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Das Wetter meinte es gut in diesem Jahr. Nach den verregneten letzten beiden Jahren begrüßte strahlender Sonnenschein das Seefest-Wochenende – und der Wetterbericht versprach ein stabiles Hoch. Kein Wunder also, dass bereits zu Mittag auf dem Festgelände Hochbetrieb herrschte.

Hanns Ursprunger und Maria Schwaiger befanden sich zu dieser Zeit noch im Polizeigebäude, das etwas außerhalb des Zentrums gelegen war. Trotz der Empfehlung, länger zu schlafen, waren beide relativ früh zum Dienst erschienen. Hanns Ursprunger hatte seine Gattin aus Linz mitgenommen und bei ihrer Freundin abgesetzt. Er selbst fuhr anschließend zum Amtsgebäude. Maria Schwaiger erwartete ihn bereits. Anstelle ihrer Uniform trug sie ein frisches, buntes Sommerkleid.

„Das Richtige für eine versteckte Ermittlung“, begrüßte er sie und blickte sie fragend an. „Hast du irgendwelche Fotos von Freunden des Toten aufgetrieben?“

„Als Junkies haben wir sie alle in der Kartei. Einer von ihnen, den alle Wully nennen, ist sein bester Freund. Auch der ist schon einmal beim Dealen erwischt worden. Die Menge war allerdings gerade an der Grenze. Da er unbescholten war, zum damaligen Zeitpunkt, hat ihn der Richter laufen lassen. Seither dürfte er vorsichtiger geworden sein, denn man hat ihn nie mehr ertappt.“

„Dann prägen wir uns diese Gesichter ein.“

„Du glaubst, dass wir sie schon zu dieser frühen Stunde antreffen?“

„Mit Glauben hat dies nichts zu tun. Wenn sie tatsächlich dealen, finden dort ihre Klienten sie. So eine Gelegenheit werden sie sich kaum entgehen lassen. Je mehr Leute, umso leichter können sie außerdem in der Menge untertauchen, wenn es für sie brenzlig wird.“

Eine halbe Stunde später schlenderten sie durch das Festgelände. Den Familienbereich konnten sie getrost außer Acht lassen. Vielmehr interessierte sie jener Bereich, der nahezu allen Vereinen und mehreren Gasthäusern des Ortes als Standort diente. Sie waren hier alle vereint in einem großen Viereck. Eine Seite nahm die Bühne ein, auf der fast rund um die Uhr die verschiedensten Musikbands, aber auch die örtlichen Musikkapellen die Festivalgäste beschallten. Bei diesen Temperaturen – zu Mittag kletterte das Thermometer bereits über die dreißig Grad – kam der Bierumsatz nicht zu kurz.

Ursprunger und Schwaiger interessierten sich jedoch kaum für jene, die dem Getränk bereits kräftig zusprachen, sondern gerade für jene, die sich auffällig zurückhielten. Und hier lächelte ihnen das Glück fast unverschämt früh, denn die unübersehbare Figur von Karl Reiter saß an einer Ecke einer Bar und interessierte sich mehr für das Geschehen rings um sich als für das kleine Bier, das vor ihm stand und von dem er höchstens einen Schluck getrunken hatte.

An Karl Reiter war alles rund. Sein Kopf glich einem Ball, hochrot in der Sonne glänzend, und die nächste runde Kugel fand sich um seine Bauchgegend.

„Na also, da hätten wir ja bereits unseren ersten Freund“, bemerkte Ursprunger. „Wir setzen uns am besten zum Nachbarn. Ein wenig Beobachten schadet nie.“

„Du glaubst doch wohl nicht, ihn auf frischer Tat zu ertappen?“

„Darauf bin ich gar nicht aus. Als Freund von Franz Mock bin ich nur an seinen Informationen interessiert.“

„Sehr nahe scheint ihm der Tod von Franz nicht zu gehen.“

„ Wahrscheinlich Berufsrisiko, das er einkalkuliert“, vermutete Ursprunger. „Wenn er am Arbeiten ist, wird er vermutlich gar nicht auskommen. Diese Typen sind ja nur die unterste Schicht in der Organisation. Und er hat garantiert nicht mehr Drogen eingesteckt, als er für den Privatverbrauch geltend machen kann.“

„Er wird als Junkie bei uns geführt.“

„Schau dir seinen Bauch an!“, riet Ursprunger. „Um sich so einen Wanst zuzulegen, muss er ziemlich gerne und viel essen und ziemlich viel Bier in sich hineinschütten. Für Drogen hat der normalerweise gar keine Zeit. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber … als Dealer ist es besser, wenn man clean ist.“

Der Reihe nach prägten sich die beiden Polizisten die Gesichter der Umsitzenden ein und natürlich auch all jene, die direkt mit ihm sprachen.

