihnen in den Wachmannschaften und den Sicherheitskräften ihren Dienst. Aber Dresgos hatte erfahren, dass Ontul nicht nur Mittelgewichtsmeister der Larsyrcischen Morrhm-Zone in der Disziplin »Kampf ohne Regeln und Waffen« war, sondern sich auch sehr ernsthafte Gedanken über die Zukunft der Allianz machte.

Kalimpan stand an einem Wendepunkt seiner Geschichte. Das war auch Dresgos klar, auch wenn er nur wenige in seiner Umgebung kannte, die das offen auszusprechen wagten. Die meisten Kalimpan-Bürger – gleich welcher Spezies – blickten wie gelähmt auf die Bedrohungen, denen die Allianz gegenüberstand.

Dresgos atmete tief durch.

Er hatte Ontul in dessen Wohnresidenz im Malén-Gebäude aufgesucht. Das Malén-Gebäude lag in der morrhmischen Hauptzone von Larsyrc. In dieser gigantischen, künstlich angelegten Höhle herrschten Lebensbedingungen, wie sie von den Morrhm bevorzugt wurden. Der am meisten spürbare Unterschied zu den Umweltparametern des k'aradanischen Bereichs war die erhöhte Gravitation, die dafür sorgte, dass jeder Nicht-Morrhm in diesem Bereich schnell müde wurde.

Ontul bewohnte hier eine relativ weiträumige Residenz, die seinem Rang bei den Inneren Sicherheitskräften entsprach.

»Hör zu, Ontul, ich bin nicht einfach nur hier, um Erinnerungen aufzufrischen«, erklärte Dresgos.

»Worum geht es dann?«

»Ich bin überzeugt davon, dass eine Verschwörung im Gang ist.«

Die schockgrünen Augen des K'aradan musterten Ontul aufmerksam und registrierten jede Regung in dem durch dicke Knochenschilde weitgehend unbeweglichen Gesicht. Aber Dresgos kannte den Morrhm gut genug, um aus dieser sehr bescheidenen Mimik seine Schlüsse ziehen zu können.

»Was soll das für eine Verschwörung sein?«, fragte Ontul gedehnt.

Er blickte zur Seite. Ein Teil der Wand war transparent, sodass man einen Blick in die morrhmische Zone hatte. Auch rein optisch hatte man keineswegs das Gefühl, sich in einer künstlichen Höhle auf einem ansonsten vollkommen unbewohnten Planeten zu befinden.

Die erkaltete Sonne, um die Larsyrc seine Bahn zog, gab nicht genug Licht und Wärme, um Leben auf der Oberfläche zu ermöglichen. Das Leben auf dem Verwaltungszentrum der Allianz fand unterirdisch statt. Es gab sechs Hauptzonen, die jeweils den Lebensbedingungen einer Gruppe von Spezies angepasst waren. Daneben existierten aber auch unzählige kleinere Wohnhöhlen und unterirdische Habitate. Angehörige verschiedenster Spezies aus der gesamten Galaxis hatten sich hier angesiedelt.

Larsyrc war ein Schmelztiegel der galaktischen Völker. Hier war bereits das Zusammenleben verschiedener intelligenter Spezies auf eine Weise verwirklicht, wie sie für die gesamte Allianz erst noch angestrebt wurde. Dass es neben aller Harmonie und Toleranz hin und wieder auch Probleme gab, stand in einem anderen Datenspeicher.

Ontul blickte auf eine Landschaft mit bizarren Felsformationen hinaus. Teilweise waren die Gipfel schneebedeckt.

Eine Landschaft, die der Zentralregion des Mittelkontinents auf Morrhm III nachgebildet war.

>Eigenartig<, ging es Dresgos durch den Kopf, während er den Morrhm musterte. >Er hakt überhaupt nicht nach! Ganz gegen seine sonstige Gewohnheit.<

Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass Ontul keine Lust dazu hatte, sich mit Dresgos über dieses Thema zu unterhalten.

>Irgendetwas verunsichert ihn<, überlegte Dresgos. >Die Frage ist nur, was...<

»Von was für einer Verschwörung sprichst du?«, fragte der Morrhm schließlich.

Seine Stimme hatte plötzlich einen abweisenden und gereizten Klang. Eine tonliche Nuance, die Dresgos sich nicht so recht zu erklären vermochte.

>Bei den Göttern von Aradan!<, durchzuckte es ihn. >Was ist nur los mit ihm?<

Einen Augenblick lang zögerte Dresgos noch, dann erklärte er: »Vor kurzem waren Fairoglan und Yc bei mir.«

Spätestens seit ihrer Mission zu den Canyaj waren der Yroa und das Pflanzenwesen auf Larsyrc und darüber hinaus sehr bekannt.

In den Augen des Morrhm war ein leichtes Flackern erkennbar.

»Du hast mich wirklich nicht nur aufgesucht, um mit mir zwanglos zu plaudern«, stellte Ontul in sachlichem Tonfall fest.

»Ich habe zusammen mit Fairoglan eine Befragung unter den Lotsen durchgeführt. Es ging um den Flug jenes Raumschiffs, mit dem der Regent der Chgorr von Lasraf nach Larsyrc reiste.«

»Ich weiß nichts von einer derartigen Untersuchung.«

»Sie war streng geheim. Außerdem habe ich den Eindruck, dass Kräfte von ganz oben versuchen, die bei dieser Befragung gewonnenen Erkenntnisse zu unterdrücken.«

»Hör zu: Jetzt rede nicht um den Kern der Sache herum wie ein k'aradanischer Händler, der einem ein Modul mit gelöschtem Hauptspeicher anzudrehen versucht!«

Menschen-Gesichter und betrügerische Händler, die für ein paar Kalimpan-Kredite ihre nächsten Verwandten verkauft hätten – das waren die Stereotypen, die bei nicht wenigen Morrhm über die K'aradan im Umlauf waren.

Dresgos ging diesmal jedoch nicht darauf ein.

»Es ging um eine Stunde, die in den Logbuchaufzeichnungen des Chgorr-Schiffes fehlte. Eine Stunde, in der vermutlich Hgrrek, der Regent der Chgorr gegen eine Klon-Kopie der Canyaj ausgetauscht wurde!«

»Das sind doch reine Vermutungen!«, widersprach Ontul.

»Ich habe versucht, Fairoglan zu erreichen, aber er ist wie vom Erdboden verschluckt.«

Ontuls mächtiger Brustkorb hob und senkte sich, während er die Luft tief einsog. Dresgos fröstelte leicht. Morrhm bevorzugten Temperaturen, die um ein paar Grad unter dem Niveau lagen, das ein K'aradan in seinem Wohnbereich als angenehm empfunden hätte.

»Was ist mit Yc?«, fragte Ontul.

»Er wird nach wie vor vollkommen abgeschirmt. Aus Sicherheitsgründen, wie es heißt. Aber ich traue dem Braten nicht.«

»Und was ist dein Verdacht?«

»Ich denke, dass die größte Gefahr für Yc gegenwärtig von denen ausgeht, die vorgeben, für seine Sicherheit sorgen zu wollen.« Dresgos trat einen Schritt näher. »Ich hatte gehofft, dass du mir vielleicht weiterhelfen könntest. Schließlich bist du bei den Inneren Sicherheitskräften und hast bestimmt Zugang zu näheren Informationen darüber, ob Yc wirklich nur aus Sicherheitsgründen abgeschirmt wird oder...«

»Oder was?«, hakte Ontul nach.

»Ich denke, er wurde verhaftet. Fairoglan und Yc wussten inzwischen einfach zu viel über die Hintergründe der Verschwörung, die die Allianz Kalimpan derzeit aus ihrem Inneren heraus zu zerfressen droht.«

»Klonkopien!« Der Morrhm vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Die morrhmische Geste der entschiedensten Verneinung. »Das sind doch nichts als Spekulationen!«

»Nach Fairoglans Ansicht lagen sehr konkrete Anhaltspunkte für diese Annahme vor. Und die Tatsache, dass er wenig später verschwand, spricht in meinen Augen für sich.«

»Ich dachte eigentlich, dass die Canyaj sich auf ihre bevorstehende Auseinandersetzung mit den Menschen konzentrieren.«

»Ja«, stimmte Dresgos zu. »Und da wäre es ihnen zweifellos am liebsten, wenn sie die Allianz Kalimpan gewissermaßen als vasallenhafte Bundesgenossen vorschicken könnten, um ihre eigenen Kräfte zu schonen.«

»...und hinterher die Allianz anzugreifen!«

»Richtig.«

Ein Krieg gegen die Menschen war für die anorganischen Canyaj vermutlich nur eine Etappe in ihrem allgemeinen Kampf gegen alles organische Leben.

Ontul wirkte nachdenklich.

Dresgos kannte ihn gut genug, um das beurteilen zu können. Beispielsweise bemerkte der K'aradan, wie aus den klauenartigen Händen des Morrhms Krallen glitten. Ein äußerliches Anzeichen dafür, dass der Morrhm tatsächlich in Sorge war.

»Wahrscheinlich bin ich nicht der einzige Allianz-Bürger, der sich darüber wundert, wie sich im hohen Rat der Wind zugunsten einer offensiven Vorgehensweise gegen die Menschen gedreht hat!«, stieß Ontul grimmig hervor. Die Krallen zogen sich – jetzt offenbar unter willentlicher Kontrolle – wieder zurück. »Nicht, dass ich dagegen etwas einzuwenden hätte, aber...«

»Glaub mir, es passt alles zusammen! Und jetzt, nachdem offenbar die Koordinaten der Menschen-Heimat gefunden wurden, wird der Krieg nicht mehr aufzuhalten sein! Niemand wird noch daran zweifeln, dass es richtig ist, die Menschen anzugreifen!«

Ontul drehte ruckartig den Kopf in Dresgos' Richtung.

»Wusstest du, dass ich derzeit beurlaubt bin?«, fragte er. »Jetzt erscheint mir das in einem neuen Licht. Angeblich waren dienstliche Gründe dafür ausschlaggebend, dass ich meinen Urlaub >jetzt< nehme.«

»Aber vielleicht wollte man nur diejenigen Offiziere kaltstellen, die nicht an der Verschwörung beteiligt beziehungsweise vielleicht sogar selbst schon durch Klon-Kopien der Canyaj ausgetauscht sind!«

»Ich werde sehen, was ich für dich tun kann, Dresgos!«

Der Morrhm aktivierte über einen codierten Befehl ein Projektionsfeld. Der akustisch gegebene Befehl bestand aus einem schwer zu imitierenden Gurgellaut, der aus der Tiefe seiner morrhmischen Kehle hervorgebracht wurde. Die Höhenkurve dieses Lauts wurde vom Rechnersystem mit Vergleichsdaten abgeglichen. Sie war so individuell wie ein Fingerabdruck.

»Vor meinem Urlaubsantritt hatte ich mich noch darüber gewundert, dass offenbar eine ganze Reihe von Offizieren gleichzeitig Urlaub nehmen musste, während auf der anderen Seite den Einsatzplänen nach relativ viele Verhaftungen anstanden...«

»Langsam setzt sich ein Mosaik zusammen«, erwiderte Dresgos. »Verstehst du nun, was ich meine? Natürlich gibt es einen Beweis wahrscheinlich erst dann, wenn es zu spät ist und die Canyaj die völlige Kontrolle über die Allianz übernommen haben. Aber...«

Ein weiterer Gurgellaut des Morrhm brachte Dresgos zum Schweigen. Ontul aktivierte damit seinen persönlichen Zugang zu den Datenspeichern der Inneren Sicherheitskräfte.

Eine Kunststimme ertönte und sagte nacheinander in den Sprachen der sechs Kalimpan-Völker: »Zugang verweigert. Fehler bei der Identifikation Ihres Stimmmusters. Möglicherweise liegt ein Datenfehler beim Vergleichsmuster vor. Es könnte eventuell nötig sein, eine neue Stimmprobe abzugeben. Dies ist aus Sicherheitsgründen nur auf Ihrer Dienststelle möglich!«

Das Gesicht des Morrhms wurde vollkommen starr.

Die Verschwörung hatte offenbar bereits Ausmaße angenommen, die Dresgos' schlimmste Befürchtungen überstiegen.

*



>Fairoglan!<, schrien Ycs Gedanken. >Kannst du mich hören? Meine Gedanken wahrnehmen? Oder zumindest erkennen, dass ich noch lebe und wahrscheinlich in höchster Gefahr bin?<

Das Pflanzenwesen befand sich in einem fast vollkommen kahlen Raum. Außer einem auf seine Bedürfnisse abgestimmten und programmierten Nahrungsmittelspender befand sich hier buchstäblich nichts.

Kaltes Licht drang aus in die Wand eingelassenen Leuchtelementen.

Yc wusste nicht genau, wie lange er hier schon gefangen gehalten wurde. Eine Gruppe morrhmischer Sicherheitskräfte unter Führung eines Kommandanten namens Dasrionen hatte ihn verhaftet und abgeführt.

Allen Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz, die Ycs Leben schützen sollten, nachdem bereits mehrere Attentatsversuche gescheitert waren.

Das Pflanzenwesen bewegte einen seiner tentakelartigen Fortsätze hin und her. Ein Ausdruck der Langeweile. Außerdem half es Yc, seine Gedanke zu konzentrieren. Fairoglan besaß als Yroa-Klon-Zweitling zwar nur schwache Psi-Fähigkeiten. Aber vielleicht reichten sie ja aus, um zumindest einen kurzen Kontakt herzustellen.

>Fairoglan!<

Der Yroa war der Freund und Beschützer des Pflanzenwesens und hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet.

Einen Augenblick lang dachte Yc über die Möglichkeit nach, dass der Yroa ihm vielleicht gar nicht mehr helfen >konnte<.

>Was, wenn mit ihm dasselbe geschehen ist, wie mit mir?<, durchzuckte es die Gedanken des Pflanzenartigen wie ein schmerzhaft greller Blitz. >Was, wenn auch er an einem unbekannten Ort gefangen gehalten wird...?<

Fairoglan und Yc waren einer Verschwörung der Canyaj auf der Spur gewesen. Inzwischen wusste Yc, dass diese Verschwörung bereits bis in höchsten Ebenen der Führungsspitze von Larsyrc und der Kalimpan-Allianz hinaufreichte. Dasrionen, jener morrhmische Kommandant der Wachmannschaft, die ihn entführt hatte, war ganz ungeniert mit seinem Befehlshaber in Kontakt getreten. Er hatte nicht einmal den Versuch unternommen, dessen Identität vor Yc zu verheimlichen.

In aller Offenheit hatte er Ycs Festnahme Enielraq gemeldet, dem Regenten der Morrhm.

>Kein Wunder, dass niemand unter den Wachleuten, die mich beschützen sollten, Widerstand leistete und keine der ID-Kontrollen funktionierte<, überlegte Yc. >Wahrscheinlich kamen meine Entführer mit einem offiziellen Befehl allerhöchster Regierungsstellen.<

Yc hatte Zeit genug gehabt, um über seine Lage intensiv nachzudenken.

Wie man die Dinge auch drehte und wendete, es lief immer wieder auf dasselbe hinaus.

Den Tod.

>Sie können weder Fairoglan noch mich am Leben lassen<, war dem Pflanzenwesen klar. >Wir wissen einfach zu viel und stellen somit eine Gefahr für die Verschwörer dar...<

Yc fragte sich, wie viele Canyaj-Klone die Anorganischen wohl bereits in der Führungselite von Larsyrc etabliert hatten. Es reichte ja nicht, einfach nur ein paar Regenten auszutauschen. Man musste auch auf den Ebenen, die unterhalb der Regentenebene bestanden, Gewährsleute installiert haben, wenn man tatsächlich die Macht in der Allianz an sich reißen wollte.

Yc fragte sich, weshalb man ihn nicht längst getötet hatte.

Es musste dafür einen konkret fassbaren Grund geben.

Irgendwelche moralischen Skrupel waren auf Seiten der Verschwörer sicherlich nicht ausschlaggebend.

Dazu war die Gefahr, die von Fairoglan und Yc für das Gelingen der Verschwörung ausging, einfach zu groß.

>Was dann?<

So sehr sich Yc auch sein geistiges Steuerungszentrum zermarterte, er fand einfach keine Lösung.

Emotionen begannen, ihn zunehmend zu belasten. Seit ihm klar geworden war, dass er der letzte Pflanzenartige war und es für ihn nach allem Ermessen wohl keine Rückkehr mehr in seine alte Heimat gab, hatte er ohnehin zur Melancholie geneigt. Über lange Larsyrc-Stunden hinweg hatte er sich in seine eigene Gedanken- und Gefühlswelt zurückgezogen und sich der Sehnsucht nach der verlorenen Spore Byylari hingegeben, die einst sein Lebensraum gewesen war.

Jetzt, in dieser objektiv gesehen mehr als verzweifelten Lage, meldeten sich diese Gefühle mit schier überbordender Wucht zurück. So sehr Yc auch dagegen anzukämpfen versuchte, es wollte ihm einfach nicht gelingen, sie zu unterdrücken.

>Du weißt, dass es kein Leben mehr auf Byylari gibt<, dachte er.

Die Spore, die in einem Gasring schwebte, der eine Sonne umkreiste, die Yc als >Licht von Byylari< bezeichnete, war tot. Er war der letzte der Pflanzenartigen. Eine Tatsache, mit der er sich abzufinden versucht hatte.

>Einmal noch das Licht von Byylari mit all meinen Chlorophyll-Fasern spüren, bevor ich die Photosynthese für immer einstelle...<

Dieses Gefühl der Sehnsucht wurde geradezu übermächtig.

Sehnsucht, vermischt mit Agonie.

>Selbstmitleid<, korrigierte sich Yc in Gedanken.

Eine Tür öffnete sich.

Die hoch aufgerichtete Gestalt eines Morrhms trat ein. Zwei seiner Artgenossen folgten ihm, beide mit schweren Blastern bewaffnet. Sie trugen Kombinationen mit dem Emblem der Inneren Sicherheitskräfte.

Yc erkannte den Offizier, der ihn verhaftet hatte. >Dasrionen! Ich frage mich, was er jetzt von mir will!<

Der Offizier trat zur Seite. Erst jetzt bemerkte Yc den schwebenden Kubus mit einer Kantenlänge von etwa einem Meter.

Der Kubus wurde offenbar von einem Antigravfeld ungefähr dreißig Zentimeter über dem Boden gehalten. Er schwebte auf Yc zu, setzte dann kurz vor ihm auf. Yc musste einen seiner Tentakelfortsätze in Sicherheit bringen.

Eine Klappe öffnete sich.

»Hinein mit dir, Grünzeug!«, knurrte Kommandant Dasrionen. »Du wirst dich ein bisschen zusammenfalten müssen, aber der Antigrav-Container ist groß genug, um dein ganzes Blätterwerk aufzunehmen!«

Yc fiel auf, dass der Offizier ein Gerät an seinem Gürtel bedient hatte. Offenbar handelte sich um das Steuermodul des Antigrav-Containers. Um die winzigen Sensorfelder darauf treffen zu können, fuhr Dasrionen die spitz zulaufenden Krallen seiner klauenähnlichen Hände aus, die ansonsten dafür viel zu grob gewesen wären.

»Na los, worauf wartest du?«, fragte Dasrionen. »Oder willst du, dass wir hier eine kleine Brandrodung veranstalten?«

Die beide Begleiter richteten ihre Blaster jetzt auf Yc.

»Wohin werde ich jetzt gebracht?«, fragte der Pflanzenartige.

»Frag nicht so viel«, erwiderte Dasrionen. »Du bekommst ohnehin keine Antwort.«

Yc gehorchte also.

Er bewegte sich vorwärts, rutschte in den Kubus hinein. Mit seiner Körperhöhe von etwa 1,60 m musste er sich ganz schön verbiegen, um in den Kubus hineinzupassen.

Aber es ging.

Die Klappe wurde geschlossen, und plötzlich war es stockdunkel.

>Vielleicht ist das deine letzte Reise!<, dachte der Pflanzenartige beklommen. Namenlose Angst erfüllte ihn.

*



Das Letzte, woran sich Fairoglan erinnern konnte, war das Aufblitzen des Paralysestrahls und das triumphierende Gesicht Enielraqs.

Wie ein Raubtier hatte der Regent der Morrhm seine Zähne entblößt.

>Ich war ein Narr, ihm zu trauen und mich zu dem Treffen im Malén-Gebäude einzufinden!<, ging es dem Yroa durch den Kopf.

Fairoglans Haut schimmerte grau im kalten Kunstlicht. Sein kantiger, haarloser Schädel vollführte eine ruckartige Bewegung nach links. Der Yroa befand sich schon mehrere Larsyrc-Standardtage lang in diesem fensterlosen Raum, dessen einziger Einrichtungsgegenstand ein Nahrungsmittelspender war. Wie lange genau seine Gefangenschaft bereits dauerte, konnte er nicht sagen. Er hatte keine Möglichkeit, den Verlauf der Zeit festzustellen, abgesehen von den Bedürfnissen seines Körpers. In die Wand war ein Modul eingelassen. Auf Knopfdruck öffnete sich eine Hygienezelle. Außerdem ließ sich ein Energiefeld aktivieren, das als Bett oder Sitzmöbel dienen konnte.

Das Schlimmste war, dass er vollkommen von jeglichem Kontakt zur Außenwelt abgeschnitten war. Seine Gedanken waren vor allem bei Yc.

Steckten die Verschwörer hinter den Attentatsversuchen auf den Pflanzenartigen?

Fairoglan hatte kaum einen Zweifel daran.

Und wenn bereits Mitglieder des Rates und Regenten von Allianzvölkern wie Enielraq und Hgrrek durch Klon-Marionetten der Canyaj ersetzt worden waren, dann musste mit dem Schlimmsten gerechnet werden. Auch noch so strenge Sicherheitsvorkehrungen konnten den letzten der Pflanzenartigen diesmal nicht schützen.

>Yc hatte die Bewusstseinskopien der sechs Kalimpan-Regenten in sich aufgenommen, als wir zu den Canyaj flogen<, überlegte der Yroa. >Sie haben ihm diese Kopien entrissen, um damit die Klone zu beseelen...<

Zuvor waren sie jedoch offensichtlich umprogrammiert worden.

Auf welche Weise das geschehen war, darüber konnte Fairoglan nur spekulieren.

Tatsache war, dass die anorganischen Canyaj jetzt dicht davor standen, ihr Ziel zu erreichen: den Kriegseintritt der Allianz! Kalimpan als Bollwerk gegen den Eroberungszug der Menschen, die scheinbar niemand in der Galaxis aufzuhalten vermochte.

>Auch ich war ihre Marionette!<, ging es Fairoglan mit einem Gefühl tiefer Bitterkeit durch den Kopf.

Er hasste kaum etwas so sehr, wie manipuliert zu werden.

Aber genau das war hier geschehen.

>Ich habe der Allianz die Koordinaten der Menschen-Heimat zugänglich gemacht!<, durchzuckte es sein Bewusstsein. >Und das war der entscheidende Faktor. Wer würde jetzt noch daran zweifeln, dass es sinnvoll ist, die Menschen umgehend anzugreifen? Dass die Allianz sich dabei bereitwillig vor den Karren der Canyaj spannen lässt, interessiert dabei niemanden...<

Erneut vollführte Fairoglan eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Er erhob sich von dem Energiefeld, das ihm bis dahin als Sitzfläche gedient hatte.

