Читать книгу Kosmische Saga - 33 Science Fiction Romane aus dem Bekker-Multiversum auf 4000 Seiten - Alfred Bekker - Страница 31
Commander Reilly #4: Das Niemandsland der Galaxis von Alfred Bekker
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Chronik der Sternenkrieger
Science Fiction Roman
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Der Umfang dieses Buchs entspricht 113 Taschenbuchseiten.
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Im Jahr 2234 übernimmt Commander Willard J. Reilly das Kommando über die STERNENKRIEGER, ein Kampfschiff des Space Army Corps der Humanen Welten. Die Menschheit befindet sich im wenig später ausbrechenden ersten Krieg gegen die außerirdischen Qriid in einer Position hoffnungsloser Unterlegenheit. Dem ungehemmten Expansionsdrang des aggressiven Alien-Imperiums haben die Verteidiger der Menschheit wenig mehr entgegenzusetzen, als ihren Mut und ihre Entschlossenheit.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Übersicht über die Serie “Chronik der Sternenkrieger”
in chronologischer Reihenfolge
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Einzelfolgen:
Commander Reilly 1: Ferne Mission (Handlungszeit 2234)
Commander Reilly 2: Raumschiff STERNENKRIEGER im Einsatz
Commander Reilly 3: Commander im Niemandsland
Commander Reilly 4: Das Niemandsland der Galaxis
Commander Reilly 5: Commander der drei Sonnen
Commander Reilly 6: Kampf um drei Sonnen
Commander Reilly 7: Commander im Sternenkrieg
Commander Reilly 8: Kosmischer Krisenherd
Commander Reilly 9: IN VORBEREITUNG
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Terrifors Geschichte: Ein Space Army Corps Roman (Handlungszeit 2238)
Erstes Kommando: Extra-Roman (Handlungszeit 2242)
Erster Offizier: Extra-Roman (Handlungszeit 2246)
Chronik der Sternenkrieger 1 Captain auf der Brücke (Handlungszeit 2250)
Chronik der Sternenkrieger 2 Sieben Monde
Chronik der Sternenkrieger 3 Prototyp
Chronik der Sternenkrieger 4 Heiliges Imperium
Chronik der Sternenkrieger 5 Der Wega-Krieg
Chronik der Sternenkrieger 6 Zwischen allen Fronten
Chronik der Sternenkrieger 7 Höllenplanet
Chronik der Sternenkrieger 8 Wahre Marsianer
Chronik der Sternenkrieger 9 Überfall der Naarash
Chronik der Sternenkrieger 10 Der Palast
Chronik der Sternenkrieger 11 Angriff auf Alpha
Chronik der Sternenkrieger 12 Hinter dem Wurmloch
Chronik der Sternenkrieger 13 Letzte Chance
Chronik der Sternenkrieger 14 Dunkle Welten
Chronik der Sternenkrieger 15 In den Höhlen
Chronik der Sternenkrieger 16 Die Feuerwelt
Chronik der Sternenkrieger 17 Die Invasion
Chronik der Sternenkrieger 18 Planetarer Kampf
Chronik der Sternenkrieger 19 Notlandung
Chronik der Sternenkrieger 20 Vergeltung
Chronik der Sternenkrieger 21 Ins Herz des Feindes
Chronik der Sternenkrieger 22 Sklavenschiff
Chronik der Sternenkrieger 23 Alte Götter
Chronik der Sternenkrieger 24 Schlachtpläne
Chronik der Sternenkrieger 25 Aussichtslos
Chronik der Sternenkrieger 26 Schläfer
Chronik der Sternenkrieger 27 In Ruuneds Reich
Chronik der Sternenkrieger 28 Die verschwundenen Raumschiffe
Chronik der Sternenkrieger 29 Die Spur der Götter
Chronik der Sternenkrieger 30 Mission der Verlorenen
Chronik der Sternenkrieger 31 Planet der Wyyryy
Chronik der Sternenkrieger 32 Absturz des Phoenix
Chronik der Sternenkrieger 33 Goldenes Artefakt
Chronik der Sternenkrieger 34 Hundssterne
Chronik der Sternenkrieger 35 Ukasis Hölle
Chronik der Sternenkrieger 36 Die Exodus-Flotte (Handlungszeit 2256)
Chronik der Sternenkrieger 37 Zerstörer
Chronik der Sternenkrieger 38 Sunfrosts Weg (in Vorbereitung)
Sammelbände:
Sammelband 1: Captain und Commander
Sammelband 2: Raumgefechte
Sammelband 3: Ferne Galaxis
Sammelband 4: Kosmischer Feind
Sammelband 5: Der Etnord-Krieg
Sammelband 6: Götter und Gegner
Sammelband 7: Schlächter des Alls
Sammelband 8: Verlorene Götter
Sammelband 9: Galaktischer Ruf
Sonderausgaben:
Der Anfang der Saga (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes Kommando” und
Chronik der Sternenkrieger #1-4)
Im Dienst des Space Army Corps (enthält “Terrifors Geschichte”, “Erstes Kommando”)
Druckausgabe (auch als E-Book):
Chronik der Sternenkrieger: Drei Abenteuer #1 -12 (#1 enthält Terrifors Geschichte, Erstes Kommando und Captain auf der Brücke, die folgenden enthalten jeweils drei Bände und folgen der Nummerierung von Band 2 “Sieben Monde” an.)
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Ferner erschienen Doppelbände, teilweise auch im Druck.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen.
Alle Rechte vorbehalten.
postmaster@alfredbekker.de
Kapitel 1: Ein Treffpunkt namens New Hope
„Austritt aus dem Sandströmraum“, meldete Lieutenant John Taranos.
Der Ruderoffizier der STERNENKRIEGER nahm an paar Schaltungen an seiner Konsole vor. Auf dem Panoramaschirm war das Zentralgestirn des New Hope-Systems zu sehen. Etwa 100 Millionen Menschen lebten bislang in diesem System, das genau 50,2 Lichtjahre von der Erde entfernt lag und in den letzten Jahren einen großen Aufschwung erlebt hatte. Man rechnete damit, dass sich diese Zahl innerhalb der nächsten 15 Jahre verdoppelte, denn Siedler fanden hier außergewöhnlich günstige Bedingungen vor. Der Großteil der New Hope-Siedler – etwa 90 Prozent - bewohnte den erdähnlichen Planeten New Hope III, der Rest verteilte sich auf die sehr rohstoffhaltigen, aber teilweise recht unwirtlichen Nachbarplaneten, die lediglich dünn besiedelt waren.
New Hope war die größte menschliche Kolonie in diesem Teil des Grenzgebietes zum Niemandsland.
Der Treffpunkt lag an der Peripherie des Systems, etwa zweihundertdreißig astronomische Einheiten vom Zentralgestirn entfernt. Es gab dort einen Gürtel aus Tausenden von Gesteins- und Eisbrocken, der dem Kuiper-Gürtel des Sonnensystems ähnelte. Manche dieser Gesteinsbrocken hatte die Größe kleinerer Planeten, wurden aber dennoch nicht in die Planetenzählung aufgenommen – insbesondere deshalb weil ihre Bahnen häufig irregulär waren.
Als markanter Treffpunkt war das New Hope Cordon Objekt NHCO-4422 ausgewählt worden. Es handelte sich dabei um ein Objekt von der Größe des Erdmondes, das allerdings die Form eines Kegels besaß und eine sehr schnelle, mathematisch gesehen, völlig chaotische Eigenrotation aufwies.
„Leiten Sie das Bremsmanöver ein“, befahl Commander Reilly.
„Jawohl“, bestätigte Taranos. „Wir werden den Rendezvous-Punkt bei NHCO-4422 in genau acht Stunden und 14 Minuten erreichen.“
„Ortung?“, fragte Reilly.
„Ja, Captain?“, meldete sich Lieutenant Wu.
„Ich nehme an, wir gehören zu den Letzten, Lieutenant.“
„Wir sind die Letzten“, bestätigte Jessica Wu. „Wir empfangen gerade eine Transmission vom Zerstörer MERRITT.“
„Auf den Schirm damit!“, befahl Commander Reilly. „Das wird Raimondo sein.“
Auf dm Schirm erschien tatsächlich das Gesicht Admiral Raimondos. Eine Einblendung am oberen Rand machte deutlich, dass es sich um eine Konferenzschaltung handelte. Eine weitere Einblendung am unteren Rand zeigte an, an welche Schiffe diese Transmission zeitgleich ging.
„Nachdem ich mich sehr freue, jetzt auch die Crew der STERNENKRIEGER und ihren Captain hier bei NHCO-4422 begrüßen zu dürfen, möchte ich an Sie alle eine Neuigkeit weitergeben. Es gibt mehrere Schiffe, die im New Hope-System Zuflucht gesucht beziehungsweise Kontakt aufgenommen haben. Die Besatzungen gehören verschiedenartigen Spezies an, von denen jedoch keine mächtig genug ist, selbst zu einer imperialen Kolonialmacht aufzusteigen.“ Raimondo verzog das Gesicht zu einem dünnen, etwas verlegen wirkenden Lächeln. „Zumindest gilt das für den Augenblick“, schränkte er dann ein. „Was in der Zukunft geschieht, kann schließlich niemand vorhersagen, wie jeder von uns schon auf die eine oder andere Art und Weise leidvoll erfahren haben dürfte!“
Er sollte vor Publikum im Zirkus auftreten, dieser Clown!, ging es Commander Reilly ziemlich ärgerlich durch den Kopf.
„Spezialisten der galaktischen Abwehr haben Besatzungsmitglieder dieser Schiffe eingehend befragt, darunter auch den Kommandanten eines Xabo-Frachters, der bei uns Ladung aufgenommen hat. Die Xabo gehen offenbar davon aus, dass es sehr bald zu einer entscheidenden Auseinandersetzung kommt. Inzwischen hat sich per Sandströmfunk ein Xabo-Kriegsschiff angesagt, auf dem sich eine offizielle Delegation dieses Volks befindet. Ihr Ziel ist es offenbar, ein Bündnis mit jedem zu schmieden, der als potentieller Feind der Qriid in Frage kommt. Leider hat dies für unsere Mission die Folge, dass das Oberkommando sie erst einmal gestoppt hat. Wir sollen warten, bis in dieser Sache eine politische Entscheidung gefallen ist.“
Commander Reilly runzelte die Stirn. „Heißt das, der Hohe Rat erwägt ernsthaft, sich in diesen Krieg hineinziehen zu lassen?“, fragte Commander Reilly, der im ersten Moment schon geglaubt hatte, sich verhört zu haben.
Admiral Raimondo atmete tief durch.
„Unsere politische Führung will zumindest keinerlei Optionen verspielen. Ich sehe das ähnlich wie Sie, Commander Reilly. Sich zu diesem frühen Zeitpunkt bereits auf einen offenen Konflikt einzulassen, könnte für die Humanen Welten das Ende ihrer Existenz bedeuten. Wir sind einfach noch nicht so weit. Auf der anderen Seite haben Xabo und einige andere kleinere Völker, deren gegenwärtige Siedlungsräume sich im Grenzgebiet zu den Qriid befinden, nur die Möglichkeit eines weiteren Exodus oder den Aggressoren Widerstand entgegen zu setzen.“
„Wann wird das Schiff der Xabo eintreffen?“, meldete sich nun Commander Steven Van Doren, der Captain der PLUTO zu Wort.
„Wir rechnen mit ihrem Austritt aus dem Sandström-Raum in drei bis vier Stunden.“
„Mit anderen Worten, wir werden mindestens einen Erdtag verlieren, bevor wir aufbrechen können“, sagte Van Doren.
„Das ist sehr optimistisch geschätzt“, erwiderte Raimondo. „Ich rechne mit zwei bis drei Erdtagen. Tut mir leid, aber das ist nicht zu ändern. Sehen Sie es doch einfach von der positiven Seite.“
Na, da bin ich aber mal gespannt!, dachte Reilly.
Raimondo fuhr fort: „Wenn es tatsächlich zu einem Bündnis zwischen den Humanen Welten und den Xabo kommen sollte, dann verändert das natürlich für unsere Erkundungsexpedition die Prämissen. Allerdings wäre es auf Grund der angestrebten Funkstille nahezu unmöglich, Sie während der Operation darüber zu informieren.“
„Darf ich offen sprechen?“, fragte Commander Van Doren, dessen Gesicht inzwischen in einem Teilfenster des Hauptschirms eingeblendet worden war.
„Natürlich, Commander. Ich habe im Übrigen von Ihnen nie etwas anderes erwartet, als dass Sie offen sprechen.“
„Ich fände es unverantwortlich, sich auf ein Bündnis mit den Xabo einzulassen, bevor wir die Lage im Niemandsland tatsächlich aufgeklärt haben.“
„Dem stimme ich ausdrücklich zu“, erklärte Admiral Raimondo. „Aber das ist meine private Meinung, wenn Sie verstehen was ich meine.“
„Ich denke schon.“
„Die Entscheidung liegt bei anderen. Übrigens befindet sich bereits ein Botschafter auf dem Flug hier her.“
„Wer übernimmt die Verhandlungen?“, fragte jetzt Commander Reilly.
Ein leicht spöttischer Zug trat in Admiral Raimondos Gesicht. „Es ist Botschafterin Peellaan“, gab Raimondo zur Auskunft.
„Nicht gerade eine diplomatische Kraft ersten Ranges“, stellte Van Doren in der ihm eigenen Offenheit fest.
„Richtig. Aber sie war gerade in der Nähe, da sie den Auftrag hatte, zum wiederholten Mal die Siedler im Bannister-System davon abzuhalten, ihre Siedlungen zu erweitern. Vergebens, wie Sie sich denken können.“
Die Problematik des Bannister-Systems war allgemein bekannt. Es lag einige Lichtjahre jenseits der eigentlichen Territorialgrenzen der Humanen Welten im Niemandsland und wurde inzwischen von knapp unter tausend Siedlern bewohnt. Allerdings planten diese einer massive Erweiterung ihrer Ansiedlung und eine Anwerbung interessierter Auswanderer.
Das Problem war allerdings, dass sich die Humanen Welten derzeit einfach außer Stande sahen, für die Sicherheit der Bannister-Siedler zu garantieren. Schon die Sicherung der innerhalb des 50 Lichtjahre-Radius’ um die Erde gelegenen Welten war derzeit noch nicht ausreichend gewährleistet. Weit außerhalb gelegene Kolonien wie das New Hope-System stellten das Space Army Corps in seiner derzeitigen Umbruch-Phase vor enorme logistische und strategische Probleme. Aber New Hope war als äußerster Vorposten der Humanen Welten akzeptiert und es dachte auch niemand daran, hundert Millionen Siedler wieder zurück auf die Erde, zur Wega, auf die Sirius-Planeten oder andere Alt-Kolonien zu bringen. Angesichts der aufdämmernden Qriid-Gefahr war der Hohe Rat natürlich alles andere als glücklich darüber, dass die Bannister-Siedler nicht im Traum daran dachten, ihr neues Zuhause wieder aufzugeben, sondern fleißig damit beschäftigt waren die Kolonie zu erweitern und auszubauen.
Botschafterin Peellaans Mission war von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen.
Ob ich ihr bei diesem Auftrag mehr Erfolg wünschen soll, hängt davon ab, mit welcher Direktive sie hier her geschickt wurde, dachte Reilly bei sich.
„Ich mache mir dieselben Sorgen wie sie alle“, erklärte Raimondo. „Aber es sollte sie beruhigen, dass ich persönlich ebenfalls an den Verhandlungen teilnehmen werde.“
1
Wenig später wurde die Verbindung unterbrochen.
„Ich bin gespannt, was bei diesen Verhandlungen herauskommt!“, meinte Soldo.
„Und ich fände es sehr viel beruhigender, wenn wir vor dem Abschluss dieser Gespräche ein Bild der Lage im Grenzsektor des Heiligen Imperiums hätten“, verdeutlichte Commander Reilly noch einmal seine Ansicht. „Davon abgesehen ist Botschafterin Peellaan nun wirklich nicht gerade unser diplomatisches Spitzenpersonal.“
„Wie sagt man so schön - zur richtigen Zeit am richtigen Ort“, meldete sich Lieutenant Chip Barus zu Wort. Der Waffenoffizier schüttelte leicht den Kopf. Den Rest seiner Gedanken behielt er wohl lieber für sich.
„Vielleicht soll ich Botschafterin Peellaan vorschlagen, sich der Hilfe eines Olvanorers zu bedienen, damit ihre nächste Mission etwas erfolgreicher abgeschlossen werden kann, als dies bei ihrem Auftrag im Bannister-System der Fall war“, meinte Commander Reilly nicht ohne Süffisanz. Er wandte sich an Soldo. „I.O., Sie haben bis auf Weiteres das Kommando.“
„Ja, Sir.“
„Verständigen Sie mich sofort, falls sich etwas tun sollte – spätestens dann, wenn die Botschafterin oder das Kriegsschiff der Xabo eintrifft!“
2
Das Schiff der Xabo materialisierte nach dreieinhalb Stunden aus de Zwischenraum. Die STERNENKRIEGER hatte bis dahin ihr Bremsmanöver bereits zu einem Teil abgeschlossen und bereits auf 0,2 LG abgebremst. Etwa viereinhalb Stunden würde es noch dauern, bis der Leichte Kreuzer den Treffpunkt bei NHCO-4422 erreichte, vorausgesetzt der Kurs und der Bremsschub durch die Ionentriebwerke wurden beibehalten.
Das Raumschiff der Xabo materialisierte in einer Entfernung von 12 Astronomischen Einheiten von New Hope III, dem Hauptplaneten des Systems. Sofort sandten die Xabo ein Identifikationssignal und eine Standardbotschaft, die besagte, dass man in friedlicher Absicht kam.
Von der STERNENKRIEGER aus war das Schiff nur anhand seiner Signaturen und Strahlungsemissionen zu orten. Aber die Kontrollstationen sowie einige Raumboote der lokalen Verteidigungskräfte, die sich in der Nähe befanden, konnten auch einen optischen Eindruck aufzeichnen. Die Daten gingen sofort weiter an die sich versammelnde Space Army Corps Flotte bei NHCO-4422, sodass man mit geringer zeitlicher Verzögerung auch auf der STERNENKRIEGER und den anderen zum Verband gehörenden Schiffen einen Eindruck von dem fremden Raumschiff bekommen konnte.
Es hatte Hantelform und war etwa 800 Meter lang – was in etwa den Ausmaßen eines irdischen Dreadnought-Schlachtschiffs entsprach.
Auf beiden Seiten gab es je eine Breitseite mit zwanzig Geschützen. Es handelte sich um Gauss-Geschütze aus irdischer Produktion. Immer wieder waren Xabo-Frachter in den Systemen der äußeren Kolonien aufgetaucht und hatten vor allem Waffentechnik eingekauft.
Ihre selbst entwickelten Wuchtkanonen hinkten den irdischen Gauss-Geschützen zwar nicht in der Durchschlagskraft, wohl aber in der Schussfrequenz um ein Viertel hinterher, was bei dieser Art von Bewaffnung durchaus über Sieg der Niederlage entscheiden konnte. Schließlich war die Trefferwahrscheinlichkeit ohnehin schon eher gering. Nur jedes hundertste Projektil eines Gauss-Geschützes fand auch tatsächlich sein Ziel. Wenn dies jedoch geschah, war die Wirkung verheerend, denn der entstehende, etwa zehn Zentimeter durchmessende Schusskanal, der sich dann quer durch die getroffene Schiffseinheit zog, konnte schwerste Zerstörungen nach sich ziehen und sogar für eine Explosion des Schiffs sorgen, falls sensible Bereiche wie die Energieversorgung oder die Triebwerkssektionen betroffen waren.
Die Xabo hatten sich also für den Krieg gerüstet – und da ihre Wuchtgeschütze genauso starr montiert waren wie die Geschütze bei den Space Army Corps Schiffen, war die Schussfrequenz der entscheidende Faktor. Nur wenn man den Gegner mit einem wahren Hagel aus würfelförmigen Gauss-Projektilen bombardierte, hatte man die Chance, auch mal einen Treffer zu landen.
Im Verhältnis zu einem Leichten Kreuzer der Scout-Klasse war das Xabo-Schiff jedoch an Feuerkraft weit unterlegen, schließlich verfügte beispielsweise die STERNENKRIEGER über insgesamt vier Breitseiten mit je vierzig Geschützen und hatte darüber hinaus den Vorteil, mit ihren gut hundert Metern Länge wesentlich kleiner zu sein und damit auch für den Gegner ein schwerer zu treffendes Ziel abzugeben.
„So gut die Geschütze auch sein mögen, die sie unseren Waffenfabrikanten abgekauft haben – ich glaube nicht, dass die Xabo mit ihren Schiffen auch nur den Hauch einer Chance haben, den Qriid länger als ein paar Wochen zu widerstehen!“, lautete daher die kühle Analyse von Lieutenant Barus, die er während einer Besprechung der Offiziere im Raum des Captains äußerte.
Es gab niemanden, der ihm ernsthaft widersprochen hätte.
3
Etwa zwei Stunden nach dem Eintreffen des Xabo-Schiffs richtete dessen Kommandant eine Transmission an die Humanen Welten und insbesondere auch an deren Flottenkommandanten. Es wurde eine Sandströmfrequenz benutzt, die für jeden empfangbar war.
Der Captain wurde auf die Brücke gerufen.
Als er dort erschien, sah Willard Reilly bereits einen hoch aufgerichteten, geflügelten Gorilla, der in einer hellblauen, mit Orden behängten Uniform steckte. Auf dem Rücken gab es offenbar Öffnungen für die Flügel, mit denen er etwas nervös herumflatterte, um sich schließlich mit einer der Flügelhände links am Ohr zu kratzen.
Der Xabo öffnete den Mund und entblößte dabei zwei Reihen seiner Zähne, die nahe legten, dass seine Spezies durchaus auch Fleisch als Nahrung schätzte.
Im Hintergrund waren weitere Xabo zu sehen. Die Weibchen hatten nur die Hälfte an Körpergröße, unterschieden sich aber nicht in ihrer Kleidung und schienen auch an Bord des Xabo-Schiffs ähnliche Funktionen auszufüllen.
„Mein öffentlicher Name ist Padangklong, aber als Beweis dafür, dass ich den Menschen Vertrauen entgegenbringe, offenbare ich euch auch jene zwölf Namen, die normalerweise kein Xabo der Öffentlichkeit preisgibt: So heiße ich für die Besatzung des Schiffes, das ich kommandiere, Huongtron, für meine Eltern bin ich Guonteung; für meine Frauen heiße ich Jherengon, für die Kinder meiner ersten Frau bin ich Trongkong, für die Kinder meiner zweiten...“
Kein Wunder, dass der Kerl auf so viele Namen kommt!, dachte Reilly und stellte sich vor, dass das Sozialleben der Xabo ganz schön kompliziert sein musste, wenn der Einzelne jeweils überlegen musste, wen er wie anzusprechen hatte. Immerhin ist es eine Herausforderung an das Namensgedächtnis, sich zu jedem Individuum zwölf oder noch mehr Namen zu merken – und vielleicht war das der Motor der Intelligenzentwicklung dieser Spezies, überlegte Commander Reilly mit leichtem Sarkasmus. Wer keine Eiszeiten hatte, um in der Evolution voranzukommen, muss sich eben viele Namen ausdenken!
Die Sprache der Xabo war durch die bisherigen Handelskontakte relativ gut bekannt, sodass das Translatorsystem damit kein Problem hatte.
Schließlich war Padangklong mit seinen Vertrauensbeweisen fertig und kam zur Sache.
Der Kommandant des Xabo-Schiffs, das sich im übrigen SCHRECKEN DER SCHNABELARTIGEN nannte, berichtete von der Rücksichtslosigkeit, mit der das Qriid-Imperium seine Ausdehnung betrieb. Zweimal schon hatten die Xabo ihre eigentliche Heimat verlassen müssen, wenn sie sich nicht der so genannten Göttlichen Ordnung des Imperiums unterordnen wollten.
„Es gibt einige, die es vorzogen in der alten Heimat zu bleiben“, berichtete der Xabo-Kommandant. „Ihnen ist es schlecht ergangen. Sie dienen heute den schnabelartigen Herren als Industriesklaven. Es muss endlich ein Bündnis geschmiedet werden, das sich dieser Bedrohung entgegenstellt. Ihr Menschen mögt glauben, dass dieses Problem euch nichts angeht. Aber da seid ihr im Irrtum. Sie werden euer Sternenreich ebenso zerstören, wie sie es mit dem unseren getan haben. Oder mit der Heimat der achtbeinigen Wsssarrr! In der Raumregion, die von euch das Niemandsland genannt wird, gibt es keine Macht, die stark genug wäre, um diese Bestien in Vogelgestalt noch aufzuhalten. Vielleicht wird es eine Zeitspanne dauern, die einem Planetenumlauf eurer Zentralwelt entspricht. Möglich, dass sie sich auch zwei oder drei dieser Spannen Zeit lassen, aber spätestens dann werden sie an den Grundfesten eures Sternenreichs rütteln. Ich bin mir sicher, dass ihr dem Ansturm dieser Barbaren länger standzuhalten vermögt als wir, schließlich habt ihr die fortgeschritteneren Waffen. Aber letztlich werdet ihr auch nicht mehr als einen vorübergehenden, hinhaltenden Widerstand leisten. Die einzige Chance besteht darin, dass wir uns zusammentun. Viele – gerade kleinere Zivilisationen im Niemandsland sind da anderer Ansicht. Sie glauben, dass sie sich nur mit den Qriid gut stellen müssen, um dann verschont zu werden. Aber diese Hoffnung ist trügerisch. Die Qriid verschonen niemanden. Und sie nehmen keinerlei Rücksicht. Dass Milliarden von Individuen ihrem Krieg zum Opfer gefallen sind, halten sie für den Willen Gottes!“
Der Xabo-Kommandant namens Padangklong ballte sowohl die gewaltigen Pranken als auch die kleinen, zierlichen und sehr filigran wirkenden Hände an den lederig wirkenden Flügeln zu Fäusten.
