Читать книгу Acht besondere Krimis: Roman-Koffer - Alfred Bekker - Страница 82
Оглавление16
Feller fühlte sich wie ein Zombi, als er die Sauerfeldstraße viel zu schnell hinunterbrauste. Jemand hupte und zeigte ihm einen Vogel.
"Selber, woll!", knurrte Feller vor sich hin. Er war nicht ganz da.
Feller wohnte in der Schützenstraße. Eine gediegene Wohngegend. Feller hatte hart dafür gearbeitet, sich hier ein Haus leisten zu können.
Er parkte den Wagen in der großzügigen Einfahrt seines Bungalows, drehte den Motor ab und saß dann einige Augenblicke lang einfach nur da.
Er fühlte sich scheußlich. Ein ungutes Gefühl machte sich sehr deutlich in seiner Magengegend breit. Er hatte kalten Schweiß auf seiner Stirn. Die Sache mit Norbert Wolf beschäftigte ihn.
Feller versuchte, ruhig zu atmen. Schließlich fühlte er sich ein wenig besser.
Mach dich nicht verrückt!, sagte er sich.
Dann stieg er aus, knallte die Wagentür zu und schloss mit einer nachlässigen Bewegung ab.
Als er dann vor der Haustür stand, musste er feststellen, saß er mal wieder seinen Schlüssel vergessen hatte. Da er mit wechselnden Wagen fuhr, die er im Fuhrpark seiner Firma hatte, war der Haustürschlüssel nicht bei denen für das Auto.
Martin Feller fluchte leise vor sich hin.
Aber die Sache war halb so schlimm. Erstens hatte er einen Ersatzschlüssel auf der anderen Hausseite deponiert und zweitens musste Carola, seine Frau, jetzt bereits zu Hause sein.
Also klingelte Martin Feller einfach.
Es dauerte ein bisschen, bis Carola auftauchte, um ihm zu öffnen.
"Hallo, Schatz!", sagte sie.
Sie lächelte, und er versuchte es auch. Aber bei ihm blieb es beim Versuch.
Ein ziemlich kläglicher Versuch, um genau zu sein.
Carola war Mitte vierzig und für ihr Alter immer noch sehr attraktiv. Früher war sie eine richtige Schönheit gewesen - einer der beiden Gründe, aus denen Martin Feller sie geheiratet hatte.
Der andere war, dass Carola einen ausgesprochenen Sinn fürs Praktische hatte. Das hatte ihn von Anfang an an ihr angezogen.
"Na, wie war dein Tag?", fragte sie mit ihrer warm klingenden Stimme.
Feller hätte sie für diese Frage erwürgen können. Was sollte er sagen? Er hatte keine Lust über das Loch im Kopf von Norbert Wolf zu reden. Und über den Anruf wollte er noch viel weniger sprechen. Er brauchte jetzt einfach erst einmal eine gewisse Weile, um abzuschalten.
Zu sich kommen, klare Gedanken fassen. Darum ging es jetzt.
Er fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. Martin Feller fühlte sich müde. Müde und alt.
"Schatz, redest du nicht mehr mit mir?", hörte er Carolas Stimme. "Wie dein Tag war, wollte ich wissen!"
Er zuckte mit den Schultern.
"Nicht so besonders", murmelte er mit hängenden Schultern.
"Und bei dir?"
Er nahm sie kurz und etwas nachlässig in den Arm und gab ihr schließlich einen Kuss. Dann trat er ein, pfefferte den Wagenschlüssel auf eine Anrichte und kratzte sich hinter dem rechten Ohr.
Er hatte Durst auf ein Bier.
"Was soll ich dir erzählen?", hörte er Carola indessen sagen. "Wie's bei der Post eben zugeht! Nicht gerade aufregend."
Martin Feller lächelte dünn.
Dann atmete er tief durch und ließ anschließend einen Teil der aufgesogenen Luft wieder ab. Wie ein ächzender Lastwagen vor der Ampel, der die überschüssige Bremsluft ins Freie ziehen ließ.
Er meinte: "Ich hab dir ja gesagt: Gib deinen Scheiß-Job auf und komm zu mir in die Firma. Die Kramer kriegt doch jetzt ihr Kind und dann will sie erst mal ein halbes Jahr aufhören und unsere Buchhaltung ist jetzt schon einziges Chaos."
