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Ich zog zurück in meine Wohnung, denn ich konnte mich ja nicht ewig verstecken.

Falsche Entscheidung, sehr falsche Entscheidung!

Denn als ich ein paar Tage später nach einem langen Tag im Office Lew an der bekannten Ecke abgesetzt hatte und nach Hause kam, war da schon jemand.

Ein dünner, blasser Mann mit einer Automatik in der Hand. Und deren Lauf war auf mich gerichtet.

Sein Haar war grau und kurz geschoren. Aber sehr dicht für sein Alter. Von der Kopfhaut war nichts zu sehen. Seine Augen waren genauso grau wie seine Haare. Und das Kinn hatte die Form eines großen V.

Ich wusste vom ersten Moment an, dass er es war. Er, der Irre, der mich schon so lange im Visier hatte und der es dann doch immer vorgezogen hatte, jemand anderen zu erschießen. Ich ärgerte mich, dass ich so leichtfertig eingetreten war. Aber so ist das eben. Es ist die eigene Wohnung. Und das ist eben ein Ort, an dem man sich sicher fühlt und deshalb unvorsichtig war.

So war es zu erklären.

Ärgerlich war es trotzdem.

Und vielleicht auch diesmal tödlich für mich. Schließlich konnte ich ja nicht ausschließen, dass der irre Sniper seine Sache diesmal zu Ende bringen wollte. Und im Augenblick gab es nichts und niemanden, der ihn daran hätte hindern können.

Ich erwog kurzzeitig, die Dienstwaffe herauszureißen.

Aber nur sehr kurzzeitig.

Mir wurde klar, dass ich chancenlos war. Ehe ich auch nur den Arm bewegt hatte, würde mir der dünne Mann eine Kugel in den Leib jagen. Oder vielleicht auch gleich fünf.

Auf der Waffe des dünnen Mannes war ein Schalldämpfer aufgeschraubt.

Nichtmal meine nächsten Nachbarn würden also etwas davon mitbekommen.

Verdammt, ich hätte wirklich vorsichtiger sein müssen.

Ein typisch Fall von Kismet, so ließ sich mein Missgeschick wohl zusammenfassen.

„Du warst eine Weile nicht hier“, sagte der dünne Mann. „Allerdings wüsste ich nicht, dass du Urlaub bekommen hättest.“

„Du willst mir also den Feierabend versauen“, sagte ich. „Wäre ja wohl nicht das erste Mal, nicht wahr?“

„Wo du Recht hast, hast du Recht“, sagte der dünne Mann. Er grinste. Und lehnte sich etwas zurück. „Ich schlage vor, dass du ganz langsam deine Waffe hervorziehst und sie fallenlässt. Fass sie am Lauf an, und halte sie immer so, dass ich sie sehen kann, kapiert?”

„War deutlich genug.”

„Na schön, dann los”, sagte der dünne Mann.

Ich griff ganz langsam nach meiner Dienstwaffe. Und ich sorgte dafür, dass mein Gegenüber immer sehen konnte, was ich gerade mit der anderen Hand machte. Schließlich war ich ja nicht lebensmüde. „Ich frage mich, warum du deine Vorgehensweise geändert hast”, sagte ich.

„In wie fern?“

„Du hast immer nur auf Leute in meiner Umgebung geschossen. Aber nicht auf mich. Anscheinend hast du vor, das heute irgendwie zu ändern.”

„Abwarten.”

Ich holte die Waffe raus und ließ sie fallen. Genau, wie er es gesagt hatte. Es blieb mir auch keine andere Wahl. Schließlich hatte ich keine Lust auf ein Loch im Kopf. Und ebenso wenig stand mir der Sinn danach, jetzt schon in nächster Zeit herauszufinden, welche Vorstellungen vom Paradies oder der Hölle nun eigentlich zutreffend waren: Die Christlichen oder die des Islam.

„Was hast du vor?”, fragte ich.

„Warum fragst du nicht, wer ich bin. Du erinnerst dich nicht, stimmt’s? Du weißt gar nicht, was du getan hast und wenn doch, dann siehst du es nicht als deine Schuld an, sondern etwas, was eben geschieht und nicht weitere Beachtung verdient.”

Ich hob die Augenbrauen.

„Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, wovon du redest”, gestand ich.