Eine universelle Geste, wie es scheint!, dachte Reilly. Zumindest, so fern man auch Hände hat, die man zusammenpressen kann und nicht irgendeine andere Art von Greifwerkzeug.
„Wir rufen euch zu einem Bündnis auf!“, rief der Xabo. „Helft uns in unserer Not!“
Damit war die Transmission beendet.
Inzwischen war Bruder Padraig auf die Brücke getreten.
Der Olvanorer hatte den Anfang der Rede des Xabo-Kommandanten nicht mitbekommen, sich aber den Rest interessiert angehört. Dann trat er neben Lieutenant Wus Konsole, streckte die Hand aus und berührte ein paar Sensorfelder, mit deren Hilfe er sich die Verbindungsdaten ansah.
„Die Nachricht kam über Sandströmfunk und war vollkommen unverschlüsselt“, gab Lieutenant Wu Auskunft. Die Kommunikationsoffizierin strich sich ein verirrtes Haar aus ihrem Gesicht.
Bruder Padraig faltete die Hände und nickte nachdenklich.
„Das bedeutet, diese Transmission war Lichtjahre weit zu empfangen“, stellte er fest.
„Das ist korrekt“, stimmte Wu zu.
„Ich nehme an, dass genau das auch die Absicht des Xabo-Kommandanten war“, erklärte Bruder Padraig. Er wandte sich an Commander Reilly und fuhr fort: „Das, was sich wie eine ergebene Bitte um Beistand anhört ist in Wahrheit eine Erpressung. Diese Transmission wird man Lichtjahre weit abhören können. Die Qriid – da bin ich mir sicher – werden sie mit Interesse zur Kenntnis nehmen und daraus den Schluss ziehen, dass wir und die Xabo entweder bereits lockere Verbündete sind oder es bald werden. In jedem Fall geschieht etwas, das der Hohe Rat eigentlich vermeiden wollte: Nämlich, dass wir in den Fokus ihres Interesses geraten.“
„Aus Sicht der Xabo ist das eine logische Strategie“, gab Reilly zu.
„Ja, aber uns kann sie teuer zu stehen kommen“, gab Lieutenant Chip Barus zu bedenken. „Ich stimme der Analyse unseres Olvanorer-Berater zu und kann nur hoffen, dass unsere Superdiplomatin Peellaan sich nicht blenden lässt!“
„Haben wir noch eine andere Wahl, als zumindest ein lockeres Bündnis einzugehen?“, stellte Bruder Padraig die entscheidende Frage in den Raum. „Ich glaube, Botschafterin Peellaan wird – sofern sie die Situation mit kühlem Kopf zu betrachten in der Lage ist – alles tun, um zu verhindern, dass der Xabo-Kommandant einen unverschlüsselten Sandström-Funkspruch an sein eigenes Oberkommando sendet, in der er erklärt, dass die Verhandlungen erfolgreich waren.“
„Es reicht schon ein verschlüsselter Spruch!“, glaubte Thorbjörn Soldo. Der Erste Offizier der STERNENKRIEGER hatte die Arme vor der Brust verschränkt und war neben den Sitz des Captains getreten. Sein Blick war auf den Panoramaschirm gerichtet, wo jetzt ein Nah-Zoom des Handelsraumers der Xabo zu sehen war. „Es reicht doch völlig, wenn er eine verschlüsselte Nachricht ohne Inhalt zurücksendet“, stellte er fest. „Die Qriid werden das für eine gut verschlüsselte Botschaft halten, in der das Bündnis bestätigt wird!“
„Captain!“, meldete sich jetzt Jessica Wu zu Wort. Die Kommunikations- und Ortungsoffizierin blickte mit ungläubig gerunzelter Stirn auf die Anzeigen ihrer Konsole. Durch die Berührung eines Sensorfeldes aktivierte sie ein weiteres Menue, um sich noch ein paar Daten zur Vergewisserung anzeigen zu lassen. Aber es konnte keinen Zweifel geben. Die Anzeigen waren in jeder Hinsicht vollkommen eindeutig...
„Was gibt es, Lieutenant?“, fragte Reilly etwas ungeduldiger, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
Wu drehte sich herum.
„Eine Transmission wie jene, von der Lieutenant Commander Soldo gerade gesprochen hat, ist soeben von dem Xabo-Schiff mit der Bezeichnung SCHRECKEN DER SCHNABELARTIGEN abgesetzt worden!“
Reilly atmete tief durch.
Eine reizende Ausgangssituation für Verhandlungen!, ging es ihm durch den Kopf.
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Commander Reilly befand sich in seinem Raum und aktualisierte die Logbucheintragungen, als ihn die Nachricht erreiche, dass Botschafterin Peellaan inzwischen mit ihrem Schiff, dem Leichten Kreuzer CATALINA unter dem Kommando von Commander Ned Nainovel aus dem Sandströmraum materialisiert war.
Wenig später meldete sich Lieutenant Wu bei Reilly.
„Captain, die Botschafterin wendet sich in einer Konferenzschaltung an unseren Flottenverband.“
„Dann werde ich die Transmission hier, in meinem Raum entgegennehmen“, erklärte Reilly.
Augenblicke später erschien auf dem in die Wand eingelassenen Bildschirm das Emblem des Space Army Corps mit dem Vermerk, dass es sich um eine verschlüsselte Botschaft handelte.
Der nächste Bildausschnitt zeigte einen Teil der Brücke eines Space Army Corps Schiffs. Die Einrichtung der Brücke war auf allen Leichten Kreuzern gleich, so auch auf der CATALINA.
Botschafterin Peellaan war eine Frau mit dunklen, leicht grau durchwirkten Locken. Sie war klein, gerade 1,60 m, so schätzte Reilly. Aber durch ihre aufrechte, sehr kontrolliert wirkende Körperhaltung signalisierte sie jedem, dass sie es zu sagen hatte. Neben ihr stand Commander Ned Nainovel, einer der jungen, begabten Space Army Corps Offiziere, die in letzter Zeit mit einem eigenen Kommando bedacht worden waren. Man suchte überall händeringend nach fähigen Offizieren. Das Aufrüstungsprogramm der Scout-Schiffe war dafür in erster Linie verantwortlich und Reilly beneidete diese Kommandanten manchmal um die relative Leichtigkeit, mit der sie ihre Positionen erreicht hatten.
Was Ned Nainovel betraf, so hätte der sich vermutlich auch unter anderen Umständen durchgesetzt. Willard Reilly kannte ihn ganz gut. Nainovel, Van Doren und Reilly waren ein Abschlussjahrgang in der Ganymed-Akademie gewesen und hatten seitdem den Kontakt nie ganz abreißen lassen.
In dem Bildausschnitt war noch eine dritte Person zu sehen.
Commander Reilly glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber jeder Irrtum war ausgeschlossen.
Ein schmächtiger Mann in zivil stand neben der Botschafterin und hantierte etwas unbeholfen mit einem Handheldcomputer herum.
John Aljanov!, durchzuckte es Reilly.
Auch Aljanov war Reilly noch gut in Erinnerung. Er hatte insgesamt dreimal an den Eingangstests der Ganymed-Akademie teilgenommen und war jedes Mal gescheitert. Es war Aljanovs größter Wunsch gewesen, Offizier im Space Army Corps zu werden, aber nach der dritten Test-Pleite wurde nicht noch ein weiteres Mal zum Auswahlverfahren zugelassen. Reilly hatte Aljanov während der zwei Wochen seines eigenen Test-Verfahrens flüchtig kennen gelernt. Immerhin hatte Reilly mitbekommen, wie stark der Wunsch bei Aljanov gewesen war, vom Space Army Corps angenommen zu werden.
Ein Traum, der sich zwei Jahre später endgültig zerschlagen hatte. In der Geschichte der Ganymed-Akademie hatte es nie zuvor einen vergleichbaren Fall gegeben. Aljanov hatte anschließend noch den obersten Gerichtshof der Humanen Welten bemüht, um sich das Recht zu erstreiten, ein Space Army Corps Offizier werden zu können.
Natürlich war er auch dort mit Pauken und Trompeten untergegangen.
Die Testergebnisse hatten schließlich eine eindeutige Sprache gesprochen.
Den speziellen Anforderungen, die an den Kommandanten eines Raumschiffs gestellt wurden, wäre Aljanov danach niemals gerecht geworden, auch wenn er selbst das alles natürlich ganz anders sah und hinter allem nur eine böse Intrige sah.
Wahrscheinlich glaubt er allen ernstes noch heute, dass er nur wegen den Geschäften seines Vaters nicht angenommen wurde!, überlegte Reilly.
Ernst Aljanov besaß eine der größten Import/Export-Firmen im Grenzgebiet zu den K'aradan. Von dem Kolonialplaneten Tierra Bonita aus steuerte die Aljanov Cargo Holding beinahe den gesamten Handel, der sich derzeit zwischen den Humanen Welten und dem Reich von Aradan abspielte.
Angesichts der Tatsache, dass für die Zukunft auch eine außenpolitische Konfrontation mit den K'aradan keineswegs ausgeschlossen war, hatte John Aljanov geglaubt, dass man in ihm deswegen möglicherweise ein Sicherheitsrisiko sehen würde.
Aber das war nach allem, was Reilly über diesen Fall wusste, purer Unfug. John Aljanov war schlicht und ergreifend ungeeignet für die von ihm angestrebte Laufbahn gewesen.
Immerhin scheint ihm inzwischen der Einstieg in eine andere Karriere gelungen zu sein!, dachte Reilly. Schließlich begleitete er zweifellos die Botschafterin in irgendeiner offiziellen Funktion. Wenn Aljanov noch ein bisschen höher in der Hierarchie des diplomatischem Dienstes steigt, dann hat sich die Dreifach-Blamage auf Ganymed für ihn jedenfalls wenigstens finanziell gelohnt!
„Hier spricht Botschafterin Peellaan. Mein Assistent John Aljanov und ich werde in Kürze die Verhandlungen mit den Xabo aufnehmen. Es tut mir leid, dass sich deswegen der Beginn Ihrer Operation im Niemandsland noch etwas verzögert, aber ich bin zuversichtlich, dass bei diesen Verhandlungen zumindest ein umfassender Informationsaustausch herauskommen wird. Und der wird Ihrer Mission zweifellos zugute kommen und das persönliche Risiko, dass jeder von Ihnen dabei eingeht, auf ein Minimum reduzieren. Ich werde Sie umfassend über das Ergebnis der Gespräche in Kenntnis setzen, sobald etwas vorliegt und hoffe bis dahin auf Ihr Verständnis. Peellaan Ende.“
Der Bildschirm zeigte wieder das Emblem der Flotte. Wenig später meldete sich Commander Steven Van Doren von der PLUTO über einen geschützten Kom-Kanal.
„Hast du gesehen, was ich gesehen habe?“, fragte er.
„Du meinst Aljanov!“
„Ich habe es erst nicht glauben können, Willard!“
Reilly zuckte die Schultern. „Könnte sein, dass einer von uns ihn irgendwann mal eskortieren muss, wenn er erst selbst Botschafter ist!“
„Bloß nicht!“, meinte Van Doren.
„Wieso? Dass er die Tests auf Ganymed versemmelt hat, heißt doch nicht, dass er sonst nichts kann!“
„Das meine ich auch nicht.“
„Was dann?“
Steven Van Doren kratzte sich am Kinn und meinte schließlich: „Der Kerl wird doch jedem Space Army Corps Offizier, der mit ihm fliegt, die Hölle heiß machen – schon weil er es bis heute nicht verwunden hat, dass man ihn auf Ganymed nicht wollte!“
„Du siehst schwarz“, entgegnete Willard Reilly. „Auch ein John Aljanov wird sich mit der Zeit weiterentwickelt haben!“
Van Doren hob die Schultern. „Glaubst du?“
„Wetten werde ich nicht darum, Steven!“
Kapitel 2: Ein Planet namens Snowball
Hänge nicht am Leben, wenn es nicht zu halten ist, denn der Herr wird dich wohl empfangen. Dieser Satz aus der Weisheit des Ersten Aarriid hallte immer wieder in Nirat-Sons Kopf wider. Bin ich schon tot oder ist das ein Zustand zwischen dem Diesseits und dem Jenseits?
Er spürte die Kälte schon nicht mehr, nur ein überwältigendes Bedürfnis nach Schlaf. Aber er wusste, dass, wenn er diesmal die Augen schloss, dass es das letzte Mal sein würde.
Doch lange konnte er, würde er diesem Drang nicht mehr widerstehen können. Die Beine und Arme konnte er kaum noch bewegen. Er hatte dennoch damit begonnen, sich in den Schnee einzugraben. Ein paar Grad war die Temperatur dort höher. Schließlich war er dann nicht mehr dem unbarmherzigen Wind ausgesetzt.
Nirat-Son zitterte. Er musste die Schnabelhälften aufeinander pressen, damit es nicht unaufhörlich klapperte.
Zwischendurch machte er Pausen, um Kraft zu sammeln. Dann grub er weiter.
Seine Krallen stießen auf etwas Festes. Sie kratzten über ein Material, das glatt und hart war wie...
... Metall!
Plötzlich regten sich wieder Lebensgeister in dem Tanjaj. Was mochte da unter dem Schnee sein? Er grub weiter, legte ein größeres Stück frei und dann gab es keinen Zweifel mehr. Metall! Vielleicht das Außenschott eines Raumschiffs! Dass es sich dabei nicht um ein Qriid-Schiff handeln konnte, war schnell klar, denn deren Außenhaut bestand aus einem anderen Material.
Ist es denn so unwahrscheinlich, dass schon andere vor uns hier waren und von den ellipsoiden Vielbeinern zur Strecke gebracht wurden, weil sie glaubten, sich in einer leblosen Einöde zu befinden?
Ein tödlicher Irrtum, dem ja schließlich auch Re-Lim und seine Gruppe bis auf die Zähne bewaffneter Tanjaj zum Opfer gefallen waren.
Der Qriid blickte auf das Ortungsgerät. Da war tatsächlich etwas. Ein Hohlraum und eine ganz schwache elektromagnetische Signatur, deren Energiestatus so gering war, dass man sie selbst auf unmittelbarer Entfernung kaum anmessen konnte.
Lebenszeichen fanden sich nicht. Aber das wäre vielleicht auch zuviel erwartet gewesen.
Nirat-Son nahm den Hand-Traser und schaltete ihn auf breites Streufeuer in niedrigster Konzentration. Schließlich wollte er das, was er gefunden hatte, nicht zusammenschmelzen, sondern nur vom Schnee befreien.
Er kroch ein paar Schritte zurück und richtete sich dann etwas auf. Er kam schließlich auf die nach hinten geknickten Knie, konnte sich nur mit Mühe halten, denn der Wind drohte ihn einfach niederzureißen, sobald er sich auch nur ein wenig über die Deckung erhob.
Nirat-Son feuerte. Der Schnee schmolz weg und floss in einem steten, mäandernden Strom Hügel abwärts. Er gefror dabei wieder, wurde durch Traserfeuer erneut auf geschmolzen, um sich dann seinen Weg zu bahnen. Wenig später hatte der Qriid tatsächlich etwas freigelegt, das nur das Außenschott eines Raumschiffs sein konnte.
Der Qriid machte sich daran, das Schott zu öffnen. Er versuchte, mit Hilfe des Ortungsgerätes in das System des Türschlosses einzudringen, was allerdings misslang. Nicht die geringste Stromspannung war noch nachweisbar. Aber das war nicht schlimm. Zunächst hatte Nirat-Son angenommen, dass es einen geringfügigen Druckunterschied zwischen innen und außen gab. Das war aber nicht der Fall, was ihn Schlimmes in Bezug auf die Beatzung dieses Raumschiffs annehmen ließ. Es sprach dafür, dass sich irgendwo ein Loch in der Außenhaut befand. Ein Loch, für das eigentlich nur die gefräßigen Vielbeiner verantwortlich sein konnten, für die auch Metall kein Hindernis war.
Das Schott ließ sich ein Stück zur Seite schieben und klemmte dann aus einem unerfindlichen Grund.
Mit Hilfe des Infrarotimpuls’ seiner Schutzbrille konnte der Tanjaj auch innen ohne Probleme sehen. Er stieg in das Schott und schloss es hinter sich. Sein Thermometer zeigte, dass die Temperatur hier drinnen um einiges über dem Niveau lag, dass da draußen in der stürmischen Nacht herrschte. Vielleicht war dies zumindest ein Ort, an dem er überleben konnte. Ausharren, bis der Sturm vorbei war.
Das Raumschiff musste etwas größer sein, als die Beiboote der Qriid-Schiffe.
Er passierte das zweite Schleusenschott und gelangte in einen Korridor, der ziemlich breit war, was vielleicht ein Hinweis auf die Anatomie jener Wesen war, die mit diesem Schiff hier auf Korashan V gelandet waren.
Dann erreichte er die Passagierkabine, die von der Steuerzentrale getrennt war und über eine Tür erreicht werden konnte.
Nirat-Son bot sich ein Anblick des Schreckens. Knochen lagen auf den Sitzen.
Geisterhaft blickten Totenschädel den frommen Glaubenskrieger an.
Oh Herr, in welchen Höllenvorhof hast du mich nun geschickt?
Es waren schnabellose Totenschädel. Das konnte er auf den ersten Blick trotz der Infrarotoptik erkennen.
Es konnte sich also auf keinen Fall um Qriid handeln. Von der Anatomie her ähnelten sie den Eingeborenen, so glaubte Nirat-Son, auch wenn er nach wie vor kam etwas über diese Barbaren wusste, die es offenbar schafften, auf einer Welt zu überleben, auf der man nicht nur den Naturgewalten, sondern auch den ellipsoiden Vielbeinern trotzen musste. Wie das schnabellose Volk, das die Eissegler steuerte, dies schaffte, war Nirat-Son nach wie vor schleierhaft. Vielleicht würde man diesem Rätsel irgendwann mal auf die Spur kommen und von den Schnabellosen sogar lernen können.
Aber die anatomischen Merkmale, die sich anhand der Skelette erkennen ließen, schlossen ein Verwandtschaft zu den eingeborenen Barbaren von Korashan V oder ihren so gut wie identischen Verwandten, die ein entferntes Sternenreich regierten, so gut wie aus.
Sie besaßen nämlich auf dem Rücken ein weiteres Paar Extremitäten. Sehr feingliederig und an drei Gelenken einknickbar... Bei manchen der Toten fanden sich noch Reste einer lederigen Haut, die von den Beißwerkzeugen der Vielbeiner nur unvollständig zerfetzt worden waren. Vielleicht hatten sie damit nichts anfangen können – genau wie auffiel, dass überall auch noch Kleiderreste zu finden waren.
Die Fasern scheinen den Biestern wohl einfach nicht geschmeckt zu haben!, überlegte Nirat-Son, dem inzwischen klar war, um was für Skelette es sich handelte.
Xabo!
Angehörige eines Volkes also, dass kurz vor der endgültigen Niederlage gegen die ordnenden Mächte des Heiligen Imperiums seine Welten verlassen und in eine Region des Alls geflogen waren, die von den Qriid Das Land der Gottlosen genannt wurde.
Dass sie in dieser Region des Alls erneut Fuß gefasst hatten, war für die Qriid-Flotte inzwischen kein Geheimnis mehr. Aber was hatten sie hier gesucht? Wasser? Dagegen sprach, dass es sonst in einem Umkreis von mehreren Lichtjahren keine von Xabo in Besitz genommenen Welten gab. Der Wassertransport war auf eine gewisse Distanz einfach nicht rentabel. Innerhalb eines Systems konnte man das mit kostengünstigen Antigravschwebern bewerkstelligen, aber wenn es um Distanzen ging, die hundert astronomische Einheiten überschritten, dann kam das Wasser erst an, wenn die Kolonie vielleicht schon wieder aufgegeben war.
Es muss einen anderen Grund dafür geben, dass diese schnabellosen Barbaren den Weg hierher fanden. Dachten sie sich vielleicht auf Korashan V vor dem gerechten Zorn des Imperiums verstecken zu können? Was für naive Narren müssen sie sein...
Nirat-Son aktivierte seinen Kommunikator.
„Ehrenhafter Tanjaj-Nom, her meldet sich Rekrut Nirat-Son!“
„Hier Bras-Kon! Es freut mich, deine Stimme zu hören, den das bedeutet, dass dem Herrn ein Streiter mehr geblieben ist!“
„Ich weiß nicht, ob es mir möglich sein wird, noch lange zu überleben“, sagte Nirat-Son. Die Nüchternheit, mit der er das feststellte, überraschte ihn selbst. War das vielleicht das Ergebnis der Konditionierung. Wenn ja, dann hat sie ihren Zweck erfüllt!, dachte er. Besonnene und überlegte Reaktionen in unübersichtlicher und emotional aufgeladener Lage!
„Dein Bericht, Nirat-Son!“
„Ich schalte die Kamerafunktion ein, dann könnt ihr sehen, was ich sehe. Zwar nur im Infrarotmodus, aber es sollte ausreichen...“ Nirat-Son nahm an seinem Kommunikator ein paar Schaltungen vor und schwenkte das Gerät dann herum.
„Es sind Xabo!“, erklärte er. „Was immer sie hier gesucht haben mögen, sie sind genau wie die Gruppe um Re-Lim den Vielbeinern zum Opfer gefallen.“
„Ich werde in meinem Bericht erwähnen, dass man den Planeten von diesen Plagegeistern säubern sollte.“
„Ja, das wird notwendig sein, bevor es möglich ist, diese Welt in den Dienst des Imperiums zu stellen.“
„Darüber müssen sich andere Sorgen machen“, meinte Bras-Kon. „Unsere Aufgabe ist es nur, diesen Schneeball in Besitz zu nehmen. Mehr verlangt niemand von uns...“
Und genau das ist vielleicht gar nicht so einfach...
„Nehmt euch vor diesen Biestern in Acht, ehrenwerter Tanjaj-Nom.“
„Das werden wir“, versprach Bras-Kon.
„Ich kann dich nur beschwören, die anderen Tanjaj die letzten Rituale durchführen zu lassen, damit sie nicht ungeläutert vor ihren Richter treten.“
„Diese Entscheidungen wirst du mir überlassen müssen“, erwiderte Bras-Kon kühl. „Was allerdings dich betrifft so wäre es durchaus sinnvoll, die Rituale durchzuführen...“
1
Angehörige anderer Spezies hätten in diesen Worten vielleicht eine Verachtung des Individuums erkannt, die die Prinzipien des Glaubens über alles stellte und der das Schicksal und das Leid des Einzelnen vollkommen gleichgültig war.
Aber Nirat-Son sah das nicht so.
In seiner Wahrnehmung waren die letzten Worte des Tanjaj-Nom nur eine freundliche Erinnerung daran gewesen, dass er sich nach wie vor in akuter Lebensgefahr befand und er daher daran denken musste, Vorkehrungen zu treffen. Spirituelle Vorkehrungen. Es gab den Tod des Fleisches, aber dem Glauben der Qriid nach war das physische Ende durch die Macht Gottes zu überwinden. Viel Schlimmer war der Tod des Geistes. Manchmal starb der Geist längst vor dem Fleisch und war der Kalk längs im Hirn, bevor der Körper zu einem Kalkskelett wurde...
Nachdem die Verbindung zu seinem Tanjaj-Nom unterbrochen war, überlegte Nirat-Son, wie er überleben konnte. Er betastete das Bein, das er sich bei dem Absturz verletzt hatte. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Er spürte jetzt fast nichts mehr. Vielleicht hatte er Erfrierungen im Krallenfuß und im unteren Beinsegment.
Aber das ängstigte ihn nicht.
Die Qriid verfügten über eine hervorragende Prothesentechnik und das Tragen eines künstlichen Beins war das Ehrenzeichen eines Tanjaj. Nichts konnte den Opfermut und die Todesverachtung, ja, auch die Tiefe und Inbrunst des Glaubens besser demonstrieren, als wenn man einen Teil seines Körpers der Sache des Imperiums geopfert hatte.