Da war es wieder.

Ein telepatisches Psi-Signal.

Fairoglan hatte es zuvor schon empfangen, war sich aber nicht ganz sicher gewesen.

Jetzt war es deutlicher.

>Jemand nähert sich!<, erkannte er.

Augenblicke später öffnete sich eine Schiebetür, und zwei Morrhm traten ein. Sie trugen Blaster im Anschlag.

»Mitkommen!«, forderte einer von ihnen schroff.

»Was haben Sie vor?«, fragte Fairoglan.

Die Morrhm trugen die offiziellen Embleme, wie sie für Angehörige der Inneren Sicherheitskräfte typisch waren.

»Regent Enielraq will Sie sprechen!«, erklärte der Größere der beiden.

»Ihr seid doch Offiziere der Sicherheitskräfte!«, stellte Fairoglan mit Blick auf die Rangabzeichen fest. »Mich interessiert nur eins: Seid auch ihr Canyaj-Klone – so wie Enielraq?«

Ein bitterer Tonfall klang aus Fairoglans Worten.

Die Morrhm wechselten einen Blick, den man nur als ratlos bezeichnen konnte.

Fairoglan fuhr fort: »Ihr seid Teil einer Verschwörung, die Kalimpan in den offenen Krieg gegen die Menschen zu treiben versucht...«

»Ich weiß nicht, was dieses Gerede soll«, unterbrach der Größere der beiden Morrhm seinen Gefangenen. »Wir führen unsere Befehle aus, das ist alles. Leisten Sie keinen Widerstand, andernfalls müssten wir zu Zwangsmaßnahmen greifen und Sie notfalls paralysieren!«

»Häufige Paralyse soll allerdings für die ach so empfindlichen Hirnfunktionen von Yroa sehr schädlich sein«, ergänzte jetzt der andere. »Es ist also in Ihrem eigenen Interesse, sich kooperativ zu verhalten!«

>Kalte Roboter!<, dachte Fairoglan ärgerlich. Es war sinnlos, diese morrhmischen Wächter von irgendetwas überzeugen zu wollen. Wahrscheinlich folgen Sie ihrem Vorgesetzten auch noch dann, wenn sie den Befehl bekommen, sich selbst umzubringen!

Die beiden Morrhm nahmen Fairoglan in die Mitte, sodass jeder Widerstand sinnlos war.

Fairoglan wurde einen Korridor entlanggeführt.

Er fragte sich, in welchem Teil von Larsyrc er sich befand. Er glaubte nicht, dass es die morrhmische Haupt-Zone war, denn dann hätte er die Auswirkung der leicht erhöhten Gravitation spüren müssen.

>Ich bin im Malén-Gebäude im morrhmischen Bereich paralysiert worden, aber das heißt ja nicht, dass ich dort auch gefangen gehalten wurde!<, ging es ihm durch den Kopf.

Der Lebensbereich der schmetterlingshaften Chgorr schied ebenfalls aus, da dort eine Atmosphäre mit erhöhtem Kohlendioxid-Gehalt herrschte, die für einen Yroa innerhalb kurzer Zeit zur Ohnmacht führte.

>Wo bin ich dann?<

Seine Augen suchten verzweifelt nach irgendwelchen Anhaltspunkten. Schriftzeichen, in die Wand eingelassenen Interkom-Modulen, Hinweisschildern...

Er fand nichts.

Es schien sich um einen entlegenen Gebäudetrakt zu handeln, vielleicht in einer der kleineren Nebenzonen Larsyrcs gelegen. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass dieses Gebäude dazu hergerichtet worden war, Gefangene einzusperren, ohne dass es für diese später irgendeine Möglichkeit gab, anzugeben, wo sie sich befunden hatten.

>Diese Verschwörung ist von langer Hand vorbereitet<, wurde es dem Yroa klar. >Es muss eine regelrechte Infrastruktur für die Klone geschaffen worden sein!<

Ein Meisterstück der Spionage und der Unterwanderung.

Für die Canyaj war jetzt die Zeit der Ernte gekommen.

Die Wächter führten Fairoglan vor eine Tür am Ende des Korridors.

Der größere der beiden Morrhm identifizierte sich durch das Auflegen seiner Krallenhand auf ein Sensorfeld. Die Tür schob sich zur Seite, und Fairoglan wurde in einen großen, spärlich beleuchteten Raum geführt.

Die Wände waren zum Großteil transparent. Man konnte auf eine dunkle, nur schattenhaft sichtbare Umgebung hinausblicken. Es hätte die künstliche Nacht in irgendeiner der Zonen sein können. An dem künstlichen Himmel leuchteten Pseudosterne, die den Heimathimmel eines Kalimpan-Volkes darstellten. Eine Konstellation von drei orangene Objekten, die kaum größer waren als die Pseudo-Sterne, war die größte Lichtquelle.

Fairoglan hatte von dieser Konstellation gehört.

>Die Monde von Shaalkaan!<, durchfuhr es ihn. >Entweder ich befinde mich in der shaalkaanischen Zone Larsyrcs oder man hat mich tatsächlich auf die dunkle Heimat der Shaalkaanen gebracht!<

Er hatte die shaalkaanische Zone noch nie betreten.

Den Unterschied zur Heimat dieses sehr lichtempfindlichen Volkes, dessen Ursprungsplanet einen Weißen Zwerg in so großer Entfernung umkreiste, dass auch bei Tag nur sehr wenig Licht die Oberfläche erreichte, hätte Fairoglan vermutlich so oder so nicht feststellen können.

Die Lichtverhältnisse innerhalb des Raums waren offenbar den Bedürfnissen der meisten Anwesenden angepasst worden. Unter ihnen war nur ein einziger Shaalkaane. Er war selbst bei dem abgedämpften Licht, das hier herrschte, von einem Schattenfeld umgeben, dass ihn vollkommen einhüllte. Nur ein vager Schemen war von ihm zu sehen.

Es hieß, dass die sehr empfindlichen shaalkaanischen Augen mit minimalen Restlichtstärken auskamen. Fremde, die nach Shaalkaan oder in die shaalkaanische Zone von Larsyrc kamen, waren hingegen auf gute Nachtsichtgeräte angewiesen, wollten sie sich einigermaßen orientieren.

Etwa ein Dutzend Personen befanden sich im Raum.

Außer dem Shaalkaanen noch mehrere Morrhm und Chgorr sowie je ein K'aradan und ein echsenartiger Fulirr.

Fairoglan erkannte Enielraq, den Regenten der Morrhm.

Neben ihm hatte sich Hgrrek, der schmetterlingshafte Repräsentant der Chgorr auf dem Boden niedergelassen. Die Flugmembrane changierten unruhig ihre Farbe. Ein Spiegelbild des Gemütszustandes, in dem sich der Chgorr gerade befand.

Beide Regenten waren mit Bewusstseinskopien beseelte Klone – Agenten der Canyaj!

»Ich grüße Sie, Fairoglan«, sagte Enielraq.

Ein raubtierhafter Zug erschien auf seinem Gesicht, die morrhmische Entsprechung eines freundlichen Begrüßungslächelns. Enielraq trat einen Schritt näher, verschränkte die mächtigen Arme vor der Brust und stand breitbeinig da.

»Ich gebe zu, dass wir Sie zuerst unterschätzt haben, Fairoglan«, begann er. »Sie haben leider sehr hartnäckig nach Erkenntnissen gesucht, die nicht für Sie bestimmt waren.«

»Glücklicherweise konnten wir Ihre unseligen Aktivitäten noch rechtzeitig stoppen«, ergänzte Hgrrek.

»Wo ist Yc?«, fragte Fairoglan.

Nenielrag öffnete das Maul und ließ etwas Speichel von den Hauern herabtropfen.

Der Morrhm ignorierte die Frage. »Wir haben etwas Besonderes mit Ihnen vor. Man könnte dieses Unternehmen eine Sondermission nennen!« Er stieß einen dumpfen, glucksenden Kehllaut aus. Ein Ausdruck von zynischer Belustigung oder Schadenfreude.

»Was sind Ihre wahren Pläne?«, fragte Fairoglan.

»Sie werden alles erfahren, was Sie wissen müssen«, erklärte Enielraq. »Mehr nicht.« Er deutete auf den Morrhm zu seiner Linken. Er überragte selbst den nicht gerade kleinen Enielraq noch um eine halbe Haupteslänge. »Dies ist Tardralonnen, Raumschiffkommandant unserer Flotte. Er wird dieses Unternehmen befehligen und genießt mein absolutes Vertrauen.«

Fairoglan glaubte Emotionen der Geringschätzung ihm gegenüber wahrnehmen zu können. Er war sich nicht völlig sicher, ob sie primär von Tardralonnen oder dem in seiner Nähe stehenden Shaalkaanen ausgingen, dessen Namen er bislang noch nicht erfahren hatte.

Die Tür öffnete sich, und zwei Morrhm traten ein. In ihrer Mitte schwebte ein Transport-Kubus.

Der Kubus setzte automatisch auf dem Boden auf. Eine Klappe öffnete sich.

Aus dem Inneren ragte ein Tentakelfortsatz hervor.

»Yc!«, stieß Fairoglan hervor.

»Ihre Mission wird sie zur Spore Byylari führen!«, erklärte Enielraq zu Fairoglans Erstaunen. »Der Auftrag lautet, Näheres über die in der Gasscheibe um das Zentralgestirn der Spore bestehenden Artefakte zu erfahren.«

»Ich nehme an, wir werden dabei kaum mehr als rechtlose Gefangene sein!«, stellte Fairoglan fest.

»Sie können es betrachten, wie Sie wollen.«

»Eine Wahl habe ich wohl kaum.«

»Das ist richtig.«

Fairoglan versuchte seine mentalen Fühler auszustrecken. Was steckte wirklich hinter dem Plan seines Gegenübers? Warum war Byylari plötzlich so wichtig für Enielraq? Für ihn und die Canyaj, die hinter ihm standen.

Der Blick des Yroa ging seitwärts und traf Yc. Soweit er das beurteilen konnte, ging es seinem Schützling den Umständen entsprechend gut.

Enielraq trat an Fairoglan vorbei und wandte sich an einen der beiden Morrhm, die Yc hereingebracht hatten.

An den Rangabzeichen war erkennbar, dass es sich um einen Offizier der Inneren Sicherheitskräfte handelte.

»Kommandant Dasrionen!«, sagte Enielraq.

»Mein Regent!«

»Wie ist die Sicherheitslage?«

»Durch umfangreiche Verhaftungen konnten wir die Situation unter Kontrolle halten«, gab der Offizier Auskunft. »Allerdings sind unsere Aktionen noch nicht ganz beendet.«

Enielraq drehte den Kopf zu Fairoglan herum. Der Morrhm musterte den Yroa mit einem durchdringenden Blick seiner tief liegenden Augen.

»Ich glaube, Sie wissen gar nicht, was Sie durch Ihre törichten Aktivitäten alles ausgelöst haben, Fairoglan! Dutzende von Personen haben Sie zu Mitwissern gemacht.«

Ein Schauder erfasste den Angesprochenen. Er begann zu ahnen, worauf der Regent der Morrhm hinaus wollte.

»Sie wollen doch nicht sämtliche Personen, die in letzter Zeit mit mir Kontakt hatten, verhaften lassen!«, entfuhr es dem Yroa.

»Nein, aber diejenigen, die an Ihren Nachforschungen beteiligt waren. Insbesondere gilt das für einige Raumlotsen... Sofern wir keine Verwendung für sie haben, sind wir leider gezwungen, diese Individuen auszuschalten...«

>Sie sind perfekt organisiert, eiskalt und vollkommen ohne Skrupel!<, ging es Fairoglan durch den Kopf.

Ohnmächtige Wut erfasste ihn. Aber ihm waren die Hände gebunden. Er konnte nichts tun, um diejenigen zu schützen, die ihm geholfen hatten. Er dachte in diesem Zusammenhang etwa an Dresgos, den k'aradanischen Chef der Raumlotsen.

»Eine neue Zeit bricht an«, verkündete der namenlose Shaalkaane. »Wer sich uns entgegenstellt, wird es bitter bereuen!«

*



Ontul führte eine moderne morrhmische Ehe, was sich vor allem darin zeigte, dass er den drei Frauen, mit denen er verheiratet war, seine Gunst jeweils zu gleichen Teilen erwies.

Normalerweise hatte immer nur die ranghöchste Frau Anrecht auf die Zuneigung ihres Ehemanns, wobei die Rangfolge durch Kämpfe untereinander festgelegt wurde. Sinn dieser Tradition war es wohl, möglichst kämpferische Nachkommen zu zeugen.

Es war keineswegs traditionsfeindliche Gesinnung, die Ontul dazu gebracht hatte, seinen Frauen die moderne Ehe-Variante vorzuschlagen, die auf den von Morrhm besiedelten Welten nur von einer kleinen Minderheit bevorzugt wurde. Nein, es war reines Karrieredenken, das ihn dazu geführt hatte, von den hehren Traditionen der Vorväter abzuweichen.

Auf den morrhmischen Welten galten nämlich Tötungshandlungen, die von Ehefrauen ein und desselben Mannes untereinander begangen wurden, nicht als Mord. Ganz im Gegenteil! Die Tötung einer Ehe-Konkurrentin war ein legitimes Mittel im Kampf um das Recht auf Fortpflanzung.

Auf Larsyrc galt jedoch Allianz-Recht.

Ein Morrhm, der eine traditionelle Ehe führte, riskierte, dass ihm die jeweils ranghöchste und daher wahrscheinlich schwangere Frau durch eine Verurteilung wegen Mordes abhanden kam.

Inzwischen wurden für die von Morrhm besetzten Posten auf Larsyrc nur noch Bewerber genommen, die sich zur Führung einer modernen Ehe schriftlich verpflichtet hatten. Ein Erlass des morrhmischen Regenten schrieb das zwingend vor. Schließlich war man die dauernden Querelen zwischen der Allianz-Justiz auf Larsyrc und den dorthin entsandten Morrhm leid, und eine gesonderte Gerichtsbarkeit für die Angehörigen dieses ehedem sehr kriegerischen Volkes wurde von den anderen Kalimpan-Völkern vehement abgelehnt.

Ontuls Offizierslaufbahn im Dienst der Allianz wäre nicht denkbar gewesen, ohne den Verzicht in Kauf zu nehmen, den die moderne Ehe in den Augen beinahe jeden Morrhms bedeutete – den Verzicht auf den kämpferischsten Nachwuchs.

Seinen Frauen war es allerdings noch weitaus schwerer gefallen, sich mit dieser Situation abzufinden. Schon deshalb nicht, weil jede von ihnen felsenfest davon überzeugt gewesen war, ihre Konkurrentinnen über kurz oder lang ausschalten zu können und lange genug Ranghöchste zu bleiben, um schwanger zu werden. Allerdings blieb auch dann das Leben einer morrhmischen Frau gefährlich, denn es gab kein Tabu, das die Tötung einer Schwangeren verbot.

Erst nach der Geburt stand der Nachwuchs unter Schutz.

Ontul stand seinen drei Frauen gegenüber: Garabrée, Suadrée und Nomrenée. morrhmische Frauen waren etwa um ein Drittel kleiner als ihre Männer. Die Knochenschilde am Schädel waren weniger ausgeprägt, die Augen lagen nicht so tief. Ihre Hände besaßen lediglich rudimentäre Krallen, mit denen die lederne Haut eines Morrhms kaum zu ritzen war. Andernfalls hätte sich angesichts der Ehetraditionen dieses Volks das zahlenmäßige Geschlechterverhältnis vermutlich innerhalb weniger Generationen stark verschoben.

«Ein paar Standardjahre auf Larsyrc, dann können wir ins Morrhm-Hauptsystem zurückkehren«, hatte Ontul seinen Frauen ehedem versprochen. «Ihr wisst genau, dass ich als ehemaliger Offizier der Inneren Sicherheitskräfte im Allianz-Dienst Aussicht auf die besten Positionen in der morrhmischen Militärhierarchie habe!«

>Ein paar Standardjahre...<

Diese Worte hielten ihm seine Frauen jetzt oft genug vor.

>Ein paar Standardjahre< waren längst vergangen. Der Status der Ranghöchsten wechselte in einem festen Turnus, und inzwischen waren alle drei Frauen schwanger. Etwas, das in morrhmischen Ehen sehr selten war.

>Und genau das macht mich jetzt verwundbar<, ging es Ontul durch den Kopf.

»Hört zu, ich muss euch etwas sagen«, wandte er sich an seine Frauen.

Garabrée, die im Augenblick ranghöchste unter Ontuls Ehefrauen, verschränkte die Arme vor der sich deutlich vorwölbenden Brust. Von der Schwangerschaft war ihr rein äußerlich noch nichts anzusehen. Eine morrhmische Schwangerschaft dauerte fast fünf morrhmische Standardjahre, und erst im letzten Schwangerschaftsjahr hatte der Fötus eine Größe, die durch eine Ausdehnung des Bauches sichtbar war.

»Womit kommst du uns jetzt? Dass du jetzt doch auf Larsyrc ausharren möchtest, bis du ein paar weitere Stufen auf der Karriereleiter emporgeklettert bist. Und dass deinen Frauen deswegen das Recht auf einen fairen Wettbewerb verweigert wird?«

»Nein, damit hat es nichts zu tun«, sagte Ontul.

Garabrées Augen flackerten unruhig. »Womit dann?«

»Ihr werdet von dem bevorstehenden Krieg gegen die Menschen gehört haben....«

Garabrée wandte sich den anderen beiden Frauen zu. »Seht, was dieser verfluchte Planet mit seinen der Natur widersprechenden Gesetzesvorschriften aus unserem Mann gemacht hat! Einen modernistischen Weichling, der mit seinen Frauen über Politik spricht! Was wird er als Nächstes von uns verlangen? Dass wir unseren Lebensunterhalt selbst verdienen, wie k'aradanische Frauen? Pah!« Sie machte eine wegwerfende Geste mit der Hand.

Ein dumpfes Knurren drang aus Ontuls Rachen. Er bleckte die Zähne und entblößte sogar die Reißer an den Seiten, die normalerweise selbst beim Lächeln verdeckt blieben.

Garabrée zuckte förmlich zusammen, obwohl sie diese Reaktion bewusst provoziert hatte.

Eine Pause des Schweigens entstand.

»Ihr wisst, dass mein k'aradanischer Freund Dresgos vorhin hier war«, erklärte Ontul schließlich.

Die drei Frauen wiegten den Kopf nach rechts. Eine Geste wohlwollender Bestätigung unter Morrhm. Allerdings nur bei Frauen. Bei Morrhm-Männern bedeutete dieselbe Geste eine Herausforderung zum Kampf ohne Regeln und Waffen, der auf Grund der strengen Allianz-Gesetze im Hinblick auf Mord und Körperverletzung auf Larsyrc allerdings ebenso strengen Einschränkungen unterworfen war, wie das eheliche Zusammenleben.

»Es ist eine Verschwörung im Gang«, fuhr Ontul fort. »Sie frisst sich fort im Organismus der Allianz, und es kann sein, dass es bereits zu spät ist, um dagegen etwas unternehmen zu können. Vielleicht ist bereits ein Großteil der Führungsspitze Kalimpans durch Klon-Kopien der Canyaj ersetzt worden. Mein Freund Dresgos, seines Zeichens Chef der Raumlotsen, arbeitete eng mit Fairoglan und Yc zusammen. Beide verschwanden, nachdem zuvor auf das Pflanzenwesen Yc mehrere Mordanschläge verübt worden waren. Es würde mich nicht wundern, wenn die Verschwörer auch meinen Freund Dresgos auszuschalten versuchen. Er war sehr unvorsichtig...«

»Du meinst, dass auch du in Gefahr bist?«, meldete sich Nomrenée zu Wort.

Sie war die kleinste und zierlichste unter Ontuls gegenwärtigen Ehefrauen. Für die Augen eines Morrhms wirkte sie beinahe zerbrechlich. Allerdings war das kein Grund, sie zu unterschätzen. Sie hatte Ontuls allererste Ehefrau Rovvrée umgebracht, die sich zuvor beinahe zwei ganze Morrhm-Jahre ununterbrochen als Ranghöchste behauptet hatte.

»Nicht nur ich bin in Gefahr, sondern auch ihr«, verbesserte er. »Ich möchte, dass ihr mit dem nächsten Schiff zum Planeten Morrhm III zurückkehrt.«

»Und was wird aus dir?«, hakte Nomrenée nach. »Wirst du uns nicht begleiten?«

»Nein. Ich werde versuchen, die Machtübernahme der Feinde zu verhindern. Die Allianz ist zu groß und mächtig, als dass es ein paar Klonen gelingen darf, die Herrschaft zu übernehmen!«

»Wir könnten dich unterstützen«, sagte Garabrée.

»Ihr seid schwanger«, wandte Ontul ein. »Die Verschwörer verfügen über exzellente Verbindungen. Sie werden annehmen, dass Dresgos mich eingeweiht hat und mich in Kürze wie eine K'amlata'r jagen. Es ist für sie ein Leichtes, herauszufinden, dass ihr schwanger seid. Sie wissen, dass ein Morrhm alles tun würde, um seinen Nachwuchs zu schützen. Selbst nach traditionellem Recht haben nur die direkten Ehekonkurrentinnen der Schwangeren das Recht, sie und das ungeborene Leben zu töten. Aber wenn ein Außenstehender eingreift, so würde jeder morrhmische Mann alles tun, um diesen Angriff abzuwehren.«

»Wir wären also eine Belastung für dich«, schloss Garabrée.

»Ja. Sie bräuchten nur eine von euch in die Finger zu bekommen, um mich zum Aufgeben zu zwingen. Also fliegt ihr mit dem nächsten Raumer nach Morrhm III.«

Suadrée, die dritte Ehefrau Ontuls, meldete sich jetzt zum ersten Mal zu Wort. »Wer sagt dir, dass die Verschwörer, von denen du sprichst, nicht auch die Macht haben, den Flugverkehr ins Morrhm-Hauptsonnenystem zu kontrollieren?«

»Natürlich haben sie die Macht dazu«, sagte Ontul. »Deswegen werdet ihr unter falscher Identität und getrennt voneinander reisen. Ich habe alles vorbereitet...«

*



Fairoglan und Yc wurden an Bord der NONG-TO gebracht. Es handelte sich dabei um einen diskusförmigen Spezialraumer, der dem Geheimdienst der Allianz unterstellt war und nicht zu einer der Teilflotten der Mitgliedsvölker gehörte. Die Spezialraumer-Flotte des Geheimdienstes umfasste etwa hundert Einheiten verschiedenster Größe und Bauart. Eine vergleichsweise kleine Armada für besondere Aufgaben, von der nur wenig an die Öffentlichkeit drang.

Offenbar stand aber auch der Geheimdienst bereits unter der Kommandogewalt der Verschwörer. Vielleicht waren auch an entscheidenden Stellen Personen durch Canyaj-Klone ausgetauscht.

>Wenn sie es bereits geschafft haben, diese Einheit zu unterwandern, muss die Verschwörung bereits sehr weit fortgeschritten sein!<, überlegte Fairoglan, während man ihn an Bord der NONG-TO führte.

