Читать книгу Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 15

Raumschlacht um die Erde

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von Alfred Bekker

Ein Summen ertönte in dem hallenartigen, nur von einer Notbeleuchtung erhellten Raum. Das Licht flackerte, wurde kurz heller ehe es wieder sein Ausgangsniveau erreichte.

"Was geht da vor sich?", fragte Yc.

Fairoglan hob die Schultern.

"Keine Ahnung", musste der Yroa eingestehen.

Fairoglan hielt das Ortungsmodul etwas höher. Sein Gesicht wirkte angestrengt.

Das Pflanzenwesen Yc betrachtete seinen väterlichen Freund und Beschützer aufmerksam mit den geöffneten Augenknospen. Yc hätte zwar niemals behauptet, sich schon mit allen Feinheiten der Mimik eines Yroa auszukennen, aber dass Fairoglan irgendeine irritierende Entdeckung gemacht haben musste, war dem Pflanzenartigen sofort klar.

"Was ist los?", fragte er.

"Wir haben es mit Canyaj-Technik zu tun", meinte Fairoglan. Seine Stimme war fast tonlos.

Yc brauchte einige Augenblicke, um diese Aussage zu verdauen.

Nicht genug, dass es im Inneren seiner Heimatspore Byylari eine begehbare Anlage gab, von deren Existenz Yc nichts geahnt hatte. Jetzt sollten auch die anorganischen Canyaj hinter den Artefakten des Sonnensystems 23211 stecken! Die Gedanken rasten nur so durch Ycs Nervenknotenpunkt, der sich etwa in der Mitte seines pflanzlichen Körpers befand.

"Canyaj?", fragte er. "Du musst dich geirrt haben!"

Fairoglan deutete auf die Konsole, vor der er stand und die er ganz kurz sogar hatte aktivieren können.

"Die Analyse der angemessenen Energiesignaturen ist ganz eindeutig und weist einige typische Muster der Canyaj-Technologie auf. Und wenn schon die vergleichsweise schmale Basis an verfügbaren Vergleichsdaten, die dieses einfache Handmodul in seinem Speicher zur Verfügung hat, dazu ausreicht, um das herauszufinden, dann ist das schon ziemlich eindeutig."

"Überprüf das doch bitte noch mal... Der Gedanke, dass die Canyaj diese Anlagen hier erbaut haben, gefällt mir ganz und gar nicht!"

"Ich habe alles mehrfach überprüft", erwiderte Fairoglan. "Sonst hätte ich dir davon gar nichts gesagt, weil ich mir ja denken kann, wie dich das aufwühlt. Aber du solltest den Tatsachen ins Auge sehen. Außerdem ist da noch ein Indiz für eine Urheberschaft der Anorganischen."

"Und das wäre?"

"Die Symbole, die kurz zu sehen waren, als ich die Konsole aktivierte, waren eindeutig Canyaj-Zeichen."

"Das konntest du so schnell erkennen?"

"Ja."

"Das Projektionsfeld war doch nur wenige Sekunden aktiv."

Fairoglan schwieg einen Moment. Er musterte das Pflanzenwesen. Die Tentakelfortsätze zitterten leicht. Wenn man davon ausgeht, dass die Canyaj tatsächlich die Schöpfer dieser Anlage -—und vermutlich der gesamten Lebenszone im Gasring um das Licht von Byylari! -—sind, dann bedeutet das auch, dass sie letztlich auch die Pflanzenartigen erschaffen haben!, ging es Fairoglan durch den Kopf.

Genau gegen diese Erkenntnis sträubte sich Yc offenbar.

Fairoglan wusste, dass es in Ycs Pflanzenkörper eine anorganische Komponente gab. Es hatte nie jemand deren Funktion genauer untersucht. Möglicherweise hatte diese Komponente auch etwas mit der Erschaffung durch die Canyaj zu tun.

"Was bin ich?", fragte Yc plötzlich.

Fairoglan wich aus.

"Eine philosophische Frage, die wir uns vielleicht aufheben sollten, bis wir unser Überleben gesichert haben!"

Fairoglan deutete auf die zylinderförmigen Sprengsätze, die er noch immer bei sich trug. "Wir können darauf wetten, dass Tardralonnen die Sprengsätze zündet, bevor wir das Beiboot bestiegen haben und zurückgekehrt sind!", erklärte er. "Sinn der Operation, mit der die Besatzung der NONG-TO betraut wurde, scheint es zu sein, wirklich alles zu zerstören, was noch von der Lebenszone des Gasrings um Stern 23112 übrig ist. Alle Artefakte, die Reste der Maschine, die für die Nahrungsmittelproduktion verantwortlich war und natürlich die Sporen..."

"Und mich!", stellte Yc bitter fest. "Alles, was auf die Canyaj hindeutet."

"Von ihnen muss Tardralonnens Crew auch die Zugangscodes haben, die es ermöglichte, die Drohnen mit den Sprengladungen in den inneren Bereich der Sporen zu bringen."

Fairoglan wandte sich wieder der Konsole zu.

"Wir müssen die Sprengsätze loswerden!", forderte Yc.

Fairoglan ging auf diese recht naive Bemerkung nicht weiter ein. Tardralonnen hatte die Macht, den Sprengstoff zu zünden, wann immer er wollte. Die Sprengkraft war mit Sicherheit so groß, dass es für Fairoglan und Yc kaum eine Rolle spielte, wo sie sich gerade innerhalb der Spore aufhielten, wenn es zur Explosion kam.

Ihr Tod war gewiss.

Dass man Yc gezwungen hatte, sich an der Vernichtung seiner Heimatspore aktiv zu beteiligen, war ein sadistisches Detail, das wohl in erster Linie dazu diente, auch von den beiden Suchern der Allianz jegliche Spuren zu tilgen.

Fairoglan zögerte kurz, ehe seine Hand erneut die Sensorfläche der Konsole berührte.

Wie beim ersten Mal entstand eine Projektionsfläche. In rascher Folge erschienen Tausende von Zeichen. Canyaj-Symbole, wie Fairoglan jetzt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sagen konnte. Das Ortungsmodul, das er in der anderen Hand hielt, zeigte ein erhöhtes Energienivieau an. Weitere Kontrollanzeigen an anderen Konsolen begannen zu blinken.

*



Kommandant Tardralonnen erhob sich von seinem Konturensitz. Der gut zwei Meter große Morrhm hielt einen Becher mit dampfendem Rrasandrrarr, einem belebenden Getränk, das aus mit gerösteten Bohnen der Mangtu-Frucht auf Morrhm III aufgebrüht wurde.

Das Schattenfeld, unter dem der lichempfindliche shaalkaanische Ortungsoffizer verborgen war, änderte geringfügig seine äußere Ausdehnung. Der Schalensitz, auf dem er Platz genommen hatte, drehte sich in Richtung seiner Konsole, woran erkennbar war, dass er sich offenbar abgewandt hatte. Kein Wunder. Öffentliches Essen und Trinken galt unter Shaalkaanen als Obszönität. Kommandant Tardralonnen war allerdings nicht gewillt, auf die kulturelle Besonderheiten der Shaalkaanen in dieser Hinsicht Rücksicht zu nehmen.

Er schlürfte ausgiebig und stieß anschließend einen dumpfen, grollenden Grunzlaut aus.

Unter Morrhm war das ein Ausdruck des Wohlgefallens.

"Kommandant, ich messe Schwankungen im Energieniveau der Anlage im Inneren der Spore", erklärte der Shaalkaane anschließend in betont sachlichem Tonfall.

"Die Anlage ist ja auch nicht vollkommen tot", gab Tardralonnen zu bedenken. "Schließlich müssen gewisse Basisfunktionen aufrecht erhalten werden."

"Wenn Sie mich fragen, dann versucht da gerade jemand, das Rechnersystem der Anlage in Betrieb zu nehmen", erklärte der Shaalkaane. Sein Name war Tramsoy-32. Seit drei Larsyrc Standardjahren gehörte er zur Besatzung des dem Kalimpan-Geheimdienst unterstellten Raumschiffs NONG-TO, das mit dem Auftrag in den scheibenförmigen Gasring um System 23112 geschickt worden war, um alles zu vernichten, was von diesem bizarren und offenbar künstlich erzeugten Lebensraum noch übrig war.

Tramsoy empfand insgeheim Bewunderung für die enorme technische Leistung, zu der die Schöpfer dieser Lebenszone offenbar imstande gewesen waren. Die atollartigen Sporen, auf denen Wesen wie Yc gelebt hatten, waren schon fantastisch genug. Eine gewaltige Fabrikationsanlage hatte die Sporen mit pollenartigen Nahrungsmitteln versorgt, die einfach von den Winden innerhalb der Gaswolke an ihr Ziel getrieben worden waren. Das erstaunlichste Merkmal des Systems war jedoch die Tatsache, dass die Gaswolke im Bereich der Lebenszone keineswegs glühend heiß war, wie man es eigentlich hätte erwarten müssen. Es herrschten gemäßigte Temperaturen, die das Überleben der Pflanzenartigen lange Zeit ermöglicht hatten.

Tramsoy studierte das auf Grund der Knochenschilde recht bewegungslose morrhmische Gesicht seines Kommandanten. Er erwartete noch immer eine Reaktion.

Der Morrhm machte eine ruckartige Bewegung.

Er starrte in Tramsoys Richtung, nahm noch einen schlürfenden Schluck.

Es hat seinen Grund, dass in den normalen Flottenverbänden Kalimpans keine gemischten Besatzungen eingesetzt werden, ging es Tramsoy durch den im Verhältnis zum eher schwächlichen, von einem Antigravaggregat gehaltenen Körper sehr großen Kopf. Von dem totenschädelbleichen Antlitz mit dem ballonartig vergrößerten Hinterkopf vermochte Tardralonnen auf Grund des Schattenschirms nichts zu sehen.

"Wer sollte denn das Rechnersystem wieder in Betrieb nehmen?", fragte er dann. "Das ist doch absurd."

"Fairoglan wäre so etwas zuzutrauen", erwiderte Tramsoy-32 ruhig.

"Könnte es sich nicht auch um automatisch einsetzende Routinen handeln?"

"Unwahrscheinlich."

Tardralonnen wandte sich an den K'aradan, der zurzeit Dienst an der Konsole des Kommunikationsoffiziers hatte. "Larenjos, stellen Sie bitte eine Verbindung zu Yc und Fairoglan her. Die beiden müssten inzwischen die Sprengladungen an den vorgesehenen Orten deponiert haben."

"Ein entsprechendes Signal des Ortungsmoduls, dass die beiden bei sich tragen, ist bislang nicht eingetroffen", erklärte Larenjos sachlich.

Der morrhmische Waffenoffizer der NONG-TO meldete sich zu Wort. Ungefragt -—was für einen morrhmischen Offizier einem Affront gleichkam. Aber an Bord der NONG-TO galten die, im Gegensatz zu dem auf morrhmischen Schiffen herrschenden Regiment, sehr viel liberaleren Allianz-Vorschriften.

"Mit Verlaub, ich habe es von Anfang an für einen Fehler gehalten, Yc und Fairoglan mit dem Platzieren der Sprengsätze zu beauftragen. Wir hätten sie sehr viel risikoloser eliminieren können..."

Tardralonnen stieß einen grollenden Knurrlaut aus, der den Waffenoffizier regelrecht zusammenzucken ließ.

"Wir haben unsere Befehle!", zischte er dann. "Und als Offizier des Geheimdienstes sollten Sie eigentlich wissen, dass wir alle diesen Befehlen Folge zu leisten haben, ohne auch nur das geringste Detail daran in Frage zu stellen, Waffenoffizier Herrelén!"

"Jawohl, Kommandant!", gab der Waffenoffizier der NONG-TO kleinlaut zurück. Es war allgemein bekannt, dass Herrelén insgeheim dachte, dass ihm das Kommando über die NONG-TO zugestanden hätte. Aber Tardralonnen war ihm vorgezogen worden. Herrelén glaubte, dass dies keine Frage besserer Qualifikation gewesen war, sondern in weitläufigen verwandtschaftlichen Beziehungen zur Familie des morrhmischen Regenten Enielraq begründet lag, der wiederum dafür gesorgt hatte, dass die Schlüsselpositionen des Geheimdienstes mit Personen seines besonderen Vertrauens besetzt worden waren.

Ab und zu trat die im Hintergrund schwelende Rivalität zwischen Tardralonnen und Herrelén offen zu Tage. Aber der Waffenoffizier war klug genug, um zu wissen, dass es keinen Sinn hatte, es zwischen ihnen beiden wirklich zum offenen Konflikt kommen zu lassen. Dazu waren sie beide zu sehr aufeinander angewiesen. Herrelén wusste, dass seine eigene Karriere nur dann voranging, wenn Tardralonnen weiter emporstieg und für ihn den Platz frei machte.

"Es lässt sich keine Verbindung zu Fairoglan und Yc herstellen", erklärte jetzt Larenjos. Die Augen des k'aradanischen Kommunikationsoffiziers blickten wie gebannt auf die Anzeigen einer Konsole.

"Was soll das heißen, Larenjos? Sie werden doch noch in der Lage sein, eine einfache Kom-Verbindung herzustellen!", fauchte Tardralonnen.

"Kommandant, da scheint sich irgendein Abschirmungsfeld gebildet zu haben, das unsere Signale unterdrückt!"

"Ihren Verdacht kann ich nur bestätigen!", ergänzte Tramsoy-32. "Die Abtaster messen jetzt eine erhebliche Veränderung des Energieniveaus an, aber es wird für unsere Ortungssysteme zunehmend schwieriger, noch etwas aufzuzeichnen!"

"Was ist das für ein Feld?", fragte Tardralonnen.

"Feldstruktur unbekannt. Analyse blieb bisher ohne Ergebnis. Es gibt offenbar in unseren Datenspeichern keine passenden Vergleichsmuster."

Tardralonnen bleckte die Zähne. Selbst die Reißer an den Seiten wurden sichtbar. Offenbar gestaltete sich die Ausführung dieser Mission problematischer, als er gedacht hatte.

Vielleicht hatten diejenigen, die ihm seine Befehle gegeben hatten, Fairoglan und Yc einfach unterschätzt.

Aber es war auch möglich, dass System 23112 Geheimnisse enthielt, von denen nicht einmal die Verantwortlichen der obersten Führung etwas ahnten.

"Waffenoffizier!"

"Ja, Kommandant?", meldete sich Herrelén.

"Zünden Sie die Sprengsätze! Und zwar jetzt sofort!"

"Jawohl Kommandant!"

Tardralonnens Blick wandte sich in Richtung des großen Panoramaschirms.

Die atollähnliche, unregelmäßige Spore Byylari war dort zu sehen.

Er kniff die tiefliegenden Augen zusammen und erwartete in den nächsten Sekunden das grelle Aufleuchten einer Explosion.

*



Admiral Sonardan, Kommandant des k'aradanischen Verbundraumers STERN VON ARADAN und außerdem Oberbefehlshaber der vereinigten Flotte der Allianz Kalimpan, die sich am Rand des Heimatsystems der Menschen zum Angriff bereitgemacht hatte, lehnte sich in seinem Schalensitz zurück. Der Blick seiner grünen Augen ruhte auf dem Panoramabildschirm.

Der Zoom war so eingestellt, dass die Größe der fremden Flotte, die plötzlich am Ort des Geschehens aufgetaucht war, in etwa abschätzbar wurde. Es waren Hunderttausende von Raumschiffen, urplötzlich aus dem Hyperraum ins Normaluniversum zurückgekehrt, nachdem das Ultimatum an den sogenannten MASTERMIND, wie sich der Herrscher der Menschen nennen ließ, ohne irgendeine Reaktion verstrichen war.

Aber es waren keine Menschen-Schiffe, sondern überraschenderweise ausnahmslos Einheiten der anorganischen Canyaj.

"Die Canyaj-Schiffe haben die Schutzschilde aktiviert", meldete der Ortungsoffizier. "Sie sind gefechtsbereit!"

Admiral Sonardans Hände krampften sich zu Fäusten zusammen.

Eine Nachricht nach Larsyrc mit einem Lagebericht und der Bitte um weitere Befehle war längst abgeschickt worden.

Bisher ohne Antwort.

Sonardan verstand das nicht.

Irgendetwas stimmt da nicht, ging es ihm durch den Kopf. Er war erfahren genug, um so etwa im Gefühl zu haben.

Gleichzeitig mit der Nachricht an das Oberkommando auf Larsyrc war eine Grußbotschaft an die Canyaj-Schiffe gegangen.

Bislang war auch sie unbeantwortet geblieben.

Der Erste Offizier der STERN VON ARADAN trat neben den Admiral. Er überragte Sonardan um eine halbe Haupteslänge. Das dunkle Haar war bis auf einen breiten Kamm in der Mitte abrasiert. Sein Name war Estan und mit seinen dreißig Larsyrc-Jahren war er bereits ungewöhnlich hoch in der Flottenhierarchie gestiegen.

"Es gefällt mir nicht, dass unsere Verbündeten hier so urplötzlich auftauchen und uns offenbar die sichere Beute noch vor der Nase wegzuschnappen versuchen!"

Sonardan verzog das Gesicht. Ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. In Wahrheit versuchte er nur seine eigene Unsicherheit und Anspannung zu überspielen.

"Die Canyaj sind nicht unsere Verbündeten", stellte Sonardan fest.

"Nicht offiziell", gab Estan zu bedenken. "Aber faktisch sind sie es. Schließlich kämpfen die Anorganischen und ihre Verbündeten genauso gegen die Menschen, wie wir es in Kürze tun werden -—vorausgesetzt, die Canyaj lassen uns noch etwas übrig!"

"Ich will mich ja nicht in Ihre Privatangelegenheiten mischen, Estan, aber kann es sein, dass Ihre martialische Ausdrucksweise dadurch bedingt ist, dass Sie häufigen Umgang mit Morrhm haben?"

"Sie sagen das, als ob es dagegen etwas einzuwenden gäbe!", erwiderte Estan etwas irritiert. "Die Morrhm sind schließlich mit uns alliiert!"

"Sie sollen vor kurzem an einem morrhmischen Kampf ohne Waffen und Regeln teilgenommen haben!"

"Aber nur an der harmlosen Variante, die mit den auf Larsyrc geltenden Allianzgesetzen im Einklang steht!", versicherte Estan.

"Natürlich..."

Admiral Sonardan trat ein paar Schritte vor.

Er konnte seine wachsende Ungeduld kaum verbergen.

Der Befehlshaber der Flotte wandte sich an die Kommunikationsoffizierin.

"Was ist? Noch immer keine Antwort, Sadrii?"

"Nein!", versicherte die K'aradan-Frau.

"Versuchen Sie auf allen Kanälen eine Verbindung zu den Canyaj herzustellen. Wir brauchen Klarheit über ihre Ziele!"

"Liegen die nicht auf der Hand?", mischte sich Estan ein.

Sonardan hob die Augenbrauen und wandte den Blick in Richtung seines Ersten Offiziers.

"Glauben Sie wirklich?"

"Sie werden zuerst die Menschen in diesem System auslöschen und sich anschließend uns zuwenden. Habe ich recht, Admiral?"

Sonardan nickte düster.

Die Canyaj und ihre Verbündeten führten einen Vernichtungsfeldzug gegen alles organische Leben. Die Vernichtung der Menschen konnte nur eine Etappe für sie sein. Diese Erkenntnis war es auch, die das lange Zögern der Allianz Kalimpan begründet hatte, dem Eroberungsfeldzug der Menschen Einhalt zu gebieten.

"Keinerlei Reaktion auf unsere Versuche, eine Kom-Verbindung herzustellen", erklärte inzwischen Kommunikationsoffizierin Sadrii nüchtern. "Dasselbe gilt für den Kontaktversuch mit Larsyrc."

Admiral Sonardan schluckte.

Eine Flut von Gedanken jagte ihm durch den Kopf. Er spürte, dass einiges von dem, was er als Fakten voraussetzte nicht stimmen konnte. Die Widersprüche waren zu groß. Warum antworten weder die Canyaj noch unser Hauptquartier?, durchzuckte es ihn. Ein anderer Punkt, der ihn stutzig machte war, dass das Auftauchen der Canyaj-Flotte zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich überhaupt keinen Sinn machte, wenn man davon ausging, dass die Anorganischen ihre bisherige Strategie weiterverfolgten. Und die lief letztlich darauf hinaus, die Allianz Kalimpan als eine Art Vorhut in den Kampf gegen die unersättlichen Eroberer vorzuschicken, um eigene Kräfte zu schonen. So jedenfalls hatte es in den Besprechungen des Flottenstabes immer geheißen.

Aber das jetzige Verhalten der Canyaj passte einfach nicht dazu.

"Ich frage mich, wer unseren zumindest zeitweiligen natürlichen Verbündeten gegen die Menschen die Koordinaten dieses Systems verraten hat", murmelte Sonardan.

"Vielleicht sind sie einfach den Energiesignaturen unserer Flotte gefolgt", vermutete Estan.

Aber Sonardan war mit dieser Erklärung nicht zufrieden.

"Daran habe ich auch gedacht. Aber Sie wissen selbst wie schwierig das ist. Außerdem haben sie eine gewaltige Flotte mobilisiert und her geschickt. Das sieht mir eher so aus, als würden sie einem Plan folgen, der viel langfristiger angelegt ist. Keine Reaktion auf unser Flottenmanöver."

"Und woran denken Sie dann?", fragte Estan.

"Verrat!", murmelte Sonardan. "Jemand hat den Canyaj offenbar die Koordinaten des Menschen-Systems übermittelt!"

"Dann müsste es sich um eine Verschwörung auf höchster Ebene handeln!", gab Estan zweifelnd zu bedenken.

"So ist es", bestätigte Sonardan.

Er mochte diesen Gedanken gar nicht bis in die letzte Konsequenz zu Ende denken. Aber welche andere Erklärung konnte es dafür geben, dass auch die Anorganischen über die Koordinaten des bis dahin getarnten Heimatsystems der Menschen verfügten?

*



Äußerlich wirkte das shaalkaanische Spähschiff ALLIANZ wie ein pockennarbiger Asteroid. Ein unregelmäßig geformter Gesteinsbrocken, der am Rande der von den Menschen so genannten Oort'schen Wolke durch das All trieb und sich in beinahe nichts von den Millionen Materiebrocken unterschied, die ganz in der Nähe ihre teilweise sehr exzentrischen Bahnen um ihr Zentralgestirn zogen.

Die ALLIANZ hatte als erstes Spähschiff Kalimpans das Heimatsystem der Menschen erreicht und zunächst die Position eines getarnten Beobachters eingenommen. Auch nach dem Eintreffen der gewaltigen Canyaj-Flotte war ihre Position im Vergleich zu den anderen Kalimpan-Einheiten weit vorgeschoben.

Die ALLIANZ trieb immer weiter in die Oort'sche Wolke hinein. Und das war durchaus Absicht.

Inwieweit die Canyaj die exzellente Tarntechnik der Shaalkaanen zu durchschauen vermochten, war niemandem so recht klar. Aber fest stand, dass die ALLIANZ sich als Raumschiff zu erkennen gab, sobald sie ein deutlich sichtbares Flugmanöver ausführte.

Gelendos, der k'aradanische Menschen-Forscher an Bord der ALLIANZ hatte seine Mahlzeit allein in seiner Kabine eingenommen. Als einziger Nicht-Shaalkaane in einem shaalkaanischen Raumschiff musste er sich den Sitten seiner Gastgeber anpassen. Zwar war er offiziell Teil der Crew, aber er wusste sehr genau, dass die Mannschaft um Kommandant Malaak-234 ihn im Grunde nicht als vollwertiges Mitglied ansah. Eher als Barbaren, der normalerweise seine Mahlzeiten obszönerweise vor den Augen anderer einnahm, grelles Licht bevorzugte und es vorzog, sich wie ein Tier auf eigenen Füßen fortzubewegen.

Gelendos verließ seine Kabine, nachdem er die Mahlzeit beendet hatte. Es war ihm schon zur Gewohnheit geworden, das Nachtsichtgerät aufzusetzen und zu aktivieren, sobald er den vergleichsweise hell erleuchteten Bereich seiner Kabine verlassen hatte. Die Schiebetür schloss sich hinter ihm.

Auf dem Korridor herrschte beinahe vollkommene Finsternis.

Zwei shaalkaanische Bordoffiziere kamen Gelendos entgegen.

Sie schwebten als bleiche Gestalten an ihm vorbei, ohne von ihm Notiz zu nehmen.

Mit ihren im Verhältnis zu den eher unterentwickelten und schwächlich wirkenden humanoiden Körpern wirkten ihre totenkopfähnlichen Schädel gewaltig. Gelendos erinnerten sie an Embryos.

Gelendos erreichte schließlich die Zentrale.

Kommandant Malaak-234 schwebte etwas erhöht und drehte sich zu Gelendos herum.

"Gut, dass Sie Ihr Unaussprechliches beendet haben", begrüßte er den Spezialisten für Menschen-Forschung. Mit dem Unaussprechlichen war das Aufnehmen von Nahrung gemeint, wie der Gelehrte inzwischen wusste. "Wir brauchen Ihre Dienste, Gelendos!"