„Gib der Kanone auf dem Boden einen Tritt. Damit sie über den Boden rutscht - und zwar direkt zu mir hin.”

„Soccer ist hierzulande eine Sportart für Mädchen.”

„Unglücklicherweise kannst du dort nicht aussuchen, was gespielt wird, Murray. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich dich so nenne. Oder ist es dir lieber, wenn ich dich bei deinem eigentlichen Namen nenne? Den hörst du nicht so gerne? Habe ich von deiner Mutter gehört, als ich mich mit ihr unterhalten habe.”

„Wie bitte?”

„Die Kanone!”

Ich kickte sie in seine Richtung. Er lächelte. Aber er dachte zunächst nicht daran, mir etwas mehr über die Sache mit meiner Mutter zu erzählen. Bluffte er nur? Oder hatte er wirklich mit ihr gesprochen? Das ganze war nicht mehr und nicht weniger als eine wenig subtile Drohung.

„Es stimmt also doch”, sagte er.

„Was?”

„Dass bei euch Muslimen die Mutter der kritische Punkt ist, an dem man ansetzen kann. Ich sehe, wie es in dir arbeitet. Ich sehe, dass es dich beunruhigt, dass ich sie offenbar kenne und dass ich ihr jederzeit etwas tun könnte. Und vielleicht werde ich das sogar... Was willst du jetzt tun? Zur Waffe greifen kannst du nicht mehr? Steigt die Wut jetzt in dir auf? Zerfrisst sie dich?”

„Du redest einfach nur Unsinn.”

„Ich habe mich als dein Schulfreund Billy ausgegeben. Billy Hamilton, eigentlich William Grover Hamilton III. Er ist mit dir zur Highschool gegangen und hat sich seitdem wohl ziemlich stark verändert. Aber im Grunde bin ich sein Typ, und so hat sie diese Aussage geschluckt.”

Er schien den Anblick meines fassungslosen Gesichts zu genießen. Sein Lächeln war aasig. Er weidete sich an dem inneren Aufruhr, der in mir herrschte. Und daran, dass er anscheinend alles über mich wusste, ich aber umgekehrt nichts über ihn. Denn so sehr ich mir auch das Hirn zermarterte, ich kam einfach nicht darauf, wer er war oder was ich mir seiner abstrusen Ansicht nach ihm gegenüber hatte zu Schulden kommen lassen.

Er sagte: „Sie hat mir sogar deine Adresse gegeben, du Ratte! Na? Erstaunt?” Er kicherte. „Wer weiß, vielleicht besuche ich sie noch einmal, wenn das hier vorbei ist... Aber tu mir einen Gefallen, auch wenn dein Kopf gerade vor Wut zu zerspringen droht, solltest du jetzt nicht austicken. Ich sehe dir ja an, dass du kaum noch einen vernünftigen Gedanken fassen kannst. Und soll ich dir was sagen? Bevor du erfährst, wer ich bin, und warum ich dich leiden lasse und dies als eine besondere Form der Gerechtigkeit empfinde, solltest du nicht nur über deine Mutter nachdenken, sondern auch über die Organisation, deren Teil du bist und deren Ziele du so verinnerlicht hast, dass es schon fast wehtut, sich das ansehen zu müssen.”

„Du redest wirres Zeug, Mann!”

„Ich spreche vom FBI! Ich spreche vom Special Cases Field Office! Und ich spreche insbesondere von deinem Chef, Director Lee. Ich habe eher zufällig ein paar interessante Dinge über ihn herausgefunden. Er ist nicht ganz so tugendhaft, wie alle Welt denkt.”

„Was du nicht sagst...”

Er nahm ein Smartphone aus seiner Jacke. Mit dem Daumen bediente er es und das mit der traumwandlerischen Sicherheit eines geübten Benutzers. Es sah richtig elegant aus. „Ich habe ihn jetzt gerade auf dem Display. Ich tracke nämlich sein Handy. Und du kannst das auch. Erzähl mir nicht, dass du nicht weißt, wie das geht! Was glaubst du, wo dein Director Lee jetzt ist? Im Büro? Der letzte an der Akten- und Computerfront aus den Reigen des Special Cases Field Office? Einer der rund um die Uhr nur Rechtschaffenheit versprüht und sich für die Allgemeinheit aufopfert? Weit gefehlt. Er ist in der South Bronx. Du wirst es sicher überprüfen, wenn dass hier vorbei ist und ich gegangen sein werde. Du wirst es wissen wollen, was mit ihm los ist und hinfahren, um dich zu überzeugen. Er ist jetzt in der Lambert Road...”