Der Name leitete sich von einem bedeutenden Fulirr-Politiker her, der während der Entstehungszeit Kalimpans eine wichtige Rolle gespielt hatte und schließlich durch das Attentat eines Allianz-Gegners aus dem Volk der Shaalkaanen zu Tode kam. Noch immer wurde Nong-To als Symbol des Einheitswillens der Allianzvölker verehrt.

Seit ihrem Zusammentreffen mit dem Canyaj-Klon des morrhmischen Regenten Enielraq waren Fairoglan und Yc nicht einen einzigen Moment aus den Augen gelassen worden. Stets waren bewaffnete Wächter um sie herum. Eine Gelegenheit, sich untereinander auszusprechen gab es nicht.

Sie waren rechtlose Gefangene. An diesem Status ließen die Verschwörer zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Zweifel aufkommen. Um so überraschter war Fairoglan, als er gemeinsam mit Yc in die Zentrale des Raumers gebracht wurde.

»Was tun die beiden hier?«, fragte der shaalkaanische Ortungsoffizier, bei dem sich Fairoglan nicht sicher war, ob es sich um jenen Shaalkaanen handelte, den er in Enielraqs Gesellschaft angetroffen hatte.

Das Schattenfeld, das ihn umgab, war für die Augen eines Yroa undurchdringlich.

Fairoglan versuchte, seine mentalen Fühler auszustrecken und sein Gegenüber vielleicht auf diese Weise zu identifizieren.

Der dunkle Schemen bewegte sich ruckartig.

Der Shaalkaane schien Fairoglans schwache Psi-Impulse in irgendeiner Form wahrgenommen zu haben.

Bei seinem Volk handelte es sich um die Abkömmlinge einer Dunkelwelt, deren lebensspendende Energie durch starke vulkanische Kräfte im Inneren und ein planetares Magnetfeld von außergewöhnlicher Intensität erzeugt wurde. Sie waren berühmt für ihre Ortungs- und Tarntechnik. Auf diesem Gebiet hatten sie gegenüber allen anderen Allianz-Völkern einen beträchtlichen Vorsprung. Einzig die Yroa konnten in dieser Hinsicht einigermaßen mit den Shaalkaanen mithalten.

Zwar waren gemischte Einheiten in der Allianz selten, da normalerweise jedes Mitgliedsvolk seine eigenen Flotteneinheiten aufstellte.

Aber sobald eine Mission besondere Erfordernisse an die Tarnung stellte, wurde neben shaalkaanischer Technik häufig auch deren Bedienungspersonal eingesetzt.

Shaalkaanen dienten daher immer häufiger als Ortungsoffiziere oder Aufklärungsspezialisten auch auf Schiffen anderer Kalimpan-Völker.

Insbesondere galt dies natürlich für die diskusförmigen Spezialschiffe des Geheimdienstes.

Allerdings legten sie Grundlagen ihrer überlegenen Technologie auch ihren Verbündeten gegenüber nur so weit offen, wie es unbedingt erforderlich war. Anfangs hatten sie dies überhaupt nicht getan. Erst die immer bedrohlicher werdende Lage der Allianz hatte in der shaalkaanischen Führung zu einem Sinneswandel geführt.

Fairoglans Blick hing an dem schattenhaften Etwas, unter dem sich der Shaalkaane vor dem Licht verborgen hielt.

Außer einem leichten Wabern des Schattenfeldes war rein äußerlich überhaupt keine Reaktion zu sehen. Aber es gab eine mentale Reaktion auf Fairoglans Impulse – und die war für den Yroa-Klon-Zweitling aussagekräftig genug.

>Er ist es!<, durchzuckte es Fairoglan.

Er war sich ziemlich sicher.

In Augenblicken wie diesem wünschte er sich, über eine weitaus stärkere Psi-Begabung verfügen zu können, wie sie für die meisten Yroa-Erstlinge kennzeichnend war. So auch für seinen verstorbenen Bruder Shafor.

»Wir sind uns bereits begegnet«, stellte Fairoglan in Richtung des für ihn noch immer namenlosen Shaalkaanen fest.

Diesem schien es nicht zu gefallen, dass Fairoglan ihn offensichtlich identifiziert hatte.

Der Shaalkaane wiederholte seine Frage. »Was macht dieser Yroa hier auf der Brücke?«

»Anordnung von Regent Enielraq«, erklärte einer der morrhmischen Wächter, die um Fairoglan und Yc herum gruppiert waren und ihre Blaster-Mündungen auf die beiden Gefangenen gerichtet hielten.

Fairoglan hatte längst registriert, dass die Waffen der Wächter im Paralyse-Modus waren.

Offenbar waren er und Yc den Verschwörern weitaus wichtiger, als sie bislang zuzugeben bereit waren. Es sollte offenbar vermieden werden, dass sie bei irgendeiner Widerstandshandlung zu Tode kamen. Der einzige Schluss, der sich daraus ziehen ließ war: Sie hatten offenbar noch Pläne mit ihnen.

»Ich habe mit Ihnen überhaupt nicht geredet«, erklärte der Shaalkaane unterdessen ziemlich hochnäsig an die Wächter gewandt. In seinen Augen hatten diese Morrhm offenbar kaum mehr als den Rang von Lakaien oder Robotern.

Der Shaalkaane bewegte sich seitwärts.

Kein Laut war dabei zu hören.

Kein Schritt. Nichts.

Er wandte sich an einen k'aradanischen Offizier, der offenbar ranghöher war. »Ich verlange eine Erklärung.«

»Die Angaben des Wächters sind korrekt«, erklärte der K'aradan gelassen.

In diesem Moment betrat Kommandant Tardralonnen mit schwerem Schritt die Brücke. Auf dem Weg zum Kommandantensitz gab er bereits die ersten Anweisungen zur Einleitung der Startsequenz.

Die NONG-TO hob ab und schwebte aus dem Großhangar heraus, in dem sie untergebracht gewesen war.

Der Hangar lag tief unter der Oberfläche des Planeten. Einer von unzähligen Hohlräumen. Ein Tunnel führte an die tote Oberfläche Larsyrcs.

Der Planet wurde umgeben von mehreren >Schichten< aus Raumschiffen der verschiedenen Kalimpan-Völker. Wie Kugelschalen schützten sie die Zentralwelt der Allianz. Sie schwebten derart dicht gedrängt um den Planeten herum, dass es unmöglich gewesen wäre, einfach hindurchzufliegen. Die Flottenverbände waren in einer Art ständiger Alarmbereitschaft – mit der derzeit einzigen Aufgabe, Larsyrc zu schützen.

Es gab spezielle Einflugkorridore, um den Raumverkehr aufrecht zu erhalten. Die NONG-TO passierte einen dieser Korridore, nachdem von der Raumkontrolle auf Larsyrc eine Freigabe erteilt worden war.

Fairoglan sah auf dem großen Panoramabildschirm des diskusförmigen Spezialraumers die unzähligen Raumschiffe, die sich im näheren Umkreis befanden.

Eine gewaltige Raumflotte.

Und doch war sie bislang gegen die Menschen chancenlos gewesen. Die Eroberer konnten über ihre Wurmlöcher jederzeit Nachschub in offenbar fast beliebiger Menge herbeischaffen. Da das Heimatsystem unbekannt gewesen war, hatte die Möglichkeit zu einem wirklich empfindlichen Gegenangriff nicht bestanden.

Genau das hatte sich nun geändert.

Die genauen, ansteuerbaren Koordinaten der Menschen-Heimat namens Erde waren in den Händen der Allianz-Führung.

Fairoglan schwirrte eine verwirrende Vielfalt von Gedanken im Kopf herum. Er erinnerte sich daran, wie der Noleek Konard ihm den etwa münzgroßen Datenträger gegeben hatte, bevor er ihn und Yc in der Nähe Larsyrcs ausgesetzt hatte. Auf diesem Datenträger hatten sich die Koordinaten befunden.

Jetzt bereitete sich die Allianz auf einen Angriff vor. Die Gelegenheit war einfach zu günstig, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen.

Die NONG-TO ließ schließlich den Korridor aus Raumschiffen hinter sich und schwebte im freien Raum.

Der shaalkaanische Offizier, dessen Aufmerksamkeit in den letzten Augenblicken vollkommen von der Funktion aufgesogen worden war, die er an Bord der NONG-TO zu erfüllen hatte, meldete jetzt erneut seinen Protest gegen die Anwesenheit der Gefangenen auf der Brücke an.

»Der Befehl Enielraqs existiert tatsächlich«, erklärte Kommandant Tardralonnen daraufhin. »Unsere Passagiere haben nämlich auf unserer Mission eine Aufgabe zu erfüllen!« Er wandte sich Fairoglan und Yc zu und entblößte die Zähne.

»Darüber wurde ich nicht informiert!«, ließ sich der Shaalkaane hörbar beleidigt vernehmen.

»Es tut mir Leid, dass auf Ihre Empfindlichkeit in dieser Hinsicht keine Rücksicht genommen werden konnte!«, versetzte Kommandant Tardralonnen. Er wandte sich an den k'aradanischen Navigator. »Maximale Beschleunigung. Die Koordinaten unseres Zielortes dürften bereits in das Navigationssystem der NONG-TO eingespeist worden sein.«

Die Hand des K'aradan glitt über ein Terminal. Projektionsfelder erschienen und zeigten für die Navigation wichtige Daten an.

Unter anderem aktivierte der K'aradan ein Feld, auf dem ein dreidimensionaler Kartenausschnitt der Galaxis zu sehen war. Der K'aradan zoomte näher heran, bis der Zielpunkt erkennbar wurde.

Eine Sonne unter Milliarden von Gestirnen.

Und doch war dieser Stern einzigartig.

Fairoglan erkannte ihn sofort wieder.

Er war von einer leuchtenden, scheibenförmigen Gaswolke umgeben und wirkte wie eine gigantische Version eines Planeten mit Ring.

»Das Licht von Byylari!«, stieß Yc unwillkürlich hervor. Auch er hatte mit Hilfe seiner für die optische Wahrnehmung zuständigen Seh-Knospen die Projektion des Navigators bemerkt.

Kommandant Tardralonnen verzog den Mund, sodass ein Teil seiner blitzenden Raubtierzähne entblößt wurde.

»Ganz recht, wir fliegen in deine Heimat, Pflanzenartiger!«, erklärte er anschließend.

Ycs tentakelartige Fortsätze zitterten leicht.

Fairoglan konnte den emotionalen Aufruhr spüren, in dem er angesichts der neuen Lage geraten war.

»Was ist der Grund für den Flug nach Byylari?«, fragte er.

»Dieser Stern hat in den Katalogen der Allianz die Nummer 23112«, korrigierte Tardralonnen. »Als Entdecker sind ein Yroa namens Shafor und sein Klon-Bruder Fairoglan eingetragen.«

»Sie weichen meiner Frage aus«, stellte Fairoglan kühl fest.

Tardralonnen zögerte und wechselte einen kurzen Blick mit dem k'aradanischen Navigator.

»Die Mission hat das Ziel, die Rätsel dieser offensichtlich künstlich angelegten Konstellation zu erforschen. Und Sie beide könnten dabei sehr nützlich sein.«

Fairoglan war verwirrt.

Worin lag der tiefere Sinn dafür, dass man ihn und Yc nicht einfach ausgeschaltet hatte, sondern auf eine Forschungsmission in einen entfernten Sektor mitnahm? Eine Forschungsmission, die außerdem entweder von Canyaj-Klonen oder ihnen zumindest sehr ergebenen Personen durchgeführt wurde.

>Es muss einen Zusammenhang zwischen der Lage auf Larsyrc, der Verschwörung der Canyaj gegen die Allianz und dieser angeblichen Forschungsmission geben!<, erkannte Fairoglan. Aber so sehr er sich auch das Hirn zermarterte, er konnte diesen Zusammenhang einfach nicht entdecken.

»Eigenartig«, stellte er gedehnt fest. »Larsyrc befindet sich in der wahrscheinlich kritischsten Lage seiner Geschichte, ein ausgesandtes Spähschiff hat nach den von mir übermittelten Koordinaten endlich die Zentralwelt der Menschen gefunden – und gleichzeitig wird ein Spezialschiff des Kalimpan-Geheimdienstes mit einer Forschungsmission an den Rand des bekannten Teils der Galaxis betraut!«

Der Morrhm hob leicht den Kopf. »Worauf wollen Sie hinaus?«

»Ich verlange eine Erklärung!«

»Es gibt nichts, was Sie verlangen können«, erwiderte Tardralonnen eisig. »Seien Sie froh, dass man Sie am Leben gelassen hat und tun Sie im Übrigen, was ich Ihnen sage.«

Die NONG-TO hatte inzwischen den Rand des Larsyrc-Systems erreicht.

Der echsenartige Fulirr-Pilot nahm noch einmal Kontakt mit der Raumkontrolle auf, um die Transition anzumelden.

Anschließend ging die NONG-TO in den Überlichtflug.

*



Das shaalkaanische Spähschiff trug den Namen ALLIANZ und schwebte getarnt am Rande des Heimatsystems der Menschen.

Es hielt sich dabei noch außerhalb der Wolke aus Gesteinsbrocken, Eisklumpen und kleineren Planetoiden, die das System im weiteren Abstand umgab. Aus dem Funkverkehr, den man hatte abhören können, wusste die Besatzung der ALLIANZ, dass die Menschen für diese Zone die Bezeichnung »Oortsche Wolke« benutzten.

Für den einzigen Nicht-Shaalkaanen an Bord des Schiffes wäre es ohne ein leistungsstarkes Nachtsichtgerät stockdunkel in der Zentrale gewesen.

Er hieß Gelendos, war K'aradan und besaß einen Lehrstuhl an der Makaschah, der legendären Stadt des Wissens auf Aradan. Sein Rat wurde allerdings auch auf Larsyrc häufig in Anspruch genommen. Gelendos war gegenwärtig der renommierteste Menschen-Forscher, den Kalimpan bislang hervorgebracht hatte. Das war auch der Grund, weshalb er an dieser Mission teilnahm.

Dem shaalkaanischen Kommandanten war es von Anfang an unangenehm gewesen, einen Nicht-Shaalkaanen an Bord des Schiffes zu wissen. An Bord der ALLIANZ herrschten Lebensbedingungen, die denen auf der Dunkelwelt Shaalkaan entsprachen. Die Besatzung brauchte sich daher nicht mit Schattenfeldern vor der Helligkeit zu schützen, die für Angehörige ihrer Spezies starke gesundheitliche Beeinträchtigungen bis hin zum Tod bewirken konnten.

Gelendos konnte mit Hilfe seines Nachtsichtgerätes die schwächlichen, bleichen Körper der Shaalkaanen sehen. An Gürteln trugen sie Antigravaggregate. Die dazugehörigen Steuermodule wurden ihnen bei der Geburt implantiert und direkt mit ihren Hirnströmen verbunden. Die Gliedmaßen ihrer entfernt humanoiden Körper waren kraftlos und nur gerade dazu fähig, Sensorfelder von Rechnerdisplays oder anderen technischen Geräten zu bedienen. Allerdings bevorzugten sie eine Benutzung ihrer Ausrüstung durch ihre Hirnströme. Mit Hilfe von Impulsverstärkern waren sie in der Lage, mit den meisten Systemen zu interagieren.

Viele Shaalkaanen benutzten hochaktive Stimulanzien, um ihre fehlende körperliche Energie auszugleichen. Immer wieder hatte es Versuche gegeben, diese Stimulanzien auch auf Larsyrc oder anderen Allianz-Welten einzuführen. Mit teilweise verheerenden Folgen. Die Körper der Shaalkaanen waren an den Gebrauch dieser Substanzen gewöhnt, die der anderen Allianz-Völker jedoch nicht.

Es gab scharfe Gesetze gegen die Einfuhr shaalkaanischer Drogen – die jedoch immer wieder durch die Machenschaften von Syndikaten unterlaufen wurden.

Die überlegene Tarntechnik der Shaalkaanen trug dazu bei, dass die Behörden der Allianz und der anderen Kalimpan-Völker in diesem Fall auf verlorenem Posten standen.

Kommandant Malaak-234 wandte den gewaltigen Kopf. Besonders die hintere Partie war sehr stark ausgeprägt. Pulsierende Adern waren an seinem ballonartigen Schädel zu sehen, dem gegenüber sich das bleiche Gesicht mit den schwarzen Augen und den vier Nasenlöchern eher klein ausnahm.

Gelendos wandte den Blick zur Seite.

Es handelte sich um eine Geste der Höflichkeit. Den meisten Shaalkaanen war es nämlich ausgesprochen unangenehm, von Angehörigen anderer Spezies betrachtet zu werden. Das erklärte auch die unverhohlene Ablehnung, der sich Gelendos zunächst an Bord der ALLIANZ gegenübergesehen hatte.

Einem Shaalkaanen war es schlicht und ergreifend peinlich, sich zu zeigen und den Blicken eines Außenweltlers ausgesetzt zu sein.

Untereinander, so hatte Gelendos des Öfteren beobachten können, senkten die Shaalkaanen den Blick und vermieden es sichtlich, sich gegenseitig zu lange anzustarren.

Worin diese besondere, wohl auch kulturell bedingte Empfindlichkeit begründet lag, wusste selbst ein auf außer-k'aradanische Intelligenzen spezialisierter Gelehrter wie Gelendos nicht zu sagen.

»Was empfinden Sie dabei, dass unsere Feinde beinahe so aussehen wie Sie?«, fragte Malaak-234.

>Das ist ein Punkt, der wohl auch eine Rolle bei der Ablehnung spielte, die mir entgegenschlug<, überlegte Gelendos. >K'aradan und Menschen sehen sich unglücklicherweise sehr ähnlich...<

»Sagt eure Religion nicht, dass der äußere Schein nichts, das innere Sein aber alles ist?«, fragte Gelendos zurück, ohne dabei seinen Gesprächspartner anzusehen.

»Oh, Sie haben sich anscheinend nicht nur mit der Kultur unseres Feindes beschäftigt!«

»Ihr fürchtet den Lichtgott und sucht Zuflucht in der angenehmen kühlen Dunkelheit des Gottes der Finsternis«, stellte Gelendos fest. »Aber die Lehren eures Volkes sagen auch, dass der Gott der Finsternis ohne den Lichtgott nicht existent wäre.«

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Darauf, dass Sie jene Toleranz üben sollten, die Ihre eigene Kultur von Ihnen verlangt, Malaak-234.«

Die Hand des Kommandanten bewegte sich ein Stück aufwärts.

Eine ungewöhnliche Geste für einen Shaalkaanen. Sie bedeutete mit Sicherheit eine große Kraftanstrengung für ihn.

»Sie haben Recht«, gab Malaak-234 schließlich zu. »Niemand sollte Gefangener seiner eigenen Vorurteile oder des äußeren Scheins werden!«

»Respekt vor deinem Klon-Vater!«, entgegnete Gelendos nun mit einer traditionell unter Shaalkaanen üblichen Formel der Respektbezeugung.

Unter Shaalkaanen war seit langer Zeit das Klonen die übliche Fortpflanzungsart. Der Name des Kommandanten bedeutete nichts anderes, als dass er der zweihundertvierundreißgste Klon eines gewissen Malaak war.

Den ursprünglichen Klonvätern und -müttern galt dabei besondere Verehrung. Da es nur noch selten vorkam, dass Shaalkaanen sich zur geschlechtlichen Fortpflanzung entschließen konnten, existierten immer weniger von ihnen.

Der Ortungsoffizier meldete sich. »Es gibt im Menschen-System einige ungewöhnliche Aktivitäten.«

»Was ist darunter zu verstehen?«, fragte Malaak-234 etwas ungehalten.

»Detonationen größeren Ausmaßes, vielleicht Folgen von Kampfhandlungen.«

»Wo genau?«

»Planet IV«, teilte der Ortungsoffizier mit.

»Die rote Staubwüste?«

»Exakt.«

Bei der Nummerierung der Planeten legte man das Datenmaterial zu Grunde, das Fairoglan an die Führung der Allianz Kalimpan übergeben hatte. Planet III, die Hauptwelt der Menschen, lag ebenso wie sein Trabant unsichtbar hinter einem Schattenschirm.

»Ich möchte Bilder!«, verlangte Malaak.

»Einen Moment, Kommandant. Gleich bin ich so weit.«

Es gab in der Zentrale eines shaalkaanischen Schiffes nichts, was mit einem Panorama-Bildschirm oder einer großen Holoprojektion vergleichbar gewesen wäre, wie es auf Schiffen anderer Allianz-Völker gang und gäbe war.

Stattdessen wurden optische Daten über entsprechende Interfaces auf die Hirnrinden der Shaalkaanen projiziert. Auf diese Weise umging man die sehr empfindlichen Augen der >Schatten<, wie sie von den anderen Allianz-Völkern auch genannt wurden.

Für Gelendos bedeutete dies, dass er als Einziger an Bord der ALLIANZ nichts von dem sehen konnte, was der Ortungsoffizier als große Entdeckung angekündigt hatte.

»Im Orbit des vierten Planeten befindet sich ein Raumschiff von höchst ungewöhnlicher Form!«, erklärte der Ortungsoffizier. »Sie müssten es jetzt eigentlich sehen können!«

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.

Zu beeindruckt waren die Shaalkaanen auf der Brücke, in deren Hirne die von den optischen Sensoren aufgezeichneten Bilder projiziert wurden.

Gelendos fluchte innerlich.

Eigens für ihn ein adäquates optisches System zu installieren war in Anbetracht des überstürzten Aufbruchs zu dieser Mission nicht möglich gewesen, und die shaalkaanischen Interfaces funktionierten nur bei Angehörigen der Schatten-Spezies.

»Ich werde es Ihnen beschreiben«, sagte Kommandant Malaak-234 mit überraschender Höflichkeit.

Er schien noch ganz unter dem Eindruck des Gesehenen zu stehen. Bilder, die eine Intensität haben mussten, die sich ein K'aradan wohl kaum vorstellen konnte. Vergleichbar mit allenfalls sehr plastischen Traumbildern.

»Dieses Raumschiff sieht aus wie die Riesenraubvögel, die es auf Aradan gibt. Ich habe zwar nur Hologramme meines Klon-Sohns gesehen, der im Rahmen seines Biologie-Studiums an einer U-Boot-Exkursion im k'aradanischen Ozean teilnahm, aber die Ähnlichkeit ist frappierend.«

Gelendos hob das Kinn. »Ich denke, ich habe jetzt eine Vorstellung.«

»Auf jeden Fall handelt es sich nicht um ein Menschen-Schiff!«, stellte der Ortungsoffizier klar.

Die Meinung des Kommandanten war in diesem Punkt weit weniger eindeutig. »Es könnte ja sein, dass wir diesen Schiffstyp der Menschen einfach nur noch nicht begegnet sind!«

Der Ortungsoffizier meldete sich erneut zu Wort. »Da sind ein paar widersprüchliche Daten, aber... Dieses Raumschiff hat sich der Oberfläche genähert und scheint jetzt etwas an Bord zu nehmen. Etwas, das sich unter der Planetenoberfläche befindet!«

Malaak-234 sah das Raubvogelschiff mit größerer Genauigkeit vor sich, als es mit einer hoch auflösenden Projektion möglich gewesen wäre. Wichtige Daten wurden ebenfalls sofort eingeblendet.