Er konnte sich nicht länger mit dem Bein befassen. Fieberhaft dachte er nach und erwog verschiedene Möglichkeiten. Sollte er die Kleiderreste der Xabo einsammeln und damit ein Feuer entzünden? Mit Hilfe des Trasers war das problemlos möglich. Er analysierte mit dem Ortungsgerät die Fasern. Der Rechner des Geräts stellte Kunstfasern fest, die von den Xabo speziell dafür geschaffen worden waren, starke Schweißabsonderungen aufzunehmen. Sie wurden als schlecht brennbar eingestuft. Die Energieabgabe war minimal, außerdem bestand die Gefahr der Abgabe von Gasen, die zumindest für Qriid giftig waren.
Das ist also nicht der richtige Weg!, dachte Nirat-Son. Er wandte sich der technischen Einrichtung zu. Keine einzige Signatur, nicht die geringste elektrische Spannung. Die Energieversorgung war zusammengebrochen. Woran das lag, darüber konnte man nur spekulieren.
Der Scan mit dem Ortungsgerät zeigte Nirat-Son auch sehr bald den Grund dafür. Mehrere Kabelverbindungen waren durchtrennt. Die Vielbeiner schienen tatsächlich nicht wählerisch in dem zu sein, was sie sich einverleibten. Ein paar verschmorte organische Reste legten allerdings auch den Schluss nahe, dass einige der kleinen Bestien ihre Unersättlichkeit mit dem Leben bezahlt hatten.
Die Technologie der Xabo war auf einem Niveau, das die Qriid vor etwa einer Generation hinter sich gelassen hatten. Die Funktionen der meisten Aggregate erfasste Nirat-Son. Jeder Tanjaj durchlief eine Ausbildung, einen Kurs, der ihm grundlegende Kenntnisse der Raumtechnik vermittelte und ihn in die Lage versetzte, notfalls mit primitiven Mitteln ein Beiboot zu reparieren. Glücklicherweise hatte der Qriid diesen Kurs bereits absolviert.
Vielleicht rettet mir das jetzt das Leben. Gelobt sei der Herr! Belohnt werden die, die nicht zweifeln an deinem Wort!
Auf einmal waren neue Kraftreserven da, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte. Mit fieberhafter Eile machte er sich daran, die Innenverkleidung von den Wänden zu nehmen, um an die Aggregate heranzukommen. Was brauche ich denn schon? Ein bisschen Energie! Ist das vielleicht zu viel verlangt?
2
Es dauerte Stunde, bis Nirat-Son gelang, die ersten Leitungen zu flicken. Er fand Werkzeug, darunter auch ein Metallteil, dessen Funktion er nicht kannte, von dem aber die Analysefunktion seines Ortungsgerätes meinte, dass es leicht zum Glühen zu bringen war.
Mit Hilfe seines Trasers sorgte Nirat-Son dafür, dass das Metallteil zu glühen begann. Der Boden war in dieser Hinsicht viel unempfindlicher. Jedenfalls sorgte das erhitzte Metall für etwas Wärme. Eine Dauerlösung war das natürlich nicht. Schließlich brauchte er die Energie des Trasers wahrscheinlich noch, um sich selbst zu verteidigen. Er fand mehrere Löcher, durch die sich die Vielbeiner den Weg in das Raumschiff der Xabo gebahnt hatten. Er musste also vorsichtig bleiben. Es gab keinen Grund, warum die ellipsoiden Bestien nicht zurückkehren sollten.
Ein weiteres Mal heizte Nirat-Son das inzwischen völlig verformte Metallstück auf und wärmte sich darüber die Krallenpranken. Er zog sogar die Handschuhe aus, um nachzusehen, ob an den Pranken irgendwelche Erfrierungen festzustellen waren. Das schien noch nicht der Fall zu sein. Aber das taube Gefühl in beiden Pranken war eine Warnung. Dem Qriid-Handbuch des Tanjaj zu Folge war dies eines der ersten ernstzunehmenden Symptome. Zumindest bei Angehörigen des Volkes Gottes. Über andere Spezies machte das Handbuch der Tanjaj natürlich keine Aussagen.
Als die Hände wieder einigermaßen einsatzbereit waren, machte sich Nirat-Son erneut ans Werk. Mit Hilfe des gefundenen Werkzeugs flickte er eine Leitung nach der anderen. Zum Schluss legte er sein Ortungsgerät an den Hauptrechner an und gab einen Energieimpuls ab, mit dessen Hilfe er die Steuerfunktionen zu starten hoffte. Zunächst misslang es. Ein paar Kontrolllampen und Displays leuchteten zwar auf und überall erschienen Kolonnen von fremdartigen Zeichen, die der Qriid-Rekrut noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Er nahm an, dass es sich um die Schriftzeichen der Xabo handelte.
Da die Xabo bereits Gegner der Qriid gewesen waren, hatte man ihr Sprachmaterial in die Standardversionen der Translatorprogramme eingegeben, sodass die Übersetzung keinerlei Problem bereitete. Aber schon nach wenigen Augenblicken war alles vorbei. Die Schirme waren wieder dunkel. Nur eine Notbeleuchtung, die aus fluoreszierenden Leuchtstoffröhren bestand, war noch aktiv. Nirat-Son versuchte es ein zweites Mal.
Vergebens.
Vor dem dritten Versuch wusste der Tanjaj, dass es sein letzter sein würde, denn die Energie seines Ortungsgerätes reichte nur noch für einen weiteren Versuch aus, das Hauptsystem zu starten. Danach wäre das Gerät nicht mehr benutzbar gewesen. Für jemanden, der auf sich gestellt in einer derart unwirtlichen Umgebung zu überleben versuchte, war die Vorstellung, ohne funktionierendes Ortungsgerät dazustehen, so etwas wie der größte denkbare Schrecken.
Es war selbst mit der technischen Unterstützung schon schwierig, in dieser eintönigen Öde einen Weg zu finden.
Aber Nirat-Son wusste auch, dass er nur noch diese eine Chance hatte. Er fühlte seine Kräfte nun endgültig schwinden. Lange konnte er nicht mehr durchhalten, es sei denn er schaffte es, dafür zu sorgen, dass im Wrack dieses Xabo-Schiffs einigermaßen erträgliche Bedingungen herrschten.
Also überprüfte er noch einmal sämtliche Verbindungen, die er wiederhergestellt hatte.
Dann sammelte er sich zu einem Gebet.
Nirat-Son erwog sogar, die so genannten letzten Rituale bereits durchzuführen.
Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dazu. Schließlich gibt dir die vage Hoffnung, dass es doch noch klappen könnte, Kraft und neues Selbstvertrauen.
Aber Nirat-Son entschied sich nach kurzem Überlegen doch dagegen. Er musste mit seinen Kräften haushalten. So unglaublich matt und müde fühlte er sich, dass er glaubte tot zu sein, wenn er sich nur einmal für einen kurzen Moment hinlegte.
Nachdem der Qriid schließlich sämtliche Funktionen seines Ortungsgerätes ein weiteres Mal überprüft hatte und außerdem feldähnliche Phänomene weitgehend ausgeschlossen werden konnten, unternahm der Tanjaj einen weiteren Versuch.
Und diesmal war zumindest ein Teilerfolg sofort sichtbar.
Einige Bildschirme blieben in einem aktiven Status. Hier und da flackerten unruhig ein paar Lämpchen.
Das ist ein Anfang!, dachte Nirat-Son.
Über das System seines Ortungsgeräts erreichte er daraufhin, den fremden Bordrechner anzusteuern und auch das gelang. Immer mehr Schiffsfunktionen aktivierten sich schließlich wieder. Die Energiereserven des Unterlichttriebwerks hatten sich vollständig entladen, was wahrscheinlich etwas mit der extremen Kälte zu tun hatte.
Ein Brummen durchdrang plötzlich den Raum. Nirat-Son wusste nicht, welche Funktion er aus Versehen betätigt hatte. Es gelang ihm jedoch, das dumpfe Brummen zu seinen Füßen zu stoppen.
Dann nahm er noch einmal Kontakt mit Bras-Kon auf und berichtete ihm, was er entdeckt hatte.
„Es ist mir gelungen, zumindest Teilsysteme wieder in Funktion zu setzen“, erklärte er.
„Ich gratuliere!“, erwiderte der Tanjaj-Nom. „Du hast vorschiftsmäßig gehandelt – genau so, wie es unseren Doktrinen entspricht.“
„Danke“, sagte Nirat-Son.
„Kannst du herausfinden, was die Xabo auf dieser abgelegenen Welt zu suchen hatten?“
„Vielleicht finde ich etwas in deren Datenspeichern“, vermutete Nirat-Son. „Ich kann allerdings nicht versprechen, dass ich mit dieser Sache sehr schnell vorankomme!“
„Angesichts der Witterung hat jeder dafür Verständnis“, antwortete Bras-Kon.
„Der Sturm hat leider bislang nicht nachgelassen!“, gab der Tanjaj-Rekrut zu bedenken.
„Das wird er auch im Verlauf der nächsten drei Planetenumläufe nicht“, erwiderte Bras-Kon. „Zumindest lautet so die Prognose meines Ortungsmoduls.
3
„Ich will Ihnen kurz die derzeitige Lage erläutern“, sagte Admiral Raimondo, der sich in einer Konferenzschaltung an alle Kommandanten seines Verbandes wandte. Commander Reilly nahm das Gespräch auf der Brücke entgegen.
48 Stunden waren vergangen, seit die STERNENKRIEGER den Treffpunkt NHCO-4422 erreicht hatte. In der Zwischenzeit hatte Botschafterin Peellaan die Verhandlungen mit dem Xabo-Kommandanten Padanklong aufgenommen. Bislang war über die Ergebnisse nichts bekannt geworden und Reilly befürchtete schon, dass die gesamte Erkundungsoperation im Niemandsland nun auf unbestimmte Zeit auf Eis lag.
Dabei wäre es dringend notwendig gewesen, sich endlich ein deutlicheres Bild der zurzeit in der Peripherie des Qriid-Imperiums herrschenden Lage zu verschaffen.
„Es scheint so zu sein, dass unsere politische Führung sehr vorsichtig ist, was ein Bündnis mit den Xabo angeht“, fuhr der Admiral fort. „Botschafterin Peellaan strebt eine sehr lockere Kooperation an, bei der keine konkreten Beistandspflichten bestünden, sondern von Seiten der Humanen Welten im wesentlichen technische und logistische Unterstützung geliefert wird. Die Xabo würden unser Space Army Corps natürlich liebend gern dazu verwenden, mit ihnen gemeinsam gegen die Qriid zu kämpfen. Aber dazu sind wir derzeit militärisch einfach nicht in der Lage. Das zuzugeben wiederum wäre nicht unbedingt klug, wie Sie verstehen werden. Kurz und gut, die Verhandlungen werden sich zweifellos hinziehen und ich könnte mir denken, dass sogar der Vorsitzende des Humanen Rats persönlich darin eingreift. Auf mein Drängen hin wird jetzt die Erkundungsmission trotz der unklaren diplomatischen Lage durchgeführt. Es ist anzunehmen, dass die meisten Schiffe vor Ende der Verhandlungen zurückkehren werden. Begeben Sie sich also mit Ihren Schiffen in die Ihnen zugewiesenen Raumareale. Wenn Sie auf Xabo-Schiffe treffen, werden die Sie als Verbündete ansehen und dies vielleicht ebenso deutlich funktechnisch demonstrieren wie es Kommandant Padangklong getan hat, um das Space Army Corps in den Konflikt hineinzuziehen. Ich kann Ihnen also nur empfehlen, den Xabo ebenso sehr aus dem Weg zu gehen wie den Qriid!“ Raimondo machte eine Pause. Auf seiner Stirn war eine sorgenvolle Falte zu sehen. Die Situation war riskant und niemand konnte das besser beurteilen als Raimondo, der wahrscheinlich einer der bestinformierten Männer der Humanen Welten war. „Ich wünsche jedem von Ihnen viel Glück!“, setzte der Admiral noch hinzu.
Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
„Lieutenant Ramirez, Sie haben gehört, was der Admiral gesagt hat!“, äußerte sich Commander Reilly, nachdem die Verbindung unterbrochen war und wieder das ferne Licht der Sonne New Hope den Panorama-Schirm beherrschte.
Der Kegel von NHCO-4422 hob sich dunkel gegen das gelbliche Licht ab und ließ ein einzigartiges Spiel von Licht und Schatten entstehen.
„Ja, Sir“, bestätigte Ramirez.
„Dann gehen Sie auf maximale Beschleunigung.“
„Aye, aye!“
„Bringen Sie uns so schnell wie möglich in den Sandströmraum und nehmen Sie dann den einprogrammierten Kurs!“
Die Ionentriebwerke ließen den Boden erzittern. Ein dumpfes Rumoren war zu hören. Die Triebwerke liefen warm. Innerhalb von etwa acht Stunden konnten sie ein Schiff der Scout Klasse auf 0,4 LG bringen, was die Mindesteintrittsgeschwindigkeit für den Sandströmraum war.
Die Beschleunigungsphase hatte in den letzten zwei Jahren seit dem Stapellauf der beiden ersten Prototypen um fast zwei Stunden verringert werden können, wofür in erster Linie den Technikern der STERNENKRIEGER unter Lieutenant Morton Gorescu die Lorbeeren gebührten. Ständig waren kleinere Verbesserungen eingeführt und die Steuersysteme noch optimiert worden. Die Fortschritte, die sich jetzt noch erzielen ließen, waren minimal, wenn man nicht grundsätzliche Neuerungen einführen wollte.
Jedenfalls hatte Morton Gorescu während einer Besprechung mal geäußert, dass man in den nächsten zehn Jahren kaum mit einer wesentlichen Unterschreitung der acht Stunden-Grenze zum Erreichen der Eintrittsgeschwindigkeit rechnen konnte.
Einzig und allein der sehr ehrgeizige Fähnrich Catherine White hielt das für möglich. Sie bombardierte ihren leitenden Ingenieur förmlich mit Vorschlägen, wie man beim Antriebssystem eine noch perfektere Optimierung gelangen konnte.
Wenn die mal Lieutenant wird, ist das wahrscheinlich nur eine Durchgangsstation für sie – so offensiv sie an ihre Karriere herangeht!, dachte Commander Reilly.
Acht Stunden später trat die STERNENKRIEGER in den Sandströmraum ein. Commander Reilly ordnete von nun an vollkommene Funkstille an.
Eine gute Woche dauerte der Flug bis in die Region an der Peripherie des Imperiums, die der STERNENKRIEGER zugewiesen worden war.
Ungefähr 50 Lichtjahre wurden in dieser Zeit überbrückt – ein Gebiet, über das man nur wusste, dass von dort keine Signale im qriidischen Zwischenraumfunk geortet worden waren.
Als die STERNENKRIEGER schließlich den Sandströmraum verließ, bediente Fähnrich Rajiv die Kontrollen der Steuerkonsole. Dass der Ruderoffizier eines Leichten Kreuzers durch einen Fähnrich vertreten wurde, war an sich keineswegs ungewöhnlich. Aber normalerweise setzte man die Fähnriche nicht bei schwierigen Manövern oder in heiklen Situationen ein. Und die Materialisierung im Normalraum war – zumindest fünfzig Lichtjahre weit im Niemandsland – sehr heikel. Schließlich wusste man nicht, was einen im Normalkontinuum erwartete. Abgesehen davon konnte der Austritt aus dem Sandströmraum durch den Feind angemessen werden. Danach sei es viel leichter unentdeckt zu bleiben, wenn man einfach im Schleichflug weiterflog. Dabei verzichtete man auf jeglichen Antrieb und kam einfach mit dem Austrittsschwung von 0,4 LG vorwärts. Um die Tarnung zu perfektionieren konnte man außerdem noch sämtliche Systeme abschalten, deren Funktion nicht überlebenswichtig war. Das reduzierte die elektromagnetischen Emissionen erheblich und erschwerte es dem Gegner außerdem, die für Space Army Corps-Schiffe typischen Signaturen zu erkennen.
Dass Rajiv die STERNENKRIEGER in diesem sensiblen Moment steuern durfte, hatte damit zu tun, dass er inzwischen bereits zwei Jahre auf der STERNENKRIEGER diente und mit dem Ruder inzwischen ebenso vertraut war wie Lieutenant Gorescu. Was Rajiv vor seiner anstehenden Beförderung noch brauchen konnte, war Praxis. Und Commander Reilly war entschlossen, dafür zu sorgen, dass Rajiv genau das auch bekam.
Dem Captain war das Eintauchen in den Normalraum vom Ersten Offizier gemeldet worden und so erschien Reilly wenig später auf der Brücke.
„Captain, ich habe Bruder Padraig rufen lassen, um Lieutenant Wu bei der Auswertung der Orter-Daten zu unterstützen“, meldete Lieutenant Commander Soldo.
Reilly nickte.
„Das ist gut“, meinte er und wandte sich anschließend an Lieutenant Wu. „Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, einen Teil Ihrer Konsole an Bruder Padraig abgeben zu müssen.“
„Keineswegs, Sir. Wir werden die Umgebung sehr genau im Auge behalten müssen!“
Einen Augenblick später betrat Bruder Padraig die Brücke.
Wie selbstverständlich nahm er seinen Platz neben Lieutenant Wu ein.
Der Erste Offizier, der sich die Orter-Daten ebenfalls auf seine Konsole anzeigen ließ, gab einen ersten, vorläufigen Bericht.
„Wir haben es hier mit einer gelben Sonne vom Sol-Typ zu tun, die von den Astronomen des Observatoriums von Petersburg, New Hope IV, den Namen Sinclair-Davis bekommen hat. Die Entfernung von der Erde beträgt 103,6 Lichtjahre. Triple Sun 2244 – das Heimatsystem der Xabo – ist ganze sechs Lichtjahre entfernt“, sagte Soldo.
„Planeten?“, fragte Reilly.
„Insgesamt zehn. Nummer fünf hat eine Sauerstoffatmosphäre, gleicht aber einem großen Schneeball mit einer Vereisung der gesamten Oberfläche. Die anderen Planeten sind recht ungemütlich. Aber sie sind sehr ergiebige Rohstofflager.“
„Das kann ich nur bestätigen“, meldete Bruder Padraig. „Schon die Spektralanalyse ließe das Herz jeden Prospektors höher schlagen.“
„Qriid-Schiffe?“, hakte Reilly nach.
„Bislang negativ“, meldete Lieutenant Wu. „Aber im weiteren Umkreis dieses Systems müssen Qriid-Einheiten sein, denn ich konnte ein schwaches Sandströmfunksignal orten, dessen Ausgangspunkt etwa zwei Lichtjahre entfernt ist.“
„Reicht die Qualität zur Entschlüsselung?“, fragte Soldo.
„Ich gebe es gerade durch den Rechner, fürchte aber, dass wir zu wenig über den verwendeten Code wissen. Möglicherweise ergibt die Rechnerprüfung auf immanente Logik zumindest ein paar Bruchstücke des Textes, aber darauf würde ich mich nicht verlassen.“
Soldo wandte sich Reilly.
„Ich schlage vor, auf Schleichflug zu bleiben und alle überflüssigen Systeme zeitweilig zu deaktivieren.“
„Solange es nur die Heizung in der Kabine des Captains ist – einverstanden“, gab Reilly zurück.
„Ehrlich gesagt, wundert es mich, dass wir bis jetzt noch keine Qriid-Schiffe innerhalb des Systems geortet haben", bekannte Bruder Padraig.
Reilly hob die Augenbrauen. „Wie kommen Sie darauf?"
„Abgesehen davon, dass es nur einen einzigen und dazu sehr kalten Planeten mit Sauerstoffatmosphäre gibt, handelt es sich um einen idealen Standort für die Raumfahrtindustrie. Es sind sämtliche Rohstoffe in ausreichender Menge vorhanden."
„Und dass man zur Montage von Raumschiffen nicht unbedingt einen Planeten braucht, beweisen ja unsere eigenen Spacedocks!", ergänzte Thorbjörn Soldo.
4
Es dauerte nicht lange und die Ortung meldete das erste Qriid-Schiff. Es befand sich auf der Bahn von Sinclair-Davis III, einem Planeten von Erdgröße, der allerdings eine Atmosphäre hatte, die nur wenige Prozent Sauerstoff enthielt und ansonsten vor allem von Schwefelwasserstoff geprägt war.
„Schleichflug fortsetzen“, befahl Reilly.
„Sir, ich schlage eine Kurskorrektur um dreißig Grad vor“, sagte Soldo. „Dann würden wir – bezogen auf das Qriid Schiff - auf einem Ausweichkurs fliegen.“
„Aber wir müssten für eine derartige Korrektur die Ionentriebwerke aktivieren, was das Risiko birgt, dass wir entdeckt werden“, widersprach Reilly. Er schüttelte den Kopf. „Nein, I.O., wir gehen auf Nummer sicher.“
„Wir könnten die Kurskorrektur im Ortungsschatten eines Asteroiden vornehmen“, schlug Soldo vor, den die Idee einer Kurskorrektur einfach nicht loszulassen schien.
Reilly überlegte einen Augenblick. Dann wandte er sich an Rajiv. „Ruder! Markieren Sie mögliche Punkte, an denen wir vermutlich für das Qriid-Schiff nicht zu orten sind!“, befahl er.
„Schon geschehen, Sir.“
In einem Teilfenster des Panoramaschirms erschien eine schematische Übersicht, die sowohl das Sinclair-Davis-System, als auch die gegenwärtige Position der STERNENKRIEGER sowie die Lage jener Punkte zeigte, an denen der Leichte Kreuzer vermutlich ohne entdeckt zu werden, eine Kurskorrektur vornehmen könnte.
Reilly wandte sich an Soldo. „Wir halten uns Ihren Vorschlag als zusätzliche Option offen“, bestimmte er.
„Captain, ich orte hier eine sehr schwer zu isolierende Strahlungsemission, die ganz sicher künstlichen Ursprungs ist“, meldete Bruder Padraig.
„Ist es eine Qriid-Signatur?“, fragte Reilly.
„Ich habe keine Ahnung. Dazu wissen wir einfach zu wenig über die Qriid-Technik.“
„Bleiben Sie der Sache auf der Spur, Bruder Padraig.“
„Ja, Captain. Ich...“ Bruder Padraig zögerte und drehte sich herum.
Commander Reilly sah ihn etwas verwundert an.
„Gibt es noch etwas, Bruder Padraig?“
„Ich hätte für Planet Nummer 5 einen Namensvorschlag zu machen.“
Reilly zuckte die Schultern. „Bitte – wenn Ihnen Sinclair-Davis V nicht gut genug klingt, können Sie gerne einen Trivialnamen für diesen Eisplaneten auswählen, der dann später auch in die offiziellen Sternenkataloge eingetragen wird!“
„Wie wäre es mit Snowball?“, fragte Bruder Padraig lächelnd.
„Da dieser Name jetzt ohnehin nicht mehr aus unseren Köpfen zu verbannen sein wird – warum nicht?“, erwiderte Reilly.
5
Nirat-Son lauschte dem leisen Brummen. Er hatte diesen Wohlklang inzwischen gewöhnt. Das Brummen wurde durch eins der kleineren Energie-Aggregate erzeugt, das Teil des Energieversorgungssystems war. Dem Qriid war es gelungen, die Energieversorgung zumindest soweit wiederherzustellen, dass innerhalb der Pilotenkabine des Xabo-Raumers eine Temperatur herrschte, die jetzt deutlich über dem Gefrierpunkt lag. Sein Überleben war also gesichert, auch wenn der Sturm noch länger anhielt. Außerdem hatte Nirat-Son Nahrungsmittelkonzentrate gefunden, die bei der Xabo-Besatzung offenbar als Notrationen vorgesehen waren. Die regulären Nahrungsmittelvorräte waren von den Vielbeinern geplündert worden. Zumindest nahm Nirat-Son das an, denn er war auf ein paar Staukammern gestoßen, deren Außenwände die typischen Löcher aufwiesen, bei denen man davon ausgehen konnte, dass sich hier ein Vielbeiner mit seinen Beißwerkzeugen und den ätzenden Substanzen in seinem Maul durchgefressen hatte.
Von den Nahrungsmittelkonzentraten waren nicht alle für einen Qriid gefahrlos genießbar. Aber ein Teil schon und das bedeutete, dass er bei guter Einteilung eine längere Zeit in dem Wrack ausharren konnte.
Seinen Berechnungen zu Folge reichten die Energievorräte bei sparsamem Verbrauch zwei Wochen, die Nahrungsmittelkonzentrate sogar noch länger.
Und Wasser hatte er genug. Schließlich gab es Unmengen an Schnee, der auf das Wrack niederfiel und nur geschmolzen werden musste.
Regelmäßig erstattete Nirat-Son seinem Tanjaj-Nom einen kurzen Status-Bericht.
Immerhin erfuhr er auf diese Weise, dass die Besatzung der KLEINEN KRALLE bislang nicht von den Vielbeinern heimgesucht worden war. Allein der Herr weiß warum!, dachte Nirat-Son. Mal tauchten diese teuflischen Vielfraße in großer Zahl aus dem Eis auf und mal sah man lange Zeit nichts von ihnen, obwohl doch eigentlich die Gelegenheit zu einem Angriff ausgesprochen günstig war. Es war nicht nachzuvollziehen und je länger Nirat-Son darüber nachdachte, desto weniger Logik konnte er im Verhalten dieser gefräßigen Biester entdecken.