„Was willst du von mir?”, zischte ich zwischen den Zähnen hindurch.

„Ich will, dass du die Wahrheit erkennst. Die Wahrheit, die da heißt, dass selbst dein Chef ein Schweinehund ist. Und wenn er ein Schweinehund ist, tja mein lieber Murray Abdul – was bist du denn dann?”

Ein Augenblick des Schweigens folgte. Er wollte, dass ich nachfragte, dass ich meine Neugier preisgab. Und in der Tat fragte ich mich, was Director Lee in einer Gegend zu suchen hatte, in der sich Prostituierte, Dealer und Gangs tummelten. Schließlich war er der Director des Field Office. und nicht ein Special Agent im Außendienst. Das ist schon etwas anderes.

Ich bezähmte meine Neugier. Denn diese Blöße wollte ich diesem Kerl nicht geben. Stattdessen hatte ich einen anderen Plan. Er wollte mich nicht töten, wenn seine Worte in diesem Punkt der Wahrheit entsprachen. Er wollte offenbar, dass ich wie von der Tarantel gestochen in die Bronx fuhr, um herauszufinden, was mein Chef dort trieb, der da im Moment wirklich nichts zu suchen hatte.

Aber das bedeutete auch, dass er sein Spiel vermutlich fortsetzen wollte. Ein Spiel, das den Tod von völlig Unschuldigen beinhaltete. Ich hatte nicht vor, dies zuzulassen. Nein, er sollte diese Wohnung nicht verlassen, es sei denn im Leichensack oder in Handschellen. Was davon zutraf, das hatte er selbst in der Hand.

„Hast du davon gehört, dass in der Gegend, in der dein Chef jetzt ist, letzte Woche ein Dealer erschossen wurde?”, fragte er. „Und in der Woche davor auch - zufällig war er da auch in der Gegend. Du willst das nicht glauben? Ich werde dir einen Link schicken, dann kommst du an die Daten. Keine Sorge, diese Spur führt nicht zu mir persönlich. Der Server wird über eine Adresse auf Tonga umgeleitet und die Daten befinden sich vielleicht in der Ukraine oder in Moldawien oder an sonst irgendeinem Ort, an dem das möglich ist. Dein Chef ist ziemlich oft in der Gegend um die Lambert Road in der South Bronx. Und jedesmal stirbt dann jemand.” Er zuckte die Achseln. „Auch eine Möglichkeit, Gerechtigkeit herzustellen. Gefällt mir sogar ein bisschen. Wer hätte das gedacht? Wir scheinen Verwandte im Geiste zu sein, dieser Director Lee und ich. Auf jeden Fall nehmen wir beide gewisse Dinge sehr genau und sehr persönlich.”

„Und was nimmst du in Bezug auf mich persönlich?”

„Erinnerst du dich an eine Schießerei in der Lower Eastside? Liegt schon ein paar Jahre zurück. Es ging um ein paar Crack Dealer. Einer von ihnen hieß Brazzo.”

„Ja, ich erinnere mich.”

Ich konnte keinen Bezug dem damaligen Fall herstellen. Der Mann, der mir gegenübersaß hatte dabei keine Rolle gespielt. Jedenfalls hatte ich ihn nicht gesehen und auch nicht festgenommen oder befragt. Ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis für Gesichter. Und dieses war einfach nie vor meiner Linse gewesen. Da war ich mir ziemlich sicher.

Und es waren eigentlich auch nicht genügend Jahre vergangen, als dass es vielleicht möglich gewesen wäre, dass ich ihn nicht mehr hätte wiedererkennen können.

Er lächelte wieder.

Ich mochte dieses aasige Lächeln nicht. Ein Lächeln, das nichts anderes ausdrückte, als die Freude an der Qual anderer. So etwas kann ich nicht leiden.

„Es ist damals eine Menge Blut geflossen, nicht wahr?”

„Ich hatte Glück”, sagte ich. „Ich wurde zwar verletzt, aber nicht schwer, weil ich eine Kevlar-Weste trug.”

