Читать книгу Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 27

​Commander Reilly #2: Raumschiff STERNENKRIEGER im Einsatz von Alfred Bekker

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Chronik der Sternenkrieger

Science Fiction Roman

Im Jahr 2234 übernimmt Commander Willard J. Reilly das Kommando über die STERNENKRIEGER, ein Kampfschiff des Space Army Corps der Humanen Welten. Die Menschheit befindet sich im wenig später ausbrechenden ersten Krieg gegen die außerirdischen Qriid in einer Position hoffnungsloser Unterlegenheit. Dem ungehemmten Expansionsdrang des aggressiven Alien-Imperiums haben die Verteidiger der Menschheit wenig mehr entgegenzusetzen, als ihren Mut und ihre Entschlossenheit.

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Übersicht über die Serie “Chronik der Sternenkrieger”

in chronologischer Reihenfolge

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Einzelfolgen:

Commander Reilly 1: Ferne Mission (Handlungszeit 2234)

Commander Reilly 2: Raumschiff STERNENKRIEGER im Einsatz

Commander Reilly 3: Commander im Niemandsland

Commander Reilly 4: Das Niemandsland der Galaxis

Commander Reilly 5: Commander der drei Sonnen

Commander Reilly 6: Kampf um drei Sonnen

Commander Reilly 7: Commander im Sternenkrieg

Commander Reilly 8: Kosmischer Krisenherd

Commander Reilly 9: IN VORBEREITUNG

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Terrifors Geschichte: Ein Space Army Corps Roman (Handlungszeit 2238)

Erstes Kommando: Extra-Roman (Handlungszeit 2242)

Erster Offizier: Extra-Roman (Handlungszeit 2246)

Chronik der Sternenkrieger 1 Captain auf der Brücke (Handlungszeit 2250)

Chronik der Sternenkrieger 2 Sieben Monde

Chronik der Sternenkrieger 3 Prototyp

Chronik der Sternenkrieger 4 Heiliges Imperium

Chronik der Sternenkrieger 5 Der Wega-Krieg

Chronik der Sternenkrieger 6 Zwischen allen Fronten

Chronik der Sternenkrieger 7 Höllenplanet

Chronik der Sternenkrieger 8 Wahre Marsianer

Chronik der Sternenkrieger 9 Überfall der Naarash

Chronik der Sternenkrieger 10 Der Palast

Chronik der Sternenkrieger 11 Angriff auf Alpha

Chronik der Sternenkrieger 12 Hinter dem Wurmloch

Chronik der Sternenkrieger 13 Letzte Chance

Chronik der Sternenkrieger 14 Dunkle Welten

Chronik der Sternenkrieger 15 In den Höhlen

Chronik der Sternenkrieger 16 Die Feuerwelt

Chronik der Sternenkrieger 17 Die Invasion

Chronik der Sternenkrieger 18 Planetarer Kampf

Chronik der Sternenkrieger 19 Notlandung

Chronik der Sternenkrieger 20 Vergeltung

Chronik der Sternenkrieger 21 Ins Herz des Feindes

Chronik der Sternenkrieger 22 Sklavenschiff

Chronik der Sternenkrieger 23 Alte Götter

Chronik der Sternenkrieger 24 Schlachtpläne

Chronik der Sternenkrieger 25 Aussichtslos

Chronik der Sternenkrieger 26 Schläfer

Chronik der Sternenkrieger 27 In Ruuneds Reich

Chronik der Sternenkrieger 28 Die verschwundenen Raumschiffe

Chronik der Sternenkrieger 29 Die Spur der Götter

Chronik der Sternenkrieger 30 Mission der Verlorenen

Chronik der Sternenkrieger 31 Planet der Wyyryy

Chronik der Sternenkrieger 32 Absturz des Phoenix

Chronik der Sternenkrieger 33 Goldenes Artefakt

Chronik der Sternenkrieger 34 Hundssterne

Chronik der Sternenkrieger 35 Ukasis Hölle

Chronik der Sternenkrieger 36 Die Exodus-Flotte (Handlungszeit 2256)

Chronik der Sternenkrieger 37 Zerstörer

Chronik der Sternenkrieger 38 Sunfrosts Weg (in Vorbereitung)

Sammelbände:

Sammelband 1: Captain und Commander

Sammelband 2: Raumgefechte

Sammelband 3: Ferne Galaxis

Sammelband 4: Kosmischer Feind

Sammelband 5: Der Etnord-Krieg

Sammelband 6: Götter und Gegner

Sammelband 7: Schlächter des Alls

Sammelband 8: Verlorene Götter

Sammelband 9: Galaktischer Ruf

Sonderausgaben:

Der Anfang der Saga (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes Kommando” und

Chronik der Sternenkrieger #1-4)

Im Dienst des Space Army Corps (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes Kommando”)

Druckausgabe (auch als E-Book):

Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #1 -12 (#1 enthält Terrifors Geschichte, Erstes Kommando und Captain auf der Brücke, die folgenden enthalten jeweils drei Bände und folgen der Nummerierung von Band 2 “Sieben Monde” an.)

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Ferner erschienen Doppelbände, teilweise auch im Druck.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Kapitel 1: TRÜMMER IM ALL

„Wir haben jetzt die Koordinaten der letzten Positionsmeldung erreicht, die das Oberkommando von der CAMBRIDGE erhielt“, meldete Lieutenant Clifford Ramirez. Der Ruderoffizier der STERNENKRIEGER nahm ein paar Schaltungen vor. Fast der gesamte Panoramaschirm auf der Brücke der STERNENKRIEGER wurde jetzt von dem blauen Gasriesen Blue Eye eingenommen. Im Vordergrund waren einige seiner Monde zu sehen. Manche nur als dunkle Schatten erkennbar, andere im Zwielicht des blauen Riesen und seines roten Zentralgestirns.

Die STERNENKRIEGER hatte inzwischen stark genug abgebremst, um in den Orbit des Blue Eye-Mondes Thornton einschwenken zu können.

Die JUPITER von Commander Van Doren befand sich in einem Abstand von lediglich 20 000 Kilometern. Die Ortungssysteme beider Schiffe liefen auf Hochtouren und suchten nach Hinweisen die Licht in das Schicksal des Zerstörers CAMBRIDGE bringen konnten.

Gleichzeitig war die technische Crew beider Einheiten damit beschäftigt, die Sandströmaggregate wieder betriebsfähig zu machen.

Unsere Raumfahrt mag uns manchmal als sehr fortgeschritten erscheinen, dachte Commander Reilly. In Wahrheit ist das nicht als pure Selbstüberschätzung. Wir sind kaum über das Nussschalen-Stadium hinausgekommen. Wie jene Steinzeitmenschen, die mit ihren Kanus und Flößen begannen, Meerengen zu überqueren und das bereits für Seefahrt hielten. Ohne Überlichtantrieb und Sandströmraumfunk wären die beiden irdischen Raumschiffe in der Unendlichkeit verloren gewesen. Es hätte Generationen gedauert, bis sie mit Hilfe ihrer Ionentriebwerke die nächste Welt hätten erreichen können, auf der es Überlichtfunk gab. So ist es nämlich in Wahrheit: Alles hängt an diesen beiden seidenen Fäden – Überlichtfunk und die Antriebsaggregate für den Flug im Sandströmraum!, dachte Reilly. Wir müssen den Saboteuren, die da am Werk waren wohl auch noch dankbar dafür sein, dass sie die Gnade hatten, nur einen dieser Fäden tatsächlich zu durchtrennen!

„Captain, die Sensoren orten mehrere Objekte, bei denen es der Analyse nach mit hoher Wahrscheinlichkeit um Trümmer der CAMBRIDGE handelt. Die Zahl der georteten Objekte steigt ständig. Die meisten dieser Trümmer umkreisen den Mond Thornton“, meldete Lieutenant Wu.

Willard Reilly schlug die Beine übereinander und lehnte sich etwas zurück.

„Rufen Sie Bruder Padraig auf die Brücke“, befahl der Kommandant der STERNENKRIEGER. „Es könnte sein, dass wir seinen Rat und seine Kenntnisse als Wissenschaftler brauchen.“

„Aye, aye, Captain.“

Lieutenant Commander Soldo holte sich die eingehenden Daten der Ortungssensoren ebenfalls auf seiner Konsole anzeigen lassen.

„Es deutet alles darauf hin, dass die CAMBRIDGE explodiert ist. Es hat zweifellos eine Fusionsreaktion stattgefunden, wie die Belastung der Trümmer mit bestimmten radioaktiven Isotopen zeigt!“

„Waffen?“, wandte sich Reilly an den Offizier für Waffen und Taktik. Chip Barus drehte sich zu Commander Reilly herum.

„Ja, Sir?“

„Könnte man die Daten so interpretieren, dass hier ein Gefecht stattgefunden hat?“

„Es sieht ganz so aus. Auffallend ist dabei, dass die Trümmerteile relativ klein sind.“

„Wie könnte sich das Ganze abgespielt haben?“

„Es muss ein ziemlich überraschender Angriff gewesen sein. Aber im Prinzip ist das im Gewirr dieser unzähligen Blue Eye-Monde nicht verwunderlich, wenn man einen potentiellen Gegner erst relativ spät ortet. Er braucht sich nur im Ortungsschatten eines dieser zahlreichen Trabanten verborgen zu halten und dann plötzlich aus der Deckung hervorzukommen.“

„Wir erhalten jetzt erstmalig Daten über Trümmerteile, deren chemische Zusammensetzung es ausschließt, dass sie von der CAMBRIDGE stammen können!“, meldete jetzt Jessica Wu. Ein Teilfenster des Panoramaschirms machte nun einer tabellarischen Auflistung der Zusammensetzung dieser Gegenstände optisch nachvollziehbar. Einige dieser Trümmerteile, die nicht der CAMBRIDGE zugeordnet werden konnten, wiesen Materialien oder Bearbeitungsspuren auf, die es als völlig unmöglich erscheinen ließen, dass es sich dabei um Teile eines Space Army Corps Schiff handeln konnte.

„Dann scheinen die bisher unbekannten Gegner der CAMBRIDGE offenbar ebenfalls Verluste hinnehmen müssen“, glaubte Soldo und fuhr schließlich nach kurzer Pause fort: „Was ist mit den Rettungskapseln, die jedes Space Army Corps Schiff für die gesamte Besatzung an Bord mitzuführen hat?“

„Falls hier tatsächlich ein Gefecht stattgefunden hat, dass zur Vernichtung der CAMBRIDGE führte, so muss es sich zum Zeitpunkt des Notrufs ereignet haben“, stellte Lieutenant Wu fest. „Rechnet man diesen Zeitpunkt mit ein, so dürften die meisten Rettungskapseln auf der Oberfläche von Thornton gelandet sein. In den Kapseln gibt es komprimierte Wasserpatronen und Nahrungskonzentrate für Wochen. So lange hätte ein Crewmitglied der CAMBRIDGE auch durchaus Überlebenschancen, vorausgesetzt, alle Systeme arbeiten einwandfrei.“

„Suchen Sie nach den Signalfrequenzen dieser Kapseln“, befahl Reilly, „... falls es sie überhaupt gibt!“

„Ich führe derzeit einen planetaren Scan der Oberfläche von Thornton durch“, erklärte Lieutenant Wu. „Dabei kooperiere ich mit der JUPITER, wenn es Ihnen recht ist. Dann haben wir die Möglichkeit, die einzelnen Oberflächensektoren unter uns aufzuteilen und kommen schneller zu einem Ergebnis. Allerdings stehen die Chancen sehr schlecht. Die Rettungskapseln waren mit einem schwachen Sandströmsender vom Typ TMH-3342 ausgerüstet. Dessen Reichweite beträgt zwar nur vier Lichtjahre, dann wird das Signal verstümmelt oder ist gar nicht mehr zu identifizieren! Aber wenn der Sender noch aktiv wäre, hätten wir das Signal längst empfangen müssen!“

„Auch eine Verbesserung bei den Leichten Kreuzern des neuen Typs“, gab Soldo zu bedenken. „Die Reichweite der Sandströmraumsender der Rettungskapseln beträgt gut acht Lichtjahre.“

„Das wäre in unserem Fall immer noch zu wenig, um mit einem Notruf einen Empfänger auf dem Territorium der Humanen Welten zu erreichen“, gab Commander Reilly zu bedenken.

Bis es möglich war, die Sandströmraum-Funksender der Kapseln so leistungsfähig zu machen wie die Sendeaggregate an Bord von Raumschiffen, würden wohl noch Jahre vergehen. Welche Probleme aus der Komprimierung von Sandströmraum-Technik resultieren konnten, hatten ja gerade erst die Schwierigkeiten mit den Triebwerken deutlich gezeigt.

„Im Sandströmfunk-Spektrum ist alles tot“, erklärte Jessica Wu. „Da gibt es nicht einmal den Hauch eines Signals. Allerdings verfügen die Kapseln daneben auch sicherheitshalber über einen konventionellen Peilsender.“

„Der letzte Notruf der CAMBRIDGE war verstümmelt“, gab Lieutenant Barus zu bedenken. „Offenbar störte etwas den Sandströmfunk und das dürfte dann doch wohl auch auf die Sandströmsender der Kapseln zutreffen. Von daher gesehen würde es mich nicht wundern, wenn doch jemand überlebt hat – zumal sowohl der Sauerstoff als auch Wasserversorgung und Nahrungsmittelkonzentrate noch etwas reichen müssten!“

In diesem Moment erschien Bruder Padraig auf der Brücke.

„Captain?“

„Es wäre schön, wenn Sie Lieutenant Wu bei der wissenschaftlichen Interpretation der Ortungsdaten unterstützen würden, Bruder Padraig.“

„Dann war Ihre Suche nach Überlebenskapseln bisher nicht erfolgreich“, schloss der Olvanorer.

„Das ist leider der Fall.“

„Sie gehen aber weiterhin davon aus, dass es gelang, überhaupt Kapseln abzusetzen!“, sagtePadraig.

„Wir hoffen es“, korrigierte Commander Reilly.

„Ich verstehe.“

„Sollte ein Gefecht die Ursache für das Ende der CAMBRIDGE sein, dann ist es wenig wahrscheinlich, dass nicht wenigstens ein paar Kapseln ins All gelangten“, glaubte Soldo.

Bruder Padraig hob die Augenbrauen. „Das hängt davon ab, welche Waffen bei dem Gefecht verwendet wurden. Wenn es Fusionsraketen waren, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass zumindest ein paar Kapseln abgesetzt werden konnten. Sollte der unbekannte Gegner jedoch über Antimateriewaffen verfügen wie die der Fulirr, dann würden wir hier nicht die geringste Spur dafür finden, dass überhaupt ein Kampf stattgefunden hat.“ Bruder Padraig nahm seinen Platz bei Lieutenants Wus Konsole ein. Viel Platz war nicht auf der Brücke eines Leichten Kreuzers neuen Typs. Aber er reichte aus, um notfalls einen weiteren Arbeitsplatz einzurichten, wenn es die Lage erforderte.

Aber die weiteren Scans blieben ergebnislos.

Weder ein Sandströmsignal noch ein Peilsignal im normalen Funkwellenspektrum erreichte die STERNENKRIEGER.

Bruder Padraig nahm dabei zahlreiche Schaltungen an einem der Touchscreens vor, über die die Rechnersysteme zur Ausweitung der eingehenden Orter-Daten konfiguriert wurden, während sich Jessica Wu vor allem auf die Suche nach Peilsignalen konzentrierte.

Ein Teilfenster des Panoramaschirms wurde jetzt von einer schematischen Darstellung des Gasriesen Blue Eye und seines Subsystems von Monden eingenommen, die offenbar Bruder Padraig aktiviert hatte.

Er ließ eine Simulation ablaufen, die die vermutlichen Flugbahnen von Rettungskapseln nachzeichnete, die an Bord eines Space Army Corps Schiffs normalerweise für jedes Besatzungsmitglied vorhanden waren.

„Wenn wir davon ausgehen, dass die letzte Positionsmeldung der CAMBRIDGE auch den Ort markiert, an dem sie vernichtet wurde, dann besteht eigentlich kaum eine Chance für die Kapseln, einen Weg zu nehmen, der nicht früher oder später auf der Oberfläche des Monde mit der Bezeichnung Thornton endet“, erklärte der Olvanorer. „In meiner Simulation wird die Wahrscheinlichkeit dafür mit über 98 Prozent angegeben. Wenn man die Parameter leicht variiert kommen dabei trotzdem niemals weniger als 96 Prozent heraus.“

„Das bedeutet, es macht keinen Sinn, irgendwo anders als auf der Oberfläche von Thornton nach diesen Kapseln zu suchen“, stellte Commander Reilly fest.

Bruder Padraig nickte heftig.

„Das ist vollkommen korrekt, Captain. Und nach der seit dem Ende der CAMBRIDGE vergangenen Zeit müsste jede dieser Kapseln inzwischen auch die Oberfläche erreicht haben, da die Dinger ja nicht über einen eigenen Antrieb verfügen, sondern lediglich über ein Antigravaggregat, das dazu ausreicht, die Landung abzufedern.“

„Ich verstehe noch nicht ganz, worauf Sie hinauswollen, Bruder Padraig“, bekannte Reilly.

„Nun, es gibt vielleicht eine Erklärung dafür, weshalb die Rettungskapseln verschwunden zu sein scheinen.“

„Und die wäre?“

Alle Blicke waren nun auf den Olvanorer gerichtet. „Thornton ist eine ausgesprochen interessante Welt. Wasser ist an der Oberfläche hart gefroren und verhält sich geologisch gesehen wie Gestein, während die Rolle des flüssigen Wassers von Methan übernommen wird. Ansonsten finden dort aber ganz ähnliche Prozesse statt, wie auf der Erde. Beispielsweise gibt es, wie die Orter-Daten eindeutig verraten, einen sehr aktiven Wasser-Vulkanismus.“

„Ähnlich wie auf dem Jupitermond Titan?“, fragte Reilly.

„Richtig. In den Tiefen dieser Welt brodelt kein glühendes Magma, sondern flüssiges Wasser, das an die Oberfläche schießt und sich in Vulkanausbrüchen entlädt. Zuvor vermischt es sich mit Ammoniak, dadurch sinkt sein Gefrierpunkt um bis zu hundert Grad unter Null. Die Wassermassen treten wie Lava aus den Kegeln der Eisvulkane hervor. Diese Ströme vergrößern den Vulkankegel und erstarren sehr langsam. Teile dieser Wassermassen werden bis in die Stratosphäre von Thornton hinaufgeschleudert und kehren dann als Eisbrocken zurück. Wenn nun ein Strom aus langsam zu Eis erstarrendem Ammoniakwasser das Gebiet überschwemmt, in dem die Rettungskapsel niedergegangen ist, dann ist es kein Wunder, wenn wir nichts mehr von ihr hören. Sie würde regelrecht zerquetscht.“

„Diese Kapseln sind zum Überleben entwickelt worden“, gab Thorbjörn Soldo zu bedenken. „Da sollte man annehmen, dass sie etwas robuster sind.“

„Ich habe das durchgerechnet“, erwiderte Bruder Padraig mit entwaffnender Sachlichkeit. „Der Druck durch das Gewicht des Ammoniakwassers wäre so groß, dass eine Rettungskapsel auf eine Höhe von wenigen Zentimetern zusammengequetscht würde wie in einer gigantischen Schrottpresse. Sie können sich vorstellen, was danach vom Piloten und dem Sandströmsender bleibt.“

Einige Augenblicke herrschte betretenes Schweigen.

„Sie meinen also, dass unsere Suche sinnlos ist“, sagte Reilly.

„Ich glaube nur, dass wir diese Fakten bei unserem weiteren Vorgehen nicht außer Acht lassen sollten.“

In diesem Moment meldete sich die JUPITER über Funk. Der Kanal wurde frei geschaltet. Auf dem Schirm war Lieutenant Ferdinand Massarov, der an Bord der JUPITER für Ortung und Kommunikation zuständig war – ein Mann in den Dreißigern, dessen Haar in einem Grünton gefärbt war, der sich ziemlich mit der Uniform des Space Army Corps biss. Allerdings gab es bislang in den Statuten des Space Army Corps keine Vorschrift, die so etwas untersagte. Commander Reilly hatte davon gehört, dass Lieutenant Massarov wegen seine modischen Extravaganzen schon des Öfteren Ärger mit seinen Vorgesetzten gehabt hatte. Körperschmuck in jeder Form war nicht erlaubt, das legten die Dienstvorschriften eindeutig fest. Aber was die Haare anging, gab es da lediglich die Einschränkungen, die von den Sicherheits- und Hygienebestimmungen gezogen wurden.

Erst hatte es den Anschein gehabt, als werde in dieser Sache alles auf einen Prozess hinauslaufen.

Aber seit Raimondo der für das Personalwesen des Space Army Corps zuständige Admiral geworden war, hatte Massarov offenbar nichts mehr zu befürchten.

Unabhängig von seinem für viele Führungsoffiziere des Space Army Corps entschieden zu extravaganten Outfit war Massarov nämlich ein ausgezeichneter Ortungs- und Funkoffizier, den sich Commander Reilly auch gut in dieser Funktion auf der STERNENKRIEGER hätte vorstellen können.

„Wir haben Bio-Impulse auf der Planetenoberfläche geortet!“, lautete die sensationelle Neuigkeit, die Massarov zu verkünden hatte. „Allerdings war die Ortung auf Grund der dichten Atmosphäre und dem ständigen Methanregen ziemlich schwierig und außerdem...“

„Außerdem was?“, hakte Commander Reilly nach.

„Vielleicht sollten wir unsere Definition dessen, was Leben ist etwas erweitern. Es handelt sich um Organismen, die teilweise erstaunlich groß werden, deren Biochemie jedoch völlig anders funktionieren muss, als wir das von allen Spezies kennen, die uns bisher begegnet sind.“

1

Sergeant Saul Darren flog mit voller Wucht gegen die Wand und rutschte daran hinunter. Sehr vorsichtig stand der Kommandant der Einheit von Marineinfanteristen an Bord der STERNENKRIEGER wieder auf. Er hob die Arme und öffnete das Visier des schweren Kampfanzugs.

„Seien Sie vorsichtig, Sergeant!“, sagte Corporal Fritz Gallego, der ebenfalls einen der neuen schweren Kampfanzüge trug. „Durch die Servoverstärkung unterschätzt man die eigene Kraft manchmal ganz erheblich!“

„Jedenfalls werde ich so ein Ding niemals im Einsatz tragen!“, knurrte Saul Darren ziemlich aufgebracht. „Schluss für heute, mir reicht es! Wir trainieren morgen weiter!“

Saul Darren begann damit, sich aus dem Anzug herauszuschälen. Dabei fluchte er die ganze Zeit vor sich hin und ließ kein gutes Haar an der neuen Ausrüstung der Space Army Corps Marines.

Saul Darren war 39 und trug seine grauen Haare kurz geschoren. Er hatte zu den ersten Männern gehört, die sich für die kurz nach Gründung des Space Army Corps bei der im Aufbau befindlichen Marines-Truppe gemeldet hatten.

„Diese Anzüge sollen demnächst zum Standard der Marines werden!“, meinte Corporal Fritz Gallego. Er war Darrens Stellvertreter als Kommandant der Marines an Bord der STERNENKRIEGER. „Und wenn Sie die Sache mal mit kühlem Kopf betrachten, haben die Dinger auch viele Vorteile, Sarge!“

„Pah, Vorteile!“

Saul Darren hatte es endlich geschafft aus dem Anzug herauszukommen. Er stieß ihn von sich und atmete erst einmal tief durch. Das Training mit den neuen Kampfanzügen gehörte für ihn zum härtesten, was er je hatte mitmachen müssen – aktive Einsätze auf unwirtlichen Hinterwäldlerplaneten im Bereich der Humanen Welten sogar eingeschlossen.

„Sarge, die Dinger sind wie raumtaugliche Ein-Mann-Panzer! Wenn man nicht die empfindlichen Gelenk-Stücke im Halsbereich trifft, dann ist man durch Projektilwaffen kaum auszuschalten!“

„Die herkömmlichen Protektoren, die von jeher Teil unserer Ausrüstung waren, reichen dafür völlig aus!“, glaubte Darren.

„Aber diese Anzüge ermöglichen gleichzeitig den Einsatz in atmosphäreloser Umgebung - oder auf Planeten mit einer für uns Menschen giftigen Atmosphäre!“

„Gott sei Dank haben wir gegenwärtig nur zwei von diesen Anzügen!“, stellte Saul Darren zufrieden fest.

Die Anzüge waren noch in der Erprobungsphase. Man hatte eine ganze Reihe von Experimenten mit gepanzerten Raumanzügen gemacht, sodass die Marines des Space Army Corps auch heute, im Jahr 2234 in der Lage waren, Operationen auf Planeten durchzuführen, deren Atmosphäre keinerlei Ähnlichkeiten mit jener der Erde aufwies.

Aber die neuen Kampfanzüge gingen einen Schritt weiter.

Sie waren keine Raumanzüge, die lediglich für den Kampfeinsatz etwas Absicherung boten, sondern im Grunde stellten sie ein eigenes Waffensystem dar. Über eine Vielzahl von Druckpunkten innerhalb des Anzugs wurde die Servoverstärkung eingeübt.

„Geben Sie nicht auf Sarge!“, lachte Corporal Gallego. „Die Beherrschung der Druckpunkte zur Steuerung der Servoverstärkung ist äußerst schwierig. Da braucht man schon einige Zeit, bis man wirklich einsatzbereit ist! Aber auf die Dauer werden wir Marines nicht drum herum kommen.“

„Ich könnte gut darauf verzichten“, knurrte Saul Darren und zuckte dann die Schultern. Er ging an einen der Getränkeautomaten, die sich in dem Trainingsraum befanden und zog sich einen kalten Syntho-Drink, um sich psychisch wieder einigermaßen zu fangen.

Das Interkom summte.

Darren empfing das Gespräch über seinen Armbandkommunikator.

Es war Thorbjörn Soldo, seines Zeichens Erster Offizier der STERNENKRIEGER, der von der Brücke aus das Gespräch mit Darren suchte.

„Sergeant, der Captain möchte, dass insgesamt vier Marines an der bevorstehenden Außenmission teilnehmen. Stellen Sie ein Team zusammen. Im Übrigen legt der Captain wert darauf, dass die neuen Kampfanzüge Verwendung finden und bei dieser Außenmission einem ersten Test unter Einsatzbedingungen unterzogen werden."