"Worum geht es?"

"Es hat offenbar Kontakt zwischen Canyaj und Menschen gegeben", erklärte Malaak. "Wir konnten Signale zwischen einem etwa auf der Höhe des äußersten Planeten postierten Menschen-Schiffs und den Canyaj empfangen und teilweise entschlüsseln."

"Anscheinend zeigen die Menschen mehr Neigung, mit den Canyaj zu verhandeln als mit uns", stellte Gelendos fest. "Schließlich haben die Menschen unser Ultimatum schlicht und ergreifend ignoriert."

"Möglicherweise sehen die Menschen in uns nichts weiter als Vasallen im Dienst der Anorganischen. Niedere Chargen, mit denen es sich nicht lohnt, Verhandlungen zu führen."

"Zeigen Sie mir die Botschaft."

"Sofort. Zunächst muss ich ein Schattenfeld um Sie herum aktivieren. Unser Chefingenieur hat die Konsole drei dahingehend verändert, dass man mit ihrer Hilfe Projektionsfelder aktivieren kann, wie sie die Feuervölker gewohnt sind." Der Shaalkaane zögerte, ehe er fortfuhr: "Sie verzeihen mir diesen Ausdruck. Er soll keinesfalls meine Geringschätzung zum Ausdruck bringen."

Feuervölker, so nannten die Shaalkaanen sämtliche Spezies, die es gewohnt waren, in einem wesentlich höheren Helligkeitsniveau zu existieren als es auf der Dunkelwelt Shaalkaan üblich war. Traditionellerweise wurde der Begriff jedoch mit dem zerstörerischen Lichtgott in Verbindung gebracht und hatte daher ursprünglich eine negative Bedeutung.

Gelendos trat an die Konsole heran.

Das Schattenfeld wurde aktiviert.

Es ähnelte jenen Feldern, mit denen sich Shaalkaanen in für sie lichtintensiven Umgebungen schützten.

Dass sich Malaak die Mühe gemacht hat, mir diesen Zugang zu den eingehenden Daten zu ermöglichen, lässt darauf schließen, dass er meine Arbeit langsam zu schätzen weiß, dachte Gelendos.

Zu Beginn der Mission hatte Gelendos Informationen nur aus zweiter Hand erhalten, während die Shaalkaanen auf der Brücke der ALLIANZ eingehende Daten über spezielle Interfaces direkt in ihre Hirnrinde projizieren ließen und daher von lichtemittierenden Projektionen und Displays unabhängig waren.

"Berühren Sie das Sensorfeld", hörte Gelendos die Anweisung des Kommandanten.

Der K'aradan gehorchte.

Er legte seine Hand auf das dafür vorgesehene Sensorfeld. Ein Rechnersystem startete. Wenig später entstand ein Projektionsfeld. Symbole in shaalkaanischer Schrift flimmerten zunächst über die virtuelle Oberfläche der Projektion.

Dann wurde die Botschaft der Menschen gezeigt.

Ein herzförmiges Wesen erschien in dreidimensionaler Qualität in der Projektionsfläche.

"Ein Noleek!", entfuhr es Gelendos unwillkürlich.

In einem besonderen Fenster innerhalb der Projektionsfläche wurde eine Identitätskennung eingeblendet. Sowohl in Original-Menschen-Schriftzeichen, als auch in der shaalkaanischen Entschlüsselung sowie im Zeichen-Standard der Allianz.

BARABIM, BOTSCHAFTER UND GETREUER MASTER IM DIENST DES MASTERMIND stand dort. Es schloss sich eine wirre Zeichenfolge an. Vermutlich ein Code.

Kann das sein?, ging es Gelendos durch den Kopf. Setzt der MASTERMIND Noleek als Botschafter ein? Und wer ist der MASTERMIND? Wirklich nur ein biologisch veränderter Admiral der Raumflotte namens Greg Raimondo, der vor tausend Jahren die Macht auf der Erde übernahm und aus dem BUND DER HUMANEN WELTEN das IMPERIUM DER HUMANITÄT formte? Dass der MASTERMIND ein paar geheimnisvolle Helfer - Master genannt - in seinen Diensten hat, ist ja bekannt. Aber es wurde immer vermutet, dass die Master Menschen sind... Aber wenn es sich bei den Mastern um Noleek handelt - ist der MASTERMIND vielleicht in Wahrheit auch ein Noleek? Oder ein mit Noleek-DNA angereichertes Monstrum, das irgendwann mal Admiral Raimondo war?

Er hatte seine gesamte akademische Karriere der Sammlung aller nur verfügbarer Informationen über die skrupellosen Eroberer gewidmet, die die Galaxis mit ihrem scheinbar unaufhaltsamen Eroberungszug heimsuchten. Aber davon, dass bei den gefürchtesten Kriegern der Galaxis offenbar die Noleek eine herausragende Rolle spielte, hatte er noch nie etwas gehört. Der Noleek, dessen Name Barabim war, sagte offenbar etwas.

Aber seine Worte waren nicht zu verstehen.

Eine dichte Folge schriller, abgehakter Laute begleitete die Bildsequenz.

"Was ist mit der Aufzeichnung der Sprache passiert?", fragte Gelendos.

"Die Daten sind extrem fragmentiert", erklärte Malaak-234. "Bislang ist es uns nicht gelungen, die Verschlüsselung zu knacken, mit deren Hilfe wir das Audio-Signal wieder herstellen könnten."

"Sehen Sie noch eine Chance, an den Inhalt der Botschaft heranzukommen?", hakte Gelendos nach.

"Durchaus. Aber es wird eine Weile dauern."

"Ich fürchte, die haben wir nicht, Kommandant." Gelendos berührte das Sensorfeld und gelangte in das interne Rechnermenue der Konsole. Er fand die Funktionen, mit deren Hilfe er sowohl die Projektion, als auch das ihn umgebende Schattenfeld deaktivieren konnte.

Der Gelehrte hatte genug gesehen.

"Ich hoffe, Sie haben diese Botschaft an Admiral Sonardan weitergeleitet!", meinte er an den Kommandanten gewandt.

Malaaks Köper hing regungslos in den Haltegurten seines Antigravaggregats. Er wandte noch nicht einmal den voluminösen Kopf, an dessen Schläfen eine Ader sehr auffällig pulsierte.

Malaak hatte seine empfindlichen Augen geschlossen.

Wahrscheinlich wollte er sich auf diese Weise besser auf die Anzeigen konzentrieren, die ihm über sein Interface direkt ins Gehirn projiziert wurden.

"Das ist geschehen", erklärte er schließlich nach einer kurzen Pause.

Der Kommunikationsoffizier meldete sich zu Wort. "Befehl von Admiral Sonardan. Volle Gefechtsbereitschaft aufrecht erhalten und Schutzschilde aktivieren!"

"Wenn wir unsere Schutzschilde aktivieren, wird unsere Tarnung hinfällig", erklärte Malaak. Die Schilde konnten von Canyaj und Menschen sofort angemessen werden und dann war klar, dass der Gesteinsbrocken, den die ALLIANZ rein äußerlich darstellte, in Wahrheit ein Raumschiff war.

"Gefechtsbereitschaft wird aufrechterhalten", bestimmte Malaak. "Aber auf die Aktivierung der Schutzschilde verzichten wir einstweilen."

"Es handelt sich um einen Befehl des kommandierenden Admirals!", gab der Kommunikationsoffizier zu bedenken.

Er hob sogar seine Hand.

Eine für ihn sicher anstrengende Geste, die die Eindringlichkeit seines Einwandes unterstreichen sollte.

"Sie mag für alle anderen Einheiten der Flotte gelten. Aber wir sind in einer anderen Situation, die nicht vergleichbar ist."

Der Ortungsoffizier meldete sich zu Wort.

"Kommandant, die Canyaj-Einheiten in unserer Umgebung haben sämtlich ihre Waffensysteme aktiviert. Darauf weisen jedenfalls die angemessenen Energiesignaturen ziemlich zweifelsfrei hin. Sie bereiten sich auf die Schlacht gegen die Menschen vor. Deren Schiffe sind zu weit entfernt, um uns gefährlich werden zu können. Wir haben also nichts zu befürchten."

"Sie gehen davon aus, dass die Canyaj gegen die Menschen kämpfen werden!", stellte Gelendos fest.

"Sie etwa nicht?", fragte Malaak spöttisch.

"Die Menschen hielten es offensichtlich nicht für nötig, weitere Einheiten ihrer großen Flotte hier her zu beordern. Jedenfalls konnten wir bisher keinerlei derartige Flottenbewegungen beobachten. Richtig?"

"Richtig", bestätigte Malaak. "Aber mir ist ehrlich gesagt noch nicht so recht klar, worauf Sie eigentlich hinaus wollen!"

"Die Canyaj kannten die Koordinaten dieses Systems. Es gibt drei Möglichkeiten: Entweder haben Sie Agenten auf Larsyrc, die an derartige Informationen herankommen können oder sie sind unserer Flotte gefolgt, was ich nicht glaube, denn auch die Canyaj brauchen etwas Zeit, um eine derart große Armada zu mobilisieren."

"Sie sprachen von drei Möglichkeiten", hakte Malaak nach.

"Die dritte Möglichkeit ist, dass sie von Anfang an wussten, wo sich das Heimatsystem der Menschen befindet..."

"...und die Menschen wussten, dass diese Flotte hier auftauchen wird! Sie haben ihre eigenen Einheiten nicht her beordert, weil sie Verbündete sind!", vollendete Malaak.

"Achtung. Es kommt zu ersten Feuergefechten", meldete in diesem Augenblick der Ortungsoffizier.

Malaak sah vor seinem inneren Auge eine Explosion aufleuchten. Er zoomte etwas näher heran. Die ALLIANZ war zu weit vom Ort des Geschehens entfernt, um jedes Detail aufzeichnen und Malaak über sein Interface ins Gehirn projizieren zu können. Aber was der Kommandant zu sehen bekam, reichte ihm.

Einer der k'aradanischen Verbundraumer war getroffen worden.

Die kugelförmige Zentraleinheit zerplatzte. Die Ringsektion war zwar nur durch ein Kraftfeld mit der zentralen Kugeleinheit verbunden, konnte sich aber dennoch nicht schnell genug lösen. Der Ring wurde förmlich auseinandergerissen. Eine weitere Detonation folgte. Trümmerteile wurden durch das All geschleudert, glühten auf und schossen auf chaotischen Bahnen davon.

Im nächsten Augenblick ging eine Erschütterung durch die ALLIANZ.

Gelendos versuchte vergeblich, sich an seiner Konsole festzuhalten. Er wurde zu Boden geschleudert.

Bei den Shaalkaanen wurde eine automatische Sicherungsfunktion ihrer Antigravaggregate aktiviert. Gravo-Felder verhinderten, dass sie gegen Wände oder Konsolen geschleudert wurden. Sie wirkten wie unsichtbare Polster.

"Wir werden angegriffen!", meldete der Pilot.

"Schutzschilde aktivieren, auf Ausweichkurs gehen und zurückfeuern!", ächzte Malaak-234 seine Befehle.

Aber bevor die Crew der ALLIANZ dazu in der Lage war, erschütterte ein zweiter Treffer das shaalkaanische Spähschiff.

"Schäden in den Decks zwei und drei!", meldete der Kommunikationsoffizier. "Die Schutzschilde lassen sich nur noch auf siebzig Prozent bringen und die Geschützbatterie zwei ist ausgefallen."

Für ein paar Augenblicke galt das auch für die per Interface ins Hirn projizierten Anzeigen.

Malaak-234 und seine Crew waren für wenige Momente vollkommen blind.

Als die Anzeige wieder funktionierte, war es beinahe zu spät.

Auf ihrem Ausweichkurs kam die ALLIANZ einem der Materiebrocken sehr nahe, die die Oort'sche Wolke bildeten.

Der Materiebrocken hatte etwa die zehnfache Größe des Spähschiffs. Angesichts der nur teilweise intakten Schutzschilde hätte ein Zusammenprall katastrophale Auswirkungen gehabt.

Die Kollision konnte im letzten Moment verhindert werden. Der Pilot ließ die ALLIANZ dicht an dem zum Großteil aus Eis bestehenden Objekt vorbeifliegen.

"Pilot Fereng-90!", rief Malaak.

"Ja, Kommandant?"

"Ich sorge dafür, dass Sie für dieses Flugmanöver eine ganz besondere Belobigung in Ihre persönliche Datei hineingeschrieben bekommen, wenn Sie dafür sorgen, dass wir lebend hier herauskommen!"

Malaak aktivierte vor seinem inneren Auge eine schematische Anzeige, die ihm deutlich machte, in welcher Lage sich die ALLIANZ im Augenblick befand.

Durch das Ausweichmanöver war sie tiefer in das von den Canyaj-Schiffen eingenommene Terrain hineingeflogen, als irgendjemandem an Bord lieb sein konnte.

Überall brachen jetzt zwischen den Einheiten Kalimpans und jenen der plötzlich aufgetauchten Canyaj-Flotte heftige Kämpfe aus. Malaak sah, wie mindestens drei weitere Verbundraumer der K'aradan sowie ein kegelförmiges Chgorr-Schiff unter dem heftigen Beschuss der Canyaj zerbarsten.

Fast könnte man auf den Gedanken kommen, dass unsere Flotte hier in eine Falle gelockt wurde!, ging es Malaak durch den Kopf.

Die Canyaj setzten jetzt alles auf eine Karte.

Ihr Angriff war massiv. Außerdem schienen noch immer frische Einheiten das Menschen-System zu erreichen.

Der Pilot lenkte die ALLIANZ in einem Bogen, ließ sie einen Zickzack-Kurs zwischen verschiedenen durch das All geisternden Gesteinsbrocken hindurch fliegen und versuchte dann, das Schiff aus der unmittelbaren Gefahrenzone herauszusteuern.

Mehrere Canyaj-Schiffe waren allerdings auf die ALLIANZ aufmerksam geworden.

Sie folgten dem Spähschiff.

Aus mehreren, in keilförmigen Formationen fliegenden Verbänden der angreifenden Canyaj lösten sich jeweils Einheiten heraus, um auf Kollisionskurs mit der ALLIANZ zu gehen.

"Wir scheinen mehr Aufmerksamkeit zu bekommen, als uns guttun kann!", kommentierte dies Pilot Fereng-90. "Die Canyaj scheinen zu vermuten, dass wir irgendeine herausragende Position im taktischen Konzept unserer Flotte einnehmen, sonst würden sie uns nicht so viele Jäger auf den Hals hetzen!"

"Bei den Göttern aus Licht und Dunkelheit!", entfuhr es Malaak. "Es wäre schön, wenn unsere Flotte überhaupt ein taktisches Konzept hätte!"

Aber die Taktik der Kalimpan-Flotte war auf eine Invasion des Menschen-Systems ausgerichtet gewesen, nicht auf eine Begegnung mit einer zahlenmäßig wohl weit überlegenen Flotte aus Canyaj-Schiffen.

"Feindeinheiten nähern sich rapide!", stellte der Ortungsoffizier fest.

Malaak gab den Feuerbefehl.

Die Geschützbatterien der ALLIANZ verschossen schweres Blasterfeuer und Fusionstorpedos.

Eines der Canyaj Schiffe wurde getroffen. Es trudelte auf einem unkontrollierbaren Kurs davon, stieß mit einem der im Außenbereich der Oort'schen Wolke schwebenden Eisklumpen zusammen. Die Schutzschilde leuchteten auf. Einer der zuvor von der ALLIANZ abgefeuerten Fusionstorpedos traf wenige Augenblicke später und verwandelte das Canyaj-Schiff in eine Miniatur-Sonne.

Der Kampf ums überleben hat begonnen!, durchzuckte es Gelendos, der inzwischen an seine Konsole zurückgekehrt war, den Schattenschirm und sein Projektionsfeld aktiviert hatte, um mitverfolgen zu können, was vor sich ging. Man musste nicht unbedingt ein in taktischen Fragen erfahrener Flottenoffizier sein, um zu erkennen, dass es schlecht stand. Überall waren die Kalimpan-Einheiten auf dem Rückzug. Hunderte von ihnen waren schon getroffen worden. Überall blitzen Detonationen auf. Andere Einheiten torkelten mehr oder minder manövrierunfähig durch das All.

Die Situation der ALLIANZ war natürlich besonders prekär. Nicht nur deshalb, weil sie sich tief hinter den Reihen der Canyaj-Schiffe befand, sondern auch weil sie ein spezielles Späh-Schiff war, keine schwere Kampfeinheit.

Ihre Wendigkeit kam ihr nun allerdings zu statten.

Auf einer schematischen Darstellung in einem Nebenfenster vermochte auch Gelendos den Kurs der ALLIANZ zu verfolgen. Der Pilot flog ein gewagtes Manöver, das das Spähschiff mitten in ein dichtes Feld von Materiebrocken hineinführte.

Die feindlichen Verfolger nahmen die ALLIANZ unter Beschuss. Das schwere Blasterfeuer zersprengte dabei mehrere Eisbrocken, aber die ALLIANZ kam davon.

Die durch das All geschleuderten Materiebrocken konnten von den Schutzschilden einigermaßen abgewehrt werden.

"Gegenfeuer!", befahl Malaak-234.

Der Chefingenieur meldete sich zu Wort. Er befand sich im Maschinendeck. Auf der Anzeige vor Malaaks innerem Auge erschien nicht das Gesicht des Chefingenieurs, sondern nur sein Symbol und sein Sicherheitscode. Es war unter Shaalkaanen unüblich, bei Herstellung einer Kom-Verbindung ein Bildsignal zu versenden. Dies galt sowohl im privaten als auch im dienstlich-militärischen Bereich. Aber in einer Kultur, in der zu langes Anstarren als unhöflich galt und direkter Blickkontakt vermieden wurde, war das nicht weiter verwunderlich.

"Hier Raynor-112!"

"Was gibt es?", fragte Malaak, während die noch intakten Geschützbatterien der ALLIANZ in Aktion traten und tatsächlich einen der Canyaj-Verfolger erwischten. Der Treffer sorgte zwar nicht für die Zerstörung des Schiffes, aber es verlor sichtlich an Geschwindigkeit und schied aus der Verfolgergruppe aus. Offenbar waren für die Manövrierfähigkeit dieser Einheit wichtige Systeme beschädigt worden.

Die entsprechenden Meldungen des Waffenoffiziers hörte Malaak wie aus weiter Ferne.

"Kommandant, wenn wir weiter so herumballern und gleichzeitig die Impulstriebwerke so stark belasten, werden wir bald nicht mehr genug Energie haben, um die Schutzschilde auf über siebzig Prozent zu halten. Und Sie wissen, was das dann heißt!"

"Eingeschränkte Schutzfunktion!", murmelte Malaak-234.

"Ganz genau!"

"Tut mir leid, das müssen wir in Kauf nehmen."

"Kommandant, bei einem der letzten Treffer, die die ALLIANZ bekommen hat, ist irgendetwas mit den Energiekonvertern geschehen. Die Leistung sinkt -—zwar nicht schnell aber beständig!"

"Versuchen Sie herauszubekommen, was damit los ist!"

"Dazu brauche ich Zeit!"

"Ich fürchte, die Canyaj werden uns diese Zeit nicht geben, Raynor! Tun Sie, was Sie können und beten Sie zum Gott der Finsternis, dass uns das grelle Licht des Todes erspart bleibt."

*



Das Rascheln von Millionen Chgorr-Flügeln erfüllte den Raum mit einem fein strukturierten Klangteppich, dessen Nuancen einzigartig und unwiederholbar waren.

Die Flügelpaare, die dieses Rascheln erzeugten, waren unvorstellbar weit entfernt. Das Rascheln wurde mit einer Hyperfunk-Transmission von Lasraf, dem Hauptplaneten der Chgorr übertragen.

Es half einem Chgorr dabei, innere Ausgeglichenheit zu finden und sich als Teil der Gemeinschaft zu fühlen, auch wenn er weit vom Ursprung des Raschelns entfernt sein mochte.

So wie Hgrrek, Regent der Chgorr, der seit geraumer Zeit auf der Kalimpan-Zentralwelt Larsyrc weilte.

Hgrrek zog das Rascheln der Metropole As-Lasraf jenem der Chgorr-Zone auf Larsyrc deutlich vor.

Aber natürlich wusste Hgrrek sehr wohl, dass die audiotechnische Übertragung des heimatlichen Raschelns allenfalls ein Hilfsmittel zur Erlangung innerer Balance war, sie aber nicht herstellen konnte, wenn fundamentale innere Widersprüche dies verhinderten.

Kein noch so harmonisches Rascheln wird dir deinen inneren Frieden wiedergeben können!, durchzuckte es Hgrrek.

Er kauerte versunken auf einer Sitzmatte von erlesener Qualität. Sie war mit kunstvollen Mustern verziert, deren Anblick den Geist bei der Meditation frei machte. Aus der Hgalrrah-Lehre bekannte Symbole waren darin sehr fein und auf den ersten Blick kaum erkennbar eingearbeitet.

Hgrreks Flügelmembrane bildeten ein chaotisches Muster scheinbar ineinanderlaufender Farben. Rottöne herrschten vor. Es gab scharfe Kontraste. Ein Spiegelbild seiner Seele. So sehr sich der schmetterlingshafte Hgrrek auch darum bemühte, den inneren Aufruhr zu beherrschen, der in ihm tobte, so gering waren seine Erfolge dabei.

Da half es auch nicht, dass er seine sogenannte heilige Zeit, die er täglich in einem tranceähnlichen, selbstversenkten Zustand verbrachte, verdoppelt hatte.

Für das Ausmaß an Psychohygiene, das der Regent der Chgorr offenbar nötig hatte, reichte das bei weitem nicht aus.

Was ist Identität?, ging es ihm durch den im Vergleich zum Gesamtkörper winzigen Kopf. Was macht das Sein eines denkenden Wesens aus?

Er hatte diese Dinge einmal gewusst.

War sich der Antworten auf die fundamentalen Fragen eines Chgorr-Lebens relativ sicher gewesen.

Aber das war vorbei.

Es gab keine Gewissheit mehr.

Hgrrek wusste, dass sein Körper ein Klon war, der den ursprünglichen Chgorr-Regenten während dessen Reise von Lasraf nach Larsyrc ersetzt hatte. Ein Klon, hergestellt und konditioniert von Canyaj, aber beseelt mit einer Bewusstseinskopie des Original-Hgrrek.

Anfangs war dieser Umstand nicht weiter problematisch für ihn gewesen. Er hatte nicht darüber nachgedacht. Offenbar verhinderte eine psychische Konditionierung, dass er zu intensiv über derartige Fragen nachdachte. So wie sie auch dafür sorgte, dass er sich den Canyaj gegenüber loyal verhielt.

Aber die Konditionierung war ins Wanken geraten.

Auch wenn Hgrreks Bewusstsein nur eine Kopie des Originals darstellte, so war doch alles darin vorhanden, was auch den ursprünglichen Hgrrek ausgezeichnet hatte.

Schließlich war jene Kopie einst dafür geschaffen worden, um mit den Canyaj im Namen der Allianz zu verhandeln.

Die ethischen Grundsätze der Hgalrrah-Meditationsschule waren sehr fest in Hgrreks Persönlichkeit verankert. Die Konditionierung, der er zu folgen hatte, stand zu diesen Grundsätzen in einem teilweise diametralen Gegensatz. Es war, als ob zwei verschiedene Konditionierungsprogramme in ihm um Einfluss kämpften. Die Oberhand hatte das Programm der Canyaj. Dafür hatten sie gesorgt. Mit welchen Methoden auch immer.

Aber die ursprüngliche Bewusstseinsschicht ließ sich nicht einfach zum Schweigen bringen.

Es gab Augenblicke, in denen sich Hgrrek genau dies wünschte.

Ein Verstummen dieser inneren Stimme, die immer wieder darauf hinwies, dass es falsch war, was er tat.

Ein Summton durchdrang den Klangteppich des Raschelns.

Hgrreks Fühler gerieten kurzzeitig in eine schwingende Bewegung.

"Wer ist da?", fragte Hgrrek.

Der Klang seiner Stimme aktivierte eine Interkomverbindung.

Eine holografische Projektion entstand, zeigte Hgrrek, wer vor zu ihm vorgelassen werden wollte. Es handelte sich um einen Chgorr im Purpurgewand der Hgalrrah-Schule. Zwei Wächter befanden sich in seiner Nähe.

"Hier spricht Zarrorgh, Ihr neuer Hgalrrah-Meister", kam es aus dem Lautsprecher. "Ich bin soeben mit dem Raumschiff aus As-Lasraf hier angekommen."

"Ich habe Sie schon erwartet", erwiderte Hgrrek.

Er hatte keinen der Hgalrrah-Meister aus der Chgorr-Zone von Larsyrc nehmen wollen. Unter dem Eindruck des Zusammenlebens mit Angehörigen so vieler anderer galaktischer Völker hatte sich auch die Lebensweise der Larsyrcischen Chgorr leicht verändert. Dies galt natürlich auch für die Praktiken der vier Meditationsschulen der Chgorr. Hgrrek wollte sicher sein, während seiner heiligen Zeit Rat und Hilfe von einem Meister zu erhalten, der die traditionelle Praxis des Hgalrrah wirklich beherrschte und sie nicht durch fremde Einflüsse verfälschte.