"Immerhin ist mein Scheiß-Job unkündbar, Martin", gab Carola lächelnd zurück.
Martin Feller hob die Augenbrauen. Er versuchte auch zu lächeln, aber es wollte nicht so recht werden.
"Und wer sollte mir kündigen?", fragte er. Er strich sich mit einer schnellen Bewegung die Haare zurück.
Carolas Antwort ließ ihn dann stutzen.
"Du dir selbst", erklärte sie kühl.
Fellers Lachen wirkte gequält.
"Sehr witzig!", murmelte er. In seiner Stimme war ein düsterer Unterton.
Carola sah ihn offen an. "Ich meine es ernst", erklärte sie dann nach einem kurzen Augenblick des Schweigens. "Ein paar Fehler und du bist ganz schnell pleite. Heute steht das Haus von Grote in der Zeitung. Es wird demnächst versteigert."
Martin Feller hob die Augenbrauen.
"Ach...", machte er erstaunt.
"Ja, dein ehemals schärfster Konkurrent mit der Peugeot-Vertretung!"
"Dass er pleite ist, ist ja nichts Neues, aber dass er jetzt auch noch sein Haus..."
"Siehst du und wenn es bei uns mal soweit ist, haben wir wenigstens das, was ich bei der Post verdiene!", gab Carola selbstsicher zu bedenken.
"Was man uns dann wahrscheinlich sofort pfänden würde!", erwiderte Martin Feller.
Carola verschwand im Wohnzimmer. Feller ging in die Küche.
Er machte den Kühlschrank auf und seufzte hörbar.
"Sag mal, haben wir kein Bier mehr?", rief er zu seiner Frau hinüber.
"Ist alle!", rief Carola zurück. Dann kam sie ebenfalls in die Küche und erklärte: "Tut mir leid, ich musste auf dem Rückweg eine Umleitung fahren und die führte leider nicht nur um die Baustelle, sondern auch um den Supermarkt herum."
"Macht ja nichts", log Martin Feller und machte eine wegwerfende Handbewegung. Irgendwie schien sich im Augenblick alles und jeder gegen ihn verschworen zu haben.
Aber so eine Phase musste ja auch irgendwann mal zu Ende gehen.
"Mal was anderes" meinte Carola jetzt. "Mit unserm Herrn Sohn wird's wahrscheinlich Probleme mit dem Abi geben..."
"Das ist ja nicht neu."
"Das nicht. Aber es scheint ernst zu sein. Er hat mir nichts gesagt. Nichts konkretes. Eben nur so Andeutungen. Aber ich habe das im Gefühl..."
"Ich habe immer gesagt, dass er sich das blöde Abi sonstwo hinschmieren kann! Er hätte bei mir im Betrieb lernen können, dann hätte er etwas Handfestes gehabt. Und was ist jetzt? Nur Flausen im Kopf!"
"Martin..."
"Ja, ist doch wahr!"
"Aber wo ihn Autos doch gar nicht interessieren..."
"Ja, meinst du, ich träume nur von Autos?"
"Nein, aber..."
"Aber Geld verdienen lässt sich damit!" Er seufzte und fuhr sich mit der flachen Hand über das Gesicht. "Wenn er wenigstens noch Aussichten hätte, das Abi auch zu bestehen. Aber er quält sich doch nur so herum auf der Schule. Das ist doch nichts Halbes und nichts Ganzes."
"Martin, sieh das Ganze doch mal aus seiner Sicht - oder versuche es zumindest. Ich meine..."
Martin Feller war empört, "Sag mal, auf wessen Seite stehst du eigentlich?"
"Es geht doch nicht darum, wer auf welcher Seite steht!"
"Doch, Carola! Genau darum geht es! Und um sonst gar nichts!"
Sie schwiegen eine Weile. Carola kannte ihren Mann gut genug, um zu wissen, dass es jetzt das Beste war, erstmal nichts zu sagen. Sie wartete einfach, so wie sie schon oft genug abgewartet hatte, bis sich der Sturm wieder legte.
Aber diesmal hatte sie wohl nicht genug Geduld damit.
"Er will studieren", sagte Carola schließlich in die Stille hinein.
Für Feller war das wie ein Schlag vor den Kopf.