Sergeant Darren seufzte.

„Ist das wirklich unumgänglich?"

„Ja, Sergeant. Soldo Ende."

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Darren machte eine wegwerfende Handbewegung, die seinem Ärger deutlich Ausdruck verlieh, während sich Corporal Fritz Gallego ein breites Grinsen nicht verkneifen konnte.

2

Immer umfangreicher wurde das Datenmaterial, das über die Oberfläche von Thornton und die bizarren Lebensformen, die hier existierten, aufgezeichnet wurde. Dass es auch auf sehr kalten Welten Leben gab, war durchaus keine Seltenheit. Allerdings handelte es sich dann für gewöhnlich um Mikroorganismen. Da es auf Thornton einen Sauerstoffgehalt von immerhin acht Prozent gab, waren die Voraussetzungen sogar relativ gut.

Ungewöhnlich war lediglich die Größe, zu der sich das Leben hier entwickelt hatte. In den Methanseen schwammen Organismen von der Größe eines Wals und die dichte Atmosphäre machte es in Verbindung mit der relativ geringen Schwerkraft möglich, dass quallenartige Lebewesen sich ebenso in die Lüfte erhoben wie Segelflieger von der Größe eines Kondors.

Schließlich gelang es sogar, durch ein Loch in der ansonsten recht dichten Wolkendecke, Aufnahmen von yetiartigen Wesen zu machen. Diese Kreaturen gingen aufrecht, waren etwa drei Meter hoch und benutzten möglicherweise sogar Werkzeuge und Behausungen.

Manche der aus dem Orbit gemachten Aufnahmen ließen mehrere Interpretationen zu, was die Lebensgewohnheiten dieser Spezis anging.

Unter normalen Umständen hätte man diese Wesen auch durch die dichte Atmosphäre hindurch mit einem Infrarotscan beobachten können. Im Fall dieser Yetis, wie die zotteligen Riesen von Bruder Padraig bezeichnet wurden, bestand die Schwierigkeit darin, dass ihre Außenhaut über eine außergewöhnliche Fähigkeit zur Isolation verfügte, sodass fast keine Körperwärme nach außen abgegeben wurde. Die Folge war, dass sie nur sehr schwache Infrarotstrahler darstellten und sich im Infrarotscan nur sehr schlecht – wenn überhaupt – abbildeten.

„Ich glaube, ich habe etwas gefunden, dass auf eine Rettungskapsel hinweisen könnte“, meldete Bruder Padraig schließlich. „Ich habe die Sichtparameter ausgedehnt und mich vor allem auf die Signaturen der in den Kapseln enthaltenen technischen Geräte konzentriert, da ja sowohl die Sandströmsender als auch der normale Funk nicht mehr zu funktionieren schien.“

„Und?“, fragte Reilly ungeduldig.

Bruder Padraig aktivierte eine schematische Darstellung der Planetenoberfläche, die in der Bildschirmdarstellung als Karte aufgefächert wurde.

Mehrere Punkte auf der Oberfläche waren markiert.

„An diesen Punkten konnten Signaturen geortet werden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Energiezellen der Kapseln stammen. Zwar konnten die Daten aufgrund der elektromagnetischen Aufladung in der dichten Atmosphäre nicht vollständig aufgezeichnet werden, aber die Übereinstimmung mit den Vergleichssignaturen unserer Datenbank liegen immerhin bei über siebzig Prozent.“

„Unter den gegebenen Umständen würde ich das als einen Volltreffer bezeichnen“, meinte Lieutenant Commander Soldo. „Schließlich haben wir es hier ja nicht mit einem Himmelskörper zu tun, auf dem eine technisch geprägte Zivilisation existiert, sodass wir die Signaturen erst aus einer Vielzahl ähnlicher Aufzeichnungen herausfiltern müssen und wir dann vielleicht bei diesen Übereinstimmungsraten in Schwierigkeiten kämen.“

Commander Reilly wandte sich an seinen Ersten Offizier. „Ich möchte, dass Sie die Leitung eines Landeteams übernehmen, I.O.“, sagte er.

„Ay, aye, Captain.“

„Nehmen Sie Bruder Padraig, ein paar Marines und vielleicht noch den ein oder anderen Fähnrich mit.“

„Captain, gestatten Sie mir einen Einwand“, meldete sich Lieutenant Jessica Wu zu Wort.

„Bitte, sprechen Sie Lieutenant!“, nickte Reilly ihr zu.

„Es sollte jemand dabei sein, der sich im Umgang mit der Ortungstechnik besonders auskennt!“

„Deswegen dachte ich bei der Bemannung der zweiten Landefähre an Sie, Lieutenant“, eröffnete ihr der Captain. „In Ihren Akten habe ich gelesen, dass Sie noch nie ein Außenteam geleitet haben.“

„Das ist richtig, Sir.“

„Dann wird es höchste Zeit. Ihre Position auf der Brücke wird in der Zwischenzeit Fähnrich Sara Majevsky übernehmen. Sie hat ja bereits während unserer anderthalbwöchigen Reise hier her oft genug bewiesen, dass sie mit den Ortungs- und Kommunikationssystem gut vertraut ist.“

„Ja, Sir.“

„Stellen Sie sich ein Team zusammen, Lieutenant. Aber bevor Sie das tun, rufen Sie mir bitte noch einmal die JUPITER.“

„Jawohl, Sir.“

Jessica Wu begann damit, ein paar Schaltungen vorzunehmen.

„Ruder?“

Clifford Ramirez schien bereits zu ahnen, was ihn erwartete.

„Sir?“

„Sie werden ebenfalls nicht darum herumkommen, ein Außenteam zu leiten. Wir haben drei Fähren an Bord und müssen jede noch so geringe Chance nutzen, die vielleicht noch für gestrandete Besatzungsmitglieder der CAMBRIDGE besteht.“

„Sie werden während unserer Abwesenheit eine Brückenmannschaft aus Fähnrichen befehligen!“, gab Soldo zu bedenken.

Reilly zuckte die Schultern.

„Im Gefechtsfall würde Lieutenant Barus als Waffenoffizier ohnehin die Steuerung des Schiffs übernehmen – also besteht für die Sicherheit des Schiffs kein unangemessenes Risiko.“

Wenig später erschien das Gesicht Captain Van Dorens auf dem Hauptschirm. In knappen Worten setzte Commander Reilly den Captain der JUPITER über den Stand der Dinge in Kenntnis. „Ich schlage vor, dass die JUPITER ebenfalls drei Landefähren aussetzt, um nach Überlebenden zu suchen.“

Van Doren war derselben Ansicht. „Ich hoffe wirklich, dass wir dort unten noch jemanden lebend finden.“

3

Innerhalb der nächsten halben Stunde wurden insgesamt sechs Landefähren aus den Hangars der beiden Leichten Kreuzer ausgeschleust.

Commander Van Doren übernahm selbst das Kommando über eines der Landeteams. Als Ranghöchster an dem Unternehmen beteiligter Offizier hatte er darüber hinaus auch Weisungsbefugnis über die gesamte Mission.

Während seiner Abwesenheit führte sein Erster Offizier Lieutenant Commander Darko Kovac das Kommando über die JUPITER.

Die Fähren JUPITER L-2 und JUPITER L-3 wurden Ortungsoffizier Lieutenant Ferdinand Massarov sowie von Dr. Venus Sigurvinson, der Schiffsärztin an Bord der JUPITER befehligt.

Jede der Fähren bekam ein bestimmtes Areal zugeordnet. Die Koordinierung lief über Van Doren.

Nicht alle der ursprünglich aufgezeichneten Signaturen von Energiezellen konnten auch wieder gefunden werden.

Die JUPITER L-1 unter Van Doren landete als erste der beteiligten Einheiten.

Der Landeplatz war eine Ebene.

Die JUPITER L-1 setzte auf der eisigen Oberfläche auf. Van Doren und die anderen an diesem Einsatz beteiligten Mitglieder seiner Crew schlossen ihre Druckanzüge.

Lediglich zwei der Männer waren mit den neuen Kampfanzügen ausgerüstet, die derzeit bei den Marines des Space Army Corps noch Mangelware waren.

„Ich habe mich schon ziemlich an diese Dinger gewöhnt!“, behauptete Sergeant Lars Erixon, der Kommandant der Marines-Einheit an Bord der JUPITER. „Es war allerdings nicht so einfach. Wenn man die Servoverstärkung nicht richtig beherrscht, kann man eine Menge kaputtmachen. Mein Counterpart auf der STERNENKRIEGER verflucht die Einführung dieser Anzüge regelrecht.“

„Commander Reilly und ich sind uns darin einig, dass sie so oft wie möglich zum Einsatz kommen sollten, Sergeant“, erklärte Van Doren. „Schon aus Sicherheitsgründen. In einem richtigen Gefechtseinsatz müssen Sie den Anzug blind beherrschen.“

„Ich weiß. Und im Gegensatz zu den herkömmlichen Raumanzügen mit leichterer Panzerung, mit denen wir bisher auf Planeten operiert haben, die nicht der Erdnorm entsprachen, sind wir darin so sicher wie in Abrahams Schoß! In den Tests schaffte es selbst ein Industrie-Laserschneidbrenner erst nach mehreren Minuten, die Panzerung zu durchdringen!“

Die beiden Marines in den schweren Kampfanzügen nahmen ihre Gauss-Gewehre in den Anschlag und passierten als erste die Schleuse.

Wie alle anderen Mitglieder des Außenteams waren sie zusätzlich noch mit Nadlerpistolen bewaffnet.

Nachdem die Marines das Signal gegeben hatten, dass alles in Ordnung wäre, folgten auch die anderen Teammitglieder. Lediglich Paula McMannaman, die Pilotin der Fähre, blieb zurück.

Der Anblick des aufgehenden Blauen Riesen war überwältigend und selbst Van Doren hielt einen Moment inne.

Auf der hellblauen, an den Neptun erinnernden Oberfläche von Blue Eye waren feine Strukturen zu sehen. Verwirbelungen in der Blue Eye-Atmosphäre. Tiefdruckgebiete, die größer als ein ganzer Planet waren und sich wahrscheinlich über Jahrtausende hielten. Ismet Smith, ein junger Fähnrich, der an dieser Mission teilnahm meldete den Empfang der Energiezellen-Signatur auf seinem Ortungsgerät.

„Folgen wir diesen Signalen“, befahl Van Doren.

„Ihr Ursprung liegt hier ganz in der Nähe“, meinte Ismet Smith. „Es können jetzt noch ein paar Dutzend Meter sein.“

Methanregen setzte ein. Besonders große, dicke Tropfen fielen vom Himmel und boten einen faszinierenden Anblick. Alles schien auf dieser Welt in Zeitlupe zu verlaufen. Zumindest konnte man diesen Eindruck gewinnen, wenn man den Tropfen dabei zusah, wie sie sanft zu Boden sanken.

Van Doren und sein Team erreichten einen Ort, an dem mehrere tote Yeti-Riesen auf dem hartgefrorenen Boden verstreut herumlagen. Die Überreste zerstörter primitiver Behausungen, die offenbar aus den Überresten ihrer Jagdbeute gefertigt worden waren, wiesen Brandspuren auf.

„Was ist hier geschehen?“, murmelte Van Doren vor sich hin, aber seine Worte wurden an alle Mitglieder der L1-Crew übertragen.

„Für mich sieht das nach einem Massaker aus!“, stellte Sergeant Erixon fest. „Allerdings glaube ich nicht, dass diejenigen, die dafür verantwortlich sind, noch in der Nähe sind.“

„Und wie kommen Sie zu dieser Ansicht, Sergeant?“, hakte Van Doren nach.

Erixon deutete mit dem Lauf seines Gauss-Gewehrs auf eine Fläche in der Nähe des Lagers, die ein kreisförmiges Muster im Eis zeigte.

„Das sieht mir wie der Landeplatz eines Schwebers aus!“

Fähnrich Smith beugte sich zu einem der toten Yeti-Riesen hinunter und richtete den Scanner auf den in der Kälte erstarrten Körper.

„Die Körper sind von Mikroben durchsetzt“, erklärte Smith. „Allerdings handelt es sich dabei um Mikroorganismen, die auf das Überleben in kalten, Sauerstoffarmer Umgebung ausgerichtet sind.“

„Das bedeutet, dass was wir unter irdischen Bedingungen Verwesung nennen würden, läuft hier in einem viel langsameren Tempo ab!“, schloss Van Doren.

Ismet Smith nickte.

„Ja, Captain.“

„Könnte man feststellen, wie lange es her ist, dass diese Riesen umgebracht wurden?“

„Uns liegen natürlich keine Vergleichsdaten über das Tempo des Mikrobenbefalls der hiesigen Fauna vor“, erwiderte Smith. „Außerdem gibt es eine gewisse Unsicherheit, die dadurch bedingt ist, dass die chemischen Prozesse, die hie ablaufen wohl so gut wie nichts mit dem Verwesungsprozess zu tun haben, wie wir ihn kennen...“

„Aber den Rahmen, Fähnrich!“

Fähnrich Smith schien etwas in sich gekehrt dreinzublicken. Aber das täuschte. In Wahrheit erschienen die Berechnungsdaten seines Armbandrechners auf der Innenseite des Helmvisiers, das als Display diente.

„Etwa zwei Wochen“, meinte er.

„Das ist genau der Zeitzpunkt, als die Cambridge ihre letzte Botschaft abschickte“, stellte Van Doren fest. Es würde also passen!, setzte er noch in Gedanken hinzu.

In diesem Moment meldete sich Crewman Alain Butthar über Helmfunk zu Wort. Er hatte den Ursprung der Energiezellensignatur entdeckt.

Van Doren, Smith und Erixon näherten sich dem Objekt, das Butthar gerade abscannte.

Nur an einer Ecke war noch erkennbar, dass es sich mal um eine Space Army Corps Rettungskapsel gehandelt hatte. Dort befand sich die intakte Energiezelle, deren Signatur aus dem Orbit hatte angemessen werden können. Der Rest war zusammengeschmolzen. Weder von dem Insassen der Kapsel, noch vom Sandströmsender oder dem konventionellen Peilsender war mehr geblieben als ein Gemisch aus Metal, Plastik und undefinierbaren organischen Anteilen, wie die Scan-Ergebnisse ergaben.

Da war jemand sehr gründlich!, ging es Van Doren düster durch den Kopf.

4

Die Raumfähre STERNENKRIEGER L-3 setzte auf einem kanzelähnlichen Vorsprung am Hang eines Eisvulkans auf. Offenbar war es hier zu Abbrüchen gekommen, die das Relief im Laufe der Zeit verändert hatten und für die bizarren, sehr scharfen Formen verantwortlich waren.

Das sprach dafür, dass dieser Eisvulkan – im Gegensatz zu vielen anderen – seit langer Zeit schon kein Ammoniakwasser mehr gespuckt hatte, denn beim Erkalten dieser aus Reservoiren im Inneren des Planeten herausschießenden Fluten wurden normalerweise weiche Formen gebildet.

Sergeant Saul Darren ging zusammen dem Marine Jason Tantor zuerst ins Freie.

Tantor trug einen der beiden neuen Kampfanzüge. Der zweite wurde gegenwärtig von Corporal Fritz Gallego getragen, der zum Team der STERNENKRIEGER L-2 unter Lieutenant Wu gehörte.

Saul Darren trug seinen herkömmlichen, durch Panzer-Protektoren verstärkten Raumanzug, wie er bisher bei den Marines des Space Army Corps üblich gewesen war.

Der Gedanke daran, sich mit der Bedienung des neuen Anzugs früher oder später vertraut machen zu müssen, gefiel ihm noch immer nicht. Aber es war ihm natürlich klar, dass es keinen Sinn hatte, sich lange dagegen zu sträuben, wenn er weiter in seinem Job bleiben wollte.

Lieutenant Commander Thorbjörn Soldo und Bruder Padraig passierten als nächste die Schleusen. Schließlich folgte noch Dr. Miles Rollins, der Schiffsarzt der STERNENKRIEGER, sowie Fähnrich Robert Ukasi, der auf diese Weise zu seinem ersten Einsatz bei einer Landemission kam.

Von den anderen Fähren waren deprimierende Nachrichten eingetroffen.

Sämtliche Rettungskapseln, die bis jetzt gefunden worden waren, hatte ein unbekannter Aggressor mit Hilfe einer wahrscheinlich laserähnlichen Energieeinwirkung mehr oder minder zerschmolzen. Die Insassen waren dadurch getötet und die Peilsender ausgeschaltet worden.

Acht solcher Meldungen waren inzwischen eingegangen und es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, dass sich diese Zahl noch erhöhte.

„Dafür kann es eigentlich nur eine Erklärung geben“, war Soldo überzeugt. „Die Aggressoren, die zuerst die CAMBRIDGE angegriffen und zerstört haben, waren hinterher darauf aus, auch die Peilsender der Rettungskapseln auszuschalten und die Insassen zu töten!“, glaubte Soldo.

„Danach sieht es tatsächlich aus“, gab Bruder Padraig zu. Sie erreichten jetzt eine von fast zwanzig Positionen, wo zumindest zeitweise die Signatur einer Energiezelle hatte angemessen werden können.

Die Rettungskapsel, die sich hier fand, war auf ähnliche Weise behandelt worden, wie jene, die Commander Van Doren und seine Gruppe gefunden hatten.

Auch hier war die Kapsel teilweise zerschmolzen worden.

Aber es gab einen Unterschied zu allen anderen.

„Die Ausstiegsluke ist geöffnet gewesen, als man auf die Kapsel gezielt und die Sender der Kapsel zerstörte!“, stellte Bruder Padraig nach einem kurzen Scan fest.

„Soll das heißen, der Insasse wurde da herausgeholt?“, fragte Soldo skeptisch.

Bruder Padraig nickte.

„Meiner Ansicht nach lassen die Spuren, die wir hier finden, nur diesen Schluss zu.“

„Wo ist dann die Leiche?“, fragte Soldo. „Kein Mensch kann die Umweltbedingungen von Thornton länger als ein paar Minuten ertragen, dazu ist es hier viel zu kalt – und die Sauerstoffwerte sind so niedrig, dass ein Mensch bereits nach kurzer Zeit ins Delirium fallen würde!“

„Trotzdem muss es geschehen sein. Hier sind Fußabdrücke im Eis, die höchstwahrscheinlich von einem Stiefel des Space Army Corps stammen!“, stellte nun auch Fähnrich Ukasi fest, der sich etwas umgesehen und seinen Scanner in verschiedene Richtungen geschwenkt hatte.

Auf Soldos Stirn erschien eine tiefe Furche.

Ganz in der Nähe fanden sich Überreste eines Arachnoiden. Erstarrt lag er da. Man hätte ihn auf den ersten Blick für einen Eisbrocken halten können, denn er war über und über mit feinem weißen Staub deckt.

Es handelte sich dabei um winzige Eiskristalle, die durch Erosion von den gefrorenen Massiven des Vulkans im Laufe vieler Jahre abgeschabt worden waren. Die dichte Atmosphäre und die vergleichsweise geringe Anziehungskraft sorgten dafür, dass dieser Staub mit viel Auftrieb über die Ebenen getragen wurde. Um über die Eisvulkanmassive hinüber zu gelangen, reichte der Auftrieb zumindest bei den schweren Teilchen offenbar nicht aus. So wirkten die häufig in Form von Ketten auftretenden Vulkankrater regelrechte Staubfänger. An manchen Hängen – selbst bei Vulkanen, die erst vor kurzem aktiv gewesen waren! – betrug diese Schicht mehrere Zentimeter. Andere waren auf Grund der meteorologischen Bedingungen vollkommen staubfrei.

Dr. Miles Rollins begutachtete den arachnoiden Achtbeiner mit seinem Scanner.

„Es handelt sich um ein Wesen auf Wasser-Basis“, stellte er fest.

„Das bedeutet?“, fragte Soldo.

„Dass es ganz bestimmt nicht von dieser Welt stammen kann!“, erklärte Rollins. „Das Leben hat sich hier in extremer Weise an die Kälte angepasst – und das bedeutet, der Wasseranteil muss so gering wie möglich gehalten werden. Außerdem muss der Organismus Vorkehrungen dafür treffen, dass das vorhandene Wasser nicht gefriert. Es gibt auf der Erde Amphibienarten, deren Körper eine Art Frostschutzkomponente enthielten. Aber bei diesem Arachnoiden ist das alles nicht der Fall.“

Bruder Padraig teilte diese Einschätzung.

„Sehen Sie diese Halsmanschette im Kopfbereich. Das ähnelt sehr stark den Halsmanschetten unserer eigenen Raumanzüge, wie sie noch vor 20 Jahren verwendet wurden.“

„Davon abgesehen sind hier noch ein paar Fetzen, die aus einem Stoff bestehen, der als Raumanzug durchaus tauglich wäre“, lautete Rollins’ Ergänzung. „Übrigens haben die auf diesem Planeten beheimateten Mikroorganismen den Körper des Arachnoiden nicht angerührt.“

„Ein weiteres Argument dafür, dass er nicht von Thornton stammt“, glaubte Bruder Padraig.

Rollins nickte. „Sie sagen es!“

„Es könnte sich um jene Spezies handeln, die die CAMBRIDGE attackierte“, glaubte Soldo. „Die Achtbeiner haben zuerst das Schiff angegriffen und vernichtet und anschließend die Rettungskapseln aufgespürt und dafür gesorgt, dass die Peilsender nicht mehr aktiv waren. Das macht Sinn.“

„Wir müssen herausfinden, wohin die Achtbeiner verschwunden sind“, meinte Soldo. Aber einstweilen müssen wir erst einmal dafür sorgen, dass wir überhaupt wieder einen funktionierenden Überlichtantrieb zur Verfügung haben!, fügte der Erste Offizier der STERNENKRIEGER in Gedanken noch hinzu. Außerdem – wer sagt uns eigentlich, dass die Achtbeiner tatsächlich verschwunden sind?

„Ein Mensch, der aus seiner Rettungskapsel herausgerissen wurde und ein Arachnoide, dem man den Raumanzug und das Sauerstoffaggregat abgenommen hat!“, murmelte Bruder Padraig. „Ich frage mich wirklich, wie das zusammenhängt.“

Robert Ukasi hatte sich inzwischen mit der Rettungskapsel beschäftigt. Sie war weit weniger beschädigt als jene Kapseln, auf die die anderen Außenteams bisher gestoßen waren.

Das Gesicht des Fähnrichs wirkte angestrengt. Er hatte ein Modul an die Außenbeschichtung auf der noch relativ unbeschadeten linken Seite angebracht.

„Ich weiß jetzt, wer sich in dieser Kapsel befunden hat“, erklärte der Fähnrich im Brustton der Überzeugung.

Die anderen Mitglieder des Teams wandten sich daraufhin erstaunt zu Ukasi herum.

„Was sagen Sie da?“, fragte Soldo erstaunt.

„Es ist mir gelungen, ein Teilsystem zu reaktivieren. Sie wissen doch, wenn man in eine solche Rettungskapsel steigt, wird durch einen Iris-Scanner die Identität des Betreffenden ermittelt, damit die Lebenserhaltungssysteme der Kapsel genau auf die persönlichen physiologischen Bedingungen des Betreffenden eingestellt werden können. In diesem Fall wurde der Datensatz von Commander Jay Thornton aktiviert.“

5

Zur gleichen Zeit hatte das Team der JUPITER L-1 um Commander Steven Van Doren inzwischen seine Untersuchungen beinahe abgeschlossen.

Der Methanregen wurde dichter. Die Sicht war jetzt sehr schlecht, zumal sich jetzt auch noch die Wolken sehr tief hingen. Die Anhöhen im Westen waren ebenso in diesen tief hängenden Wolken verschwunden wie die Kette von Vulkankratern im Osten, wo das Team um Lieutenant Commander Thorbjörn Soldo auf die Kapsel von Captain Jay Thornton gestoßen war.

Eine Reihe von Lageberichten war inzwischen bei Van Doren eingegangen.

Die Bilanz war deprimierend.

Insgesamt hatten 26 Rettungskapseln geortet werden können. Manche waren tatsächlich von den erkaltenden Strömen aktiver Eisvulkane begraben worden, so dass man die schwachen Signaturen ihrer Energiezellen erst von der Oberfläche aus hatte orten können.

Wahrscheinlich hatte dieses Schicksal noch weit aus mehr Rettungskapseln ereilt, deren außerordentlich robuste Energiezellen jedoch wohl keine Signaturen mehr aussandten.

Realistischerweise können wir nicht davon ausgehen, auf Thornton noch irgendeinen Überlebenden der CAMBRIDGE-Besatzung zu finden, überlegte Van Doren. Aber andererseits sitzen wir hier ohnehin fest, solange der Überlichtantrieb nicht wieder voll funktionsfähig ist!

„Captain, aus Nordwest nähern sich mehrere Lebensformen!“, meldete Sergeant Lars Erixon über Helmfunk. „Sie werden durch den Infrarotsichtmodus meines Kampfhelm-Visiers kaum abgebildet, deswegen habe ich sie zunächst nicht bemerkt.“

„Ich habe sie auf dem Schirm meines Ortungsgerätes“, sagte Crewman Alain Butthar. „Es handelt sich offenbar um etwa zwei Dutzend dieser Yeti-Monster.“

„Captain, ich schlage vor, wir machen uns aus dem Staub. Schließlich wissen wir nicht, ob diese Zottelyetis nicht etwas ungehalten reagieren, wenn sie uns hier inmitten ihrer toten Artgenossen entdecken!“, schlug Sergeant Erixon vor.

In diesem Moment meldete sich Paula McMannaman, die Pilotin der Landefähre JUPITER L-1 zu Wort. Die Fähre befand sich etwa 500 Meter von Van Dorens gegenwärtigem Standort entfernt.

„Captain, hier Pilotin McMannaman! Einige dieser Yetis haben sich an die Fähre herangeschlichen. Ihr Fell war vollkommen mit hellem Eisstaub bedeckt, sodass sie für die optische Ortung zu gut getarnt waren. Auf dem Infrarotscan sind sie nicht abgebildet worden. Die Temperatur ihres Fells entspricht der Umgebung. Jetzt haben sie das Dach der Fähre erklommen und haben mir einen der Sensor-Scanner abgebrochen.“

„Wie viele sind es?“, fragte Van Doren.