Eine Schiebetür öffnete sich.

Zarrorgh schwebte herein.

Seine Flügelmembran zeigten ein verwaschenes Muster aus blassen Pastelltönen. Die innerlich ausgeglichene psychische Verfassung des Hgalrrah-Meisters spiegelte sich darin wider.

Zarrorgh ließ sich in einigem Abstand zum Ersten Chgorr nieder.

Dieser blickte kurz zu der Holoprojektion, die plötzlich erstarrt war und nun ein etwa fünfzig Zentimeter großes Standbild des Hgalrrah-Meisters zeigte. Ein Nebenfenster bildete sich. Die Anzeige verriet Hgrrek, dass Zarrorgh sämtliche Sicherheits-Checks anstandslos durchlaufen hatte.

Hgrrek deaktivierte die Projektion.

Sie verblasste innerhalb eines Augenblicks.

"Sie brauchen meine Dienste, Erster der Chgorr", sagte der Hgalrrah-Meister.

Er hat dies nicht im Tonfall einer Frage, sondern einer Feststellung gesagt!, ging es dem Chgorr-Regenten durch den Kopf.

Furcht kam in ihm auf.

Furcht davor, dass sein Gegenüber ihn durchschaute. Bis auf den Grund seiner zutiefst gespaltenen Seele. Diese Angst spiegelte sich augenblicklich in der Färbung seiner Flugmembrane. Es ist das Programm der Canyaj, das dir diese Furcht einflüstert!, durchzuckte es ihn. Aber diese Erkenntnis änderte nicht das geringste an ihrem Vorhandensein.

"Kommen Sie näher, Zorrargh", forderte Hgrrek.

Der Meditationsmeister gehorchte.

Seine Fühler waren nach vorn gerichtet.

Sie waren vollkommen ruhig.

Die Färbung der Flugmembran veränderte sich nicht.

Welch ein Bild innerer Disziplin und Selbstbeherrschung, dachte Hgrrek bewundernd.

"Manchmal bewundere ich jene galaktischen Völker, die Träume kennen und sich dem Schlaf hingeben dürfen, wie die K'aradan oder die Morrhm", sagte Hgrrek. "Selbst die Menschen schlafen angeblich!"

"Schlaf und Bewusstlosigkeit sind für uns Ausdrucksformen des Todes", erwiderte Zorrargh und rezitierte damit einen Lehrsatz der Hgalrrah-Schule.

"Dennoch wäre zeitweiliges Vergessen durchaus angenehm", stellte Hgrrek dem entgegen. Man brauchte sich nicht einmal besonders in der emotionalen Farbenlehre von Chgorr-Flügeln auszukennen, um zu spüren, dass Hgrrek diese Aussage aus einem tiefen inneren Schmerz heraus formulierte.

"Vergessen wollen ist eine Fluchtreaktion. Und Flucht ist die Handlungsweise von Tieren. Von Barbaren."

"Dennoch -—manchmal frage ich mich, ob die Tatsache, dass die Chgorr keinen Schlaf im Sinne der anderen Völker kennen, sondern ihre Seele während der sogenannten heiligen Zeit bei vollem Bewusstsein reinigen müssen, wirklich effektiver ist als das, was die Natur vorgesehen hat."

"Die Natur?", echote Zorrargh. "Was ist die Natur? Sind die Chgorr nicht ein Teil dieser Natur?"

"Gewiss, wenn überhaupt eine intelligente, sich selbst bewusste Spezies im Universum Teil der Natur geblieben ist, dann sind das zweifellos wir Chgorr", stellte Hgrrek fest. "Andererseits könnte unser der Natur so sehr angepasster Baustil, unser Bedürfnis nach vollkommener Harmonie mit allen Kreaturen und aller Materie durchaus auch ein Ausdruck unserer tatsächlichen Abgehobenheit von diesem Urgrund allen Seins bedeuten."

"Das ist durchaus möglich", gestand der Hgalrrah-Meister zu. "Aber das macht unsere Bemühungen, eins zu sein mit dem Universum und allen Dingen nicht sinnlos...."

Hgrrek bemerkte bei seinem Gegenüber eine winzige Veränderung in der Färbung der Flugmembran. Für ein paar Augenblicke hatte sich dort ein blutroter, sich ausbreitender Fleck von ungewöhnlich starker Farbintensität gezeigt.

Innerhalb weniger Sekunden war er anschließend jedoch verblasst.

Er muss etwas bemerkt haben, das ihn beunruhigt!, überlegte Hgrrek. Hgalrrah-Meister verfügten über ein sehr großes Wissen über die Körpersprache der Chgorr. In früheren Epochen hatte man ihre Fähigkeit, in das Innere eines Chgorr zu schauen, für Magie gehalten. In Wahrheit beruhte das alles in erster Linie weder auf Magie noch auf Parakräften, sondern schlicht und ergreifend auf genauere Beobachtung körperlicher Reaktionen.

Einen Augenblick lang dachte Hgrrek darüber nach, diesen Meditationslehrer wegzuschicken, ehe es zu gefährlich wurde.

Andererseits erregte er dadurch erst recht das Misstrauen seines Gegenübers. Zudem brauchte Hgrrek dringend die Hilfe eines Hgalrrah-Meisters. In seinem Inneren herrschte Chaos. Seine Seele hatte einen Grad an Zerrissenheit erreicht, die ihm das Gefühl gab, in Kürze explodieren zu müssen.

Am liebsten hätte er Zorrargh gegenüber das getan, was K'aradan und Menschen ihr Herz ausschütten nannten. Chgorr besaßen kein Herz. Der Sitz ihrer Emotionalität wurde von den Chgorr traditionellerweise in ihren Flügeln lokalisiert.

Es wäre so leicht!, durchzuckte es ihn. Ich müsste ihm alles sagen... Aber die Konditionierung der Canyaj wird das verhindern.

"Darf ich fragen, was Sie veranlasst hat, Ihren Hgalrrah-Meister zu wechseln?", fragte Zorrargh.

Eine Frage die Hgrreks wunden Punkt traf.

Die Färbung der Flugmembran ließ daran nicht den Hauch eines Zweifels.

Hgrrek versuchte die Kontrolle über sein inneres Chaos wiederzuerlangen.

Bilder stiegen in ihm auf. Bilder des Grauens, die er mühsam unter der Oberfläche seiner Seele gehalten hatte. Aber so tief er sie auch zu versenken versuchte, sie tauchten immer wieder nach oben.

Für einen Augenblick fühlte sich Hgrrek wieder in jene Situation zurückversetzt, in der er das größte Tabu der Hgalrrah-Lehre gebrochen hatte.

Er hatte einen Mord begangen.

Wie automatisch war das innere Programm, das ihn von Zeit zu Zeit beherrschte, jene Bewusstseinsanteile, die ihm offenbar die Canyaj eingepflanzt hatten und die er zu kontrollieren vermochte, abgelaufen. Mit tödlicher Präzision.

Die Extremitäten eines Chgorr waren dünn und zerbrechlich.

Richtig eingesetzt konnten sie jedoch zur tödlichen Waffe werden.

Ein schneller Stoß an eine ganz bestimmte Stelle zwischen Kopf und dem sehr grazilen Körper hatte dem Leben des Hgalrrah-Meisters Shatragh ein Ende gesetzt. Genau in dem Moment, als dieser erkannt hatte, dass es nicht der wahre Hgrrek war, dem er helfen sollte, seine seelische Stabilität zu gewinnen.

"Diese Frage scheint Sie sehr zu beunruhigen", stellte Zorrargh fest.

"Weshalb erkundigen Sie sich nach Ihrem Vorgänger?", wich Hgrrek aus.

"Ihr bisheriger Hgalrrah-Meister war der ehrenwerte Shatragh, nicht wahr?"

"Das ist richtig, Meister Zorarrgh."

"Er gilt als einer der vollkommendsten Vertreter der Hgalrrah-Schule und es ist sogar im Gespräch, dass er in Kürze den Posten des Dekans einnehmen wird."

"An seiner fachlichen und spirituellen Qualifikation gibt es sicher keinen Zweifel."

"Dann waren Sie nicht etwa unzufrieden mit den Diensten Meister Shatraghs?"

"Nein."

"Das erleichtert mich. Zwar ist es eine große Ehre, dem Ersten der Chgorr durch seine Heilige Zeit zu helfen, aber wenn schon Meister Shatragh Sie nicht zufriedenstellen konnte -—wie wäre das dann einem deutlich rangniedrigeren Hgalrrah-Meister wie mir möglich?"

"Meister Shatragh hat sich zurückgezogen. Die Gründe dafür sind persönlicher Natur und wir brauchen sie nicht weiter zu erörtern", sagte Hgrrek.

Er war froh darüber, die Kontrolle über seine Psyche jetzt einigermaßen wiedererlangt zu haben. Seine Fühler waren ruhig und zitterten nicht. Die Rotfärbung seiner Flügel ließ etwas nach.

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.

Schließlich sagte Hgrrek: "Ich wäre Ihnen dankbar, wenn wir mit den Meditationsritualen beginnen könnten. Meine Heilige Zeit ist knapp. Und es beginnt bald eine weitere Sitzung des Kalimpan-Krisenstabes, zu der ich maximale mentale Fitness benötige."

"Ich verstehe, dass Sie sich dem von den anderen Völkern propagierten rigorosen Zeit-Regiment hier auf Larsyrc unterordnen müssen", erwiderte Zorrargh und neigte dabei leicht den Kopf und die Fühler.

"Dann weiß ich nicht, worauf Sie noch warten, Meister."

"Auf Ihre Bereitschaft, Erster der Chgorr."

Ein Satz, der Hgrrek wie ein Keulenschlag traf.

Schick ihn fort. Er sieht zuviel.

"Ich bin bereit."

"Nein, das sind Sie offensichtlich nicht. Ich sehe, dass Sie jemand sind, in dem unvorstellbare seelische Spannungen herrschen. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich in der Lage bin Ihnen zu helfen."

"Ich brauche Ihre Hilfe!", rief Hgrrek beinahe flehend. "Es geht so nicht weiter!"

"Das glaube ich Ihnen gerne!"

"Beim Rascheln von As-Lasraf! Dann fangen Sie doch an!"

"Es hat keinen Sinn. Wenn Sie sich nicht öffnen, bleiben die Meditationsformeln des Hgalrrah nichts als tote Rituale."

Der Hgalrrah-Meister richtete sich auf und schwebte empor. Er war bereits bei der Tür, als Hgrreks Ruf ihn zurückhielt.

"Warten Sie!", forderte er. "Lassen Sie mich nicht allein, Meister!"

Zorrargh drehte sich herum.

Er zögerte.

Seinen geschulten Augen entging nichts.

Er kehrte zurück, ließ sich erneut nieder. "Also gut", sagte er. "Ich werde es versuchen."

"Ich danke Ihnen."

"Auf Ihre Verantwortung, Hgrrek!"

"Ja. Aber ich halte es einfach nicht mehr aus."

Ein Summton war zu hören. Einer der Wächter des Ersten der Chgorr meldete sich über eine Kom-Verbindung. "Regent Hgrrek, ich sollte Sie an den Beginn der Sitzung des Krisenstabes erinnern."

"Ich werde mich heute etwas verspäten", murmelte Hgrrek und wandte sich seinem Meister zu.

*



"Wo ist Zegrian?"

"Keine Ahnung. Er war schon bei der letzten Sitzung des Krisenstabes nicht zugegen."

"Ist doch irgendwie merkwürdig, dass der alte Magranor sich verkriecht, jetzt wo es hart auf hart gegen die Menschen geht!"

Die Unterhaltung der beiden k'aradanischen Offiziere des Sicherheitsdienstes der Flotte verstummte, als Saroo-Otnof, seines Zeichens Regent der echsenartigen Fulirr, in ihre Nähe trat. Saroo-Otnof wusste, dass mit dem Begriff Magranor ein auf Aradan beheimateter Raubvogel mit einer Flügelspannweite von bis zu zehn Metern gemeint war. Außerdem kannte er die k'aradanische Kultur genug, um zu wissen, dass ein Magranor in politischen Diskussionen als Synonym für einen militaristischen Hardliner galt.

Saroo-Otnof musterte die beiden Offiziere einige Augenblicke mit seinen Facettenaugen. Ihm war bekannt, dass sich die psychische Verfassung von K'aradan in den Gesichtszügen widerspiegelte. Allerdings hatte Saroo-Otnof bisher vergeblich versucht, die Bedeutungsnuancen k'aradanischer Mimik zu ergründen. Mit den Gesichtern von Yroa ging es ihm ähnlich. Nur das Antlitz eines Menschen erschien ihm einfach nur abgrundtief böse zu sein -—ganz gleich, wie er die Haut mit Hilfe seiner Wangenmuskulatur auch verziehen oder den Winkel seiner Behaarungsstreifen über den Augen auch verändern mochte.

"Haben Sie etwas darüber gehört, wo sich Zegrian aufhält?", fragte der Fulirr-Herrscher.

Die beiden K'aradan schienen überrascht darüber zu sein, dass ihr Gegenüber auf das Thema ihres Gesprächs einging.

Saroo-Otnof wusste, dass der Größere von ihnen Makalos und der Kleinere Derandii hieß. Bei Derandii hatte Saroo-Otnof immer schon vermutet, dass es sich um einen weiblichen K'aradan handelte. Zwar trug Derandii ihre Haare nach Art der k'aradanischen Frauen lang, aber ihre Brustwölbungen waren bei weitem nicht so stark ausgeprägt, wie Saroo-Otnof dies aus holografischen Darstellungen in der exobiologischen Fachliteratur kannte. Daher war sich der Fulirr-Herrscher nicht ganz sicher, was die geschlechtliche Identität von Derandii betraf. Andererseits wagte er es auch nicht, sie oder ihn direkt danach zu fragen.

"Ich weiß nur, dass er an der letzten Sitzung des Krisenstabes nicht teilgenommen hat", erklärte Derandii. Der Frequenzbereich in dem sie sprach lag in einem Bereich, in dem sich männliche und weibliche k'aradanische Stimmen überschnitten. Dasselbe galt unglücklicherweise auch für die Körpergröße.

"Ich habe des öfteren Meinungsverschiedenheiten mit Zegrian gehabt -—wie ein Milliardenpublikum in öffentlich über die Holomedien übertragenen Sitzungen des Hohen Rates von Kalimpan mitverfolgen konnte. Aber ich habe immer zur Kenntnis genommen, dass Zegrian jemand ist, dessen ehrliche Sorge der Existenz der Allianz gilt."

"Das sehe ich genauso", erklärte Derandii.

Und Makalos ergänzte: "Niemand versteht, weshalb er sich ausgerechnet im Augenblick der höchsten Gefahr, in der unsere Allianz schwebt, anscheinend davonmacht und abtaucht."

Derandii warf Makalos einen Blick zu, den Saroo-Otnof nicht im mindesten zu deuten wusste. "Vielleicht hat ihn der Tod seines Klon-Bruders doch mehr mitgenommen, als er dies öffentlich zuzugeben bereit war."

Makalos machte eine entschiedene Geste der Verneinung.

"Das glaube ich nicht. Er wäre der erste Yroa-Erstling, dem sein Klon-Zweitling auch das mindeste bedeuten würde. Er hat in Ragolian nie mehr als einen willfährigen Handlanger gesehen, der ihm all die Arbeiten abgenommen hat, die dem edlen Zegrian unangenehm waren."

Derandii näherte sich Saroo-Otnof plötzlich.

Sie berührte ihn leicht an der sechsfingrigen, schuppigen Hand.

Ein winziger Gegenstand, kaum so groß wie eine einzige Hautschuppe des Fulirr, blieb darauf kleben.

"Ich hoffe nicht, dass unser guter Zegrian irgendein gesundheitliches Problem hat", meine Derandii und entfernte sich wieder von dem Echsenmann.

"Es ist wahr -—Yroa-Erstlinge gelten trotz ihrer enormen Körpergröße nicht unbedingt als physisch robust!", gestand Saroo-Otnof zu.

"Wir müssen jetzt zur Sitzung des Krisenstabes, Tariong!", wandte sich Makalos an Derandii.

Tariong -—eine Bezeichnung für eine K’aradan-Frau, die einem privat nahe stand, mit der man aber nicht liiert oder gar durch einen Ehekontrakt verbunden war. Wie Saroo-Otnof wusste, kannten die K'aradan hier eine ganze Reihe von Abstufungen. Aber immerhin wusste er nun, dass Derandii tatsächlich weiblich war.

Sein Blick ging zu dem winzigen Gegenstand, den ihm die K'aradan-Frau auf die Außenfläche seiner Schuppenhand geklebt hatte.

Ein Datenträger!, erkannte der Fulirr-Herrscher sofort.

Er war so perfekt an die Oberflächenstruktur seiner Schuppenhand angepasst, dass man ihn ohne weiteres als ein Teil davon ansehen konnte.

Die beiden K'aradan gingen den Korridor entlang in Richtung des Konferenzraums, in dem der Krisenstab tagte.

Saroo-Otnof wirkte wie konsterniert. Bis vor wenigen Augenblicken hatte er geglaubt, zufällig mit den beiden Offizieren des Sicherheitsdienstes der Flotte zusammengetroffen zu sein.

Aber das war offensichtlich nicht der Fall.

Sie hatten ihn abgepasst und ihre Unterhaltung über Zegrian hatte nur dazu gedient, sein Interesse wachzurufen.

"Worrrauf warrrten Sssie?", dröhnte die Stimme eines Yroa-Erstlings hinter ihm. Für die sehr sensiblen Ohren eines Fulirr war der dröhnende Tonfall eine wahre Tortur. Saroo-Otnof zuckte regelrecht zusammen und wandte den Kopf.

Vor ihm stand Neliebrab, der Regent der Koalition von lokagalaktischen Yroa-Kolonien. Hinter ihm, wie ein quasi leibeigener Adjutant sein Klon-Bruder, dessen Namen in der Regel nicht erwähnt wurde.

Neliebrab sah sein Gegenüber aufmerksam an.

Der Yroa überragte Saroo-Otnof um fast zwei Köpfe.

Fast reflexartig bedeckte Saroo-Otnof den Datenträger auf dem Handrücken seiner Rechten mit der anderen Hand.

Nun, was ist?

Rücksichtsvollerweise benutzte der Yroa jetzt seine telepathischen Fähigkeiten, um sich mitzuteilen. Bei Gesprächen mit Einzelnen gaben die für gewöhnlich stark psibegabten Erstlinge dieser Kommunikationsform auf Grund ihrer weitaus höheren Effizienz in der Regel den Vorzug.

Der Fulirr-Herrscher bemühte sich, nicht an den Datenträger zu denken.

Ihn ganz aus seinem Bewusstsein zu verbannen.

Zumindest für ein paar Augenblicke.

Haben die beiden Offiziere des Sicherheitsdienstes Sie bereits über die Nachrichten aufgeklärt, die uns aus dem Heimatsystem der Menschen erreicht haben?, fragte der Yroa-Regent.

"Nein."

Eine riesige Canyaj-Flotte hat sich auf die Seite der Menschen gestellt. Es steht schlecht für unsere Einheiten. Der Feind ist in der Übermacht.

Für Saroo-Otnof war diese Nachricht wie ein Keulenschlag.

Ein röhrender Laut drang über sein lippenloses Echsenmaul. Es wurde mit Hilfe des deutlich sichtbaren hohlen Hornkamms erzeugt, der sich am Hinterkopf eines jeden männlichen Fulirr befand.

"Dann ist die Entscheidungsschlacht jetzt gekommen", murmelte er, wobei seine Worte schlecht zu verstehen waren, weil die gespaltene Zunge hervorzüngelte. Ein Ausdruck seines innerlichen Aufgewühltseins.

Ich weiß nicht, wie Sie darüber denken, Saroo-Otnof, aber ich finde man sollte die Möglichkeit offen ansprechen, dass Admiral Sonardan eine Niederlage erleiden könnte. Dann steht nichts mehr zwischen den Verbündeten Canyaj und Menschen auf der einen Seite und Larsyrc auf der anderen.

"Wenn Larsyrc fällt ist die Allianz verloren", gab der Echsenartige seiner Überzeugung Ausdruck. "Alle Flotteneinheiten sind aus den Weiten des Kalimpan-Territoriums abgezogen und in das Menschen-System geschickt worden..."

Das ist wahr.

"Ein taktischer Fehler!"

Wir konnten die Zukunft nicht vorhersehen, werter Saroo-Otnof! Und dennoch ist die Schlacht um das Menschen-System ja auch nicht verloren, auch wenn die Kräfteverhältnisse gegen die Allianz sprechen.

Ein Detail fiel Saroo-Otnof auf.

Neliebrab hatte seinen Gedankenstrom so formuliert, dass stets von der Allianz oder Kalimpan die Rede war.

Nie von UNS!, erkannte der Fulirr.

Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass Neliebrab sich gar nicht dazugehörig fühlte, was im krassen Widerspruch zu der Rhetorik stand, der sich Yroa-Regent bei verschiedenen Gelegenheiten vor dem Rat bedient hatte.

Ein Summton seines Kommunikator erinnerte Saroo-Otnof daran, dass es jetzt wirklich Zeit wurde, zum Konferenzraum zu gehen.

Die beiden Fulirr-Wächter, die den Regenten dieses kleinsten der sechs Kalimpan-Hauptvölker stets in einigem Abstand begleiteten wurden ebenfalls bereits sichtlich nervös.

Es geht darum, unser Handeln für den Fall eines Sieges unserer vereinigten Feinde festzulegen, erklärte Neliebrab nochmals und hielt Saroo-Otnof mit einer gebieterischen Geste davon ab, einfach an ihm vorbei zu gehen.

"Und wie könnte eine plausible Strategie für diesen Fall aussehen?", hakte der Fulirr nach.

Es schien Neliebrab außerordentlich wichtig zu sein, diesen Punkt mit Saroo-Otnof zu besprechen, bevor dieser den Konferenzraum betrat, in dem der permanente Krisenstab tagte.

Wir sollten dann darüber nachdenken, ob es nicht besser ist, uns zu ergeben.

Saroo-Otnof war schockiert.

Diese emotionale Reaktion war dermaßen spontan, dass überhaupt keine Chance bestand, den damit einhergehenden Gedankenstrom auch nur ansatzweise zu kontrollieren.

Der Echsenartige fragte sich schon Sekunden später, wie viel sein telepathisch begabtes Gegenüber davon wohl mitbekommen hatte.

Neliebrab war unwillkürlich einen Schritt zurückgetreten.

Ich habe Sie schockiert, Saroo-Otnof.

"Das trifft zu", musste der Fulirr-Regent zugestehen.

Zur Verteidigung Larsyrcs steht im wesentlichen nur noch die Fulirr-Flotte zur Verfügung. Kleinere Einheiten der anderen Teilflotten sowie des Geheimdienstes lassen wir mal außer acht. Ich bin von der Tapferkeit Ihres Volkes überzeugt, Saroo-Otnof, aber gegen die Übermacht unserer Feinde wird sie nichts ausrichten können.

"Wir sollten alles versuchen, um unsere Freiheit zu erhalten!", wandte Saroo-Otnof ein.

Schließt Ihre Auffassung das geheime Notfallprogramm ein, nachdem der gesamte Planet gesprengt wird, bevor es zu einer Eroberung kommen kann?, lautete Neliebrabs glasklare Frage.

Saroo-Otnof schwieg.

"Denken Ssssie gut darrrüberrrr nach!", dröhnte Neliebrab unterdessen laut.

*



Irgendetwa geschieht, durchzuckte es den zentralen Nervenknotenpunkt, in dem Yc selbst sowohl sein kognitives Zentrum als auch das Zentrum seiner Emotionalität ortete. Irgendetwas geschieht und ich kann es nicht einmal begreifen, geschweige denn beeinflussen!

Yc war näher an Fairoglan herangerückt.

Der Yroa-Klon-Bruder stand an der Konsole. Seine Hand glitt über das Sensorfeld. Das Projektionsfeld hatte seine Größe in den letzten Augenblicken verdreifacht.

Fairoglan zog seine Hand zurück.

"Ich habe irgendeinen Mechanismus ausgelöst", stellte Fairoglan fest.

"Was geschieht jetzt?", fragte Yc.

"Ich habe nicht die geringste Ahnung."

In der Decke entstand eine exakt quadratische Öffnung.

Eine metallisch schimmernde Kugel mit einem Durchmesser von ungefähr zwei Metern schwebte aus dieser Öffnung heraus. Sie wurde offenbar durch ein Kraftfeld gehalten.

Fairoglan trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

Yc blieb in seiner Nähe.

Teleskopartige Antennen traten aus der Oberfläche der Kugel hervor.

Der Sprengstoff!, durchzuckte es Fairoglan. Er trug die zylinderförmigen Sprengsätze noch immer bei sich. Möglicherweise hat das System, das ich unabsichtlich aktiviert habe, sie geortet und betrachtet uns jetzt als Feinde!