Die Zeit schien in dem kleinen Unterschlupf, den er gefunden hatte, stehen zu bleiben. Draußen toste der Sturm und es schien fast so, als würde er einfach nicht abflauen wollen. Die Wetterdaten, die ihm sein Ortungsgerät lieferte, ließen Nirat-Son hin und wieder hoffen. Die Windgeschwindigkeit und der Niederschlag gingen zeitweilig zurück, nur um dann einer besonders heftigen Phase dieses Unwetters als Ouvertüre zu dienen.
In der Flotte der Tanjaj hatte man über diesen Eisplaneten so gut wie nichts gewusst – und schon gar nichts über sein Klima, das einige gefährliche Besonderheiten aufzuweisen schien.
Mehrere Qriidia-Tage vergingen und Nirat-Son sah schließlich ein, dass er die Hoffnung auf eine schnelle Rückkehr auf die KLEINE KRALLE abschminken konnte. Der Tiefdruckwirbel, der den gegenwärtigen Sturm verursachte, schien sehr stabil ausgerechnet in der Region zu wüten, die sich die Besatzung der KLEINEN KRALLE für ihre Landung ausgesucht hatte.
Nirat-Son vertrieb sich die Zeit damit, weitere Systeme der Xabo-Technik zu reaktivieren. Was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Die Grundausbildung in Raumfahrttechnik, die der Tanjaj mitgemacht hatte, stieß dabei schnell an Grenzen.
Bei den wenigen und kurzen Gesprächen, die er mit Bras-Kon auf der KLEINEN KRALLE führte, versuchte der Tanjaj-Nom seinen Untergebenen immer wieder dazu zu drängen, etwas über den Zweck der offenbar geheimen Xabo-Mission herauszufinden.
Dazu war es wahrscheinlich nötig, den Hauptrechner zu reinitialisieren, was Nirat-Son auch versucht hatte. Allerdings war er aber bislang erfolglos gewesen. Und eigentlich wollte er auch seine stabile Energieversorgung durch Experimente gleich welcher Art nicht gefährden.
Andererseits war es natürlich auch in dieser Situation seine Pflicht gegenüber dem Aarriid und dem Imperium, das er in erster Linie der heiligen Sache diente, der er sich wie alle Tanjaj verschrieben hatte. Eine Sache, hinter der die Existenz des Einzelnen unweigerlich zurücktreten musste.
Innerhalb der ersten Qriidia-Woche, die er in seinem Unterschlupf verbrachte, versuchte er noch zweimal eine Reinitialisierung des Hauptrechners, ohne das es ihm dabei gelang, in das Hauptsystem vorzudringen. Der Bordrechner des Xabo-Raumers stürzte jeweils schon nach wenigen Augenblicken wieder ab.
Erst beim dritten Versuch, den Nirat-Son einige Qriid-Tage später unternahm, klappte es schließlich.
Danach musste er unzählige Sicherheitssperren überwinden. Anderseits lenkte Nirat-Son diese Tätigkeit von der Eintönigkeit ab. Außerdem musste er dann nicht dauernd über seine immer noch bedrohliche Lage nachdenken.
Es lenkte ihn ab, behutsam weitere Schritte in das Hauptsystem des Bordrechners zu machen. Die Übertragung des Zeichensatzes der Xabo sowie die Übersetzung der Menueangaben war kein Problem. Den Qriid war das Idiom der Xabo bestens bekannt. Schließlich hatten sie zahlreiche Abhörstationen betrieben, bevor sie das Volk der Lederflügler angegriffen hatten.
Der Translator des Qriid hatte also keinerlei Probleme mit de Menue-Anweisungen.
Die Nachforschungen Nirat-Sons ergaben schließlich erste Ergebnisse. So fand er heraus, dass der Name des Kleinraumers, mit dem die Xabo diese Eiswelt angeflogen hatten, FORSCHERGEIST war. Es handelte sich also um eine wissenschaftliche Mission, so glaubte Nirat-Son erkennen zu können. Andererseits fragte er sich, wie die Xabo angesichts ihrer eigentlich dich recht verzweifelten Lage es verantworten konnte, irgendwelchen Grundlagenforschungen nachzugehen, die keinerlei militärischen Hintergrund hatten.
Bei dem havarierten Xabo-Raumer war das nach Nirat-Sons Ansicht auch nicht der Fall.
Der Qriid schleuste das Programm in den Bordrechner des Xabo-Schiffs ein. Tatsächlich wurde er nach ein paar weiteren, ziemlich eintönigen Qriidia-Tagen endlich fündig.
Er fand Daten über Hinterlassenschaften einer Rasse, die von den Xabo die Erhabenen oder auch die Vergessenen genannt wurden. Diese Namen hatten durchaus ihren Sinn. Dieses Volk war nämlich vor langer Zeit ausgestorben, musste aber unendlich hoch entwickelt gewesen sein und hatte überall in diesem Seitenarm der Galaxis, das eine oder andere Artefakte hinterlassen.
Auf einer jener Welten, die die Xabo nach ihrer Flucht vor den Qriid in Besitz genommen hatten, war eine Station dieses offenbar vor Äonen verschwundenen Volkes gefunden worden. Der Inhalt der Datenspeicher war nicht mehr zu entschlüsseln gewesen. Jetzt suchten die Xabo fieberhaft nach weiteren Hinweisen auf diese uralte Spezies.
Die Absicht dahinter liegt doch auf der Kralle!, dachte Nirat-Son. Sie wollen an das technologische Erbe der verschollenen Zivilisation heran und hoffen, so ihre militärische Unterlegenheit wettmachen zu können!
Dieser Plan war nach Nirat-Sons Ansicht jedoch von vorn herein zum Scheitern verurteilt. Schließlich gehörte zur militärischen Überlegenheit keineswegs nur eine Überlegenheit der Waffentechnik. Viel entscheidender war der Faktor des Glaubens. Zu allem entschlossene Krieger im Dienst des Glaubens waren dazu im Stande, Dinge zu vollbringen, die die Ungläubigen niemals bewerkstelligen konnten.
Nirat-Son gab darüber einen Bericht an Bras-Kon weiter. Er verschickte außerdem ein paar charakteristische Daten aus dem Hauptspeicher des Bordrechners, sodass der Tanjaj-Nom nun die anderen Angehörigen der Beiboot-Crew sich ebenfalls Gedanken darüber machen konnten.
Bras-Kon hörte sich Nirat-Sons Bericht nachdenklich an.
„Du meinst also, dass die Xabo hier auf Korashan V gelandet sind, weil sie nach Hinweisen auf diese ‚Erhabenen’ gesucht haben“, schloss der Tanjaj-Nom.
„Das ist korrekt, ehrenhafter Tanjaj-Nom“, bestätigte Nirat-Son.
„Bei dem Oberflächen-Scan, der noch an Bord der KRALLE DER GLÄUBIGEN durchgeführt wurde, ist seinerzeit nichts besonders aufgefallen.“
„Die Ortungsdaten unseres Mutterschiffs müssten sich auf dem Bordrechner der KLEINEN KRALLE befinden“, sagte Nirat-Son. „Ich schlage vor, dass man sich dies noch einmal genauer ansieht...“
Es herrschte einige Augenblicke lang Schweigen und Nirat-Son wusste auch sofort, weshalb. Offenbar gefiel es Bras-Kon nicht, dass ein Rekrut ihm einen Vorschlag machte. Ich hätte mich vorsichtiger ausdrücken sollen, dachte Nirat-Son.
„Auch unsere Raumschiffe sind immer wieder auf Hinterlassenschaften einer offenbar vor sehr langer Zeit untergegangenen Zivilisation gestoßen“, sagte Bras-Kon schließlich und Nirat-Son war erleichtert darüber, dass dem Tonfall des Tanjaj-Nom keinerlei Verstimmung anzumerken war.
„Du sprichst von den Verstoßenen“, stellte Nirat-Son dann fest und dachte: Jetzt, da du dieses Thema angesprochen hast, kann ich es auch!
Tatsächlich waren auch die Qriid immer wieder auf Artefakte einer uralten Zivilisation gestoßen, die vor vielen Zeitaltern untergegangen sein musste. Die Überlieferungen der Qriid berichteten davon, es habe sich um Gottes erstes auserwähltes Volk gehandelt. Aber die Auserwählten wurden auf Grund der Tatsache, dass sie von Gott den Auftrag zur Errichtung der Göttlichen Ordnung bekommen hatten, überheblich. Ein äußeres Zeichen dafür war, dass sie ihre Schiffe mit einer Schicht aus leuchtendem Kristall überzogen, sodass sie prächtiger waren als die Schiffe aller anderen Völker.
Da sie Gott immer mehr missachteten und schließlich zu der Ansicht neigten, sie selbst seien Götter, wurden aus den Auserwählten schließlich die Verstoßenen. Der Überlieferung nach war Gottes Zorn dermaßen groß gewesen, dass er nicht nur ihre Zivilisation dem Untergang geweiht, sondern auch die Erinnerung an die körperliche Gestalt der Auserwählten getilgt hatte, sodass man sie schließlich auch die Vergessenen nannte.
Ein warnendes Beispiel seien jedem Qriid die Vergessenen, deren Schicksal den Gläubigen immer vor Augen halten sollte, wie schmal der Pfad tugendhafter Gottestreue sein kann, hieß es beschwörend in den Sprüchen des Ersten Aarriid. Eine Zeile, die auch Nirat-Son sehr gut in Erinnerung geblieben war.
„Gott wird es nicht zulassen, dass die Xabo uns mit Hilfe des Erbes der Vergessenen schädigen“, sagte Bras-Kon unterdessen in einem Tonfall, der eine tief empfundene Überzeugung ausdrückte. „Der Herr wird es nicht zulassen, dass das Heilige Imperium durch den Fluch unserer eitlen Vorgänger um die Früchte seiner Anstrengung gebracht wird!“
Und wenn Gott die Qriid damit prüfen will?, fragte sich Nirat-Son, der in dieser Frage die Glaubenszuversicht seines Tanjaj-Nom in keiner Weise teilte. Schließlich war es Teil der offiziellen Lehre, das Gott das Böse zuließ, um die Gläubigen zu prüfen und vor die Wahl zu stellen.
Die Aussage seines Tanjaj-Nom erschien Nirat-Son dagegen eher wie Zweckoptimismus.
Es gab viele, geradezu phantastische Geschichten über die Vergessenen und ihre Kriege. Wenn es den Xabo tatsächlich gelang, auch nur einen Bruchteil ihrer Waffe zu benutzen, so würde das die militärischen Kräfteverhältnisse zweifellos stark verändern.
„Mir scheint, dass die Forschungsmission der Xabo auf diesem Planeten ein Akt der Verzweiflung ist", war Bras-Kon überzeugt. „Unsere eigenen Wissenschaftler haben sich auf Dutzenden von Planeten bemüht, aus den Hinterlassenschaften der Vergessenen irgendeinen Nutzen zu ziehen. Schließlich heißt es ja ausdrücklich in der Weisheit des ersten Aarriid, dass man das Erbe der Vergessenen studieren möge, um aus ihren Sünden und Fehlern zu lernen. Und wenn in diesem Fall keine konkreteren Hinweise vorliegen..."
„Ich konnte die Logbücher des Xabo-Raumers bisher noch nicht vollständig sichten, aber es ist wohl so, dass ein schwacher fünfdimensionaler Impuls sie hier her gelockt hat."
„Dann sind die Xabo davon ausgegangen, hier tatsächlich eine Anlage der Vergessenen vorzufinden, die sich noch in einem aktiven Status befindet."
„Es sieht ganz danach aus. Leider kann ich von hier aus bislang keine Messungen im Fünf-D-Spektrum durchführen, da ich mit den Instrumenten des Xabo-Schiffs zu schlecht vertraut bin."
„Wir werden von der KLEINEN KRALLE aus Messungen durchführen", versprach Bras-Kon.
Der Tanjaj-Nom urbrach zunächst die Kom-Verbindung.
Die Qriid-Wissenschaft wusste, dass es ein fünfdimensionales Kontinuum gab. Aber da bislang aus dieser Erkenntnis keinerlei kriegswichtige, praktische Anwendung erfolgt war, hatte man dessen Erforschung nicht sehr intensiv betrieben. Dementsprechend gehörte ein Scan fünfdimensionaler Strahlungskomponenten auch nicht zu den Standard-Ortungsverfahren.
Nirat-Son war überrascht, als sein Tanjaj-Nom sich schon kurze Zeit später über Funk wieder bei ihm meldete.
„Es gibt tatsächlich eine 5-D-Strahlungsquelle auf diesem Planeten“, stellte er fest. „Und sie befindet sich ganz in deiner Nähe, Nirat-Son.“
„Sobald sich der Sturm gelegt hat, sollte man die Umgebung absuchen“, schlug Nirat-Son vor.
„Das würde kaum etwas bringen“, widersprach Bras-Kon. „Die 5-D-Strahkungsquelle ist sehr schwach und inzwischen wissen wir auch die Ursache dafür. Sie liegt nämlich auf dem Grund des Ozeans!“
6
Magoon stand auf den Karbon-Planken seines Eisseglers. Ein Gurt hielt ihn an Deck, denn ansonsten wäre er an einer derart exponierten Position ohne viel Deckung vom Wind einfach mitgerissen worden.
Der Kapitän des STURMTROTZERs bückte sich, befestigte einen speziell für diesen Zweck gefertigten Metallhaken in einer Schlaufe und sicherte sich auf diese Weise an einem zweiten Seil. Das erste konnte er jetzt lösen. Schwankend stand er da, ging unsicher ein paar Schritte, bis sich das Sicherungsseil spannte. Jetzt erst gewann er an Stabilität.
In der rechten Hand hielt er eine der rohrartigen, gebogenen Gegenstände, die die Schnabel bewehrten Fremden bei sich gehabt hatten, bevor die Vielbeiner sie vertilgt hatten.
Magoon klammerte seine Hand um den Griff der Waffe, der für seine Anatomie viel zu groß war. Der Kapitän des STURMTROTZERS trug nur die eng anliegenden, dünnen Unterhandschuhe. Die Kälte fühlte sich auf die Dauer schneidend an, aber mit den dicken Überhandschuhen war Magoon nicht in der Lage, den Mechanismus an dem rohrähnlichen Gegenstand auszulösen.
Einen Gegenstand, der nichts anders als eine Waffe war.
Magoon hob das Rohr noch ein paar Handbreit, sodass es schräg nach oben in den Nachhimmel zeigte.
Dieser Sturm war besonders lang und heftig. Seit mehreren Sonnenumläufen hatte es nicht mehr ein Unwetter dieser Intensität gegeben. Allenfalls die alten J’arakor erzählten von vergleichbaren Ereignissen.
Verzweifelt kämpften Dutzende von Männern auf den Eisseglern gegen den Wind an, sicherten sich ebenso wie ihr Großkapitän mit Seilen und überprüften die Ankertaue. Wenn ein Eissegler bei diesem Sturm in Bewegung geriet, war er mitsamt seiner Besatzung verloren. Schlimmer noch! Weitere Segler konnte schwer in Mitleidenschaft gezogen und deren Verankerungen im Eis zerstört werden.
Also mussten trotz der widrigen Witterungsbedingungen jemand raus in den Sturm, um dafür zu sorgen, dass sich nichts lockerte und keines der Taue langsam durchscheuerte. Das Material war unter diesen Bedingungen von extremer Kälte und mörderischen Windgeschwindigkeiten einer ausgesprochen starken Belastung ausgesetzt, der es nicht ohne weiteres standhielt. Selbst die harten Karbonfasern konnten durchaus manchmal brechen. Berstende Masten hatten schon so manche Hütte unter sich begraben.
Magoon betätigte nun den Mechanismus der Waffe.
Ein grünlicher Strahl schoss durch die eiskalte, Schnee getränkte Luft und verlor sich schließlich im Grau der dunklen Nachtwolken.
Für einen Augenblick war es hell.
Diese Lichterscheinung ähnelte von der Helligkeit her einem grotesk verfärbten Blitz, nur dass es Magoon gelungen war, seinen Blitz gewissermaßen anzuhalten. Ihn wie in einem Kontinuum gefrorener Zeit erstarren zu lassen.
Er drückte noch immer auf den Auslösemechanismus.
Selbst jenseits der grauen Wolkenschicht war der Strich aus grünem Licht, der in die Unendlichkeit hinaufstrahlte, noch überraschend deutlich zu sehen.
Dann verebbte der Strahl.
Die J’arakor blickten von ihrer Arbeit auf. Kein Sicherungshaken und kein Knoten in den geschmeidigen Algenseilen waren angesichts dessen, was gerade geschehen war, wichtig genug. Sie starrten einfach nur zu ihrem Großkapitän, dessen hoch aufragende Gestalt sich wie ein dunkler Schatten abhob.
„In den Werkzeugen der Schnabelträger steckt viel Macht!“, rief er den J’arakor zu. Seine Worte wurden vom Wind verschluckt. Aber Magoon sprach mit der Stimme. Das war anstrengender, aber unter den Bedingungen dieses Sturms war auch für die Ankerwerfer untereinander gar keine andere Art der Kommunikation möglich.
Magoon war zumindest sicher, dass jeder ihn verstanden hatte. Er konzentrierte sich noch einmal auf das Bild des grünen Stahls, der zum Himmel gezischt war, die Luft und die Wolken wie die Schneide eines Messers geteilt hatte, um sich schließlich irgendwo in der Unendlichkeit zu verlieren.
Auch dieses Bild würde – zusammen mit den Worten, die in der Stimme sprach, direkt die Köpfe der anderen J’arakor erreichen.
Er hatte schließlich einige Erfahrung darin, die Stimme mit Bildern zu kombinieren. Das, was die Augen seinem Gehirn dafür lieferten, waren nicht viel mehr als Rohstoffe. Farben für ein Gemälde, das er anschließend in die Köpfe der anderen J’arakor projizierte.
„Eine große Macht wohnt in den Werkzeugen der Schnabellosen“, verkündete er noch einmal und wog das gebogene Rohr in seiner Hand. „Eine Macht, die uns helfen könnte, Feinde zu vertreiben.“
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten.
Sie stammte von Digoon, einem J’arakor, der so alt war, dass niemand genau zu sagen wusste, wann und wo er geboren wurde. Trotz seine Alters beteiligte er sich aber beispielsweise immer noch an den Befestigungsarbeiten an den Eisseglern, auch wenn er inzwischen nicht mehr als Treiber der Vielbeiner unterwegs war, da er für die dabei zu erduldenden Strapazen nun inzwischen wohl definitiv zu alt war.
„Was wird die SEELE ALLER dazu sagen?“
Eine Frage, die offenbar viele im Verbund beschäftigte.
„Vielleicht sollen wir uns nicht nur auf die SEELE ALLER verlassen!“, sagte der Großkapitän. Er senkte die Waffe trat näher an den die Reling heran. Das Seil, das ihn sicherte, erlaubte es ihm, sich der Reling bis auf etwa einen halben Schritt zu nähern, wenn er hoch aufgerichtet war. Er hielt das Rohr auf eine freie, von Schnee inzwischen bedeckte Eisfläche, in der ausnahmsweise kein einziger Anker zu finden war.
Dann feuerte er die Waffe erneut ab.
Zischend fuhr der Strahl in das Eis hinein und ließ es weg schmelzen.
„Ich gebiete über die Kraft der Schnabelträger!“, rief Magoon.
„Das ist Frevel an der SEELE ALLER!“, rief der Alte indessen. Und seine Stimme hatte noch erstaunlich viel Kraft, wie Magoon zu seinem Missfallen feststellen musste.
Doch er vernahm auch Signale der Zustimmung.
Und der Furcht.
7
„Ich habe deine Worte gehört“, sagte Katreen, als Magoon mit halb erfrorenen Händen in seine Hütte zurückkehrte. „Und ich habe die Bilder gesehen, die du uns allen gesandt hast.“
In ihrem Tonfall war ein deutlicher Vorwurf zu hören.
Sie brauchte nicht einmal mit der Stimme zu sprechen, damit er wusste, was in ihren Gedanken vor sich ging.
Magoon wog die Waffe in seiner Hand. Dann schob er sie hinter den Gürtel. Er schlug die Kapuze zurück und legte die Gesichtsmaske ab, die nur die Augen freiließ und die er draußen getragen hatte. Dann setzte er sich wieder ans Feuer. Seine Söhne starrten ihn ebenso fassungslos an wie seine Gefährtin. Es herrschte Schweigen. Sowohl akustisch, als auch in den Gedanken.
„Es ist gegen die Gesetze der SEELE ALLER, was du tust!“, sagt Katreen.
„Nein, ich habe dir erklärt, dass das nicht der Fall ist, Katreen!“
„Dann scheint sich unsere Erinnerung des Überlieferten zu unterscheiden!“
„Du weißt, dass das unmöglich ist, Katreen!“
„So?“
„Seit die SEELE ALLER uns erfüllt, unterscheiden sich unsere Erinnerungen an das Überlieferte nicht mehr von einander. Das weißt du.“
„Willst du mich jetzt am ende noch als die Frevlerin hinstellen? Willst du behaupten, dass ich an der SEELE ALLER zweifle?“ Sie schüttelt energisch den Kopf. „Ich sage nur, was ich denke und empfinde. Und ich höre viele Stimmen, die dasselbe sagen. Aber sie haben Angst, es offen zu äußern. Furcht erfüllt sie, weil sie gesehen haben, was du mit der Waffe des Schnabelträgers getan hast!“
Magoon nickte.
Ein zufriedenes Lächeln stand auf seinem Gesicht. „Ich werde dasselbe auch mit den anderen Gegenständen tun, die die Schnabelträger hier zurückgelassen haben. Nach und nach werde ich ihnen ihre Geheimnisse entreißen und lerne, sie zu benutzen!“
Die Tür der Hütte ging auf.
Eine düstere Schattengestalt stand dort. Das flackernde Licht erhellte nicht, was sich unter der tief ins Gesicht gezogenen Kapuze befand.
Der Mann machte einen Schritt nach vorn, in das Licht des Feuers hinein. Er streckte seine Hände aus, während Magoons ältester Sohn zur Tür eilte und sie so rasch wie möglich schloss. Der Schwall Kaltluft, der jedoch in den Augenblicken zuvor ins Innere der Hütte gelangt war, ließ dennoch alle Anwesenden frösteln.
„Digoon!“, stieß Katreen hervor. Sie benutzte dabei unwillkürlich und ohne darüber nachzudenken die Stimme. Magoon erkannte sofort, was seine Gefährtin bewegte. Sie war erleichtert, dass der hoch respektierte Alte ihre Hütte betreten hatte. Vielleicht würde Digoons Weisheit und Alterserfahrung ihren Gefährten Magoon wieder auf den richtigen Pfad zurückbringen. Nämlich auf den Weg des einfachen, an die Umgebung angepassten Lebenswandels, der ohne irgendwelche technischen Systeme ausgekommen war.
Nicht einmal Zeichen besaßen die J’arakor, um das Überlieferte aufzuzeichnen. Was nicht mehr in den Erinnerungen der Lebenden existiert, existiert gar nicht mehr! hieß es in den Überlieferungen, die die SEELE ALLER für die J’arakor bewahrte.
„Ich muss mit dir sprechen“, sagte Digoon und dabei vermied er es sichtlich, die Stimme zu benutzen. Er blieb auf einer rein akustischen Kommunikationsebene und schwieg.
Auch eine Art sein Missfallen zu äußern!, ging es Magoon durch den Kopf. Aber ich kann nicht nachgeben! Um unseres Verbunds willen nicht – aber auch nicht, wenn ich versuchen will, den J’arakor eine Zukunft zu sichern, die diesem Volk würdig ist!
„Und es ist deiner Meinung nach nicht der Würde der J’arakor entsprechend, wenn sie so leben, wie sie es seit vielen Zeitaltern tun?“, fragte Digoon schließlich.
Der Schrecken stand Magoon ins Gesicht geschrieben. Dazu eine gedankliche Frage. Wie weit gehen seine Fähigkeiten? Offenbar viel weiter, als ich ahnte...
Er würde auf der Hut sein müssen. Großkapitäne – und selbst Kapitäne einfacher Eissegler – waren schon aus viel nichtigeren Anlässen getötet worden.
„Darf ich mich in deiner Hütte setzen, Magoon?“, fragte Digoon.
„Natürlich!“
„Immerhin hast du mich nicht dazu aufgefordert, wie es sich gegenüber einem Schiffsältesten geziemt hätte!“
„Dann tue ich es jetzt und bitte um Entschuldigung.“
Mit einem unartikulierten Knurren auf den Lippen setzte sich der alte Mann schließlich und es dauerte eine Weile, bis Digoon endlich eine passende Position eingenommen hatte.