„Mindestens dreißig. Und ich würde ihre Intelligenz nicht unterschätzen. Sie wussten sich nahezu perfekt zu tarnen. Außerdem benutzen sie speerartige Waffen aus einem sehr harten, knochenähnlichen Material. Damit kratzen sie an der Außenhaut herum.“

„Der Rückweg zur Fähre ist also abgeschnitten“, stellte Van Doren fest.

Sergeant Erixon gab den an der Mission beteiligten Marines den Befehl, einen Kreis um die restlichen Crewmitglieder zu bilden.

„Falls diese Wesen sprachbegabt sind, können wir über sie vielleicht Hinweise über diejenigen erhalten, die dieses Massaker angerichtet und wahrscheinlich auch die CAMBRIDGE vernichtet haben!“, meinte Fähnrich Ismet Smith.

Van Doren ging darauf nicht ein.

Stattdessen gab er einen unmissverständlichen Befehl an Erixon und seine Marines.

„Gauss-Gewehre senken! Nehmen Ihre Nadler und schalten Sie den Partikelstrom auf Betäubung!“

„Captain, wer sagt Ihnen, dass unsere Betäubungsgifte bei diesen Kreaturen überhaupt funktionieren!“, wandte Sergeant Erixon ein.

Sein Einwand ist berechtigt, meldete sich eine kritische Stimme in Van Dorens Hinterkopf zu Wort. Die Biochemie der Yetis funktioniert auf völlig andere Weise, es könnte also tatsächlich gut möglich sein, dass die Betäubung ohne Wirkung bleibt.

„Betäubung auf höchste Intensität schalten!“, sagte der Captain der JUPITER daraufhin und nahm den eigenen Nadler von der Magnethalterung an seinem Druckanzug, um ihn entsprechend einzustellen. Das ist der Zwiespalt, in dem du dich jetzt befindest!, raste es derweil durch seine Gedanken. Humanität gegen Effektivität und vielleicht sogar gegen die eigene Sicherheit. Niemand kann vorhersagen, wie diese zotteligen Monster reagieren. Vielleicht lässt sich Kontakt herstellen, und wir erhalten wertvolle Informationen über die geheimnisvollen Aggressoren. Ebenso gut ist es aber auch denkbar, dass sie uns für den Tod ihrer Artgenossen verantwortlich machen und in wahnhafter Wut über uns herfallen!

Van Doren war sich keineswegs sicher, ob er das Richtige tat. Aber er wusste, dass er eine Entscheidung treffen musste und es manchmal sogar besser war, eine falsche Entscheidung zu treffen als gar keine.

Ein dumpfes Grollen erklang durch die Wand aus schmutzigbraunem Dunst, der inzwischen kaum noch etwas vom Licht des Blauen Riesen hindurchschimmern ließ – so dicht war er geworden.

Dicke Methantropfen platschten auf den Boden und bildeten kleine Rinnsaale, die sich zu mäandernden Strömen vereinigte. Diese fingerdicken Ströme nahmen den Eisstaub mit sich, spülten ihn davon und sorgten dafür, dass es für die Mitglieder des Außenteams rutschig unter den Füßen wurde.

Das Grollen ertönte erneut.

Zunächst hatte Van Doren es für ein Donnergrollen gehalten, das immer wieder zu hören war, so fern man die Außenmikros seines Raumanzugs aktiviert hatte.

In der dichten Atmosphäre Thorntons kam es immer wieder zu kräftigen elektrischen Entladungen, gegen die alles, was es auf der Erde in dieser Hinsicht gab, nur wie ein laues Sommergewitter wirkte.

Aber das war kein Donner!, ging es Van Doren durch den Kopf, der gleichzeitig mit den Geräuschen auch einen unangenehmen Druck in der Magengegend gespürt hatte.

Erneut ertönten diesmal grollende, ehr tiefe Laute, diesmal aus mehreren Richtungen.

Der Magendruck verstärkte sich.

Die anderen Crewmitglieder schienen davon auch betroffen zu sein.

Commander Van Doren konnte durch das Helmvisier Crewman Butthars Gesicht sehr gut sehen, der sich gerade zu ihm herum gewandt hatte. Es war aschfahl.

„Das müssen die Auswirkung extrem starker niederfrequenter Schallwellen sein“, keuchte er. „Mit Verlaub, ich könnte mich übergeben, Sir!“

„Versuchen Sie durchzuhalten, Crewman!“

„Ich hoffe, mein Magen hört auf Ihren Befehl, Captain!“

Jetzt tauchten die ersten zotteligen Gestalten aus dem Methandunst auf. Zuerst waren sie nur als dunkle, aber gewaltige Schemen zu erkennen. Dann konnte man auch Einzelheiten ausmachen. Mit ihren gewaltigen Speeren, den sie zumeist mit einer der Hände hielten, die zu einer der beiden kräftigen Extremitäten gehörte.

Drei Hände blieben frei, um mit handgroßen Eiskristallen zu werfen. Manche benutzten dazu auch Schleudern.

Ein erster Regen aus steinharten Eiskristallen ging über den Raumfahrern der JUPITER L-1 nieder. Mehrere Crew-Mitglieder wurden von den Brocken getroffen, aber die leichte Panzerung, mit der diese ausgestattet waren, reichte so eben aus, um schlimmere Schäden zu vermeiden.

„Lassen Sie uns feuern, Captain!“, verlangte Erixon. „Es wäre nicht besonders klug, sie noch näher herankommen zu lassen.“

Aber Van Doren ließ sich nicht beirren. Er wollte Kontakt mit diesen Riesen aufnehmen und sie nicht zu seinen Feinden machen.

„Kein Feuer!“, befahl er. „Sie sollen sehen, dass wir in Frieden gekommen sind und nicht beabsichtigen, sie anzugreifen oder ihnen irgendwie sonst zu schaden!“

„Ich frage mich, ob unsere Zottelfreunde diese Absicht auch verstehen!“, gab Erixon zu bedenken.

„Translatoren auf höchste Empfangsintensität schalten“, befahl Van Doren.

„Ich hoffe nur, dass unser Empfänger diese verdammten Infraschall-Anteile vertragen!“, äußerte Butthar.

„Lassen Sie es darauf ankommen!“, meinte Van Doren.

„Glauben Sie wirklich, dass diese Laute eine Sprache darstellen?“, zweifelte Erixon.

„Ich will es hoffen!“, murmelte der Captain der JUPITER.

6

Die Translatoren der Crewmitglieder zeichneten die Laute der Yetis auf und versuchten, darin Sprachmuster zu erkennen. Je nachdem, wie kompliziert die Sprache der Riesen war, würde es noch ein paar Minuten oder in schweren Fällen sogar Stunden dauern, bis genügend Vokabular aufgezeichnet worden war, um eine Verständigung zu ermöglichen.

Die Riesen stellten ihren Beschuss mit Eiskristallen erst einmal ein. Einer von ihnen, der so laut und mit dermaßen drückenden Infraschallfrequenzen sprach, dass dem halben Außenteam sofort schlecht wurde, ließ eine Folge so lauter Brummlaute folgen, dass damit die Lautäußerungen aller anderen deutlich übertönt wurden.

Das Gespräch unter den Yetis ging hin und her. Leider war alles, was das Translatorsystem davon zu übersetzen vermochte eine sinnlose Aneinanderreihung von Begriffen, von denen wiederum neunzig Prozent Zusammensetzungen von Worten waren, die für einen menschlichen Verstand einfach keinen erkennbaren Sinn ergaben.

Das System war offenbar noch nicht so weit.

Aber hier schien zumindest einer der Riesen jetzt begriffen zu haben, dass die Crew der JUITER L-1 keineswegs darauf aus war, ein Gemetzel zu veranstalten oder ihre Gegner auch nur zu betäuben.

Sie sind noch unschlüssig!, dachte Van Doren. Glücklicherweise scheint der größte Brüller unter diesen Zottelriesen auf unserer Seite zu sein, aber es ist die Frage, ob er sich letztlich wirklich durchsetzen wird.

Der Riese, den Van Doren für sich einfach den großen Brüller nannte, machte ein paar Schritte nach vorn. Dann stampfte er auf, reckte die beiden groben Extremitäten empor, mit deren Händen er jeweils einen Speer trug. Die kleineren, und für eine andere Aufgabe gedachten Arme hielten noch immer ein paar Eiskristalle zum Wurf bereit.

Er traut dem Frieden noch nicht – und wenn ich an seiner Stelle wäre und jemanden in einem zerstörten Camp voller Leichen anträfe, würde ich vielleicht genauso denken...

Der große Brüller stampfte noch einmal auf.

Vielleicht erwartete er jetzt irgendeine Reaktion.

Van Doren wusste nicht so recht, wie er das Verhalten seines Gegenübers zu interpretieren hatte. Ein Königreich für einen Olvanorer-Berater!, ging es ihm durch den Kopf. So musste er wohl auf seine eigene Intuition vertrauen und sich so gut wie es unter den gegebenen Umständen eben möglich war, in die Gedanken des großen Brüllers und seiner Horde einfühlen.

Dieser brüllte jetzt etwas in Richtung von Van Doren und seiner Gruppe. Dabei gestikulierte er wild mit beiden Armpaaren herum.

Aus dem Translator kam noch immer nichts weiter als sinnloses Gestammel.

Die haarigen Riesen näherten sich vorsichtig. Augenblicke lang herrschte Schweigen. Nicht einmal die grollenden Laute der Riesen waren jetzt zu hören.

Was haben sie vor?, dachte Van Doren.

„Wir kommen in Frieden“, sagte der Captain der JUPITER noch einmal. „Und für dieses Massaker sind wir nicht verantwortlich. Im Gegenteil! Wir suchen diejenigen, die es angerichtet haben und brauchen eure Hilfe!“

Van Dorens Worte drangen über den Außenlautsprecher. Das Translatorsystem übersetzte sie in die Laute der Riesen beziehungsweise versuchter es. Was wirklich davon bei der anderen Seite ankam und ob der Translator eine passende Übersetzung gewählt hatte, konnte Van Doren natürlich nicht beurteilen. Normalerweise tat man in diesem Stadium besser daran, sich mit sprachlichen Äußerungen noch zurückzuhalten, bis genügend Sprachmaterial aufgezeichnet worden war. Aber das Risiko etwas Falsches zu sagen erschien Van Doren weniger gravierend als das Risiko gar nichts zu sagen.

Bis auf ein Dutzend Meter kamen die Yetis heran. Sie standen da, ließen den Blick ihrer an einem Fortsatz aus der Schädeldecke herauswachsenden Augen kreisen. Was würdest du jetzt dafür geben, auch nur einen ihrer Gedanken lesen zu können!, durchzuckte es Van Doren. Sie wirken ruhig. Aber wer sagt dir, dass du ihr Verhalten richtig deutest. Vielleicht ist es nur die Ruhe vor dem Sturm.

Der springende Punkt war wohl, ob sie begriffen, dass die menschlichen Besucher nichts mit ihren toten Artgenossen zu tun hatten.

Augenblicke lang hing alles in der Schwebe.

Van Doren entschloss sich dazu den Riesen ein paar Schritte entgegen zu gehen. Den Nadler befestigte er an der Magnethalterung seines Raumanzugs. Vorsichtig stapfte er über das Eis.

„Sir, ich kann Ihnen nur abraten!“, war Erixons schneidende Stimme über Helmfunk zu hören.

„Bleiben Sie in Gefechtsbereitschaft Erixon!“, war Van Dorens überraschend ruhige Antwort. Er steckte dabei seine Hände aus, sodass sein Gegenüber erkennen konnte, dass sie leer waren. Vielleicht versteht man diese universelle Botschaft ja auch hier, hoffte er.

Der brüllende Riese ließ einen leisen, grollenden Laut hören. Ein Geräusch, dass Van Doren an das Brummen der Ionentriebwerke eines Space Army Corps Schiffs in der Aufwärmphase erinnerte.

Der Translator übersetzte diesen Laut lediglich mit einem einzigen Wort.

„Mörder!“

7

Im nächsten Augenblick ging der Angriff los. Die Riesen stürmen blindwütig auf Van Dorens Gruppe zu.

Die ersten Nadlerschüsse wurden abgegeben. Aber das Betäubungsmittel in den verschossenen Projektilen schien die Zotteligen in keiner Weise zu beeindrucken, geschweige denn, dass es eine stoppende Wirkung gehabt hätte. Der große Brüller stürmte los, schleuderte seine Speere und die Eiskristalle in seinem zierlicheren Paar Hände. Mit beidem konnte er kam Schaden anrichten, aber dann griff er nach Fähnrich Ismet Smith und zerfetzte ihn regelrecht. Er riss ihm einen Arm ab. Seine Kraft war so groß, dass das ultrawiderstandsfähige Fasermaterial seines Raumanzugs riss. Blut spritzte in die Höhe. Austretende Atemluft kondensierte. Der Todesschrei des Fähnrichs gellte nur kurz über den Helmfunk. Der Schock des Druck- und Temperaturunterschieds hatte ihn bewusstlos werden lassen, ehe der Riese ihm auch noch den Helm mitsamt Kopf von den Schultern riss.

Sergeant Erixon wartete nicht auf Befehle. Er nahm das Gauss-Gewehr von der Schulter und feuerte. Die Geschosse trafen den Riesen in rascher Folge, rissen daumengroße Löcher und traten auf der anderen Seite wieder aus, wo sie weitere Angreifer niederstreckten.

Der große Brüller fiel wie ein gefällter Baum zu Boden.

„Nadler auf töten einstellen! Die Marines nehmen die Gauss-Gewehre!“, ergriff Erixon die Initiative, denn Commander Van Doren hatte in diesem Augenblick selbst alle Mühe, am Leben zu bleiben.

Einer der Riesen stürzte sich auf ihn, rammte ihm den Speer entgegen, sodass der Captain der JUPITER nur gerade noch auszuweichen vermochte und deckte Van Doren mit einem Hagel aus Eiskristallen ein.

Van Doren taumelte davon, riss derweil den Nadler aus der Magnethalterung und stellte ihn auf töten um.

Er stolperte zu Boden, rollte sich auf dem steinharten Eis herum und feuerte dann zielsicher einen tödlichen Strahl nadelartiger Partikel auf seinen Gegner.

Dieser brüllte auf, diesmal fast eine Oktave höher, als dies der normalen Stimmlage der Yetis entsprach. Der Partikelstrahl hatte eine schreckliche Wunde gerissen. Er taumelte noch einen Schritt vorwärts und krachte anschließend zu Boden.

Van Doren konnte sich gerade noch davonmachen, bevor die gewaltige Kreatur ihn unter sich begrub und zwangsläufig zerquetschte.

Innerhalb weniger Augenblicke war mehr als die Hälfte der Riesen niedergestreckt. Vor allem die Gauss-Gewehre der Marines hatten in dieser Hinsicht ganze Arbeit geleistet.

Die Angreifer schienen einzusehen, dass sie gegen diese Feuerkraft nicht den Hauch einer Chance hatten und dass es auch wenig Sinn machte, weiter dagegen anzurennen.

Die ersten ergriffen die Flucht, weitere folgten ihrem Beispiel.

Van Doren gab den Befehl, das Feuer einzustellen.

Erixon konnte es einfach nicht lassen noch zwei der Yetis auf der Flucht niederzustrecken.

„Haben Sie meinen Befehl nicht gehört, Sergeant!“, blaffte Van Doren ihn an, woraufhin Erixon das Gauss-Gewehr senkte.

„Das habe ich schon gehört, Sir!“, erwiderte er über Helmfunk und die Art und Weise, wie er das Sir betonte, gefiel Van Doren ganz und gar nicht. „Aber ich frage mich, ob Sie vergessen haben, was diese Biester mit Smith angestellt haben!“

„Nein“, murmelte Van Doren. Das werde ich wohl niemals vergessen können, setzte er in Gedanken noch hinzu. Schließlich ist der Fähnrich auf Grund meiner Fehleinschätzung gestorben!

8

Für Ismet Smith konnte niemand mehr etwas tun. Aber einer der Riesen lebte noch. Über Funk beorderte Commander Van Doren jenes Außenteam her, das erstens über einen Arzt verfügte und zweitens am nächsten am Ort des Geschehens war.

In diesem Fall war das die STERNENKRIEGER L-2 unter Lieutenant Commander Thorbjörn Soldo.

Sanft setzte Soldos Fähre ganz in der Nähe auf.

Soldo, Bruder Padraig und Dr. Miles Rollins gingen gleich nach den an Bord befindlichen Marines durch die Schleuse. Als letzter folgte Fähnrich Robert Ukasi.

Van Doren gab einen kurzen Lagebericht und führte Soldo und die anderen zu dem verletzten Riesen.

„Ich weiß nicht, was und ob Sie etwas für ihn tun können, Doktor, aber es wäre schön, wenn Sie es wenigstens probieren könnten!“

„Klappt die Verständigung?“, fragte Rollins.

„Genau das dürfte in diesem Fall das Problem gewesen sein“, knurrte Van Doren düster. Er machte sich inzwischen bittere Vorwürfe. Erixon hatte von Anfang an Recht! Wir hätten diese Monster auf Distanz halten müssen! Wie konnte ich nur davon ausgehen, dass sie mit uns ein Gespräch führen wollten! Was für ein Narr ich gewesen bin!

Van Doren schluckte und versuchte, diese Gedanken so gut es ging zu verdrängen. Wem hilft dieses von Selbstmitleid nur so triefende Gejammer?, meldete sich ein unbarmherziger Kommentator in seinem Hinterkopf, dessen Statement immerhin dafür sorgte, dass sich seine Gemütstemperatur innerhalb weniger Sekunden einigermaßen den Normalwerten näherte. Eins steht jedenfalls fest: Fähnrich Smith nützt das jetzt nichts mehr!

Der Riese brüllte unterdessen und schlug mit einem seiner kräftigen und noch sehr funktionsfähigen Arme in Richtung des Doktors. Aber ein Abstand von zwei Metern reichte vollkommen für einen medizinischen Scan.

„Ich frage ich, wie das Biest sich überhaupt noch rühren kann – mit den Kopfverletzungen!“, staunte Crewman Alain Butthar, der noch ganz unter dem entsetzlichen Eindruck des Geschehens stand.

„Das liegt daran, dass im Kopf dieses Wesens keine lebenswichtigen Organe untergebracht sind“, erklärte Dr. Rollins. „Jedenfalls spricht die Schnelltomographie dafür, auch wenn ich mir bei vielem, was ich hier auf meinem Rechnerdisplay sehe, noch nicht so recht sicher bin, wie ich es zu interpretieren habe.“

Eine Lautfolge entrang sich der einzigen noch funktionsfähigen Essöffnung am Kopf des Riesen. Der Translator war diesmal sogar in der Lage, sie zu übersetzen.

„Warum tut ihr das?“, fragte er. „Was wollt ihr hier?“ Was dann folgte, war erneut eine wirre Folge von Begriffen, die in keinen Zusammenhang zu bringen waren.

„Wir wollen dir helfen“, sagte Rollins und hoffte, dass sein Gegenüber das auch auf die richtige Weise verstand.

„Ihr seid die Helfer der Achtbeiner!“, erwiderte der am Boden liegende Riese. „Was soll ich von euch für Hilfe erwarten!“

„Die Achtbeiner haben auch uns angegriffen und viele von uns getötet“, ergriff jetzt Van Doren das Wort.

„Davon ist hier nichts bekannt.“

„Was weißt du über die Achtbeiner?“

„Ihr seid doch auch Außenweltler. So müsstet ihr doch mehr über sie wissen“, meinte der Riese, woraufhin wieder ein paar Begriffskombinationen folgten, mit denen keiner der menschlichen Zuhörer etwas anzufangen wusste. „Verflucht seid ihr Außenweltler!“, knurrte er. Dann rührte er sich nicht mehr.

Seine Lebensfunktionen waren erloschen.

Kapitel 2: Die Wsssarrr

Der Alleinige wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Zusammen mit dem haarlosen Götterkind hatte man ihn an Bord eines Sternenschiffs gebracht. So viel war ihm klar. Dort waren die beiden Gefangenen in einen vollkommenen kahlen Raum eingesperrt worden.

Das Götterkind – bei dem sich der Alleinige inzwischen keineswegs mehr sicher war, ob diese haarlose Kreatur tatsächlichen göttlichen Ursprungs war oder hier nicht doch eine eklatante Fehleinschätzung vorlag – schien zunächst in einem körperlich sehr schlechten Zustand zu sein. Zusammengekrümmt hatte es in einer Ecke gelegen und sich nicht gerührt.

Zwischendurch waren ein paar der Achtbeiner hereingekommen, um irgendwelche Geräte an ihn anzuschließen. Geräte, deren Funktion der Alleinige nicht kannte. Vielleicht waren es heilige Gegenstände, die bei den Achtbeinern zur Heilung von Krankheiten benutzt wurden. Gesundheitsmaschinen, so geheimnisvoll wie ihre fliegenden Sternenschiffe, von denen die kleineren in die Größeren verschluckt, aber bisweilen auch wieder ausgespieen wurden.

Schließlich erholte sich der Haarlose aber doch. Er begann sich zu bewegen.

Er rührte zunächst die Nahrung nicht an, die die Achtbeiner ihm hingestellt hatten. Lediglich die Flüssigkeit, bei der es sich nicht um Methan handelte, sondern um vollkommen ungenießbares Wasser, wie der Alleinige überrascht feststellte, nahm er zu sich. Erst nach und nach nahm er auch etwas von den Nahrungsmitteln. Der Hunger schien ihn zu übermannen.

Der Alleinige hatte ebenfalls von diesen Nahrungsmitteln probiert. Ihm war davon so schlecht geworden, dass er zwischenzeitlich geglaubt hatte, sterben zu müssen.

Aber die Achtbeiner schienen tatsächlich aus irgendeinem, ihm bislang noch nicht wirklich verständlichen Grund daran interessiert zu sein, dass beide Gefangenen am Leben blieben. Jedenfalls änderten sie die Zusammenstellung der Nahrungsmittel. Der Alleinige bekam ein Granulat, das er als wohlriechend empfand und daher nach einer gewissen Weile auch probierte.

Danach ging es ihm besser.

Noch immer redete der Haarlose ziemlich viel Unsinn. Wörter und Begriffskombinationen, die für den Alleinigen nicht den Hauch eines sinnvollen Zusammenhangs ergaben, sprudelten nur so aus ihm heraus.

Dabei stellte der Alleinige durchaus fest, dass sein Mitgefangener stets zuerst etwas in seiner unerträglich hohen Tonlage von sich gab, was in den Ohren des Alleinigen wie ein schrilles Kreischen klang. Erst danach drangen einigermaßen verständliche Worte aus dem Armband, dass der Fremde am Handgelenk trug.

Wie gut, dass die Achtbeiner es ihm nicht abgenommen haben!, dachte der zottelige Riese.

„Wer bist du eigentlich?“, erkundigte sich der zerbrechlich wirkende Haarlose. Das Götterkind, dessen göttliche Eltern nicht das geringste dagegen hatten tun können, dass die Achtbeiner die Welt mit ihren schwebenden Schiffen heimgesucht hatten.

Der Alleinige starrte sein Gegenüber mit zwei seiner drei Augen wie entgeistert an. Wie lange ist es her, das dich jemand nach deinem Namen gefragt hat!, durchzuckte es seine verwundete Seele. Der Alleinige fühlte sich dadurch, dass ihn das Götterkind auf diese Weise angesprochen hatte, geradezu gerührt. Vor emotionaler Rührung war er Augenblicke lang gar nicht in der Lage, dem Haarlosen zu antworten, so gerne er es auch getan hätte.

Denn unvermittelt tauchte da ein anders Problem auf.

Der Flussbezwinger!, so hätte der Alleinige um ein Haar auf die Frage seines Mitgefangenen geantwortet, aber er konnte dies gerade noch rechtzeitig unterdrücken. Was ist mit deinem neuen Namen?, ging es ihm durch das in Höhe seiner Körpermitte zu lokalisierende Hirn, das insgesamt fast das dreifache Volumen eine Menschenhirns besaß. Du hast niemals wirklich akzeptiert, dass du der Alleinige bist – und nicht mehr der Flussbezwinger, der Sohn des Flussbezwingers und Enkel eines solchen!

Der Kahlköpfige kauerte in der gegenüberliegenden Ecke des Raumes und blickte den Whuuorr erwartungsvoll an. Zumindest war das die Interpretation des Alleinigen, der sich allerdings, was die Gesichtsmimik seines Gegenübers anging, nicht sicher war, wie er diese einzuschätzen hatte. Whuuorr drückten ebenfalls durch verschiedene Stellungen ihrer Essöffnungen Gefühlszustände aus. Dies geschah auch, wenn ein Whuuorr seinen Augenfortsatz auf der Schädeldecke empor streckte oder die Form seiner Essöffnungen dermaßen verzog, dass dabei womöglich eine Grimasse entstand.

„Ich bin der Alleinige“, sagte der Angesprochene schließlich mit einer Verzögerung, die sein Gegenüber wohl zu der Annahme provoziert hatte, dass die andere Seite an einer Fortsetzung des Gesprächs nicht interessiert sei.

Aber das war ein offensichtlicher Irrtum.

Das Gegenteil war der Fall.

„Der Alleinige – das ist wirklich dein Name?“

„Irgend etwas daran auszusetzen?“

„Nein.“

„Wer bist du denn?“

„Mein Name ist Jay Thornton. Und die Spezies, der ich angehöre heißt Mensch.“

„Manches, was du sagst ist für mich unverständlich", bekannte der Alleinige.

„Das geht mir umgekehrt genauso", erwiderte Jay Thornton.

„Bist du ein Kind der Götter", fragte der Alleinige.

„Ich bin weder ein Kind, noch ein Gott", erklärte Jay Thornton. „Ich bin ein Mensch."

„Ein Begriff, mit dem ich nichts anzufangen weiß."

„Wir stammen von einem Planeten, auf dem es sehr viel wärmer ist und die Luft eine andere Zusammensetzung hat."

Jay Thornton atmete tief durch.

Der Luftdruck schien den irdischen Maßstäben in etwa zu entsprechen, aber der Sauerstoffgehalt war vermutlich um einige Prozent höher. Das Atmen fiel ihm daher sehr leicht.

Ich frage mich, wie der Alleinige das wegstecken kann, dachte Thornton. Schließlich herrscht auf seiner Heimatwelt ein erheblich höherer Luftdruck und die Zusammensetzug der Atmosphäre unterscheidet sich vermutlich auch erheblich. Aber die zottelige Spezies der dieses Wesen angehörte, schien außerordentlich robust zu sein, wenn es derartig gravierende Wechsel der Umweltbedingungen offenbar schadlos überstehen konnte.