Fairoglan machte eine Bewegung.

Blitze zuckten aus den Antennen heraus.

Yc und Fairoglan erstarrten.

Sie vermochten sich nicht mehr zu bewegen.

Um sie herum flimmerte die Luft. Quaderförmige Kraftfelder bildeten sich, die sie beide beide fixierten. Die Felder waren zwar transparent, veränderten aber die Brechung des Lichts, sodass es aussah, als ob Yc und Fairoglan jeweils in einem Block aus Glas oder Eis gefangen waren.

Nicht einmal ein Augenlid vermochte Fairoglan zu bewegen.

Bist du ein Feind?

Fairoglan war sich nicht sicher, ob er diese Frage tatsächlich auf akustischem Weg gehört hatte oder ob sie ihm auf telepathischem Weg übermittelt worden war. Er spürte einen starken mentalen Druck. Sein Kopf schmerzte. Etwas drang in sein Bewusstsein ein und schien es systematisch zu durchforschen. Bilder und Eindrücke wurden vor Fairoglans innerem Auge wie im Zeitraffer abgespult.

Das Tempo wurde dabei immer mehr gesteigert, sodass der Yroa schließlich nur noch Erinnerungsfetzen registrierte.

Sie betrafen jedoch sämtlich die Zeit seit dem Aufbruch der NONG-TO ins System 23112.

Der Schmerz steigerte sich.

Fairoglan versuchte dagegen anzukämpfen, die geistige Kontrolle zu behalten, aber das war unmöglich.

Jeder Widerstand ist sinnlos!, sagte die Stimme zu ihm. Unkooperatives Verhalten erhöht nur die Schmerzen!

Der mentale Druck verschwand so abrupt, wie er gekommen war.

Die Schmerzen waren von einem Augenblick zum anderen vorbei.

Durch das ihn umgebende Kraftfeld vermochte Fairoglan nur verschwommen zu sehen. Mehrere Holosäulen hatten sich in der hallenartigen Zentrale im Inneren der Spore Byylari gebildet. Auf ihnen waren Bilder zu sehen. Szenen, die Fairoglans Erinnerungen an die Fahrt der NONG-TO entstammten.

Auf anderen Säulen waren die gleichen Szenen aus sehr verwirrender Perspektive zu sehen, angereichert mit fremdartigen Farbwahrnehmungen, mit denen Fairoglan nichts anzufangen wusste. Ycs Blick, ging es Fairoglan durch den Kopf.

Ich bin die nanotechnisch auf dem Datenträger des Rechnersystems fixierte Kopie Nummer 12 des Bewusstseins von NoqSar, berühmt als >der große Experimentator der Canyaj<. Der für den Krisenfall bestimmte Autoaktivierungsmodus wurde in Kraft gesetzt. Ich habe eure Bewusstseinsinhalte auf die relevanten Daten hin durchsucht, bin mir aber mittlerweile nicht ganz sicher, ob ihr tatsächlich in aggressiver Absicht hier seid.

Fairoglan versuchte zu sprechen.

Aber kein Laut drang über seine Lippen, da er nach wie vor durch das ihn umgebende Kraftfeld vollkommen fixiert war.

Stattdessen versuchte es der Yroa mit einem konzentrierten Gedankenstrom.

Das Wesen oder der Mechanismus, mit dem sie es tun hatten, verfügte ganz offensichtlich über die Möglichkeit telepathischer Transmissionen. Natürlich war sich Fairoglan nicht darüber im klaren, wie weit diese Fähigkeiten reichten und ob sie für eine Kommunikation ausreichend waren.

Aber auf der anderen Seite war ihm klar, dass er irgendetwas unternehmen musste.

Schließlich ließen die für das das NoqSar-Bewusstsein objektiv feststellbaren Tatsachen eigentlich keinen Zweifel daran, aus welchem Grund Yc und Fairoglan das Innere der Spore betreten hatten.

Da waren schließlich die zylinderförmigen Sprengmodule, die dazu ausreichten, die gesamte Spore auseinanderzureißen. Außerdem war anzunehmen, dass NoqSar durch die gewaltsam aus den Seelen der Eindringlinge extrahierten Erinnerungen über Sinn und Zweck der NONG-TO-Mission immerhin so gut informiert war, um zu wissen, dass das Ziel in der Vernichtung sämtlicher Sporen und technischen Artefakte in der Lebenszone des Gasrings bestand.

Unsere Absicht ist friedlich. Wir sind Gefangene, die dazu gezwungen wurden, Sprengstoff ins Innere der Spore zu bringen.

Fairoglan wartete die Reaktion ab.

Gleichzeitig versuchte er, eine eigenen mentalen Fühler auszustrecken.

Vielleicht gab es da ja irgendetwas an mentalen Signalen, das ihm eine bessere Einschätzung seines Gegenübers erlaubte.

Aber in dieser Hinsicht blieb er vollkommen erfolglos.

Alles, was er wahrnahm, war Ycs furchtbare Angst. Ein Entsetzen, das so fundamental war, dass Fairoglan um die psychische Stabilität seines Gefährten und Schützlings fürchtete. Insbesondere spürte er darin eine Komponente, die weit über das Gefühl des Ausgeliefertseins und die Furcht vor dem Unbekannten hinausging...

Der Yroa vermochte diese Komponente nicht genauer zu bestimmen.

Quälend lange Augenblicke verstrichen, ehe NoqSars Reaktion erfolgte.

Sie bestand zunächst darin, dass sich die Ausdehnung des Kraftfeldes änderte, in dem Fairoglan eingeschlossen war.

Es endete jetzt knapp unterhalb seines Kinns.

Der Kopf war frei.

Fairoglan vermochte seine Umgebung jetzt wieder verzerrungsfrei wahrzunehmen, konnte den Kopf drehen und die Gesichtsmuskulatur bewegen.

"Die Sprengsätze, die ich bei mir trage, können jederzeit von dem Raumschiff, das uns hierher brachte, gezündet werden", erklärte Fairoglan. Die einzige Chance, sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass er keineswegs feindliche Absichten hatte, bestand in größtmöglicher Offenheit. Nur dadurch konnte er eventuell eine Vertrauensbasis aufbauen, zumal er damit rechnen musste, dass ein Großteil der Informationen diesem Wesen namens NoqSar bereits bekannt waren.

"Ich weiß", erwiderte NoqSar. Diesmal sprach er mit einer Stimme, die unzweifelhaft akustischer Natur war. Offenbar hatten die aus Fairoglans Bewusstsein extrahierten Daten ausgereicht, um ein leistungsstarkes Translatorsystem zu speisen. "Diese Anlage ist gegenwärtig durch ein Abschirmungsfeld geschützt. Es verhindert, dass die auslösenden Steuerimpulse die Sprengmodule erreichen können", gab NoqSar dann bereitwillig Auskunft.

"Mit Hilfe von Drohnen wurden auf sämtlichen Sporen Sprengsätze installiert. Dasselbe gilt für die technischen Artefakte im Lebensgürtel des Gasrings."

"Auch das ist mir bekannt", stellte NoqSar klar. "Dennoch -—deine Offenheit erweckt in mir den Eindruck, dass es tatsächlich nicht in deiner Absicht lag, diese Anlage zu zerstören."

"So ist es."

"Dein Begleiter bewohnte früher diese Spore."

"Auch das trifft zu."

"Ein einfältiges Wesen. Das wertlose Ergebnis eines Experiments. Ich schätze es als ungefährlich ein. Aber ich weiß nicht, ob es sich lohnt, diese genetische Probe zu archivieren."

Fairoglan ließ die Kälte schaudern, mit der NoqSar von seinem Gefährten sprach.

"Das, was du eine genetische Probe nennst ist für mich ein Freund, den ich beschützen werde!", erwiderte Fairoglan.

"Nur, dass du im Moment dazu kaum in der Lage bist", erwiderte NoqSar.

Das Kraftfeld, mit dem Yc bis dahin fixiert worden war verschwand.

Die Tentakelfortsätze zitterten leicht.

Das Pflanzenwesen war verwirrt. Fairoglan konnte das deutlich spüren.

"Ich stufe dich nicht als gefährlich ein", stellte NoqSar fest.

"Für meinen Freund Fairoglan solltest du dasselbe annehmen", erklärte Yc.

"Immerhin kam er mit ein paar hochgefährlichen Sprengmodulen hier her", gab NoqSar zu bedenken.

Yc argumentierte überraschend schlagfertig.

"Du würdest nicht mehr existieren, hätte Fairoglan dich nicht aktiviert."

"Das geschah unabsichtlich."

"Wenn wir nicht hier wären, wäre die Spore nichts weiter als eine Ansammlung von Staubpartikeln, die durch die Winde der Gaswolke verweht werden."

Einige Augenblicke schwieg NoqSar.

Die Metallkugel veränderte ihre Position.

Weitere Antennen wurden ausgefahren.

Mit einem zischenden Geräusch verschwand schließlich das Kraftfeld, das Fairoglan bis dahin eingehüllt hatte. Vorsichtig bewegte der Yroa die Hände.

Er griff zu den Sprengmodulen und löste sie von der Magnethalterung.

"Solange diese Dinger nicht neutralisiert sind, besteht Gefahr!", erklärte er.

Ein bläulicher Traktorstrahl schoss aus einer der Antennen heraus und erfasste die zylinderförmigen Sprengsätze.

Sie schwebten ein Stück empor, bis sie sich etwa einen Meter unterhalb jener Öffnung in der Decke befanden, aus der die Metallkugel ausgetreten war.

Ein Antigravitationsfeld erfasste sie und ließ sie emporgleiten.

Fairoglan konnte nicht sehen, was mit den Sprengmodulen geschah.

"Alles, was ich im Moment tun kann, ist, für eine ausreichende Abschirmung dieser Sprengmechanismen zu sorgen", erklärte NoqSar. "Ich muss die verwendete Technik erst genau analysieren, anderenfalls könnte unabsichtlich eine Detonation ausgelöst werden."

Fairoglan fragte sich, in welcher Gestalt wohl das Original dieses Bewusstseins gelebt haben mochte.

Yc meldete sich jetzt zu Wort.

Er sprach NoqSar direkt an und bewegte sich ein Stück auf die Metallkugel zu.

"Du bist ein Canyaj!"

"Ich bin die für einen bestimmten Zweck modifizierte Bewusstseinskopie eines Canyaj", korrigierte ihn die Stimme, deren Ursprung Yc ebenso im Inneren der Kugel vermutete wie NoqSar selbst.

Für Fairoglan war das keineswegs so eindeutig.

Wenn dieses Canyaj-Bewusstsein zu einem Teil des Rechnersystems geworden war, dass die Anlage steuerte, so konnte der Ort, an dem die Daten dieser Kopie chemisch fixiert waren, unmöglich lokalisiert werden. NoqSar war dann wohl buchstäblich in allem. In jeder Konsole, in jedem technischen Gerät, das es innerhalb der Anlage gab und durch den Zentralrechner gesteuert wurde. Für Ycs naive Weltsicht war eine derartige Vorstellung schwer zu akzeptieren.

Aber noch schwerer fiel es ihm, die Konsequenzen eines anderen Gedanken zu verinnerlichen.

"Dann bist du eine Schöpfung der Canyaj!", wandte sich das Pflanzenwesen an NoqSar.

"Das ist richtig. Alles ist hier eine Schöpfung der Canyaj."

"Also auch ich!", stellte Yc fest. Fairoglan nahm einen Schwall von chaotischen, widersprüchlichen Emotionen wahr.

Es passt alles zusammen, dachte der Yroa. Die anorganische Komponente in Ycs Körper findet so wohl eine Erklärung.

*



Kommandant Tardralonnen stieß einen grollenden Laut aus. Der Blick seines nahezu starren Gesichtes war auf den Panorama-Schirm der NONG-TO gerichtet.

Daneben gab es eine dreidimensionale Projektion in der Mitte der Zentrale, die die Positionen der einzelnen Sporen sowie der technischen Artefakte anzeigte.

"Warum sehe ich nicht eine einzige Explosion auf den Anzeigen?", fragte der Kommandant mit einem Unterton, der seine vollkommene Fassungslosigkeit verriet. Mit energischen Schritten trat er neben Herrelén. Der Waffenoffizier war ebenso verdutzt wie sein Kommandant. Tardralonnen ließ seine Finger über das Terminal gleiten und starrte ungläubig auf die Anzeigen.

"Warum reagieren die Sprengmodule nicht?"

"Die Steuerimpulse dringen nicht durch", gab Herrelén Auskunft. "Und zwar bei sämtlichen Sprengsätzen, nicht nur bei denen, die Yc und Fairoglan in den Anlagen von Byylari platzieren sollten!"

Die Krallen fuhren aus Tardralonnens Fingerkuppen heraus.

Ein Zeichen der Wut.

"Rekalibrieren Sie das Subsystem und versuchen Sie es noch einmal!", verlangte der Kommandant der NONG-TO.

"Ich habe bereits einen Check des Subsystems durchgeführt. Die Analyse ergab keinen Fehler!"

"Tun Sie einfach, was ich sage!", fauchte Tardralonnen gereizt. Er wandte sich an den shaalkaanischen Ortungsoffizier. "Haben Sie eine Erklärung dafür, Tramsoy?"

"Ich bekomme hier sehr widersprüchliche Daten herein, Kommandant", erklärte Tramsoy-32 sachlich. "Möglicherweise haben sich auch an den anderen Bestimmungsorten der Sprengsätze Abschirmungsfelder gebildet!"

"Das heißt, wir haben es mit einer koordinierten Abwehr zu tun!", stellte Tardralonnen grimmig fest.

Laranjos, der k'aradanische Kommunikationsoffizier meldete sich zu Wort.

"Ich empfange codierte Signale, die offenbar dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Sporen dienen", sagte er. "Leider lassen sich die Signale bisher nicht entschlüsseln."

In Tardralonnens knochigem Schädel rasten die Gedanken nur so. Irgendetwas ging hier vor sich, von dem in den Befehlen, die der Kommandant der NONG-TO erhalten hatte, keine Rede gewesen war.

Diejenigen, die uns hierher geschickt haben, scheinen uns nicht die volle Wahrheit gesagt zu haben, überlegte er.

"Kommandant, sämtliche Sporen verändern ihre Positionen!", meldete jetzt Tramsoy-32.

Tardralonnen vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf.

Der Mund bildete einen geraden Strich.

Sein Blick war auf die schematische Drei-d-Projektion gerichtet, mit deren Hilfe die Lage der einzelnen Sporen veranschaulicht wurde.

Die Positionsveränderungen wurden blau markiert.

"Sie bewegen sich vollkommen koordiniert", setzte der shaalkaanische Ortungsoffizier noch hinzu. "Außerdem messe ich jetzt innerhalb sämtlicher Sporen und technischer Artefakte ein deutlich erhöhtes Energieniveau."

"Kommandant, soll ich eine Verbindung nach Larsyrc herstellen?", fragte Larenjos.

"Wir haben strenge Anweisung, keinen Kontakt mit Larsyrc aufzunehmen!", fauchte Tardralonnen den Kommunikationsoffizier an.

Der K'aradan hob die Schultern.

"Aber die Lage hat sich auf eine Weise geändert, die man Larsyrc wissen lassen sollte!" Er drehte sich zu seinem Waffenoffizier herum. "Sorgen Sie für den Start einer weiteren Serie von Drohnen. Sie sollen automatisch zünden, nachdem sie die Eingangsschotts passiert haben. Außerdem möchte ich, dass alle Geschützbatterien kampfbereit sind."

Herrelén schluckte den Widerspruch hinunter, der ihm auf den Lippen lag.

Er hatte sich bei seinem Kommandanten schon unbeliebt genug gemacht.

Außerdem ahnte der Morrhm, dass es sinnlos war, den Kommandanten der NONG-TO von seiner vorgefassten Meinung abzubringen.

Wenn er die Geheimdienstzentrale auf Larsyrc benachrichtigen würde, müsste er damit zugeben, dass diese Mission nicht wie geplant verlaufen ist, überlegt Herrelén. Und jemand wie Tardralonnen bringt eher das Schiff in Gefahr, als einen Fehler zuzugeben!

*



"Ich habe einige Fragen an euch", sagte NoqSar. Die Metallkugel senkte sich, schwebte schließlich etwa einen Meter über jener Konsole, über deren Sensorfeld Fairoglan das Rechnersystem der Spore Byylari aktiviert hatte.

Fairoglan war verwundert.

"Fragen? Hast du nicht alles an Informationen aus unseren Bewusstseinen herausgeholt, was du benötigst?"

"Es fehlt mir nicht an Informationen", erklärte die Canyaj-Bewusstseins-Kopie. "Aber ich war eine ziemlich eklatante Zeit deaktiviert. Vielleicht liegt es daran, dass mir die Einordnung mancher Fakten, die ich euren Bewusstseinen entnommen habe, noch schwerfällt."

"An deiner Stelle würde ich zunächst einmal etwas gegen das Raumschiff unternehmen, mit dem wir hierher gelangten", erwiderte Fairoglan. "Es hat schließlich den Auftrag, alles zu vernichten, was im Lebensbereich des Gasrings noch existiert!"

"Gegenmaßnahmen werden eingeleitet, soweit sie erforderlich werden", versicherte NoqSar. Eine kurze Pause folgte. Überall in der Zentrale waren jetzt Anzeigetafeln aktiviert worden. Bildschirme leuchteten auf. Auf einer der Holosäulen, die zunächst Bilder aus den Erinnerungen von Fairoglan und Yc gezeigt hatten, erschien jetzt ein Abbild des Systems 23211. Fairoglan nahm an, dass es sich bei den Markierungen um die gegenwärtigen Positionen der Sporen und Artefakte handelte.

Sie schienen sämtlich in Bewegung geraten zu sein.

"Das Raumschiff, mit dem ihr hierher kamt, benutzte eine Sicherheitscodierung, um das Außenschott zu öffnen. Wie seid ihr in den Besitz dieser Information gelangt?"

"Ich weiß es nicht", erklärte Fairoglan ehrlich. "Das Raumschiff wurde ferngesteuert. Vielleicht finden sich Hinweise in seiner Datenbank."

"Das habe ich längst genauestens untersucht", war NoqSars Erwiderung. "Leider ohne Ergebnis."

"Ich nehme an, dass die Schiffsbesatzung der NONG-TO die Daten letztlich von den Canyaj hat. Ihre Klon-Agenten haben die Allianz Kalimpan unterwandert. Offenbar auch unseren Geheimdienst."

NoqSars Antwort kam sehr zögerlich. Die Metallkugel änderte erneut ihre Position. Sie schwebte auf Fairoglan zu, blieb in einer Entfernung von nur etwa einem halben Meter in der Luft hängen. Die teleskopartigen Antennen wurden bis auf eine zurückgezogen.

"Warum sollten die Schöpfer dieser Lebenszone ausgerechnet Angehörige eines minderwertigen Kohlenstoff-Volkes damit beauftragen, hier alles zu zerstören? Das ist nicht logisch."

"Tut mir leid, wir waren Gefangene. Es hat sich niemand die Mühe gemacht, uns umfassend zu informieren", war Fairoglans kühle Antwort. "Aber möglicherweise wird System 21223 von denjenigen, die hier einst die Lebenszone schufen, nicht mehr benötigt."

Die Pause des Schweigens war diesmal besonders lang.

Fairoglan nahm an, dass sein Gegenüber diesen Gedanken auch schon gehegt hatte.

Wahrscheinlich herrscht jetzt ein Zielkonflikt in diesem Bewusstsein, das ja letztlich zum integralen Bestandteil eines Computerprogramms geworden ist!, erkannte Fairoglan. NoqSar ist offenbar auf Selbsterhaltung und Erhaltung der Anlage programmiert. Etwas anderes würde auch keinen Sinn machen. Aber genauso wird er auf bedingungslose Loyalität zu seinen Schöpfern ausgerichtet sein. Beides wird für ihn nicht vereinbar sein!

Fairoglan beschloss, diesen Umstand auszunutzen, um sein Gegenüber zu manipulieren.

"Ich kann mir vorstellen, dass du über diesen Punkt gerne Klarheit hättest", stellte Fairoglan fest. "Schließlich muss es ein furchtbarer Gedanke sein, dass deine Schöpfer dich vielleicht töten wollen. Aber es wäre ja ebenso möglich, dass die Codierungs-Daten gar nicht von deinen Schöpfern stammen, sondern dass die Crew der NONG-TO sie aus einer anderen Quelle erhielt, von der wir beide noch nichts wissen."

"Was sollte das für eine Quelle sein?"

"Ich weiß es nicht. Alles, was ich dazu sagen könnte, wäre Spekulation. Aber in der Datenbank der NONG-TO müssten Hinweise zu finden sein."

"Wie könnte ich an diese Daten herankommen?"

"Durch meine Hilfe."

"Wird die Besatzung der NONG-TO dabei benötigt, die Daten zu übertragen?"

"Nein, das Raumschiff kann notfalls von einem einzelnen Piloten bedient werden. Es handelt sich um eine Spezialeinheit, die extra so konstruiert wurde."

"Bist du mit der Bedienung des Schiffs und seines Rechnersystems vertraut?"

"Ich denke gut genug, um dir helfen zu können. Vorausgesetzt natürlich, das Schiff wäre in unserer Gewalt."

NoqSar gab darauf zunächst keine Antwort.

Auf einer der Holosäulen erschien die NONG-TO.

Der Bildausschnitt wurde näher herangezoomt.

An den Konsolen leuchteten überall Kontrollen und Anzeigen auf. Fairoglan sah sich um, konnte aber nicht daraus schlau werden.

Aus dem Inneren der Spore Byylari schoss ein Strahl auf das Schiff zu. Er war breit gefächert und schimmerte hellblau in der Gaswolke. Lang wurde dieser breite Strahl an der Oberfläche der NONG-TO entlanggeführt. Die Schutzschilde blitzten auf und verloschen.

Nach einer Weile hatte NoqSar die Abtastung beendet. Als der Strahl verblasste, leuchtete jedoch wieder der energetische Schutzschild der NONG-TO kurz auf.

"Ihr könnt gehen", sagte NoqSar schließlich. "Geht, steigt in euer Beiboot und kehrt zurück."

"Das Beiboot wird von der NONG-TO aus gesteuert!", stellte Fairoglan fest.

"Ich habe das Beiboot leicht modifiziert, damit ihr selbstständig aus dem Abschirmungsfeld herauskommen könnt, das Byylari inzwischen umgibt. Danach wird sie der Bordrechner der NONG-TO zurück in den Hangar schweben lassen!"

Die ganze Zeit über hatte Fairoglan den mentalen Druck gespürt, der sich in Ycs Bewusstsein aufgebaut hatte. Eine Stimmung ungeduldiger Neugier.

Fairoglan hatte deutlich gespürt, dass diese innere Spannung nach einer Entladung suchte.

Jetzt meldete sich Yc gegenüber NoqSar zu Wort.

"Mein Freund Fairoglan mag gehen. Aber ich werde mich nicht davonscheuchen lassen, ohne mehr über das erfahren zu haben, was hier geschehen ist. Ich habe ein Recht zu erfahren, wie Byylari und all die anderen Sporen entstanden sind. Schließlich habe ich hier gelebt und bin ein Produkt derselben Schöpfer wie du, NoqSar."

Die couragierten Worte des Pflanzenwesens machten auf NoqSar wenig Eindruck.

"Ich bin immerhin das mentale Ebenbild eines unserer Schöpfer. Du aber bist nichts weiter als das Überbleibsel eines letztlich missglückten Experiments."

Fairoglan konnte durch seine Psi-Begabung regelrecht spüren, wie sehr diese Worte das Pflanzenwesen trafen.

Die Augenknospen verschlossen sich.

Yc wünschte sich in dieser Sekunde, nicht zu existieren.

"Ein missglücktes Experiment?", echote er. "Ich weiß nicht, wodurch deine Geringschätzung gespeist wird, NoqSar. Aber..."

"Das wahre Leben basiert auf Silizium. Auf lange Sicht gesehen ist für ein Nebeneinander von Kohlenstoff- und Silizium-basierten Völkern kein Platz in der Galaxis."

"Und doch habt ihr Wesen wie mich entstehen lassen!", erwiderte Yc.

"Die Lebenszone in diesem Gasring war eines der ersten großen Experimente zur Erschaffung organischer Strukturen", erklärte NoqSar. "Ziel war es, organische Zivilisationen zu unterwandern und zu beeinflussen."

Die Holosäulen zeigten Bilder von der Entwicklung der Pflanzenartigen, die zunächst mit festen Wurzeln im Boden verankert gewesen waren, bevor sie sich unter dem Einfluss der Canyaj weiterentwickelten und ihre Mobilität gewannen.

Endpunkt dieser Entwicklung dürfte jene Klon-Agenten sein, die jetzt unsere Führung unterwandert haben, überlegte Fairoglan.