„Du weißt, dass die Überlieferung die J’arakor davor warnt, sich auf die Macht von Maschinen zu verlassen!“, sagte er. „Unser Volk konnte nur überleben, weil wir uns mit der SEELE ALLER verbanden. Nur so bekamen wir die Macht, die man braucht, um die Vielbeiner zu treiben.“
„Das ist mir alles bekannt“, erwiderte Magoon. „Aber ich glaube sei längerem, dass wir uns weiter entwickeln sollten.“
„Du glaubst wohl eher, dass du der jüngste Wegbestimmer der J’arakor werden kannst, der jemals dieses Amt innehatte! Du denkst, dass du die anderen Großkapitäne mit ein paar bunten Strahlen beeindrucken kannst.“ Der alte Mann seufzte. „Die Leichtfertigkeit hat in unser Leben Einzug gehalten und die geistige Tiefe verdrängt. Die Disziplin der Stimme ist immer schlechter geworden und viele von uns vernachlässigen die Verbindung zur SEELE ALLER. Ich beklage das seit langem, aber meine warnenden Rufe verhallen weitgehend ungehört, wie du sehr wohl weißt.“
„Vielleicht, weil sich die Zeit verändert hat!“
„Was hat sich denn verändert? Nichts.“
„Das ist deine Meinung, Digoon. Nimm es nicht als mangelnden Respekt vor dem Alter oder unserer Tradition.“
„Hast du dich deswegen bisher geweigert, die Fremden vollends vom Antlitz dieses Planeten zu tilgen?“
„Ich habe mich nicht geweigert.“
„Du hast sie der SEELE ALLER verschlossen.“
„Das ist nicht wahr. Als ich den Befehl erhielt, habe ich ihn ausgeführt und die Gruppe der fliegenden Schnabelträger von den Vielbeinern zerfleischen lassen. Auf diese Weise konnte ich meine Sammlung von Artefakten vergrößern...“
„Aber es sind weitere von ihnen noch am Leben! Sie harren in ihrem Sternenschiff aus, dessen Außenhülle bis jetzt noch von keinem Vielbeiner durchdrungen wurde!“
„Und es wäre auch gut, wenn das so bliebe!“, erwiderte Magoon. „Denn die Sternenschiffe sind nur in einem äußerlich unbeschädigten Zustand flugfähig.“
„Wer sagt das?“
„Die Überlieferung ebenso wie die Erfahrung“, erklärte Magoon im Brustton der Überzeugung.
Ich werde noch viele Widerstände überwinden müssen!, dachte er. Aber in diesem Augenblick war er mehr denn je überzeugt davon, den richtigen Weg eingeschlagen zu haben. Einen Weg, der ihn persönlich in die Position des Wegbestimmers bringen würde. Aber wenn ich diese Position ausfülle, wird sie ihren Namen auch wieder verdienen und nicht nur ein Sklave der SEELE ALLER sein. Ich werde tatsächlich den Weg bestimmen. Allein.
Dieser Gedanke berauschte ihn.
Er war besessen davon, seit er festgestellt hatte, dass es Mittel und Wege ab, sich von der SEELE ALLER zumindest zeitweilig abzuschirmen. Er hatte das inzwischen bis zur Perfektion trainiert. Die Fremden, die versuchten, den Sturm zu überleben, wollte er möglichst lange am Leben lassen, auch wenn im klar war, dass er sich letztlich nicht gegen den Willen der SEELE ALLER wehren konnte.
Magoon wollte etwas wagen, das er sich bisher kaum zu denken getraut hatte. Er beabsichtigte Kontakt zu den Fremden aufzunehmen... Und das, obwohl sie nun wahrlich nicht der Gestalt J’arakor entsprachen. Nur wenn Fremde kommen, die aussehen wir ihr selbst und von denen ihr glaubt, sie seien eure Spiegelbilder aus jener Zeit, in der eure Vorfahren in Sternenschiffen von einem großen Licht zum anderen flogen, dürft ihr sie als Gäste empfangen, so berichtete die Überlieferung, die in der SEELE ALLER gespeichert war und zu der jedes J’arakor-Bewusstsein jederzeit Zugang hatte. Doch ein mahnender Nachsatz fand sich noch in der Überlieferung. Tut dies jedoch nur, wenn die Fremden die SEELE ALLER respektieren!
Bilder gehörten zu dieser Überlieferung.
Sie stellten sich automatisch ein, wenn man an bestimmte Sätze der Überlieferung dachte, die von der SEELE ALLER als besonders bedeutsam angesehen wurde. Es waren Bilder von fremden Sternenschiffen, die eines Tages Arakor erreichen würden. Irgendwann, in ferner Zukunft. Schiffe, die dann auf der Oberfläche von Arakor landeten und denen dann Wesen entstiegen, die den J’arakor glichen.
Einer Wunschvorstellung, die offenbar von den Ahnen in einer unvorstellbar fernen Zeit gehegt wurden, als die Erinnerung an die Sternenschiffe und die Maschinen noch frisch war. Eine Zeit, in der es angeblich die Möglichkeit gegeben hatte, über weite Entfernungen mit einander zu sprechen, ohne die Stimme zu benutzen, deren Gebrauch den J’arakor erst die SEELE ALLER ermöglicht hatte.
„Ich möchte, dass du von deinen blasphemischen Ideen Abstand nimmst!“, sagte Digoon entschlossen. „Und ich weiß im übrigen, dass viele so denken! Die Reaktion der Ankerwerfer mag dich vielleicht etwas getäuscht haben – aber die meisten unter uns sehen nach wie vor die SEELE ALLER als die entscheidende Instanz an. Sie wissen sehr wohl, dass auf diejenigen, die sich von ihr innerlich entfernen, nur Tod und Verderben warten. Heißt es nicht: Selig sind diejenigen, die den Traum von den Sternschiffen vergessen konnten?“
„Du weißt, dass man in der Überlieferung jede nur erdenkliche Meinung vorfinden kann – aber auch das jeweilige Gegenteil!“, gab Magoon zu bedenken.
„Du entehrst die SEELE ALLER!“
„Oh nein, ich sage nur, was doch als Tatsache feststeht!“
Digoon erhob sich wieder.
Der Alte war empört.
Er trat einen Schritt zurück, drehte sich noch einmal kurz um und verzog das Gesicht.
Er ahnt, dass er nicht die Kraft hat, mich zu stoppen!, dachte Magoon. Ein kaltes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Wenn du noch etwas gegen mich unternehmen willst, solltest du dich beeilen! Schon bald wirst du nichts mehr tun können, als dich bedingungslos zu unterwerfen!
Kapitel 3: Ein Mönch namens Padraig
Zusammen mit Morton Gorescu, dem leitenden Ingenieur der STERNENKRIEGER und Catherine White, dem ziemlich ehrgeizigen Fähnrich im Techniker-Team der STERNENKRIEGER befand sich Bruder Padraig in Kontrollraum C. Eigentlich war dieser Raum dazu gedacht, die Raketensilos zu kontrollieren. Im Moment wurden hier jedoch Messungen ausgetestet, die von den Sensoren der STERNENKRIEGER gemacht worden waren.
Es ging um die rätselhaften Strahlungsimpulse, die aufgezeichnet worden waren.
Zeitweilig stieß auch die Ortungsoffizierin zu dem Team in Kontrollraum C. Lieutenant Jessica Wu wurde während dieser Zeit von Fähnrich Sara Majevsky vertreten. Diese Strahlung wiese vollkommen irreguläre Eigenschaften auf.
Unter der Federführung von Bruder Padraig wurde hier daran gearbeitet, herauszufinden, was diese Impulse zu bedeuten hatten.
Bislang tappte man allerdings ziemlich im Dunkeln.
„Der Fehler könnte in den Rohdaten liegen“, war Lieutenant Gorescu überzeugt.
„Die Erfassung lief vollkommen regulär ab, Lieutenant!“, widersprach die Ortungsoffizierin dem Leitenden Ingenieur. Jessica Wu hob die Augenbrauen, während sie ihre vorherige Aussage anhand einiger Anzeigen auf verschiedenen Touch Screens noch einmal überprüfte.
Bruder Padraig hingegen schwieg verdächtig lange. Er ging ab und zu hinaus, lief im Maschinentrakt herum und kehrte später zurück, ohne sein Verschwinden in irgendeine Art und Weise zu begründen. Sein Blick war in sich gekehrt.
Catherine White wartete gespannt darauf, was dieser Mann ausbrüten würde. Sie hatte interessiert und vollkommen in den Bann geschlagen an den Lippen des Olvanorer-Mönchs gehangen.
Schließlich kehrte Bruder Padraig zurück. Er fand Gorescu und White in eine erregte Diskussion verwickelt vor, bei der es um Einzelheiten des Messverfahrens ging. Schließlich musste jegliche Fehlerquelle ausgeschlossen werden.
Bruder Padraig setzte sich sofort an das Terminal, über den man Zugang zu den Archiven des Bordrechners bekommen konnte. Seine Finger glitten mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit und Sicherheit über die Sensorfelder. Er öffnete mehrere Menues und hatte schließlich gefunden, wonach er suchte.
Die Unterhaltung zwischen White und Gorescu war in der Zwischenzeit verstummt.
„Ich wusste es!“, meinte Bruder Padraig und schnipste mit den Fingern.
„Entschuldigen Sie, aber ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen, Bruder Padraig!“, stellte Lieutenant Gorescu klar.
Und Catherine White erging es nicht anders. Sie verschränkte die Arme unter der Brust und sah den Olvanorer erwartungsvoll an.
„Sagt Ihnen der Begriff X-Raum etwas?“, fragte er.
„Ein Kontinuum, auf dessen Existenz ein ziemlich unvollkommener Überlichtantrieb beruhte“, erklärte Catherine White.
Bruder Padraig nickte. „Richtig... Allerdings ist das schon lange her.“
„Ich habe im Rahmen einer Vorlesung auf der Ganymed-Akademie davon gehört“, berichtete White. „Es ging um die Geschichte der Überlichttechnik. Und so wie ich mich erinnere, hatte der X-Raum-Antrieb den entscheidenden Nachteil, dass nach und nach Schiffe im Nirwana eines höher dimensionalen Kontinuums verschwanden.“
Bruder Padraig nickte. „Stimmt genau. Ich habe jetzt die aufgezeichneten Werte mit den Archivdaten verglichen. Es könnte sich bei den Anomalien dieser Strahlung um eine fünfdimensionale Komponente handeln.“
„Strahlung aus dem X-Raum?“, fragte Gorescu skeptisch. „Das klingt mir jetzt doch ein bisschen zu phantastisch.“
„Aber fällt Ihnen denn eine andere Erklärung ein?“, fragte Bruder Padraig zurück. „Der X-Raum ist eine der wenigen bekannten Quellen für Fünf-D-Strahlung!“
„Die wir im Übrigen nur sehr unzureichend messen können, wie unsere Probleme mit den Rohwerten aus der Sensoren-Erfassung deutlich zeigen“, merkte Catherine White an.
„Das mag sein. Aber ich denke, wir können festhalten, dass es sich nicht um ein Naturphänomen handelt, sondern um künstlich erzeugte Impulse, die ihren Ursprung auf Snowball haben.“
„Könnte es sich um ein Kommunikationssignal handeln?“, fragte Lieutenant Wu. „Ich meine, wenn Informationsübertragung durch den Sandströmraum möglich ist, wie unser Überlichtfunk beweist, dann ist etwas vergleichbares doch vielleicht auch auf Basis des X-Raums denkbar!“
„In diesem Fall wären die Impulse, die wir aufzeichnen, nichts anderes als eine Art Normalraum-Resonanz des eigentlichen Signals“, meinte Catherine White.
„Leider können wir letzteres mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln wohl kaum empfangen, geschweige denn entschlüsseln“, glaubte Lieutenant Morton Gorescu.
Bruder Padraig zuckte die Schultern. „Immerhin sind wir uns schon mal darüber einig, dass sich auf Snowball ein Sender befindet. Es müsste sich ortungstechnisch noch etwas genauer bestimmen lassen, wo der Ursprung des Signals auf der Planetenoberfläche ist!“
„Das hängt davon ab, wie Sie Oberfläche definieren“, erklärte Jessica Wu, nachdem sie mit ihren schlanken, langen Fingern einige Sensorfelder berührt hatte. „Der Sender liegt wahrscheinlich auf dem Grund des Ozeans, der sich unter dem Eispanzer von Snowball befindet.“
Eine Alarmmeldung erreichte in diesem Augenblick Kontrollraum C.
Die STERNENKRIEGER bereitete sich auf ein Gefecht vor.
1
Commander Reilly blickte zum Panorama-Bildschirm. In einem Bildfenster war eine Positionsübersicht zu sehen, die die letzte Kursänderung des Qriid-Schiffs veranschaulichte und außerdem dessen Weg extrapolierte.
Die Lage war klar.
Aus irgendeinem Grund schien die Ortung des Qriid-Schiffs auf die STERNENKRIEGER aufmerksam geworden zu sein. Anders war die Kursänderung nicht zu interpretieren. Woran es letztlich gelegen hatte, dass die Tarnung des Schleichflugs nicht mehr funktionierte, konnte von der Brücke des Leichten Kreuzers aus nicht beurteilt werden. Dazu wusste man einfach zu wenig über die ortungstechnischen Möglichkeiten der vogelköpfigen Aggressoren. Allerdings reichte irgendeine unscheinbare elektromagnetische Emission, um ein Schiff im Schleichflug zu enttarnen. Die Signatur der Lebenserhaltungssysteme konnte dafür ebenso gut verantwortlich sein wie jedes andere System, das nicht abgeschaltet werden konnte. Und eine völlige Abschirmung war nicht möglich. Irgendetwas drang immer hinaus ins All. Gerade in der Nähe von Fixsternen waren Raumschiffe letztlich auch sehr darauf angewiesen, die Energie wieder abzugeben, die sie durch das Sonnenlicht empfingen. Andernfalls hätte sich das Innere des Schiffs nach und nach aufgeheizt. Trotz der Kälte des Weltalls war eines der Hauptprobleme in der Raumfahrt von jeher die Ableitung der durch Sonnenstrahlung entstandenen Wärme gewesen, was etwa durch Infrarot-Abstrahlung in den freien Raum geschehen konnte.
Doch auch die ließ sich orten...
„Der Kurs des Qriid-Schiffs lässt keinerlei Zweifel daran, dass wir erkannt wurden“, erklärte Lieutenant Barus, der Waffenoffizier der STERNENKRIEGER an Commander Reilly gewandt.
„Sie fliegen einen Abfangkurs“, bestätigte Fähnrich Rajiv. „Und da ihre Geschwindigkeit sehr viel höher ist als unsere, werde sie uns unweigerlich einholen.“
Die STERNENKRIEGER flog gegenwärtig mit einer Geschwindigkeit von unter 0,1 LG auf Snowball zu und hatte in den vergangenen Stunden stetig abgebremst, während das Qriid-Schiff beschleunigte. Zunächst war auf der Brücke der STERNENKRIEGER vermutet worden, dass die Qriid eigentlich einen Sandströmflug anstrebten und das System zu verlassen gedachten, ehe schließlich der deutliche Kurswechsel zu erkennen gewesen war.
„Was ist, wenn wir auf Maximalgeschwindigkeit gehen und auf einen Tangentialkurs am Orbit von Snowball vorbei schrammen?“, fragte Commander Reilly den Fähnrich.
Rajiv war sehr eifrig bei der Sache, denn ihm war durchaus bewusst, dass dies der bisher erste Einsatz seiner Laufbahn war, in dem es wirklich ernst werden konnte.
Fähnrich Rajiv ließ eine Simulation ablaufen, in der die Kursänderungen unter geänderten Prämissen simuliert wurden.
Das Ergebnis war deprimierend.
„Die STERNENKRIEGER hat keinerlei Möglichkeit, einer Gefechtssituation zu entkommen, da die Qriid auf eine kriegerische Begegnung Wert legen und es ihnen nicht ausreicht, uns zu verscheuchen“, erklärte Fähnrich Abdul Rajiv. „Sie werden uns abfangen, auf Parallelkurs gehen und beschießen. Auf der Positionsübersicht habe ich den Punkt markiert, der dafür in Frage kommt.“
„Sollen wir trotzdem beschleunigen oder den Gegner erwarten?“, fragte Lieutenant Commander Soldo an Commander Reilly gewandt.
Bevor der Captain der STERNENKRIEGER antworten konnte, meldete sich Fähnrich Majevsky zu Wort.
„Captain! Wir fangen einen Notruf von der Oberfläche des Planeten Snowball auf. Dem verwendeten Code nach handelt es sich vermutlich um ein Beiboot der Qriid.“
„Können Sie die Botschaft entschlüsseln?“, fragte Commander Reilly.
„Der Bordrechner ist noch damit beschäftigt“, erklärte Fähnrich Majevsky. „Aber es läuft darauf hinaus, dass sich die Besatzung des Beibootes in höchster Gefahr befindet und Hilfe braucht. Außerdem gibt es eine Warnung vor einem Angreifer. Dann bricht die Nachricht ab.“
„Das bedeutet, jede Hilfe kommt wohl zu spät für das Qriid-Außenteam“, stellte Thorbjörn Soldo nüchtern fest.
Commander Reilly nickte. „Wir erwarten den Feind im Orbit von Snowball!“, bestimmte er. „Ruder!“
„Ja, Sir?“
„Nehmen Sie entsprechende Kurskorrekturen vor!“
„Aye, aye, Captain.“
„Bis zum Zusammentreffen mit den Qriid bleiben uns ja noch ein paar Stunden Zeit. Sobald Sie in den Orbit von Snowball eingeschwenkt sind, rufen Sie bitte Lieutenant Ramirez auf die Brücke.“
„Ja, Sir.“
Rajivs Gesicht bekam eine finstere Note. Es war ihm anzusehen, dass es ihm nicht gefiel, seinen Platz für Lieutenant Ramirez räumen zu müssen. Aber in der bevorstehenden Gefechtssituation wollte sich Commander Reilly lieber auf das erfahrenere Crew-Mitglied verlassen.
„Captain, uns erreicht ein Funkspruch des Qriid-Schiffes!“, meldete Fähnrich Majevsky. „Da diese Transmission unverschlüsselt ist, dürfte unser Translatorsystem keinerlei Schwierigkeiten mit der Übersetzung haben.“
„Auf den Schirm damit!“, befahl Commander Reilly. „Und holen Sie Bruder Padraig her!“
„Der befindet sich im Maschinentrakt.“
„Dann sorgen Sie dafür, dass er im Konferenzmodus zugeschaltet wird, Fähnrich Majevsky!“
„Ja, Sir!“
Auf den Rat des Olvanorers wollte Commander Reilly nicht verzichten.
Auf dem Panoramabildschirm wurde die schimmernde, weiße Kugel namens Snowball von einem Bildausschnitt abgelöst, der vielleicht einen Teil der Brücke des Qriid-Schiffs zeigte.
„Vermutlich haben sie auch noch auf anderen Planeten dieses Systems Landeteams abgesetzt“, raunte Thorbjörn Soldo seinem Captain zu.
Ein Qriid-Kopf füllte jetzt den Großteil des Bildausschnitts aus. Der gebogene Schnabel öffnete sich leicht. Die falkengrauen, recht weit auseinander stehenden Augen machten auf Willard Reilly beinahe den Eindruck, als würden sie in verschiedene Richtungen blicken.
„Hier spricht Tan-Balo, ehrenhafter Tanjaj-Kommandant des Kriegsschiffs KRALLE DER GLÄUBIGEN im Dienst des Heiligen Imperiums.“ Der Qriid nahm Haltung an. An der Brust seines Tunika artigen Gewandes hing ein halbes Dutzend Metallplaketten, bei denen es sich wohl nur um Orden- und Ehrenzeichen handeln konnte. Manche Dinge scheinen sich bei allen militärischen Hierarchien der Galaxis zu ähneln!, dachte Reilly.
Tan-Balo machte eine rhetorische Pause. Er stieß einen grollenden Laut aus, der tief aus der Kehle kam und entfernt an das Gurren einer Taube erinnerte. Willard Reilly fragte sich, welche Bedeutung diese Verhaltensweise hatte. Handelte es sich vielleicht um einen nonverbalen Ausdruck der Geringschätzung? Das Translatorsystem verfügte zwar über genug gespeichertes Qriid-Sprachmaterial, aber was den Bedeutungsgehalt nonverbaler Äußerungen anging, so herrschte da bislang völlige Unkenntnis. Dasselbe galt für den kulturellen Hintergrund der Qriid, über den nur wenige markante Fakten bekannt waren.
Bruder Padraigs Gesicht erschien jetzt auf einem der Nebenbildschirme.
Tan-Balo fuhr unterdessen fort: „Es ergeht die Aufforderung, sich zu ergeben und das Schiff den tapferen Glaubenskriegern des Imperiums ohne Widerstand zu übergeben. Andernfalls ist euch die Vernichtung gewiss!“
„Schalten Sie den Kanal frei, Fähnrich Majevsky!“, wies Reilly die Funkerin an. „Ich möchte Kommandant Tan-Balo gerne meine Antwort geben.“
„Kanal ist frei, Captain!“, bestätigte Fähnrich Majevsky.
„Hier spricht Commander Willard Reilly, Captain des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER im Dienst des Space Army Corps der Humanen Welten. Wir sind nicht in kriegerischer Absicht hier, sondern in einer reinen Forschungsmission!“
„Ihr betreibt Aufklärung“, erwiderte Tan-Balo. „Und das in einem Gebiet, das vom durch Gott inspirierten Aarriid für sich und das Heilige Imperium beansprucht wird! Das ist eine aggressive militärische Aktion und hat mit einer Forschungsmission nicht das Geringste zu tun.“
Er ist der Wahrheit gefährlich nahe!, dachte Willard Reilly.
„Wie gesagt, ich würde ein Gefecht gerne vermeiden!“
„Weil du weißt, dass du dich auf Grund der Geschwindigkeitsunterschiede in einem taktischen Nachteil befindest, Captain Reilly!“, erwiderte Tan-Balo. Diesmal musste man nicht viel in die krächzenden Laute hinein interpretieren, die der Qriid-Kommandant über den Schnabel brachte, um zu begreifen, welchen Triumph er empfand.
Leider hat er weitgehend Recht!, dachte Reilly. Aber wenn er glaubt, dass ihm die STERNENKRIEGER als leichte Beute in den Schlund fällt, dann hat er sich getäuscht!
Den Beweggrund des Qriid-Kommandanten, auf ein Gefecht möglichst zu verzichten und den Menschen die Aufgabe anzubieten, konnte Reilly durchaus nachvollziehen. Wahrscheinlich war es jedoch weniger der Wunsch, ein Gefecht vermeiden zu wollen, als vielmehr die Erkenntnis, wie wertvoll es sein konnte, ein Schiff des – zukünftigen – Gegners in die Hände zu bekommen. Umgekehrt würde auch das Oberkommando des Space Army Corps viel darum geben, die Waffensysteme eines Qriid-Schiffs endlich mal aus der Nähe und bis ins kleinste Detail untersuchen zu können!, dachte Reilly.
„Ihr habt keine Chance zu entkommen“, erklärte Tan-Balo. „Mein Schiff, die KRALLE DER GLÄUBIGEN wird ihrem Namen alle Ehre machen und euer Schiff zumindest manövrierunfähig schießen. Darüber hinaus wurde die Tanjaj-Flotte alarmiert. Es sind Dutzende von Einheiten hier her unterwegs. Die meisten davon setzen sich von einem der umliegenden Systeme aus in Bewegung, die wir derzeit allesamt besuchen, um ihre Integration in das Imperium sicherzustellen, bevor...“
„Bevor der Heilige Krieg in eine weitere Etappe geht!“, schloss Commander Reilly. „Das ist es doch, nicht wahr?“
Tan-Balo zögerte. „Ich höre in dieser Äußerung so etwas wie moralische Geringschätzung für das Handwerk des Kriegerischen, was mich persönlich sehr erstaunt, denn wie du selbst gesagt hast, gehört dein Schiff einem Verbund an, der für die militärische Verteidigung zusammengestellt wurde! Wie kann ein Angehöriger einer militärischen Organisation jedoch den Krieg, für den er geboren wurde, moralisch in Frage stellen? Ich bitte um Verzeihung, aber dieses Paradox ist in meinen Augen nicht aufzulösen.“
„Wie auch immer, ich werde das Schiff nicht aufgeben!“
„Wir würden das Leben deiner Besatzung schonen und euch auf einem Planeten eurer Wahl im Umkreis von zehn Lichtjahren absetzen“, schlug Tan-Balo fort. „Wir wissen, dass dein Volk feige ist und im Gegensatz zu den ehrenhaften Tanjaj den Tod fürchtet wie das Schlupf-Ei den plötzlichen Frost!“
Commander Reilly atmete tief durch. Welch profunde Kenntnis unserer menschlichen Mentalität schimmert doch in diesen Worten auf!, überlegte er voller Sarkasmus. Andererseits konnte man auf Seiten des Space Army Corps wohl kaum behaupten, im Hinblick auf das Wissen über die Qriid besser dazustehen. Abgesehen, dass man wusste, wie gefährlich sie waren und wie kompromisslos sie gegen ihre Feinde vorgingen, war nicht vieles bekannt. Bruchstücke nur.