„Wie hältst du das hier nur aus?“, fragte Jay Thornton. „Schließlich sind die Verhältnisse auf deiner Heimatwelt ganz anders und die wenigen Augenblicke, die ich ohne meine schützende Rettungskapsel auf ihr verbrachte, hätten mich beinahe getötet.“

„Ich bin ein Whuuorr“, sagte der Alleinige. „Und das Volk der Whuuorr wird der Überlieferung nach geschaffen, um die Launen der Götter zu ertragen.“

„Ein interessanter Mythos von der Bestimmung eines Volkes“, meinte Jay Thornton.

Der Whuuorr schien etwas irritiert zu sein.

„Was meinst du damit? Und was ist ein Mythos?“

Thornton machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nicht so wichtig“, meinte er. Er erhob sich. Die Schwerkraftwerte waren geringer als auf der Erde.

Eine Weile herrschte Schweigen.

Dann sagte der Whuuorr: „Du hast recht, Mensch Jay Thornton. Es ist nicht so wichtig. Nichts ist jetzt noch von irgendeiner Bedeutung, da uns die Achtbeiner mit in ihr Reich des Todes genommen haben.“

„Die Achtbeiner sind dir schon einmal begegnet?“, fragte Thornton.

„Ja“, bestätigte der Alleinige. „Sie sind innerhalb der letzten vier Centuwaaar mindestens ein Dutzend Mal auf unserer Welt gelandet.“

„Was versteht man unter einem Centuwaaar?“, hakte Thornton nach.

Er versuchte dabei die Lautfolge so gut wie möglich nachzuahmen, die der Translator als Übersetzung anbot. Bei dem Whuuorr schien das zunächst Irritationen auszulösen. Es dauerte etwas, bis er begriff, dass Thornton eine Erklärung für einen Begriff wünschte, für den es offenbar keine adäquate Übersetzung gab.

Allenfalls die Transponierung in eine andere Tonhöhe!, ging es Thornton sarkastisch durch den Kopf.

Der Alleinige begann dann in einer sehr blumigen Sprache davon zu berichten, in welcher Folge sich am Himmel seiner Heimatwelt der Blaue und der Rote Riese abwechselten, wann sie sich sogar überlappten und wann die Zeit der vollkommenen Finsternis hereinbrach.

Thornton verstand davon nicht viel.

Er begriff aber, dass sich all das auf astronomische Begebenheiten bezog, die am Himmel der Whuuorr-Heimatwelt sichtbar waren und daher bei diesem Volk wohl für die Zeitmessung den Maßstab bildeten.

Aber da der Whuuorr immer wieder mythische Elemente und Bezüge zur Sagenwelt seiner Heimat in seine Erklärungen mit einbezog, mit denen Thornton jedoch nicht das geringste anzufangen wusste, verstand Thornton einfach nicht, was unter einem Centuwaaar zu verstehen war.

Der ehemalige Captain der CAMBRIDGE hatte sogar den Verdacht, dass die Whuuorr sogar möglicherweise gar kein einheitliches, nach einem objektiven Maßstab sich ausrichtendes Zeitmass verwendeten, sondern vielmehr ihre subjektive Empfindung als Richtschnur nahmen.

Jedenfalls gab Thornton es auf, verstehen zu wollen, vor wie langer Zeit genau die Achtbeiner den Mond der Whuuorr zum letzten Mal besucht hatten.

„Was haben die Achtbeiner auf eurer Welt gesucht?“, fragte Thornton.

„Sie suchen immer dasselbe. Die Achtbeiner kommen und entführen einzelne von uns. Wonach sie den Einen auswählen und den Anderen nicht, wissen wir nicht. Für uns sind sie wie die Götter des Todes, die den Einen verschonen und Anderen schon früh zu sich nehmen.“

„Habt ihr eine Ahnung, was mit den Gefangenen geschieht?“

„Es gibt schreckliche Gerüchte darüber. Aber ich weiß nicht, was davon der Wahrheit entspricht. Tatsache ist, dass es nur ein Whuuorr schaffte, aus dem Schiff der Achtbeiner wieder zu entkommen nachdem er gefangen genommen war. Er wurde fortan der Kühne Flüchtling genannt. Seine Geschichte verbreitete sich von Lager zu Lager. Unter den Zelten aus Riesenflosser-Haut lauschte die Whuuorr seine Worten, die an anderen Whuuorr weitergegeben wurden.“

Mit anderen Worten: Niemand weiß noch, wie die ursprüngliche Erzählung eigentlich gelautet hat und vermutlich wurde alles Mögliche hinzuerfunden!, dachte Thornton.

„Was wird denn in diese Legender des Kühnen Flüchtlings berichtet?“, fragte der ehemalige Captain der CAMBRIDGE aber dennoch.

„Er berichtete davon, dass sich in dem Schiff noch Angehörige anderer Rassen befunden hätten. Wesen von anderen Welten, so glaubte er, denn er hatte solche Kreaturen bis dahin nicht gesehen. Es waren wohl Außenweltler.“

„Dann landen diese Achtbeiner offenbar auf verschiedenen Welten und fangen ein paar Eingeborene ein – aber wozu?“

„Das weiß niemand.“

Der Alleinige erhob sich. Er fasste sich an den Bauch. Thornton assoziierte diese Geste sofort damit, dass dem Whuuorr vielleicht übel war, weil er auf seine gewohnte Nahrung verzichten musste. Schließlich war es angesichts der herrschenden Temperatur, die Jay Thornton auf mindestens 15 Grad Celsius schätzte, unmöglich, dem gefangene Whuuorr flüssiges Methan zu trinken zu geben. Welchen Einfluss es auf seinen Metabolismus hatte, dass er darauf verzichten musste, darüber konnte Thornton nur spekulieren.

Er wusste jedoch nicht, dass sich in der zentralen Körperregion des Alleinigen nicht sein Verdauungstrakt, sondern das Gehirn befand.

„Was ist los?“, fragte Thornton, denn er spürte, dass etwa mit dem Whuuorr nicht stimmte.

„All diese Farben“, sagte er. „Es ist so seltsam...“ Ein Schwall von Begriffen folgte, die Thornton nicht einzuordnen wusste und die für ihn auch keinerlei Zusammenhang ergaben. Mit erheblicher zeitlicher Verzögerung gab das in seinen Armbandkommunikator integrierte Translatorsystem dann mit einer Wahrscheinlichkeit von über 70 Prozent an, dass es sich um die Bezeichnungen für verschiedene, sehr fein zu unterscheidende Farbnuancen handelte.

Schließlich schwieg der Whuuorr.

Er trommelte mit den prankenartigen Händen seines kräftigen Extremitätenpaar gegen die Wand und stieß einen so tiefen Laut aus, dass nun Thornton sich seinerseits in die Magengegend griff. Das Gefühl erinnerte vage an das Empfinden, das man hatte, wenn man neben einem gewaltigen Basslautsprecher stand, der auf volle Leistungsstärke geschaltet war. Nur fehlten in diesem Ton jegliche Höhen und die Wirkung war noch sehr viel stärker.

„Wenn du so laut brüllst, ist das für mich wie ein Schlag in den Magen!“, meinte Thornton und schalt sich gleich darauf einen Narren. Wie hatte er davon ausgehen können, dass der Alleinige wusste, was ein Magen war, geschweige denn, dass er selbst ein vergleichbares Organ besaß?

Aber der zottelige Whuuorr hörte ihn wohl auch schon gar nicht mehr.

Er rutschte an der Wand zu Boden und blieb liegen.

Offenbar gab es unsichtbar in den Wänden eingelassene Überwachungskameras, über die die Achtbeiner genau verfolgen konnten, was ihre Gefangenen taten.

Jedenfalls ging wenig später eine Schiebetür auf und zwei Achtbeiner kamen herein. Ein dritter quetschte sich an ihnen vorbei in den kahlen Raum und richtete eine Waffe auf Jay Thornton.

Die anderen beiden Arachnoiden transportierten den Whuuorr mit Hilfe eines Antigravaggregats ab. Wenig später hatten alle den Raum verlassen und Jay Thornton blieb allein zurück.

Die Gesellschaft dieses Whuuorr war sicherlich besser als gar keine!, ging es ihm durch den Kopf. Zumal es in seiner Zelle – anders konnte man diesen kahlen Raum einfach nicht bezeichnen – keinen Wechsel zwischen hell und dunkel oder irgendeine andere erkennbare Veränderung gab.

Das Licht brannte ständig in derselben Intensität.

Die interne Uhr seines Kommunikators funktionierte nicht mehr. Dasselbe galt für alle Kommunikationsfunktionen des Gerätes. Lediglich das Translatorsystem arbeitete wie gewohnt. Alle anderen Programmspeicher waren komplett gelöscht worden. Thornton war überrascht, wie viel Mühe man sich damit gegeben hatte. Einerseits wollte man wohl die Kommunikationsmöglichkeit mit Thornton erhalten, ihm aber andererseits verwehren, mit irgendwem innerhalb oder außerhalb des Schiffs Kontakt aufzunehmen.

Auf jeden Fall ist ihr technisches Niveau durchaus beachtlich!, dachte Thornton. Aber das hat sich ja auch schon auf anderem Gebiet gezeigt, als sie uns in der Nähe von Blue Eye überfielen und mein Schiff zerstörten.

1

An Bord der JUPITER, Raum des Captains

––––––––


Ich musste eine Entscheidung treffen, dachte Steven Van Doren. Und wenn man Entscheidungen trifft, muss man immer auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass man den falschen Weg gewählt hat...

Van Doren saß gedankenverloren am Konferenztisch. Der in die Tischoberfläche eingelassene Touchscreen war aktiviert, mehrere Sensorfelder blinkten auf. Es gab ein paar Eingabeaufforderungen, die der Captain der JUPITER bislang noch nicht beantwortet hatte.

Ein Becher mit einem koffeinhaltigen Light-Synthodrink stand neben dem Touchscreen. Eigentlich wurde dieses Getränk heiß getrunken. Es war inzwischen längst kalt geworden. Als Van Doren den Becher zum Mund führte, verzog er das Gesicht. Das Getränk war längst kalt.

Das Interkom summte und riss Van Doren damit aus seinen Gedanken.

Lieutenant Commander Darko Kovac meldete sich. Das kantige Gesicht des Ersten Offiziers erschien auf dem Wandbildschirm.

„Was gibt es, I.O.?“

„Die L-3 ist soeben in den Hangar eingeflogen“, berichtete Kovac. „Damit sind nun sämtliche Außenteams sowohl der JUPITER als auch der STERNENKRIEGER zurückgekehrt. Leider ohne das gewünschte Ergebnis.“

„Danke, I.O.. Wie ist der Status der Sandströmaggregate?“

„Lieutenant Aldosari versicherte mir, dass wir wahrscheinlich in ein oder zwei Standard-Tagen wieder Überlichtflüge unternehmen können.“

„Und was ist mit der STERNENKRIEGER?“

„Die sind angeblich etwas schneller so weit.“

„So?“

„Offenbar hat L.I. Gorescu einen ziemlich tüchtigen weiblichen Fähnrich an Bord.“

„Catherine White?“

„Ja, Sir.“

„Ich hätte sie selbst gerne für die JUPITER gehabt, aber was Personalsachen angeht, hat sich Raimondo so gut wie in jedem Detail durchgesetzt. Und er wollte es nun einmal so, wie es nun ist.“

„Fähnrich White wird zusammen mit Fähnrich Ukasi in kürze per Fähre zu uns übersetzen, um auch unser System zu optimieren. Dieser Ukasi scheint ein kleines Mathe-Genie zu sein, und genau so einen brauchen wir bei der Systemkonfiguration der Sandströmaggregate.“

Van Doren hob die Augenbrauen.

„Ich hoffe, Sie haben das mit unserem L.I. abgesprochen.“

„Ich möchte nicht behaupten, dass Mister Aldosari begeistert davon war, sich von einem Fähnrich ein paar Tricks zeigen zu lassen – andererseits sehe ich nicht ein, dass wir darauf verzichten sollten.“

„Sie haben recht, I.O.. Andererseits...“

„Sir?“, fragte Darko Kovac, als Van Doren zunächst nicht weiter sprach und sich in seinen Gedanken zu verlieren schien.

Ein Ruck ging durch den Captain der JUPITER. Lass dich nicht hängen! Da, was du für moralische Skrupel hältst, ist doch zu einem guten Teil nur Selbstmitleid! Hör auf damit oder gib dein Kommando ab!

Die Unbarmherzigkeit mit der dieser innere Kommentator ihn analysierte, erschrak Van Doren im ersten Moment. Aber er erkannte sofort, dass es nichts als die blanke Wahrheit war, was diese Stimme ihm einflüsterte.

„Nichts, I.O. Van Doren Ende.“

Wenig später stellte Van Doren eine Verbindung zur STERNENKRIEGER her und sprach mit Willard Reilly.

„Wir müssen versuchen, die Heimat dieser Achtbeiner zu finden“, meinte Reilly. „Sie haben die CAMBRIDGE zerstört und schon allein deswegen sollten wir uns für sie interessieren.“

„Du glaubst, dass da eine Gefahr für die Humanen Welten heranreift?“

„Tatsache ist, das jemand, der über Strahlwaffen verfügt und ein Raumschiff wie die CAMBRIDGE zu zerstören vermag, weit über dem Standard aller anderen intelligenten Spezies steht, die wir bisher im Niemandsland angetroffen haben, Steven.“

2

Der Alleinige sah Myriaden bunter Farben und Formen vor sich. Jedes seiner drei Augen sah etwas anderes. Und die drei getrennten Verarbeitungszentren in seinem Bauchhirn versuchten verzweifelt, diese fremdartigen Eindrücke miteinander zu einem Gesamtbild zu kombinieren. Der Alleinige war vollkommen verwirrt.

Er vermochte nicht mehr, sich zu orientieren.

Gerade noch war er von den Achtbeinern mitgenommen worden.

Auch das hatte er nur noch vage mitbekommen.

Jetzt hatte er das Gefühl, vollkommen aus der Wirklichkeit herausgerissen worden zu sein. Sein Gleichgewichtssinn funktionierte nicht mehr. Er glaubte, zu fallen, in ein bodenloses Chaos hineinzustürzen.

Ihr Götter, ist das die flüssige Hölle unter den Vulkanen, die uns in den Legenden ausgemalt wird?, fragte er sich.

Wie aus weiter Ferne hörte er die unangenehmen schrillen Laute der Achtbeiner, deren Bedeutung ihm natürlich vollkommen fremd war.

Was geschieht mit mir?, ging es ihm durch das Bauchhirn. Und in diesem Moment bedauerte er, nicht einfach im Kampf gegen die aggressiven Sternfahrer gefallen zu sein.

Und das, obwohl es niemanden gab, der eine Legende über ihn hätte erzählen können.

Schließlich war er – der Alleinige.

3

Fünf seiner acht Beine gaben Kadlon-213 einen festen Stand, während er die verbleibenden Extremitäten dazu benutzte, seine Arbeit zu tun.

Am Ende aller acht Beine befanden sich feinste Greiforgane. Kadlon-213 war der medizinische Offizier jenes Schiffs, das den Namen seiner Einheit trug – KADLON.

Arme und Beine des zotteligen Riesen waren fixiert, sodass er nicht plötzlich um sich schlagen konnte.

Die Betäubungsgifte, deren Anwendung bei den Angehörigen der Hirnfänger-Schwadron aus dem Volk der Wsssarrr üblich war, wirkten bei diesen haarigen Kreaturen nicht.

Das hatte sich in der Vergangenheit immer wieder erwiesen. Es war allenfalls möglich, diese Wesen mit einem Elektroschock kurzzeitig außer Gefecht zu setzen. Aber in dieser Hinsicht waren die Angehörigen der Hirnfänger-Schwadron aus dem Volk der Wsssarrr sehr vorsichtig. Schließlich wusste niemand genau vorherzusagen, wie das Bauchhirn des Riesen darauf reagieren würde und ob es nach einem solchen Schlag nicht zu irreparablen Schäden kam. Schäden, die es vielleicht unmöglich machten, das Gehirn der betreffenden Kreatur für die Zeremonien zu verwenden.

„Sauerstoff-Filter!“, befahl Kadlon-213. Der zweite Assistent des medizinischen Offiziers der KADLON reichte seinem Vorgesetzten, das, was dieser verlangte und übergab es mit einer Haltung, die besondere Vorsicht und Aufmerksamkeit signalisierte. Dabei stand der betreffende Wsssarrr auf nur drei Beinen und spreizte zwei weitere vom Körper weg.

Kadlon-213 nahm dem Hilfsassistenten, der keine LI Rangstufe besaß und daher lediglich mit seiner Funktion angeredet wurde, die Filtermaske aus den vielfingrigen Greiforganen.

„Wir haben nur eine Standardmaske, die für die meisten Wesen mit ähnlicher Körperform passt“, meinte der Assistent. „Das Problem bei diesen Zotteltieren ist ja immer, dass sie inklusive ihrer Essöffnungen mehrere Eingänge haben, durch sie die Atemluft aufnehmen.“

„Warum ist der spezielle Typ für die Whuuorr nicht dabei?“, fauchte der medizinische Offizier.

„Der Standardtyp soll die Spezialanfertigungen ersetzen!“, berichtete der erste Assistent. „Das ist effektiver.“

„Es ist schlechter“, meinte Kadlon-213. „Hat man den Ranghöchsten des Schiffes darüber informiert?“

„Der Ranghöchste weiß bescheid und hat gegenüber dem Rat der Meisterhirne sein Einverständnis erklärt“, gab der Assistent zurück.

„Dann hätte er zuerst mit mir kommunizieren sollen!“, knurrte Kadlon-213. Dann legte er dem Whuuorr die Maske an. Es war die Frage, ob sie wirklich genug Sauerstoff herausfilterte, um die Bewusstseinstrübungen und Halluzinationen, unter denen der Gefangene litt, zu beenden. Es war keineswegs ein Akt des Mitgefühls, den Kadlon-213 da vollzog. Die Leiden, die der Gefangene wahrscheinlich auszustehen hatte, wenn er Opfer seiner, durch einen für ihn zu hohen Sauerstoffanteil, Wahnvorstellungen wurde. Vielmehr war es die Aufgabe des medizinischen Offiziers sich – auch vorbeugend – um die Gesundheit seiner Schiffsbesatzung zu kümmern und ein Whuuorr konnte im hyperaeroben Zustand einer Sauerstoffüberversorgung zu einer ernsthaften Gefahr werden. Er hatte schon bei anderen Hirnfänger-Einsätzen erlebt, wie diese Giganten dann um sich schlagen und herumtoben konnten. Sie gingen dann offenbar gegen imaginäre Gegner vor und nahmen keinerlei Rücksicht auf ihre eigene Sicherheit. Mit Argumenten konnte man ihnen dann nicht mehr kommen, die Medikamente der Wsssarrr waren nur bedingt wirksam und ein Elektroschock beinhaltete immer die Gefahr von Nebenwirkungen für das wertvolle Hirn, dessentwegen man ja überhaupt auf Fangfahrt gegangen war.

Der Whuuorr versuchte verzweifelt, die Fixierungen, mit denen er auf eine Liege gefesselt war, zu sprengen.

Vergebens.

Die Wsssarrr hatten vorgesorgt.

Die Hirne von Whuuorr waren besonders beliebt für die Zeremonien auf Wsssarrr-Ta, der gegenwärtigen Heimatwelt der Wsssarrr, und so hatte man gerade im Umgang mit dieser Spezies einiges an Erfahrung. Immer wieder waren Hirnfänger-Schiffe nach Methanwasser geflogen, wie die Bezeichnung der Wsssarrr für die Heimat der Whuuorr lautete, und waren später mit reicher und zumeist noch lebender Beute zurückgekehrt. Wenn man auf Fang dieser besonderen Spezies ging, so musste man einen hohen Verlustfaktor mit einrechnen, da sie oft eine geradezu fanatische Gegenwehr zeigten. Viele starben im Kampf.

„Jetzt müssen wir einfach abwarten, ob die Maske den gewünschten Erfolg hat“, meinte Kadlon-213. Das Licht spiegelte sich in dem guten Dutzend Augen, das sich oberhalb seiner Beißwerkzeuge befand, die er jetzt vor Zorn aneinander rieb. Diese Bürokraten!, dachte der medizinische Offizier der KADLON ärgerlich. Nehmen uns unter dem Vorwand größerer Effektivität das Handwerkszeug weg und lassen uns dann zusehen, wie wir Whuuorr nach Wsssarrr-Ta bringen, die keine Schäden durch Sauerstoffüberschuss aufweisen! Aber ich wette, dass keiner dieser Entscheidungsträger weiß, was es wirklich bedeutet, auf Hirnjagd zu gehen!

Das, was Kadlon-213 allerdings am meisten ärgerte, war die Tatsache, dass der Ranghöchste der KADLON davon gewusst und nicht protestiert hatte.

„Ich schlage vor, dem Whuuorr auch noch ein Übersetzungsmodul um den Hals zu schweißen, damit er unsere Befehle versteht“, schlug der Zweite Assistent vor, der sich noch nicht das Recht verdient hatte, eine Individualnummer zu tragen.

Der medizinische Offizier war damit einverstanden.

„In Ordnung“, sagte Kadlon-213.

Die in der Hirnfänger-Flotte geltenden Effektivitätsgrundsätze, nach der sich sämtliche Flottenoffiziere ausnahmslos zu richten hatten, sahen vor, dass nach Möglichkeit die Translatoren gefangener Kreaturen weiter zu verwenden waren. Sie wurden dann allerdings so modifiziert, dass sie weder als Waffe, noch als Fluchtwerkzeug zu verwenden waren.

Bei Angehörigen vortechnischer Kulturen, auf deren Herkunftsplaneten es noch keine oder nur unzulängliche Übersetzungsgeräte gab, war diese Vorgehensweise natürlich nicht möglich.

Für diese Fälle gab es einfache Universalübersetzer.

„Ich werde jetzt zum Ranghöchsten gehen“, erklärte Kadlon-213. „Ich nehme an, dass die Anwesenden hier allein zurecht kommen.“

„Wenn wir den Rat des medizinischen Offiziers benötigen, werden wir kommunizieren“, versprach der Erste Assistent.

„Vergesst die Injektion zur Methan-Substitution nicht! Schließlich können wir dem Haarigen weder flüssiges Methan zu trinken geben, noch hätten wir an Bord überhaupt einen Raum, der dafür kalt genug wäre!“

Nicht einmal auf die Kühlkammer der KADLON traf das zu.

Aber nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen hatten die Wsssarrr eine Möglichkeit gefunden, das für den Metabolismus des Whuuorr so wichtige Methan durch Zugabe eines speziellen Präparats zu ersetzen, dessen Lagerhaltung einfach weniger Aufwand nötig machte, als die Aufbewahrung von flüssigem Methan.

Die gefangenen Whuuorr lebten mit diesem Präparat immerhin zumeist lange genug, dass sie für die Zeremonien auf Msssaer-Ta noch verwendet werden konnten. Und Nebenwirkungen für die Hirnqualität hatten sich bisher nicht nachweisen lassen, auch wenn es auf Wsssarrr-Ta immer einflussreicher werdende Kreise gab, die im Namen der Nahrungsmittelreinheit für eine generelles Verbot von Zusatzstoffen an die Hirnspender waren.

Kadlon-213 ruderte mit den vorderen beiden Extremitätenpaaren. Eine Geste der Autorität, die nur jemandem zustand, der schon eine Nummer war und die beiden Assistenten dazu ermahnen sollte, ihre Sache gut zu machen. „Die Qualität des Whuuorr Hirns kann von eurer Achtsamkeit abhängen“, gab der medizinische Offizier zu bedenken, ehe er mit seinen acht Beinen auf elegante Weise eine Drehung des gesamten Körpers herbeiführte und schließlich durch die sich selbsttätig öffnende Tür verschwand.

4

Die Tür öffnete sich. Jay Thornton blickte auf. Es war so lange her, dass irgendetwas geschehen war...

Zwei Arachnoiden schleuderten eine etwa mannshohe Gestalt in den Raum hinein. Dass es nicht sein haariger Leidensgenosse war, sah Jay Thornton natürlich auf den ersten Blick.

Ein zischender Laut entfuhr dem Schnabel des Fremden, nachdem er gegen die Wand geprallt war.

Der Fremde ähnelte irdischen Vögeln, hatte etwa eine Größe von einem Meter achtzig und nach hinten geknickte Beine, die ihn klauenartigen Füßen endeten. Der Kopf war kahl und erinnerte an einen Geier. Falkenhafte Augen blitzen über dem gebogenen Raubtierschnabel.

Der Vogelartige trug einen Overall, auf dessen Stoff eine Reihe von Symbolen aufgedruckt war. Thornton fühlte sich unwillkürlich an eine Uniform erinnert. Die verschnörkelten Zeichen in Brusthöhe wirkten wie die Namens- und Rangbezeichnung irdischer Uniformen. Thornton bedauerte, dass er nicht in der Lage war, diese Zeichen zu entziffern.

Binnen eines Augenblicks hatte sich der Vogelartige wieder aufgerichtet. Erneut entfuhr ein wütender Zischlaut seinem Schnabel, aber ehe er sich auf die arachnoiden Schergen zu stürzen vermochte, die ihn hierher gebracht hatten, hatte sich die Schiebetür bereits vor ihm geschlossen. Er besaß keine Flügel, sondern zwei kräftige Arme, die in Krallen bewehrten Pranken endeten. Mit einer davon schlug er mit voller Wucht gegen die Tür.

Um den Hals trug er einen goldfarbenen, breiten Ring, von dem sich der Vogelartige erfolglos zu befreien versuchte. Er stieß ein paar krächzende Laute aus, die der goldene Ring um seinen Hals offenbar in die Sprache der Arachnoiden übersetzte. Es schien sich um ein Übersetzungsgerät zu handeln. Dafür sprach jedenfalls die Tatsache, dass aus einem darin verborgenen Lautsprecher ein Konzert aus ähnlich schrillen Lauten ertönte, wie sie die Arachnoiden zur Verständigung benutzten – und zwar immer dann, sobald der Vogelartige irgendeine Äußerung von sich gab.

Schließlich erlahmte der Widerstandswille dieses Wesens. Der Vogelartige ließ sich in einer Ecke nieder und beobachtete Jay Thornton mit einem sehr intensiven, geradezu stechend wirkenden Blick.