Das Raumschiff nahm einen Gegenstand von gewaltigen Ausmaßen an Bord.

»Kommandant, wir verzeichnen mehrere Explosionen in der Kugelwolke aus Gesteins- und Eisbrocken, die das Menschen-System umgibt!«, meldete der Ortungsoffizier. »Außerdem nimmt das Raubvogelschiff jetzt Fahrt auf. Es entfernt sich mit hohen Beschleunigungswerten! Es ist für die Streitkräfte der Menschen nicht möglich, das Raubvogelschiff aufzuhalten.«

Das rätselhafte Schiff beschleunigte auf Überlichtgeschwindigkeit. Die Anomalien in der Raumstruktur waren noch einige Augenblicke lang von der ALLIANZ aus anzumessen. Außerdem gab es Schwankungen im Niveau der Dunklen Energie. Inwiefern dies mit dem bisher unbekannten Antrieb des Raumers zu tun hatte, konnte wohl erst durch aufwändigere Analysen herausgefunden werden.

»Das Schiff ist verschwunden«, stellte der Ortungsoffizier schließlich ziemlich resigniert fest. »Zumindest haben wir seine Spur verloren.«

Kommandant Malaak-234 wollte sich damit nicht zufrieden geben. »Schalten Sie alle Ortungssysteme auf maximale Leistungsstufe!«

»Jawohl.«

»Kommunikationsoffizier?«, rief Kommandant Malaak-234.

»Ja?«

»Lassen Sie bitte sämtlichen empfangbaren Funkverkehr im Menschen-System auf Informationen hin untersuchen, die mit diesem Vorfall in Zusammenhang gebracht werden können. Stellen Sie sofort eine Verbindung mit Larsyrc her!«

*



Auf Larsyrc tagte auf Grund der sich zuspitzenden Lage ein ständiger Krisenstab. Darüber hinaus wurden regelmäßige Sitzungen des Allianz-Rates einberufen.

Hgrrek, der erste der Chgorr, flatterte mit seinen hauchdünnen Flugmembranen in den spartanisch eingerichteten Sitzungssaal des Krisenstabes hinein.

Gerade hatte er seine >Heilige Zeit< hinter sich. Schlaf im eigentlichen Sinn kannten die schmetterlingshaften Chgorr nicht. Um ihrem Geist Ruhepausen zu gönnen, die für das Funktionieren des Gehirns unbedingt notwendig waren, versetzten sie sich mit Hilfe ausgefeilter Meditationstechniken in eine regenerative Trance – die >Heilige Zeit<.

Hgrrek nahm seinen Platz ein. Die Färbung seiner Flugmembran verriet, wie aufgewühlt er innerlich war.

Im Augenblick fiel er dadurch nicht weiter auf. Jedem Anwesenden war die Erregung in der einen oder anderen Form anzumerken. Schließlich war es endlich gelungen, die Menschen-Heimat zu finden, die so lange vor dem Zugriff ihrer Gegner verborgen gewesen war.

Ein Sieg über die Eroberer lag vielleicht in greifbarer Nähe.

Aber Hgrreks aufgewühlter innerer Zustand hatte noch mit einem anderen Umstand zu tun.

Es war die Furcht vor der Entdeckung, schließlich war das schmetterlingsartige Wesen lediglich eine Klon-Kopie des ersten Chgorr.

Die ausgefeilte Technik der Canyaj hatte es möglich gemacht, eine der Bewusstseinskopien in ihn einzupflanzen, die man dem Pflanzenwesen Yc hatte entreißen können.

>Ich bin Hgrrek!<, ging es dem Chgorr durch den Kopf. Das war ein Gedanke, den er sich fast automatenhaft immer und immer wieder vergegenwärtigte. Fast so, als müsste er sich seiner eigenen Identität versichern.

Enielraq traf etwas später ein. Er war in ein vertrauensvolles Gespräch mit Neliebrab vertieft, dem Yroa-Regenten auf Larsyrc.

Neben der massigen Gestalt des Yroa-Erstlings wirkte selbst der kräftig gebaute Morrhm beinahe schmächtig. Neliebrabs Klon-Bruder stand daneben und wartete geduldig auf Anweisungen seines Bruders.

Hgrrek beobachtete die Szene mit Zufriedenheit. Die Rot-Töne verschwanden aus dem Farbenmuster seiner Flugmembran.

>Neliebrab ist auch einer von uns<, ging es dem zerbrechlich wirkenden schmetterlingsartigen Wesen durch den Kopf. >Die Allianz wird sehr bald vollständig in unserer Hand sein...<

Als Neliebrab und Enielraq sich schließlich dazu herabließen, ihre Plätze aufzusuchen, nickte der Morrhm Hgrrek kurz zu.

In der Vergangenheit hatten beide Regenten oft Differenzen miteinander gehabt. Auf der einen Seite befand sich der in der Meditationsschule des Hgalrrah ausgebildete, feinsinnige und im Grunde seines Herzens friedliebende Hgrrek, für den ein empfindliches, feinnerviges Gewissen jede Entscheidung zu einer Abwägung unterschiedlicher Übel machte. Dagegen stand der fast barbarisch anmutende Enielraq, der seine drei Frauen in den juristisch immunen Diplomatenstatus erhoben hatte, damit sie auch während längerer Aufenthalte auf Larsyrc das Recht behielten, sich gegenseitig zu verletzen oder umzubringen, ohne bestraft werden zu können.

Größere Charaktergegensätze als bei diesen beiden Regenten waren eigentlich kaum denkbar. Aber die Verwunderung über plötzlich äußerst harmonisches Einvernehmen war angesichts der sich überschlagenden Ereignisse bei den meisten in den Hintergrund getreten.

Nur Fairoglan hatte sich davon nicht blenden lassen, doch der ehemalige Sucher der Allianz war ausgeschaltet worden.

Hgrrek wusste von der Mission zu einer Sonne mit der Katalogbezeichnung 23112, auf die sowohl Fairoglan als auch das Pflanzenwesen Yc mitgenommen worden waren. Im Schatten der Tatsache, dass das Menschen-Heimatsystem entdeckt worden war und ein Krieg unmittelbar bevorstand, schenkte ihr wohl niemand Aufmerksamkeit.

>Eigentlich schade, dass Fairoglan und Yc von dieser Mission nicht zurückkehren werden<, überlegte Hgrrek. >Sie hätten uns vielleicht noch nützlich sein können, wenn man ihre Originale gegen kooperationsbereite Kopien austauschen würde...<

Eine Bewusstseinskopie hätten die Canyaj sicherlich auch aus den Originalen gewinnen können.

Ein Teil von Hgrreks Bewusstsein wunderte sich über die Skrupellosigkeit seiner Gedanken.

Eine Erkenntnis ergriff ihn beinahe schmerzhaft.

>Es hat sich etwas verändert. Du bist nicht nur Hgrrek...< Da waren Komponenten in seiner Persönlichkeit, die überhaupt nichts mit jenem Wesen zu tun hatte, dessen Bewusstseinskopie seinen Klonkörper beseelte.

Admiral Sarew-967 ergriff das Wort. Der Shaalkaane diente im obersten Planungsstab der Flotte, dessen Aufgabe es war, die Aktionen der einzelnen, nach Mitgliedsvölkern unterschiedener Teilflotten zu koordinieren. Das ihn umgebende Schattenfeld ließ Sarew-967 wie einen dunklen Schemen erscheinen.

»Unser Spähschiff ALLIANZ hat inzwischen umfangreiche Lageberichte über die Situation im Menschen-Heimatsystem übermittelt«, erklärte der Admiral. »Danach ist die eigentliche Heimat dieser kriegerischen Art offenbar Planet Nummer drei, der hinter einem Schattenschirm verborgen ist, der seine Entdeckung bisher erschwert hat. Ohne das Datenmaterial, das Fairoglan uns zur Verfügung stellte, würden wir wahrscheinlich immer noch glauben, dass sich dort einfach nur leerer Raum befindet!«

»Issst esss bereitsss gelungen, mit Sssensoren oder Ssssonden diesssen Schattenschirrrm zu durrrchdrrringen?«, erkundigte sich Zegrian, der in Sicherheitsfragen besonders engagierter Yroa-Erstling.

>Warum ist sein Klon-Bruder heute nicht anwesend und steht seinem Klon-Erstling zur Verfügung?<, ging es Hgrrek – beziehungsweise seinem Canjay-Klon – verwundert durch den Kopf.

Sarew-967 dachte einen Moment nach, ehe er antwortete. »Derartige Maßnahmen erschienen uns zu risikoreich. Im Fall einer Entdeckung müsste die ALLIANZ mit sofortiger Vernichtung rechnen. Aber wir konnten durch das Auffangen und Entschlüsseln zahlreicher Funkbotschaften schon einiges an Erkenntnissen sammeln. Danach wird die Heimat der Menschen von seinen Bewohnern Erde genannt und derzeit von einer Institution beherrscht, die als >der Mastermind< bezeichnet wird. Der Transport ihrer Raumschiffe läuft über ein Wurmloch, was ihre technische Überlegenheit in dieser Hinsicht zeigt.«

»Ihre Transportkapazität durch das Netz von Wurmlöchern, mit denen sie ihren Machtbereich überzogen haben, war bislang ihr größter strategischer Vorteil«, stimmte Asmombros, der Regent Aradans zu. Die unseligen Zeiten des zerstrittenen Erb-Triumvirats waren im Reich der K’aradan lange vorbei. »Aber da wir jetzt den Ursprung dieser Flut von Eroberern kennen, können wir das Übel bei der Wurzel packen!«

»Gegenwärtig werden starke Kampfverbände von Shaalkaanen, K'aradan und Morrhm mobilisiert und auf den Einsatz vorbereitet. Auch die Qriid mobilisieren Schiffe. Allerdings sind die Menschen in der Lage, gewaltige Flottenressourcen innerhalb kürzester Zeit zu mobilisieren. Mit Hilfe der Wurmlöcher können sie ihre Verbände sehr kurzfristig aus der hintersten Ecke der Galaxis zurückbeordern. Wir werden also das Letzte an Reserven aufbieten müssen, um es mit ihnen aufnehmen zu können.«

»Noch herrscht kein Krieg zwischen Menschen und der Allianz«, meldete sich nun Saroo-Otnof zu Wort, seines Zeichens Regent der echsenartigen Fulirr. »Und in Anbetracht der Kräfteverhältnisse und eine eventuell in näherer Zukunft folgende Auseinandersetzung mit den Canyaj sollten wir uns auch gut überlegen, ob wir es tatsächlich auf eine Konfrontation ankommen lassen.«

»Ich muss dieser Ansicht ausdrücklich zustimmen«, erklärte Admiral Sarew-967. »Es könnte sein, dass die Allianz den Großteil ihrer Flotte verliert und anschließend den Canyaj vollkommen schutzlos ausgeliefert ist!«

»Andererseits kommt eine Gelegenheit wie diese so schnell nicht wieder«, sagte Enielraq.

»Ich möchte einen Kompromiss vorschlagen«, erhob nun der K'aradan Asmombros das Wort.

Der Blick seiner Augen glitt die Reihe der anderen Gesprächsteilnehmer entlang. Er war ein ausgebuffter Rhetoriker, wie er in zahllosen Reden vor dem großen Allianz-Rat eindrucksvoll bewiesen hatte, und wusste ganz genau, wann er mit einer Pause mehr Aufmerksamkeit zu erringen vermochte als mit einem ungezügelten Redeschwall.

Als er sich der Aufmerksamkeit der Versammlung sicher war, fuhr Asmombros fort. »Zunächst sammeln wir so viele Flottenverbände wie möglich rings um das Menschen-System. Dann stellen wir den Menschen gegenüber ein scharfes Ultimatum. Sie müssen sich uns gegenüber in Bezug auf ihre weiteren Pläne erklären und verbindlich festlegen. Bislang haben sie unsere diplomatischen Annäherungsversuche einfach ignoriert, aber das dürfte jetzt nicht mehr möglich sein.«

»Und Sie glauben, dass sich die Menschen an eine derartige Festlegung halten und das Gebiet der Allianz respektieren werden?«, fragte Hgrrek.

Asmombros wandte sich an den Ersten der Chgorr und hob die Augenbrauen.

»Es erstaunt mich etwas, einen derartigen Einwand gerade von Ihnen zu hören, Hgrrek! Schließlich sind Sie in der Vergangenheit doch in allen Belangen für Verhandlungslösungen eingetreten.«

»Auffassungen können sich ändern«, erklärte Hgrrek ruhig. »Ich gebe zu, dass ich vieles von dem, was ich früher geäußert habe, im Licht der neuen Entwicklungen noch einmal gründlich überdenken musste. Die Menschen haben sich bereits sehr nahe an das Allianzterritorium herangearbeitet und mit Marla bereits eine Welt annektiert, die eindeutig unter dem Einfluss meiner Nation gestanden hat. Es mag sein, dass sich Völker, deren Heimatwelten etwas weiter entfernt von der Gefahr sind, sich etwas mehr an Verhandlungsbereitschaft leisten können!«

»Ich kann dem nur zustimmen«, sagte Enielraq. »Wir Morrhm sind jedenfalls bereit zu kämpfen und dieser Menschen-Pest den Garaus zu machen.«

Tumultartiges Stimmengewirr erhob sich, Hgrreks Fühler zitterten leicht.

Der Erste der Chgorr hatte das Gefühl, nicht wirklich selbst geredet zu haben. Vielmehr war es so gewesen, als ob ein Programm mit ihm automatisch abgelaufen war. Ein Programm, das einer der anderen Redebeiträge ausgelöst haben musste wie bei einem posthypnotischen Befehl. Hgrrek erschrak darüber.

>Eine Marionette bin ich<, ging es ihm durch den Kopf.

Die Widersprüche zwischen dem, was er vertrat und dem, was er eigentlich dachte, waren beachtlich. So beachtlich, dass es ihm schon beinahe körperliche Beschwerden verursachte, wenn er nur daran dachte.

Ethische Integrität und gerechte Abwägung verschiedener Standpunkte – das waren die Werte, die alle vier der miteinander konkurrierenden Meditationsschulen der Chgorr vertraten. Auch die Lehre des Hgalrrah, der Hgrrek selbst angehörte.

>Niemand sollte sich in seinem Handeln von seiner Seele entfernen, sonst wird er unweigerlich Schaden an Körper und Geist nehmen<, erinnerte er sich an einen der Lehrsätze. >Genau das habe ich gerade getan!<

Hgrrek hätte am liebsten dagegen rebelliert. Aufbegehrt. Es hinausgeschrien, dass er nichts weiter war als ein Klon, den man gegen den tatsächlichen Herrscher der Chgorr ausgetauscht hatte. Aber er konnte es nicht. Es war unmöglich. Ein inneres >Programm< – ähnlich dem, das ihn soeben als Hardliner in der außenpolitischen Auseinandersetzung mit den Menschen hatte auftreten lassen – war dafür verantwortlich.

»Der Vorschlag von Regent Asmombros erscheint mir auch aus militärischer Sicht sehr sinnvoll zu sein«, mischte sich nun Admiral Sarew-967 ein. »Erstens gewinnen wir auf diese Weise Zeit und können abwarten, wie die Canyaj sich verhalten. Und zweitens gibt es Anzeichen dafür, dass im Zentrum der Menschen-Macht selbst Konflikte existieren, von denen uns bisher nichts bekannt war.«

Alle Augen waren auf die schattenhafte Erscheinung des Shaalkaanen gerichtet.

»Wovon sssprrrechen Sssie?«, verlangte Zegrian zu wissen.

»Die Meldung kam erst, kurz bevor ich diese Sitzung betrat«, entschuldigte sich der Shaalkaane. »Aber es gab offensichtlich Kampfhandlungen im Heimatsystem der Menschen. Die genauen Hintergründe konnten wir natürlich noch nicht analysieren, aber falls es Differenzen zwischen rivalisierenden Machtgruppen geben sollte, würde ein Ultimatum diese Kräfte vielleicht ermutigen, sich durchzusetzen!«

»Auf jeden Fall kann eine Entscheidung von dieser Tragweite nicht vom Krisenstab allein getroffen werden«, erklärte Enielraq. »Wir müssen eine Eilentscheidung des gesamten Rates herbeiführen.«

Auch Asmombros war damit einverstanden. »Gut, aber wir sollten dafür sorgen, dass der Rat sofort zusammentrifft.«

Das traf auf allgemeine Zustimmung.

»Dann können wir diese Sitzung ja schließen«, meinte der Regent der Fulirr.

Der echsenartige Saroo-Otnof hatte turnusgemäß die offizielle Leitung des Krisenstabes.

Er sah sich um.

Zegrian hob seine mächtige Pranke, um damit anzudeuten, dass er noch eine Wortmeldung zu machen hatte. Er stand auf, erhob seinen massigen Körper und atmete tief durch, bevor er dröhnend zu sprechen begann.

»Esss gibt noch etwasss zzzzu besssprrrechen!«, verkündete er.

Alle anderen Anwesenden sahen ihn erstaunt an.

In diesem Augenblick öffnete sich eine Schiebetür, und der Klon-Bruder des in Sicherheitsfragen so engagierten Yroa-Erstlings Zegrian betrat den Raum. Er eilte sogleich zu seinem Klon-Bruder.

Der massige Zegrian beugte sich nieder, während sein sehr viel kleinerer und vor allem schmalerer Bruder ihm etwas ins Ohr flüsterte.

Zegrian nickte. Sein Gesicht verzog sich etwas.

Unter den Anwesenden war inzwischen Unruhe entstanden.

»Was soll dieses Theater?«, ereiferte sich der Morrhm Enielraq.

Und auch Zegrians eigener Regent, der ebenso massige Neliebrab, schien alles andere als begeistert zu sein und verlangte eine Erklärung.

»Eine Errrklärrrung wirrrd mein Kllllooon-Bruder geben!«, war die überraschende Antwort Zegrians.

Neliebrab tobte.

Ein in seinen Augen wertloser Klon-Zweitling sollte hier, vor diesem Gremium eine Erklärung abgeben? Gewiss, der diesmal abwesende Fairoglan war auch ein Klon-Zweitling, aber der hatte immerhin seine unzweifelhaften Verdienste um die Allianz vorzuweisen.

»Mein Zzzweitling gibt die Errrklärrrung!«, dröhnte Zegrian erneut. »Esss geht nämlich um einen anderrren Klon-Bruder... Daher issst es angemesssen, dassss ich nicht ssselbssst ssspreche!«

Immerhin hatte Zegrian seine mentale telepathische Präsenz reduziert. Sonst wäre es für die anderen Anwesenden unerträglich geworden. Die Allianz-Regeln schrieben das für Yroa bei allen Treffen auf Allianz-Ebene vor. Insbesondere für stark begabte Klon-Erstlinge.

Hgrreks Fühler zitterten. Er war froh, dass die Marter für sein feines Gehör jetzt vorbei war und Zegrians Klon-Bruder zu reden begann, während sich der Erstling setzte.

»Mein Name ist Ragolian«, erklärte der schlanke, fast schmächtige Yroa. »Ich spreche hier mit der Erlaubnis und im Auftrag meines Bruders, der mich im Übrigen auch beauftragte, Nachforschungen anzustellen...«

Enielraq wurden ungeduldig und unterbrach den eher schüchtern auftretenden Ragolian. »Zur Sache bitte! Mir ist einfach nicht klar, was das alles hier soll! Und im Moment stehen wir vor sehr wichtigen Entscheidungen!«

Der Morrhm verstummte, als er die autoritäre Handbewegung des Yroa-Regenten Neliebrab sah. »Vielleicht issst es bessser, er rrrredet hierrr, als wenn errr in derrr Verrsssammlung desss hohen Rrrates damit anfängt!«, gab der gewaltige Neliebrab seiner Meinung Ausdruck.

Enielraq machte eine ärgerliche, wegwerfende Handbewegung, bei der er seine Zähne wie ein Raubtier entblößte – selbst die Eckzähne! Und nicht nur die Hauer.

Für einen eher starrgesichtigen Morrhm die intensivste Möglichkeit, seine Emotionen durch Mimik darzustellen.

»Es geht um die ehemaligen Allianz-Sucher Yc und Fairoglan. Sie fehlen nicht nur in dieser Runde, in der sie – trotz Fairoglans minderem Status als Zweitling – ganz sicher beide ihren Platz hätten, sondern sind seit kurzem nicht mehr auffindbar.«

»Ich wüsste nicht, weshalb das Thema unseres Krisenstabes sein sollte!«, sagte Hgrrek wie automatisch, während sich seine Flugmembran auf eine Weise verfärbte, die seine wahren Emotionen preisgab. Hgrrek spürte plötzlich Angst.

»Fairoglan vermutete, dass die Allianzführung von Klonen der Canyaj unterwandert sei«, führte Ragolian näher aus. »Ich sprach soeben noch mit Dresgos, dem Chef der Raumlotsen, der mir detailliert auseinandersetzte, welche Beweise Fairoglan dafür vorlegen konnte. Insbesondere ging es dabei um Unregelmäßigkeiten bei...«

»Wo ist dieser Dresgos?«, dröhnte ein morrhmischer Rat und unterbrach Ragolian damit. »Warum ist dieser Zeuge hier nicht anwesend?«

»Er zieht es vor, im Verborgenen zu bleiben«, antwortete Ragolian. »Unseren Sicherheitskräften traut er nicht.«

»Aber Ihnen traut er? Das ist doch merkwürdig! Wie glaubwürdig ist ein derart lichtscheues Element!« Der Morrhm wandte sich an Sarew-967. »Das war nicht gegen Sie gerichtet, Admiral!«

Ein Geräusch lenkte Hgrrek ab, der bis dahin aufmerksam zugehört hatte. Er erstarrte förmlich.

Nur das feine Gehör eines Chgorr war in der Lage, diese Nuance überhaupt wahrzunehmen.

Etwas zischte durch die Luft.

Dicht am Kopf des Fulirr-Regenten Saroo-Otnof vorbei.

Eine winzige Robot-Drohne, die vorne mit einer Injektionsnadel ausgestattet war, flog frontal auf Ragolian zu und bohrte sich in dessen Hals.

Der Yroa schwankte, riss sich das Injektionsprojektil heraus und schleuderte es von sich.

Aber es war zu spät.

Er sank zu Boden und blieb regungslos und in eigenartig verrenkter Haltung liegen.

Zegrian blickte auf ihn hinab. Es war eigentlich unter seiner Würde, sich um ihn zu kümmern, doch er fühlte die Blicke der Nicht-Yroa im Raum auf sich gerichtet.

»Attentatsalarm!«, schnarrte inzwischen die Kunststimme eines Rechnersystems. »Achtung! Die Lebensfunktionen eines in diesem Raum Anwesenden sind nicht mehr messbar. Bitte verlassen Sie nicht Ihre gegenwärtige Position, bis Sicherheitskräfte eintreffen!«

»Errr issst totttt!«, grollte Zegrians dröhnende Stimme.

*



Ontul hatte sich zunächst einmal darum gekümmert, seine Frauen in Sicherheit zu bringen. Als Angehöriger der Inneren Sicherheitskräfte wusste er auch, wie man diese überlisten konnte. Für jemanden wie ihn war es keine Schwierigkeit, eine falsche Identität zu besorgen.