Einmal verließ er mit einem Gast seinen Sitzplatz.

Maria Schwaiger folgte ihnen in einem gebührenden Abstand, gerade nahe genug, damit sie sehen konnten, was sich zwischen den beiden tat. Ständig befanden sich genügend andere Menschen zwischen ihnen, die sie als Deckung benutzen konnte. Das Gespräch der beiden dauerte nur kurz, einmal glaubte sie, dass etwas den Besitzer gewechselt hatte, aber sie konnten sich auch nur lediglich die Hand geschüttelt haben, dann kehrte Karl wieder zu seinem Platz an der Bar zurück.

Maria nickte kaum merklich.

„Ich glaube, er hat seinen ersten Kunden bereits bedient“, meinte sie.

Etwas später gesellte sich dann auch Herbert Vukovic genannt Wully, zu ihm an die Bar.

„Wie viel Ausdauer werden die beiden wohl besitzen?“, fragte sich Maria.

„Tagsüber werden sie lediglich Kunden bedienen, die ihnen bekannt sind – oder die zumindest sie kennen“, mutmaßte Ursprunger. „Aber eigentlich haben wir das erfahren, was ich wissen wollte. Seine Freunde gehen ganz normal ihrer Arbeit nach. Wir können unsere Recherchen also auf die Drogenszene beschränken. Nach Raubmord hat es ohnehin nie ausgesehen. Und ein Familienstreit ist trotz seiner lieben Verwandtschaft eher unwahrscheinlich.“

*

Ihren nächsten Einsatz starteten die beiden Polizisten erst gegen Abend. Maria war ebenfalls wieder in Zivil unterwegs.

Diesmal dauerte es lediglich fünf Minuten, bis Ursprunger Herbert Vukovic an einer Bar sitzend fand. Mit seinem Handy schoss er ein paar Fotos. Hauptsächlich kam es ihm darauf an, dass er im Nachhinein vielleicht ein paar bekannte Gesichter identifizieren konnte.

„Interviewen wir ihn einmal“, sagte er und steuerte gleich auf Wully zu, denn der Sitzplatz neben ihm war gerade frei geworden. So eine Chance musste er einfach nutzen. Wenn der Mörder nicht zu ihm kam, musste er jeden, der in Verdacht kam, etwas mit der Sache zu tun zu haben, ansprechen. Vielleicht wurde der eine oder der andere nervös und ließ sich zu einer Tat hinreißen, die er ansonsten unterlassen hätte.

Ursprunger schnappte sich den wackeligen Barhocker links neben Wully, während sich Maria Schwaiger recht neben ihn an die Bar durchquetschte, nicht ohne einen verärgerten Kommentar zu provozieren, aber sie lächelte den Kerl so entwaffnend an, dass er nichts mehr sagte.

„Hallo Wully“, sagte Hanns Ursprunger und blickte ihn an, „ich darf doch Wully zu dir sagen, oder?“

„Wer bist du, und woher kennst du mich?“

„Sie sind doch ein Freund von Franz Mock – oder zumindest gewesen.“

„Verdammt, ein dreckiger Bulle“, entfuhr es Wully.

„Bulle stimmt, dreckig allerdings nicht. Und jetzt werde nur nicht nervös. Ich habe nur ein paar Fragen an dich.“

„Und die sollten ehrlich ausfallen“, kam für Wully unerwartet Marias Stimme von der anderen Seite.

Wully sah Maria sinnend an.

„Ohne Uniform erkennt man dich kaum. Was wollt ihr von mir?“

„Du bist doch ein Freund von Franz Mock.“

„Verdammte Scheiße, was da passiert ist“, sagte Wully, und diesmal klang seine Stimme echt erschüttert. „Wenn ihr den erwischt, habe ich diesmal absolut nichts dagegen.“

„Fein, um ihn allerdings zu erwischen, müssen uns erst noch ein paar Sachen klar werden. Die hätten wir gerne mit dir besprochen.“

„Ich habe ihn nicht umgebracht, damit das ein für alle Mal klar ist.“

„Du hast sicherlich ein Alibi für gestern Nacht“, vermutete Ursprunger.

„Na klar, ich war mit Karl zusammen.“

„Fein, dann könnt ihr euch ja gegenseitig das Alibi besorgen.“

„Brauch‘ ich nicht. Ich war’s ja nicht!“

„Das haben wir weder behauptet noch angenommen. Aber du hast ihn gekannt. Ihr wart sogar Freunde. Wer könnte ihn getötet haben?“

„Das weiß ich doch nicht. Alle, und gleichzeitig keiner. Verdammt, Franz war kein Heiliger, aber ihn deswegen gleich umbringen?“

„Weswegen?“, hakte Ursprunger nach.