Er sagte etwas, aber noch war Thorntons Translator nicht in der Lage, die Worte dieses Wesens zu übersetzen.

Aber die Anzeige auf dem Display seines Armbandkommunikators, in den das Translatorsystem integriert war, machte Jay Thornton klar, dass das Gerät an dem bestehenden Kommunikationsproblem arbeitete. Die Voraussetzung dafür war jetzt einfach, dass er mit dem Vogelartigen in Kontakt trat.

„Mein Name ist Jay Thornton, ich bin – nein ich war – Captain des Zerstörers CAMBRIDGE im Dienst des Space Army Corps der Humanen Welten...“

Der Vogelartige hörte Thornton interessiert zu.

Der Translator, der ihm um den Hals hing und den er offenbar nicht besonders mochte, da er mit seinen prankenartigen Klauenhänden immer wieder daran herumzog, schien bereits erste Übersetzungsversuche in das Idiom der Vogelartigen zu versuchen.

„Raumkommandant?“, erwiderte dieser dann schließlich. „Du – Schnabelloser!“

Thornton musste unwillkürlich schmunzeln. Sein Gegenüber schabte die obere und die untere Hälfte seines Schnabels gegeneinander, sodass ein schabendes Geräusch entstand, dem mit Sicherheit eine non-verbale Bedeutung beizumessen war. Aber für Thornton war es in der gegenwärtigen Situation unmöglich, diese auch nur annähernd zu erfassen.

Falls es sich um eine Drohung handelt, habe ich schlechte Karten, dachte er.

Thornton war zwar durchtrainiert und durchaus kräftig. Aber sein Gegenüber verfügte über spitze Klauen und wie groß dessen körperliche Kräfte tatsächlich waren, ließ sich nur erahnen.

Schnabelloser – das klingt nicht gerade respektvoll!, vergegenwärtigte sich Jay Thornton. Andererseits - sie waren in derselben misslichen Lage -. Beide waren Sie Gefangene auf einem Schiff, das sie an einen unbekannten Ort brachte. Da war es nur nahe liegend, möglichst zusammen zu halten. Zumindest dachte Thornton so. Was sein Gegenüber betraf, so hegte er da ein paar Zweifel. Schließlich musste es seinen Grund gehabt haben, dass der Vogelartige offenbar gewaltsam hier her verlegt worden war. Thornton fragte sich, was dieser Grund wohl gewesen sein mochte. Streitigkeiten mit einem, anderen Mitgefangenen? Angesichts der Heftigkeit, mit der er sich zur Wehr gesetzt hatte, hielt Thornton das keineswegs für unwahrscheinlich.

Jetzt habe ich den Unruhestifter also als Gesellschaft, überlegte Thornton. Wie er die neue Lage einzuschätzen hatte, da war sich der ehemalige Captain der CAMBRIDGE noch keineswegs sicher.

„Schnabelloser!“, wiederholte der Vogelartige seine vor einigen Augenblicken geäußerte Bezeichnung für einen Menschen. Aber wahrscheinlich nannte er alle Wesen so, die nicht seiner eigenen Gattung entstammten. „Beim Aarriid! Diese gottlosen Krabbler sollen verflucht sein.“

Er wirkte auf einmal sehr gefasst und dabei fast in sich gekehrt. Der Vogelartige senkte den Blick und war jetzt ganz ruhig. Ein Schwall von Lauten kam aus seinem Schnabel. Jay Thorntons Translatorsystem versuchte sie zu übersetzen. Aber es blieb ein für Thorntons Verständnis sinnloses Gerede, auch wenn es teilweise mit großer Emphase vorgetragen wurde.

Was Thornton jedoch auffiel war, dass relativ häufig religiöse Bezüge in den Worten des Vogelartigen auftauchten. Das Display des Armbandkommunikators zeigte ihm die wichtigsten von seinem Gegenüber benutzen Begriffe. Thornton ließ sie sich nach Relevanz und Häufigkeit anzeigen. „Gott“ rangierte ganz oben, danach ein Begriff, mit dem der Captain der CAMBRIDGE nichts anzufangen wusste.

Aarriid...

Das Übersetzungssystem schien dafür einfach keine adäquate Übersetzung finden zu können – aus welchem Grund auch immer.

Er betet!, wurde es Thornton dann schlagartig klar. Ein Glücksfall für meinen Translator. Auf diese Weise kommt das System wenigstens an genügend analysierbare Vokabeln heran.

Schließlich hatte der Vogelartige sein Gebet beendet.

Er kauerte still in jener Ecke der Zelle, die er in Beschlag genommen hatte und fixierte Thornton nun die ganze Zeit über mit seinem kalten, falkenhaften Blick.

„Wer bist du?“, brach Thornton schließlich das Schweigen – zu einem Zeitpunkt, da er glaubte, dass in jedem Fall genug Zeit seit dem Ende des Gebets vergangen war, um nicht irgendwelche Gefühle der Pietät zu verletzten. Auch wenn Thornton natürlich unmöglich sagen konnte, wann diese Grenze bei seinem Gegenüber überschritten war, so konnte er sich jedoch sehr gut ausmahlen, mit welcher Heftigkeit dieser Vogelabkömmling dann reagieren würde.

Thornton erhielt auf seine Frage zunächst keinerlei Antwort.

Sein Gegenüber hob nur leicht den Schnabel. Die beiden Hälften waren jedoch fest aufeinander gepresst, so dass kein Laut nach außen drang.

„Wer bist du?“, wiederholte Jay Thornton seine Frage.

„Ich bin Karan-Tanas, ein Offizier dritten Ranges im Dienst der Tanjaj.“

„Was ist ein Tanjaj?“, wollte Thornton wissen. Es war das Beste, wenn er jetzt so viel wie möglich über seinen Zellengenossen erfuhr. Schließlich würde Thornton wohl oder übel mit dieser geierköpfigen Kreatur auskommen müssen.

„Ein Gotteskrieger im Dienst des Heiligen Imperiums“, lautete die Antwort. „Wir Qriid sind das auserwählte Volk. Auserwählt durch den Willen Gottes, der uns dazu erkoren hat, im Universum die Göttliche Ordnung zu verbreiten.“

„Ein Qriid bist du also, Karan-Tanas... Entschuldige, aber ich höre zum ersten Mal von deinem Volk!“, bekannte Thornton.

Für den Vogelartigen schien das beinahe schon einer Beleidigung nahe zu kommen. Er setzte sich aufrecht hin, straffte dabei den Oberkörper und funkelte Thornton mit seinen falkenhaften Raubvogelaugen an.

„Glaubst du, ich hätte bereits von deiner schnabellosen Rasse gehört? Unsere Völker sind uns nie begegnet. Und ich sage dir eines, du kahl rasierter Ungläubiger! Du und ich werden das wohl nicht erleben, aber deine Rasse wird noch von der Flotte der Tanjaj hören! Der Krieg ist permanent. Er ist das einzig Ewige neben Gott und um ihn zu ehren vernichten meine Brüder im Glauben die Ungläubigen, so wie es die Überlieferung von uns fordert! Es lebe der Aarriid!“

„Wer oder was ist der Aarriid?“

„Hätte es einen Sinn, das Heilige einem Ungläubigen zu erklären?“

Jay Thornton zuckte die Schultern.

„Wahrscheinlich nicht.“

„Also erübrigt sich eine Antwort.“

„Ich dachte nur, da wir in derselben misslichen Lage sind...“

„Wir sind keineswegs in derselben Lage, Schnabelloser!“

„Ach, nein?“

„Ich bin ein gläubiger und stehe unter dem Schutz Gottes. Du hingegen bis ein ungläubiges Tier, dessen Existenz niemandem im Universum etwas bedeutet, außer ihm selbst.“

Der Qriid vollführte eine komplizierte Geste und ließ dabei die Hände durch die Luft wirbeln.

Die Inbrunst, mit der dieser vogelartige Qriid offenbar an seine Religion glaubte, erfüllte Thornton mit einer fast mitleidigen Rührung. Er wirkte auf Thornton so schrecklich naiv. Und doch hat er dir gegenüber einen entscheidenden Vorteil!, überlegte Thornton. Er weiß die übernatürlichen Mächte, die ihn schützen, immer bei sich. Er ist nie allein und hat die Möglichkeit, mit einer anderen Sphäre zu kommunizieren. Vielleicht ist das eine Möglichkeit, diese Gefangenschaft zumindest für einige Zeit vergessen zu machen!

––––––––


Kapitel 3: SPUREN IM NICHTS

An Bord des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER, medizinische Abteilung

Der Arachnoide lag vor Dr. Miles Rollins auf dem OP-Tisch. Er war inzwischen aufgetaut und zumindest oberflächlich so restauriert worden, dass sich Untersuchungen problemlos durchführen ließen. „Die Ganzkörpertomographie hat einige interessante Details aus dem Metabolismus dieser Spezies zu Tage gefördert“, meinte Rollins.

Eine junge Krankenschwester namens Simone Nikolaidev assistierte ihm. Sie war ziemlich verärgert über die Äußerungen ihres Chefs, die Rollins zwischendurch immer mal wieder einfach so fallen ließ wie große Tiere ihren Unrat.

Aber Nikolaidev hütete sich davor, in solchen Fällen etwas zu sagen.

Außer den beiden, die das komplette medizinische Team, der STERNENKRIEGER darstellten, befand sich noch eine dritte Person im Raum. In ihrer dunkelbraunen Mönchskutte, wirkte dieser Dritte überhaupt nicht wie jemand, der hier etwas zu suchen gehabt hätte – es sei denn als Patient.

Aber Bruder Padraig war unter anderem auch ein ausgewiesener Experte in Exobiologie. Grundkenntnisse gehörten für jeden Olvanorer-Bruder, der sich in die Weiten des Alls hinaus wagte, Pflicht. Bruder Padraig hatte darüber hinaus während seines Studiums an der Brüderschule auf Sirius III auch noch eine weiterführende Ausbildung auf diesem Gebiet abgeschlossen.

„Auf jeden Fall ist diese Spezies bisher noch nicht katalogisiert worden“, erklärte Dr. Rollins. „Das genetische Muster ist unbekannt.“ Auf dem Gesicht des Arztes erschien eine tiefe Furche. „Wir können nur hoffen, dass diese Arachnoiden nicht über ein gewaltiges Sternenreich verfügen, das den Humanen Welten eines Tages gefährlich werden könnte!“

„Diese Möglichkeit sollten wir aber weiterhin in Betracht ziehen und soweit ich mich erinnere, hat sich der Captain ebenfalls dahingehend geäußert.“

Dr. Rollins machte eine wegwerfende Handbewegung.

„Ich habe nur laut nachgedacht“, erklärte der Arzt, der aber gleichzeitig zu den derzeit genialsten Köpfen in der Exomedizin gehörte.

Der Arzt setzte seine akribischen Scans fort. Vielleicht ergab sich durch den toten Achtbeiner ja eine Spur, die weiter verfolgt werden konnte.

Ein Summton ertönte.

Es gab eine Transmission des Captains an alle. „An alle Besatzungsmitglieder! Ich habe soeben vom L.I. den Bescheid bekommen, dass die Sandströmaggregate sämtliche Testsimulationen erfolgreich durchlaufen haben. Wir sind also wieder starklar. Dasselbe gilt sehr bald auch für die JUPITER, die in wenigen Stunden ebenfalls wieder dazu in der Lage sein wird, Überlichtflüge durchzuführen. Allen die dazu beigetragen haben, möchte ich den Dank der Beatzung und meine Anerkennung aussprechen. Ich denke, sobald wir zur Erde zurückgekehrt sind, wird es bei dem einen oder anderen auch für eine Anerkennung in metallener Form reichen...“

Bruder Padraig hörte dieser kleinen Ansprache seines Captains überhaupt nicht zu. Die auf einem Nebenbildschirm ablaufende Sendung verfolgte er überhaupt nicht. Stattdessen begann er plötzlich wie besessen auf dem Terminal seiner Konsole herumzuhämmern. Er berührte so viele Touchscreens hintereinander, dass es unmöglich war, diesen Bewegungen zu folgen.

Nikolaidev und Dr. Rollins wechselten einen kurzen, aber nichts desto trotz sehr erstaunten Blick.

„Ich weiß jetzt, wie wir es schaffen können, die Ursprungsregion dieser Arachnoiden aufzuspüren“, stieß er schließlich hervor. Er atmete tief durch. Ein paar Berechnungen lagen vor ihm auf dem Tisch. „Spannen Sie uns nicht auf die Folter!“, verlangte Dr. Rollins.

„Ich habe im Körper dieses Arachnoiden eine ganz bestimmte, im Übrigen in meinen Augen auch etwas zu hohe Konzentration an Blei gefunden. Der Scanner ist da eindeutig.“

„Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte Rollins, während Nikolaidev fasziniert an den Lippen des jungen Olvanorers hing. Dieser Mann hatte erstens feste Grundsätze, nach denen er lebte und zweitens einen rasanten, scheinbar unaufhaltsam in die Höhe zeigende Entwicklung hinter sich. Jedenfalls fand es Nikolaidev faszinierend, ihm dabei zuzuhören, wenn er von seinen Abenteuern auf fernen Welten berichtete.

„Die in diesem Arachnoiden-Körper vorhandenen Bleimengen weisen eine sehr charakteristische Konzentration einzelner Isotope auf. Manche davon sind radioaktiv, also sehr leicht aufzuspüren.“ Bruder Padraigs Augen leuchteten. „Aber die genaue Verteilung ist je nach Herkunftsort sehr unterschiedlich. Man kann anhand der Isotopenverteilung des im Körper vorhandenen Bleies genau sagen, ob jemand vielleicht mal ein Jahr in Australien gelebt hat oder im Weltraum war!“, fuhr Bruder Padraig jetzt fort.

Dr. Rollins hob die Augenbrauen.

„Sie meinen, es ließe sich feststellen, von wo dieser Arachnoide stammt?“, fragte Rollins.

„Mit etwas Glück ja. Ich werde das Problem mit Lieutenant Wu besprechen. Durch Spektralanalysen der Sterne in der näheren Umgebung bekommen wir vielleicht schon einen Hinweis, wo es sich lohnt, weiter zu suchen.“

„Sie wollen die Spektralanalysen von Sternen mit der chemischen Analyse dieses Arachnoiden abgleichen und dadurch auf seine Herkunft schließen?“

„Letztlich sind wir alle Sternenstaub, Dr. Rollins. Natürlich reicht die Ermittlung der Blei-Isotope in diesem Fall nicht aus, aber wenn wir den Arachnoiden noch auf weitere Schwermetallablagerungen untersuchen und diese zum Vergleich mit heranziehen und mit weiteren aussagekräftigen Parametern verbinden, wie zum Beispiel, ob es künstliche Radioquellen in dem System gibt oder Funkverkehr abgehört werden kann, müssten wir zu aussagekräftigen Ergebnissen kommen.“

Dr. Rollins hob die Augenbrauen und seufzte hörbar.

„Ich führe gerne jede nur denkbare Analyse für Sie durch, Bruder Padraig, aber von allem anderen habe ich keine Ahnung!“

1

Bruder Padraig ging zunächst zu Lieutenant Wu, um mit der Ortungs- und Kommunikationsoffizierin der STERNENKRIEGER über das Problem zu sprechen. Im Prinzip war es möglich, die Gestirne in der Umgebung auf ihrer chemischen Zusammensetzung zu untersuchen. Die Methoden der irdischen Astronomie waren bereits seit dem späten 20. Jahrhundert dazu in der Lage, auch Planeten über viele Lichtjahre hinweg zu orten. Zunächst war das nur bei Gasriesen möglich gewesen, aber schon im frühen 21. Jahrhundert hatte man auch deutlich kleinere Trabanten orten und ihre Masse, ihren Abstand zum Zentralgestirn zu messen. Es hatte nur wenige Jahre gedauert, bis man zunehmend in die Lage gekommen war, auch Aussagen über die chemische Zusammensetzung treffen zu können. Verfeinerte Methoden der Spektralanalyse machten das inzwischen auf einem sehr detaillierten Niveau möglich.

„Die Schwierigkeit ist, dass wir die Nadel im Heuhaufen suchen, Bruder Padraig“, erläuterte Jessica Wu. „Haben Sie eine Ahnung, wie viele Sterne es in einem Kubus von sagen wir zehn mal zehn Lichtjahren in dieser Region der Galaxis gibt? Wir würden Wochen oder Monate brauchen, um sie alle nur oberflächlich zu analysieren. Dabei sind wir von zahlreichen Zufällen abhängig – etwa wie gut sich die Planeten, die wir ja auf diese Entfernungen in erster Linie nur indirekt orten können.“

„Darum ist es so wichtig, dass wir weitere Parameter hinzuziehen“ erklärte Bruder Padraig. „Außerdem möchte ich vorschlagen, dass wir uns noch einmal sehr intensiv mit den Trümmerteilen befassen, die wir von den Raumschiffen der Fremden gefunden haben.“

Jessica Wu hob den Kopf. Ihr asiatisch geprägtes, sehr fein geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den dunklen Augen wirkte regungslos. „Überzeugen Sie den Captain, Bruder Padraig!“

2

Commander Reilly befand sich in seinem Raum. Auf der Bildschirmwand war Admiral Raimondo zu sehen. Die Darstellung hatte nicht nur eine Qualität, die beinahe an Drei-D-Effekte denken ließ, sondern war auch lebensgroß. Ein Teil des großzügigen Büros, das der Admiral derzeit auf Spacedock 1 sein eigen nannte, war ebenfalls in dieser Deutlichkeit zu sehen, sodass der recht enge Raum des Captains jetzt optisch mindestens die dreifache Größe hatte.

Vielleicht sollte ich mir demnächst einfach durch eine Aufnahme meines Besprechungszimmers den Raum verdoppeln, wenn ich das nächste Mal drohe, hier bei einer Konferenz Platzangst zu bekommen!, dachte Reilly leicht sarkastisch.

Der ernste Gesichtsausdruck des Admirals sprach Bände.

„Ich habe die Sache in einer Sitzung des Führungsstabes im Oberkommando durchgesprochen. An dieser Sitzung nahm übrigens auch Hans Benson, der Vorsitzende des Humanen Rates teil“, erläuterte Raimondo. „Und es waren sich alle Teilnehmer darin einig, unter den gegebenen Umständen, einer Verlängerung Ihres Dienstauftrags zuzustimmen und auch eine Ausweitung Ihrer Aufgaben für sinnvoll zu erklären.“

„Heißt das, wir sollen versuchen, die Spur dieser Arachnoiden aufzunehmen.“

„Ja. Ihre Analyse, dass sich hier möglicherweise eine zukünftige Gefahr für die Humanen Welten anbahnt, konnte zwar nicht von allen Teilnehmern geteilt werden, aber vorerst hat sich eine Mehrheit dazu entschlossen, auf Nummer Sicher zu gehen. Sehen Sie denn eine Möglichkeit, die Ursprungswelt der Arachnoiden ausfindig zu machen?“

„Wir arbeiten daran, Sir. Bruder Padraig hat uns dabei ein paar interessante Vorschläge zur Optimierung unserer Vorgehensweise gemacht. Wir werden jetzt unseren Aufenthalt im Blue-Eye-System noch etwas verlängern müssen, da wir wohl nicht umhin kommen, einige der Trümmerstücke einzusammeln, die von dem oder den Raumschiffen der Fremden zurückgeblieben sind.“

„Sobald Sie etwas Neues wissen, möchte ich, dass Sie mich informieren, Commander.“

„Ja, Sir.“

„Ich denke, wir haben alles besprochen“, sagte Raimondo dann, nachdem er einen kurzen Blick auf das in seinen Armbandkommunikator integrierte Chronometer geworfen hatte. Irgendein Termin schien ihm im Nacken zu sitzen.

„Sir, gestatten Sie noch eine Frage!“, sagte Reilly.

„Bitte, Commander!“

„Haben Sie inzwischen neue Erkenntnisse darüber, wer hinter dem Sabotageversuch stecken könnte?“

Raimondos Gesicht wurde zu einer Maske.

„Commander, seien wir alle froh darüber, dass Ihre offenbar hervorragende technische Crew dieses Problem in den Griff bekommen konnte.“

Eine Antwort ist das nicht!, dachte Reilly. Aber er war überzeugt davon, dass Raimondo längst mehr wusste. Aber so ist das in einer militärischen Hierarchie. Der Kommandant eines Raumschiffs ist bestenfalls ein Zahnrad in einem großen Getriebe. Manchmal vielleicht ein entscheidendes Zahnrad.

Die Tatsache, dass Raimondo die Besatzungen der STERNENKRIEGER und der JUPITER quasi handverlesen hatte, hieß wohl nicht, dass er deren Kommandanten für würdig hielt, an dem teilzuhaben, was der jüngste Admiral des Space Army Corps sein Geheimwissen nennen konnte.

„Ich wünsche Ihnen viel Glück, Commander Reilly.“

„Danke, Sir“, knirschte Reilly zwischen den Zähnen hindurch.

3

Erdorbit, Spacedock 1, Büro von Admiral Raimondo

––––––––


Raimondo erhob sich aus seinem Sessel, nachdem er die Verbindung zu Commander Reilly und der STERNENKRIEGER unterbrochen hatte.

Ein Mann hatte in jenem Teil des Büros Platz genommen, der nicht im Bildausschnitt des Video-Streams der Sandström-Funkverbindung zu sehen gewesen war.

Er schlug die Beine übereinander.

„Sehr gut, Admiral. Es ist auch nicht nötig, dass die Informationen, die ich Ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit gegeben habe, den Kreis der Eingeweihten verlassen.“

„Sie können sich auf mich verlassen, Mister Lang“, erwiderte Admiral Raimondo.

Julian Lang nahm seinen Syntho-Drink und leerte das Glas in einem Zug. Dann stellte er es auf einen niedrigen, gläsernen Tisch. Das in die Glasplatte unsichtbar integrierte Touchpad war offenbar nicht deaktiviert gewesen, so dass die Anzeige plötzlich aufleuchtete. Verschiedene Menuepunkte wurden geöffnet und die Markierungen der Sensorpunkte waren auf einmal zu sehen.

„Wie gesagt, in vielen Fragen stimmen wir nicht überein – aber in dieser schon“, sagte Raimondo.

„Seit der Erfindung des Sandström-Antriebs haben die Humanen Welten eine geradezu stürmische Entwicklung hinter sich. Kolonien schießen wie Pilze aus dem Boden.“

„Aber das ist es doch, was Leuten wie Ihnen eigentlich gefallen sollte!“, unterbrach Raimondo. „Sind Sie nicht dafür, dass sich die Regierung aus der Wirtschaft und möglichst auch allen anderen Dingen heraushalten sollte?“

„Ja, das schon – im Prinzip.“

„Aber, was die Drei Systeme angeht gilt dieses Prinzip nicht?“ Raimondo zuckte die Achseln. „Sehr interessant, Mister Lang.“

„In diesem Fall liegt die Sache etwas anders“, erklärte Lang.

„So?“

„Die Drei Systeme werden vom TR-Tec-Konzern beherrscht und der versucht eine Zone zu schaffen, in der die Forschung gegenüber dem Rest der Humanen Welten weitaus größeren Spielraum bei der Interpretation der Gentechnik-Gesetze hat!“

„Und dabei würde eine starke Flotte stören“, schloss Raimondo.

„So ist es. Deswegen tun die Systeme Epikur, Aurelis und Einstein alles, um einen weiteren Ausbau der Space Army Corps-Flotte zu verhindern.“

„Der TR-Tec-Konzern will sich im Hinblick auf seine gentechnische Forschung wohl keine Vorschriften machen lassen", meinte Raimondo.

Julian Lang verschränkte die Arme vor der Brust. „Angesichts der ziemlich restriktiven Bundesgesetzgebung der Humanen Welten auf diesem Gebiet ist diese Haltung durchaus verständlich. Andererseits geht es hier um den Zusammenhalt der von Menschen besiedelten Welten, den ich für außenpolitisch unerlässlich halte, wenn wir in Zukunft unsere Unabhängigkeit erhalten und nicht zum Satelliten irgend eines größeren Sternenreiches werden wollen."

General Raimondo nickte zustimmend. „Die größten Hechte im Karpfenteich unserer Galaxis kennen wir wahrscheinlich noch gar nicht. Zivilisationen, die so mächtig sind, dass sie die Menschheit ohne mit der Wimper zu zucken einfach schlucken könnten."

Julian Lang lächelte mild.

„Abgesehen davon, dass diese Spezies dann vielleicht gar keine Wimpern besitzen, mit denen sie zucken könnten, würde uns gegen eine solche Bedrohung auch ein hochgerüstetes Space Army Corps nichts nützen.“

„Sehen Sie, an dem Punkt beginnen unsere Differenzen, Mister Lang", erwiderte Admiral Raimondo.

4

Zwei Erd-Standard-Tage später...

––––––––


Die Offiziere der STERNENKRIEGER trafen sich im Besprechungsraum des Captains. Lediglich Waffenoffizier Chip Barus war nicht anwesend. Er führte auf der Brücke das Kommando.

Bruder Padraig hatte von dem in den Konferenztisch integrierten Touchscreen aus den Wandbildschirm aktiviert, auf dem eine Sternenkarte in Pseudo-Drei-D-Qualität zu sehen war.

„In Zusammenarbeit mit Lieutenant Wu habe ich die Planetensysteme in einem Umkreis von 10 Lichtjahren auf ihre chemische Zusammensetzung und insbesondere die Verteilung verschiedener Blei- und anderer Schwermetallisotope überprüft. Wir suchten dabei nach einer Übereinstimmung mit den Werten, die wir im Körper des Arachnoiden gefunden haben. Es gab insgesamt drei Sonnen, in deren Umgebung es uns gelang insgesamt 45 Planeten zu orten. Wahrscheinlich haben wir damit die jeweiligen Systeme noch keinesfalls vollständig erfasst. Insbesondere kleine und sehr sonnenferne Planeten lassen sich schwer orten. Und natürlich Trabanten, deren Umlaufgeschwindigkeit sehr langsam ist. Wie auch immer, Planeten mit einer sehr hohen Übereinstimmung der Isotopenverteilung fanden wir bei diesen drei Sonnen, die recht nahe beieinander liegen. Ihre Entfernungen zu unserer gegenwärtigen Position betragen zwischen vier und fünf Lichtjahren. Voneinander sind sie zwischen einem und drei Lichtjahren entfernt.“

„Das bedeutet, wir müssten alle drei Systeme anfliegen, um nach den Arachnoiden zu suchen“, stellte Commander Reilly fest.