Als schließlich alle drei Ehefrauen an Bord von Passagierschiffen waren, fühlte er sich deutlich besser.

Garabrée hatte zwar noch ziemlich herumgemault, bevor sie schließlich doch den Raumer nach Lasnadera bestieg, einer von Morrhm besiedelten Welt. Von dort konnte sie später zur Hauptwelt Morrhm III gelangen, wenn sich die Lage beruhigt hatte.

»Du bist ein Narr, dass du auf Larsyrc bleibst!«, hatte sie ihm zum Schluss gesagt.

»Ich muss einfach wissen, was gespielt wird!«

»Wollte dieser Yroa das nicht auch?«, hakte sie nach.

»Du meinst Fairoglan.«

»Ja, Fairoglan. Er ist verschwunden, oder nicht? Lass mich bei dir bleiben, damit ich dir helfen kann. Ich habe keine Angst!«

»Du würdest die Überlebenschance des Kindes verringern, wenn du bleibst. Also tu, was ich dir gesagt habe!«

Ontul war erleichtert, als schließlich auch Garabrée Larsyrc verlassen hatte.

Im Datennetz fand er die Nachricht, dass es einen Unfall in einer Gemeinschaftszone für Allianz-Belange gegeben hatte. Ein Antigravschacht hatte versagt. Dabei war ein K'aradan in die Tiefe gestürzt und tödlich verunglückt.

Der Name des Opfers lautete Dresgos...

>Wer sollte da an einen Zufall glauben?<, ging es Ontul durch den Kopf.

Es gelang ihm nach einigen Schwierigkeiten, eine Kom-Verbindung mit seinem vorgesetzten Kommandant Dasrionen herzustellen.

Das Gesicht des Kommandanten erschien in einer handgroßen Projektion.

»Was wollen Sie, Ontul?«, fragte Dasrionen schroff. »Sie haben Urlaub!«

»Mein codierter Sicherheitszugang zu den Systemen der Inneren Sicherheitskräfte funktioniert nicht mehr.«

»Das kann vorkommen.«

»Meines Wissens sind Datenfehler in unserem System ausgesprochen selten«, sagte Ontul. »Besteht irgendeine Möglichkeit, dass Sie das wieder hinbekommen, ohne dass ich extra zu meiner Dienststelle muss?«

»Wieso benötigen Sie in Ihrer Freizeit einen Systemzugang, Ontul? Das leuchtet mir nicht ein!«

»Ein Bekannter ist vor kurzem unter mysteriösen Umständen verstorben.«

»Sie sprechen von Dresgos«, stellte Dasrionen fest.

Ontul glaubte, einen Stich zu spüren. »Werde ich überwacht?«

»Sie nicht!«, erklärte sein Vorgesetzter. »Aber Dresgos wurde überwacht. War er nicht vor kurzem bei Ihnen?«

Ontul zögerte mit der Antwort.

Ein Zögern, das einen Augenblick zu lang dauerte, wie dem Morrhm sofort klar war.

>Mit dieser Frage will Dasrionen testen, ob ich ihn belüge<, erkannte Ontul. »Ja, er war vor kurzem bei mir.«

»Hat er Ihnen etwas von einer angeblichen Verschwörung gesagt?«

»Ja.«

Eine kurze Pause folgte. Dasrionen blickte zur Seite, vermutlich zu einer Person, die sich außerhalb des Bildausschnitts befand, den die Projektion zeigte.

»Es könnte sein, dass wir Ihnen ein paar Fragen dazu stellen müssen«, sagte der Kommandant schließlich.

»Ich werde mich umgehend zur Dienststelle begeben.«

»Nein!«, widersprach Dasrionen energisch. Sein Gesicht wurde noch starrer und maskenhafter, als Ontul es ansonsten von seinem Vorgesetzten gewohnt war. »Ich sehe an Ihrer Kom-Verbindung, dass Sie derzeit zu Hause sind.«

»Das ist richtig.«

»Warten Sie dort. Es wird Sie jemand abholen.«

»Aber...«, wollte Ontul einwenden.

»Wir müssen reden – aber nicht über eine Kom-Verbindung. Warten Sie in Ihrer Wohnung!«

Die Verbindung wurde unterbrochen...

*



Stern 23112.

Licht von Byylari.

Die Gasscheibe, die diese Sonne umgab, leuchtete hell und füllte nahezu die gesamte Breite des Panoramaschirms in der Zentrale der NONG-TO aus.

Kommandant Tardralonnen erhob sich vom Platz des Befehlshabers. Sein mächtiger Brustkorb weitete sich, als er tief durchatmete und dabei den Mund weit aufriss. Eine Geste, mit der Morrhm hoffnungsfrohe Erwartung zum Ausdruck brachten.

Tardralonnen wandte sich an Fairoglan. »Wirklich ein prächtiger Anblick.«

Fairoglan nickte. »Die so genannten Sporen schwimmen in diesem Gasring. Es gab Maschinen, die Nahrungsmittel produzierten, die wiederum wie Pollen auf die Reise geschickt wurden.«

»Diese gesamte Anordnung ist eine künstliche Konstruktion«, stellte Tardralonnen fest.

Fairoglan sah ihn erstaunt an.

>Woher diese Gewissheit?<, fragte er sich. >Er ist schließlich zum ersten Mal hier. Hat er Informationen, die uns bislang vorenthalten wurden?<

Yc war sichtlich ergriffen von dem Anblick seiner alten Heimat.

»Ich kehre an den Ursprung zurück!«, verkündete er mit einer naiven Freude, der sich schwer etwas entgegensetzen ließ. »Ich habe das alles sehr vermisst!«

Erinnerungen stiegen in Yc auf. Erinnerungen an die primitiven Luftschiffe, mit denen er und andere Pflanzenartige von einer Spore zur anderen gewechselt waren. Daran, dass aus den Maschinen regelmäßig die lebensspendenden Nahrungsmittel ausgestoßen worden waren und man sie nur noch aus dem Gas herauszufischen brauchte.

Ein beinahe verklärtes Gefühl durchströmte Yc.

Er hatte nicht erwartet, dass ihn das Wiedersehen des Lichts von Byylari emotional dermaßen aufwühlen würde. In seiner Zeit auf Larsyrc hatte er versucht, Abstand zu seiner Vergangenheit zu gewinnen und nicht allzu häufig an das zu denken, was er verloren hatte.

Es war eben nicht einfach, mit dem Wissen zu leben, dass man der Letzte seiner Art war.

Der shaalkaanische Ortungsoffizier meldete sich zu Wort. »Außer den Sporen treiben die Trümmer einer Maschine in der Gasscheibe herum.«

Ein Projektionsfeld erschien, auf dem die gegenwärtigen Positionen dieser Trümmerstücke anhand einer schematischen Darstellung veranschaulicht wurden. Sie drifteten auseinander.

Das Ende dieser Maschine hatte auch das Ende der Pflanzenartigen bedeutet. Der Strom der Nahrungspollen, von denen ihr Leben abhing, war versiegt.

Tardralonnen wandte sich an Fairoglan. Yc hingegen schien er nicht als vollwertige Person zu betrachten.

»Haben Sie sich bei Ihrem ersten Aufenthalt gefragt, wer >das hier< konstruiert hat?«, fragte er.

»Jemand, der den Pflanzenartigen eine perfekt angepasste Umgebung schaffen wollte.«

Tardralonnen ließ ein bellendes Geräusch hören. Die morrhmische Entsprechung eines gehässigen Gelächters.

»Besonders weit sind Sie mit Ihren Forschungen damals nicht gekommen«, stellte er mit deutlicher Geringschätzung fest.

»Wie Ihre Äußerung vermuten lässt, haben Sie hingegen aus der Ferne mehr Erkenntnisse gewonnen«, versetzte Fairoglan schneidend.

Etwas anderes lenkte ihn ab.

Mentale Impulse, die von Yc stammten und Fairoglan deutlich machten, wie tiefgreifend die emotionale Erschütterung war, die den Pflanzenartigen erfasst hatte.

Sämtliche Tentakelfortsätze zitterten jetzt. Das Pflanzenwesen wirkte wie in einem Krampf gefangen.

>Yc, beruhige dich. Versuch, wieder Abstand zu gewinnen...<

Fairoglan war sich nicht sicher, ob seine Gedankenbotschaft das Pflanzenwesen überhaupt erreichte. Er spürte deutlich, wie sich das Bewusstsein des Pflanzenartigen immer mehr nach außen hin abschloss.

»Yc!« Der Yroa berührte ihn leicht mit der linken Hand. >Sei stark!<

Der Pflanzenartige schien Fairoglan überhaupt nicht zu hören. Er hatte die Sehknospen geschlossen. Offenbar konnte er den Anblick auf dem Panoramaschirm nicht länger ertragen. Fairoglan nahm mentale Impulse der Qual und der Trauer von ungewöhnlich großer Intensität wahr.

»Was geschehen ist, ist nicht mehr zu ändern«, sagte Fairoglan leise an Yc gerichtet. »Es hat keinen Sinn zurückzublicken.«

>Das sagt sich so einfach!<, ging es Fairoglan dabei durch den Kopf.

Auf Yc hatten seine Worte überhaupt keinen Einfluss...

*



Die NONG-TO drang in den Gasring um das Licht von Byylari ein.

Yc hatte sich inzwischen mental etwas stabilisiert. Aber es machte Fairoglan noch immer Sorge, dass er sich seit ihrem Eintreffen in System 23112 nicht mehr geäußert hatte und jegliche Kontaktaufnahme verweigerte.

Fairoglan schmerzte es, zu sehen und über seinen Psi-Sinn auch zu spüren, wie sehr sein Freund darunter litt, seine zerstörte Heimat wiederzusehen.

Am meisten bedrückte es den Yroa, dass er offenbar nicht in der Lage war, Yc zu helfen.

>Sich verkriechen<, dachte Fairoglan. >Vielleicht eine universelle Reaktion aller Lebewesen in einer derartigen Situation.<

Genau das tat Yc, auch wenn die Heftigkeit des emotionalen Gewitters, das in dem hirnähnlichen Nervenzentrum seines Pflanzenkörpers tobte, bereits deutlich nachgelassen hatte.

Der shaalkaanische Ortungsoffizier meldete sich zu Wort. »Die Temperatur der Gaswolke ist kaum höher als die Lufttemperatur unseres Raumschiffs«, stellte er ziemlich überrascht fest. »Ich kann das physikalisch nicht erklären. Andererseits...«

»...decken sich diese Daten mit den Aufzeichnungen, die mein Klonbruder Shafor und ich damals bei unserer Expedition hierher machten«, erklärte Fairoglan. Er wandte sich an den Kommandanten. »Warum sollen die Rätsel dieser eigenartigen Welt ausgerechnet jetzt erforscht werden?«, fragte er. »Meines Erachtens gibt das keinen Sinn!«

»Das war eine kleine Notlüge«, erklärte Tardralonnen. »Ich wollte nicht, dass Sie mir während des Fluges hierher irgendwelche Schwierigkeiten machen.«

Fairoglans Gesicht erstarrte.

Etwas Ähnliches hatte er aufgrund seiner vagen mentalen Wahrnehmungen bereits vermutet, ohne dass es wirklich greifbar gewesen war. Schließlich war er kein so starker Telepath, wie es sein Bruder gewesen war.

Aber er hatte durchaus gespürt, dass sein Gegenüber ihm nicht die volle Wahrheit gesagt hatte.

»Warum sind wir hier?«, wollte der Yroa wissen.

»Um die künstlichen Artefakte von Stern 23112 endgültig zu zerstören«, erklärte der Morrhm kühl.

»Warum?«

»So lautet unser Auftrag.«

Fairoglan fragte nicht noch einmal. Er spürte, dass er keine weiteren Auskünfte erhalten würde.

»Sprengladungen sind bereit«, erklärte unterdessen ein anderer Morrhm, von dem Fairoglan inzwischen wusste, dass es sich um den Waffenoffizier handelte.

»Haben die Transportdrohnen die Zugangscodes für die Schotts zu den inneren Sektoren?«, vergewisserte sich Tardralonnen.

»Ja«, bestätige der Waffenoffizier. »Fünf dieser Artefakte sind in unserem Visier!«

»Starten Sie die Drohnen!«

»Drohne gestartet.«

In einem Nebenfenster des Panoramaschirms veranschaulichte eine schematische Darstellung die Position der NONG-TO im Verhältnis zu den Zielobjekten. Die Flugbahnen der Drohnen wurden markiert.

Tardralonnens Gesicht war starr auf diesen Ausschnitt des Schirms gerichtet.

»Drohne 5 hat ihr Ziel erreicht. Zugangscode zum inneren Sektor des anvisierten Zielobjekts wurde bestätigt«, meldete die Kunststimme des Bordrechners. »Drohne 5 hat soeben das Eingangsschott passiert und ist in den inneren Sektor eingeflogen.«

In einem weiteren Bildfenster des Panoramaschirms waren jetzt 3D-Bilder zu sehen, die von der integrierten Kamera der Drohne aufgezeichnet worden waren. Sie zeigten den Anflug auf eine der Sporen. Das Schott öffnete sich. Es war so in die atollartige Oberfläche der Spore integriert, dass man es von außen nicht sehen konnte. Die Robotdrohne flog in den inneren Bereich.

Fairoglan beobachtete dieses Schauspiel mit großem Interesse.

Er hatte nicht gewusst, dass es im Inneren der Sporen einen begehbaren Bereich gab, der einer unterirdischen Station ähnelte. Der Bewegungsreiz, der durch das Eindringen der Drohne entstanden war, hatte offenbar eine spärliche Beleuchtung aktiviert.

Der shaalkaanische Ortungsoffizier meldete sich zu Wort. »Die Bedingungen im Inneren lassen darauf schließen, dass zumindest ein Teil der Lebenserhaltungssysteme noch arbeitet«, stellte er fest. »Die Zusammensetzung der Atmosphäre bietet gerade genug Sauerstoff, nur die Temperatur ist etwas hoch.«

Wieder ließ Tardralonnen jenes charakteristische Bellen hören, das seinen Spott ausdrücken sollte.

»Vielleicht für einen Shaalkaanen, in deren larsyrcischen Zonen es so klamm und feucht wie in einer Totengruft ist!«, versetzte er schneidend.

»Sie waren einmal dort, Kommandant?«, fragte der Shaalkaane.

Auf Grund des Schattenschirms war keine mimische oder körpersprachliche Reaktion erkennbar. Und inwieweit seine stimmliche Ruhe nur vom Translatorsystem vorgetäuscht wurde, ließ sich auch nicht sagen.

»Einmal war ich dort«, sagte Tardralonnen. »Das war bei einer Razzia gegen einen shaalkaanischen Stimulanzienhändler, an der ich als Geheimdienstoffizier mitwirkte.« Der Morrhm schüttelte sich. »Eine dunkle Hölle mit scheintoten Bewohnern...«

Die Stimme des Rechnersystems unterbrach Tardralonnens Redefluss. »Drohne 5 erwartet Bestätigung für das Aktivieren des Sprengsatzes!«

»Aktivierung noch aufschieben, Bereitschaftsstatus beibehalten«, war Tardralonnens Antwort. »Ich möchte eine Simulation der Auswirkungen.«

Der Bildausschnitt des Panoramaschirms zoomte an das Zielobjekt heran.

Sekundenbruchteile später war eine Explosion zu sehen, deren Druckwelle sich deutlich in der Gasscheibe fortsetzte und dort vermutlich einen Sturm von gigantischen Ausmaßen auslöste.

Die Rechnerstimme erstattete Bericht.

»Die Druckwellen der Detonationen werden sich in der gesamten Gasscheibe fortsetzen und zu gewaltigen Stürmen auswachsen«, fasste der Ortungsoffizier abschließend zusammen. »Das wäre unkalkulierbar für uns. Wie soll weiter verfahren werden, Kommandant?«

»Aktivierung wird bestätigt, wenn sämtliche Sporen mit Sprengkörpern ausgestattet sind und wir die Gasscheibe wieder verlassen haben«, erwiderte der Kommandant.

»Eine ziemlich umständliche Methode!«, kommentierte der k'aradanische Navigator. »Können wir diese Dinger nicht durch einfachen Strahlbeschuss zerstören?«

»Leider nicht«, erwiderte Tardralonnen. »Wir sind zwingend dazu angehalten, die Sprengung jeweils aus dem Innenbereich heraus einzuleiten, weil ansonsten keine wirklich vollständige Zerstörung gewährleistet ist!«

Yc war durch die Explosion aus seiner Erstarrung herausgerissen worden. Erst jetzt schien dem oft recht naiven Pflanzenartigen klar zu werden, welchen Zweck diese Expedition hatte.

Selbst die Trümmer seiner verlorenen Heimat sollten noch zerstört werden!

»Warum geschieht das?«, rief der Pflanzenartige. Er bewegte sich etwas zu rasch auf Kommandant Tardralonnen zu.

Einer der bewaffneten morrhmischen Wächter, die sich in der Nähe befanden, versperrte ihm den Weg und richtete die Blastermündung auf die knotenartige Verdickung in Ycs Körpermitte, in der sich sein Nervenzentrum befand.

»Wir befolgen nur Befehle«, behauptete Tardralonnen.

Der Bordrechner erfragte die Starterlaubnis weiterer, mit Sprengstoff ausgestatteter Drohnen. Tardralonnen zögerte nicht, sie zu geben, und kurz nacheinander wurden sie auf den Weg zu ihren Zielpunkten geschickt.

Fairoglan versuchte inzwischen, den völlig fassungslosen Yc zu beruhigen.

»Deine Heimat war schon tot, bevor dieser Kommandant mit seinem Zerstörungswerk begann!«, erklärte er.

Ycs Emotionen schlugen erneut wie eine große Woge über ihm zusammen, sodass seine Tentakelfortsätze zitterten.

Fairoglan fürchtete, dass das Pflanzenwesen die Kontrolle über sich verlor. >Ganz ruhig. Es hat keinen Sinn, sich gegen die Besatzung dieses Schiffs aufzulehnen...<

Da ließ ihn ein mentaler Impuls zu Tardralonnen hinüberschauen.

>Irgendetwas hat er vor...<

Fairoglan spürte die mentale Aktivität seines Gegenübers. Emotionen, die ihn erschraken.

Tardralonnen ging an eine Konsole und veränderte den Bildausschnitt.

Eine ganz bestimmte Spore wurde herangezoomt. Die Sensoren führten einen Scan durch. In einem Projektionsfeld erschien eine schematische Darstellung, die einige herausgehobene Strukturelemente besonders markierte.

»Byylari!«, murmelte Yc. Er hatte seine Heimatspore sofort wiedererkannt.

Tardralonnen wandte sich dem Pflanzenwesen zu. »Du bist nicht umsonst auf diese Mission mitgenommen worden. Ich habe eine Aufgabe für dich.«

»Hört auf mit diesen Zerstörungen!«

»Du wirst uns dabei sogar helfen, Yc!«

»Niemals!«, schrie der Pflanzenartige.

»Schaltet eure Blaster auf Töten um!«, wies Tardralonnen die Wachmänner an.

Sie gehorchten, und das Pflanzenwesen erstarrte.

»Was haben Sie vor, Tardralonnen!«, verlangte Fairoglan zu wissen.

»Yc wird an Bord eines unserer Beiboote gehen. Die Steuerung erfolgt vollkommen automatisch. Wir haben nicht erwartet, dass ein Strauch zum Piloten taugt.« Der Kommandant verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Stimme des Rechnersystems ertönte und meldete, dass sämtliche ausgesandten Drohnen ihre Ziele erreicht hatten und alles zur Sprengung bereit war. Weitere der unbemannten Flugkörper starteten, und auf den Anzeigen war zu sehen, wie sie sich ihren Zielen näherten.

Byylari gehörte augenscheinlich nicht dazu.

Für Ycs Heimatspore hatte sich Tradralonnen – oder die Macht, in deren Auftrag er handelte – offenbar etwas Besonderes ausgedacht.

Yc schloss die Seh-Knospen. Der Anblick Byylaris auf dem Panorama-Schirm verursachte ihm beinahe körperlichen Schmerz, wusste er doch, dass auch seiner Heimatspore nichts anderes als die völlige und restlose Vernichtung drohte.

In der zentralen, knotenartigen Verdickung seines Pflanzenkörpers krampfte sich alles zusammen.

>Warum nur?<, durchzuckte es ihn. >Warum nur diese sinnlose Zerstörung?<

Tardralonnen registrierte aufmerksam jede Regung des Pflanzenwesens. »Ycs Aufgabe wird es sein, die Sprengsätze an genau angegebenen Punkten im Inneren Bereich der Spore anzubringen!«

»Das werde ich nicht tun!«, erwiderte der Pflanzenartige heftig.

»Dann bedeutet das deinen Tod.«

Die Wächter hoben die Mündungen ihrer schweren Blaster.

Tardralonnen fuhr fort. »Wir können von hier aus genau verfolgen, ob du deine Mission exakt erfüllst oder versuchst, uns zu hintergehen, Yc. Falls irgendetwas nicht so läuft, wie ich es wünsche, können wir dich auch von hier jederzeit töten, indem wir das Beiboot sprengen...«

Yc war konsterniert.

Fairoglan nahm das Entsetzen wahr, das sein Freund angesichts dieser sadistischen Drohung des Morrhms empfand.

»Ich möchte ihn begleiten«, forderte Fairoglan. »Yc ist vollkommen durcheinander. Ich weiß nicht, ob er in seiner gegenwärtigen emotionalen Verfassung überhaupt in der Lage wäre, die Sprengsätze richtig anzubringen und zu aktivieren!«

Tardralonnen bleckte die Zähne. »Ich habe nichts dagegen einzuwenden!«

*



Dasrionen meldete sich über eine Interkomverbindung. »Ich bin jetzt vor Ihrer Wohnungstür. Öffnen Sie bitte, Ontul!«

Ontul sah auf dem Bildausschnitt des Projektionsfeldes, dass Kommandant Dasrionen in Begleitung von drei bewaffneten Morrhm gekommen war.

»Ich möchte mit Ihnen allein reden, Kommandant«, sagte Ontul.

»Meinetwegen«, stimmte Dasrionen nach einer kurzen Bedenkpause zu.

Ontul öffnete per Knopfdruck die Tür.

Dasrionen trat ein. Hinter ihm schloss sich die Tür selbsttätig.

Ontul ging seinem Gast entgegen.

Der Kommandant war mit einem schweren Dienstblaster bewaffnet.

»Was sind das für Bewaffnete da draußen? Ein Verhaftungskommando?«, fragte Ontul. »Gehören Sie auch dazu? Wollen Sie mich ebenso ausschalten wie Dresgos, der inzwischen einem mysteriösen Unfall zum Opfer fiel? Oder wie Yc und Fairoglan, die angeblich auf einer wichtigen Mission in einer fernen Raumregion sind?«

»Davon wissen Sie also auch schon«, stellte Dasrionen mit starrem Gesicht fest. Sein Blick glitt tiefer. Dorthin, wo sich Ontuls Dienstwaffe befand.