Vielleicht war auch NoqSar selbst ein Teil des Experiments gewesen. Schließlich war es für eine Unterwanderung organischer Zivilisationen durch Klone nötig, eine Methode zu finden, die sicherstellte, dass die Klon-Agenten einerseits über das gesamte Wissen und die Persönlichkeit des Originals verfügten, andererseits aber ihren Herren gegenüber loyal waren.

Eine modifizierte und entsprechenden Bedürfnissen der Canyaj konditionierte Bewusstseinskopie war wohl die Lösung, die von den Anorganischen schließlich für dieses Problem gefunden wurde, erkannte Fairoglan. Es war naheliegend, dass die Canyaj zunächst versucht hatten, ihre eigenen Bewusstseinsinhalte zu kopieren und mit externen Komponenten zu verbinden. Etwa einem Rechnersystem.

Fairoglan und Yc sahen weitere Bilder auf den Holosäulen, die NoqSars Worte illustrierten. Offenbar hatten sie auf Dutzenden von unbedeutenden, aber von organischem Leben bevölkerten Planeten die Evolution zu beeinflussen versucht. Mit unterschiedlich großem Erfolg.

Als die Holo-Säulen herzförmige Wesen zeigten, versetzte es Fairoglan einen Stich.

"Noleek!", entfuhr es ihm unwillkürlich.

Es war offensichtlich.

Die Canyaj waren offenbar für den evolutionären Schub der Noleek verantwortlich. Sie müssen das Potential erkannt haben, das in der Entwicklung des Zeitreiseorgans der Noleek lag!, überlegte Fairoglan.

"Geht jetzt an Bord eures Beibootes!", bestimmte NoqSar.

"Ich habe noch viele Fragen, insbesondere zu den Noleek!", wandte Fairoglan ein.

"Sie waren ein Experiment wie viele andere auch. Was gibt es sonst noch dazu zu sagen?" Die Metallkugel erhob sich ein Stück und schwebte jetzt hinauf zur gewölbten Decke. Dort verharrte sie genau über Fairoglans Kopf. "Ich brauche die Daten des Bordrechners der NONG-TO, um sie nach Hinweisen durchsuchen zu können. Bedenkt, dass es in meiner Macht steht, euch jederzeit zu töten und das Schiff zu vernichten, falls eure kooperative Haltung keinen Bestand haben sollte."

"Ich habe verstanden", sagte Fairoglan. "Aber wie sollen wir es schaffen, die NONG-TO in unsere Gewalt zu bekommen? Dazu fehlen uns die Mittel!"

"Alles Nötige ist längst geschehen", erwiderte NoqSar, der nicht gewillt schien, sich zu diesem Punkt weiter zu äußern.

Unbekannte Symbole erschienen auf den Anzeigen der Konsolen. Weitere Holosäulen entstanden. Die Projektion, die den gesamten Gasring mit den Positionen der Sporen veranschaulichte, wuchs zur doppelten Größe.

Es war deutlich erkennbar, dass die Sporen ihre Lage veränderten.

Sie strebten auf einen bestimmten Punkt innerhalb der Lebenszone um Stern 23122 zu.

Fairoglan wandte sich an Yc. "Lass uns gehen."

Der Yroa spürte das Widerstreben seines pflanzenhaften Freundes und verstand auch den Grund dafür. Die Erkenntnis, dass er nichts weiter als ein künstlich in einem Experiment geschaffenes Objekt der Canyaj-Forschung war, musste ihn hart getroffen und in eine regelrechte Identitätskrise geworfen haben. Die mentalen Impulse, die Fairoglan von Yc wahrnahm, deuteten eindeutig in diese Richtung. Der Pflanzenartige hatte gewiss noch sehr viele unbeantwortete Fragen an das NoqSar-Bewusstsein.

Aber jetzt war nicht der Augenblick, sie zu stellen.

Sie konnten froh sein, dass NoqSar sie wieder ziehen ließ und nicht einfach vernichtete.

"Komm jetzt!", forderte Fairoglan noch einmal. "Vielleicht wird es zu einem späteren Zeitpunkt Antworten auf deine Fragen geben."

*



Die heilige Zeit.

Die Meditationsrituale des Hgalrrah.

Die Kunst des Meisters Zorrargh.

All das hatte Hgrreks seelisches Gleichgewicht nicht im mindesten wieder hergestellt.

Der Erste der Chgorr war der Letzte, der die interne Sicherheitsschleuse zu jenem Konferenzbereich passierte, in dem der Krisenstab tagte. Er hatte sich verspätet. Die Sitzung hatte längst begonnen.

Über dem Konferenztisch schwebte ein großes, kugelförmiges Projektionsfeld, auf dem der gegenwärtige Stand der großen Entscheidungsschlacht um das Menschen-System zu sehen war.

Hgrrek schwebte in den Raum und ließ sich an dem für ihn vorgesehenen Platz nieder.

Enielraq blickte kurz in seine Richtung.

Neliebrab ebenfalls.

Die zusätzlichen Komponenten seines Bewusstseins sorgten dafür, dass er jeden zu erkennen vermochte, der auch dazu gehörte und in Wahrheit ein konditionierter Klon-Agent der Canyaj war. Es war eine Art zusätzlicher Sinn.

Der shaalkaanische Admiral Sarew-987 war auch einer von ihnen.

Die Nüchternheit seiner Worte wurde durch die Tatsache unterstrichen, dass sein Schattenfeld ihn wie einen gesichtslosen Schemen aussehen ließ. Nicht einmal die wahre Stimme des Shaalkaanen war zu hören. Er benutzte vielmehr ein Translatorsystem, das über ein neuronales Interface direkt mit seinem Hirn verbunden war.

Saroo-Otnof, der Regent der Fulirr, saß etwas abseits. Der Echsenartige wirkte nachdenklich. Die zusätzliche Komponente bestätigte Hgrrek, dass es sich bei dem Fulirr um einen der wenigen Würdenträger der Allianz handelte, die noch nicht gegen Klone ausgetauscht worden waren.

Zegrian, das sicherheitspolitische Urgestein Kalimpans fehlte.

Sein Austausch stand eigentlich nicht an.

Aber möglicherweise waren Umstände eingetreten, die ein schnelles Handeln unumgänglich gemacht hatten.

Unter den Sicherheitsoffizieren fielen Hgrrek die beiden K'aradan Makalos und Derandii auf. Sie wirkten sehr unruhig. Hgrrek wusste, dass sie noch nicht ausgetauscht waren, ebensowenig der k'aradanische Regent Asmombros.

"Die Lage rund um das Menschen-System ist sehr ernst", erläuterte Sarew-987. Die Canyaj-Verbände sind überall auf dem Vormarsch. Unsere Verluste sind hoch. Der Feind ist technologisch ebenbürtig, teilweise sogar überlegen. Ganz sicher verfügt er aber über die größeren Reserven an einsatzfähigen Kampfraumern. Während des bisherigen Verlaufs der Schlacht trafen immer noch weitere Verbände ein, während wir keinerlei Möglichkeit hatten, die Lücken in den Reihen unserer Formationen zu schließen."

"Wie lange glauben Sie, werden unsere Verbände die Lage noch einigermaßen stabil halten können?", erkundigte sich Asmombros.

Auf der Stirn des k'aradanischen Regenten hatten sich tiefe Falten gebildet.

"Das ist schwer zu sagen", antwortete der shaalkaanische Admiral. "Tatsache ist, dass unsere Verluste deutlich höher sind als die unserer Gegner. Wenn man dann noch bedenkt, dass zwischen Canyaj und Menschen offenbar ein Bündnis besteht und letzte ihre Schlagkraft gegen uns noch nicht einmal mobilisiert zu haben scheinen, wäre es schon ein Wunder, wenn unsere Flotte es schaffen würde, den Status Quo zu halten. Admiral Sonardan teilt im übrigen diese Einschätzung."

Betretenes Schweigen herrschte daraufhin im Konferenzraum.

Vielleicht hatte der eine oder andere noch mit einem Wunder gerechnet.

Aber die Fakten sprachen für sich.

Die Überlegenheit der Canyaj war einfach zu deutlich, als dass es noch möglich war, an den Tatsachen vorbeizusehen.

"Das bedeutet: Alles, worauf wir hoffen können ist, dass die eigenen Verluste der Canyaj so hoch sind, dass sie sich ein Vorgehen gegen den Rest der Allianz nicht mehr leisten können", stellte Asmombros fest.

Saroo-Otnof meldete sich zu Wort.

Der Echsenartige erwachte aus der nachdenklichen Starre, in die er zuvor verfallen war.

"Ich nehme eher an, dass der Feind die Entscheidung sucht", erklärte er. "Die Canyaj werden sich ihren vollständigen Triumph nicht mehr nehmen lassen. Ich frage mich nur, wie sie die Menschen auf ihre Seite bekommen haben."

"Durch Versprechungen natürlich!", vermutete Asmombros mit bitterem Unterton. "Vielleicht wird man ihnen die Illusion gegeben haben, im Anschluss an diesen Krieg einen Teil des Kalimpan-Territoriums vereinnahmen zu können. Wer weiß?" Er erhob sich von seine Platz und deutete auf die Projektion, die den für die Allianz Kalimpan ungünstigen Verlauf der Schlacht dokumentierte. "Ich schlage vor, die letzte Verteidigungsschicht unserer Raumflotte aufzulösen. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als alles in die Schlacht zu werfen, was wir haben. Denn wenn die Canyaj siegen, dann wird es ohnehin kein Hindernis mehr für sie geben, um das Allianz-Territorium zu erobern."

"Sollen wir wirklich Larsyrc seines letzten Bollwerkes berauben?", fragte Admiral Sarew zweifelnd.

"Wenn wir die Fulirr-Flotte in die Waagschale werfen, könnte sie das entscheidende Gewicht sein, um den Status Quo zu erhalten!", gab Asmombros zu bedenken. "Gegen einen Angriff auf Larsyrc würde sie ohnehin nichts mehr ausrichten können."

Der Vorschlag des k'aradanischen Regenten fand im Krisenstab durchaus Zustimmung.

Der morrhmische Regent Enielraq machte schließlich einen Kompromissvorschlag.

"Wir könnten die Verteidigungskräfte der Fulirr-Flotte bis auf ein Minimum ausdünnen", meinte er. "Dann können wir uns zumindest nicht vorwerfen, wir hätten nicht alles versucht!"

Der Vorschlag wurde angenommen.

Eine Konsultation des Hohen Rates war dazu nicht nötig. Der Krisenstab hatte für operative Entscheidungen eine ziemlich weitgehende Handlungsvollmacht.

Außerdem sollten nun auch die letzten Verteidigungskräfte aus den weiten des Kalimpan-Gebietes abgezogen werden. Das damit verbundene Risiko der Wehrlosigkeit gegen einen Angriff war nicht zu vermeiden.

Die Abstimmung war gerade vorüber, da betrat die massige, hochgewachsene Gestalt Zegrians den Raum.

Die Augen aller waren auf ihn gerichtet.

Jeder erwartete von dem verdienten Sicherheitsexperten eine Erklärung dafür, dass er der bisherigen Sitzung ferngeblieben war.

Aber der Yroa-Erstling nahm wortlos seinen Platz ein und setzte sich.

Hgrrek musterte ihn aufmerksam.

Auch Zegrian ist jetzt einer von uns!, ging es dem schmetterlingshaften Chgorr-Regenten durch den Kopf. Das diesbezügliche Gefühl, dass durch seine zusätzliche Bewusstseinskomponente gespeist wurde, war in dieser Hinsicht vollkommen sicher.

"Esss gibt noch etwasss Wichtigesss zzzu besssprechen!", meldete sich nun Neliebrab zu Wort. Der Yroa-Regent erhob sich, machte anschließend eine ausholende, raumgreifende Geste. "Wasss tun wirrr, wenn die Invasssion der Canyaj errrfolgrrreich sssein sssollte?", dröhnte seine Stimme. "Sssollen wir den Plan aufrrrecht errrhalten, Larsyrc zzzu sssprrrengen, bevorrr die Erroberer kommen?" Er machte eine rhetorische Pause. Der vollkommenen Aufmerksamkeit aller konnte sich Neliebrab nach diesen Worten gewiss sein. Eine Aufhebung des Selbstzerstörungsprogramms für Larsyrc rüttelte an einer der ältesten Grundsätze Kalimpans. Die Allianz war schließlich für den Erhalt der Freiheit gegründet worden. Eines ihrer ideologischen Fundamente lautete, dass es besser war, die eigene Vernichtung in Kauf zu nehmen, als unfrei zu leben. Selbst so unterschiedliche Kulturen wie jene der Chgorr und der Morrhm hatten darin einen Konsens gefunden, der in dem bestehenden Selbstvernichtungsprogramm zum Ausdruck kam.

"Diessse Frrrage werrrden wirrr intensssiv zzzu disskutierrren haben!", fuhr der Yroa-Regent fort.

Eine Niederlage Kalimpans lag in greifbarer Nähe.

Vielleicht ist es tatsächlich besser, sich auf die Gegebenheiten einzustellen, überlegte Saroo-Otnof.

Seine Hände lagen übereinander, sodass der winzige Datenträger auf seiner Handfläche unsichtbar blieb.

Der Echsenartige bemerkte einen Blick den die K'aradan-Frau Derandii ihm zuwarf.

Aber Saroo-Otnof vermochte ihn nicht zu interpretieren.

*



Die Diskussion, die Neliebrab begonnen hatte, war zwar heftig, aber ohne Ergebnis verlaufen. Es gab starken Widerstand gegen die Aufhebung des Vernichtungsprogramms.

Einige Mitglieder des Krisenstabes sahen darin so etwas wie einen Verrat an den Prinzipien, auf denen Kalimpan gegründet war und verlangten für die Entscheidung eine Einberufung des Hohen Rates.

Nur dieses Gremium könnte eine so weitreichende Entscheidung treffen.

Saroo-Otnof hatte sich über die Einmütigkeit gewundert, in der so unterschiedliche Personen wie Hgrrek, Enielraq und Sarew-987 zugunsten Neliebrabs argumentiert hatten.

Der Echsenartige zog sich nach dem vorläufigen Ende der Sitzung in das Quartier zurück, das man ihm in der Nähe der Sitzungsräume zur Verfügung gestellt hatte.

Der Raumcomputer meldete sich.

"Im Datenspeicher befindet sich eine Botschaft Ihrer Eierlegerin", erklärte die Computerstimme. Seine angetraute Eierlegerin Tashrahh-Fonto hielt sich auf auf einer Fulirr-Welt auf. Sie war dort eine angesehene Ärztin. Als Saroo-Otnof von dort zur Sitzungsperiode des Hohen Rates von Larsyrc aufgebrochen war, hatte er nicht geahnt, sie vielleicht nie wieder zu sehen.

Dennoch gab es im Augenblick Wichtigeres, als die Nachricht von zu Hause.

"Ich werde mir die Nachricht später ansehen", äußerte der Fulirr-Regent.

Statt dessen wandte er sich dem Datenträger zu, den Derandii ihm gegeben hatte.

Er löste ihn mit etwas Mühe von seiner schuppigen Handaußenfläche.

"Diese Nachricht bitte nicht in Verbindung mit dem planetaren Datennetz von Larsyrc bringen!", meldete sich eine sehr leise Stimme aus dem Datenträger heraus. "Wenn Sie die Nachricht aktivieren wollen, bestätigen Sie dies durch eine mündliche Äußerung. Ihr individuelles Stimmmuster autorisiert Sie!"

"Nachricht zeigen!", verlangte Saroo-Otnof.

Wenn eine Offizierin des Sicherheitsdienstes der Flotte ihm unter derart konspirativen Umstände eine Botschaft zukommen ließ, musste mehr dahinterstecken.

Eine Projektion erschien.

Sie hatte etwa die Größe eines Fulirr-Unterarms und schwebte in der Luft.

Ein k'aradanisches Gesicht sah den Fulirr an.

"Diese Nachricht ist ausschließlich für Saroo-Otnof, seines Zeichens Regent der Fulirr bestimmt."

Das K'aradan-Gesicht war so ausdruckslos, dass selbst ein Fulirr unschwer zu erkennen vermochte, dass sich nicht um eine reale Person, sondern nur um einen computergeneriertes Avatar handelte. Dieser Eindruck war offensichtlich beabsichtigt, denn die Erzeugung von lebensechten Avataren war für k'aradanische Technik eigentlich kein Problem.

Die Herkunft dieser Nachricht ist offenbar so weit wie möglich anonymisiert worden, ging es Saroo-Otnof durch den Kopf.

"Die Allianz Kalimpan wird bis in höchste Ebenen durch Klon-Agenten der Canyaj unterwandert. Diejenigen, die noch loyal auf Seiten der Allianz und ihrer Werte stehen, müssen jetzt handeln. Der schlimmste Feind Kalimpans lauert im Inneren. Weitere Informationen finden Sie auf diesem Datenträger. Rufen Sie sie jetzt ab. Der Datenträger wird sich anschließend selbst vernichten..."

*



Eine Erschütterung durchlief die ALLIANZ. Mehrere Treffer hatten eine weitere Geschützbatterie des shaalkaanischen Spähschiffs nahezu völlig ausgeschaltet. Es gab einen Hüllenbruch, der nur mühsam mit einem Eindämmungsfeld abgedichtet werden konnte. Die Schutzschilde ließen sich auf nicht mehr als fünfzig Prozent hochfahren.

Kommandant Malaak-234 wusste, wie prekär die Lage seines Schiffes war.

Bereits zwei Versuche einer Nottransition waren misslungen. Die erforderliche Geschwindigkeit hatte nicht erreicht werden können, ohne Energie von den Schutzschilden abzuziehen. Unter fast permanentem Beschuss war das jedoch glatter Selbstmord.

Nachdem die Triebwerkssektion einen von den Schutzschilden nur unzureichend gedämpften Treffer abbekommen hatte, war daran gar nicht mehr zu denken. Das Überlichttriebwerk war zwar weitgehend unbeschädigt geblieben, aber von den beiden Impulstriebwerken war eins ausgefallen, während das andere nur noch mit einer Leistungsfähigkeit von gerade einmal sechzig Prozent arbeitete. Das reichte, um einigermaßen manövrieren zu können. Aber die für eine Transition erforderliche Mindestgeschwindigkeit konnte allenfalls nach längerem Flug mit maximaler Leistung erreicht werden. Und auch dann nur unter der Voraussetzung, dass die Schutzschilde komplett abgeschaltet und die Energie in die Triebwerkssektion umgeleitet wurde.

In der gegenwärtigen Situation war daran nicht im Traum zu denken.

Insgesamt vier Canyaj-Schiffe hatten die ALLIANZ eingekreist und beschossen sie.

Malaak-234 konnte sie über seinen neuronalen Datenzugang sehen.

Die Besatzungen der noch intakten Geschützbatterien der ALLIANZ versuchten sie zu treffen. Mehrere Angreifer der Canyaj Schiffe waren von ihnen in den letzten Larsyrc-Stunden so beschädigt worden, dass sie sich zunächst zurückgezogen hatten.

Aber die anderen setzten die Jagd unbeirrbar fort.

Die ALLIANZ war dabei immer tiefer zwischen die Reihen der feindlichen Raumschiffe geraten.

"Sie haben sich das falsche Schiff ausgesucht, Gelendos!", wandte sich Kommandant Malaak resignierend an den k'aradanischen Menschen-Forscher.

"Abwarten!", war Gelendos' knappe Erwiderung. Er verfolgte die Ereignisse über die Anzeigen seiner Konsole. Eine kleine Gruppe von Menschen-Schiffen hatte sich am Rand des umkämpften Raumgebietes versammelt. Aber sie griffen nicht ein, sondern warteten ab. Malaak hat recht. Die Lage ist vollkommen hoffnungslos, ging es Gelendos durch den Kopf. Und zwar nicht nur für dieses Schiff, sondern für ganz Kalimpan.

Selbst wenn es der Kalimpan-Flotte gelang, dem übermächtigen Feind einigermaßen Paroli zu bieten und ihn zumindest aufzuhalten, so standen auf der anderen Seite noch schier unermessliche Kräfte zur Verfügung. Da waren nicht nur die gefürchteten Schiffe der Menschen, sondern möglicherweise auch Hilfseinheiten weiterer anorganischer Völker, die unter der Hegemonie der Canyaj standen.

"Es ist gleichgültig, wo man sich in diesem Moment befindet", murmelte er -—mehr zu sich als selbst als an Malaak-234 gerichtet. "Selbst auf Larsyrc wären wir wohl nur noch kurze Zeit sicher."

Die Geschützbatterien der ALLIANZ feuerten unablässig.

Eines der Canyaj-Schiffe wurde voll getroffen. Die Feldstärke des Schutzschirms verringerte sich für Augenblicke um mehr als ein Drittel. Die shaalkaanischen Mannschaften an den Batterien nutzen dies zu einem weiteren, verstärkten Beschuss. Mit Erfolg. Das schwere Blasterfeuer drang durch. Ein Hüllenbruch entstand.

Die ALLIANZ feuerte eine Drohne ab, die rasend schnell auf das Canyaj-Schiff zusteuerte. Die Drohne teilte sich, bildete drei kleinere Flugkörper.

Einer davon zerplatzte im Abwehrfeuer der Canyaj, der zweite wurde ebenfalls getroffen, aber das dritte Geschoss kam durch.

Es wich dem breitgestreuten Abwehrfeuer und der Peilung durch das gegnerische Schiff durch eine wahrhaft chaotische, durch einen Zufallsgenerator berechnete Flugbahn aus. Auf der Dunkelwelt Shaalkaan wichen auf diese Weise die etwa einen Meter großen Raschna-Motten dem Sonar ihrer Jäger, den fledermausartigen Riesen-Nachtseglern aus.

Das Geschoss schaffte es bis zum Hüllenbruch, drang durch den geschwächten Schutzschild und das noch schwächere Eindämmungsfeld.

Sekunden später platzte das Canyaj-Schiff mit einer grellen Lichtreaktion auseinander.

"Treffer!", verkündete der Waffenoffizier fast schon euphorisch.

Aber nur Sekunden später durchliefen zwei Erschütterungen kurz hintereinander die ALLIANZ. Aus der Konsole des Waffenoffiziers kam eine grelle Stichflamme hervor, deren Lichterscheinung alle Shaalkaanen auf der Brücke aufschreien und schleunigst den Blick wenden ließ.

Der Waffenoffizier selbst wurde mit samt seinem Antigravaggregat durch den Raum geschleudert. Er prallte gegen die Wand, rutschte aus den Halteriemen seines Aggregats und fiel kraftlos zu Boden.

Einer der anderen Shaalkaanen schwebte zu ihm.

Aber es war zu spät.

Seine Lebensfunktionen waren bereits erloschen.

"Schadensbericht!", forderte Kommandant Malaak-234.

"Zentrale Waffenkontrolle ausgefallen. Leistungsfähigkeit der Schutzschilde liegt bei zwölf Prozent. Wir haben Treffer in den Maschinenraum bekommen. Die Lebensfunktion fast der gesamten Ingenieurscrew sind nicht mehr messbar. In einer Konverterkammer brennt es. Es gibt jetzt an insgesamt fünf Stellen Hüllenbrüche..."

"Eindämmungsfelder!", forderte Malaak.

"Die lassen sich nicht aufrechterhalten. Energielevel sinkt rapide. Lebenserhaltungssysteme sind innerhalb etwa einer Larsyrc-Stunde nicht mehr in der Lage, die nötige Zusammensetzung der Atmosphäre zu gewährleisten."

Wieder wurde die ALLIANZ getroffen.

Gelendos wurde zu Boden geschleudert.

Die Konsole, die ihm als Terminal zur Verfügung gestellt worden war, wurde dunkel. Das ihn umgebende Schattenfeld wurde ebenso deaktiviert wie die Drei-D-Projektionen.

"Teilausfall des Rechnersystems", meldete der Kommunikationsoffizier.

"Versuchen Sie es zu rekalibrieren!"

"Rekalibrierung nicht mehr möglich."

Malaak konnte auf seiner neuronalen Anzeige verfolgen, wie ein Teilsystem nach dem anderen ausfiel.

Noch wurde von einer Geschützbatterie aus auf die Angreifer geschossen.

Aber in Kürze würde der Energielevel dermaßen absinken, dass kein einziger Blasterschuss mehr möglich war.

Die ALLIANZ torkelte auf einer mehr oder minder chaotischen Flugbahn durch die Oort'sche Wolke.

Genau auf einen der Eisbrocken zu, die hier zu finden waren.

"Ausweichkurs!", rief Malaak an den Piloten gerichtet.

"Tut mir leid, Kommandant, wir sind vollkommen manövrierunfähig."

Der Zusammenprall war beinahe ebenso heftig und verheerend wie die Treffer der Canyaj.

Der Schadensbericht verzeichnete massive Schäden. Hüllenbrüche konnten nicht mehr abgeschirmt werden. Ein Teil der Atemluft entwich ins All.

Malaak stand vor einer Entscheidung, von der er gehofft hatte, sie nicht treffen zu müssen.

Aber es war unausweichlich.

"Wir verlassen das Schiff!", verlangte er. "Sequenz zum Start der Rettungskapseln einleiten!"