Bruder Padraig nickte.

„Im Prinzip haben Sie Recht, Captain, aber wir haben außer der Isotopenverteilung noch ein anderes Kriterium herangezogen – und dann wird klar, wohin wir uns wenden müssen!“ Bruder Padraig wandte sich an Lieutenant Wu. „Vielleicht erläutern Sie das, Lieutenant.“

Jessica Wu erhob sich.

Nach kurzem Zögern sagte sie schließlich: „Ich habe die drei Systeme ortungstechnisch nach künstlichen Radioquellen, Funksignalen, Anzeichen für Raumfahrt. etc untersucht. Das System STERNENKRIEGER 2234/3 weißt überhaupt keine Aktivitäten in dieser Hinsicht auf. Was den Schluss nahe legt, dass es unbewohnt ist. Die beiden anderen Systeme zeigen rege Funkaktivitäten.“

„Auch Sandströmfunk?“, fragte Commander Reilly.

„Konnte bis jetzt nicht aufgefangen werden“, erklärte Jessica Wu. „Aber das bedeutet nicht, dass kein System der Überlichtkommunikation existiert.“

„Vielleicht wäre es möglich, diese Signale aufzufangen und zu entschlüsseln“, war Ruderoffizier Lieutenant Ramirez recht optimistisch.

„Wir arbeiten an dem Problem“, sagte Jessica Wu. „Auf jeden Fall schlage ich vor, dass wir uns zunächst das System der Sonne STERNENKRIEGER 2234/2 vornehmen. Im Ganzen gesehen erscheint dort die Wahrscheinlichkeit am Größten, dass wir auf die Arachnoiden stoßen.“

5

Die Schiebetür öffnete sich.

Ein Arachnoide zeigte sich. Er trug eine Strahlwaffe mit zwei seiner Extremitäten. Auf den restlichen sechs Beinen hatte er einen sehr stabilen Stand. Die Beißwerkzeuge rieben gegeneinander.

„Herauskommen!“, befahl der Arachnoide.

Zumindest übersetzte Jay Thorntons Translator die schrillen Laute auf diese Weise, die zwischen den Beißwerkzeigen des Achtbeiners hervordrangen. Ein gutes Dutzend ausdrucksloser Augen schien ihn anzustieren. Sie bewegten sich alle synchron und saßen auf relativ dünnen, biegsamen stängelartigen Auswüchsen.

„Was geschieht mit uns?“, fragte Jay Thornton.

„Keine Fragen.“

„Wo ist der Whuuorr?“

„Keine Fragen. Auf den Flur!“

Thornton hielt es für besser, dieser Auforderung nachzukommen. Er blickte kurz zu dem vogelähnlichen Qriid hinüber. Karan-Tanas’ Muskeln und Sehnen waren gespannt wie vor einem Sprung. Die Klauenhände wirkten wie zum Angriff bereit. Obere und untere Schnabelhälfte schabten geräuschvoll gegeneinander.

Thornton ging an der Waffenmündung des Arachnoiden vorbei auf den Korridor. Weitere Gefangene wurden zur selben Zeit aus ihren Zellen getrieben. Angehörige der unterschiedlichsten Rassen waren darunter. Ein humanoider mit einem pferdeähnlichen Kopf war darunter, etwa ein Meter sechzig groß und mit großen, dreifingrigen Händen ausgestattet. Mit ihm zusammen in der Zelle hatte sich ein wurmähnliches Wesen befunden, dessen vordere Körperhälfte aufgerichtet war, während die hintere auf einer Schleimspur über den Boden rutschte. Unterhalb des Kopfes ragten ein paar tentakelartige Extremitäten unterschiedlicher Größe aus dem Körper heraus, die ihm offensichtlich zum Greifen dienten. Von Kopf bis Fuß maß der Wurmartige etwa vier Meter, sodass seine Kopfhöhe etwa zwei Meter betrug, wenn er die Vorderhälfte seines etwa einem Meter durchmessenden, zylinderförmigen Körpers aufrichtete.

Er stieß ein paar Zischlaute aus, die von dem Translator, der ihm um den Körper geschnallt worden war, in die schrillen Laute der Arachnoiden übersetzt wurde.

Jay Thornton konnte davon nichts verstehen, denn sein eigener Translator hatte ja noch keinerlei Sprachmaterial des Idioms aufzeichnen können, dass der Wurmartige benutzte. Ein weiterer Gefangener hatte Flügel, die wie die Flügel eines Kolibris funktionierten. Ansonsten handelte es sich um ein Wesen von Hasengröße. Seine Flügel raschelten und schlugen so schnell, dass zumindest das menschliche Auge den einzelnen Flügelschlag nicht sehen konnte. Dieser Riesenkolibri wurde von einem der Arachnoiden an einer Fußkette geführt, die Verhinderte, das er womöglich einfach über die Köpfe aller Anwesenden wegflog.

Auch den Whuuorr, der sich der Alleinige nannte, erkannte Jay Thornton schließlich. Auf Grund seiner Körpergröße war der zottelige Bewohner des eisigen Blue Eye-Mondes, der Thorntons Namen trug, nicht zu übersehen. Dem Captain der CAMBRIDGE fiel sogleich die Filtermaske auf, die dem Riesen um den Kopf geschnallt worden war. Sie passte schlecht und schien zu drücken... Jedenfalls versuchte der Alleinige sie immer wieder zu verrücken und durch Hin- und Herschieben ihren Sitz zu verbessern. Offenbar vergeblich.

Das prominent auf dem aufragenden Schädelfortsatz emporragende Auge ließ den Blick über die anderen Gefangenen schweifen. Dieser Blick blieb an Thornton haften. Der Zottelige erkannte ihn offenbar wieder und schien insgesamt in einer mental wesentlich stabileren Verfassung zu sein.

Wer weiß, was die ihm für einen Medikamenten-Cocktail verabreicht oder was sie sonst mit ihm angestellt haben?, dachte der Captain der CAMBRIDGE.

Zwischen dem Qriid Karan-Tanas und dem Arachnoiden, dessen Aufgabe es gewesen war, ihn aus seiner Zelle zu holen, gab es in diesen Augenblicken ein recht heftiges Wortgefecht. Thorntons Translator war allenfalls in der Lage, etwa ein Drittel davon notdürftig zu übersetzen. Der Qriid schien einfach nicht bereit zu sein, den Befehlen des Wsssarrr Folge zu leisten.

Nur Gott und dessen Stellvertreter auf Qriidia, seiner Hauptwelt habe ihm etwas zu sagen, sonst niemand. Vor allem kein tierhafter achtbeiniger Barbar, der als ein Wesen, das nichts von der göttlichen Bestimmung wisse, einen moralischen Status habe, der kaum über dem von toter Materie liege.

Thornton hatte keine Ahnung von den vielleicht noch schlimmeren Beleidigungen, die der offenbar überaus kämpferische Qriid gegen seinen Bewacher ausstieß. Im Interesse des Vogelartigen konnte man eigentlich nur hoffen, dass der Großteil des Bedeutungsgehalts durch die Unzulänglichkeiten des Translatorsystems auf beiden Seiten schlichtweg verloren ging.

Aber der Wsssarrr hatte offenbar genug verstanden.

Er zog einen stabförmigen Gegenstand, den er bis dahin an einem Gürtel befestigt um seinen Körper trug und an dem sich noch diverse andere technische Geräte befanden. Damit schnellte er mit unglaublicher Schnelligkeit auf den Qriid zu. Eine Strahlwaffe wurde dabei von vorn an die Greifer der hinteren Extremitäten weitergegeben – offenbar deshalb, um zu verhindern, dass der Qriid die Waffe an sich riss, wenn der Wsssarrr sich ihm auf Nahkampfdistanz näherte.

So wurde die Waffe von einer der hinteren Extremitäten gehalten, die darüber hinaus noch weit genug abgespreizt war, sodass Karan-Tanas den Strahler auf keinen Fall hätte erreichen können.

Den stabförmigen Gegenstand hielt der Wsssarrr hingegen mit einem der Greifer, die sich am Ende eines der vorderen Beine befanden. Blitzschnell stieß damit vor, sodass das Ende des Stabes den Qriid berührte, noch ehe dieser sich mit seinen krallenartigen Pranken hätte wehren können.

Ein elektrischer Blitz zuckte und zischte.

Der Qriid stöhnte auf. Ein durchdringender Schmerzensschrei drang hinaus auf den Korridor und zeigte damit allen anderen Gefangenen gleich, was auch ihnen bevorstand, wenn sie sich erdreisteten, Widerstand gegen ihre Bewacher zu zeigen.

Zuckend und völlig bewegungsunfähig sank der Qriid an der Wand entlang zu Boden.

Der Wsssarrr berührte Karan-Tanas noch einmal mit dem Elektroschocker. Wieder ging ein Zittern durch den Körper des Qriid. Die beiden Schnabelhälften schabten im Krampf gegeneinander. Ein krächzender Laut entstand dabei. Der Schrei des Vogelartigen wurde dabei unterdrückt. Nur ein dumpfer Laut drang zwischen den fest aufeinander gepressten Schnabelhälften hindurch. Die Extremitäten zuckten unkontrolliert. Muskeln und Nerven spielten jetzt offenbar verrückt.

Aber das hinderte den Wsssarrr nicht daran, ihm wieder und wieder Stromstöße zu versetzen.

„Aufhören! Der Qriid ist nicht mehr in der Lage, Widerstand zu leisten!“, rief jetzt Jay Thornton.

Der Arachnoide versetzte dem Qriid einen letzten Stromstoß und drehte sich dann zu Thornton herum. Die Beißwerkzeuge zitterten – bei seiner Spezies offenbar ein Zeichen allerhöchster Erregung.

„Du wagst es, dich einzumischen.“

„Weitere Stromstöße würden den Qriid töten!“

„Nein, die halten viel aus“, sagte der Wsssarrr. „Du brauchst dir keine Sorgen um ihn zu machen. Im Übrigen solltest du wissen, für was für eine Bestie du dich einsetzt! Er hält dich umgekehrt nämlich für niederen Abschaum und hätte keine Skrupel, dich ohne einen besonderen Grund zu töten!“

Der Arachnoide wandte sich erneut dem am Boden liegenden Qriid zu, der sich erstaunlich schnell von den Elektroangriffen erholt hatte. Allerdings war er noch immer nicht in der Lage, seine Extremitäten kontrolliert zu bewegen. Seine falkenhaften grauen Augen blickten dem Wsssarrr hilflos entgegen.

Dieser ließ noch einmal den Schocker vorschnellen. Die Blitze zuckten und umwaberten den geschundenen Körper des Qriid.

Das Zittern der Beißwerkzeuge des Wsssarrr nahm dabei zu.

Es erregt ihn, den Qriid zu quälen!, durchzuckte es Jay Thornton. Das ist mehr als nur eine harte Bestrafung und die Maßregelung für jemanden der Widerstand geleistet hat. Das ist blanker Hass, gepaart mit unverhohlenem Sadismus!

Draußen auf dem Korridor entstand Tumult.

Die Stimmen mehrerer Gefangener sowie einiger Wsssarrr kreischten durcheinander. Selbst der beste Translator konnte aus diesem Durcheinander verschiedener Stimmen und Idiomen wohl nichts mehr übertragen, was noch irgendeinen Sinn gemacht hätte. Alles, was Thorntons System ausspuckte, waren einzelne Begriffe. Die akustische Ausgabe konnte Thornton auf Grund des Tumults nicht verstehen. Und die geschriebene Version, die auf dem Display des Armbandkommunikators angezeigt wurde, war nichts weiter als sinnloses Chaos von Wörtern, Begriffen und Begriffsverbindungen.

Ein Wsssarrr lief jetzt an Thornton vorbei, stieß den Captain der CAMBRIDGE dabei grob zur Seite und stürzte sich auf den Arachnoiden, der gerade im Begriff war, den wehrlosen Qriid ein weiteres Mal mit dem Schocker zu malträtieren.

Der herbeigeeilte Wsssarrr streckte zwei seiner Extremitäten aus und entwand seinem Artgenossen damit den Schocker.

Jay Thorntons Translatorsystem war inzwischen gut genug auf das Idiom der Wsssarrr eingestellt, um die anschließende, ziemlich heftige Unterhaltung zumindest in groben Zügen mitzubekommen.

„Bist du verrückt geworden?“

„Er hat Widerstand geleistet! Du kennst seinen rebellischen, verdorbenen Geist.“

„Aber er ist längst nicht mehr in der Lage, den Widerstand fortzusetzen! Warum quälst du ihn weiter mit dem Schocker und riskierst dabei, dass sein Hirn irreparabel geschädigt wird? Du weißt, dass dich das die Rangstufe kosten kann!“

„Das weiß ich! Und es ist mir gleichgültig.“

„Der Ranghöchste hätte sogar das Recht, dich aus der Mannschaft auszustoßen!“

„Dieser Barbar ist viel zu niederträchtig, als dass er die Ehre haben sollte, dass sein Hirn in die Speisung der Allgemeinheit mit eingeht!“

„Das hast nicht du zu entscheiden.“

„Haben sie dir nie Einzelheiten darüber erzählt, mit welcher Grausamkeit die Qriid seinerzeit unsere alte Heimat überfallen haben? Meine gesamte genetische Einheit hat damals den Tod gefunden.“

„Du bist von der genetischen Einheit der KADLON aufgenommen worden und hast das Heilige Hirnmahl mit uns genommen, was dich unauflösbar mit uns verbindet.“

Das Zittern der Beißwerkzeuge ließ nach. Der Wsssarrr, dem der Schocker entwunden worden war, schien sich jetzt langsam etwas zu beruhigen.

„Dafür bin ich der KADLON-Einheit sehr dankbar“, erklärte er.

„Zeigt man seine Dankbarkeit, indem man das Hirneigentum der Einheit zerstört?“

„Ich glaube nicht, dass ich das Hirn des Vogelartigen bereits irreparabel geschädigt habe!“

„Das will ich in deinem eigenen Interesse hoffen – und wenn ich nicht eingeschritten wäre, dann hättest du es zweifellos in deiner gedankenlosen Raserei getan!“

„Ja, da hast du wohl recht!“

„Reiß dich zusammen und halte die Beißwerkzeuge still!“

„Ich kann es einfach nicht vergessen, was die Vogeltiere den Meinen angetan haben! Und ich kann es auch nicht akzeptieren, dass durch die Verwendung von Qriid-Hirnen beim Hirnmahl für die Allgemeinheit wir alle ein Stück dieser brutalen Mörder in uns aufnehmen!“

Der Wsssarrr schien sich sichtlich beruhigt zu haben.

„Ihre Stärke und ihre Kampfkraft vielleicht“, erwiderte der zweite Wsssarrr jetzt ebenfalls sehr viel ruhig. „Und die können wir in der Zukunft noch dringend brauchen, denn du weißt so gut wie ich, dass sie irgendwann auch dort auftauchen werden, wo wir eine neue Heimat gefunden haben!“

Aber diese Meinung stieß nicht auf Konsens.

„Wenn ich an die Qriid denke, brauche ich nichts weiter als diesen Gedanken, um mich für den Kampf gegen die Schnabelträger zu motivieren!“, setzte er hinzu.

6

Die Gefangenen wurden durch den Korridor getrieben. Schließlich erreichte Thornton mit den anderen einen Raum, bei dem es sich offensichtlich um einen Beiboot-Hangar handelte.

Mehrere diskusförmige Raumfähren befanden sich hier, deren Außenschotts bereits geöffnet waren.

Thornton wurde zusammen mit dem Wurmartigen, dem Riesenkolibri und dem Alleinigen in die Fahrgastzelle einer dieser Fähren gepfercht. Der Kontrollraum war von der Fahrgastzelle durch eine transparente Wand getrennt, hinter der sich die Wsssarrr aufhielten.

„Wie geht es dir, Alleiniger?“, wandte sich Thornton an den Whuuorr. Er war froh, ihn wieder zu sehen. Inmitten all dieser fremdartigen Kreaturen bedeutet diese wenigstens etwas Vertrautes.

„Es geht mir besser“, sagte der Alleinige. „Die Maske stört mich. Aber sie macht, dass ich wieder klar denken kann und keine Farbflecken mehr sehe.“

„Es muss an der Zusammensetzung der Atmosphäre liegen, die von diesen Spinnentieren bevorzugt wird.“

„Was sind Spinnentiere?“

„Spinnen – das ist eine Spezies meines Heimatplaneten Erde, die rein äußerlich den Wsssarrr ähnlich sieht.“

„So kann es keine friedliche Welt sein, von der du stammst.“

„Für die Vergangenheit stimmt das durchaus“, gestand Thornton zu. „Wir haben eine sehr blutige Vergangenheit hinter uns, aber die Spinnen haben damit nichts zu tun. Sie sind nämlich nicht größer als meine Hand – und das sind schon die Riesenexemplare unter ihnen.“

„Und wer ist dann für eure blutige Geschichte verantwortlich, Mensch Jay Thornton?“

„Das waren ausschließlich wir Menschen.“

„Eigenartig...“

„Was?“

„Du machst mir keinen übertrieben kämpferischen Eindruck, Mensch Jay Thornton. Zumindest sollte das friedliche Zusammenleben innerhalb einer Sippe durch jemanden wie dich nicht über Gebühr gestört werden.“

„Oh, danke – ich nehme das mal als Kompliment.“

An Händen und Füßen gefesselt wurde wenig später auch der Qriid Karan-Tanas zu ihnen in die Kabine gebracht.

Er stierte Thornton an, sagte aber nichts.

Vielleicht war er durch die Elektroschocks zu sehr weggetreten, um bemerkt zu haben, dass ich versucht habe, den Wsssarrr zu stoppen!, dachte Jay Thornton. Aber wahrscheinlich hatte der Arachnoide sogar recht. Karan-Tanas verachtet mich – und wie es scheint, braucht er dafür noch nicht einmal einen Grund.

Wenig später schleusten mehrere diskusförmige Raumfähren aus dem Hangar in den freien Weltraum aus. Das Mutterschiff hatte ebenfalls Diskusform, nur war es wesentlich größer. Es gab Sichtfenster, die den Insassen einen Blick nach außen ermöglichten.

Wir befinden uns offensichtlich im Orbit eines Planeten, dachte Jay Thornton.

Die Welt, auf der die diskusförmigen Raumfähren sich zur Landung anschickten, war ein weißblauer Ball, der das Licht seines Zentralgestirns stark reflektierte.

„Das ist Wsssarrr-Ta!“, stieß der Riesenkolibri hervor. Sein Geschnatter wurde in die schrillen Laute der Arachnoiden übersetzt – und diese wurden mittlerweile von allen Translatoren im Raum zumindest einigermaßen sicher interpretiert. Die Übersetzung einer Übersetzung – nicht gerade das, was man als eine gute Kommunikation bezeichnen könnte!, ging es Jay Thornton durch den Kopf.

„Stimmt es, dass die Achtbeiner uns dort die Hirne entnehmen und daraus eine rituelle Mahlzeit zubereiten?“, erkundigte sich indessen der Wurmartige.

Die Antwort war zunächst Schweigen.

Schließlich meldete sich der Qriid zu Wort.

„Genau das werden sie mit uns tun!“, erklärte er. „Es sind gottlose Tiere, die sich nicht scheuen, vernunftbegabte Wesen zu essen, weil ein primitiver Aberglaube ihnen das befiehlt...“

„Du weißt anscheinend einiges über sie“, stellte Thornton fest.

Karan-Tanas hob den Kopf.

Er öffnete den Schnabel. Es sah beinahe wie ein Gähnen aus. Was diese Geste bedeutete, wusste Thornton nicht und er konnte es aus dem Zusammenhang heraus auch nicht erschließen.

„Ja, unser Volk hatte bereits einige Begegnungen mit ihnen... Und im Gegensatz zu euren Spezies, fürchten sie uns! Und das mit Recht! Denn eines Tage werden die Tanjaj sie vernichten und diese fleischgewordene Beleidigung Gottes vom Antlitz seines Universums tilgen.“ Der Qriid machte eine Pause. „Sie sind von der Idee besessen, Fragmente fremder DNA in ihr eigenes Erbgut zu integrieren, um damit die eigene Widerstandskraft zu erhöhen. Darum entführen Sie mit ihrer Hirnfänger-Flotte Individuen von fremden Planeten. Wenn sich die betreffende Zivilisation wehrt, gehen sie sehr rücksichtslos vor. Wenn nötig, töten sie eine ganze planetare Bevölkerung, nur um ein paar Exemplare in ihre Gewalt zu bekommen. Die Hirne werden entnommen, chemisch behandelt und dann zu einer Substanz verarbeitet, die sich die Essenz des Geistes nennt. In geradezu blasphemischen Zeremonien flößen sich die Wsssarrr dann davon etwas ein.“

Jay Thornton trat etwas näher an den gefesselten Qriid heran.

„Wenn die Wsssarrr deine Rasse so fürchten, wie kann es dann, dass du in ihre Gefangenschaft gerietst?“

„Ich gehörte der Mannschaft eines Kundschafter-Kriegsschiffs an, das von den Wsssarrr gestellt und im Gefecht stark beschädigt wurde. Wir waren gezwungen auf einem einsamen, unwirtlichen Planeten Not zu landen. Die Wsssarrr folgten uns. Sie haben alle Überlebenden getötet – bis auf mich. Ich habe gesehen, wie sie die ehrenwerten Tanjaj-Kameraden einen nach dem anderen dahin metzelten.“

Ein schabender Laut seines Schnabels unterstrich die Schilderung des Qriids.

Schließlich verstummte er.

7

Die STERNENKRIEGER hatte inzwischen das zukünftig im Katalog nach ihr benannte System 2234/2 erreicht. Die kartographischen Grunddaten von 2234/2 waren bereits mit einer Sandström-Transmission zur Erde gesandt worden.

„Captain, Sie haben bis jetzt noch nicht von ihrem Recht Gebrauch gemacht, dem System einen Gebrauchsnamen zu geben!“, stellte Bruder Padraig fest. „Wie wäre es mit Reilly’s Stern?“

„Damit man mich bis in alle Ewigkeit mit diesen Arachnoiden identifiziert, die man dann wahrscheinlich Reillys Riesenkrabbler nennen wird?“ Commander Reilly schüttelte entschieden den Kopf. „Keine Chance, Bruder Padraig. Aber ich habe nichts dagegen, das System nach Ihnen zu benennen. Schließlich wären wir ohne Ihre Mitwirkung wahrscheinlich gar nicht hier!“

„Diese Art von Eitelkeit ist mir fremd“, sagtePadraig, den Reilly wieder auf die Brücke beordert hatte, wo er Lieutenant Wu bei der Interpretation der Ortungsergebnisse unterstützen würde.

Masseabtastung und Fernortung der STERNENKRIEGER reichten etwa eine Lichtstunde weit. Innerhalb dieser Reichweite waren auch Raumschiffe zu orten, vorausgesetzt ihr Antrieb war aktiviert oder es gab andere auffällige Emissionen oder Signaturen. Alles, was über diese Entfernung hinausging, konnte nur durch die herkömmlichen Methoden der Astronomie erkundet werden.

Aber manchmal reichten auch diese Methoden schon vollkommen aus, um zu erstaunlichen Erkenntnissen zu gelangen...

Keine zehn Minuten war es her, da die STERNENKRIEGER aus dem Sandströmraum ausgetreten war. Jessica Wus grazile Finger glitten über die Sensorfelder ihres Terminals. Auf dem sonst stets freundlich-neutral wirkenden Gesicht der Ortungsoffizierin der STERNENKRIEGER erschien eine Falte mitten auf der Stirn.

„Captain! Keine der angemessenen Radio- und Funkquellen ist gegenwärtig noch aktiv“, stellte sie fest.

„Präzisieren Sie Ihre Meldung, Ortung!“, forderte Lieutenant Commander Soldo.

Jessica Wu drehte sich in ihrem Schalensessel herum. „Das System ist funktechnisch tot, obwohl wir aus einer Entfernung von mehreren Lichtjahren noch eine starke Aktivität peilen konnten.“

„Dafür gibt es nur eine Erklärung“, sagte Bruder Padraig, der inzwischen ebenfalls einen Blick auf Lieutenant Wus Anzeigen geworfen hatte. „Es dauert Jahre, bis Funkwellen, Radiowellen oder Lichterscheinungen in der Nähe eines Lichtjahre weit entfernten Planeten wie Blue Eye sichtbar sind. Die Lichtgeschwindigkeit ist schließlich eine Konstante. Wenn es also vor einem Jahrzehnt hier noch Anzeichen für die Existenz einer technischen Zivilisation gab und wir sie jetzt nicht mehr anmessen können, spricht das dafür, dass in diesem System eine Tragödie stattgefunden hat.“

„System 2234/2 hat insgesamt 17 Planeten“, berichtete Wu.

„Gibt es einen davon, den wir ansteuern sollten?“, fragte Commander Reilly.

„Die Übereinstimmung mit der Verteilung der Blei-Isotope ist auf Planet VIII am größten – aber das ist eine kalte, atmosphärelose Welt, auf der es so gut wie kein Wasser gibt. Aber die einzige Welt dieses Systems, auf dem die Existenz einer Zivilisation denkbar ist, wäre Nummer II“, erklärte Wu.

„Klingt für mich etwas widersprüchlich“, meine Commander Reilly.

„Ich teile Ihre Ansicht, Captain“, sagte Bruder Padraig. „Es könnte sein, dass 2234/2 nicht das gesuchte Heimatsystem der Arachnoiden ist!“

„Sehen wir uns Planet Nummer II genauer an“, befahl Reilly. „Ruder, nehmen Sie eine entsprechende Kurskorrektur vor!“

„Ja, Sir“, meldete Ramirez. „Ich leite das Bremsmanöver ein. Unsere Geschwindigkeit beträgt 0,3987 LG. In 11 Stunden erreichen wir den Orbit von Planet II.“

„Die JUPITER tritt gerade aus dem Sandström-Raum aus“, meldete Wu.

„Stellen Sie mir eine Verbindung zu Commander Van Doren her“, forderte Reilly. „Wir haben einiges zu besprechen.“

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Beinahe einen halben Standard-Tag später schwenkten die beiden Leichten Kreuzer STERNENKRIEGER und JUPITER in eine Umlaufbahn um Planet II ein, dessen Zentralgestirn inzwischen auf den Namen Seventeen getauft worden war, was sich natürlich auf die siebzehn Planeten bezog. Die Namensgebung ging auf einen Vorschlag von Commander Van Doren zurück, und da niemand anderem etwas Besseres einfiel, blieb es dabei.