»Sie wissen, dass ich immer geschickt darin war, in Datennetze hineinzukommen. Bislang hatte ich es nicht nötig, auf illegale Weise in das Netz der Inneren Sicherheitskräfte zu gelangen, aber ich musste bei der Gelegenheit feststellen, dass es viel einfacher war, als die Zugangscodes des illegalen k'aradanischen Insider-Kartells zu knacken, mit dem wir es vor einiger Zeit zu tun hatten.«

»Jetzt hören Sie mir gut zu, Ontul!« Dasrionen zog seine Waffe und richtete sie auf seinen Gegenüber.

»Nur zu, bringen Sie mich um! Das hatten Sie doch von Anfang an vor!«, sagte Ontul.

»Ich will nur Ihre Waffe!«, erwiderte Dasrionen. »Bitte, machen Sie keine Schwierigkeiten. Ich möchte Sie nicht paralysieren müssen. Sie wissen doch, mit welchen Kopfschmerzen man dann aufwacht. Und für einen Morrhm Ihrer Statur muss ich schon die höchste Strahlendosis verwenden, wenn ich nicht Gefahr laufen will, dass Sie es doch noch schaffen, mich zu töten!«

»Wissen Sie, dass ich Ihnen blind vertraut habe, Dasrionen? Sagen Sie mir, wie weit geht diese Verschwörung? Ist das wahr, was Fairoglan behauptete?«

»Was behauptete er denn?«, fragte der Kommandant der Inneren Sicherheit.

»Dass zumindest ein Regent, vielleicht sogar mehrere durch Klone der Canyaj ersetzt wurden.«

»Erst die Waffe weg!«

Vorsichtig gehorchte Ontul. Er nahm die Waffe von der Hüfte, bückte sich wie in Zeitlupe und legte sie auf den Boden.

Anschließend richtete er sich wieder auf.

»Schieben Sie die Waffe mit dem Fuß zu mir herüber!«, forderte Dasrionen.

Ontul leistete dem Folge. Die Waffe rutschte über den Boden, bis Dasrionen sie mit dem Fuß stoppte, sich bückte und sie aufhob.

»Und jetzt?«, fragte Ontul.

»Sie haben Recht, es gibt diese Verschwörung. Desgros hat Ihnen die Wahrheit berichtet.«

»Wusste ich es doch!«

»Vertrauen Sie mir!«, bat Dasrionen. »Wir sind dabei, der Verschwörung auf die Spur zu kommen. Sagen Sie mir alles, was Sie wissen. Was hat Desgros Ihnen gesagt. Bitte, jedes Detail kann wichtig sein. Es geht um das Schicksal der Allianz, Ontul.«

»Ich glaube Ihnen kein Wort!«

»Ich stehe mit Enielraq in Verbindung.«

»Und was sagt unser Regent?«, fragte Ontul.

»Er weiß, dass Hgrrek, der Erste der Chgorr, ein Canyaj-Klon ist!«

»Warum unternimmt er dann nichts dagegen?«

»Wir können erst zuschlagen, wenn wir das volle Ausmaß der Verschwörung kennen«, erklärte Dasrionen, »Sonst läuft jede Maßnahme ins Leere. Das müsste Ihnen doch klar sein!«

Er entlud den Energiespeicher von Ontuls Blaster und warf die Waffe anschließend ihrem Besitzer zu. Ontul schnappte sie aus der Luft.

»Ich will einfach nicht, dass Sie mich aus lauter Panik mit dem Ding wie ein Stück Qwassaerrag-Fleisch grillen!«, erklärte Dasrionen und steckte seine eigene Waffe ebenfalls weg.

»Mich überzeugen Ihre Worte noch nicht!«, sagte Ontul.

»Wenn ich zur Verschwörung gehören würde, hätte ich Sie sofort umgebracht«, gab Kommandant Dasrionen nach einer kurzen Pause zu bedenken. »Was kann ich noch tun, um Sie zu überzeugen. Ihnen eine Direktverbindung zu Enielraq herstellen? Bitte, kein Problem! Wir sind auf Grund der derzeitigen Krisenlage über einen verschlüsselten Kom-Kanal in Kontakt.«

Dasrionen nahm sein Kommunikator-Modul vom Gürtel und aktivierte es.

Wenige Augenblicke später erschien ein etwa handgroßes Hologramm des morrhmischen Regenten. »Die Allianz befindet sich in einer ernsten Krise, Ontul, aber Sie können uns helfen.«

Das Gesicht des Angesprochenen wurde starr. »Enielraq! Mein Regent!« Seine rechte Hand ging zur linken Schulter – eine Geste der Ergebenheit.

»Kommandant Dasrionen befürchtete schon, dass Sie auch ihm misstrauen. Aber damit tun Sie ihm Unrecht. Sollten Sie Zweifel an der Echtheit dieser Übertragung haben, so kopieren Sie bitte das Identifikationssignal in Ihren Rechner und lassen Sie es analysieren. Sie werden sehen, dass alles in Ordnung ist. Bitte nennen Sie Dasrionen sämtliche Kontaktpersonen seit Ihrem Zusammentreffen mit Dresgos, damit wir diesen Personenkreis schützen können.«

>Schützen – oder umbringen!<, durchzuckte es Ontul.

»Ich werde mit Kommandant Dasrionen kooperieren«, sagte er.

»Ich habe nichts anderes von Ihnen erwartet«, sagte Enielraq. »Sie werden mich jetzt sicher entschuldigen. Im Rat stehen wichtige Entscheidungen an.«

Die Verbindung wurde unterbrochen.

»Und jetzt bitte die Namen sämtlicher Kontaktpersonen. Außerdem die Protokolle aller Kom-Verbindungen, die Sie in den letzten zwei Tagen hergestellt haben!«

Ontul hob blitzschnell die Hand. Aus einem Ring, den er am kleinsten Finger trug, schoss eine Nadel heraus.

Diese erwischte Dasrionen am Hals. Getroffen sank der Morrhm zu Boden. Er wollte noch nach der Waffe greifen, aber seine Hand versagte ihm den Dienst.

Ontul trat an ihn heran.

Dasrionens Augen waren weit offen. Er war bei Bewusstsein, aber nicht in der Lage zu sprechen.

»Ich lasse mich nicht für dumm verkaufen«, sagte Ontul kalt. »Über Ermittlungen im Datennetz habe ich herausgefunden, wo Fairoglan verschwand. Er wollte sich mit jemandem hier im Malén-Gebäude treffen – mit Enielraq! Fairoglan hat sich mit ihm getroffen. Und danach verliert sich seine Spur. Also gehören sowohl unser Regent als auch Sie zur Verschwörung gegen die Allianz!« Er bleckte die Zähne. »Das Gift in dem Injektionsgeschoss tötet nicht. Es lähmt nur. Schließlich will ich durch das Aussetzen Ihrer Körperfunktionen keinen Attentatsalarm auslösen.«

Die Wirkung würde nach einiger Zeit nachlassen, aber bis dahin hätte Ontul das Gebäude längst verlassen.

Um den Bewaffneten, die vor seiner Wohnungstür warteten, nicht in die Arme zu laufen, nahm er den Weg über ein Last-Antigravschacht.

Ontul wusste, dass der Vorsprung vor seinen Verfolgern nur minimal war.

>Desgros' schlimmste Befürchtungen sind eingetreten!<, ging es dem Morrhm durch den Kopf.

Er fiel in einem unangenehm schnellen Tempo in die Tiefe. Die Energiefelder von Last-Antigravschächten waren eben nicht für den Transport von Personen konfiguriert.

*



Fairoglan und Yc wurden an Bord des Beiboots der NONG-TO gebracht. Es hatte Tropfenform und verfügte zwar über einen Überlichtantrieb, aber die Energievorräte begrenzten die Reichweite auf maximal zwei bis drei Lichtjahre. Es lag auf der Hand, dass das Beiboot in erster Linie für Flug- und Landeoperationen innerhalb eines Sonnensystems konstruiert war.

Es startete selbsttätig und verließ durch eine Schleuse den Hangar.

Fairoglan bemerkte bereits nach einem schnellen Check der Systeme, dass es keine Möglichkeit gab, den Kurs des Schiffes in irgendeiner Form zu beeinflussen. Der Bordrechner war völlig blockiert.

Fairoglan fluchte vor sich hin, während der Raumer mit gemäßigter Geschwindigkeit durch die Gasscheibe pflügte.

Yc stand vor dem Panoramaschirm des Beiboots. Er wirkte wie erstarrt, die Seh-Knospen waren weit aufgerissen. Erstaunen und Entsetzen hielten sich die Waage, soweit Fairoglan sie wahrzunehmen vermochte.

Den Yroa schmerzte es innerlich, seinem Freund nicht helfen zu können. Gleichzeitig fragte er sich, ob nicht noch Schlimmeres auf sie wartete.

Das Beiboot erreichte Byylari, und vor ihm öffnete sich ein Eingang. Das Zugangsschott zum Inneren der Spore war dermaßen gut getarnt gewesen, dass es beinahe unmöglich war, es zu entdecken.

Das Beiboot flog ins Innere und landete in einem weitläufigen Hangar.

Auf dem Panoramabildschirm war die Umgebung zu sehen.

»Davon habe bis jetzt nichts gewusst«, meldete sich Yc zu Wort. »Ich dachte immer, dass Byylari natürlichen Ursprungs ist. Eine Welt, geschaffen aus dem Licht Byylaris. Aber wenn ich das jetzt so sehe...«

Er stockte. Offenbar war er zu ergriffen, um weitersprechen zu können. Andererseits schien er aber auch das dringende Bedürfnis zu haben, sich mit jemandem über seine innere Verfassung austauschen zu können.

»Was ist dann, Yc?«, hakte Fairoglan nach.

>Sprich! Es wird dir gut tun, Yc. Ganz bestimmt.<

»Alles, woran ich geglaubt habe und was mein Leben hier auf Byylari ausmachte, erscheint mir plötzlich in einem eigenartigen Licht. So als wäre von einem Augenblick zum anderen meine Vergangenheit gestohlen worden. Es war nichts so, wie es schien...«

Fairoglan wollte etwas erwidern, seinem Freund ein paar tröstende Worte sagen. Aber in diesem Augenblick meldete sich die Stimme des ferngesteuerten Bordrechners.

»Verlassen Sie das Schiff über die Schleuse. Es herrschen für Sie beide Lebensbedingungen, die keine ernsthaften medizinischen Schäden verursachen. Die Sprengsätze befinden sich in einem Wandfach kurz vor dem Schleusenschott. Nehmen Sie sie mit und laden Sie sich die Koordinaten der Stellen, an denen die Sprengsätze angebracht werden sollen, in ein mobiles Ortungsmodul.«

Die Todesdrohung musste nicht noch einmal ausgesprochen werden.

Fairoglan hatte keinen Zweifel daran, dass Tardralonnen und seine Crew es ernst meinten.

»Komm!«, sagte er an Yc gerichtet, und das Pflanzenwesen folgte ihm.

Sie bewegten sich durch einen engen, nur spärlich erleuchteten Korridor. An Bord eines Beibootes dieser Größenordnung wurde bei der Konstruktion stets versucht, so wenig Platz wie möglich für reine Bequemlichkeit zu verbrauchen.

Schnell erreichten sie das Fach in der Wand.

Es öffnete sich selbsttätig. Offenbar war da ein Mechanismus auf die Körperfunktionen eines der beiden programmiert. Fairoglan interessierte das letztlich nicht sonderlich. Er nahm die drei Metallzylinder an sich, in denen sich die Sprengsätze befanden.

Als wäre das der Auslöser gewesen, öffnete sich das Außenschott.

Yc und Fairoglan betraten das Innere der Spore Byylari...

*



Fairoglan führte ein mobiles Ortungsmodul mit sich. Auf der Anzeige war genau ablesbar, wohin sie gehen mussten.

Von dem Hangar aus, in dem sie gelandet waren, führte ein Korridor weiter ins Innere.

Yc zögerte, ehe er Fairoglan folgte. Einer seiner Tentakelfortsätze deutete auf die Metallzylinder, die der Yroa bei sich trug. Er hatte sie an einer Magnethalterung seiner Kombination befestigt.

»Es ist doch nicht dein Ernst, dass wir wirklich tun, was der Morrhm befohlen hat!«, protestierte Yc.

Fairoglan warf einen kurzen Blick auf die Anzeige des Ortungsmoduls, bevor er Yc ansah. »Ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig.«

»Warum werde ich so gequält?«, fragte Yc. »Warum soll ich dazu beitragen, dass Byylari endgültig vernichtet wird? Der einzige Sinn, den ich darin erkennen kann, ist Erniedrigung.«

»Vermutlich hast du Recht.«

»Gibt es irgendeine Garantie dafür, dass uns Tardralonnen nicht auch dann umbringt, wenn wir diese >Mission< erfüllen?«

»Nein.« Fairoglan schüttelte traurig den Kopf.

»Warum sollten wir es dann tun? Warum nicht einfach abwarten? Sollen sie doch selbst dafür sorgen, dass die Sprengsätze richtig deponiert werden! Wir haben nichts zu verlieren, wenn wir ohnehin getötet werden!«

Der Yroa musste insgeheim zugestehen, dass Ycs naive Argumentation durchaus nachvollziehbar war.

»Wir könnten Zeit gewinnen«, sagte er.

»Dann hast du noch nicht aufgegeben?«

»Nein.«

»Obwohl du weißt, dass die Sprengsätze, die du bei dir trägst, jederzeit gezündet werden können?«, fragte Yc.

Ein Schwall von teilweise recht widersprüchlichen Emotionen wurde von Fairoglan registriert.

»Ich versuche, meine Furcht nicht übermächtig werden zu lassen«, erklärte der Yroa.

Yc schwieg einen Augenblick, bevor er sich wieder in Bewegung setzte. Sie passierten einen kahlen Korridor. Den Daten nach, die das Ortungsmodul anzeigte, gab es eine Art Kontrollraum, den sie erreichen mussten. Er lag allerdings noch um einiges tiefer im Inneren der Spore Byylari.

>Woher diese exakten Angaben?<, ging es Fairoglan durch den Kopf.

Auch die Drohnen, deren Aufgabe es war, Sprengsätze in den anderen Sporen zu deponieren, mussten über Datensätze mit derselben Exaktheit verfügen, um den jeweiligen Bestimmungsort finden zu können.

Auf den Anzeigen des Ortungsmoduls war erkennbar, dass sie in Kürze einen Antigravschacht erreichen würden, mit dessen Hilfe sie tiefer ins Innere der Spore gelangen konnten.

»Wer hat dies alles erbaut?«, fragte Yc.

»Vielleicht finden wir es heraus«, erwiderte Fairoglan.

Der Yroa nahm die Verwirrung wahr, die sein Freund empfand. Die bohrende Frage nach dem Ursprung der Sporen und damit der gesamten ehemaligen Lebenssphäre um das Licht von Byylari.

>Eigentlich kann es nicht überraschen, dass auch die Sporen selbst künstlichen Ursprungs sind<, überlegte Fairoglan. Schließlich hatte es die Versorgungsmaschine gegeben, und die gemäßigte Temperatur innerhalb der Gasscheibe um Stern 23112 widersprach eigentlich jeglichen Naturgesetzen.

Sie erreichten einen dreieckigen Antigravschacht. Eine Leuchtanzeige blinkte auf, als sie sich näherten.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Yc.

»Ich nehme an, dass das Feld automatisch aktiviert wird, wenn sich jemand dem Schacht nähert.«

»Diese Anlage scheint noch voll funktionsfähig zu sein. Kannst du dir einen Grund vorstellen, weshalb sie vernichtet werden soll?«

»Vielleicht kommen wir auf den Grund, wenn wir wissen, wer diese Station erbaut hat«, gab Fairoglan zurück.

Er war froh darüber, dass sich sein Gefährte jetzt offenbar wieder mehr mit seiner Umgebung und ihrer brenzligen Situation beschäftigte als mit seinen Emotionen.

Fairoglan untersuchte das Antigravfeld mit Hilfe seines Ortungsmoduls.

Es war alles in Ordnung, die Feldstärke war ausreichend.

Also trat der Yroa als Erster in den Schacht, während Yc ihm nur zögernd folgte.

Sie schwebten insgesamt zehn Decks abwärts. Anschließend verließen sie den Schacht und passierten erneut einen Korridor. Dieser führte in eine Halle, deren Grundriss die Form eines gleichseitigen Dreiecks besaß. Zahlreiche konsolenartige Säulen waren hier zu finden.

»Offenbar handelt es sich um eine Art Kontrollraum«, stellte Fairoglan fest.

Hier sollten die Sprengsätze deponiert werden.

Yc stand wie erstarrt da. Seine Seh-Knospen suchten die Umgebung ab und fanden schließlich eine einzelne Kontrolllampe, die aufleuchtete.

»Eins steht fest«, sagte Fairoglan. »Die Verschwörer wissen sehr genau Bescheid über diese Anlagen. Viel besser, als es eigentlich der Fall sein dürfte. Meines Wissens ist seit der Expedition, die ich gemeinsam mit meinem Klon-Bruder Shafor hierher unternommen habe, niemand mehr in das System 23112 geflogen.«

»Vielleicht ohne dein Wissen«, gab Yc zu bedenken.

»Das halte ich für unwahrscheinlich. Nein, ich glaube eher, dass ein Zusammenhang zwischen der Verschwörung und >dem hier< besteht!« Dabei machte Fairoglan eine ausholende Bewegung.

»Hinter der Verschwörung stecken die Canyaj«, sagte Yc. »Zumindest nehmen wir das an.«

»Dann liegt es nahe, dass die Canyaj auch die Erbauer dieser Anlage sind«, sagte Fairoglan.

Bislang war das natürlich nichts weiter als eine Annahme. Es gab keinen Beweis dafür, dass die anorganischen Canyaj tatsächlich den Lebensraum für eine unzweifelhaft organische Spezies wie die Pflanzenartigen geschaffen hatten.

Aber gab es in Ycs Körper nicht einen anorganischen Kern?

Je länger Fairoglan darüber nachdachte, desto wahrscheinlicher erschien ihm diese Möglichkeit.

Yc schwieg, seine Ranken waren erstarrt.

Fairoglan nahm seine emotionale Aufwühlung wahr. Er konnte gut nachvollziehen, was dem Pflanzenartigen jetzt durch den Kopf ging.

»Wenn deine Annahme wahr ist, dann hieße das...« Yc stockte. Er schien davor zurückzuscheuen, es auszusprechen. Schließlich setzte er neu an und fuhr fort: »Glaubst du, dass auch ich ein Geschöpf der Canyaj bin? So wie die Klone, die derzeit die Allianz unterwandern?«

Fairoglan schalt sich innerlich schon dafür, seine Hypothese überhaupt geäußert zu haben.

»Bislang ist es nichts weiter als ein Gedanke«, versuchte er, Yc zu beruhigen.

>Aber ein Gedanke von zwingender Logik!<, ging es ihm dabei durch den Kopf. >Wie sonst wäre erklärlich, über welch präzise Daten Tardralonnen und seine Crew in Bezug auf die Artefakte des Gasrings verfügen?<

Diese Daten stammten direkt von ihren Auftraggebern, die mit den Erbauern der Anlage wohl identisch waren.

Noch aber fehlte ein Beweis.

Fairoglan blickte kurz auf die Anzeigen seines Ortungsmoduls und wandte ruckartig den kantigen Schädel in Richtung einer Konsole. >Energetische Aktivität. Was immer das auch zu bedeuten haben mag.<

Er trat an die Konsole heran. Verschiedene Flächen waren darauf farblich hervorgehoben.

Möglicherweise Sensorflächen, deren Berührung irgendwelche Rechnersysteme starteten oder einen unbekannten Mechanismus auslösten.

Er führte noch einmal einen gründlichen Scan mit Hilfe des Ortungsmoduls durch.

»Vielleicht existieren hier Datenbänke, die uns Aufschluss geben können«, überlegte Fairoglan.

Er starrte lange auf die Anzeigen seines Moduls. Schließlich berührte er kurz eines der farbig markierten Felder.

Ein Projektionsfeld baute sich auf. Ein Chaos von Farben und Formen war darin zu sehen.

Und Symbole!

Tausende von Symbolen.

Das Projektionsfeld hatte nur wenige Sekunden Bestand, bevor es wieder verblasste. Ein Blick auf das Ortungsmodul zeigte Fairoglan ein Absinken des Energieniveaus an. Außerdem lag nun eine Analyse der angemessenen Energiesignaturen vor, die an Deutlichkeit nichts zu Wünschen übrig ließ.

>Canyaj-Technik!<, durchzuckte es Fairoglan.

*



Die Beratungen des Hohen Rates waren in vollem Gang. Der einzige eingebrachte Antrag lautete, den Menschen ein scharfes Ultimatum zu stellen, das eine Antwort innerhalb eines Larsyrc Standardtages vorsah. Sollte die Reaktion der Menschen nicht wie gewünscht ausfallen, würde es zum Angriff kommen.

Es wurden kaum Reden gehalten.

Der Antrag traf auf eine überragende Mehrheit, wie nicht anders zu erwarten gewesen war.

Zegrian nahm innerlich eher teilnahmslos an der Sitzung teil. Der durch seine körperliche Größe nahezu unübersehbare Yroa-Erstling saß starr auf seinem Platz in der Versammlung. Sein graues, rundes Gesicht wirkte die meiste Zeit über vollkommen starr.

Gelangweilt vernahm er die Verkündung des Abstimmungsergebnisses.

Es hatte kaum Gegenstimmen gegeben. Die Euphorie war besonders bei den morrhmischen Räten nicht zu überbieten. Sie konnten es nicht erwarten, dass endlich gegen die verhassten Eroberer losgeschlagen werden konnte. Zu lange schon hatte man ihrer Meinung nach in ohnmächtiger Erstarrung auf die vielfältigen Bedrohungen gestarrt, denen sich Kalimpan gegenübersah. Potenzielle Angriffe von drei Seiten: Durch die Expansion der Menschen; die Canyaj mit ihrer Koalition von anorganischen Völkern, deren Kampf allen organischen Lebensformen galt; der nahe ihrer Grenze stehende Aqua-Kubus, der inzwischen bereits mehrere Planeten in sich aufgenommen hatte.

Zegrian beobachtete Hgrrek und Enielraq. Das ungleiche Regentenpaar sprach kurz miteinander, dann gingen beide getrennte Wege.

Zegrian steckten die Ereignisse der letzten Sitzung des Krisenstabs noch in den Knochen, als sein Klon-Bruder ermordet worden war, kurz bevor er dem Stab seine Ermittlungsergebnisse hatte mitteilen können.

Geheimdienst und eine Sondereinheit der inneren Sicherheitskräfte kümmerte sich um die Aufklärung des Verbrechens. Zegrian hatte jedoch Zweifel daran, dass diese Untersuchung in nächster Zeit zu irgendwelchen greifbaren Ergebnissen führen würde.

Inzwischen war auch er zu der Erkenntnis gelangt, dass in der Allianz-Führung etwas nicht stimmte. Von Fairoglans Verdacht im Hinblick auf eine Unterwanderung der Allianz durch Canyaj-Klone hatte Zegrian zum ersten Mal während einer der zahlreichen Beratungen des Rates erfahren, an denen auch Fairoglan nach seiner mysteriösen Rückkehr teilgenommen hatte.

Zegrian war Telepath.