"Das ist Selbstmord!", war der Kommunikationsoffizier überzeugt.

Kommandant Malaak-234 widersprach nicht.

*



Admiral Sonardan saß mit versteinertem Gesicht in seinem Konturensessel. Die Zentrale der STERN VON ARADAN war von hektischer Aktivität erfüllt.

Die Verluste waren in besorgniserregende Höhen gestiegen. Teilverbände der Flotte waren von Canyaj-Schiffen eingekreist und vom Hauptverband getrennt worden.

Auf dem Panorama-Bildschirm des Flaggschiffs der Kalimpan-Flotte waren überall aufblitzende Detonationen zu sehen. Raumschiffe zerbarsten auf beiden Seiten. Strahlschüsse zuckten durch die ewige Nacht des Weltraums und Drohnen wurden auf den Weg geschickt, um ihre Ziele vollkommen selbstständig zu finden.

Die Canyaj waren einfach in einer erdrückenden Übermacht.

Noch immer zeigten die Ortungsanzeigen an, dass weitere -—wenn auch vergleichsweise kleine -—Verbände der Anorganischen eintrafen.

Es schmerzte Sonardan mitansehen zu müssen, wie Teile der Flottenformation sich längst aufgelöst hatten. Überall trieben Trümmer durch das All. Halb ausgebrannte Verbundraumer der K'aradan oder einzelne Fragmente von kegelförmigen Chgorr-Raumern.

Die morrhmischen Einheiten hatten die größten Erfolge gegen die Canyaj. Sie hatten allerdings auch die höchsten Verluste, da sie mit besonderer Tollkühnheit vorgingen.

"Wir werden den Status Quo nicht mehr lange aufrecht erhalten können", meldete sich Estan zu Wort. Der Erste Offizier der STERN VON ARADAN hatte die Arme vor der Brust verschränkt. Seine Züge wirkten ebenso verkniffen wie die seines Admirals.

"Wir haben leider keine andere Wahl, als es trotzdem zu versuchen!", murmelte Sonardan.

Die Kommunikationsoffizierin Sadrii meldete sich zu Wort.

"Eine Verbindung nach Larsyrc", meldete sie. "Der Regent von Aradan möchte mit Ihnen sprechen, Admiral!"

"Schalten Sie die Phase frei, Sadrii!", gab Sonardan zurück.

"In Ordnung", bestätigte die Kommunikationsoffizierin und wandte sich ihrer Konsole zu.

Eine Projektion entstand.

Der k'aradanische Regent Asmombros wurde in eine Darstellung sichtbar, die beinahe Lebensgröße hatte.

"Hier Admiral Sonardan. Die Lage ist unverändert schlecht. Wir bräuchten dringend Verstärkung, um die feindlichen Verbände aufhalten zu können. Aber ich weiß, dass Sie mir damit sicher nicht dienen können, Regent!"

"Wir haben beschlossen, die letzte Verteidigungsschicht der Fulirr-Schiffe auszudünnen. Ich weiß, dass das nichts weiter als ein Tropfen auf den heißen Stein ist, aber Sie sollen wissen, dass wir Ihnen jede Unterstützung zukommen lassen, die wir Ihnen bieten können!"

"Das ist tröstlich", erwiderte Admiral Sonardan mit einem bitteren, resignativen Unterton.

"Das Schicksal Kalimpans hängt davon ab, dass sie die Flut der Canyaj aufhalten, Admiral!"

"Ich weiß."

Das dreidimensionale Abbild des k'aradanischen Regenten begann erst zu verschwimmen.

Es wurde transparent und löste sich schließlich vollständig auf.

Eine leichte Erschütterung erfasste die STERN VON ARADAN.

"Kom-Verbindung nach Larsyrc ist zusammmengebrochen!", meldete Sadrii.

Der Ortungsoffizier meldete sich zu Wort. "Es hat eine Explosion ganz in unserer Nähe gegeben!", erklärte er. "Es war die MOND VON ARADAN!"

"Unser Schwesterschiff!", murmelte Admiral Sonardan.

"Drei Canyaj-Einheiten im Anflug!", meldete der Ortungsoffizier.

"Ausweichmanöver und Gegenfeuer!", befahl Admiral Sonardan.

Auf dem Panorama-Schirm wurden die Angreifer herangezoomt. Es handelte sich um kleine, wenige Einheiten der Canyaj, die vermutlich als Beiboote der größeren Raumer fungierten.

Die STERN VON ARADAN ging auf einen Ausweichkurs und entging so dem gezielten Feuer der Canyaj. Insgeheim musste Admiral Sonardan den Angreifern Respekt zollen. Sie waren tief in die Formation der Allianz Kalimpan eingedrungen. Die extreme Wendigkeit hatte diesen Vorstoß ermöglicht.

Unablässig nahmen die Geschützbatterien der STERN VON ARADAN die Angreifer unter Beschuss.

Weitere Verbundraumer der K'aradan kamen zu Hilfe und feuerten ebenfalls.

Nacheinander wurden die Angreifer getroffen.

Wrackteile der MOND VON ARADAN trieben durch das All.

"Admiral, die Abtaster zeigen das Vorhandensein mehrerer Rettungskapseln an!", meldete der Ortungsoffizier.

"Sofort mit Traktorstrahl an Bord nehmen!", ordnete Sonardan an.

Inzwischen war die Formation der Allianz Kalimpan wieder einigermaßen geschlossen. Eine Phalanx aus Steinschiffen der Shaalkaanen hatte sich zwischen die k'aradanischen Verbundraumer und die in einer keilförmigen Formation angreifenden schnellen Canyaj-Einheiten geschoben.

Ein kleiner Sieg in einer Schlacht, die schon beinahe verloren ist!, durchzuckte es den Admiral niedergeschlagen.

*



"Treten Sie ein!", forderte Admiral Sarew-987.

Er schwebte an den Gurten seines Antigravaggregats hängend durch den fast vollkommen dunklen Raum. Ein schwächlich wirkender, vollkommen haarloser Körper mit einem bleichen Totenschädelgesicht und einen vergleichsweise riesigen Hinterkopf. Es gab lediglich eine winzige Lichtquelle im Quartier des Stabsadmirals der Allianz Kalimpan.

Die Schiebetür öffnete sich.

Ein Morrhm trat ein. Er wirkte etwas orientierungslos. Schon im Korridor war es ziemlich dunkel gewesen.

"Seien Sie gegrüßt, Enielraq."

"Gemütlich haben Sie es hier nicht gerade", war die lakonische Erwiderung des morrhmischen Regenten.

Die feuchte Kühle, die in Admiral Sarew' Quartier herrschte, ließ den eigentlich nicht besonders empfindlichen Morrhm frösteln.

"Schattenfeld aktivieren, Beleuchtung auf morrhmisches Level erhöhen!", speiste Sarew über die Audio-Eingabe in die Rechnersysteme des Zimmers und seines Schattenfeldgenerators ein.

In demselben Moment, in dem das Licht anging, verschwand die Gestalt des Shaalkaanen hinter einem Schirm aus undurchdringlicher Finsternis.

"Ich nehme an, so ist es für Sie angenehmer, Enielraq."

"Sie sind ein zu gütiger Gastgeber!", erwiderte Enielraq -—beziehungsweise der Klon-Agent, der seine Stelle angenommen hatte.

Er trat näher.

Seine Arme waren in die Hüften gestemmt.

Er blickte sich um und bleckte dabei leicht die Zähne.

Die Einrichtung des Shaalkaanenquartiers war sehr schlicht. Der Morrhm wunderte sich darüber, dass nicht einmal irgendwelches kommunikationstechnisches Equipment zu finden war. Was Enielraq nicht sehen konnte war, dass Admiral Sarew über ein neuronales Interface ständig mit den wichtigsten Schaltstellen der Kalimpan-Streitmacht und ihrer Teilflotten verbunden war.

So konnte er ständig den Verlauf der Schlacht um das Menschen-System verfolgen und war ständig über den Verlauf der Ereignisse auf dem Laufenden.

Selbst wenn er schlief, sorgte eine spezielle Weckfunktion dafür, dass sein Bewusstsein sofort wieder in einen handlungsfähigen Zustand versetzt wurde, sobald ihm Fakten mit einem bestimmten Relevanzfaktor erreichten.

Enielraq hatte den eigentlichen Körper des Shaalkaanen nur für den Bruchteil eines Augenblicks sehen können. Ein Moment, der so kurz war, dass sich der Morrhm fragte, wie viel von dem scheußlichen Eindruck, den er dabei aufgeschnappt hatte, wohl der Realität entsprach.

Das, was Enielraq gesehen hatte, entsprach in etwa jenen aus den Gräbern aufsteigenden Schreckgestalten, von denen morrhmische Eltern ihren Kindern gerne erzählten, um sie psychisch abzuhärten.

"Die Schlacht wird sich wohl noch einige Larsyrc-Tage lang hinziehen", erklärte jetzt der Admiral.

"Die Kalimpan-Verbände wehren sich tapferer, als wir es von ihnen erwartet hätten!"

"Ja."

"Der Beschluss, den Abwehrschild der Fulirr-Raumer um Larsyrc auszudünnen und diese Einheit zum Menschen-System zu beordern, wird das Ende noch weiter hinauszögern."

"Hatten wir eine andere Wahl, als dem zuzustimmen?"

"Vermutlich nicht."

"Außerdem wird dann das Ende leichter."

"Sie haben wohl recht. Das Misstrauen des Hohen Rates wäre schlimmer gewesen, als die Verzögerung, die vielleicht durch den Einsatz dieser Fulirr-Raumer entsteht."

Eine Pause entstand. Schließlich sagte Enielraq: "Ich bin eigentlich hier, um mit Ihnen über Hgrrek zu reden."

"Was ist mit ihm?"

"Ist es Ihnen wirklich entgangen? Die psychische Integration seiner zusätzlichen Bewusstseinskomponenten scheint ihm Schwierigkeiten zu machen. Die Tatsache, dass er seinen Hgalrrah-Lehrer umbringen musste, um die Erfüllung unseres Auftrags nicht zu gefährden, hat ihm sehr zugesetzt."

"Ich darf doch meiner Verwunderung darüber Ausdruck verleihen, dass Sie erstaunlich gut über das Seelenleben des Ersten der Chgorrh informiert zu sein scheinen."

"Schon mein Vorgänger hatte zahlreiche Spione in der Umgebung des Chgorr-Regenten." Er bleckte die Zähne. "Diese Chgorr-Informanten kennen natürlich nicht die Gründe für das innere Ungleichgewicht ihres Regenten. Aber die seelische Verfassung eines Angehörigen dieser Spezies ist an der Färbung der Flügel zu sehen. Vorausgesetzt man vermag die feinen Nuancen zu erkennen."

"Und auf Ihre Informanten trifft das zu."

"Sie sind Chgorr!"

"Natürlich!"

Der Morrhm fragte sich, ob der leicht spöttische Unterton des Shaalkaanen durch die Modulation des Translatorsystems bedingt war oder tatsächlich die Einstellung des Admirals widerspiegelte. "Wie ich annehme, haben Sie -—oder Ihr Vorgänger—nicht nur das Privatleben des Ersten der Chgorr intensiv ausspionieren lassen!", vermutete Sarew.

Enielraq bestätigte dies. "Das stimmt. Die seelischen Qualen dieses Riesenschmetterlings würden mich kaum interessieren, wenn nicht die Gefahr bestünde, dass in dieser kritischen Situation seine Konditionierung versagt."

"So gravierend schätzen Sie das ein?"

"Ja."

Sarew-987 schwebte zur anderen Seite des Raums.

Larsyrc sollte möglichst kampflos und ohne allzu große Zerstörungen übergeben werden. Dazu war unbedingt notwendig, dass das Selbstzerstörungsprogramm außer Kraft gesetzt wurde. Aber wenn ein völlig aus dem Lot geratener Hgrrek-Klon, dessen Konditionierung nicht mehr einwandfrei funktionierte, plötzlich für einen Stimmungsumschwung in dieser Frage sorgte oder vielleicht sogar die Verschwörung ans Tageslicht brachte, war das Ziel der Mission gefährdet.

"Ich könnte Hgrrek ausschalten lassen", meinte Admiral Sarew-987.

"Der Tod dieses Chgorr würde das Misstrauen unserer Gegner schüren."

Ein meckernder Laut drang aus dem Schattenfeld.

Offenbar handelte es sich um eine shaalkaanische Ausdrucksform von Heiterkeit. Enielraq erinnerte dieses Geräusch eher an jene Laute, die halbintelligente Schlachtechsen auf Morrhm III auszustoßen pflegten, wenn sie ahnten, dass ihre letzte Stunde geschlagen hatte.

"Von welchen Gegnern sprechen Sie, Enielraq? Von Fairoglan und Yc vielleicht? Sie werden im Sternsystem 23122 ihre endgültige Bestimmung finden. Und was gefährliche Personen aus ihrem weiteren Umfeld angeht, wie zum Beispiel den Chef der Raumlotsen... Sie sind sämtlich zum Schweigen gebracht worden."

"Gerade aufgrund dieser - zugegebenermaßen sehr gelungenen Säuberungsaktionen müssen wir ausgesprochen vorsichtig sein."

Der Shaalkaane zögerte mit seiner Antwort. "Vielleicht haben Sie recht", gab er dann zu.

"Es soll übrigens eine Widerstandszelle im Sicherheitsdienst der Flotte geben!", erklärte Enielraq. "Aber das ist ein anderes Thema..."

"Geben Sie mir alles, was Sie darüber an Informationen haben und ich werde dem ein Ende setzen."

"Davon bin ich überzeugt."

"Zurück zu Hgrrek. Ich dachte, er hätte einen neuen Meditationslehrer gefunden, der in der Lage ist, ihm seelisches Gleichgewicht zu verschaffen!"

"Hgrrek verweigert seit kurzem den Kontakt mit Meister Zorrargh", berichtete der Regent der Morrhm. "Es gibt bereits Stimmen in der Chgorr-Führung, die Hgrrek wegen erwiesener psychischer Erkrankung und Unzurechnungsfähigkeit absetzen wollen! Aber dann kämen wir erst Recht in Schwierigkeiten!"

Sarew war durchaus klar, worauf sein Gegenüber anspielte. Wenn ein neuer Chgorr-Herrscher Hgrreks Stellung einnahm, war es unmöglich, schnell genug einen Klon und eine modifizierte Bewusstseinskopie zu erzeugen, um ihn zu ersetzen. Selbst die in dieser Hinsicht sehr fortschrittlichen Technologie der Canyaj war dazu nicht in der Lage. Es sei denn, der Nachfolger hätte zufällig auf der Liste jener Personen gestanden, die als wichtig genug eingestuft worden waren, sie durch Klon-Agenten zu ersetzen.

"Admiral ich möchte Sie bitten, diesen Meditationslehrer anzusprechen. Ihn zu ersetzen ist aus mehreren Gründen unmöglich. Nicht nur deshalb, weil wir nicht schnell genug einen Klon bekämen."

"Wir sehen ja, wie instabil ein Chgorr-Bewusstsein auf die Konditionierung reagiert. Man hätte Angehörige dieses psychisch anscheinend so sensiblen Volkes niemals dieser Behandlung unterziehen dürfen!"

"Wir können daran jetzt nichts mehr ändern."

Admiral Sarew sank zu Boden.

"Warum sprechen Sie den Meister nicht an?", fragte er.

"Zorrargh verachtet die morrhmische Kultur. Er hält sie für barbarisch. Außerdem wäre es schlecht, wenn man davon erführe, dass ich dahinter stecke."

"Ein Regent sollte niemals versuchen einen Regenten zu manipulieren!", zitierte der Shaalkaane eine der am häufigsten gebrochenen Regeln der Allianz. "Ich verstehe..."

"Wir verlassen uns alle auf Sie, Sarew", sagte Enielraq. Er wandte sich zum Gehen.

"Der Anbruch der Nächsten Epoche in der Galaxis wird nicht aufzuhalten sein!", erklärte Sarew. Sein Translatorsystem modulierte eine Art Brustton der Überzeugung.

Die letzten Tage von Larsyrc hatten begonnen.

Unwiderruflich.

*



"Fairoglan und Yc, die verdienstvollen Sucher der ALLIANZ wurden entführt, der Chef der Raumlotsen ermordet und außer Ihnen beiden gibt es unter den Regenten Kalimpans nur noch Klon-Agenten!"

Die K'aradan-Frau Derandii sprach diese Feststellungen mit überraschender Sachlichkeit aus.

Sie flogen mit einem pfeilschnellen Gleiter über eine zerklüftete, karge Landschaft, die von zahlreichen Vulkanen gekennzeichnet war. Ihre Schlote rauchten. Am Himmel stand eine große rote Scheibe, daneben eine viel kleinere gelbe Sonne.

Diese Kombination entsprach den Verhältnissen auf Fulirrala, einer der Siedlungswelten der Fulirr, deren exobiologische und medizinische Zentren in der gesamten bekannten Galaxis berühmt waren. Die rote Scheibe war ein Gasriese namens Fulirrala-To, der auf einer sehr engen Bahn sein Zentralgestirn Fulirrala-Sanga umkreiste.

Hier, in der Fulirr'schen Zone auf Larsyrc, nahmen Kunstsonnen und Projektionen die Positionen dieser den Fulirr von ihrer Heimatwelt her bekannten Himmelserscheinungen ein.

Der Gleiter wurde von einem Offizier des Sicherheitsdienstes der Kalimpan-Flotte geflogen. Es handelte sich um eine attraktive Eierlegerin mit einem sehr reizvollen Schuppenmuster, wie der Fulirr-Regent registrierte. Den Namen der Fulirr-Frau erfuhr er nicht, aber Makalos und Derandii schienen ihr zu vertrauen.

Außer Saroo-Otnof befand sich auch noch der k'aradanische Regent Asmombros an Bord.

Er hatte genau wie der Fulirr-Regent einen Datenträger erhalten, auf dem Hintergrundinformationen über die Verschwörung enthalten gewesen waren.

"Glauben Sie wirklich, dass es besonders klug war, sich während eines Gleiterfluges der Fulirr-Zone zu treffen?", meldete sich Asmombros zu Wort, der auf Derandiis Ausführungen zunächst gar nicht weiter einging. "Man wird sich wundern, weshalb der Regent der K’aradan ausgerechnet in einer derart kritischen Phase unserer Geschichte nichts Besseres unternehmen kann, als einen Flug durch die Fulirr-Zone!"

"Dieser Gleiter ist einer der wenigen Punkte unseres Planeten, die absolut abhörsicher sind", erklärte Derandii. "Auf Fulirrala gibt es auf Grund des Schwerefeldes des nahen Gasriesen mörderische Stürme. Deren Auswirkungen werden in der hiesigen Fulirr-Zone ziemlich naturgetreu simuliert. Daher sind die hier verwendeten Atmosphärengleiter mit besonders leistungsfähigen Prallfeldern ausgestattet, die außerdem wie eine sehr wirksame Abschirmung wirken." Derandii machte eine kurze Pause, ehe sie weitersprach. "Ich gehe davon aus, dass Sie den Inhalt der Datenträger genauestens studiert haben."

"Sonst wären wir nicht hier!", sagte Amombros.

"Die Beweise und Indizien für eine Verschwörung sind tatsächlich sehr überzeugend", meldete sich jetzt Saroo-Otnof zu Wort. "Aber so, wie die Lage in der Schlacht um das Menschen-System steht, wird den Canyaj ohnehin alles zufallen. Gleichgültig, ob diese Verschwörung letztlich zum Erfolg führt."

"Sie haben schon aufgegeben?", fragte jetzt Makalos, der bisher geschwiegen hatte.

Der K'aradan musterte Saroo-Otnof auf eine Weise, die den Echsenartigen vor allem deshalb ärgerte, weil er sie nicht zu interpretieren wusste.

"Das wollte ich damit nicht gesagt haben", erwiderte Saroo-Otnof.

"Wir konnten verschlüsselte Datentransmissionen auffangen, über die sich die Verschwörer mit den Canyaj verständigen", erläuterte Makalos. "Auf Grund dieser Transmissionen sind wir der Verschwörung überhaupt auf die Spur gekommen. Bislang gelang es uns leider nur, einen Teil des Materials zu entschlüsseln."

"Einige von uns haben das bereits mit dem Leben bezahlt", ergänzte Derandii.

Die Fulirr-Pilotin flog einen Bogen, der um den Krater eines rauchenden Vulkans herumführte. Die Sicht verschlechterte sich.

Leichte Erschütterungen durchliefen den Gleiter.

Auswirkungen der simulierten Stürme, wusste Saroo-Otnof. Nichts, worüber man sich Sorgen machen musste.

"Die Verschwörer versuchen, das Selbstzerstörungsprogramm außer Kraft zu setzen, das im Fall einer Besetzung Larsyrcs den Planeten auseinandersprengen soll."

"Angesichts der Umstände kann man sich wirklich fragen, ob die Aufrechterhaltung dieses Programms tatsächlich sinnvoll ist", sagte Asmombros. "Vielleicht sollten wir uns wirklich von der Maxime abwenden, dass ein Überleben nur in Freiheit lohnt! Ich sehe in dieser Selbstzerstörungsoption nichts weiter als ein pathetisches Relikt der Vergangenheit!"

"Das ist es vielleicht auch", gestand Derandii zu. "Aber wenn unsere Flotte die Flut der Anorganischen nicht aufzuhalten vermag, ist das Selbstzerstörungsprogramm vielleicht die letzte Möglichkeit für uns, den Canyaj zu schaden. Aus den Transmissionen wissen wir, wie sehr sie Larsyrc erobern wollen. Unzerstört, mit all seinem Wissen, den Datenbänken und dem technologischen Potential, das hier zu finden ist. Darum sind die Verschwörer im Augenblick so darauf aus, einen entsprechenden Ratsbeschluss zu erwirken - - und zwar noch bevor die Canyaj hier eintreffen."

"Neliebrab hat mich darauf angesprochen", gestand Saroo-Otnof zu. "Kurz nachdem Sie mir den Datenträger gegeben hatten, Derandii!"

"Vielleicht werden sich in den Weiten des Allianz-Gebietes kleine Widerstandszellen halten können. Wer weiß? Die Canyaj und ihre Menschen-Verbündeten werden mit ihrem Eroberungszug fortfahren, bis die gesamte bekannte Galaxis in ihrer Hand ist und es keine Zivilisation mehr gibt, die mit der ihren konkurrieren könnte. Niemand weiß, wo dieser kosmische Raubzug letztlich enden wird. Niemand. Wir können nur hoffen, das sich irgendwann eine Macht findet, die stark genug ist, ihnen Einhalt zu gebieten. Aber wenn ihnen Larsyrc unzerstört in die Hände fällt..."

"Sie wollen also, dass wir in Ihrem Sinn die Stimmung im Rat beeinflussen!", stellte Asmombros fest.

"Das sind Sie den Idealen Kalimpans schuldig", fand Derandii.

Saroo-Otnof hatte dem Wortwechsel nachdenklich zugehört. Er selbst misstraute jedem allzu vehementen Idealismus. Aber war eine nüchterne Abwägung in dieser Lage überhaupt möglich. Die Argumentation der beiden Offiziere des Sicherheitsdienstes hatte den Echsenartigen durchaus beeindruckt. Er hatte vor allem Respekt vor ihrem Mut.

Die Flugbahn des Gleiters senkte sich plötzlich ruckartig.

Saroo-Otnof war deswegen nicht beunruhigt. Zwar krallten sich seine schuppigen Hände instinktiv am Armlauf des Konturensitzes fest, aber derartige Turbulenzen war der Regent der Fulirr von ähnlichen Flügen auf Fulirrala und der Fulirr-Zone von Larsyrc gewohnt.

Die Gleiter verfügten über leistungsstarke Bordrechner, die im Notfall richtig zu reagieren vermochten. Selbst dann, wenn der Pilot kläglich versagte. Und dann gab es da noch die Prallschirme. Eine Art Lebensversicherung für jeden Insassen eines solchen Fliegers.

"Zögern Sie nicht", beschwor Makalos inzwischen die beiden Regenten.

Der Fulirr-Regent bemerkte, dass die Pilotin zunehmend nervös wurde.

"Das Bordsystem funktioniert nicht einwandfrei. Ich werde eine Landung vornehmen."

Makalos und Derandii wechselten einen kurzen Blick miteinander.

Ruckartig veränderte der Gleiter erneut seine Flugbahn. Er steuerte direkt auf eine hoch aufragende Felswand zu. Anstatt den Kurs wieder zu verändern und dem Hindernis auszuweichen, hielt das Gefährt direkt darauf zu und beschleunigte sogar noch.

"Ich kann nichts tun!", schrie die Fulirr-Eierlegerin. "Das System ist blockiert!"

Niemand an Bord kam noch dazu, etwas zu erwidern.

Der Gleiter prallte gegen die Felswand und explodierte.

*



Schwerer Energiebeschuss zuckte durch das All. Für einen kurzen Moment war ein grünliches Flackern zu sehen. Das letzte Aufglühen eines Schutzschirms, der nur noch einen Bruchteil seiner normalen Leistungsfähigkeit besaß.