„Bleibt nur zu hoffen, dass wir nicht doch noch einen achtzehnten Trabanten finden“, lautete Bruder Padraigs Kommentar zur Namensgebung. „Das wäre wirklich peinlich – und ganz ausgeschlossen ist das nämlich keineswegs!“

„Zu spät, Bruder Padraig!“, erwiderte Lieutenant Commander Soldo. „Die Entscheidung zur Namensgebung wurde an die Erde gesandt und wurde dort bereits in den Katalog eingetragen. Sollte es dort keine Namens-Doppelung geben, dann ist der Name amtlich und kann nicht mehr ohne weiteres geändert werden.“

Es war die JUPITER, die zuerst die Trümmer im Orbit auf dem Ortungsschirm hatte. Lieutenant Ferdinand Massarov meldete sich deswegen über Funk auf der STERNENKRIEGER. Lieutenant Wu bekam wenig später ähnliche Ortungsergebnisse.

Es handelte sich um die Reste von Satelliten, die offenbar der Übertragung von planetenweiten Medienprogrammen gedient hatten.

„Die Kommunikationstechnik dieser Welt scheint sich auf einem Status befunden zu haben, der mit dem späten zwanzigsteten Jahrhundert auf der Erde vergleichbar ist“, sagte Soldo.

„Das heißt, die Satelliten dienten lediglich der innerplanetaren Kommunikation?“, vergewisserte sich Commander Reilly.

„Ja, Sir. Genau so ist es.“

„Seventeen II ist funktechnisch vollkommen tot!“, stellte Wu jetzt noch einmal nach erneuter Überprüfung fest. Schließlich hätte es ja sein können, dass man aus geringerer Distanz auch schwächere Signale hätte anpeilen können. Aber das war nicht der Fall.

„Allerdings finden sich deutliche Spuren einer – wenn auch dünnen – Besiedlung“, erklärte Lieutenant Wu. „Es gibt Städte, die allerdings teilweise in sehr unwegsamen Regionen liegen. Viele davon im Hochgebirge... aber die Meisten scheinen Ruinen zu sein.“

„Ich möchte wissen, wer diese Zivilisation vernichtet hat“, meinte Reilly grimmig. Er erhob sich von seinem Kommandantensitz und wandte sich an Soldo. „Sie haben das Kommando, I.O. Ich werde mir ein Außenteam zusammenstellen und mich dort unten mal umsehen.“

„Aye, aye, Sir“, bestätigte Soldo und nahm dabei Haltung an.

9

Wenig später wurde die L-2 ausgeschleust.

Zu jenen Männern und Frauen, die Commander Reilly begleiteten, gehörten neben Bruder Padraig und Dr. Rollins auch Sergeant Saul Darren und ein paar seiner Marines sowie Fähnrich Ukasi und Fähnrich Sara Majevsky, eine junge Ortungstechnikerin.

Pilot Ty Jacques landete und ließ die L-2 in die Atmosphäre eintauchen, die aus einem Gemisch bestand, dessen wichtigster Bestandteil Stickstoff war. Daneben gab es mit 21 Prozent Sauerstoff einen Wert, der für Menschen außerordentlich angenehm war. Die Schwerkraft betrug allerdings 1,1 g, was bedeutete, dass man zehn Prozent mehr an Gewicht zu tragen hatte, als auf der Erde oder an Bord eines Raumschiffs, auf dem die Standardbedingungen der Erde hergestellt worden waren.

Aber das lag noch innerhalb der Toleranz, die man ohne Anwendung eines Antigrav-Paks gut auszuhalten vermochte.

Die L-2 landete in einer der Ruinenstädte. Sie lag vollkommen unzugänglich auf einer Felsenkanzel. Selbst in diesem zerstörten Zustand ließ sich erahnen, wie perfekt die ursprüngliche Stadt in die Natur hineingepasst worden war. Die L-2 landete auf einem zentralen Platz. Zunächst ließ Sergeant Darren seine Marines ausschwärmen. Einige von ihnen trugen ihre neuen Spezial-Kampfanzüge.

Aber der Sergeant selbst zählte nicht dazu.

Er trug lieber den Kampfanzug mit leichter Panzerung, wie er bis dahin bei den Marines üblich gewesen war.

Alles schien sicher zu sein. Es gab Anzeigen diverser Lebensformen. Biowerte mehrerer Spezies wurden angezeigt, von der die Größte jedoch gerade mal die Ausmaße von Hasen aufwies.

Fähnrich Majevsky glaubte, ein paar eigenartige Signaturen zu empfangen, die von aktivierten technischen Geräten stammen konnten.

Captain Reilly befahl der Sache nachzugehen.

„Bioimpulse auf dreißig Grad in etwa zwanzig Meter Entfernung!“, meldete Majevsky. Sie drehte sich, richtete den Scanner ihres Ortungsgerätes neu aus. Ein relativ intaktes Gebäude war dort zu sehen. Das Gemäuer bestand aus dicken, hellen Steinen. Einige Türme und Erker waren zerstört worden. Es gab starke Russspuren an manchen Stellen, die so aussahen, als hätte hier ein Feuer gewütet.

„Für mich sieht das aus, als wäre hier eine besondere Art von Laserstrahl verwendet worden“, erklärte Bruder Padraig. Stirnrunzelnd betrachtete er die Anzeigen auf dem Display seines Ortungsgerätes.

„Weitere Lebensformen tauchen hier auf dem Ortungsschirm auf!“, meldete Sara Majevsky. „Es sind...“

Weiter kam sie nicht.

In diesem Moment schossen mehrere Dutzend geflügelte Wesen, deren Körper die Größe von Hasen hatten, aus verschiedenen Öffnungen in der Wand des Gebäudes auf. Offensichtlich handelte es sich um regelrechte Einflugöffnungen.

Die Geflügelten sahen aus wie riesige Kolibris. Fasziniert starrte Reilly auf den Flügelschlag, der so schnell vonstatten ging, dass man keine Einzelheiten ihrer Flügel erkennen konnte.

Ein wahres Konzert aus schnatternden Lauten ertönte.

„Translator einschalten!“, befahl Reilly. „Nadler auf Betäubung.“

Unwillkürlich musste Commander Reilly bei diesen Worten an die Entscheidung denken, die Steven Van Doren vor kurzem auf dem Mond Thornton getroffen hatte und die zumindest einem seiner Crewmen das Leben gekostet hätte. Um ein Haar sogar der ganzen Gruppe. Gleichgültig, wie du dich auch entscheidest – du kannst nur Fehler machen!, ging es ihm durch den Kopf.

Die hasenartigen Riesenkolibris schwirrten zu mehreren Dutzend durch die Luft.

Ihre an das Schnattern von Gänsen erinnernden Laute waren so ohrenbetäubend, dass Reilly den Pegel der Aufnahmefunktion seines Translatorsystems herunterregeln musste.

Sie trugen kleine keulenähnliche Gegenstände, für deren Verwendungszweck es kaum einen Zweifel geben konnte.

„Eine Zivilisation, die in der Lage war, Kommunikationssatelliten ins All zu schießen wurde in die Steinzeit zurückgebombt!“, interpretierte Bruder Padraig die Lage.

Einige der Keulen schwingenden Riesenkolibris stießen jeweils kurz auf das Außenteam der STERNENKRIEGER zu, so als wollten sie angreifen, aber sie schienen sich nicht zu trauen. Jedenfalls zogen sie sich immer wieder zurück, kurz bevor der Angreifer sein Ziel auch tatsächlich erreichte.

Die Crewmitglieder der STERNENKRIEGER standen mit ihren schussbereiten Nadlern da und warteten ab.

„Wir müssen die Nerven behalten“, sagte Bruder Padraig. „Ich glaube nicht, dass diese Riesenkolibris wirklich angreifen wollen!“

Das hat Van Doren auch gedacht!, überlegte Commander Reilly.

„Versuchen Sie, Kontakt mit den Fliegern aufzunehmen!“, verlangte Reilly anPadraig gewandt.

Der Olvanorer, der als Einziger aus der Gruppe keinerlei Bewaffnung – weder Gauss-Gewehr noch Nadler – trug, nickte leicht. Er wirkte sehr konzentriert.

„Ich werde mein Bestes versuchen“, sagte er. „Aber viel hängt von der Leistungsfähigkeit unserer Translatoren ab!“

Der Olvanorer trat vor.

Er reichte zuvor sein Ortungsgerät an Fähnrich Ukasi weiter.

„Wir kommen in Frieden“, sagte Bruder Padraig dann. Er öffnete die Hände, um den Riesenkolibris zu zeigen, dass er unbewaffnet war. Diese standen jetzt förmlich in der Luft und starrten den Mann in der braunen Kutte mit ihren Knopfaugen an.

„Ich nehme an, dass die Achtbeiner für die Zerstörungen auf eurer Welt verantwortlich sind“, sagtePadraig. „Sie haben auch eines unserer Raumschiffe zerstört.“

Das Translatorsystem übersetztePadraigs Worte in die Sprache der Riesenkolibris. Offenbar war bereits genug Sprachmaterial aufgezeichnet und analysiert worden, um sich zumindest verständlich zu machen.

Unter den Riesenkolibris schien eine heftige Diskussion aufzubranden. Das Geschnatter war ohrenbetäubend.

Für das Translatorsystem war es natürlich vollkommen unmöglich aus dem Chaos noch so etwas wie eine Bedeutung herauszufiltern. Es kamen nur Begriffe.

Erstaunlicherweise hatte dieses Durcheinander am Ende aber doch ein Ergebnis.

Einer der Riesenkolibris flog auf Bruder Padraig zu.

Robert Ukasi hob seinen Nadler.

„Die Waffe runter, Fähnrich!“, rief Reilly und folgte damit einfach seinem Instinkt. Einem Instinkt, der sich genauso zu irren vermag, wie der abwägende Verstand! durchfuhr es Reilly in derselben Sekunde.

Ukasis Gesicht war zu einer grimmigen Maske verzogen.

Aber er gehorchte.

Der Riesenkolibri landete etwa einen Meter vor Bruder Padraigs Füßen.

„Du hast recht“, sagte er. „Unsere Zivilisation wurde durch achtbeinige Invasoren zerstört. Sie nennen sich Wsssarrr und haben viele von uns gefangenen genommen und ihre Schiffe entführt. Und manchmal kehren sie zurück und versuchen, einige von uns zu fangen...“

10

Ein paar Stunden später kehrte die L-1 zur STERNENKRIEGER zurück. Als wichtige Erkenntnis sah Bruder Padraig an, dass die Überfälle der Wsssarrr erst vor einer Zeitspanne begonnen hatten, die etwa zehn irdischen Jahren entsprach.

Lieutenant Wu hatte in der Zwischenzeit die astronomischen Daten des Systems 2234/1 aktualisiert.

„Von Blue Eye aus wirkte dieses System wie eine Funkwüste. Aber das ist es jetzt nicht mehr“, stellte die Ortungsoffizierin der STERNENKRIEGER fest. „Es gibt Anzeichen reger Aktivität und es ist mir sogar gelungen ein paar Botschaften aufzufangen, die mit einem Signalsystem übertragen werden, dass unserem Sandström-Funk ähnelt.“

„Konnten Sie die Botschaft entschlüsseln?“, fragte Reilly.

„Nein, bislang noch nicht.“

„Aber wir wissen jetzt zwei Dinge“, stellte Bruder Padraig fest. „Erstens wird sich höchstwahrscheinlich die Heimat der Arachnoiden dort befinden und zweitens sind die so genannten Wsssarrr wohl selbst erst vor wenigen Jahren in diese Region gezogen. Anders lassen sich unsere bisherigen Ortungsergebnisse nicht erklären.“

„Das klingt plausibel“, meinte Commander Reilly.

„Ich werde mit Dr. Rollins noch einmal die Analyse der Blei-Isotope durchgehen“, kündigte Bruder Padraig an. „Wir müssten darin eigentlich eine Bestätigung für diese Theorie finden können.“

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Reilly begab sich in seinen Raum, ließ eine Verbindung zur JUPITER herstellen und besprach sich mit Commander Van Doren.

„Ich schlage vor, wir fliegen System 2234/1 im Schleichflug an, um die Lage abschätzen zu können“, meinte Van Doren. „Meiner Meinung nach geht es dabei in erster Linie darum, herauszufinden, in wie fern eine lang- oder mittelfristige Bedrohung für die Humanen Welten durch diese aggressiven Arachnoiden besteht.“

„Die Frage, über die ich im Moment nachdenke, ist, ob ich das Oberkommando von unseren Ergebnissen informieren soll“, bekannte Commander Reilly.

„Ich rate dir davon ab. Unser Sandströmfunk könnte von den Arachnoiden vielleicht geortet werden und sie misstrauisch machen.“

„Die Wahrscheinlichkeit, dass ein einzelner Sandström-Funkspruch abgehört – geschweige denn entschlüsselt wurde – ist zwar relativ gering, wenn man nicht gezielt danach sucht. Aber falls die Arachnoiden auf uns aufmerksam würden, wäre unsere Mission gescheitert.“

„Also informieren wir Raimondo hinterher.“

„Ja.“

„Vielleicht ist das sogar eine Lösung, die Raimondo in Wahrheit ganz recht ist – dann braucht er unseren Einsatz im Stab nicht zu rechtfertigen!“

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Kapitel 4: SPIDER II

Einen Standard-Erdtag später erreichten die STERNENKRIEGER und die JUPITER die äußere Region des Systems 2234/1, dem inzwischen auf Grund der hier vermuteten Heimat der arachnoiden Wsssarrr der Name ‚Spider’ verliehen worden war.

Insgesamt sieben Planeten hatten Bruder Padraig und Lieutenant Wu bereits von Blue Eye aus inklusiver ihrer Umlaufbahnen und ihrer chemischen Zusammensetzung bestimmen können.

Jetzt stellte sich heraus, dass es noch acht weitere Trabanten um Spider gab, bei denen es sich aber um kleinere Brocken aus Gestein und Eis handelte, die vorwiegend in den äußeren Regionen des Systems ihre teils irregulären und von der Systemebene bis zu siebzig Grad abweichenden Bahnen zogen.

Spider war ein brauner Zwerg, in dem die Fusionsreaktion bereits zum Erliegen gekommen war. Das bedeutete, dass nur auf den ersten beiden Planeten Temperaturen über dem Gefrierpunkt erreicht wurden. Sowohl Spider I als auch Spider II waren ihrem Zentralgestirn so nahe, dass ihre Eigenrotation vollkommen zu Erliegen gekommen und mit der Eigenrotation ihrer Sonne synchronisiert worden war.

Die Nachtseiten beider Planeten waren stark vereist. Während Spider I auf der Tagseite mit Durchschnittstemperaturen von über 200 Grad Celsius sehr heiß und trocken war, herrschte auf der sonnenzugewandten Seite von Spider II ein gemäßigtes Klima herrschte. Darüber hinaus ergab ein neuerlicher Abgleich der Isotopenverteilung bei Blei und Cadmium die größte bisher gefundene Übereinstimmung mit den Werten, die aus dem Körper des toten Arachnoiden ermittelt worden waren.

Zahlreiche Funk- und Radioquellen strahlten bis in die äußeren Regionen des Spider-Systems.

Auch verstärkte Aktivität im Bereich Sandström-Funkspektrums war auszumachen. Raumschiffe waren aus dieser Entfernung noch nicht zu orten. Bruder Padraig war aber überzeugt davon, dass man in der näheren Umgebung von Spider II mit zahlreichen Schiffen der Wsssarrr rechnen musste.

Die STERNENKRIEGER und die JUPITER leiteten ein erstes Bremsmanöver ein, als sie sich im Ortungsschatten des Gasriesen Spider X befanden.

Schließlich gelang es Bruder Padraig in Zusammenarbeit mit Lieutenant Wu, einiger Sandström-Funkbotschaften der Wsssarrr zu entschlüsseln.

Innerhalb der nächsten Stunden wurde das Bild der Wsssarrr immer klarer. Sie wohnten offenbar in lediglich drei Siedlungen auf der Tagseite des Planeten Spider II, der von ihnen Wsssarrr-Tag genannt wurde. Insgesamt bestand ihre Bevölkerung lediglich aus etwa hunderttausend Individuen – alles Nachkommen von Flüchtlingen, die vor ein paar Jahren in dieses System gekommen waren. Die Angaben über den genauen Zeitpunkt waren widersprüchlich. Bruder Padraig vermutete, dass verschiedene Gruppen von Wsssarrr zu unterschiedlichen Zeiten das Spider-System erreicht hatten. Ihre eigentliche Heimat lag dreißig Lichtjahre entfernt und war offenbar von einem „vogelartigen“, „schnabeltragenden“ Feind erobert worden.

Bizarr war das, was man aus dem Funkverkehr über die Gesellschaft der Arachnoiden erfahren konnte. Sie war nach so genannten Gen-Einheiten geordnet, worunter man wohl sippenartige Strukturen verstehen musste. Zumindest gingen Bruder Padraigs Spekulationen in diese Richtung.

Darüber hinaus beherrschte die gemeinsame Einnahme so genannter Hirn-Mahlzeiten ihre Kultur. Sie aßen offenbar die Hirne ihrer Toten. Außerdem gab es eine so genannte Hirnfänger-Flotte, die auszog, um Gefangene zu machen, deren Hirne chemisch behandelt in diese rituellen Mahlzeiten hineingemengt wurden. Man hoffte so auf die Aufnahme von genetischen Bestandteilen aus diesen Hirnen. Ob es sich dabei lediglich um Aberglauben handelte oder der Stoffwechsel der Wsssarrr tatsächlich in der Lage war, Gen-Fragmente in die eigene Erbsubstanz zu integrieren, konnte aus der Ferne natürlich nicht überprüft werden.

Phasenweise wurden jetzt weitere Bremsmanöver durchgeführt. In den Phasen dazwischen flogen die beiden Leichten Kreuzer neuen Typs einfach mit ihrem Fahrtschwung weiter.

Das Abbremsen auf Werte unter 0,01 LG, die das Einschwenken in ein Orbit erlaubt hätten, dauerte auf diese Weise natürlich wesentlich länger, weswegen man einen bereits einen weit außerhalb des Systems gelegenen Austrittspunkt aus dem Sandströmraum gewählt hatte. Aber man minimierte auf diese Weise das Risiko einer Entdeckung.

1

Fast dreißig Stunden dauerte diese Annäherung. Die Besatzung auf der Brücke musste sich in dieser Zeit in Schichten ablösen und die Fähnriche waren gezwungen, bereits zeitweilig in vollem Umfang ihren zukünftigen Dienst als Brückenoffiziere zu erfüllen.

Ein Ruck ging plötzlich durch das Schiff.

„Ortung, was war das?“, fragte Reilly.

„Wir wurden mit Laserfeuer beschossen!“, stellte Lieutenant Wu fest. „Etwa ein Dutzend Einheiten haben sich unserem Schiff im Schleichflug genähert.“

„Das kann nur bedeuten, dass sie uns seit langem geortet haben!“, meinte Soldo.

„Ihre Ortungssysteme scheinen den unseren weit überlegen zu sein“, stellte Bruder Padraig fest. „Allerdings wundert mich das nicht, nachdem wir von dem schnabeltragenden Feind erfahren haben, vor dem sie geflohen sind. Dieser Feind scheint ihnen weit überlegen zu ein und da macht es durchaus Sinn, besonderen Wert auf eine gute Fernortung zu legen.“

Erneut ging eine Erschütterung durch das Schiff.

Schäden auf mehreren Decks wurden gemeldet. Die JUPITER kam jetzt offenbar ebenfalls unter Feuer genommen. Jedes Wsssarrr-Schiff, dass das Feuer eröffnete, verriet dadurch natürlich sofort seine Position, selbst dann wenn es die Triebwerke deaktiviert ließ und auch sonst darauf achtete, dass keinerlei verdächtige Signaturen oder andere Emissionen nach außen drangen, anhand derer man seine Position hätte bestimmen können.

Lieutenant Wu zählte mehr als zwei Dutzend Einheiten.

So ähnlich muss sich der Überfall auf die CAMBRIDGE ereignet haben!, ging es Commander Reilly durch den Kopf. Die Wsssarrr-Schiffe befanden sich im Blue-Eye-Subsystem und wurden von der CAMBRIDGE überrascht. Auf Grund ihrer überlegenen Ortung konnten die Arachnoiden Captain Thorntons Schiff viel früher orten und hatten Zeit genug, ihm eine Falle zu stellen, die so ähnlich funktioniert haben muss wie diese hier...

„Lieutenant Wu!“

„Ja, Captain?“

„Konferenzschaltung zur Brücke der JUPITER!“

„Sandströmfunk wird durch ein Störsignal überlagert und ist ausgefallen!“

„Wie auf der Cambridge!“, kommentierte Bruder Padraig.

„Dann stellen Sie die Konferenzschaltung über Normalfunk her“, befahl Reilly. „Bei der gegenwärigen Distanz dürfte das kein Problem bedeuten.“

„Konferenzschaltung ist über Normalfunk hergestellt.“

„Kanal öffnen.“

„Ist geöffnet.“

„Hier spricht Commander Reilly. Als dienstälterer Kommandant übernehme ich jetzt die Befehlsgewalt über beide Schiffe.“

„Wir gehen auf maximale Beschleunigung und fliegen einen synchronen Verfolgungskurs, der die JUPITER in einem Abstand von nicht mehr als 500 Kilometer hinter der STERNENKRIEGER herführt. Beide Schiffe werden in Rotation versetzet und geben maximales Feuer.“

„Ich möchte bemerken, dass unsere Geschwindigkeit inzwischen unter 0,001 LG liegt und wir über neun Stunden brauchen werden, um Werte zu erreichen, die eine Flucht in den Sandström-Raum erlaubt.“

„Das ist mir bewusst“, erwiderte Commander Reilly. „Und mir ist auch bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch ist, dass es uns innerhalb dieser neun Stunden so ergeht wie der Besatzung der CAMBRIDGE. Aber wir haben keine andere Wahl...“

„Kurskorrektur durchgeführt!“, meldete Lieutenant Ramirez.

„Übergabe der Schiffskontrolle an den Waffenoffizier“, befahl Reilly.

„Übergabe erfolgt“, bestätigte Fähnrich Ukasi, der zu diesem Zeitpunkt gerade Dienst auf der Brücke hatte. Seine Finger glitten mit atemberaubender Geschwindigkeit über die Sensorenfelder seines Touchscreens.

Soldo rief unterdessen über Interkom Lieutenant Chip Barus, dessen Schlafperiode eigentlich gerade erst begonnen hatte.

Als Ukasi kurz den Blick zum Ersten Offizier wandte, meinte dieser: „Das ist keine Geringschätzung Ihrer Fähigkeiten, Fähnrich. Aber in einer Gefechtssituation wie dieser brauchen wir einen erfahrenen Waffenoffizier auf der Brücke.“

„Natürlich, Sir“, knirschte Ukasi zwischen den Zähnen hindurch.

2

Beide Leichte Kreuzer begannen hintereinander her zu fliegen, dabei um die eigene Achse zu rotieren und ihre Geschützbreitseiten oben, unten, rechts und links abzufeuern. Da die Geschütze starr waren, konnten Treffer nur durch hohe Schussfrequenz und eine Veränderung der Schiffsposition erzielt werden. Die würfelförmigen Gauss-Geschosse pflügten im Fall eines Treffers einen zehn Meter breiten Kanal durch das getroffene Schiff und traten auf der anderen Seite wieder aus. Je nach dem, welche Regionen dabei getroffen wurden, konnte schon ein einzelner Treffer das Ende bedeuten, etwa dann, wenn die Antriebsaggregate zur Explosion gebracht wurden.

Das Laserfeuer der angreifenden Diskusschiffe war zwar viel zielsicherer, aber an Durchschlagskraft und Wirkung den Gauss-Geschossen weit unterlegen.

Schon wurden die ersten Diskus-Schiffe getroffen. Wenig später fraßen sich Brände in ihnen fort. Ganze Stücke platzten aus der Außenverkleidung, verwandelten sich dann in künstliche Sonnen und explodierten, ehe ihre glühenden Trümmer wie Sternschnuppen durch die Dunkelheit des Alls irrlichterten.

Weitere Angreifer-Einheiten zerbarsten. Aber ihre zahlenmäßige Überlegenheit war groß genug, um diese Verluste auszugleichen.

Die JUPITER meldete ein paar schwere Schäden durch intensiven Dauerbeschuss. Auf diese Weise war ein Teil der Energieversorgung ausgefallen. Notaggregate mussten die Lebenserhaltungssysteme aufrechterhalten. Die Triebwerke konnten nur mit halber Kraft arbeiten.

„Die JUPITER muss eine Kurskorrektur durchführen und kann die Beschleunigung nicht weiter aufrechterhalten“, meldete Commander Van Doren über Funk. „Das Sandströmaggregat hat einen Volltreffer erhalten und dürfte nicht mehr einsatzfähig sein. Willard – wenn ihr euch retten wollt, solltet ihr jetzt eure eigenen Wege gehen!“

„Das kommt nicht in Frage, Steven!“, widersprach Reilly. Eine spontane Antwort aus dem Gefühl heraus, meldete sich sofort ein kritischer Kommentator in Reillys Hinterkopf. Mit einer Abwägung von Chancen und Risiken für die eigene Besatzung hat das nichts zu tun gehabt!

„Wir werden eine Notlandung versuchen“, kündigte Van Doren an.

„Wo?“

„Nur Spider II käme dafür in Frage – sowohl vom Kurs her, den wir gerade fliegen, als auch von den Umweltbedingungen.“

„Die Zentralwelt des Feindes?“

„Erstens haben wir keine andere Wahl, Willard. Und zweitens gibt es auf Spider II keine flächendeckende Besiedlung. Drei Ansiedlungen auf einer ganzen Hemisphäre, dazu eine unwirtliche Nachtseite, die zwar bitterkalt ist, aber immerhin eine Sauerstoffatmosphäre hat, was schon mal vieles erleichtert. Wenn wir Glück haben, können wir dort solange untertauchen, bis man uns hilft...“

„Wir werden die JUPITER nicht allein lassen!“, widersprach Reilly.