Zwar war es nicht leicht, sich in der Menge einer großen Versammlung auf die Gedanken Einzelner zu konzentrieren. Für gewöhnlich verzichtete Zegrian bei dieser Gelegenheit auf die Anwendung seiner Psi-Fähigkeit. Andernfalls wäre sein Bewusstsein unter dem Strom der Gedanken und Bildern schier erstickt. Zegrian befand sich in derselben Situation wie jemand, der aus dem chaotischen Stimmengewirr einer großen Menge eine einzelne Stimme herauszuhören versuchte. Das erforderte enorme Konzentration.

Während einer kurzen, zufälligen Begegnung bei einer Verhandlungspause hatte Zegrian Fairoglans Gedanken aufgeschnappt.

So sehr er ihn auch als Klon-Bruder verachtete, so groß war andererseits sein Respekt, den er für Fairoglans Leistung als Sucher im Auftrag der Allianz empfand.

Es wäre unter seiner Würde gewesen, Fairoglan direkt darauf anzusprechen. Also hatte er seinen Klon-Bruder Ragolian beauftragt, eigene Nachforschungen anzustellen.

Dresgos, der Chef der Raumlotsen, den Ragolian nach erheblichen Mühen hatte auftreiben können, war inzwischen tot. Ragolian selbst ebenfalls.

Zegrian glaubte nicht an einen Zufall. Die Sicherheit der Allianz war gefährdet, und der Yroa-Erstling war fest entschlossen, alles in seiner Macht stehende zu tun, um sich der Verschwörung entgegenzustellen.

Einer Bedrohung, gegen die auch die stärkste Raumflotte machtlos war...

*



Kurze Zeit nach Beendigung der Ratsversammlung traf sich Zegrian mit Admiral Sarew-967.

Beide kannten sich seit langem, und jeder schätzte den anderen. Was sie teilten war die ständige Sorge um die Sicherheit der Allianz Kalimpan. Ihr hatten sowohl Zegrian als auch der Shaalkaane Sarew ihr Leben verschrieben.

Normalerweise hätte es Zegrian bevorzugt, sich in einem der k'aradanischen Lokale zu treffen, die sich in der Nähe der großen Versammlungshalle befanden. Aber für Shaalkaanen stellte öffentliches Essen eine Obszönität dar, und so benutzten sie einen derzeit nicht benutzten Konferenzraum.

»Ich möchte Ihnen mein tiefes Beileid über den Tod ihres Bruders ausdrücken«, erklärte der Admiral.

Zegrian antwortete telepathisch.

Der Shaalkaane war daran gewöhnt, dass sein Gegenüber diese Kommunikationsform bevorzugte, da sie schneller und effektiver vonstatten ging. Außerdem empfand Admiral Sarew-967 die dröhnende Stimme eines Yroa-Erstlings nicht gerade als angenehm.

>Ich zerfließe nicht vor Trauer<, erwiderte Zegrian mit einer für den Shaalkaanen überraschenden Kühle. >Ragolian war nur eine Nachgeburt. Für mich wird durch seinen Tod allerdings manches unbequemer.<

Sarew war etwas irritiert. »Sie wollten mich dringend sprechen, Zegrian.«

Zegrian kam ohne Umschweife zur Sache. >Es geht um die Verschwörer, von denen ich im Krisenstab sprach und die hinter dem Mord an meinem Klon-Bruder stecken, wie ich überzeugt bin. Als er starb, nahm ich aus dem Krisenstab heraus Signale der Zustimmung und Erleichterung wahr.<

»Konnten Sie diese Signale eindeutig zuordnen?«

>Leider nein. Aber ich bin mir sicher, dass bereits mehrere Regenten durch Klon-Agenten ersetzt wurden, genau wie Fairoglan und Dresgos es vermutet haben. Glücklicherweise existieren Ragolians Aufzeichnungen noch. Er deponierte sie in einem sicheren Speicherplatz im Datennetz.<

»Und mir vertrauen Sie?«, fragte Sarew mit leichtem Spott in der Stimme.

>Ich bin mir sicher, dass Sie es nicht waren, von dem die Freude über den Tod meines Bruders kam!<, erwiderte Zegrian.

»Wenn Sie Recht haben, dann ist die Allianzführung nur ein Spielball in den Händen der Canyaj. Ohne dass dies der Bevölkerung Kalimpan bewusst wäre!«

>Ja. Ich brauche Ihre Hilfe.<

*



Gelendos befand sich in seiner Kabine an Bord der ALLIANZ. Hier gab es eine notdürftige Beleuchtung, die allerdings jeder Shaalkaane als grell empfunden hätte. Für die Augen des k'aradanischen Gelehrten hingegen herrschte hier bestenfalls Halbdunkel.

Immerhin konnte er sein Nachtsichtgerät hier abnehmen.

Der K'aradan beobachtete angestrengt eine Projektion. Immer wieder spielte er die Sequenz der optischen Sensorenaufzeichnungen ab, die es ihm nun endlich möglich machte, den Aufbruch des Raubvogelschiffes mit eigenen Augen zu sehen. Ein einfaches Projektionsmodul musste dazu ausreichen. Kommandant Malaak-234 hatte ihn dazu verdonnert, sämtliche Daten, die bisher zu diesem Vorfall erhoben worden waren, auszuwerten und zu interpretieren.

»Schließlich sind sie der Menschen-Experte«, hatte er mit einem gehässigen Unterton gesagt.

Die astrometrischen Daten legten inzwischen nahe, dass sich jenes geheimnisvolle Schiff in in Richtung des Aqua-Kubus bewegt hatte. Zumindest deuteten einige feine Spuren darauf hin, die man zumindest ein Stück weit hatte verfolgen können.

Aber diese Spur hatte sich letztlich verloren.

Dazu gehörten die angemessenen Anomalien im Niveau der Dunklen Energie, die es überall im Universum gab. Die shaalkaanischen Bordingenieure der ALLIANZ vermuteten, dass der Antrieb des Raubvogelchiffs auf einer Basis funktionierte, die irgendetwas damit zu tun hatte.

Während Gelendos der Ansicht war, dass es sich um ein Schiff handelte, das nicht von Menschen konstruiert worden war, da es allen bisher bekannten Konstruktionsprinzipien der Menschen-Raumflotte widersprach, so vertraten die Bordingenieure die Ansicht, dass die Eroberer möglicherweise einen neuen Antrieb getestet hatten.

Wie die Explosionen und Kampfhandlungen, die es unzweifelhaft gegeben hatte, damit in Einklang zu bringen waren, darauf konnte jedoch keiner von ihnen eine befriedigende Antwort geben.

Tatsache war, dass die Menschen keine Verfolgerflotte ausgeschickt hatten.

Entweder deshalb, weil es sich tatsächlich um eines ihrer eigenen Schiffe handelte oder weil sie keinerlei Chance sahen, dieses technisch offenbar weit überlegende Raumschiff nach einer Verfolgungsjagd zu stellen.

>Und wenn es in irgendeiner Form mit dem Aqua-Kubus in Zusammenhang steht?<, ging es Gelendos durch den Kopf.

Diese Möglichkeit gefiel ihm ganz und gar nicht.

>Sollten die geheimnisvollen Herren des Wasser-Kubus mit den Menschen in Verbindung stehen? Vielleicht sogar ein Bündnis zu schmieden versuchen?<

Gelendos' Finger glitten über das Eingabe-Sensorfeld seines Moduls. Er ließ sich noch einmal den extrapolierten Kurs des Schiffes anzeigen.

>Es wäre möglich!<, überlegte er.

Ein Summton war zu hören.

Jemand wünschte über Interkom, mit Gelendos in Kontakt zu treten.

Im Unterschied zu den Schiffen anderer Allianz-Völkern gab es auf shaalkaanischen Schiffen niemals Bildübertragungen.

»Hier spricht Asdor-332, Erster Offizier der ALLIANZ«, meldete sich ein Shaalkaane.

»Was gibt es?«, fragte Gelendos.

»Der Kommandant wünscht dringend Ihre Anwesenheit auf der Brücke, Gelendos.«

»Bin schon dort!«, knurrte der Gelehrte, der dankbar dafür war, fürs Erste nicht länger darüber spekulieren zu müssen, was das Auftauchen des Rochenschiffs zu bedeuten hatte.

*



Ein Betrachter hätte den Eindruck gewinnen können, dass Larsyrc dabei war, sich aufzulösen. Seine Einzelteile schienen in den Weltraum gerissen zu werden und dabei auf schier unglaubliche Weise zu beschleunigen.

In Wahrheit war es nicht der Planet selbst, der sich aufzulösen begann, sondern die Formation der Raumschiffe, die um den Planeten herum schwebten.

Die äußerste Schicht dieses Sicherheitskokons bestand aus k'aradanischen Verbundraumern.

Allein von diesem Schiffstyp gab es etwa hunderttausend Einheiten, allesamt mit schweren Geschützen ausgestattet. Sie bestanden aus einem Ring, in dessen Zentrum sich eine Kugel befand.

Die K'aradan-Schiffe sammelten sich in keilförmigen Formationen und beschleunigten. Allein diese Teilflotte der Allianz stellte bereits eine geradezu gigantische Streitmacht dar. Aber sie reichte möglicherweise nicht aus, um die Menschen schlagen zu können.

Zu unkalkulierbar war die Größe der Flottenverbände, die die Menschen jederzeit und beinahe ohne jede zeitliche Verzögerung aus den Tiefen des von ihnen eroberten Raumgebietes über ihre Wurmlochverbindungen herbeischaffen konnten.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sich diese äußere Verteidigungsschicht der Larsyrc umgebenden Kugelschale aufgelöst hatte.

Darunter kam die Schicht der shaalkaanischen Schiffe zum Vorschein. Sie ähnelten Asteroiden oder unregelmäßig geformten, pockennarbigen Gesteinsbrocken – eine perfekte Tarnung.

Wie ein wanderndes Asteroidenfeld wirkte diese Teilflotte der Allianz. Auch wenn die Bewaffnung dieser Schiffe weit weniger offensichtlich war, als die Geschütztürme auf den Kugelstrukturen der K'aradanraumer, so verfügten doch auch die gut getarnten shaalkaanischen Einheiten über eine starke, wirkungsvolle Bewaffnung.

Die Schiffe der Yroa wirkten wie aus milchigem Glas gegossen. Sphärenschiffe aus Formenergie. Nicht eines glich dem anderen genau, alle unterschieden sich in Form, Musterung oder Größe. Sie bildeten die dritte Schale.

Darunter befand sich die Schale der Chgorr, deren Schiffe die Form von Zylindern besaßen.

Die Schiffe der Morrhm hatten die Form flacher Dreiecke und wirkten wie Pfeilspitzen. Auch ihre Schale löste sich auf und schloss sich der gewaltigen Allianz-Armada an. Früher einmal, waren die Morrhm mit primitiven Würfel-Schiffen durch das All gezogen und hatten als plündernde Nomaden von sich reden gemacht. Aber das war lange her.

Einzig und allein die letzte Verteidungsschale um Larsyrc blieb zurück. Sie bestand aus den Schiffen der Fulirr. Die Raumer der Echsenartigen bildeten die kleinste Teilflotte der Allianz. Diese innerste Schale der Larsyrc umgebenden Kugelwolke blieb als letztes Bollwerk zurück.

Immer noch eine Flotte, die noch Tausende von schwer bewaffneten Einheiten zählte und sehr wohl in der Lage war, auch den Angriff eines zahlenmäßig weit überlegenen Gegners abzuwehren.

Nach und nach gingen die einzelnen Teilverbände der gewaltigen Interventionsflotte in den Überlichtflug. Die große Konfrontation stand unmittelbar bevor.

Der Augenblick der Entscheidung...

*



Gelendos erschien in der Zentrale des Spähschiffs ALLIANZ.

»Uns erreichte gerade ein Funkspruch von Admiral Sonardan von der STERN VON ARADAN«, erklärte Kommandant Malaak-234. »In Kürze wird unsere Flotte hier eintreffen. In dem Augenblick wird das Ultimatum an die Menschen abgeschickt. Mag dieser Tarnschirm, der ihren Hauptplaneten umgibt, auch jegliche Funkbotschaft verschlucken – es gibt genügend Menschen-Schiffe außerhalb dieses Schirms. Sie werden die Nachricht schon an ihre Führung weiterleiten, da bin ich mir sicher.«

»Wird Admiral Sonardan das Oberkommando über diesen Einsatz führen?«, fragte Gelendos.

»Ja«, erwiderte Malaak. Ein glucksender Laut ging von ihm auf. Durch die Optik seines Nachtsichtgerätes sah Gelendos, wie der Shaalkaane seinen bleichen totenschädelähnlichen Kopf in Richtung des Gelehrten drehte. »Es entbehrt nicht einer gewissen Komik...«

»Was?«, hakte Gelendos nach.

»Ein Menschengesichtiger K'aradan befiehlt jene Flotte, die vielleicht für die endgültige Vernichtung des Brutnestes sorgen werden, aus dem diese hässlichen Eroberer gekrochen sind und das Universum wie eine Pestilenz überschwemmt haben.«

»Ich dachte, ein Mann in Ihrer Position steht über derart niedrigen Vorurteilen.«

»Es ist nicht böse gemeint«, erwiderte Malaak versöhnlich. »Genauso wie ich annehme, dass es von Ihrer Seite keine besondere Bedeutung hat, wenn Sie mich so lange mit Ihrem Nachtsichtgerät anstarren.«

»Ich bin Fachmann für Menschen – nicht für die Lebensweise der Shaalkaanen.«

»Deswegen möchte ich, dass Sie hier auf der Brücke bleiben. Sobald das Ultimatum abgegeben wurde, müssen wir mit Reaktionen der Gegenseite rechnen. Ich möchte, dass Sie uns mit Ihrem interkulturellen Fachwissen bei der Interpretation helfen.«

»Dafür bin ich ja an Bord.«

Malaak-234 machte eine Pause.

Optische Reize wurden jetzt auf seinen vorderen Hirnlappen projiziert. Er sah Bilder, die direkt von den Sensoren der ALLIANZ übermittelt wurden.

»Großflächige Strukturerschütterungen der Raumzeit«, meldete unterdessen der Ortungsoffizier pflichtschuldig. »Die Ursache dürfte auf der Hand liegen...«

»Unsere Flotte trifft ein«, murmelte Kommandant Malaak-234. »Funkoffizier?«

»Ja, Kommandant?«

»Beginnen Sie mit der Sendung des Ultimatumstextes, den uns Larsyrc übermittelt hat. In allen bekannten Sprachen und Frequenzen.«

»Jawohl...«

Vor seinem >inneren Auge< sah Malaak jetzt Tausende von Raumschiffen in den Normalraum eintauchen. Zunächst ausschließlich Verbundraumer der K'aradan, später shaalkaanische und morrhmische Schiffe.

Schiffe der vogelartigen Qriid stießen noch dazu.

Innerhalb kürzester Zeit sammelte sich ein gewaltiger Flottenverband in der Nähe der Kugelwolke aus Geröll- und Eisbrocken, die das Sonnensystem der Menschen umgab und auf den ersten Blick fast wie ein Schutzverband shaalkaanischer Steinraumschiffe wirkte.

»Ultimatum wurde gesendet!«, bestätigte der Kommunikationsoffizier und Funker der ALLIANZ.

Malaak-234 nahm dies ohne eine Reaktion zur Kenntnis.

Immer neue Einheiten trafen in der Nähe des Menschen-Systems ein. Sie sammelten sich zu kleineren Verbänden, die Kampfformation einnahmen.

»Das Ultimatum läuft«, sagte Malaak. »Jetzt heißt es abwarten.«

Die Master, von denen die Menschen offenbar beherrscht wurden, mussten sich nun erklären.

Waren sie bereit, ihre hemmungslose Eroberungspolitik einzustellen? Oder mussten sie erst mit Waffengewalt zur Besinnung gebracht werden?

Gelendos fürchtete Letzteres.

Nach allem, was er bisher über das Verhalten der Menschen wusste und zum Teil selbst dokumentiert hatte, würden sie nicht klein beigeben. Es gab keinen einzigen Präzedenzfall für einen Rückzug dieser äußerst kriegerischen Spezies. In den Augen des empfindsamen Gelehrten Gelendros war selbst jeder Morrhm ein feinsinniger Schöngeist gegen diese Barbaren.

»Haben Sie schon irgendetwas über dieses rochenartige Schiff herausgefunden?«, fragte Malaak an Gelendos gewandt in die unangenehme, angespannte Stille hinein, die in der Zentrale der ALLIANZ entstanden war.

»Nein«, gestand der Gelehrte kleinlaut.

Der Kommandant schien nicht wirklich an einer Antwort interessiert zu sein. Jedenfalls ging er auf das Thema nicht weiter ein.

Malaak wartete angespannt.

Einen Larsyrc-Tag lang hatten die Menschen Zeit für eine Antwort...

*



Ontul trug das Nachtsichtgerät, das zu seiner Dienstausrüstung bei den Inneren Sicherheitskräften gehörte. Er befand sich in der Zone der Shaalkaanen, einer Welt aus Schatten und Dunkelheit – und feuchter Kälte.

Als Morrhm war er alles andere als zimperlich, was das Aushalten unangenehmer klimatischer Bedingungen anging, aber diese durchdringende Kälte setzte selbst ihm zu.

Ontul verharrte kurz und verfluchte das Schicksal, das ihn hierher geführt hatte.

Die Shaalkaanen bevorzugten eine niedrige, verwinkelte Bauweise und schwebten mit ihren Antigravaggregaten durch die Straßen. Wenn jemand lief, konnte man davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Shaalkaanen handelte. Kaum ein Angehöriger der anderen Kalimpan-Völker verirrte sich je in die shaalkaanische Zone, während es in allen anderen Hauptzonen der Gründungsvölker der Allianz stets einen hohen Anteil von Besuchern gab, die normalerweise in einer anderen Umgebung beheimatet waren.

Wie dunkle Schatten erhoben sich die maximal zwei- bis dreistöckigen Häuser. Am »Himmel« leuchteten einige wenige, sehr schwache Lichter. Den Begriff Kunstsonne empfand Ontul als Hohn.

Die Shaalkaanen-Zone galt als Hochburg des illegalen Stimulanzien-Handels. Es gab auf Larsyrc für keines der Mitgliedsvölker Ausnahmen, was die Einhaltung der Allianz-Gesetze anging. Das galt für das Recht morrhmischer Ehefrauen, sich gegenseitig umzubringen genauso wie für die Liberalität der Shaalkaanen im Hinblick auf den Gebrauch von Drogen. Auf ihren eigenen Welten mochten sie tun und lassen, was ihre traditionelle Gesetzgebung ihnen vorschrieb. Doch auf Larsyrc galt eigentlich uneingeschränkt dasselbe Recht für alle. Hätte im Hinblick auf illegale Stimulanzien für die shaalkaanische Zone ein Sonderrecht gegolten, hätte es sofort Begehrlichkeiten anderer Völker gegeben, in anderen Punkten ebenfalls Sonderregelungen in Anspruch nehmen zu können.

Natürlich stand das Stimulanzien-Verbot in erster Linie auf dem Papier. Mächtige Syndikate organisierten die Einfuhr und die inneren Sicherheitskräfte führten einen letztlich vergeblichen Kampf dagegen.

Ontul war einzig und allein deshalb in dieser ungemütlichen Umgebung, weil er hier die besten Chancen sah, fürs Erste unterzutauchen.

Offenbar gab es keinerlei organisierten Widerstand gegen die Verschwörung.

Die Verantwortlichen schienen schnell dafür gesorgt zu haben, dass alle Personen, die eventuell gefährlich werden konnten, von der Bildfläche verschwunden waren.

Für Ontul ging es nun ums Überleben.

Das Verlassen von Larsyrc war für ihn bis auf Weiteres unmöglich. Die Arme der Verschwörung waren offensichtlich noch weitaus länger, als es Dresgos' schlimmsten Befürchtungen entsprach.

Zuerst brauchte Ontul eine neue Identität.

Die Wege, die er bei seinen Frauen zu diesem Zweck benutzt hatte, waren ihm jetzt verschlossen. Aber in der Shaalkaanen-Zone gab es einen ehemaligen Stimulanzienhändler, der als Spion für die Inneren Sicherheitskräfte tätig gewesen und Ontul noch einen Gefallen schuldig war.

Er hieß Tamres-2 und war sehr stolz auf seine direkte Abstammung von einem natürlich gezeugten Shaalkaanen. Er hatte Ontul eine Wohnung besorgt, in der dieser erst einmal untertauchen konnte.

Der Morrhm bog in eine Seitengasse. Eine Gruppe von Shaalkaanen schwebte ihm entgegen. Ihr Stimmengewirr verstummte, als sie ihn bemerkten, doch den hier üblichen Höflichkeitsregeln entsprechend, sahen sie Ontul jedoch nicht allzu lange an.

Am Ende der Gasse erreichte Ontul eine Tür. Durch das Berühren eines Sensorfeldes wurde eine Kom-Verbindung aktiviert.

»Wer sind Sie?«, fragte eine Stimme.

»Tamres-2 schickt mich.«

Die Tür öffnete sich, und Ontul betrat eine für shaalkaanische Verhältnisse recht große Wohnung. Er rückte sein Nachtsichtgerät zurecht und sah sich kurz um. Ein Shaalkaane schwebte in der Mitte der Raumes.

»Sie sind Glovas-13«, fragte Ontul. »Spezialist für die chirurgische Veränderung biometrischer Kennzeichen?«

»Ja, der bin ich«, bestätigte der Shaalkaane. »Sie scheinen in ziemlich großen Schwierigkeiten zu sein.«

»Ich möchte nur wissen, ob Sie die Merkmale, die bei Identitätschecks erfasst werden, so verändern können, dass ich auch bei einer Intensiv-Fahndung nicht mehr auffalle!«

»Das hat seinen Preis.«

»Versteht sich von selbst«, bestätigte Ontul.

»Meine Klinik gehört zu den besten auf Larsyrc, und wir haben Ärzte für die Behandlung sämtlicher Allianz-Völker. Selbst der unbedeutenden Kleinspezies, die nicht zu den Gründervölkern von Kalimpan gehören. Ein Morrhm muss allerdings immer mit Aufpreis rechnen. Da ist es gleichgültig, was Sie machen lassen. Diese Knochenschilde sind für jeden Operateur eine Herausforderung. Oder möchten Sie vielleicht hinterher aussehen wie ein menschengesichtiger K'aradan?«

Der Shaalkaane ließ ein glucksendes Geräusch hören. Offenbar war die letzte Bemerkung witzig gemeint.

Ontul hatte allerdings im Augenblick keinerlei Sinn für dessen Humor.

Eine Bewegung ließ ihn herumfahren.

Die Tür, die sich vor wenigen Augenblicken hinter ihm geschlossen hatte, öffnete sich jetzt. Gestalten, die selbst beim Blick durch das Nachtsichtgerät nur schattenhaft zu erkennen waren, sprangen herein.

Gleichzeitig glitten auch die Türen zu den Nebenräumen zur Seite.

Ontul sah die Angreifer durch das Nachtsichtgerät. Sie trugen Kampfanzüge mit geschlossenen Helmen, und er vermutete, dass es sich um Morrhm handelte.