Das shaalkaanische Spähschiff ALLIANZ explodierte unter dem heftigen Beschuss der Canyaj-Schiffe.

Trümmerteile flogen durch das All. Trümmerteile, die bei einem shaalkaanischen Steinschiff aussahen wie Geröllbrocken.

Insgesamt drei dieser angeblichen Trümmerteile waren in Wahrheit Rettungskapseln.

Kommandant Malaak-234 befand sich in Kapsel 1.

Über sein neuronales Interface sah er die Positionen der Canyaj-Schiffe.

Sie zogen sich nach und nach zurück, um sich anderen Kalimpan-Schiffen zuzuwenden.

Zurück blieb ein Trümmerfeld.

Die kommandierenden Offiziere der Kapseln 2 und 3 hatten strenge Anweisung, zunächst keinerlei Funkkontakt aufzunehmen.

Die Besatzungen der Rettungskapseln mussten sich eine Weile einfach tot stellen. Eine andere Überlebenschance gab es für sie nicht. Schließlich befanden sie sich mitten in den Formationen der Canyaj.

Gelendos befand sich ebenfalls an Bord von Kapsel eins.

Für den Menschen-Forscher war es bedrückend, eingepfercht zwischen mehreren Dutzend Shaalkaanen in einer Kapsel zu sitzen. Das feuchtkalte, stockdunkle Innere dieser Kapsel erinnerte Gelendos an eine alt-k'aradanische Totengruft. Lebendig begraben in einem Steinsarkophag, der durch das All treibt!, durchfuhr es den K'aradan. Aber konnte froh sein, überhaupt mit dem Leben davongekommen zu sein.

Es hatte zwei weitere Rettungskapseln gegeben, die jedoch nicht rechtzeitig gestartet waren.

Fast die Hälfte der Besatzung war in der Explosionshölle der ALLIANZ zurückgeblieben.

Ich bin wie blind, dachte Gelendos.

Für ihn gab es keinerlei Datenzugang in dieser Kapsel. Optisch sichtbare Projektionen waren überhaupt nicht vorgesehen. Es gab lediglich Anschlüsse für ein halbes Dutzend neuronaler Adapter. Dem Rest der zusammengedrängten Besatzung erging es nicht anders als dem nicht-Shaalkaanen Gelendos. Die technischen Funktionen der Rettungskapsel waren auf das Wesentlichste reduziert.

Es gab eine einzige, kleine Geschützbatterie. Aber diese Batterie würde gegen den Angriff eines Canyaj-Schiffs kaum eine Wirkung haben. Allenfalls konnte man auf diese Weise ein paar kleine Jäger abwehren.

Malaak hatte allen drei Kapsel-Kommandanten untersagt, Schutzschilde einzusetzen. Diese waren nämlich von den Feind-Einheiten ohne Schwierigkeiten anmessbar und hätten die Überlebenden sofort verraten.

Andererseits waren sie auf diese Weise selbst gegen den Beschuss mit leichten Laserwaffen vollkommen wehrlos.

Aber dieses Risiko mussten sie in Kauf nehmen.

*



Viele Larsyrc-Stunden lang herrschte Schweigen in der Dunkelheit der sarkophagähnlichen Rettungskapsel. Es gab einfach nichts zu sagen. Das Gefühl nichts tun zu können, war geradezu lähmend.

Die Kapseln hatten sich inzwischen so weit voneinander entfernt, dass Kapsel 3 nicht mehr permanent über die Ortungssysteme auszumachen war.

Alles hat mit einem Triumph angefangen, überlegte Gelendos. Endlich war das Heimatsystem der verhassten Menschen gefunden worden. Aber so, wie sich die Dinge weiter entwickelt hatten, konnte man fast auf den Gedanken kommen, dass alles nur eine von Anfang an geplante Falle war. Aufgestellt mit dem Zweck, die Flotte der Allianz Kalimpan ins Verderben zu führen.

Was den Canyaj aller Voraussicht nach wohl auch gelingen wird!, durchzuckte es den Menschen-Gelehrten.

Malaak-234 konnte über sein neuronales Interface den Verlauf der Schlacht verfolgen. Zumindest in der näheren Umgebung der Kapsel.

Die Front zwischen den Schiffen der Allianz Kalimpan und den Canyaj-Einheiten hatte sich verschoben. Den Canyaj war es gelungen, die Kalimpan-Verbände weit zurückzudrängen.

Hier und da waren einzelne Kalimpan-Schiffe zu erkennen, die die sich offenbar nicht schnell genug hatten zurückziehen können und jetzt unter massiven Beschuss gerieten.

Ein Kegelschiff der Chgorr sah Malaak explodieren. Desgleichen mehrere pfeilförmige Einheiten der Morrhm, die zum Teil schon sehr beschädigt waren und offenbar nur noch über einen geringen Teil ihrer eigentlichen Feuerkraft verfügten. Das hinderte die Morrhm allerdings nicht daran, sich weiterhin mit aller Kraft zu wehren.

Mochten ihrer Mittel auch noch so beschränkt sein.

Aber dieser ungleiche Kampf währte nicht lange.

Die morrhmischen Schiffe wurden schließlich der Reihe nach zerstört. Die Trümmerteile wurden wie die Leuchtsplitter eines Feuerwerks durch das All geschleudert.

Malaak-2343 spürte Wut in sich aufkeimen.

Das Gefühl nichts tun zu können war grausam.

Über lange Larsyrc-Stunden hinweg befanden sich dann nur noch Canyaj-Schiffe im näheren Erfassungsbereich der Ortungssysteme, über die die Kapsel verfügte. Die Fernortung war im übrigen nicht mit den Möglichkeiten zu vergleichen, die an Bord eines regulären shaalkaanischen Schiffs befanden.

Man ging davon aus, dass eine derartige Kapsel in erster Linie dem Überleben einer möglichst großen Anzahl von Mannschaftsangehörigen zu dienen hatte.

Ganze Konvois von Canyaj-Schiffen unterschiedlicher Bauart zogen an Kapsel Eins vorbei.

Die Canyaj schienen weiter auf dem Vormarsch zu sein und die Einheiten Kalimpans regelrecht vor sich her zu treiben.

Erneut vergingen Stunden.

Die ganze Zeit über verfolgte Malaak aufmerksam die Umgebung. Dann bemerkte er zunächst Dutzende von Canyaj-Einheiten, die offenbar schwer beschädigt waren und sich auf dem Rückzug befanden.

Mehrere von ihnen versuchten eine Nottransition. Nicht allen gelang dieses Manöver. Bei manchen dieser Raumschiffe waren offenbar auch die Triebwerkssektionen in Mitleidenschaft gezogen worden.

Die Anzeigen ließen keinen Zweifel daran, dass sich das Kampfgeschehen jetzt in Richtung der gegenwärtigen Positionen der drei Rettungskapseln verlagerte.

"Unsere Schiffe scheinen wieder etwas an Terrain zu gewinnen!", gab der Ortungsoffizier seiner Hoffnung Ausdruck.

Wahrscheinlich nichts weiter als ein letztes Aufflammen von Euphorie!, dachte Gelendos resignierend.

Doch er sollte sich getäuscht haben.

Das Kampfgeschehen rückte wieder näher. Eine Formation von dreieckigen morrhmischen Kampfschiffen schlug eine tiefe Kerbe in die Reihen der Canyaj, deren Kampfformationen schließlich auf breiter Front in Auflösung betroffen waren.

Die Anorganischen wichen zurück, während ein Verband von K'aradan-Schiffen der Vorhut der Morrhm folgte und hinterherstieß.

Ein koordinierter Angriff, der trotz zahlenmäßiger Überlegenheit der Canyaj seine Wirkung nicht verfehlte.

"Impulstriebwerke einschalten und auf langsame Fahrt gehen!", befahl Malaak. Er wusste, dass das Risiko, geortet zu werden hoch war.

Andererseits waren sie dem Tode geweiht, wenn sie nicht sehr bald an Bord eines Kalimpan-Schiffs gelangten.

Malaak ließ auch eine entsprechende Meldung an die anderen Kapseln schicken. Er benutzte dazu energiearme, schwer empfangbare Impulsfolgen, die darüber hinaus auch noch verschlüsselt waren.

Alle drei Kapseln bewegten sich nun auf die Kampfzone zu, die sich ihnen ihrerseits näherte. Die gewaltigen Energieentladungen und das hohe Strahlungsniveau zeigten, wie heftig die Auseinandersetzungen waren.

Flüchtende Canyaj-Schiffe zogen jetzt an den Kapseln vorbei, ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Manche dieser Einheiten unternahmen eine Nottransition und verschwanden im Hyperraum. Andere wurden von den pfeilförmigen, sehr schnellen morrhmischen Schiffen gestellt und nach heftigem Beschuss zerstört.

Nach den Morrhm folgten die zahlenmäßig viel größere Flotte der K'aradan. Einige ihrer Verbundraumer hatten die Ring-Sektion aus der Energiefessel gelöst, die sie ansonsten mit dem kugelförmigen Hauptteil des Schiffes verband. Auf diese Weise verfügten sie über eine größere Zahl unabhängig voneinander operierender Schiffe.

Die Geschützbatterien an den zentralen Kugelsektionen der Verbundraumer waren sehr leistungsstark. Unermüdlich wurde aus ihnen geschossen.

"Das darf doch nicht wahr sein! Unsere Schiffe drängen die Canyaj zurück!", entfuhr es ihm.

Selbst dieser nüchterne Shaalkaane konnte einfach nicht mehr an sich halten.

Wenig später tauchte der Rumpf eines gewaltigen Raumschiffs vor ihnen auf

Es war die STERN VON ARADAN.

Das Flaggschiff der Kalimpan-Flotte.

*



Hgrrek betrat den großen Sitzungssaal in dem der Hohe Rat seine Sitzung einberufen hatte. Überall waren die Vertreter der einzelnen Mitgliedsvölker dabei ihre Plätze einzunehmen. Neben einem Lagebericht des Flottenstabes stand nur noch ein Punkt auf der Tagesordnung. Die Aufhebung des Selbstzerstörungsprogramms.

Neliebrab hatte den entsprechenden Antrag eingebracht. Sein Einfluss war groß, aber wie die Mehrheit der Ratsmitglieder schließlich entscheiden würde, war nicht vorherzusehen.

Inzwischen hatte unter den Teilnehmern der Versammlung bereits eine Meldung die Runde gemacht, nach der die Kalimpan-Schiffe den Canyaj unerwartet hohe Verluste beigebracht und sie teilweise sogar zum Rückzug gezwungen hatten.

Euphorie, dachte Hgrrek, während er über die Köpfe der anderen Ratsmitglieder hinweg zu seinem Platz flog und sich dort niederließ. Ein Hauch von Hoffnung, die aber kein Fundament hat. Auch wenn sich der Widerstand der Kalimpan-Flotte länger hinzieht, als man es voraussehen konnte, so wird niemand den Beginn der neuen galaktischen Epoche verhindern können.

Hgrrek bemerkte ganz in seiner Nähe den k'aradanischen Regenten Asmombros im Gespräch mit dem echsenartigen Saroo-Otnof. Der schmetterlingshafte Chgorr zuckte regelrecht zusammen, als ihn die Erkenntnis seiner zusätzlichen Bewusstseinskomponente traf. Sie gehören dazu. Beide. Also ist jetzt die komplette Kalimpan-Führung auf unserer Seite.

Ein Umstand, über den er sich eigentlich hätte freuen sollen. Seine Konditionierung legte ihm jedenfalls diese Emotion nahe, aber er war nur zu sehr verhaltener Freude fähig. Etwas Graues, Düsteres legte sich wie ein fauler Kokon über seine Seele. Ein Bild entstand kurz vor seinem inneren Auge. Hgrrek erinnerte sich daran, einmal als junge Chgorr-Raupe einen sogenannnten faulen Kokon gesehen zu haben. Durch Parasitenbefall war er grau-schwarz geworden. Die Chgorr-Puppe darin hatte sich noch bewegt. Aber sie war zum Tode verurteilt gewesen, wie Hgrrek auch damals bereits sehr genau gewusst hatte.

Da ist etwas in dir, was gegen die Konditionierung mit aller Kraft ankämpft und dich wahrscheinlich am Ende zerreißen wird!, erkannte der Erste der Chgorr.

Er fühlte sich scheußlich.

Seine Heilige Zeit hatte ihm keine Linderung seiner Qualen gebracht. Er war psychisch am Ende. Seine Flügelfarben hatte unter anderen Chgorr im Saal bereits Entsetzen hervorgerufen. Entsetzen, das so groß war, dass einige der anderen Chgorr, Hgrreks Flügelfarben beinahe kopiert hatten.

Hgrrek konnte von Glück sagen, dass die meisten Räte der anderen Völker sich kaum um diese Kleinigkeiten kümmerten.

Zarrorgh, den Meister der Hgalrrah-Schule hatte Hgrrek weggeschickt und die Meditationssitzung mit ihm abgebrochen. Er hatte es um des Meisters Willen getan. Schließlich wollte er um jeden Preis vermeiden, dass noch einmal etwas Ähnliches geschah wie mit Meister Shatragh.

Allein der Gedanke daran, dass er Shatragh getötet hatte, weil er einem quasi automatisch ablaufenden psychischen Programm gehorcht hatte, ließ den Ersten der Chgorr schaudern.

Ihm war bewusst gewesen, dass auch Shatrags Nachfolger nach kurzer Zeit begriffen hätte, was mit Hgrrek nicht stimmte.

Andererseits war Hgrrek allerdings ebenfalls klar, dass er dringend der Hilfe eines Meisters bedurfte.

Seine eigenen Kenntnisse der Hgalrrah-Rituale reichte nicht mehr aus, um sich damit die seelische Gesundheit zu erhalten. Es ist wie eine Infektion, von der man genau weiß, dass sie einen umbringt... Ein schleichendes Gift, das allerdings auch den Arzt sofort tötet, der es diagnostiziert!

Der Lärm in der Versammlungshalle schmerzte Hgrrek in den ausgesprochen sensiblen Hörorganen. Die Stellung der Fühler wirkte verkrampft.

Er sehnte sich nach dem beruhigenden Rascheln von As-Lasraf...

Nach Frieden.

Innerem wie äußeren Frieden.

Hgrrek fühlte eine lähmende Agonie in sich. Ein Gefühl, das ein Chgorr eigentlich in der anderen galaktischen Völkern geläufigen Form gar nicht kannte, machte sich in ihm schon seit geraumer Zeit breit.

Es war nicht das Bedürfnis nach seelischer Harmonie, das einem Chgorr die Notwendigkeit anzeigte, eine Heilige Zeit zu nehmen.

Es war Müdigkeit.

Unendlich große Müdigkeit.

Die Sehnsucht nach einem Schlaf, der nie endete und ihn die innere Zerrissenheit seiner Seele nicht mehr spüren ließ.

Allein der Gedanke an eine derartige Sehnsucht wäre ihm früher wie ein Frevel an sämtlichen Grundsätzen des Hgalrrah vorgekommen.

Schlaf war Tod.

Das Aussetzen des Bewusstseins.

Das Nicht-Sein.

Ist es nicht genau das, was dich erlösen würde?

*



"Was geschieht mit den Sporen?", fragte Yc, dessen Augenknospen auf den Panorama-Schirm des Beiboots ausgerichtet waren.

Sämtliche Sporen und Artefakte hatten ihre Position verändert und strebten auf einen ganz bestimmten Punkt zu.

"Sie scheinen sich zu ordnen", meinte Fairoglan. "Anders kann man es wohl nicht beschreiben."

Fairoglans Finger glitten über das Terminal einer Konsole. Allerdings ohne Ergebnis. Noch wurde das Beiboot von NoqSar ferngesteuert.

Erst als es ungefähr ein Drittel der Strecke zum gegenwärtigen Standort der NONG-TO zurückgelegt hatte, änderte sich dies. Der Bordrechner des Kalimpan-Raumers übernahm jetzt vollautomatisch die Steuerung.

Fairoglan bemerkte, dass röhrenartige Verbindungen aus der Oberfläche einiger Sporen hervorkamen. Sie wurden wie gewaltige Teleskope ausgefahren und auf benachbarten Sporen fest verankert. Ein bizarres Konstrukt entstand auf diese Weise, das aussah wie die extreme Vergrößerung einer atomaren Gitterstruktur.

Auch die technischen Artefakte gliederten sich in dieses wahrhaft gewaltige Bauwerk ein.

Was habe ich da nur ausgelöst!, durchfuhr es Fairoglan.

Offenbar waren die Sporen durch ein Programm miteinander verbunden, das nur auf den richtigen Auslöser gewartet hatte, um aktiv zu werden.

Die ganze Zeit über, während sich das Beiboot im langsamen Impulsflug auf sein Mutterschiff zubewegte, starrten Yc und Fairoglan auf das Anwachsen des Konstrukts.

Erst als sie die NONG-TO fast erreicht hatten, fragte Yc plötzlich: "Was glaubst du, werden wir vorfinden, wenn wir an Bord gehen?"

"Keine Ahnung. Aber ich bin überzeugt davon, dass NoqSar genau wusste, was er tat, als er uns zurück zu unserem Schiff geschickt hat!"

"Wenn du wirklich vor hast, ihm die von ihm gewünschten Daten zu überspielen, wirst du damit bei Tardralonnen wohl kaum eine begeisterte Reaktion auslösen!"

"Er wird sicher einsehen, dass wir alle keine andere Wahl haben."

Die NONG-TO wurde von einem bläulichen Traktorstrahl in ihrer Position gehalten. Fairoglan bemerkte die entsprechenden, automatisch aufgezeichneten Anzeigen des Ortungssystems. Allerdings waren auch diese Systeme seinem Zugriff völlig entzogen, sodass er nicht in der Lage war, sich genauere Daten zu verschaffen.

Ein Hangar öffnete sich.

Das Beiboot flog ein.

Nachdem sich das Außenschott wieder geschlossen hatte, gingen Yc und Fairoglan von Bord.

Fairoglan blickte sich um. Zwei weitere Beiboote unterschiedlicher Größe befanden sich im großen Hangar der NONG-TO. Eines dieser Boote war aufgrund seines steinernen Äußeren sofort als shaalkaanische Konstruktion erkennbar. Offenbar ein Spezialraumer für verdeckte Operationen des Geheimdienstes.

Fairoglan blieb kurz stehen, bevor er seinen Weg in Richtung des Hauptschotts fortsetzte.

Yc drehte drei seiner Augenknospen zu ihm herum.

"Was ist los, Fairoglan?"

"Ich wundere mich darüber, dass uns niemand in Empfang nimmt!", meinte er.

Eigentlich hatte er erwartet, sofort von Tardralonnens Leuten in Gewahrsam genommen zu werden.

Aber das geschah nicht.

Das Hauptschott öffnete sich selbsttätig vor ihnen.

Fairoglan trat in den Korridor hinaus. Yc folgte ihm.

Der embryonal gekrümmte Körper eines Shaalkaanen lag regungslos auf dem Boden. Das grelle Licht beleuchtete seine leichenblasse Haut. Das Antigravaggregat war mit Haltegurten auf seinen Rücken geschnallt, aber offensichtlich genauso deaktiviert wie der Schattenschirm.

Eine düstere Ahnung keimte in Fairoglan auf.

"Was hat das zu bedeuten, Fairoglan?"

"Komm!"

Sie gingen den Korridor weiter in Richtung Zentrale und fanden weitere offensichtlich tote Besatzungsmitglieder. Morrhm, K'aradan, Fulirr... An keinem von ihnen war irgendeine äußere Verletzung erkennbar.

Schließlich erreichten sie die Zentrale.

Auch hier lagen überall Tote, darunter auch Kommandant Tardralonnen.

Fairoglan erinnerte sich an die Strahlen, mit denen die NONG-To anscheinend abgetastet worden war.

Offenbar hatten sie viel mehr bewirkt, als das Raumschiff nur zu scannen.

An der Konsole des Kommunkationsoffiziers leuchtete eine Anzeige auf. Jemand wünschte Funkkontakt mit der NONG-TO.

Fairoglan löste sich von dem Anblick der Toten, trat an die Konsole heran und schaltete die Phase frei.

NoqSars inzwischen vertraute Stimme meldete sich.

"Ich hoffe, ihr seid gut auf eurem Schiff angekommen."

"Ja", sagte Fairoglan fast tonlos.

"Ich hatte versprochen, euch das Schiff in die Hände zu geben."

"Es war nicht die Rede davon, die gesamte Mannschaft umzubringen!"

"Leider war eine Säuberung eures Schiffs von organischen Strukturen unumgänglich, um mein Versprechen einlösen zu können", war NoqSars eiskalte Erwiderung. "Das spezielle Säuberungsfeld, das dabei zum Einsatz kam, wurde leider dadurch erheblich abgeschwächt, dass die Crew im letzten Moment ihre aus energetischen Schutzschilden bestehende Defensiv-Bewaffnung aktivierte. Damit wäre eine erfolgreiche Säuberung fast verhindert worden und auf Grund der gerade geschilderten Umstände könnte es sein, dass die Crew physische Qualen zu erleiden hatte, bevor sie starb."

Yc mischte sich jetzt in das Gespräch ein.

Die Worte NoqSars hatten ihn innerlich sehr erregt. Das spürte Fairoglan überdeutlich. Die mentalen Impulse, die er von dem Pflanzenwesen empfing, ließen daran keinen Zweifel.

"Habt ihr diese sogenannten Säuberungsfelder auch benutzt, wenn die organischen Kreaturen, die aus eurer Experimentalanordnung hervorgingen, nicht euren Vorstellungen entsprachen?"

"Ein gewisses Maß an Kontrolle ist bei jedem Experiment unerlässlich", war die Erwiderung NoqSars. "Und jetzt wünsche ich das Freischalten einer Datenverbindung. Ich möchte ungern zu gewaltsamen Mitteln greifen, um meiner Forderung Nachdruck zu verleihen, um eventuelle Zerstörungen und Datenverluste zu vermeiden. Wenn ihr allerdings euer Versprechen nicht zu halten gedenkt, so..."

"Keine Sorge!", unterbrach Fairoglan.

*



Eine Datenverbindung wurde hergestellt. Der Transfer ging reibungslos vonstatten.

Anschließend war die NONG-TO wieder voll manövrierfähig. Fairoglan setzte sich an die Pilotenkonsole.

"Kennst du dich damit aus?", fragte Yc.

"Gut genug, um die NONG-TO fliegen zu können", erwiderte Fairoglan.

Auf dem Panorama-Schirm war zu sehen, wie das aus den Sporen und Artefakten gebildete Konstrukt seiner Vollendung entgegenstrebte.

Auch Byylari nahm nun seinen Platz dabei ein.

Immer weitere röhrenartige Verstrebungen wurden zwischen den einzelnen Sporen gebildet.

"NoqSar wird die Antworten auf seine Fragen im Datenmaterial dieses Schiffes finden", war Fairoglan überzeugt. "Aber das wird er selbst herausfinden." Fairoglan atmete tief durch, ehe er fortfuhr. Er registrierte die nach wie extreme innerliche Aufgewühltheit bei seinem Gefährten Yc. Das, was das Pflanzenwesen über sich selbst erfahren hatte, musste erst einmal verarbeitet werden. "Yc, wir haben nicht viel Zeit. Die Machenschaften der Canyaj müssen auf Larsyrc endlich bekannt werden!"

"Aber wem in der Kalimpan-Führung können wir noch vertrauen, Fairoglan? Selbst der Geheimdienst ist schon auf Seiten der Verschwörer, wie diese Mission beweist."

"Ja, ich weiß", murmelte Fairoglan. "Wahrscheinlich ist es das Sinnvollste, sich gar nicht an die Führung zu wenden, sondern an die Bevölkerung. Die Canyaj können vielleicht einige hundert oder vielleicht sogar tausend Individuen an den Schaltstellen von Politik und Militär durch Klon-Agenten ersetzen, aber nicht die Milliarden Bewohner Larsyrcs! Sie könnten die falschen Regenten stürzen."

"Dein Vorschlag klingt einleuchtend", sagte Yc. Aber den mentalen Impulsen nach, die Fairoglan gleichzeitig von ihm empfing, war der Pflanzenartige keineswegs von den Erfolgsaussichten dieses Plans überzeugt. "Hast du daran gedacht, dass die Canyaj vielleicht schon die gesamte Macht in ihren Händen halten?"

"Wir müssen allen Morrhm, Yroa, K'aradan, Fulirr, Shaalkaanen und Chgorr die Augen öffnen!", erklärte Fairoglan entschlossen. Er ging zur Konsole des Kommunikationsoffiziers. Er aktivierte einen offenen Hyperfunkkanal. Bei den Bewohnern Larsyrcs genoss er aufgrund der Verdienste, die er sich als Sucher der Allianz erworben hatte, großes Vertrauen. Das konnte ihm jetzt helfen. "Hier spricht Fairoglan. Ich richte mich an alle Bürger der Allianz Kalimpan, die in der Lage sind, die Botschaft zu empfangen. Die Führungsinstanzen unserer Allianz sind von den Canyaj durch Klon-Agenten unterwandert..."