3

Soldo meldete in diesem Augenblick auch einen Lasertreffer mit erheblichem Schaden auf der STERNENKRIEGER. Ein vorwiegend mit Kabinen belegtes Mannschaftsdeck verlor durch einen Hüllenbruch die Atmosphäre. Glücklicherweise befanden sich dort auf Grund des aktuellen Gefechtsalarms kaum Crewmitglieder, sodass sich die Zahl der Verluste in Grenzen hielt. „Wen hat es erwischt?“, wollte Reilly wissen.

„Die Marines Duggan und Zeronga werden vermisst. Und Crewman Derek Sambo wird derzeit wegen der Folgen des Unterdrucks auf der Krankenstation behandelt“, gab Soldo Auskunft.

„Captain! Ich orte Dutzende von fremden Schiffen, die gerade im Normalraum materialisieren. Es müssen über hundert Einheiten sein!“, meldete Wu.

„Schiffe der Wsssarrr?“, fragte Reilly.

Wu schüttelte den Kopf.

„Nein. Die Signaturen unterscheiden sich deutlich. Ich aktiviere eine Positionsübersicht, auf der Sie sehen können, dass diese Fremden sich von verschiedenen Seiten nähern. Die Sensoren zeigen noch weitere Schiffe an, die in den Normalraum eintreten.“

„Insgesamt zählt der Computer bereits über hundertfünfzig Einheiten“, stellte Soldo fest.

„Eine Armada!“, entfuhr es Reilly.

„Die Größe der einzelnen Schiffe, soweit wir die bereits ortungstechnisch erfassen können, differiert. Aber die Kleinsten von ihnen dürften in etwa unseren Leichten Kreuzern entsprechen“, fuhr der Erste Offizier fort. Er blickte von seiner Konsole auf. „Captain, falls eine solche Flotte an den Grenzen der Humanen Welten auftauchen würde, hätten wir ihr nichts entgegen zu setzen. Das sind Dimensionen, die alles übersteigen, was wir bislang aus dem Krieg zwischen K'aradan und Fulirr kennen gelernt haben!“

„Captain, wir empfangen eine Sandström-Botschaft“, sagte Wu. „Sie ist offenbar absichtlich in einem leicht zu entschlüsselnden Binärcode gehalten.“

„Gibt es einen Video-Stream?“, fragte Reilly.

„Ja, Sir.“

„Auf den Schirm damit. Ich bin gespannt, mit wem wir es zu tun haben!“

Das Bild, das bis dahin den Panoramaschirm der STERNENKRIEGER beherrscht hatte, war von dem braunen Zwerg mit der Katalogbezeichnung STERNENKRIEGER 2234/1 sowie dem scheinbar näher rückenden Planeten Spider II geprägt gewesen, der sich inzwischen wie ein dunkler Schatten zwischen das Zentralgestirn und die STERNENKRIEGER geschoben hatte. Jetzt wurde es durch das Abbild eines vogelköpfigen Extraterrestriers abgelöst. Er trug eine Uniform, an deren Brust eine reichliche Auswahl an verschiedenen Medaillen aus den unterschiedlichsten Metallen zu finden war.

„Hier spricht Latan-Rai, Oberster Kriegsherr der Tanjaj und Kommandant der Gotteskrieger des Heiligen Imperiums der Qriid!“, übersetzte das Translatorsystem. Das Translatorsystem sorgte dafür, dass die Transmission mit ein paar Minuten Verzögerung auf den Schirm kam, sodass der Bordrechner zunächst die Möglichkeit hatte, das Vokabular aufzuzeichnen und zu analysieren. Auch wenn es ein paar Begriffsunsicherheiten und Ungereimtheiten gab, so schien das Translatorsystem mit dem Idiom der Qriid doch wesentlich weniger Schwierigkeiten zu haben, als es beispielsweise bei der von Infraschallfrequenzen durchsetzten Sprache der Whuuorr der Fall gewesen war. „Allen Einheiten der gottlosen Wsssarrr-Brut wird geraten, sich der Gerechtigkeit des Heiligen Imperiums zu ergeben, als dessen Eigentum, dieses System ab sofort zu betrachten ist. Wer aufgibt, wird die Möglichkeit erhalten, dem Imperium durch seine Arbeit zu dienen – vorausgesetzt, er erkennt die Grundsätze des Wahren Glaubens an, dem dieses Imperium bedingungslos dient. Wer diese Möglichkeit nicht wahrnimmt, wird vom Antlitz des Universums getilgt.“

4

Die Wsssarrr schienen von dem Angebot der Invasoren alles andere begeistert zu sein. Aus dem abgehörten Funkverkehr wurde das überdeutlich. Es machte sich bei den Arachnoiden auch gar nicht erst jemand die Mühe, dies zu verbergen.

Die Schiffe der Wsssarrr bildeten einen Verteidigungsring um Wsssarrr-Ta, wie sie ihre Welt nannten. Sie harrten dort aus und warteten darauf, sich der gewaltigen Angriffswelle entgegenzustellen.

Offenbar liefen gleichzeitig Vorbereitungen, um wenigstens einen Teil der Bevölkerung aus den drei Siedlungen zu evakuieren. Anscheinend gab es auf der Oberfläche eine größere Anzahl von Transportsschiffen, die noch aus der Zeit stammten, als die Wsssarrr im Spider-System angekommen und es zu ihrer neuen Heimat erkoren hatten.

Die Überlegenheit der Qriid-Flotte war schon zahlenmäßig dermaßen groß, dass die Verteidiger eigentlich keine Chance hatten.

Die STERNENKRIEGER und die JUPITER näherten sich Spider II.

Die zunächst so heftigen Angriffe der Wsssarrr auf die beiden Leichten Kreuzer nahmen ab. Viele Schiffseinheiten drehten ab, um sich dem neuen Feind zuzuwenden. Die beiden Menschen-Schiffe wurden mehr oder minder links gelassen. Erstens waren sie beide bereits beschädigt und man erwartete wohl insbesondere von der JUPITER kaum noch, dass sie überhaupt in das Gefecht eingreifen konnte. Und zweitens waren die Wsssarrr jetzt einfach gezwungen, Prioritäten zu setzen.

Etwa neun Stunden blieben den Verteidigern von Wsssarrr-Ta, um ihre Verbände zu ordnen und vielleicht einen Teil der arachnoiden Bevölkerung des Planeten zu evakuieren.

Eine lächerliche Zeitspanne.

Sie sandten schließlich einen Teil ihrer Flotte den Qriid entgegen – wohl in der Hoffnung, die Invasionsflotte zumindest für eine Weile aufzuhalten.

Die JUPITER trudelte derweil immer weiter auf Spider II zu. Schon machte sich die Anziehungskraft des Planeten bemerkbar.

Die STERNENKRIEGER blieb in ihrer Nähe und sorgte dafür, dass die verbliebenen Angreiferschiffe, die nach wie vor alles daran setzten, die beiden Leichten Kreuzer zu zerstören, auf Distanz gehalten wurden

Erst nach und nach wurden diese Schiffe entweder von dem Dauerbeschuss der STERNENKRIEGER vertrieben oder sie zogen sich zurück, um sich der Abwehrfront gegen die Qriid anzuschließen.

Inzwischen wurden immer schwerere Schäden auf der JUPITER gemeldet.

Eine Landung des Leichten Kreuzers auf der Planetenoberfläche – ohnehin bei Schiffen dieser Größenordnung nur in Notfällen vorgesehen – schien kaum noch möglich zu sein.

„Wir haben einen Brand in den Konverterkammern, der sich voran frisst. Die Ionentriebwerke stehen kurz vor der Explosion. Ich habe den Befehl zur Ausschleusung der Beiboote und Rettungskapseln gegeben!“, gab Van Doren in seiner letzten Funkmeldung an die STERNENKRIEGER durch. Danach brach der Kontakt ab.

Zwei der drei Beiboote wurden ausgeschleust, voll gepfropft mit insgesamt der Hälfte der Besatzung, was eine erhebliche Überbelegung bedeutete. Einige Rettungskapseln wurden ebenfalls ausgeschleust. Dann explodierte die JUPITER. Sie platzte auseinander und verwandelte sich in einen sich rasch ausdehnenden Feuerball, der auch zwei der drei Beiboote erfasste, von denen anschließend nur noch Trümmer in die Atmosphäre von Spider II segelten. Das dritte Beiboot schien keine Kontrolle mehr über die Steuerfunktionen zu besitzen. Es verglühte beim Eintritt in die Atmosphäre. Deutlich war das Aufblitzen auf dem Panoramaschirm der STERNENKRIEGER zu sehen.

„Verfolgen Sie die ID-Signale der ausgeschleusten Rettungskapseln“, verlangte Reilly von Lieutenant Wu.

„Falls wir sie schnell genug finden, könnten wir ein Beiboot ausschleusen und die Kapselinsassen auf der Oberfläche orten und an Bord nehmen“, glaubte Soldo. „Die Zeit bis zum Eintreffen der Qriid müsste gerade reichen...“

Die STERNENKRIEGER schwenkte in die Umlaufbahn um Spider III ein.

Die Wsssarrr konzentrierten sich jetzt zwangläufig vollkommen auf das Eintreffen der Invasoren.

Die Vorhut der Arachnoiden, deren Funktion es wohl sein sollte, das Eintreffen der Angreifer zu verzögern, um wenigstens einem kleinen Teil der Wsssarrr die Flucht zu ermöglichen, wurde grausam aufgerieben. Auf dem Ortungsschirm der STERNENKRIEGER war das eindruckvoll zu verfolgen. Auch die Qriid verwendeten laserartige Strahlenwaffen. Aber sie schienen wesentlich wirksamer zu sein als die Strahlenwaffen der Wsssarrr, die praktisch chancenlos waren. Zu einem konzentrierten Dauerbeschuss, der für die Wsssarrr notwendig war, um die Schiffspanzerung ihrer Gegner zu durchdringen, ließen es die Qriid in der Regel gar nicht erst kommen. Ein Wsssarrr-Schiff nach dem anderen wurde vernichtet.

Auf Seiten der Qriid hingegen gab es kaum Verluste.

Zur selben Zeit erreichten die ersten von der Oberfläche aus gestarteten Transportschiffe den Orbit von Spider II. Sie waren quaderförmig und dockten aneinander an, sodass sie sich zu großen Komplexen verbanden.

Mit spärlicher Eskorte brachen schließlich die ersten dieser Fluchtschiffe aus dem Orbit auf, um das System zu verlassen.

„Captain, ich orte einige der Peilsender der Rettungskapseln auf der Oberfläche“, meldete indessen Lieutenant Jessica Wu. „Die Besatzung der Fähren müssen wir allerdings wohl abschreiben.“

„Sergeant Darren soll sich mit seinen Marines in den Fähren ausschleusen, um die Insassen der Kapseln an Bord zu nehmen!“, befahl Commander Reilly. Seine Hände hatten sich zu Fäusten zusammen gekrampft.

„Aye, aye, Sir! Ich orte da übrigens noch etwas. Ganz schwach nur. Ich hatte es vorhin schon einmal auf der Anzeige, es aber dann wieder verloren...“

„Wovon sprechen Sie, Wu?“, hakte Reilly nach.

„Von einer Signatur, die eine starke Übereinstimmung mit unseren Armbandkommunikatoren zeigt.“

„Gehen Sie der Sache nach, Wu.“

„Jas, Sir.“

„Könnte es nicht sein, dass die Wsssarrr Captain Thornton hier her gebracht haben?“, fragte Bruder Padraig. „Schließlich war seine Rettungskapsel leer.“

„Dafür spricht, dass sich die zuletzt angemessene Position dieser Signatur mitten in einer der drei Siedlungen befand“, ergänzte Lieutenant Wu.

„I.O., geben Sie Sergeant Darren entsprechende Anweisungen. Er soll – wenn es ohne größeres Risiko möglich ist, die Position dieser Signatur anfliegen“, befahl Reilly.

„Ja, Sir“, bestätigte Thorbjörn Soldo.

5

Heilloses Chaos herrschte in der Hauptsiedlung der Wsssarrr auf Wsssarrr-Ta. Neue Zuflucht hatten die Arachnoiden diese Stadt getauft, wie Jay Thornton inzwischen durch die Gespräche der Bewacher mitbekommen hatte.

Die Gefangenen waren allesamt in das Innere eines großen ovalen Baus gebracht worden, der an ein klassisches Fußballstadion erinnerte. Unter freiem Himmel hätte wohl das so genannte Hirn-Mahl stattfinden sollen. Plätze für schätzungsweise 50 000 Wsssarrr standen zur Verfügung. In der Mitte dieses Kolosseums waren bereits einige seltsame Apparaturen auf einem hohen Podest aufgebaut. Alles, was dort geschah, konnte offenbar auch auf große Video-Leinwände übertragen werden, so dass jeder der Anwesenden auch am kleinsten Detail des kultischen Geschehens teilhaben konnte.

„Das sind sie also – jene Stätten des Schreckens, wie wir sie auch in der alten Heimat der Wsssarrr fanden!“, äußerte sich Karan-Tanas voller Ekel und Widerwillen. Er wandte sich an Thornton. „Sie extrahieren hier das Hirn der Gefangenen. Da drüben siehst du Maschinen, mit deren Hilfe die Hirne vermischt und chemisch behandelt werden...“

Die Wsssarrr-Wächter hatten die Gefangenen in den zentralen, von hohen Zäunen umgebenen Bereich der Arena gebracht. Aber inzwischen war keiner von ihnen da, um seine Aufgabe zu erfüllen. Sie hatten ihre Gefangenen sich selbst überlassen, während gleichzeitig Raumschiffe empor stiegen und im strahlend blauen Himmel von Spider II verschwanden.

Der Qriid wusste, was dies bedeutete.

„Die Flotte des Imperiums ist hier, um die schändlichen Hirnfresser zu richten und ihren Frevel vom Antlitz des Universums zu tilgen!“, sagte er. Er musterte Thornton von oben bis unten. „Du magst ein Ungläubiger sein, aber du hast Mut bewiesen. Wenn meine Tanjaj-Brüder hier ankommen, werde ich ein gutes Wort für dich einlegen...“

„Mir scheint, dass Fremde bei euch keine allzu guten Karten haben“, meinte Thornton.

Der Qriid schien nicht zu begreifen, was der Translator ihm übersetzte. Seine Gegenfrage wiederum verstand Thornton nicht.

„Du brauchst Karten? Wofür? Hier ist alles gut einsehbar und man kann sehen, was geschieht.“

„Ein Missverständnis, Karan-Tanas.“

„Das scheint mir auch so. Wie gesagt, du hattest Mut. Vielleicht könnte ich dich auf eine Welt bringen, auf der es sich angenehmer lebt, als hier!“

„Auf eine Imperiumswelt?“

„Natürlich.“

„Damit ich als zweitklassiger, unwürdiger Diener ein Leben friste?“

„Wir sind alle Diener – entweder der einen oder der anderen Sache.“ Er deutete auf den Alleinigen. „Dieser tierhafte Abschaum da vorne, hat wahrscheinlich nicht einmal das Hirn, um sich für oder gegen das Gute entscheiden zu können.“

Der Alleinige ließ ein dumpfes Grollen hören, das dem Qriid und allen anderen, die in der Nähe standen, ziemlich große Bauchschmerzen bereitete.

In diesem Moment tauchte etwas auf, das Jay Thornton zunächst für eine Fata Morgana hielt. Eine Ausgeburt seiner ausgehungerten Fantasie, die sich nichts so hergesehnt hätte, wie den Anblick einer Raumfähre mit der Kennung des Space Army Corps. STERNENKRIEGER L-1 war auf der Außenbeschichtung deutlich zu lesen.

„Ich glaube, ich habe mich entschieden, Karan-Tanas“, sagte Thornton. „Unsere Wege werden sich hier trennen!“

6

Die Fähre landete. Mehrere Marines sprangen ins Freie und gingen in Stellung.

„Captain Thornton vom Zerstörer CAMBRIDGE meldet sich zur Stelle“, sagte Thornton mit leicht ironischem Unterton.

„Ich bin Sergeant Darren von der STERNENKRIEGER“, sagte der Kommandant der Truppe. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut?“

„Den Umständen entsprechend.“

„Kommen Sie an Bord!“

Thornton deutete auf den Alleinigen. „Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir einen weiteren Passagier mitnehmen? Ich nehme an, es wäre kein allzu großer Umweg, wenn die STERNENKRIEGER auf dem Rückweg zur Erde einen Abstecher zu einem gewissen Mond macht, der meinen Namen trägt?“

Darren seufzte. „Da muss ich den Captain fragen!“

„Dann tun Sie das. Vielleicht haben Sie ja auch noch einen Schluck flüssiges Methan für unseren Gast.“

„Wie?“

„Ach nichts, Sergeant. Sagen Sie Ihren Männern, dass Sie die Tore dieses Gefängnisses öffnen sollen, damit alle heraus kommen!“

7

Nach und nach kehrten die drei Fähren der STERNENKRIEGER zurück in ihre Hangars. Außer Captain Thornton und dem Alleinigen waren nur noch fünf Besatzungsmitglieder der JUPITER in ihren Rettungskapseln lebend geborgen worden. Außer Commander Van Doren waren dies noch zwei Techniker, einer der Marines und Madeleine Levoiseur, die Ruderoffizierin. Die anderen Kapseln waren offenbar bereits bei der Explosion des Schiffs zerstört worden. Jedenfalls konnte man nichts mehr von ihnen finden. Weder von den Kapseln, noch von ihren Insassen.

Die Geretteten kamen zuerst auf die Krankenstation, um einer eingehenden Untersuchung unterzogen zu werden. Das galt sowohl für Van Doren als auch für Thornton und erst recht natürlich für den Alleinigen.

Die militärische Lage hatte sich inzwischen weiter zu Ungunsten der Wsssarrr verändert. Unbarmherzig griffen die Qriid an. Ein Wsssarrr-Schiff nach dem anderen wurde vernichtet. Ganz gezielt griffen die vogelartigen Aggressoren auch die quaderförmigen Transportschiffe an, mit der ein Teil der Wsssarrr-Bevölkerung zu flüchten versuchte. Diese Schiffe waren recht langsam und daher eine leichte Beute für die Angreifer.

Welch eine Ironie!, dachte Commander Reilly. Eben waren die Wsssarrr noch unsere erbitterten Feinde – und jetzt kann man schon fast so etwas wie Mitleid mit ihnen empfinden. Trotz der grausigen Hirnmahlzeiten, die sie durchführen!

Die STERNENKRIEGER konnte sich jetzt nur noch selbst in Sicherheit bringen.

Rotierend und nach allen Seiten um sich schießend brach sie auf und beschleunigte. Aber ehe sie die Geschwindigkeit zum Eintritt in den Sandströmraum erreichte, würden viele Stunden vergehen. Stunden, in denen der Leichte Kreuzer verwundbar war. Schließlich befand er sich inmitten einer erdrückenden Übermacht von Feinden.

Ein Qriid-Schiff feuerte auf die STERNENKRIEGER. Der Treffer richtete erheblichen Schaden an. Einen Augenblick sah es so aus, als würde die Energieversorgung zusammenbrechen, aber glücklicherweise war das nicht der Fall. Der geballte Beschuss der STERNENKRIEGER hatte schließlich Erfolg. Das Qriid-Schiff wurde vernichtet.

Der Leichte Kreuzer entfernte sich unterdessen immer weiter vom Kampfgeschehen. Noch waren sowohl Qriid als auch Wsssarrr sehr aufeinander fixiert. Das war die Chance für die STERNENKRIEGER.

Die Stunden gingen dahin, während rund um Spider II die mörderische Schlacht noch immer mit unverminderter Heftigkeit tobte.

Endlich – zehn Stunden nach ihrem Aufbruch aus dem Orbit verschwand das Schiff im Sandströmraum.

8

Erdorbit, Spacedock 1, Büro von Admiral Raimondo...

Zwei Wochen später...

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Commander Willard Reilly, Commander Steven Van Doren und Captain Jay Thornton hatten im Büro von Admiral Raimondo Platz genommen.

Raimondo lehnte sich hinter seinem Schreibtisch zurück.

Es ist schon ein Witz, dass der Jüngste in diesem Raum auch gleichzeitig den höchsten Rang bekleidet!, ging es Reilly durch den Kopf.

„Ich habe Ihre Berichte mit Interesse gelesen und mir auch die Logbucheintragungen genauestens angesehen, Gentlemen“, sagte Raimondo.

„Inzwischen sind Teile davon sogar in den Medien breitgetreten worden“, ergänzte Reilly.

Raimondo lächelte. „Manchmal ist es nicht anders möglich, als dass man Informationen gezielt und dosiert an interessierte Kreise weiter gibt, auch wenn die Dienstordnung, der man untersteht, eigentlich etwas anderes sagt“, erklärte Raimondo. Er lächelte breiter. „Nicht, dass Sie jetzt denken, dass ich über einen speziellen Fall spreche. Ich rede einfach so im Allgemeinen, wenn Sie verstehen, was ich meine, Commander Reilly.“

„Natürlich!“

„Jedenfalls sind das Oberkommando des Space Army Corps und der Hohe Rat Ihnen zu großem Dank verpflichtet. Die Mission der beiden Leichten Kreuzer neuen Typs war ein voller Erfolg – und was Sie über dieses geheimnisvolle Imperium der Qriid herausgefunden haben, lässt es notwendiger denn je erscheinen, diesen Schiffstyp endlich in Serie gehen zu lassen. Die entsprechenden Entscheidungen im Humanen Rat stehen kurz bevor, aber ich sehe im Moment keine Gruppierung, die sich angesichts der neuen Lage noch dagegen aussprechen würde. Und all diejenigen, die einer Einmischung in den Krieg zwischen K'aradan und Fulirr das Wort reden, dürfte wohl auch klar geworden sein, dass derartige Pläne in Zukunft nur den Untergang der Humanen Welten bedeuten können. Wir sind vielleicht in der Lage, uns auf die mittelfristig über uns hereinbrechende Auseinandersetzung mit dem Qriid-Imperium vorzubereiten, wenn wir alle Ressourcen aufbieten. Aber in einem Zweifronten-Krieg wären wir von Anfang an verloren.“

„Die Qriid werden kommen“, sagte Thornton. „Das ist so sicher, wie das Amen in der Kirche.“

„Im Niemandsland gibt es jedenfalls niemanden, der sie aufhalten könnte“, stimmte Commander Reilly zu.

„Aber an der Grenze des Territoriums der Humanen Welten wird es in Zukunft eine aus kleineren, flexibleren Einheiten bestehende Flotte von Leichten Kreuzern geben, die sehr wohl dazu in der Lage ist“, erklärte Raimondo und jeder im Raum spürte den fast feierlichen Ernst, mit der das aussprach. Er wandte sich an Van Doren. „Sie und Thornton bekommen natürlich neue Kommandos zugewiesen. Auch wenn Sie Ihr Schiff gleich bei der ersten Fahrt verloren haben, spricht alles dafür, dass Sie ein hervorragender Kommandant sind, Commander!“

„Danke, Sir!“

„Sie können jetzt wegtreten.“

Reilly, Van Doren und Thornton standen auf, nahmen Haltung an und wandten sich zum Gehen. Reilly blieb in der Tür stehen, während Thornton und an Deyk den Raum bereits verlassen hatten.

„Admiral...“

„Commander?“

„Was die Sabotage angeht, die an unseren Sandströmaggregaten verübt wurde...“

„Ich habe mich dazu bereits einmal erschöpfend geäußert, Commander. Dem ist nichts hinzuzufügen. Allerdings sollten Sie vielleicht wissen, dass sich etwas Derartiges nie wiederholen wird. Dafür habe ich gesorgt.“

„Mir gefällt es nicht, dass Dinge unter den Tisch gekehrt werden, Admiral!“

„Mir auch nicht. Ich wähle einfach den Weg des geringsten Übels, Commander.“

Reilly atmete tief durch. Ja, das tun wir alle, setzte er in Gedanken hinzu. Die Frage ist nur, ob Sie sich richtig entschieden haben, Admiral Raimondo!

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EPILOG: Der Alleinige

Der Alleinige saß unter dem Dach eines Zeltes aus Riesenflosser-Membran. Der Methanregen fiel langsam darauf und jedes Mal, wenn einer der herabschwebenden Tropfen zerplatzte, gab es ein ganz charakteristisches Geräusch.

„Erzähle uns von deiner Sternenfahrt“, sagte einer anderen Whuuorr.

„Jede Einzelheit davon habe ich euch bereits kundgetan!“, sagte der Alleinige, vom vielen Reden müde. Seine Essöffnungen waren inzwischen ziemlich trocken. Um die erste Öffnung etwas zu entlasten, hatte er bereits angefangen mit der zweiten zu sprechen, was er nur sehr ungern tat.

„Dann berichte uns alles noch einmal“, forderte ein dritter Whuuorr, der schon viele Centauwaars mit glühenden Ohren an den sich öffnenden und schließenden Essöffnungen des Alleinigen gehangen hatte.

„So können wir diese Geschichten dereinst unseren Nachfahren weiterzählen!“, meinte wieder ein anderer. Zustimmendes Gegrolle war unter den Whuuorr zu hören.

„Niemand vermag so interessante Geschichten zu berichten wie du, Alleiniger. Und darum sollst du auch in unsere Sippe aufgenommen werden!“

„Jawohl!“

Es waren alle dafür. So gut hatten sie sich schon lange nicht mehr unterhalten. Vor allem pflegten die Geschichten über die Achtbeiner zumeist schlecht oder im Ungewissen zu enden.

„Aber zuerst möchte ich, dass euer Stamm mir, dessen Stamm tot ist und der einst verstoßen wurde, der das Götterkind fand und mit ihm gemeinsam ein Gefangener der Achtbeiner wurde, mir einen neuen Namen verleiht. Ich will nicht länger der Alleinige sein.“

„Also gut“, sagte der Schamane des Stammes, der auch dabei saß. „Dann bist du fortan der Zurückgekehrte Sternenfahrer. Denn zu den Sternen sind von uns viele mitgenommen worden, aber nur einer kehrte zurück.“

Der mit einem neuen Namen versehene Whuuorr stieß ein zufriedenes Brummen aus.

„Gut“, sagte er. „So hört denn abermals, was ich, der Zurückgekehrte Sternenfahrer, erlebt und gesehen habe. Jedes Wort ist wahr, nichts durch die Fantasie hinzugedichtet...“

––––––––


ENDE

Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten

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