Der Qriid ballte die großen Krallenpranken zum qriidischen Äquivalent zweier Fäuste. Er musste sich sichtlich beherrschen, um nicht irgendwelche wüsten Drohungen oder Flüche von sich zu geben.
„Wir würden deiner Mannschaft sogar einen kleinen Überlichtsender zur Verfügung stellen, sodass eine Rettung möglich wäre!“, gab er zu bedenken. Sein Gemütszustand schien angegriffen zu sein.
„Wir brauchen Bedenkzeit!“, mischte sich jetzt Bruder Padraig ungefragt ein.
„Darf dieser Mensch für die STERNENKRIEGER sprechen, Captain?“, fragte Tan-Balo.
„Das darf er“, sagte Reilly nach kurzer Pause. Der Olvanorer hatte die Verhandlung kurzerhand an sich gerissen, als er feststellte, dass etwas seiner Meinung nach in eine falsche Richtung ging.
Warum nicht?, kommentierte eine Stimme in Reillys Hinterkopf die Lage. Vielleicht kann Bruder Padraig ja sein diplomatisches Geschick in die Waagschale werfen, um den Kampf zu vermeiden...
„Versetzen Sie sich in unsere Lage“, verlangte Bruder Padraig. „Angenommen Sie würden aufgefordert, sich zu ergeben und sähen vielleicht sogar die militärische Notwendigkeit ein – so würden auch Sie...“
„Ein Qriid würde nicht aufgeben!“
„Für uns hat die Rettung des menschlichen Lebens die höchste Priorität“, erklärte Bruder Padraig.
„Unsere Priorität sieht etwas anders aus“, entgegnete Tan-Balo. „Für uns kommt zuerst die Verbreitung des Glaubens. Wir kämpfen nicht, um des Kämpfens Willen, sondern weil es Gottes Wille ist.“
„Wie können Sie sich über den Willen Gottes derart sicher sein? Ich bin auch ein tiefgläubiges Individuum, würde mir aber niemals anmaßen, in dieser Frage genau zu wissen, was Gott will.“
Der Qriid stutzte. Zumindest musste ein irdischer Beobachter dieses Wesens die Reaktion des Schiffskommandanten so auffassen. Er vollführte eine ruckartige Bewegung. Die Schnabelhälften schabten aneinander und erzeugten dabei ein unangenehm scharf klingendes Geräusch.
„Du bist zu bedauern, dass du den Willen Gottes nicht kennst! Aber du bist ein Schnabelloser. Was soll man da schon von deiner Rasse halten.“ Er machte eine kurze Pause und fügte anschließend noch hinzu: „Es ist alles gesagt. Wenn ihr nicht aufgegeben habt, bis wir auf Schussweite heran sind, ist es zu spät. Dann werden wir euer Schiff zerstören und ihr werdet ein kaltes, unbedecktes Grab im Weltraum finden!“
2
Die Verbindung zur KRALLE DER GLÄUBIGEN wurde von Seiten der Qriid unterbrochen.
Der Schirm zeigte wieder den Planeten Snowball und dahinter das Zentralgestirn des Systems.
„Sie haben es offenbar auf unsere Technik abgesehen“, stellte Lieutenant Commander Soldo fest.
Reilly nickte.
„Das klingt einleuchtend.“
Der Besitz eines Space Army Corps Schiffes wäre für die Qriid von unschätzbarem Wert gewesen, um sich auf den irgendwann unweigerlich bevorstehenden Konflikt mit den Humanen Welten besser vorbereiten zu können.
Umgekehrt hätte die STERNENKRIEGER auch jede Gelegenheit wahrgenommen, um in den Besitz von qriidischer Technik zu gelangen. Aber Commander Reilly hatte nicht die Absicht, es dazu kommen zu lassen.
3
„Der Weg, den du befohlen hast ist riskant, ehrenhafter Kommandant“, sagte Dom-Tabun. Der Erste Offizier der KRALLE DER GLÄUBIGEN hatte es erst gewagt, seine Meinung zu äußern, nachdem ihn Kommandant Tan-Balo ausdrücklich dazu aufgefordert und um eine offene Stellungnahme gebeten hatte. Jetzt, da es in gewisser Weise schon zu spät ist, denn die Befehle sind gegeben und welcher Kommandant, der etwas auf seine Tanjaj-Ehre gibt, würde sie jetzt noch zurücknehmen!, dachte Dom-Tabun voller Bitterkeit.
„Vielleicht uns dieser Weg aber endlich in die Lage, ein Schiff dieser Schnabellosen untersuchen zu können!“
„Sie werden nicht darauf eingehen!“, prophezeite Dom-Tabun.
„Gott allein kennt die Zukunft – oder du etwa auch, Dom-Tabun?“ Die Bemerkung des Kommandanten grenzte an eine Beleidigung, schließlich unterstellte sie dem Ersten Offizier so etwas wie eine blasphemische Anmaßung.
Aber Dom-Tabun hatte in all den Jahren, die er schon als treuer Tanjaj des Aarriid diente, gelernt, dass es stets das wichtigste war, die Ruhe zu behalten. So verfahren die Situation auch sein mochte. Tan-Balo drängt es, sich besonders hervorzutun und es seinen Vorgesetzten zu erleichtern, ihn zu befördern!, dachte der Erste Offizier. Dieser Ehrgeiz frisst ihn förmlich auf. Allerdings riskiert er dabei unser aller Leben. Schließlich weiß niemand von uns, wie kampfstark die Schiffe der Schnabellosen tatsächlich sind! Schließlich hat es ja erst eine einzige Begegnung mit ihnen gegeben...
„Ruhm und Ehre können wir erringen“, sagte Tan-Balo. „Und wir können dem Imperium einen großen Dienst erweisen. Diesem Schiffstyp begegneten unsere Tanjaj-Brüder im Zuge unserer Auseinandersetzung mit den Wsssarrr – und wir täten gut daran, ihn genau untersuchen und auf seine Schwachstellen hin überprüfen zu können.“
„Andererseits scheinen unsere Tanjaj-Brüder auf der Oberfläche unsere Hilfe zu brauchen“, wandte Dom-Tabun ein.
In diesem Augenblick meldete der Funker, dass sämtliche Versuche, noch einmal mit der Mannschaft der KLEINEN KRALLE Kontakt aufzunehmen, gescheitert seien.
„Es scheint da unten tatsächlich ein Problem zu geben“, gestand nun auch Tan-Balo ein. Er schabte etwas mit seinem Schnabel und stieß ein tiefes, gurrendes Geräusch aus. „Wahrscheinlich gibt es mal wieder Probleme durch unzureichende Wartung der Technik. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass die eingeborenen, primitiven Schnabellosen, die bei der Fortbewegung noch auf die Windkraft angewiesen sind, für unsere Tanjaj-Brüder tatsächlich eine ernstzunehmende Gefahr darstellen könnten.“
„Vielleicht existieren dort unten Gefahren von denen wir nicht einmal etwas ahnen!“, gab Dom-Tabun zu bedenken.
Ein Glucksen entrang sich Tan-Balos halb geöffnetem Schnabel.
„Das kann unmöglich dein Ernst sein, Dom-Tabun!“, glaubte der Kommandant der KRALLE DER GLÄUBIGEN. „Diese Eingeborenen sind unseren Erkenntnissen nach nicht dazu in der Lage, einen Qriid zu gefährden, der über die Standardausrüstung der Tanjaj verfügt.“
„Dennoch muss dort unten etwas geschehen sein!“, beharrte Dom-Tabun.
In diesem Augenblick meldete sich der Funker.
„Ehrenhafter Kommandant, ich habe einen qualitativ nicht sehr zufrieden stellenden Funkkontakt über den Kommunikator eines Mitgliedes des Bodenteams!“
„Wer ist es?“, fragte Tan-Balo.
„Rekrut Nirat-Son!“
„Lass hören!“
Das Gesicht des Tanjaj-Rekruten erschien auf einem Schirm. Die Umgebung, in der er sich befand, vermochte Kommandant Tan-Balo nicht so recht einzuordnen. Tatsache war, dass es offenbar warm genug war, um die Gesichtsmaske und die Kapuze des Thermoanzugs abzunehmen. Aber genauso sicher konnte er davon ausgehen, dass der Rekrut nicht aus der Passagierkabine der KLEINEN KRALLE sprach.
„Rekrut Nirat-Son meldet sich aus dem Wrack eines Xabo-Schiffs und bittet um die Erlaubnis, berichten zu dürfen.“
„Erlaubnis erteilt, Rekrut!“, sagte Tan-Balo gleichermaßen ungeduldig und irritiert.
Dann begann Nirat-Son mit seinem Bericht. Er fasste die Ereignisse seit der Landung des Beibootes auf Korashan V zusammen, erwähnte die furchtbaren, aus dem Eis hervor kommenden Vielbeiner ebenso wie das Schicksal der ersten auf dem Eisplaneten gelandeten Mannschaft. Er schilderte, wie er Re-Lims Gruppe fand, in den Sturm geriet und schließlich Rettung in dem Wrack der Xabo fand.
„Ich hatte Zeit genug, in den Daten der Xabo herum zu forschen und weiß, wonach sie in dieser Eiswüste suchten.“
„Und das wäre?“, fragte Tan-Balo nur mäßig interessiert, denn eigentlich rührte es ihn nicht besonders, dass ein paar Tanjaj gefräßigen Vielbeinern zum Opfer gefallen waren, anstatt sich erfolgreich zu wehren. Nach Tan-Balos Ansicht waren diese Wesen ein Fall für eine Art planetaren Kammerjäger – und er sah es als Schande an, dass Tanjaj, die auf seinem Schiff ihren Dienst taten, offenbar mit diesem Ungeziefer nicht fertig geworden waren. Möge das ewige Eis von Korashan V ihre Körper bedecken und nie jemand erfahren, dass sie durch eine Art Ungeziefer ihr Leben aushauchten...
Das, was Nirat-Son jedoch über die Anwesenheit von Xabo auf diesem Planeten zu sagen hatte, interessierte ihn schon sehr viel mehr. Ohne Grund waren sie nicht hier, so viel stand fest. Unterhielten sie vielleicht eine geheime Basis auf dem Eisplaneten?
Es wurde höchste Zeit, dass man mit den Xabo aufräumte.
Zumindest war das Tan-Balos Meinung. Der Tanjaj-Mar rüstete derzeit gerade zum entscheidenden Schlag gegen den Xabo. Zumindest besagten das die offiziellen Informationen dies, mit denen die Tanjaj-Offiziere während ihrer Kommandanten-Konferenzen versorgt wurden.
Aber insgeheim hegte Tan-Balo den Verdacht, dass diese Informationen propagandistisch gefärbt waren und in diesem Fall nur dazu dienten, die Ungeduld einiger ehrgeiziger Kommandanten zu bremsen, die am liebsten sofort gegen die Xabo zu Felde gezogen waren.
Aber das Oberkommando unter dem Tanjaj-Mar wollte derzeit offenbar unbedingt die Verluste gering halten, da ansonsten die Gefahr einer Überdehnung des Imperiums und seiner Kräfte kommen konnte. Die Expansion ging mit atemberaubender Geschwindigkeit in alle Richtungen voran und so waren gelegentlich Verschnaufpausen selbst für die gut geölte Militärmaschinerie der Tanjaj-Flotte unerlässlich, um vor allem den Nachschub nicht abbrechen zu lassen.
Die Mission der KRALLE DER GLÄUBIGEN diente dieser Konsolidierung. Innerhalb weniger Monate konnten im Korashan-System die ersten Industriekomplexe errichtet werden, wobei die unerschöpflichen Wasservorkommen von Planet Nummer 5 ein nicht zu unterschätzender Faktor waren. Die Qriid-Industrie war darauf ausgerichtet, mit derartigen, schnell errichteten Werkskomplexen den Nachschub der Flotte zu sichern, so dass spätestens nach Aufnahme der Produktion damit zu rechnen war, dass die Tanjaj-Flotte zum entscheidenden Schlag gegen die neue Heimat der Xabo-Flüchtlinge ausholte.
Das Drei-Sonnen-System, das sie sich zum neuen Zentrum erkoren hatten, war von qriidischen Kundschafter-Einheiten bereits beobachtet worden. Nach und nach wurden nun Tanjaj-Flottenverbände aus weit entfernten Regionen des Imperiums zusammengezogen, um die Xabo ein weiteres Mal zu schlagen. Es waren bereits Tanjaj-Schiffe aus der fernen Noirmad-Exklave unterwegs, um die hiesigen Qriid-Einheiten zu unterstützen.
Ihr Eintreffen im so genannten Expansionsstreifen, der das eigentliche Territorium des Imperiums umgab, wurde bereits erwartet.
„Die Xabo glaubten, dass sich auf Korashan V die Basis einer längst untergegangenen Zivilisation befindet, die sie die ‚Erhabenen’ nennen und die ein schier unglaubliches technisches Niveau erreicht hatten. Die fünfdimensionalen Impulse, deren Ursprung auf dem Meeresgrund des vereisten Ozeans liegt, haben sie zumindest so interpretiert. Ich habe alle Daten an meinen Tanjaj-Nom gesandt, bekomme aber keinen Funkkontakt mehr zu ihm...“
Gedankenverloren und nur mühsam seine Abwesenheit verbergend hatte Tan-Balo dem Bericht des Rekruten Nirat-Son zugehört. Die technologische Hinterlassenschaft einer hoch entwickelten Superrasse? Das klang interessant. Zumal natürlich um jeden Preis verhindert werden musste, dass Xabo oder gar die schnabellosen Menschen in Kontakt mit dem Wissen dieser Hochkultur kamen.
„Ich danke dir für deine Auskunft. Sende uns bitte sämtliche Daten, die du an die KLEINE KRALLE übermittelt hast, auch an uns!“, verlangte der Kommandant der KRALLE DER GLÄUBIGEN.
„Ja, ehrenwerter Kommandant“, erwiderte Nirat-Son. „Anschließend werde ich mich zur KLEINEN KRALLE begeben, was etwas mühselig sein wird, da mein Antigravaggregat inzwischen defekt ist.“
„Nein“, bestimmte Tan-Balo. „Harre bei dem Wrack der Xabo aus. Vielleicht werden wir ein weiteres Bodenteam zur Oberfläche des fünften Planeten schicken...“
Kapitel 4: Ein Blitzeschleuderer namens Magoon
Der grünliche Strahl zuckte aus der Öffnung am Ende des gebogenen, rohrartigen Gegenstandes hervor, den Magoon wie die Legitimation seines Herrschaftsanspruchs in die Höhe hielt.
Er sog die eisige Luft in sich hinein. Es war ein heller Tag, an dem erstmals wieder die Sonne durch die grauen Wolkengebirge hindurchschimmerte.
Der Sturm hatte sich beruhigt.
Großkapitän Magoon stand am Bug des STURMTROTZERS, während die Ankerwerfer damit beschäftigt waren, die metallenen Haken wieder aus dem Eis herauszuholen, was einer Knochenarbeit gleichkam.
Der Verbund würde bald wieder aufbrechen. Dem Wetter konnte man trauen. Die SEELE ALLER hatte ein untrügliches Gespür dafür und Magoons Leute darin bestärkt, die Eissegler wieder flott zu machen und weiter zu ziehen.
Schon deshalb um die umherirrenden Vielbeiner wieder einzufangen. Wenn sie sich zu weit entfernten, entglitten sie dem geistigen Einfluss der Treiber. Das war eigentlich nicht sonderlich schlimm – es sei denn die Treiber eines anderen Verbundes bekamen die streunenden Vielbeiner unter ihre Kontrolle.
Aber wen soll ein Blitzeschleuderer fürchten?, dachte Magoon. Niemanden. Weder die fremden Schnabelköpfe, noch den Zorn der SEELE ALLER!
Die J’arakor seines Verbundes jubelten ihm jedenfalls zu. Soeben hatte Magoon ihnen verkündet, dass er sie in der Benutzung dieser Waffen unterrichten wolle.
„Was spielst du für ein falsches Spiel?“, fragte eine Stimme in Magoons Rücken.
Der Großkapitän wandte sich herum. Es war Digoon, der ihm in Begleitung mehrerer getreuer Männer entgegentrat.
„Wieso sprichst du von einem falschen Spiel? Ich gebe meinem Verbund die Sicherheit, die er von mir verlangen kann!“, erwiderte Magoon.
„Du gebärdest dich als Rebell gegen die SEELE ALLER!“, sagte Digoon. „Aber ihren Befehl, wonach die Schnabelträger getötet werden sollen, hast du dennoch ausgeführt!“
Magoons Gesicht war bis auf die Augen und einen kleinen Teil der Stirn vollkommen bedeckt, sodass man keine Regung in seinen Zügen erkennen konnte. Und der SEELE ALLER verschloss sich der Kapitän des STURMTROTZERS zurzeit, sodass Digoon auf diese Weise nichts über den Gemütszustand Magoons erfahren konnte.
Magoon schluckte.
In der Nacht war die SEELE ALLER in sein Bewusstsein gedrungen. Er hatte ihre Stärke gespürt und wusste, dass er sich in dieser Nacht nicht widersetzen konnte. Nicht in diesem Fall zumindest, denn das Interesse der SEELE ALLER am Tod der Schnabelwesen war sehr stark. Und so hatten die Treiber aus Magoons Verbund aktiv werden müssen und die Kräfte ihres Geistes auf die Vielbeiner konzentriert. Die SEELE ALLER war ihnen dabei behilflich gewesen, aber sie hatte nur als Medium funktioniert. Die nötige Kraft hatten die Treiber selbst aufbringen müssen, weswegen sie jetzt vollkommen erschöpft in ihren Hütten lagen. Je weiter die Vielbeiner sich von den fest verankerten Eisseglern des Verbundes entfernten, desto schwieriger war es für die Treiber, sie unter Kontrolle zu halten.
Die fremden Schnabelmänner, die in ihrem Raumschiff ausgeharrt hatten, waren jetzt nichts als ein Haufen unverdaulicher Kalkrückstände.
Knochen...
Die Vielbeiner besaßen keinerlei optische Sinnesorgane, deswegen konnten sie auch keine Bilder in den Bewusstseinspool der SEELE ALLER einspeisen und viele ihrer spezifischen Sinneswahrnehmungen waren für einen J'arakor dermaßen fremdartig, dass er für gewöhnlich nichts damit anzufangen wusste. Aber es gab Ausnahmen. Und es war die Aufgabe angehender Treiber, sich darauf einzustellen und diese Sinneseindrücke der Vielbeiner richtig interpretieren zu können. Eine pure Leistung des Gehirns. Ein geistiger Kraftakt, der früher oder später zu einer vollkommenen Erschöpfung führte. Treiber waren daher von allen anderen Arbeiten, die es innerhalb des Verbundes gab, befreit. Der Verbund oder die Gemeinschaft des jeweiligen Eisseglers versorgte sie und nahm ihnen jegliche Entscheidungen nach Möglichkeit ab, damit sie ihre geistigen Kräfte vollkommen auf die Kontrolle der Vielbeiner konzentrieren konnten.
In der letzten Nacht hatte Magoons Verbund eine große Anzahl an Vielbeinern verloren. Die Entfernung war daran schuld. Die Vielbeiner waren – während sie Schnabelwesen zerfleischten – einfach der Kontrolle der Treiber entglitten und jetzt musste der Verbund sehen, wie er sie zurückbekam.
Ein stechender Schmerz meldete sich in Magoons Kopf.
Digoon beobachtete den Großkapitän aufmerksam.
Dieser wusste, dass er nun keine Schwäche zeigen durfte. Dem Alten war er inzwischen ein Dorn im Auge. Digoon hielt nichts von den Neuerungen, die Magoon einzuführen gedachte. Er hatte die SEELE ALLER als einen selbstverständlichen Bestandteil seines Lebens akzeptiert, aber Magoon dachte anders darüber. Er bestand auf seiner Eigenständigkeit. Ja, mehr nicht! Er wolle selbst herrschen. Und vielleicht würde ihm die SEELE ALLE dabei sogar unbeabsichtigter Weise helfen!
Wieder meldete sich der Schmerz.
Ein Schmerz, den Magoon nur zu gut kannte. Es war die SEELE ALLER, die sich bei ihm meldete und Zugang zu seinem Bewusstsein verlangte. Die Fremden konnten durch einen derartigen Impuls mitunter sogar gelähmt werden. Bei jemandem wie Magoon, der im Umgang mit der SEELE ALLER geübt war, klappte das natürlich nicht. Öffne dich ihr ein wenig!, meldete sich eine Stimme in seinem Hinterkopf. Du brauchst sie noch. Du bist noch nicht stark genug, um ganz auf sie verzichten zu können – und andererseits weiß die SEELE ALLER sehr gut, dass sie dich nicht stoppen kann. Nicht so zumindest!
Also gab Magoon nach, obgleich er keineswegs mental so empfindlich war wie die Fremden oder wie die Treiber seines Verbundes.
HIER SPRICHT DIE SEELE ALLER ZU DIR. DU HAST DICH DER ALLGEMEINHEIT VERSCHLOSSEN...
Ist das nicht mein Recht?
DAS MAG SEIN. ABER BEI VIELEN WIRFT DAS FRAGEN AUF.
Und ebenso viele sehen in mir den nächsten Wegbestimmer!
ES HERRSCHEN UNENTSCHIEDENHEIT UND SORGE IN DER SEELE ALLER!
Darum wird es Zeit, dass EINER den Weg bestimmt.
1
Eine Erschütterung durchlief die STERNENKRIEGER.
„Treffer auf Deck 2!“, meldete Thorbjörn Soldo, während er mit hektischen Bewegungen die Anzeigen seiner Konsole aktivierte.
„Feuer frei, Mister Barus!“, wandte sich inzwischen Commander Reilly an den Waffenoffizier. „Ruder! Übergeben Sie das Steuer an den Waffenoffizier!“
„Ja, Sir!“, bestätigte Fähnrich Rajiv und nahm eine Schaltung vor. „Steuerung übergeben!“
Lieutenant Chip Barus hatte nun die Herrschaft über das Schiff. Das musste er auch, schließlich waren die Gauss-Geschütze an Bord der STERNENKRIEGER starr angebracht, sodass stets das gesamte Schiff so ausgerichtet sein musste, dass eine möglichst große Trefferwahrscheinlichkeit bestand. Unablässig feuerten die Gauss-Geschosse aus den Geschützrohren die erste Breitseite hervor.
Die Treffergenauigkeit war auf die zurzeit herrschende Distanz noch statistisch zu vernachlässigen. Sie lag weit unter einem Zehntel Prozent. Andererseits konnte ein einziger dieser Gauss-Treffer ein ganzes Raumschiff mühelos zerstören.
Aber auf weitere Distanzen hatte das Traser-Geschütz der KRALLE DER GLÄUBIGEN die weitaus größere Treffsicherheit.
Thorbjörn Soldo gab den Schadensbericht von Deck 2 durch. Auf einer Länge von mehreren Metern war ein Leck in der Außenhülle der STERNENKRIEGER entstanden. Atemluft drang in den Weltraum und die entsprechende Sektion musste abgeschottet werden.
„Hat es Verluste gegeben?“, fragte Commander Reilly etwas ungeduldig dazwischen.
„Drei Besatzungsmitglieder konnten nicht mehr geborgen werden, bevor es zur Abschottung kam: Crewman Myers, Crewman Leaky und Crewman Garcia-Során. Lieutenant Ramirez wird auf der Krankenstation behandelt.“
„Was fehlt ihm?“, erkundigte sich Fähnrich Rajiv. Der Dienst habende Rudergänger auf der Brücke der STERNENKRIEGER wusste sehr gut, dass nun wohl keine Chance mehr bestand, seine Position im Verlauf des Gefechts wieder mit dem erfahreneren Ramirez zu besetzen. Jetzt hing es also von ihm ab, auch wenn Lieutenant Abdul Rajiv im Augenblick nichts weiter tun konnte, als die Hände in den Schoß zu legen und die Anzeigen seiner Konsole zu verfolgen, solange die STERNENKRIEGER unter der Kontrolle von Lieutenant Barus stand.
„Lieutenant Ramirez wurde durch die entstandene Unterdrucksituation durch die Gegend geschleudert. Anstatt gleich in den Weltraum hinaus gerissen zu werden, prallte er gegen eine Wand. Zwei Angehörige unserer Marines-Truppe, deren Kabinen ganz in der Nähe sind, haben ihn mit sich geschleift und ihn auf diese Weise zumindest vorläufig gerettet.“
Commander Reilly sah den betroffenen Gesichtsausdruck von Lieutenant Rajivs Gesicht. In diesem Punkt geht es mir wie Ihnen, Lieutenant!, dachte er. Mir ist zwar bewusst, dass die STERNENKRIEGER ein Kriegsschiff ist – und doch kann ich mich an Verluste einfach nicht gewöhnen.
„Ich bin überzeugt davon, dass Dr. Rollins tut, was er kann, Lieutenant“, sagte Reilly laut.
„Natürlich, Sir“, murmelte Rajiv mit belegter Stimme.