Er griff zum Blaster, kam aber nicht mehr dazu, die Waffe zu benutzen. Ein greller Strahl zischte durch die Luft und erfasste Ontul voll.

Der Morrhm fühlte, wie seine Muskeln augenblicklich verkrampften. Von einer Sekunde zur anderen war er vollkommen bewegungsunfähig. Er sackte zu Boden.

»Meine Augen!«, hörte er noch Glovas-13 kreischen. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen ein Injektionsgeschoss verwenden, verdammt noch mal!«

»Sie wurden von uns fürstlich entlohnt, Glovas!«, antwortete eine Stimme. »Von dem kleinen Blitz werden Sie sich schon erholen...«

Mehr hörte Ontul nicht mehr. Bewusstlosigkeit legte sich wie eine dunkle Decke über ihn...

*



Der Krisenstab der Allianz Kalimpan tagte in dem weitläufigen, sechseckigen Taktikraum auf Larsyrc.

In dessen Mitte befand sich ein Projektionsfeld, das den Raumsektor zeigte, in dem sich das Zentralgestirn des Menschen-Systems befand.

Die Positionen der Kalimpan-Flottenverbände wurden markiert. Es handelte sich um eine gewaltige, mehrere hunderttausend Einheiten aller Größen zählende Flotte. Die einzelnen Schiffe sammelten sich in Verbänden, die Kampfformation einnahmen. Die shaalkaanischen Steinschiffe wirkten dabei wie ein Teil der Oortschen Wolke.

Die zahlenmäßig stärkste Flotte war eindeutig jene der K'aradan, deren Admiral daher auch das operative Kommando führte.

Zegrian hatte sich auf seinen Platz gesetzt. Hgrrek, der Erste der Chgorr, befand sich ganz in seiner Nähe, während Enielraq in ein Gespräch mit Admiral Sarew-967 vertieft war.

Hgrrek wandte sich von Zegrian ab.

Dieser empfand es als eigenartig, dass der Chgorr ihm in letzter Zeit regelrecht aus dem Weg zu gehen schien. Die beiden so unterschiedlichen Persönlichkeiten waren zwar häufig verschiedener Meinung gewesen, hatten sich ansonsten aber gut verstanden.

Inzwischen war Zegrian der Ansicht, dass Fairoglans Annahme der Wahrheit entsprach und der Chgorr-Regent nichts weiter als ein Canyaj-Klon war. Das würde vieles erklären.

Der Yroa-Erstling versuchte, sein Gegenüber mit Hilfe seiner Psi-Fähigkeiten mental zu überprüfen. Die Zahl der Anwesenden war nicht so groß, dass das unmöglich war. Außerdem setzte Zegrian diesmal seine ganze Kraft ein, um sich auf Hgrreks Bewusstsein zu konzentrieren.

Vergeblich...

>Etwas schirmt sein Bewusstsein ab!<, erkannte er.

Hgrrek wandte den Kopf in Richtung des massigen Yroa. Die Färbung seiner Flugmembran machte den emotionalen Aufruhr überdeutlich, in dem sich der Chgorr-Regent befand.

Zegrian sandte eine konzentrierte Gedankenbotschaft. Wenn Hgrrek darauf einging, war das vielleicht eine Möglichkeit, seine Abschirmung aufzuweichen.

>Sie scheinen besorgt zu sein, werter Hgrrek. Mir geht es da nicht anders. Aber vielleicht sollten wir mehr Vertrauen zu unserer Flotte haben.<

Hgrrek zuckte förmlich zusammen. Die Fühler zitterten, die Flugmembran bildete nun ein Muster aus verschiedenen sehr dunklen Rottönen.

»Entschuldigen Sie, Zegrian, aber wir hatten schon seit längerem keinen Kontakt mehr. Zumindest nicht auf >diese< Weise.«

>Wenn es Ihnen unangenehm ist... Andererseits ist meine Stimme recht durchdringend, wie Sie wissen, und für eine private Unterhaltung bevorzuge ich durchaus die Telepathie.<

»Das ist schon in Ordnung.«

Zegrian fragte sich, wodurch Hgrreks Bewusstsein dermaßen gut abgeschirmt wurde. Der Yroa versuchte normalerweise nie, gegen den Willen eines anderen, in dessen Gedanken einzudringen.

Je nach Auslegung der Allianzgesetze hätte das zumindest auf Larsyrc auch einen Verbrechenstatbestand dargestellt, während der Begriff, den man in den Yroa-Kolonien von der Privatsphäre des Einzelnen hatte, etwas weniger eng gefasst war.

Aber das alles interessierte Zegrian in diesem Moment wenig. Notfalls war er sogar bereit, mit den Gesetzen in Konflikt zu geraten. Schließlich ging es ihm um etwas sehr viel Höheres – um die Existenz der Allianz selbst.

>Es wird Sie verwundern, wenn ich über meinen an sich wertlosen Klon-Zweitling spreche<, wandte sich Zegrian noch einmal an den schmetterlingsartigen Hgrrek. >Aber das Leben ist sehr unpraktisch ohne ihn, und er fehlt mir in vieler Hinsicht.<

»Ich bedaure Ihren Verlust!«, sagte Hgrrek. Die changierende Färbung seiner Flugmembran verriet seine Unsicherheit.

Zegrian hatte seinen Einwurf mit kaltem Kalkül gemacht. Er erhoffte sich durch das Erwähnen seines Klon-Bruders einen Moment der gedanklichen Disziplinlosigkeit bei seinem Gegenüber. Ein Gedanke der Freude oder Erleichterung über das Gelingen des Attentates oder dergleichen.

Irgendein winziger Gedankensplitter genügte schon, um Zegrian einen Hinweis zu geben, eine Bestätigung für Fairoglans Verdacht.

Aber nichts davon vermochte der Yroa wahrzunehmen, so sehr er sich auch anstrengte.

Was für eine innere Disziplin musste dieses Schmetterlingswesen aufbringen!

Zegrian hatte beinahe Respekt davor. Aber er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass der Erste der Chgorr dazu in der Lage war, zumindest nicht ohne Hilfe. Auf Zegrian machte das Ganze den Eindruck, als ob der Chgorr einem posthypnotischen Befehl unterlag, der verhinderte, dass er sich auch nur mit einem einzigen Gedanken auf dieses gefährliche Terrain begab.

»Sie entschuldigen mich jetzt, ich hatte lange keine Heilige Zeit«, sagte der Chgorr plötzlich.

>Es wird ihm zu viel<, erkannte Zegrian. Er hatte den Eindruck, als ob der Chgorr kurz davor war, mental zusammenzubrechen und doch eine Reaktion zu zeigen.

>Warten Sie!<, forderte Zegrian unmissverständlich.

Mit voller Absicht erhöhte er dabei seine mentale Präsenz erheblich. Der Chgorr sollte beeindruckt sein. Zumindest für einen kurzen Moment.

Die Rechnung des Yroa ging auf.

»Was ist noch?«, fragte Hgrrek.

Seine Flügel hoben sich etwas. Ein Zeichen für äußerste Verkrampfung. Unter Chgorr, die an Stress litten, gab es ein gefürchtetes Syndrom. Die Betroffenen waren schließlich nicht mehr flugfähig, so sehr verkrampften sich sowohl die Flügel als auch der dazugehörige Bewegungsapparat.

>Ich versuche seit geraumer Zeit, Ihren Meditationslehrer Shatragh zu finden<, erklärte Zegrian sachlich.

Er registrierte deutliches Erschrecken bei seinem Gegenüber. Hgrrek war stark aufgewühlt.

»Wieso interessieren Sie sich für meinen Meditationslehrer? Die Schule des Hgalrrah hat, soweit ich weiß, außerhalb des Chgorr-Volkes keinerlei Anhänger. Schon gar nicht bei den Yroa...«

>Shatragh hat Fairoglan gegenüber ausgesagt, dass Sie sich verändert hätten, Hgrrek. Im Logbuch Ihrer Reise von Lasraf nach Larsyrc fehlt eine Stunde, wie Fairoglan herausfand. Er meinte, Sie wären durch einen Klon ersetzt worden – und Shatrags Aussage bestätigte dies!<

Für einen kurzen Moment verlor Hgrrek die mentale Kontrolle. Ein Gedankenbild erreichte Zegrians Bewusstsein. Die Szene war für Hgrrek offenbar mit einem dermaßen großen emotionalen Stress verbunden, dass selbst seine mentale Abschirmung nicht verhindern konnte, dass Zegrian die Gedanken daran empfing.

Für Sekundenbruchteile flackerte etwas vor Zegrians innerem Auge auf. Er sah, wie Hgrrek seinen Meditationslehrer blitzschnell mit seinem obersten Extremitätenpaar in einen Würgegriff nahm und tötete.

>Also doch!<, durchzuckte es den Yroa-Erstling.

Deshalb also war Shatrag verschwunden. Zegrian hatte eine Gruppe privater Ermittler und Söldner darauf angesetzt, sämtliche Personen ausfindig zu machen, die in irgendeiner Verbindung zu Fairoglan, Yc oder dem Chef der Raumlotsen gestanden hatten. Bislang erfolglos. All die Personen, von denen er geglaubt hatte, mehr über das Ausmaß der Verschwörung erfahren zu können, waren getötet worden, bevor sie ihr Wissen weitergeben konnten.

Hgrrek wich erschrocken von dem Yroa-Erstling zurück. Einige der anderen Anwesenden starrten ihn erstaunt an.

Zegrian sah zu dem shaalkaanischen Admiral Sarew-967 hinüber. Dessen Schattenfeld war keinerlei Reaktion anzusehen.

>Er ist ein Klon!<, lautete die telepathische Botschaft, die er Sarew sandte.

Hgrrek hatte sich inzwischen wieder gefangen und kauerte auf dem Boden. Seine Flugmembranen waren ein einziges Gemälde des Schreckens.

In diesem Augenblick kam eine Transmission von der STERN VON ARADAN, dem gegenwärtigen Flaggschiff der Allianz-Flotte. Das Gesicht und der Oberkörper des k'aradanischen Admirals Sonardan erschienen auf einer überlebensgroßen Projektionsfläche.

Die schockgrünen Augen des Admirals bildeten einen starken Kontrast zu dem schlohweißen Bart. Der Kopf war vollkommen kahl, abgesehen von paar eintätowierten Glückssymbolen der Götter Aradans.

»Bislang ist hier keinerlei Veränderung der Lage zu verzeichnen«, erklärte Sonardan. »Die Menschen haben noch fast einen halben Larsyrc-Standard-Tag, um auf das Ultimatum einzugehen, aber es ist nicht erkennbar, dass sie es bislang überhaupt in irgendeiner Form zur Kenntnis genommen haben.«

Saroo-Otnof, der gegenwärtige Regent der echsenartigen Fulirr, meldete sich irritiert zu Wort. »Sie haben nicht einmal ihre Kampfverbände zusammengezogen oder vielleicht zusätzliche Einheiten aus den von ihnen eroberten Raumgebieten herangeschafft?«

Admiral Sonardan verneinte dies. »Es wurden keinerlei erkennbaren Verteidigungsmaßnahmen getroffen. Was hinter dem Tarnschild vor sich geht, hinter dem der Hauptplanet unseres Gegners nach wie vor verborgen liegt, können wir natürlich nicht ermessen. Aber im Rest des Systems ist es verdächtig ruhig.«

Zegrian ging unterdessen auf Sarew-967 zu, der etwas abseits stand. Es sah aus, als hätte der Shaalkaane den Anblick des Yroa-Herrschers Neliebrab nicht ertragen können. Dieser schämte sich offenbar nicht, in aller Öffentlichkeit eine kleine Mahlzeit zu sich zu nehmen.

»Ich erhielt vorhin eine Botschaft meiner Vertrauten im Geheimdienst«, erklärte der Admiral. »Ich werde mich auf Sie konzentrieren, dann können Sie den Inhalt meinen Gedanken entnehmen. Das ist sicherer.«

»Sssehrrr gut«, erwiderte Zegrian.

Er nahm die Gedanken des Shaalkaanen wahr.

Offenbar war es gelungen, einen Mann in die Hände zu bekommen, der mit Dresgos in engem Kontakt gestanden hatte. Ein Morrhm namens Ontul.

Zegrian nahm die Gedankenbilder in sich auf, die Sarew-967 ihm bereitwillig eröffnete.

>Es scheint alles der Wahrheit zu entsprechen, was er sagt!<, ging es Zegrian durch den Kopf.

»Gehen wirrr zzzu ihm!«, forderte der Yroa.

*



Ontul erwachte.

Er fuhr hoch und bemerkte, dass er sich in einem vollkommen kahlen Raum befand. Das Energiefeld, auf dem er lag, war die einzige Einrichtung. In die Wand eingelassene Leuchtelemente sorgten für eine normale Tageshelligkeit, aber nach seinem Aufenthalt in der Zone der Shaalkaanen empfand er sie als fast unangenehm grell.

Neben dem Energiebett stand ein bewaffneter K'aradan, der Ontul offenbar gerade eine Injektion gegeben hatte. Durch sie war er erwacht.

»Ganz ruhig!«, sagte der K'aradan.

>Sie haben nichts zu befürchten! <

Es war keine akustische Stimme, die diese Worte sprach, sondern eine Art Gedankenstimme, die aus seinem eigenen Hinterkopf heraus zu sprechen schien.

Ontul wirbelte herum, setzte sich auf und blickte in das graue Gesicht eines Yroa-Erstlings.

>Mein Name ist Zegrian.<

»Ich kenne Sie. Sie sind eine Legende... Eine bekannte Persönlichkeit im Rat der Allianz!«

>Diese Allianz ist im Augenblick in höchster Gefahr!<, stellte Zegrian fest. >Eine Verschwörung droht sich ihrer zu bemächtigen. Aber das dürfte für Sie nichts Neues sein.<

»Da haben Sie allerdings Recht!«

>Vertrauen Sie mir, Ontul! Sie standen mit Dresgos, dem Chef der Raumlotsen in Kontakt...<

»Das ist richtig.« Ontul erhob sich und blickte an Zegrian vorbei auf ein shaalkaanisches Schattenfeld.

>Das ist Admiral Sarew-967<, erklärte der Yroa.

Ontul starrte einen Augenblick lang in die undurchdringliche Schwärze des Schattenfeldes, bevor er die anderen Anwesenden musterte. Insgesamt drei bewaffnete K'aradan befanden außerdem noch in dem verhältnismäßig kleinen Raum. Sie schienen jedoch lediglich Wachen zu sein.

»Wo befinde ich mich hier eigentlich?«, wollte Ontul wissen.

Sarew-967 bewegte sich ein Stück zur Seite.

Zegrian nahm eine gedankliche Nuance wahr, die ihm nicht gefiel. Ein kleiner, winziger Splitter nur, aber er reichte aus, um ihm einen eisigen Schauder über den Rücken zu treiben.

»Ihr könnt sie jetzt eliminieren«, sagte der Shaalkaane kalt.

Schlagartig erkannte Zegrian, was gespielt wurde: Sarew gehörte bereits zur anderen Seite.

»Trotz Hypnoseblock war es sehr schwer, meine Gedanken Ihnen gegenüber ausreichend zu kontrollieren«, stellte der Admiral fest. »Ich denke, ich brauche Ihnen jetzt nichts mehr erklären, Zegrian.«

Einer der K'aradan hob seinen Blaster.

Und Ontul stürzte sich auf ihn!

Doch er hatte keine Chance. Getroffen sank der Morrhm zu Boden. Der tödliche Energiestrahl fraß sich in seinen Oberkörper.

»Es hat sich gelohnt, Ontul zunächst am Leben zu lassen«, sagte Sarew-967 zynisch an Zegrian gerichtet. »Ich hätte es ansonsten auch bei bester Gedankendisziplin nicht geschafft, Sie zu belügen!«

Aus dem Schattenfeld des Shaalkaanen schoss ein Strahl.

Er war nicht sehr lichtintensiv, wie bei den Shaalkaanen mit Rücksicht auf ihre empfindlichen Augen üblich.

Zegrian, der sich immer als ein Bewahrer der Allianz gesehen hatte, war sofort tot.

Admiral Sarew-967 stellte augenblicklich eine Kom-Verbindung her. »Mein Regent, es ist ausgeführt.«

*



»Das Ultimatum ist abgelaufen«, erklärte Saroo-Otnof. Der echsenartige Fulirr blickte noch einmal auf das Chronometer an seinem Arm.

»Das war nicht anders zu erwarten«, murmelte Asmombros, der Regent der K'aradan.

Über einen Kom-Kanal bestand eine Verbindung zur STERN VON ARADAN. Auch bei Admiral Sonardan schien jetzt die Anspannung zu steigen.

»Wir warten auf Ihre Befehle«, erklärte er.

Saroo-Otnof, der im Augenblick turnusmäßig das Amt eines Sprechers der Regenten innehatte, blickte in die Runde der Kalimpan-Herrscher.

»Wirrr haben esss ssso beschlossssen!«, dröhnte Neliebrab.

Saroo-Otnof wandte sich der Projektionsfläche zu, auf der Admiral Sonardan zu sehen war. »Die Menschen haben es nicht anders gewollt, Admiral. Geben Sie Ihrer Flotte den Befehl zum Angriff. Sie waren zu keinem Dialog bereit und haben sich nicht einmal zu einer Antwort herabgelassen. Alles, was jetzt geschieht, haben sich die Menschen selbst zuzuschreiben!«

Admiral Sarew-967 schwebte in diesem Augenblick im Schutz seines Schattenfeldes in den Raum. Aber kaum jemand unter den anwesenden Mitgliedern des Krisenstabs bemerkte ihn.

Der Admiral wandte sich an Hgrrek, der etwas abseits der anderen Regenten kauerte.

»Es war alles noch rechtzeitig«, raunte der Shaalkaane.

Die Färbung von Hgrreks Flügelmembran zeigte an, dass dies für ihn kein Grund war, sich zu beruhigen.

Der Konflikt, der in seinem Inneren tobte, drohte, ihn zu zerreißen.

Sein friedliebender Charakter, seine Erziehung im Geist der Hgalrrah-Meditationsschule auf der einen Seite und die Konditionierung, der er folgen musste, auf der anderen.

Zegrian war tot.

Neliebrab gehörte zu den Verschwörern.

Es gab keinen Telepathen mehr in diesem Gremium. Also auch keinen Grund, nicht an das zu denken, was Hgrreks Gewissen so sehr zu schaffen machte. Auch wenn er nur ein Klon war, so hatte er doch die Kopie des Originalbewusstseins in sich. Mit all den Skrupeln, die der ursprüngliche Hgrrek auch empfunden hatte.

Hgrrek – der ursprüngliche Hgrrek – hatte einst davon gehört, dass es unter K'aradan, Morrhm, Qriid, Yroa und gerüchteweise sogar unter Menschen ein Krankheitsbild gab, das man mit dem Wort Persönlichkeitsspaltung beschreiben konnte.

Unter Chgorr war eine derartige Erkrankung bislang völlig unbekannt, aber gegenwärtig schienen deren Symptome Hgrreks Zustand genau zu beschreiben.

Er ahnte, dass der Seelenfrieden, den er früher unter Anleitung von Meditationslehrern und Hgalrrah-Meistern wie Shatragh zumindest für kurze Spannen während der so genannten Heiligen Zeit hatte finden können, verloren war.

Für immer...

*



Die ALLIANZ war das erste Spähschiff Kalimpans gewesen, das zum System der Menschen vorgedrungen war. Und auch jetzt, da sich eine riesige Flotte formiert hatte, war dieser Raumer eine der am weitesten vorgeschobenen Einheiten.

Längst hatte sich die ALLIANZ in den Bereich der Wolke aus Gesteins- und Eisbrocken begeben. Die optischen Sensoren der Menschen hätten das Schiff wahrscheinlich selbst bei deaktiviertem Tarnschirm für einen der zahllosen Brocken gehalten, die in diesem Teil des Alls auf teilweise chaotischen Bahnen umherschwirrten.

Kommandant Malaak-234 wandte sich an Gelendos. »Können Sie sich einen Reim darauf machen, weshalb die Menschen auf das Ultimatum nicht reagiert haben?«

»Nein, Kommandant«, erwiderte der K'aradan.

»Ich dachte, Sie kennen sich mit denen aus!«

»Man sieht, man kann immer wieder dazulernen.«

In diesem Moment meldete sich der Ortungsoffizier zu Wort.

»Starke Raumerschütterungen«, sagte er. »Da muss eine gewaltige Raumflotte in den Normalraum springen!«

»Natürlich!«, gab Malaak-234 etwas unwirsch zurück. »Das sind Einheiten Kalimpans.«

Es gab für den Kommandanten keinen Grund, daran zu zweifeln.

Schließlich trafen noch immer Einheiten aus weiter entfernt gelegenen Regionen des Kalimpan-Raum-Territoriums ein.

Sämtliche Kräfte sollten hier im Menschen-System konzentriert werden. Ein einziger Schlag, der sitzen musste. Das war es, worauf die Taktik der Kalimpan-Führung hinauslief.

»Kommandant, über so große Reserven verfügt die Allianz nicht!«, gab der Ortungsoffizier zu bedenken. »Es kann sich unmöglich um eine Kalimpan-Flotte handeln. Außerdem weisen die angemessenen Raumverzerrungen Muster auf, die keinem in der Allianz üblichen Überlichtantrieb zugeordnet werden kann!«

Im nächsten Moment sah Malaak vor seinem inneren Auge die ersten Schiffe in den Normalraum stürzen. Sie tauchten wie aus dem Nichts auf.

Wie aus weiter Ferne hörte er die Meldungen des Ortungsoffiziers, aber er hörte gar nicht mehr wirklich zu. Zu sehr nahm ihn der Anblick gefangen, der direkt in sein Hirn projiziert wurde.

Innerhalb kürzester Zeit erschien eine Flotte, die dem Kalimpan-Verband zahlenmäßig weit überlegen war. Mehrere hunderttausend Schiffe waren bereits im Normalraum materialisiert, und der Strom dieser Armada schien einfach nicht abzureißen.

»Das darf nicht wahr sein!«, flüsterte Malaak-234.

Die fremde Flotte schob sich zwischen den Kalimpan-Verband und das Sonnensystem der Menschen.

Die Sensoren arbeiteten auf Hochtouren, Analysen wurden durchgeführt.

Gleichzeitig trafen Befehle von der STERN VON ARADAN ein. Admiral Sonardan war angesichts der neuen Lage gezwungen, seinen Verband umzugruppieren.

Malaak nahm konsterniert die Ergebnisse zur Kenntnis, die sich aus den Analysen der Sensorsysteme ergaben.

Der Ortungsoffizier fasste die niederschmetternden Erkenntnisse zusammen.

»Es ist die Flotte der Canyaj!«, stellte er tonlos fest. »Unsere natürlichen Verbündeten gegen die Menschen!« Er wandte sich an Gelendos. »Finden Sie es nicht auch merkwürdig, dass den Anorganischen die Position des Menschen-Systems ausgerechnet jetzt bekannt geworden zu sein scheint?«

»Wollen Sie damit etwa andeuten, dass es auf Larsyrc Verräter gibt?«, fragte der Gelehrte.

Malaak-234 erzeugte einen dumpfen Gurgellaut. »Bei allen Klonvätern, ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll!«


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