"Was sagst du da?", fragte er ungläubig. Er konnte es nicht fassen, glaubte sich verhört zu haben.
"Ja. Hat er mir gesagt. Theaterwissenschaft."
"So'n Quatsch! Ich muss ihn wohl mal wieder in die Mangel nehmen!"
"Das bringt doch nichts!"
"Das werden wir ja sehen! Glaubst du, ich will, dass er uns auf der Tasche liegt, bis er fünfunddreißig ist?"
"Es gibt Schlimmeres!", behauptete Carola allen Ernstes, und Martin Feller machte ein Gesicht, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf.
"Ach, ja?", schnaubte er. "Dann möchte ich mal wissen, was zum Beispiel!"
"Martin..."
"Du bist zu nachgiebig, Carola!"
"Ich möchte, dass er ein glücklicher Mensch wird und etwas macht, das ihn befriedigt, womit er sich verwirklichen kann."
"Sag bloß, du verwirklichst dich in den Büroräumen der Postdirektion", gab Martin Feller ironisch zurück.
Sie verzog das Gesicht.
"Leider nicht", erwiderte sie. "Um so mehr wünsche es allerdings meinem Sohn."
Martin Feller hatte keine Lust, sich weiter darüber zu unterhalten. Heute war er einfach nicht in Form, um argumentativ mithalten zu können.
Aber Carola schien auch wenig Freude an der Sache zu haben.
Auf jeden Fall beendete sie das Ganze ziemlich abrupt, indem sie beiläufig sagte: "Es hat übrigens jemand für dich angerufen."
"Und wer?"
Auf einmal war Martin Feller wieder mit allen Sinnen präsent. Und das ungute Gefühl in der Magengegend war auch wieder da. Ganz deutlich sogar.
"Moment", meinte Carola und schien einen Augenblick nachzudenken. Dann fuhr sie fort: "Nee, den Namen hab ich vergessen. Der sprach auch nicht sehr deutlich. Er wollte zurückrufen."
Das Telefon klingelte.
Einmal, zweimal...
Carola sagte: "Das wird er sein."
Der Anrufer schien Geduld zu haben.
Er gab nicht auf und ließ es immer wieder klingeln, während Martin Feller wie erstarrt dastand und sich nicht einen Millimeter rührte.
"Willst du gar nicht dran gehen?", fragte Carola.
"Doch, doch..." Er ging die paar Schritte bis zum Telefon sehr langsam. Dann nahm er ab. In seinem Hals steckte ein dicker Kloß, der ihn kaum sprechen ließ.
"Ja?", krächzte er.
Martin Feller hatte intuitiv gewusst, dass er es war.
Auf der anderen Seite atmete jemand einige Augenblicke lang und legte dann auf. Klick und Ende.
Carola fragte: "Wer war's?"
"Verwählt."
Sie kam aus der Küche und stutzte unwillkürlich, als sie ihren Mann da so stehen sah. Dann trat sie an ihn heran.
"Mein Gott, du bist ja ganz bleich!", stellte sie besorgt fest. "Was ist denn los?"
"Nichts ist los!"
"Hast du Ärger gehabt?"
"Norbert ist tot."
"Norbert Wolf?", wiederholte Carola fassungslos.
"Ja. Man hat seine Leiche in der Listertalsperre gefunden. Er wurde erschossen. Die Kripo war heute bei Barbara. Ich war auch dort."
Carola runzelte die Stirn. "Weshalb du?"
"Sie rief mich an und machte sich Sorgen. Nobbi war die Nacht über weg gewesen."
"Hat er nicht früher schon ab und zu über die Stränge geschlagen?"
"Ja, aber das ist lange her..." Feller sah seine Frau nicht an. Er knibbelte an seinen aufgesprungenen Fingernägeln.
"Das ist ja furchtbar", flüsterte Carola.
"Ja, ja..."
"Martin..."
Ihre Hände berührten seine Schultern, aber er fühlte sich an wie ein steifes Brett.
"Ich fahr noch los, um eine Kiste Bier zu holen", meinte er schließlich. "Ich brauche jetzt einfach ein Bier. Wir können uns nachher weiter unterhalten, ja?"
Carola nickte langsam.
"Gut."
"Bis nachher dann..."
"Bis nachher!"