Eine weitere, nicht ganz so heftige Erschütterung folgte. Der Treffer hatte eine Region der STERNENKRIEGER getroffen, in der sich vorwiegend Munitionsdepots befanden. Aber eine Gefahr bildeten in diesem Fall nur die Sprengköpfe der an Bord befindlichen Raketen, die sich jedoch nicht in dem Depot befanden. Hier lagerte nur die Wuchtmunition der Gauss-Geschütze, die aus quaderförmigen, ultraschweren und sehr durchschlagskräftigen Projektilen in der Form von Würfeln, mit einem Dezimeter Kantenlänge bestand. Dabei hatte die Würfelform einzig und allein den Grund, dass sich die Projektile auf diese Weise besser lagern ließen.
„Ein Teil der Munition dürfte sich durch den Traser-Beschuss zumindest verformt haben!“, meinte Thorbjörn Soldo.
„Für unsere Feuerkraft besteht aber doch wohl keine Gefahr?“, vergewisserte sich Commander Reilly.
„Nein, Sir!“
Die STERNENKRIEGER war – wie jedes Kriegsschiff im Dienst des Space Army Corps – reichlich mit Wuchtmunition bestückt. Jeder freie Quadratzentimeter auf dem Schiff war mit Gauss-Geschossen gefüllt. Einen stundenlangen Dauerbeschuss aufrecht zu erhalten, war überhaupt kein Problem – selbst wenn eines der größeren Depots vollkommen ausfiel und aus irgendwelchen Gründen nicht mehr zugänglich war.
Auf einer Positionsübersicht war zu erkennen, dass das Qriid-Schiff einen Hyperbelkurs an der STERNENKRIEGER vorbei flog. Die Geschwindigkeit des Gegners war dabei relativ gering und überstieg die der STERNENKRIEGER kaum, sodass sich ein Zeitfenster von mehr als einer Stunde ergab, in denen sich beide Schiffe bis auf Gefechtsdistanz näherten.
„Treffer auf dem Qriid-Schiff!“, meldete jetzt Fähnrich Majevsky. „Grad der Zerstörung ist schwer abzusehen, aber es ist ein Teil der Außenhaut weggeplatzt und im Infrarotscan zeigt sich eindeutig, dass im Inneren ein Brand ausgebrochen sein muss!“
Fähnrich Majevsky nahm ein paar Schaltungen an ihrer Konsole vor, sodass die Anzeige des Panoramaschirms das Qriid-Schiff näher heran zoomte.
Eine kleinere Explosion an Bord ließ jetzt ein weiteres Stück der Außenhülle weg platzen und als glühendes Metallstück mit chaotischer Flugbahn durch das All geistern. Nach ein paar Sekunden war es nicht mehr zu sehen.
„Offenbar wurde ein sensibler Bereich getroffen!“, lautete Lieutenant Commander Soldos Kommentar.
In diesem Augenblick durchlief eine weitere Erschütterung die STERNENKRIEGER. Für einen Moment hatte Commander Reilly das Gefühl zu schweben, dann presste ihn plötzlich ein zentnerschweres Gewicht in den Kommandantensessel.
„Erneuter Treffer!“, meldete Soldo. Dabei rang der Erste Offizier der STERNENKRIEGER immer wieder nach Atem. „Die künstliche Schwerkraft ist in Mitleidenschaft gezogen worden. Notaggregat ist eingeschaltet.“
In diesem Augenblick schlugen aber auch mehrere Gauss-Geschosse auf Seiten des Qriid-Schiffs ein und durchschlugen es. Die Schusskanäle zogen sich durch das gesamte Schiff und hatten eine verheerende Wirkung. Es kam zu weiteren Explosionen.
Fähnrich Majevsky zeigte auf einem Teilfenster des Bildschirms den Infrarotscan des Qriid-Schiffs an, auf dem deutlich zu sehen war, wie sich Zonen extremer Hitze ausbreiteten.
Der Gegner stellte darüber hinaus sein Feuer ein.
Wahrscheinlich deshalb, weil die entsprechenden Systeme nicht mehr funktionierten, überlegte Commander Reilly.
Die KRALLE DER GLÄUBIGEN wurde innerhalb einer halben Minute zu einem Glutball, der sogar das Zentralgestirn Snowballs für einige Augenblicke überstrahlte, ehe es in einer Art Mini-Nova auseinander platzte.
Nichts als irrlichternde glühende Trümmerteile blieben von dem Schiff der Qriid.
„Suchen Sie nach Überlebenden, Fähnrich Majevsky!“, wies Commander Soldo die junge Frau an, die daraufhin mit Hilfe der Sensoren das entsprechende Raumgebiet akribisch absuchte. Das Ergebnis war eindeutig.
„Es hat niemand von den Qriid geschafft, dieser Hölle zu entgehen, Sir!“, stellte Majevsky fest.
„Nicht eine Rettungskapsel?“, fragte Reilly etwas verwundert.
„Captain, wer sagt uns, dass den Qriid das Leben ihrer Raumsoldaten überhaupt soviel wert ist, dass sie so etwas wie Rettungskapseln an Bord ihrer Schiffe haben!“, gab Soldo zu bedenken.
„Sir, das Qriid-Schiff konnte vor seiner Zerstörung noch einen Notruf absetzen“, meldete Majevsky. „Und zwar sowohl im Sandström-Spektrum als auch auf ganz normalen Funkfrequenzen.“
„Das bedeutet, wir müssen damit rechnen, dass hier sehr bald weitere Qriid-Schiffe auftauchen“, meldete sich Lieutenant Barus zu Wort, der die Kontrolle über die Steuerung der STERNENKRIEGER inzwischen wieder an Fähnrich Rajiv zurückgegeben hatte.
Reilly stellte eine Kom-Verbindung zur Krankenstation her. Das fein geschnittene Gesicht der Krankenschwester Simone Nikolaidev erschien auf dem Display seiner Konsole.
„Dr. Rollins ist mit dem Patienten beschäftigt!“, erklärte sie.
„Das bedeutet, er schwebt immer noch in Lebensgefahr“, stellte Commander Reilly düster fest.
Nikolaidev nickte. „Ja, Sir.“
„Dann will ich Sie nicht länger von Ihrer Arbeit abhalten.“
Er unterbrach die Verbindung.
„Maximale Beschleunigung, Mister Rajiv“, befahl Reilly schließlich in gedämpftem Tonfall. „Ich denke, je schneller wir dieses System verlassen, desto besser.“
„Es sind einige Systeme in Mitleidenschaft gezogen worden, sodass wir unter den gegenwärtigen Bedingungen wahrscheinlich 14 Stunden brauchen würden, um 0,4 LG zu erreichen“, meinte Rajiv.
Soldo erbat einen Statusbericht des Maschinenraums.
Der leitende Ingenieur Gorescu wurde über eine Kom-Leitung mit der Brücke verbunden. Er berichtete von Interferenzen, die durch die Traser-Treffer verursacht worden waren und Teile des Antriebssystems vorübergehend lahm gelegt hatten.
„Wann glauben Sie, haben wir wieder vollen Schub?“, fragte Reilly.
„In ein bis zwei Stunden“, erklärte der leitende Ingenieur.
„Gut, dann tun Sie was Sie können“, verlangte der Captain der STERNENKRIEGER.
„Dieser Zeitraum würde uns wahrscheinlich nicht in Schwierigkeiten bringen“, glaubte Lieutenant Barus. Reilly blickte auf und runzelte die Stirn, während der Waffenoffizier die Augenbrauen hob.
„Wie kommen Sie darauf, Mister Barus?“
„Ganz einfach. Die Qriid scheinen in diesem Gebiet sehr ausgedünnte Verbände zu unterhalten, sonst wären sie nicht nur mit einem Schiff in diesem System. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, dass sie die Verbände aus anderen Teilen ihres Imperiums – von dessen Größe wir im Moment übrigens noch nicht einmal die geringste Vorstellung haben – nicht schnell genug herbei beordern können. Wenn man dann noch bedenkt, dass sie nach dem Austritt aus dem Sandströmraum genau wie wir erst ein mehrstündiges Bremsmanöver absolvieren müssen...“
In diesem Augenblick meldete sich Bruder Padraig aus Kontrollraum C im Maschinentrakt.
„Captain, ich habe die Zeit des Gefechts dazu genutzt, mich eingehend mit den Ortungsdaten der Oberfläche von Snowball zu befassen“, erklärte er, nachdem sein Gesicht auf einem Nebenbildschirm aufgetaucht war.
Wie ruhig muss man innerlich sein, um die Zeit während eines Gefechts dazu nutzen zu können!, ging es Commander Reilly durch den Kopf. Beneidenswert... Aber wahrscheinlich ist es das Beste, sich trotz der brenzligen Situation eine Aufgabe zu suchen, sofern man nicht direkt am Kampfgeschehen beteiligt ist!
„Es tut mir leid, Bruder Padraig, aber wir verlassen so eben das System. Was immer Sie mir über die Oberfläche von Snowball zu sagen haben, wird kaum noch Relevanz haben.“
„Da möchte ich energisch widersprechen, Sir!“
Reilly atmete tief durch. „So?“
Auf dem Display verschwand das Gesicht des Olvanorers und machte dafür einer Übersichtskarte Platz, die offenbar einen Teil der Oberfläche zeigte. Drei Punkte waren markiert. „Es gibt hier offenbar zwei Wracks von Qriid-Beibooten, von denen eines so gut wie gar keine Signaturen mehr aussendet und das andere soeben erst außer Betrieb gesetzt worden sein kann, da es sogar noch auf dem Infrarotscan zu sehen ist. Allerdings gleicht sich die Temperatur rapide den arktischen Außenbedingungen an.“
Reilly horchte auf.
„Ist das das Qriid-Raumboot, das einen Notruf absetzte?“
„Ja, das nehme ich an.“
„Was ist mit der Besatzung?“
„Ich kann keinerlei Anzeichen dafür entdecken, dass sich noch lebende Qriid an Bord von einem der beiden Raumboote befinden. Allerdings gibt es ein drittes Raumschiff auf der Oberfläche. Die Signatur hatte starke Ähnlichkeiten mit den Werten, die wir von Xabo-Schiffen kennen. Dort befindet sich auch eine Lebensform. Ob es sich um einen Xabo handelt, weiß ich ehrlich gesagt nicht, mir erscheinen manche der Biozeichen eher für einen Qriid zu sprechen. Allerdings ist unser Wissen über beide Rassen bislang sehr begrenzt und deswegen würde ich die Wahrscheinlichkeit bei etwa 6o zu 40 zu Gunsten eines Qriid ansetzen.“
„Es ist aber definitiv nur eine Lebensform“, stellte Reilly fest.
Der Olvanorer nickte.
„Ja.“
„Können Sie irgendetwas zum Schicksal der restlichen Besatzungen sagen?“
„Nein, Sir. Aber vielleicht sollten Sie Ihren Entschluss, dass System zu verlassen, noch einmal überdenken, denn erstens hätten wir die einmalige Chance, Qriid-Technik zu untersuchen und eventuell sogar den Inhalt der Datenspeicher zu übernehmen und zweitens befindet sich unterhalb des Xabo-Schiffs der Ursprung jener seltsamen Impulse, von denen wir inzwischen wissen, dass sie eine fünfdimensionale Komponente enthalten. Captain, irgendwo auf dem Grund des Ozeans ist etwas, wonach die Xabo gesucht haben. Und vielleicht auch die Qriid!“
Auf der Brücke herrschte einen Augenblick lang Stille. Commander Reilly wandte sich an Soldo. „Ihre Meinung, I.O.?“
„Die Möglichkeit, Qriid-Beiboote untersuchen zu können, ist wahrscheinlich einmalig. Wir sollten sie nicht ungenutzt verstreichen lassen... Was den Ursprung dieser ominösen Impulse angeht, sehe ich derzeit keine Priorität.“
Commander Soldo wandte sich an Barus.
„Ihre Einschätzung, Lieutenant?“
„Das Risiko ist vertretbar. Außerdem hätte dann die Techniker-Crew die Möglichkeit, das Schiff wieder einigermaßen Instand zu setzen.“
„Allerdings brauchen wir jemanden aus der Techniker-Crew im Landeteam!“, stellte Bruder Padraig über die Kom-Verbindung fest. „Da ich annehme, dass der L.I. hier gebraucht wird, ist das eine Aufgabe für Fähnrich White!“
Commander Reilly schmunzelte. „Sie haben eine gewisse Neigung, meine Entscheidungen vorweg zu nehmen, Bruder Padraig“, sagte er. Oder erahnte er sie im Voraus?
„Entschuldigen Sie, Captain. Aber die Zeit drängt.“
„Wir werden zwei Landeteams in den Einsatz schicken“, erklärte Reilly. „Das eine wird unter meinem Kommando stehen und jenes der beiden Qriid-Wracks untersuchen, bei dem die Signaturen noch einigermaßen anmessbar waren. Ein zweites Landeteam steht unter dem Kommando von Ihnen, Bruder Padraig. Sie werden sich das Xabo-Schiff vornehmen. Die mögen uns freundlich gesonnen sein und sogar als Verbündete betrachten, aber ich wüsste schon ganz gerne, was die hier eigentlich zu suchen hatten.“
„Sir, ich war bis jetzt der Auffassung, nicht Teil der Space Army Corps Hierarchie zu sein“, erwiderte Bruder Padraig.
„Das sind Sie auch nicht.“
„Wie können Sie mir dann ein Kommando übertragen?“
„In diesem Fall schon, schließlich handelt es sich nach allem, was wir voraussehen können, nicht um eine militärische Mission. Falls dieser Aspekt in den Vordergrund treten sollte, wird Sergeant Darren das Kommando übernehmen. Bis dahin geben Sie die Anweisungen.“
„Sir, ich...“
„Ich dachte, es käme Ihnen entgegen, selbst die Prioritäten bei der Untersuchung des Xabo-Schiffs festlegen zu können!“
„Natürlich.“
Oder scheuen Sie in Wahrheit die Verantwortung?, setzte Commander Reilly noch eine Frage in Gedanken hinzu.
Er wandte sich an Soldo.
„Sie haben bis auf weiteres das Kommando, I.O.“
„Aye, aye, Sir.“
„Verständigen Sie mich sofort, wenn sich irgendetwas tun sollte.“
„Ja, Sir.“
2
Wenig später wurden zwei von insgesamt drei Beibooten der STERNENKRIEGER aus ihren Hangars ausgeschleust. Die L-1, geflogen von Pilot Ty Jacques war mit einem Außenteam bemannt, das unter dem Kommando von Commander Reilly stand und dem neben Fähnrich Catherine White auch noch eine Einheit von vier Marines unter dem Kommando von Corporal Jason Tantor angehörte.
Das zweite Außenteam flog mit der Landefähre der STERNENKRIEGER L-2, in der Pilot Moss Triffler an der Steuerkonsole saß. Neben Bruder Padraig nahmen auch Fähnrich Robert Ukasi, Dr. Miles Rollins sowie eine ebenfalls vierköpfige Marines-Truppe unter dem Kommando von Sergeant Saul Darren teil.
Die Aufgabe von Dr. Rollins war es, die geortete Lebensform zu untersuchen, denn er war nicht nur Schiffsarzt, sondern daneben auch Spezialist für Exomedizin und –biologie.
Bei den Marines, die beide Gruppen begleiteten, verfügten jeweils zwei über einen der raumtauglichen, schweren Kampfanzüge, während die anderen lediglich mit leichter Panzerung, Gauss-Gewehren und Nadlerpistolen ausgerüstet waren.
Ty Jacques landete die L-1 sicher neben dem Wrack des Qriid-Schiffs, bei dem es sich vermutlich um ein Beiboot der inzwischen vernichteten KRALLE DER GLÄUBIGEN unter dem Kommando von Tan-Balo handelte.
Nachdem die äußeren Bedingungen ortungstechnisch überprüft waren, gingen zunächst Anderson Aguirre und Aron Wong, die beiden Marines mit den schweren Panzeranzügen hinaus in die eisige Schneelandschaft.
„Die Temperaturen sind mit Minus dreißig Grad Celsius ja richtig schnuckelig warm!“, meldete Anderson Aguirre über Helmfunk.
„Gemessen an den hiesigen Verhältnissen habe Sie durchaus recht!“, kommentierte Commander Reilly diese Bemerkung.
„Jedenfalls ist alles in Ordnung!“, ergänzte Aron Wong. „Der Rest der Crew kann ins Freie treten.“
„Wirklich keinerlei Qriid-Lebenszeichen?“, vergewisserte sich Reilly.
„Nein“, bestätigte Aguirre. „Die Scan-Ergebnisse entsprechen in dieser Hinsicht jenen, die wir aus dem Orbit über die Sensoren gewonnen haben.“
So passierte die Crew die Außenschleuse der L-1. Pilot Ty Jacques wurde dazu abkommandiert, in der Fähre zurückzubleiben und permanenten Funkkontakt sowohl mit der L-2 als auch mit Lieutenant Commander Soldo auf der STERNENKRIEGER zu halten.
Abgesehen von Aguirre und Wong trugen alle anderen Mitglieder des Landeteams Spezial-Thermokleidung, wie man sie für den Einsatz in arktischer Kälte benötigte.
Die Gruppe ging auf das qriidische Wrack zu, das dabei bereits von den Ortungsgeräten abgescannt wurde.
„Es gibt mehrere, bis zu dreißig Zentimeter große Öffnungen in der Außenhülle“, meldete Fähnrich White. „Als ob etwas in das Beiboot von außen eingedrungen ist...“
Die Außenschleuse des Beibootes stand offen.
Von Schnee bedeckt und auf den ersten Blick nicht sichtbar, fanden sie das blanke Skelett eines Qriid, der offenbar in heller Verzweiflung ins Freie gelaufen war. Von der Kleidung waren nur noch Fetzen vorhanden.
„Machen Sie eine Meldung an die STERNENKRIEGER und an die Crew der L-2!“, wies Reilly Fähnrich White an.
„Ja, Sir!“, flüsterte die junge Frau tonlos.
Der grausige Anblick hatte ihr den Atem verschlagen. Aber das war noch nichts gegen das, was sie im Inneren des Schiffs vorfanden...
3
Etwas zur gleichen Zeit landete Pilot Moss Triffler die L-2 in der Nähe des Xabo-Raumschiffwracks.
Eine sichtlich schockierte Catherine White berichtete unterdessen über Funk, was die Crew um Commander Reilly in dem qriidischen Raumschiffwrack vorgefunden hatte.
„Wir versuchen jetzt, die Datenspeicher zu sichern und herauszufinden, was mit der Mannschaft geschehen ist“, erklärte White. „Passen Sie auf sich und Ihre Leute auf, Bruder Padraig.“
„Seien Sie ebenfalls vorsichtig!“
Bruder Padraig ging vorschriftswidrig als erster ins Freie und musste sich dafür von Sergeant Darren ein paar markige Worte anhören. Aber der Olvanorer wurde einfach von einer unbändigen Neugier getrieben. Er wollte wissen, was es mit dem Xabo-Schiff auf sich hatte – und vor allem interessierte ihn, was auf dem Grund des zugefrorenen Ozeans zu finden war und regelmäßig Impulse mit einer fünfdimensionalen Komponente abgab.
Lediglich das Außenschott des Xabo-Schiffs war freigelegt. Es hatte etwa die doppelte Größe einer Landefähre vom L-Typ, wie sie auf den Leichten Kreuzern der Scout-Klasse zum Einsatz kamen, verfügte aber über einen Überlichtantrieb.
„Die Lebensform, deren Biozeichen durch die Sensoren der STERNENKRIEGER geortet wurden, befindet sich nicht hier!“, stellte Dr. Miles Rollins fest, nachdem er die Bioscanner-Funktion seines Ortungsgerätes aktiviert hatte. Der Zustand von Lieutenant Ramirez hatte sich inzwischen gebessert. Er war nicht mehr auf ärztliche Hilfe angewiesen und so war es vollkommen ausreichend, dass die Krankenschwester Simone Nikolaidev sich seiner annahm.
Es war nicht schwierig, ins Innere des Wracks zu gelangen. Die Außenschleuse ließ sich leicht öffnen. Sehr schnell wurde klar, dass hier etwas Ähnliches geschehen war, wie mit der Mannschaft des qriidischen Beiboots.
„Die Xabo wurden bis auf die Knochen abgenagt“, stellte Dr. Rollins fest. „Die Spuren der dafür verwendeten Beißwerkzeuge lassen sich im Feinscan nachweisen.“
„Bei den Skeletten handelt es sich tatsächlich um Xabo?“, fragte Bruder Padraig.
„Ja, die genetischen Muster stimmen überein. Aber es war auch der Angehörige einer anderen Spezies hier! Die Sanitäranlagen enthalten Exkremente und es gibt kleinere Ausscheidungen und Hautabrieb im restlichen Schiff.“
„Dann ist die Lebensform, die wir geortet haben, vor uns geflüchtet!“, stellte Fähnrich Robert Ukasi fest. Das Mathematik-Genie hatte sich in der Zwischenzeit bereits am Bordrechner zu schaffen gemacht. „Vorher hat dieses Wesen offensichtlich einige Experimente mit den Bordsystemen durchgeführt und Daten abgezogen.“
„Versuchen Sie herauszufinden, was das für Daten gewesen sind“, wies Bruder Padraig ihn an.
„Sir?“, wandte sich Ukasi jetzt an den Olvanorer. Die Anrede erschien ihm wohl selbst etwas unpassend zu sein. „Ich meine...“
„ Bruder reicht völlig, wenn Sie mich ansprechen, Fähnrich!“, erwiderte Padraig. „Sie ahnen wahrscheinlich, was ich über Hierarchien denke. Gott hat alle Menschen gleich erschaffen.“
Ukasi wich dem Blick des Mönchs aus und richtete die Augen auf die Anzeige seines Handheldcomputers.
„Es scheint um die Fünf-D-Impulse aus der Tiefe zu gehen“, stellte er dann fest. „Die Lebensform – worum immer es sich da auch handeln mag – hat die Daten danach durchforstet.“
„Diese Lebensform war mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent ein Qriid“, stellte Dr. Rollins fest, nachdem er ein paar Einstellungen an seinem Scanner verändert hatte. „Er muss hier einige Zeit ausgeharrt haben. Vielleicht überraschte ihn ein Sturm. Dafür spricht auch das defekte Antigravaggregat aus qriidischer Fertigung, was man am imperialen Siegel sehr gut nachweisen kann.“
„Dann hat dieser Qriid uns vielleicht geortet und sich rechtzeitig entfernt, bevor wir unser Ziel erreichten“, meinte Bruder Padraig.
Rollins nickte. „Richtig. Aber da stellen sich natürlich zwei Fragen. Die erste wäre: Warum hat er überlebt und sonst niemand? Und die zweite: Was unterscheidet ihn von den anderen? Ich glaube nicht, dass er einfach nur Glück hatte.“
„Sondern?“, hakte Bruder Padraig nach.
Rollins zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht, es war nur so ein Gedanke.“
„Sie denken, dass er über irgendeine besondere Eigenschaft verfügte, die ihn von den anderen Qriid unterschied?“
„Wäre doch eine Erklärung.“
„Er müsste noch in der Nähe sein.“
„Früher oder später werden wir ihn finden, Bruder Padraig.“
In diesem Moment ertönte der Ruf von Sergeant Saul Darren, dessen lautes, durchdringendes Organ einfach nicht zu überhören war.
„Padraig! Rollins! Kommen Sie her! Wir bekommen Besuch!“
Bruder Padraig und Dr. Rollins eilten hinaus ins Freie, während Robert Ukasi zunächst noch im Inneren des Xabo-Schiffes die Stellung hielt, um den Datentransfer zu beenden.
Sergeant Saul Darren deutete in die Ferne.
„Sehen Sie dort, Bruder Padraig!“
Am Horizont tauchten sich schnell bewegende Objekte auf. Mit Hilfe des Ortungsgerätes konnte man sie heranzoomen.
Darrens Marines waren mit ihren Gauss-Gewehren in Stellung gegangen.
„Eissegler!“, murmelte Bruder Padraig. Er griff zum Kommunikator, um seinen Captain zu verständigen.
4
In einiger Entfernung stoppten die Eissegler. Sie drehten sich dazu in den Wind und Dutzende von Männern warfen den Anker.
Gleichzeitig brachen überall in der näheren Umgebung Löcher im Eis auf und zahllose Vielbeiner sprangen an die Oberfläche und fletschten die Beißwerkzeuge. Eine ätzende Substanz tropfte auf das Eis und ging zischend eine Reaktion ein.
„Es würde mich nicht wundern, wenn diese Biester für den Tod der Xabo verantwortlich sind!“, meinte Dr. Rollins.
„Sollen wir sie abschießen?“, fragte Sergeant Darren. „Sie sind zwar viele, aber ein gesteuerter Partikelstrahl aus einer Nadlerpistole...“
„Nein, lassen Sie das!“, widersprach Bruder Padraig.
„Aber... warum?“
„Tun Sie einfach, was ich sage und warten Sie ab!“
„Mit Verlaub, ich...“
„Sehen Sie doch!“, rief Bruder Padraig geradezu beschwörend. „Bemerken Sie nicht, wie koordiniert diese Vielbeiner sich bewegen? Nein, das kann alles kein Zufall sein.“
Von einem der Eissegler stieg nun eine Delegation der Einheimischen herab.