„Ich spreche nicht von deinem eigenen Blut, du Idiot”, fauchte er mich an. Meine Antwort hatte ihn offenbar richtig wütend gemacht,. „Ich spreche von dem Blut einer völlig unbeteiligten Person, die durch das Feuer von euch durchgeknallten Cops ums Leben kam! Eine Kugel durchdrang nämlich die Wand. Es war nur eine dünne Zwischenwand aus Sperrholz oder so etwas, die man mit Tapete beklebt hatte. Aber eine Kugel geht da durch, als wäre da nichts! Und die Frau, die getroffen wurde, war meine Mutter. Ich erfuhr erst am nächsten Tag davon und ich musste mir alle diese verdammten Ausflüchte anhören, die euresgleichen dann immer parat hat, wenn ihr mal wieder über die Stränge geschlagen habt!”

Sein Gesicht war dunkelrot geworden.

Ich erinnerte mich an die Story, die er erzählte. Und das Bedauerliche an der Sache war, dass sie im Wesentlichen stimmte. „Es tut mir leid, dass Ihre Mutter damals ums Leben kam”, sagte ich. Und das war durchaus aufrichtig gemeint.

„Ach, wirklich? Ich denke nicht, dass du wirklich begriffen hast, was du damals angerichtet hast, G-man! Du wolltest diesen Scheiß-Dealer um keinen Preis entkommen lassen. Das Leben einer Unschuldigen war dir weniger wert, als die Festnahme dieses Mistkerls.”

„Ich hatte keine Ahnung, dass Ihre Mutter im Nachbarraum war! Und der Wand war auch nicht anzusehen, dass sie nur eine Art Sichtverkleidung war”, verteidigte ich mich. So hatte ich mich schon damals gerechtfertigt. Vor mir selbst. Und vor den Kollegen der Inneren, die die Sache damals natürlich unter die Lupe genommen hatten. Schon damals hatte mich das selbst nicht wirklich überzeugt. Die Zweifel daran, damals das Richtige getan zu haben, nagte bis heute an mir. Und wahrscheinlich wird er das auch in Zukunft immer tun. Ein unangenehmes Gefühl, das nie ganz verschwinden wird, wie ich inzwischen akzeptiert habe.

„Ich glaube, du musst noch etwas leiden, Murray. Und ich werde dir dazu verhelfen. Aber ich werde die Art der Leiden etwas verfeinern. Ich gehe jetzt. Es ist sinnlos mir zu folgen.” Er erhob sich. „Aber du solltest dich in der Lambert Road umsehen. Vielleicht ist da ja auch schon ein Mord gemeldet worden. Anonym. Wenn du das Stimmprofil mit dem deines Chefs vergleichst, wirst du feststellen, dass es identisch ist, auch wenn er einen Verzerrer benutzt.”

Ich hatte eine zweite Waffe dabei. Einen Kleinkaliber. Eine alte Angewohnheit. Manche Cops machen das so. Vor allem die, die eine Weile im Streifendienst waren. Ich riss die Waffe heraus. Eine Chance hatte ich. Oder vielleicht auch nur eine halbe. Aber ich hatte eine Entscheidung getroffen. Dieser Mistkerl sollte keine weiteren Unschuldigen töten. Und ganz egal, wie diese Sache hier und jetzt ausging, seine Mordserie würde hiermit zu Ende gehen. Entweder in dem ich ihm eine Kugel in den Kopf jagte oder er mir. Wenn letzteres geschah, machte es für ihn auch keinen Sinn mehr, Personen zu töten, die sich zufällig in meiner Nähe aufhielten.

Ich feuerte. Er auch.

Ich drückte noch zwei weitere Mal ab, während ihm seine Hände schon nicht mehr gehorchten. Er sackte blutüberströmt gegen die Wand und rutschte an ihr herab. Einen Schmierfleck zog er hinter sich her und riss außerdem eine Stehlampe um. Der Lampenschirm war rot gesprenkelt. Scheiße, dachte ich. Das Ding war mir mal viel wert gewesen. Aber das hatte sentimentale Gründe, auf die ich hier und jetzt nicht weiter eingehen will.

Der Kerl lehnte erstarrt an der Wand, saß da und schien mich mit seinen weit aufgerissenen, toten Augen anzustarren. Und irgendwie hatte ich immer noch den Eindruck, dass er grinste.

Killerland: Krimi Koffer 10 Krimis auf 1300 Seiten

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