In knappen aber sehr deutlichen Worten stellte Fairoglan dar, was er bisher herausgefunden hatte. Er nannte insbesondere auch Enielraq und Hgrrek als Klon-Agenten beim Namen.

Am Schluss rief er zum Widerstand gegen die falschen Anführer auf, die das Vertrauen der Kalimpan-Bevölkerung missbrauchten.

Nachdem er fertig war, sank er matt in einen der Konturensessel.

"Ich kann nur hoffen, dass es noch nicht zu spät ist!", sagte er laut an Yc gerichtet.

Der Pflanzenartige antwortete nicht.

Er verharrte vor dem Panoramabildschirm. Alle seine Augenknospen waren auf das herangezoomte Konstrukt gerichtet, das inzwischen vollendet zu sein schien.

Das Pflanzenwesen war in seinen Gedanken versunken.

Fairoglan spürte deutlich, die innere Zerrissenheit des Pflanzenartigen.

"Willst du mir deine Gedanken anvertrauen?", fragte der Yroa.

"Was bin ich, Fairoglan? Auch nur ein Klon-Agent der Canyaj?"

"Diese Klon-Agenten scheinen ferngesteuerte Sklaven ohne eigenen Willen zu sein. Konditionierte, die zwar das Wissen und die Persönlichkeitsmerkmale der Originale besitzen, aber letztlich nur die Befehle ihrer Auftraggeber ausführen."

"Bist du dir sicher, dass ich nicht etwas ganz Ähnliches bin?"

Fairoglan machte eine Handbewegung, die bei den Yroa einer Verneinung entsprach.

"Nein, diesen Eindruck hatte ich nie von dir! Du bist ein intelligentes Individuum mit freiem Willen."

"Vielleicht glaubt das jemand wie Hgrrek ebenfalls!", gab der Pflanzenartige sehr resignativ zurück. "Es könnte alles eine Illusion sein, die mir nur zum Zweck der besseren Tarnung eingepflanzt wurde. So wie Hgrrek seinen eigenartigen Chgorr-Ritualen folgen mag oder Enielraq noch immer überzeugt davon ist, dem Wohl des morrhmischen Volkes und der Allianz zu dienen..."

"Yc!", unterbrach Fairoglan das Pflanzenwesen tadelnd.

Der Pflanzenartige schien sich in seine depressive Stimmung regelrecht hineinzusteigern. Nach Fairoglans Ansicht gab es jetzt Wichtigeres, als die Pflege individueller Identitätskrisen. Das Schicksal der Allianz stand auf dem Spiel. Kalimpan stand an einem Wendepunkt seiner Geschichte. Vielleicht war es noch nicht zu spät und man konnte dieses einzigartige politische Gebilde zum Schutz der organischen Völker der Galaxis noch retten. Fairoglan hoffte das von ganzer Seele. Ich brauche seine Unterstützung, erkannte der Yroa. Aber im Moment war Yc gefangen im Netz der quälenden Fragen, die sein Inneres zerrissen. Fragen nach seiner Herkunft, seiner Natur, dem Sinn seiner Existenz...

Er wird dir kein brauchbarer Verbündeter in diesem fast aussichtslosen Kampf sein, wenn seine psychische Stabilität nicht gewährleistet ist!, erkannte der Yroa.

"Ich bin dein Freund, Yc", sagte Fairoglan.

"Ich weiß."

"Du vertraust mir?"

"Wie sonst niemandem."

"Wenn ich der Ansicht wäre, dass du ein Klon-Agent der Canyaj wärst, würde ich nicht mir darüber diskutieren, wie man die Herrschaft dieser Verschwörer untergraben könnte!"

Yc bewegte seine Tentakelfortsätze. Sie zitterten leicht, wie Fairoglan bemerkte.

"Ich möchte noch einmal mit NoqSar in Verbindung treten. Vielleicht kann er mir meine Fragen beantworten. Ich muss einfach wissen, ob ich nur ein organischer Mechanismus mit fester Programmierung bin oder trotz meiner Herkunft ein selbstbestimmtes Wesen mit freiem Willen!"

"Das verstehe ich", sage Fairoglan. "Ich werde versuchen, eine Funkverbindung zu NoqSar herzustellen."

"Ich danke dir."

*



NoqSar reagierte nicht auf Fairoglans Versuche, über Funk mit ihm in Kontakt zu treten.

"Unser Freund scheint nicht weiter an uns interessiert zu sein", meinte der Yroa resignierend nach mehreren Versuchen. "Er hat was er will, jetzt sind wir im gleichgültig. Und wenn wir an das Schicksal der Besatzung dieses Schiffes denken, können wir vielleicht froh darüber sein."

Yc schwieg zunächst.

Aber Fairoglan spürte, dass sich sein Freund zu einem Entschluss durchgerungen hatte.

"Ich muss noch einmal in das Innere der Spore", erklärte er.

"Du glaubst wirklich, dass du dort mehr erfährst?"

"Ich werde versuchen, NoqSar noch einmal zur Rede zu stellen. Wenn ich diese Chance nicht nutze, werde ich es mir ewig vorwerfen. Das spüre ich genau."

"Wenn du willst, begleite ich dich!"

"Nein, das will ich nicht. Das ist eine Sache, die ich allein hinter mich bringen muss. Ich wäre dir allerdings dankbar, wenn du den Kurs für die Fernsteuerung des Beibootes programmierst."

"Du bist wirklich fest entschlossen", erkannte Fairoglan.

"Natürlich", versicherte der Yroa.

"Und wir bleiben in permanentem Funkkontakt, ja?"

"In Ordnung."

*



Yc war innerlich so aufgewühlt wie nie zuvor in seinem Leben. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern.

Er starrte unablässig auf den Panorama-Schirm des Beibootes, auf dem ein Teil das bizarren Sporen-Konstrukts zu sehen war.

Wie ein gigantisches Monument schwebte es in der Gaswolke, die Stern 23112 umgab. Wozu mochte dieses Bauwerk dienen?

Das Beiboot näherte sich dem gewaltigen Konstrukt. Wenig später erreichte es Byylari. Oder das, was noch von dieser Spore erkennbar war. Zahllose Verbindungen wurden zu den Nachbarsporen gespannt.

Das Beiboot bremste die Fahrt stark ab. Automatisch wurde der Eingangscode abgesandt, der im schon einmal den Zugang zu den Geheimnissen Byylaris eröffnet hatte.

Der Hangar öffnete sich.

"Hallo Yc, alles in Ordnung?", meldete sich Fairoglan über Funk.

"Ja", sagte das Pflanzenwesen leise in seinen Kommunikator hinein.

"Der Zugangscode wird nach wie vor akzeptiert. NoqSar hat offenbar nichts dagegen, dass du ihn besuchst!"

"Vielleicht ist er auch so allein wie ich", sagte Yc. "Ein Bewusstsein, dem bekannt ist, dass es nur eine modifizierte Kopie darstellt, das man wie ein datentechnisches Ersatzteil in ein Rechnersystem einpflanzte."

"Du solltest deine Emotionen nicht auf NoqSar projizieren. Ich glaube nicht, dass seine Art der Empfindung mit der unseren allzu viel zu tun hat."

"Der Unseren?", echote Yc. "Vergiss nicht, dass ich mit dieser Bewusstseinskopie wahrscheinlich enger verwandt bin als mit deinesgleichen, Fairoglan."

Das Beiboot landete im Hangar.

Das Pflanzenwesen stieg aus und machte sich auf den Weg zu jenem hallenartigen Kontrollraum, in dem NoqSar aktiviert worden war.

Durch Zufall oder durch Fügung!, ging es Yc durch das Denkzentrum in seiner Mitte. Ganz wie man will.

Ein brummendes Geräusch durchdrang die gesamte Anlage. Yc empfand diese tiefen, teilweise im Bereich des Infraschalls liegenden Frequenzen als sehr unangenehm.

"NoqSar!", rief Yc.

"Warum bist du zurückgekehrt?", meldete sich NoqSars Stimme. Sie schien von allen Seiten zu kommen.

Die Metallkugel, von der Yc annahm, dass sie NoqSars Persönlichkeit enthielt, schwebte über einer Konsole.

"Du hast auf unsere Versuche, in Funkkontakt zu treten, nicht reagiert."

"Es besteht keine Notwendigkeit einer weiteren Kontaktaufnahme. Andererseits amüsiert mich die geradezu fanatische Neugier, die dich anzutreiben scheint."

Ärger stieg in Yc auf.

Die existenziellen Fragen, die ihn quälten, waren für NoqSar nichts als ein amüsante Spiel?

Nicht genug, dass die Herren dieses Experiments Lebensformen einzig und allein für ihre egoistischen Ziele erschufen!, durchzuckte es den Pflanzenartigen.

Die tiefgehende Verachtung für die eigenen Geschöpfe war nicht zu übersehen.

Yc jedoch war entschlossen, diesen Ort nicht zu verlassen, ehe er nicht Antworten auf die drängenden Fragen bekommen hatte, die ihn so sehr quälten.

"Ich denke, ich habe ein Recht darauf, dass meine Fragen beantwortet werden", erwiderte Yc so kühl und sachlich, wie es ihm in dieser Situation möglich war.

Seine Augenknospen fixierte hochkonzentriert die Metallkugel. Nur einige wenige seiner zahlreichen Sehorgane registrierten, was sich sonst noch im Raum ereignete.

"So, Rechte glaubst du zu haben!" NoqSar schien über die Worte des Pflanzenartigen regelrecht erheitert zu sein.

"Ich muss wissen, ob ich einen freien Willen habe..."

"Eine eher philosophische Frage!", unterbrach ihn NoqSar. "Eigenartig, ich hatte ursprünglich nicht den Eindruck, dass du besonders an den theoretischen Aspekten eines Problems interessiert bist. Den physiologischen Daten deiner Spezies nach erschien mir das doch sehr unwahrscheinlich..."

"Bin ich ein Konditionierter? Ein Sklave irgendeines biologischen Programms, das ihr in mich eingepflanzt habt?"

Fairoglan verfolgte das Gespräch über Funk mit.

Es schmerzte ihn, mit anhören zu müssen, wie NoqSar seinen Schützling erniedrigte.

Plötzlich blinkte ein gutes Dutzend Anzeigen auf. Fremdartige Symbole erschienen, die Yc nicht zu deuten vermochte.

Das brummende Geräusch verstärkte sich, so als würden die zur Anlage gehörenden Maschinen jetzt auf Hochtouren laufen.

"Es tut mir leid, ich kann mich nicht länger mit dir unterhalten!", beschied NoqSar dem Pflanzenartigen knapp.

"Warum weichst du meinen Fragen aus?"

"Ich weiche ihnen nicht aus. Aber es wird gerade etwas aktiviert, was nahezu alle meine Ressourcen benötigt...."

"Wovon sprichst du?"

"Von der Brücke..."

Yc zuckte regelrecht zusammen, als nur wenige Meter von ihm entfernt die Luft plötzlich zu flimmern begann.

Es bildete sich ein Oval, durch das alles eigenartig verzerrt aussah. So als ob man durch eine dicke Glasschicht blickte.

Yc wich zurück.

Die Raumstruktur verfaltete sich. Die Verzerrungen wurden stärker. Das leuchtende Flimmern ließ Ycs Augenknospen schmerzen.

Im nächsten Moment bildeten sich Umrisse eines Wesens, das etwa zweieinhalb Meter groß war. Nachdem es erst wie eine schwache, durch Interferenzen gestörte Holoprojektion wirkte, gewann es schließlich an Substanz.

Ycs Tentakelfortsätze erstarrten.

Gebannt schauten seinen Augenknospen auf das, was vor ihnen wie aus dem Nichts heraus erschienen war.

Ein hochgewachsenes, zweibeiniges Wesen in goldener Rüstung stand dort. Der Kopf wurde durch einen Helm bedeckt, dessen Visier heruntergelassen war. Nur schmale Augenschlitze blieben. Der Torso wirkte fast humanoid, ebenso Arme und Beine.

Die goldene Rüstung löste sich auf. Darunter kam ein Körper von kristalliner Struktur zum Vorschein.

Ein Canyaj-Körper.

“NoqSar!”, begriff Yc.

“Dieses Experiment hat seinen Status verändert. Meine Aufgabe war es, das Original des großen Experimentators der Canyaj zu rufen, wenn dies geschieht.”

Yc erkannte, dass setzt niemand bereit sein würde, seine Fragen zu beantworten. Weder der eine noch der andere NoqSar.

“Geh jetzt!”

Das ließ sich Yc nicht zweimal sagen.

*



An Bord der NONG-TO angekommen, war Yc ungewöhnlich schweigsam. Fairoglan beschleunigte das Raumschiff.

Es war zweifellos das Beste, jetzt einen möglichst großen Abstand von dem zu gewinnen, was im System von Stern 23112 vor sich ging.

*



Die Rettungskapseln mit den Überlebenden der ALLIANZ waren an Bord der STERN VON ARADAN geholt worden. Erleichtert, fürs Erste davongekommen zu sein, stieg Gelendos aus dem Dunkel heraus. Er empfand die im Hangar herrschende Helligkeit als angenehm. Die Shaalkaanen hingegen aktivierten sofort ihre Schattenschirme.

Estan, der Erste Offizier der STERN VON ARADAN begrüßte die Geretteten über eine Kom-Verbindung.

Aber schon wenige Augenblicke später wurde Estans Aufmerksamkeit auf der Brücke gefordert.

Zahlenmäßig starke Verbände der Canyaj schickten sich an, den kühnen Vorstoß der Kalimpan-Raumer zu stoppen.

Admiral Sonardan saß mit versteinertem Gesicht da, als er auf dem großen Panoramaschirm der STERN VON ARADAN mit ansehen musste, wie gleich ein ganzes Dutzend k'aradanischer Verbundraumer explodierte.

Unter den Dreiecksschiffen der Morrhm waren die Verluste jedoch noch stärker.

Der Kommunikationsoffizier meldete sich zu Wort.

"Abteilung 15 meldet hohe Verluste."

Sonardan hörte sich den knappen Verlustbericht an und erhob sich dann aus seinem Konturensitz. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.

Unsere zwischenzeitlichen Erfolge waren nur ein Strohfeuer, erkannte er. Er hatte es von Anfang an befürchtet. Auf einer großen Projektion war der Verlauf der Schlacht deutlich zu sehen.

Die Canyaj hatten in mehreren Sektoren des Kampfgebietes zum großangelegten Gegenschlag angesetzt. Unsere Erfolge waren auf entschlossene Einzelaktionen zurückzuführen!, erkannte der Admiral.

Jetzt schlugen die Anorganischen erbarmungslos zurück.

Überall rückten ihre Raumschiffe vor. Ihre schiere Zahl war so groß, dass die Kalimpan-Verbände kaum eine Chance hatten. Noch immer trafen Nachschubkräfte der Canyaj im Kampfgebiet ein.

Die Überlegenheit war einfach zu groß.

Der erhoffte Umschwung trat nicht ein.

Das Kontingent der Fulirr-Raumschiffe, die aus der planetaren Verteidigung Larsyrcs herausgenommen worden waren, wurde offenbar von einer großen Zahl von Canyaj-Schiffen erwartet.

Ein kalter Schauder überlief Admiral Sonardan, als er dies sah.

Als ob den Canyaj bekannt war, an welchen Koordinaten die Fulirr in den Normalraum eintreten!, durchfuhr es den Oberbefehlshaber der Vereinigten Kalimpan-Flotte. Es sah nach Verrat aus. Alles in ihm sträubte sich zwar gegen diese Gedanken, aber die Tatsachen sprachen für sich.

Die Schiffe der Fulirr wurden sofort unter Feuer genommen.

Viele waren gerade materialisiert, als sie schon in verheerenden Explosionen auseinanderbarsten.

Die Übermacht der Anorganischen war einfach erdrückend. Ein Fulirr-Schiff nach dem anderen wurde zerstört. Hier und da glühten noch Trümmerteile auf.

Das Schlimmste war, dass Sonardan keinerlei Möglichkeiten hatte, ihnen zu helfen. Zu stark waren die bereits in der Schlacht befindlichen Schiffe von K'aradan, Chgorr, Morrhm, Shaalkaanen und Yroa selbst unter Druck.

Eine Gruppe shaalkaanischer Raumschiffe wurde abgedrängt und eingekesselt. Einige konnten sich mit einer Nottransition retten. Aber ein beträchtlicher Teil dieser Einheiten war bereits durch den andauernden Beschuss stark in Mitleidenschaft gezogen.

Der Verband von k'aradanischen Schiffen, in dessen Zentrum sich die STERN VON ARADAN befand, wurde jetzt immer heftigeren Angriffen ausgesetzt. Ferngelenkte, sich selbst steuernde Drohnen und Torpedos wurden im großen Stil eingesetzt, nachdem die Energieschilde Dutzender Kalimpan-Raumer längst nicht mehr die volle Leistung brachten.

Eine Erschütterung durchlief jetzt auch das Flaggschiff der Kalimpan-Flotte.

Estan, der Erste Offizier forderte den Schadensbericht an.

Trümmerteile eines ganz in der Nähe befindlichen K'aradan-Schiffs waren von dem durch intensiven Blasterbeschuss geschwächten Schutzschirm nur unzureichend absorbiert worden. Es gab eine leichte Beschädigung der Außenhülle.

"Wenn wir jetzt den Rückzug antreten und eine Nottransition durchführen, könnten wir unseren Verband an anderer Stelle sammeln und erneut in die Schlacht führen!", wandte sich Estan an seinen Admiral.

"Rückzug?", erwiderte Sonardan. Alles in ihm sträubte sich gegen diesen Gedanken. Aber er sah ein, dass sein Erster Offizier recht hatte. Immer größere Teile der Kalimpan-Flotte und speziell des k'aradanischen Verbandes, der das Herz der Kalimpan-Streitmacht bildete, wurden abgedrängt, eingekreist und anschließend einem mörderischen Beschuss ausgesetzt.

Die Canyaj hatten diese Taktik inzwischen nahezu zur Perfektion gebracht. Die große und noch anwachsende zahlenmäßige Überlegenheit gestattete es ihnen, auf diese Weise vorzugehen.

Wenn es dabei Verluste auf ihrer Seite gab, so vermochten sie diese sehr viel leichter auszugleichen als die Allianz.

Ein koordiniertes Vorgehen ist nicht mehr möglich, erkannte Sonardan. Allein hinhaltender Widerstand kann für die Verteidiger Larsyrcs vielleicht noch einen Aufschub bringen...

"Nottransition für alle Einheiten der Abteilungen 1, 4 und 7!", befahl der Admiral. "Koordinaten werden überspielt."

*



Zehntausende von vorwiegend k'aradanischen Raumschiffen beschleunigten fast synchron und führten wenig später den Raumsprung durch.

In einer Entfernung von etwa anderthalb Lichtjahren vom Heimatsystem der Menschen tauchte diese Flotte in den Normalraum zurück, um sich erneut zu formieren.

Doch das Blasterfeuer von Canyaj-Schiffen erwartete sie bereits.

Ein gewaltiger Verband von Canyaj-Schiffen tauchte annähernd im selben Moment aus dem Hyperraum wie die Kalimpan-Raumer. Die Canyaj schossen sofort.

Und sie waren in einer erdrückenden Übermacht.

Auch die STERN VON ARADAN erhielt schon in den ersten Sekunden nach ihrer Materialisierung mehrere empfindliche Treffer.

"Wie ist das möglich!", ereiferte sich Estan. "Die Canyaj müssen die Verschlüsselungscodes unserer Schiff-zu-Schiff-Kommunikation in die Hände bekommen haben! Sonst hätten sie niemals wissen können, zu welchen Koordinaten wir transitieren!"

"Wir sind verraten worden!", murmelte Admiral Sonardan. Sein Gesicht wirkte wie aus Stein gemeißelt. Die Canyaj hatten die gesamte Kommunikation der Kalimpan-Schiffe abhören können. Wir hatten nie eine Chance, erkannte Sonardan voller Bitterkeit.

*



Admiral Sarew-987 eröffnete die Sitzung des Krisenstabes. Derandii und Makalos, die beiden Offiziere des Sicherheitsdienstes der Flotte fehlten. Aber niemand vermisste sie. "Wir sind zumindest in diesem Gremium jetzt unter uns", sagte der Admiral. Er aktivierte einen Panorama-Schirm, der eine gesamte Wand des Konferenzraums einnahm. "Soeben traf ein letzter Lagebericht von Admiral Sonardan ein! Sehen Sie selbst..."

Der Bericht des Admirals wurde abgespielt. Sonardan sprach von Verrätern, die den geheimen Schiff-zu-Schiff-Kommunikationscode Kalimpans an die Canyaj übermittelt hatten.

Wie recht er hat, dachte Admiral Sarew-987. Glücklicherweise haben Sie es nicht rechtzeitig bemerkt, Sonardan!

Dem Bericht nach war die Kalimpan-Flotte zerschlagen. Kleinere Verbände hatten sich per Nottransition retten können und waren nun mit ihren teilweise erheblich beschädigten Einheiten irgendwo zwischen den Sternen versprengt.

Sonardans Flaggschiff erging es nicht anders.

Es trieb mit etwa einem Dutzend weiterer hauptsächlich k'aradanischer Schiffe im All.

"Während ein kleinerer Teil der Canyaj-Schiffe damit beschäftigt ist, unsere versprengten Einheiten zu jagen, hat der Großteil ihrer Flotte diesen Raumsektor verlassen", berichtete Sonardan. "Ich nehme an, dass Larsyrc und die anderen Hauptwelten der Allianz ihr Ziel sind."

Der Bericht des Admirals wurde unterbrochen. Sein Erster Offizier meldete das Auftauchen starker Canyaj-Verbände, die die Versprengten offenbar aufgespürt hatten und sie nun zu vernichten versuchten.

Wenig später brach die Transmission ab.

"Wie Sie sehen, ist die Lage durchaus zufriedenstellend", erklärte Sarew-987. "Die Canyaj sind gerade dabei, die wichtigsten Welten des Allianz-Territoriums zu besetzen. Der Hauptteil ihrer Flotte wird in Kürze im Orbit von Larsyrc auftauchen."

"Was ist mit den Fulirr-Raumern?", fragte Enielraq. "Ich traue denen nicht."

"Sie werden ihre Schiffe den Canyaj übergeben", erklärte der Klon des Fulirr-Regenten Saroo-Otnof.

"Nachdem auch das Selbstzerstörungsprogramm nicht mehr in Kraft ist, kann wohl nichts mehr den Beginn der neuen Epoche aufhalten", verkündete Admiral Sarew. "Nichteinmal dieser klägliche Versuch, eine Rebellion gegen uns anzuzetteln, die der Geheimdienst abfangen konnte. Es wurde ein offener Kanal benutzt, aber glücklicherweise konnte mit Hilfe eines gezielten Störsignals bewirkt werden, dass diese Botschaft nur verstümmelt ins allgemeine Datennetz gelangte..."

Der Shaalkaane aktivierte erneut den Panorama-Schirn. Das Gesicht Fairoglans erschien. Im Hintergrund war das Pflanzenwesen Yc zu sehen.

"Hier spricht Fairoglan. Ich richte mich an alle Bürger der Allianz Kalimpan, die in der Lage sind, die Botschaft zu empfangen. Die Führungsinstanzen unserer Allianz..."

Danach wurde die Botschaft unverständlich.

"Wie rührend!", entfuhr es Enielraq mit beißender Ironie.

"Außßßer ein paarrr Aorrrii-Lippenleserrrn dürrrfte niemand das Gerrrede diessses errrbärrrrmlichen Klon-Bruders verrrssstehen!", dröhnte Neliebrab.

Sarew deaktivierte Fairoglans Botschaft.

Enielraq ließ unterdessen den Blick in der Runde schweifen. "Wo ist eigentlich Hgrrek?", erkundigte er sich.

"Oh, vergaß ich das zu erwähnen?", meinte Sarew. "Hgrrek wurde zu Beginn dieses Larsyrc-Standard-Tages in seinem Quartier tot aufgefunden. Er starb an einer Überdosis shaalkaanischer Stimulanzien."

"War er süchtig?", fragte Enielraq. "Es ist doch bekannt, dass Chgorr sehr empfindlich auf dieses Substanzen reagieren."

"Es war Selbstmord", erklärte Sarew.

Für einige Augenblicke herrschte Schweigen.

Ich dachte, dass uns die Konditionierung und die zusätzlichen Bewusstseinskomponenten vor so etwas zu schützen vermögen!, ging es dem Klon des morrhmischen Regenten durch den mächtigen Schädel.

Ein Summton brach die Stille.

Sarew aktivierte über sein neuronales Interface einen Kom-Kanal. Ein k'aradanischer Beamter der Raumkontrolle meldete das Eintreffen einer gewaltigen Canyaj-Flotte.

Auf dem Panorama-Schirm erschienen erste Bilder der aus dem Hyperraum materialisierenden Raumschiffe. Es war eine gewaltige Armada.

In der Galaxis hatte endgültig ein neues Zeitalter begonnen.

Nichts würde sein wie zuvor.

ENDE

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Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten

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