Menschen, dachte Bruder Padraig im ersten Moment.
Aber nachdem sie sich genähert hatten und Dr. Rollins mit Hilfe seines Medo-Scanners eingehende Untersuchungen hatte durchführen können, wusste er es besser.
„Biologisch betrachtet sind es K'aradan“, erklärte er. „Daran kann es nicht den geringsten Zweifel geben.“
„Wir wissen, dass das Reich der K'aradan einst sehr viel größer war, als es heute der Fall ist“, sagte Bruder Padraig. „Vielleicht handelt es sich um eine vergessene Kolonie, deren Bewohner aus irgendeinem Grund in ihrer technologischen Entwicklung zurückgefallen sind.“
„Erstaunlich genug, dass sie auf dieser primitiven Kulturstufe überhaupt überleben konnten, wenn man das Klima bedenkt!“
„Das wiederum beweist, dass die Kulturstufe keineswegs primitiv sein kann, sondern den Erfordernissen der Umgebung exakt angepasst ist.“
Die Delegation der Eissegler-Leute trat gemessenen Schrittes auf Bruder Padraig und die anderen Mitglieder des Bodenteams zu. In diesem Moment passierte auch Fähnrich Ukasi die Außenschleuse des Xabo-Schiffs und ging ins Freie.
Er blieb wie erstarrt stehen, als er die Szenerie sah, die sich ihm darbot.
Die Vielbeiner bewegten sich anscheinend koordiniert. Wie an unsichtbaren Fesseln. Sie fletschten ihre Beißwerkzeuge, rieben sie gegeneinander und erzeugten damit unangenehm scharf klingende Geräusche.
5
„Willkommen“, sagte der Anführer der Delegation an Bruder Padraig gerichtet, der einen leichten Schmerz hinter den Schläfen spürte. Was geschieht da? Wende die Techniken an, die du in Saint Arran gelernt hast, um dich geistig zu stabilisieren...
Der Olvanorer hatte den Translator eingeschaltet und dieser erkannte die von dem Delegationsleiter verwendete Sprache als K'aradan-Idiom, von dem es genug Wortmaterial im Speicher gab.
Bruder Padraig hatte das Gefühl, dass etwas sein Bewusstsein berührt hatte. Den anderen Crewmitgliedern schien es ähnlich zu gehen. Saul Darren verzog schmerzverzerrt das Gesicht. Robert Ukasi fasste sich an die Schläfe.
Bruder Padraig spürte eine weitere Schmerzattacke, dann war es vorbei.
„Seid willkommen“, wiederholte sich der Delegationsleiter. Erst als er fort fuhr, machten sich Übersetzungsschwierigkeiten und –verzögerungen beim Translator bemerkbar. Die These von der degenerierten ehemaligen Kolonie des K'aradan-Reiches schien sich zu bestätigen... Jede Sprache ändert sich im Laufe einer so langen Zeit!, dachte Bruder Padraig. Auch das Idiom des Reiches von Aradan!
„Ihr seid diejenigen, auf die wir gewartet haben“, fuhr der Delegationsleiter fort. „Mein Name ist Magoon und seitdem ich die Blitzewerfer der Schnabelträger beherrsche, nennt man mich auch Magoon, den Blitzeschleuderer, Großkapitän des Verbundes der 24 Kältetrotzer, Kapitän des Eisseglers STURMTROTZER und angehender Wegbestimmer des Volkes der J’arakor!“
J’arakor - um diese Bezeichnung zu übersetzen, reichten die Kenntnisse der K'aradan-Sprache völlig aus, die Bruder Padraig im Rahmen seines Studiums an der Brüderschule auf Sirius III erworben hatte. J’arakor bedeutete so viel wie Die Söhne von Arakor, was wohl der Name war, den die Einheimischen für Snowball verwendeten.
Bruder Padraig deutete auf die Vielbeiner. „Es scheint Gefahr von diesen Wesen auszugehen...“
„Nicht für euch! Denn wir haben die Bestien unter Kontrolle! Unsere Treiber halten sie mit den Fesseln des Geistes.“
„Den Fesseln des Geistes?“, echote Bruder Padraig.
„Ja.“
Ein anderer J’arakor mischte sich ein. Er war älter als Magoon. „Sie verstehen uns nicht, weil sie nicht Teil der SEELE ALLER sind!“, stellte der Alte fest.
„Wovon sprechen die?“, fragte Dr. Rollins. „Ist diese SEELE ALLER ihr Gott?“
„Wenn es sich tatsächlich um K'aradan-Abkömmlinge handelt, dann müssen sie aber wirklich sehr stark in ihrem kulturellen und technologischen Niveau abgesunken sein“, äußerte sich Ukasi, der neben Bruder Padraig getreten war.
Bruder Padraigs Blick war auf Magoon fixiert.
„Die SEELE ALLER ist nicht ihr Gott“, stellte er dann plötzlich fest.
„Was dann?“, fragte Ukasi.
„Jedenfalls sind diese vielbeinigen Bestien ziemlich unruhig!“, ergänzte Dr. Rollins. „Und ehrlich gesagt, wäre mir wohler, wenn sie nicht nur mit Hilfe einer ominösen geistigen Fessel gebändigt wären!“
Bruder Padraig atmete tief durch.
Erneut hatte der Olvanorer das Gefühl, dass ihn etwas in seinem tiefsten Inneren berührte, sein Bewusstsein anfasste und versuchte Kontakt aufzunehmen.
Warum sich verschließen? Lass dich darauf ein. Wer Augen und Ohren geschlossen hat, wird nichts von der Offenbarung erfahren... Bruder Padraig schloss die Augen, aber dafür öffnete er sein Bewusstsein.
Und dann erkannte er, was die SEELE ALLER war. Eine Bewusstseinsplattform. Ein gemeinsamer Kollektiv-Geist, zu dem jeder J’arakor etwas beiträgt an geistiger Kraft, an Wissen, an Persönlichkeit und das am Ende doch mehr wird, als die Summe seiner Einzelteile...
Bruder Padraig spürte, wie er selbst immer mehr Teil dieser Bewusstseinsplattform wurde und Teil der SEELE ALLER wurde, ohne sich in ihr aufzulösen. Ungezählte Stimmen gab es in ihr und doch war jede von ihnen eindeutig zu identifizieren. Nicht nur die J'arakor waren Teil der SEELE ALLER, sondern auch die gefräßigen Vielbeiner. Die Bewusstseine waren proto-intelligent, etwa wie irdische Halbaffen. Sie standen unter der Kontrolle von besonders begabten J’arakor, die Treiber genannt wurden. Die geistigen Ketten, an denen diese bissigen Vielbeine gehalten wurden, waren tatsächlich so fest wie jede Kette aus Edelstahl, erkannte Bruder Padraig. Vorausgesetzt die Kräfte des Treibers reichten aus.
„Es mag dir wie ein Kaleidoskop vorkommen“, sagte der alte J’arakor, von dem Bruder Padraig plötzlich wusste, dass er sich Digoon nannte. Der Olvanorer hörte die Stimme des J’arakor gleichzeitig akustisch und als geistige Stimme, die er sofort verstand, ohne dass es dazu noch der Übertragung eines Translators bedurft hätte.
Bruder Padraig begann, den Bezug zur Zeit zu verlieren. Er stellte fest, dass dies offenbar damit zusammenhing, dass innerhalb der SEELE ALLER Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft zur selben Zeit existierten, wobei es sich, wie er schnell merkte, bei der Zukunft nur um Hypothesen handelte. Befürchtungen, Ängste, Wünsche spiegelten sich in diesen Zukunftshypothesen wieder.
Viel wichtiger aber war die Vergangenheit. Die SEELE ALLER beherbergte die kollektiven Erinnerungen der J’arakor und das, was ihnen besonders wichtig war und sie schlicht und ergreifend als die Überlieferung bezeichneten.
Bruder Padraig tauchte in diese Überlieferung ein. Aber er wusste, dass es nicht möglich war, dort länger zu verweilen. Er hätte sich dort früher oder später in der Fülle der Erinnerungen von hunderttausenden J’arakor verloren. Immerhin erfasste der Olvanorer, dass es offenbar vor langer Zeit – als es noch keine SEELE ALLER gegeben hatte, die in der Lage war, Erinnerungen mit dieser bestechenden Exaktheit aufzuzeichnen, eine Katastrophe gegeben hatte, die sämtliche Technik außer Kraft gesetzt hatte. Es hing mit einem Krieg zusammen, über den auch die Erinnerungen der SEELE ALLER lediglich mythisch wirkende Bruchstücke wusste. Etwa, dass Kristallschiffe darin verwendet worden waren.
Bruder Padraig zog aus dem alledem seine eigenen Schlüsse.
Offenbar war das K'aradan-Reich vor langer Zeit in einen Konflikt zwischen einer technologisch sehr hoch stehenden, weit überlegenen Rasse geraten. Der Einsatz von geradezu phantastisch anmutenden Waffen hatte die Funktionsuntüchtigkeit sämtlicher Technologie zur Folge gehabt, sodass die Siedler dieser vergessenen K'aradan-Kolonie gezwungen gewesen waren, ihr Überleben völlig ohne Technik zu sichern, was ihnen augenscheinlich hervorragend gelungen war, indem sie sich stattdessen auf ihre geistigen Kräfte konzentriert hatten.
Bruder Padraig dachte in diesem Zusammenhang natürlich sofort an das Objekt auf dem Grund des Ozeans, das 5-D-Strahlungsimpulse aussandte.
„ Du willst den Grund des Ozeans besuchen?“, fragten ihn einige Dutzend Stimmen gleichzeitig. Im nächsten Moment wusste er, dass er auch dorthin gelangen und die Tiefe des lichtlosen Meeresbodens durch die Sinnesorgane der dort ansässigen Lebensformen wahrnehmen würde.
“ Ja!“, antwortete er.
Gleichzeitig nahm er einen Tumult innerhalb der SEELE ALLER wahr. Bilder erschienen vor Bruder Padraigs innerem Auge. Bilder, die Magoon zeigten, wie er inmitten eines mörderische Schneesturms, dessen Ausmaße jeden irdischen Blizzard weit in den Schatten stellten, mit einem Qriid-Traser in die Luft schoss und sich der SEELE ALLER als Wegbestimmer andiente.
Es ist eine Erinnerung, vergegenwärtigte sich Bruder Padraig.
Eine Erinnerung allerdings, die offenbar auf geistiger Ebene allen J’arakor – wo auch immer sie sich zu jenem Zeitpunkt aufgehalten haben mochten – übermittelt worden war.
Die Meinung innerhalb der SEELE ALLER war geteilt. Schließlich forderte Magoon nicht weniger als die Alleinherrschaft für sich. Ein Wille sollte herrschen anstatt der der SEELE ALLER, deren Herrschaft nach Magoons Ansicht Stillstand bedeutete.
Und da war noch etwas.
Ein dunkler Gedanke, eine Zukunftshypothese, die vor Bruder Padraigs Bewusstsein verborgen gehalten werden sollte. Er lauschte den Stimmen.
“ Was willst du hier, in der SEELE ALLER, wo du ihre Herrschaft doch ablehnst?“, hielt jemand dem Kapitän des STURMTROTZERS entgegen.
Doch andere sandten ihm einen Chor zustimmender Signale.
Bruder Padraig sank unterdessen in die Tiefe, sank durch Eis, das offenbar auch voller Leben war, das zum Verbund der SEELE ALLER gehörte. Auch wenn Padraig die fremdartigen Sinne, durch die er nun seine Umgebung wahrnahm, kaum begreifen konnte.
Er sank noch tiefer, in einen Ozean, der seit der Vereisung kein Licht kannte. Gewaltige, walartige Lebewesen lebten hier. Sie zogen ihre Energie aus heißen Schwefelquellen am Meeresgrund und waren ebenfalls Teil der SEELE ALLER.
Bruder Padraig spürte, dass hier unten das Zentrum der geistigen Kräfteballung lag. Zunächst vermutete er, dass es mit den walartigen Wesen zu tun hatte, die bis zu 100 Meter lang wurden, zwar keinerlei Intelligenz entwickelt hatten, aber enorme psychische Präsenz verbreiteten.
Aber das Kraftzentrum lag woanders.
Noch tiefer.
6
Auf der Brücke der STERNENKRIEGER hatte in der Zwischenzeit Lieutenant Jessica Wu ihren Platz als Ortungs- und Kommunikationsoffizierin wieder eingenommen und damit Fähnrich Sara Majevsky abgelöst.
„Mehrere Qriid-Raumer materialisieren aus dem Sandströmraum“, meldete Wu. „Und zwar an Positionen, die so angelegt sind, dass sie strategisch gesehen die besten Chancen haben, uns abzufangen – gleichgültig, in welche Richtung wir uns auch davonmachen mögen!“
„Verständigen Sie den Captain und Bruder Padraig“, verlangte Thorbjörn Soldo. „Mister Rajiv?“
„Ja, Sir?“, antwortete der Fähnrich, der bislang keinerlei Schwierigkeiten gehabt hatte, Lieutenant Ramirez vollwertig zu ersetzen.
„Alles zum Abflug bereit machen. Wir gehen sofort auf maximale Beschleunigung, sobald der Captain und die beiden Landeteams zurückgekehrt sind.
„Aye, aye!“, bestätigte Abdul Rajiv.
7
Bruder Padraig sah alles.
Aber sah war vielleicht nicht der richtige Begriff. Er nahm alles wahr, manchmal auf eine Weise, die er selbst nicht begriff. Er nahm Captain Reilly und sein Bodenteam wahr, dass sich noch immer in der Nähe des qriidischen Beibootes befand. Er nahm wahr, wie Catherine White darüber räsonierte, dass ein Teil der Daten in einem Code niedergelegt sei, der beim Space Army Corps bislang unbekannt wäre. Aber er nahm auch die Vielbeiner wahr, die sich bis dicht unter die Oberfläche des Eises vor gefressen hatten und bereit waren, jederzeit aus der Tiefe empor zu springen und die Vertreter der Menschheit anzugreifen.
Er sah Dutzende so genannter Verbünde, die aus bis zu dreißig Eisseglern bestanden und über die Weiten der arakorischen Eiswüste segelten.
Tausend andere Dinge waren da noch und Padraig wunderte sich, wie er das alles zur selben Zeit wahrnehmen konnte. Aber das machte ihm keine Mühe. Die geistige Plattform, die von den J'arakor als SEELE ALLER bezeichnet wurde, machte es möglich.
Und jenes Objekt in der Tiefe des Ozeans, nach dem auch die Xabo gesucht hatten, ermöglichte das Entstehen der SEELE ALLER. Plötzlich – auf eine Weise, die Bruder Padraig nicht erklären konnte und die wahrscheinlich damit zusammenhing, dass er ein Teil dieses Planeten umfassenden, geistigen Kraftfeldes geworden war, war Padraig das alles klar. So klar wie ihm selten zuvor etwas erschienen war.
Er sank ganz auf den Grund des Meeres. Hier unten war das Kraftfeld der SEELE ALLER besonders stark, denn hier war sein Ursprung. Botschaften über den X-Raum, die offenbar die Bewusstseine zu verbinden vermögen!, ging es ihm durch die Gedanken. Das ist es! Es erschien ihm so einfach, so logisch. Und gleichzeitig erstaunte es ihn, dass nicht einmal ein mystischer oder parapsychologischer Hintergrund notwendig war, um dieses Phänomen zu erklären.
Das Objekt war nicht groß. Es handelte sich nicht um eine Station oder dergleichen, sondern eher um ein Sendemodul, das auf eine ganz speziellen, X-Raum basierten Frequenz Signale aussandte, wie ein Katalysator für die Entstehung der SEELE ALLER gedient hatte. Bruder Padraig verfolgte diesen Gedanken ein Stück in die Vergangenheit und fand ihn in den kollektiven Erinnerungen bestätigt.
Und dann wurde er plötzlich aus seinen Gedanken herausgerissen. Er sah Magoon, den Blitzeschleuderer, unter sein anorakartiges Gewand greifen und jenen leicht gebogenen rohrartigen Gegenstand hervorholen, von dem Padraig wusste, dass es sich um eine Waffe handelte.
Einen qriidischen Traser.
Magoon richtete die Waffe auf Padraig.
Der Olvanorer konnte sich selbst dabei zusehen, wie er beschwichtigend die Hände hob. Aus Dutzenden verschiedener Perspektiven sah er die Szene.
„ Ich verlange euer Sternenschiff, oder meine Blitze erschlagen euch!“
„Ich verlange euer Sternenschiff, oder meine Blitze erschlagen euch!“
Diesen Satz hörte Bruder Padraig gleich zweimal. Zum ersten Mal als Stimme in der SEELE ALLER. Dann mit einer gefühlten Verzögerung von mehreren Sekunden erst in K'aradan-Sprache aus dem Mund des Großkapitäns und angehenden Wegbestimmers aller J'arakor und anschließend aus dem Lautsprecher des Translators.
Das ist also der Gedanke, den er vor der SEELE ALLER und damit auch vor mir verborgen hielt!, wurde es Bruder Padraig klar. Er will nicht nur die Alleinherrschaft mit Hilfe von Qriid-Waffen erringen, sondern auch in den Besitz eines Raumschiffs gelangen!
Magoon stand wie erstarrt da. Ein mentaler Aufschrei ging durch die SEELE ALLER und die Vielbeiner rissen an ihren geistigen Fesseln. Die Kraft so manchen Treibers war bis auf das Äußerste gefordert.
Jede Sekunde erwartete Bruder Padraig, dass der Traserstrahl aus der Waffe herausschoss. Aber das geschah nicht.
Der Schrei der SEELE ALLER wurde schriller.
Eine furchtbare Welle des Schmerzes erfasste Bruder Padraig. Die anderen Menschen schienen davon noch weitaus heftiger betroffen zu sein – sowohl bei Commander Reillys Team, als auch bei den Mitgliedern von Bruder Padraigs Gruppe. Sie hielten sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Köpfe und waren unfähig irgendetwas zu tun.
Langsam, sehr langsam drehte Magoon den Lauf der Waffe.
Richtete ihn auf die eigene Brust.
Er kämpfte mit aller Kraft gegen den Einfluss der SEELE ALLER, in der seine Gegner die Oberhand gewonnen hatten. Schließlich drückte er ab.
8
„So grausame Kopfschmerzen hatte ich noch nie zuvor“, sagte Moss Triffler während des Rückflugs in den Orbit. „Und dann waren sie plötzlich weg...“
Bruder Padraig hatte den Platz neben ihm eingenommen. Er blickte aus einem der Seitenfenster der L-2.
Die L-1 mit dem Captain an Bord war in Sichtweite. Beide Beiboote strebten auf die STERNENKRIEGER zu, zum so schnell wie möglich in ihre Hangars einfliegen zu können.
„Eigentlich schade, dass wir Snowball so schnell verlassen mussten“, sagte Dr. Rollins. „Es wäre sicher interessant gewesen, diese symbiotische Lebensweise der J'arakor genauer zu untersuchen.“
„Es handelt sich nicht um eine Symbiose“, erwiderte Bruder Padraig matt und etwas müde. „Die SEELE ALLER, wie sie es nannten, ist ein Gestalt-Organismus. Etwas, zu dem jedes Individuum etwas beiträgt und das dann etwas Neues wird.“
Bruder Padraig hatte versucht, den anderen zumindest in Grundzügen zu erklären, was er erlebt hatte. Es war ihm nicht gelungen. Nicht zu seiner Zufriedenheit jedenfalls, denn durch ihre Bemerkungen und Stellungnahmen zeigte selbst jemand wie Dr. Miles Rollins, dass er es nicht wirklich erfasst hatte.
Wie sollte er auch?, dachte Bruder Padraig. Er hat es ja nicht erlebt.
Dr. Rollins schwieg.
Schließlich meinte der Schiffsarzt der STERNENKRIEGER: „Dann hat dieser Organismus jetzt auch etwas von Ihnen, Bruder Padraig.“
„Ja“, sagte der Olvanorer knapp.
„Ich war unfähig, das Gauss-Gewehr abzudrücken oder zum Nadler zu greifen!“, erklärte Saul Darren, der durch das Erlebte ziemlich verstört wirkte. „Glauben Sie mir, Bruder Padraig, meinen Männern ist es genauso ergangen, sonst hätten wir nicht zugelassen, dass dieser selbsternannte Blitzeschleuderer Sie bedroht hätte...“
„Es ist schon gut“, sagte Bruder Padraig und setzte in Gedanken hinzu: Die SEELE ALLER hat mich geschützt. Mich und alle anderen, die mit mir auf dieser seltsamen Welt waren...
Der Hangar begann sich bereits zu öffnen. Mit großer Zielsicherheit sorgte Pilot Moss Triffler dafür, dass die L-2 ihr Ziel erreichte.
9
In dem Augenblick als beide Fähren an Bord waren, wurde der Befehl gegeben, den Orbit von Snowball/Arakor zu verlassen.
Commander Reilly machte sich umgehend auf den Weg auf die Brücke und übernahm wieder das Kommando.
„Es wir knapp werden!“, meinte Soldo. „Aus drei verschiedenen Richtungen nähern sich Qriid-Schiffe, um uns abzufangen.“
„Mister Rajiv, programmieren Sie einen Kurs, der keinem dieser Einheiten zu nahe kommt!“, befahl er.
„Aye, aye, Captain!“
Der Kurs wurde auf einer Positionsanzeige veranschaulicht. Er führte senkrecht aus der Systemebene hinaus. Acht Stunden lang würde die STERNENKRIEGER noch verwundbar sein. Mindestens, denn ob der durch den Traserbeschuss der KRALLE DER GLÄUBIGEN in Mitleidenschaft gezogene Ionenantrieb auch tatsächlich wieder seine volle Leistungsfähigkeit entfalten würde, musste sich erst noch zeigen. Lieutenant Gorescu und seine Techniker-Crew hatten sich zwar alle Mühe gegeben, aber die Nagelprobe kam erst noch.
Bruder Padraig erschien auf der Brücke.
Commander Reilly drehte sich zu ihm herum. „Sie werden mir noch eine Menge erklären müssen, Bruder Padraig.“
„Alles zu seiner Zeit“, meinte Padraig. „Aber was auch immer in diesem System noch geschehen mag – eines dürfte feststehen: Snowball wird niemals ein Teil des Qriid-Imperiums werden...“
10
Die Stunden krochen dahin und die Qriid-Schiffe reagierten auf den Kurs der STERNENKRIEGER. Sie nahmen die Verfolgung auf und korrigierten ihren Kurs.
Bis auf Traserschussweite kamen sie heran und begannen zu feuern. Es gab einen Treffer, die Lebenserhaltungssysteme musste kurzzeitig auf Notaggregate umgeschaltet werden. Die STERNENKRIEGER musste sich mehr oder minder wehrlos unter Feuer nehmen lassen, da sie den Verfolgern nicht die Breitseite zuwenden konnte.
„Eintrittsgeschwindigkeit erreicht!“, meldete Rajiv schließlich. „Wir treten in den Sandströmraum ein!“
Endlich!, dachte Commander Reilly, während die STERNENKRIEGER bereits in den Zwischenraum entmaterialisierte.
EPILOG
Hal-Komdan, der Kommandant des imperialen Kriegsschiffs HEILIGES FEUER ging auf und ab, wobei er die Krallenpranken verschränkt hatte.
„Rekrut Nirat-Son, du bist der einzige Überlebende des Beibootes KLEINE KRALLE.“
„Das ist richtig.“
„Was ist geschehen, Nirat-Son?“
„Ich habe es bereits mehrfach geschildert und kann diesen Schilderungen nichts mehr hinzufügen.“
„Es tut mir leid, aber ich muss darauf bestehen, dass du mir antwortest. Jedes Detail kann wichtig sein.“
„Ja, ich weiß.“
„Tanjaj-Nom Gas-Kobnor, der dich inmitten der Eiswüste fand, hat deinen Zustand als verwirrt bezeichnet.“
„Das traf vielleicht in dem Moment auch zu. Ich war halb wahnsinnig vor Kälte und...“
„Und was?“
Es entstand eine Pause. Nirat-Son erinnerte sich. Zuerst an einen Schmerz der so furchtbar gewesen war, dass er sich nicht erinnern konnte, je zuvor etwas Ähnliches ertragen zu haben. Dann waren da Bilder gewesen und Stimmen. Und die Tiefe eines Ozeans. Nein!, entschied er. Darüber werde ich nicht sprechen. Das ist zu persönlich.
„Nach dem Bericht des Tanjaj-Nom hast du dich dahingehend geäußert, Gott begegnet zu sein“, sagte der Kommandant.
Nirat-Son hob den Kopf.
„Ich erinnere mich nicht mehr an das, was ich gesagt habe“, erklärte er. „Ich weiß nur, dass ich froh war, das Antlitz eines Schnabelgesichts zu sehen...“
Hal-Komdan senkte leicht den Kopf.
„Ich verstehe“, behauptete der Kommandant.
––––––––
ENDE
wird fortgesetzt...