„Er hat eine große Schnauze geführt, das ist alles. Manchmal ist er uns gehörig auf den Wecker gegangen. Aber jeder von uns ist manchmal schlecht drauf. Wenn Franz allerdings schlecht drauf war, dann hat man ihn besser in Ruhe gelassen und ist einfach gegangen.“

„Du meinst, ein Mord im Effekt ist möglich?“

„Was weiß ich?“, rief Wully ungewöhnlich laut, so dass ihn bereits einige Gäste fragend anblickten.

„Ganz ruhig bleiben“, riet Ursprunger.

„Es spricht einiges dagegen“, wandte Maria ein. „So, wie er vorgefunden worden ist, schaut das nach Planung aus. Kein Mörder macht sich die Mühe, sein Opfer so zu präsentieren, dass man einen halben Tag an ihm vorbeigeht, ohne etwas zu bemerken.“

„Vielleicht hängt es mit euren Geschäften zusammen“, half Ursprunger Wully etwas auf die Sprünge.

„Geschäfte?“

„Das klang jetzt nicht echt, Wully. Ich weiß es, du weißt es, Maria weiß es, und vermutlich eine ganze Menge Leute mehr. Aber euer Drogengeschäft interessiert mich jetzt nur am Rande. Ich suche einen Mörder. Franz hat Drogen konsumiert und er hat gedealt. Irgendwoher musste er ja das Geld für die Drogen beschaffen. Ich denke, in diese Richtung muss ich weiterforschen, wenn ich auf den Mörder stoßen will.“

„Aber nicht bei mir“, wehrte sich Wully.

„Wie gesagt, ich glaube nicht, dass du der Mörder bist, aber möglich ist natürlich alles.“

„Das heißt, ich zähle zu den Verdächtigen?“

„Ja, aber nicht du allein. Ihr habt gemeinsame Freunde: Karl Reiter zum Beispiel. Und auch Matthias Mahn ist öfters mit von eurer Partie“, erklärte ihm Maria. „Vielleicht habt ihr zusammen Franz ausgeschaltet? Ich kann mir gut vorstellen, dass Mondsee für vier Dealer zu klein ist.“

„Haben Sie eine Ahnung!“, entfuhr es Wully, dann wurde er sich bewusst, dass er etwas Dummes gesagt hatte. Er legte sich eine Hand auf den Mund, als wollte er sein loses Mundwerk verschließen.

„Mach dir nichts draus, Wully, auch das weiß ich genau. Aber ein paar Sachen kannst du mir schon noch verraten“, übernahm jetzt wieder Ursprunger das Gespräch. „Wer versorgt euch mit Drogen?“

„Verdammt, du Bulle, weißt du, wo wir gerade sitzen? Willst du mir mein ganzes Geschäft kaputtmachen? Hier kann doch jeder zuhören.“

„Rede einfach etwas leiser, dafür aber deutlicher!“, empfahl Ursprunger.

„Du kannst mich mal!“, schimpfte Wully und sprang von seinem Sessel und lief fort.

Maria wollte ihm gleich nacheilen, aber Ursprunger erwischte sie noch rechtzeitig an einem Arm.

„Langsam, langsam! Wully entwischt uns nicht. Jetzt haben wir ihn ein bisschen nervös gemacht. Bei unserem nächsten Treffen ist er vielleicht etwas umgänglicher, wenn er bemerkt hat, dass wir ihm keine weiteren Scherereien machen.“ Dann blickte er sich um, studierte die Gesichter der Männer und Frauen, die in unmittelbarer Nähe saßen. Aber niemand schien ihnen besondere Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Lediglich ein Mann hielt für ein paar Sekunden Augenkontakt mit ihm, ehe auch der sich abwandte, aufstand und langsam weiterschlenderte.

„Wir sollten uns etwas zu essen besorgen. Wonach gelüstet es dich? Huhn oder Pizza? Es gibt auch einen Asiaten, wie ich gesehen habe.“

„Es gibt alles hier“, bestätigte Maria. „Schauen wir, was uns anlacht.“

*

Später, es war bereits Nacht, aber noch viel zu früh, um das Nachtleben in all seinen Facetten zu erkunden, verließen sie das Festgelände und wanderten Richtung Karlsgarten. Der Markt Mondsee, ein ortsmäßiges Juwel der Ansiedlungen im Salzkammergut, lag etwas mehr als hundert Meter landeinwärts von der Wasserfläche. Der Marktplatz wurde an einem Ende dominiert von der Basilika St. Michael, der ehemaligen Kirche des Kloster Mondsees, einer der ältesten Siedlungen in diesem Gebiet überhaupt. Die Geschichte ging weit zurück bis in das frühe Mittelalter, bis zu dem Bayernherzog Odilo, der die Mönche zur Kolonisation in diese damals noch unwegsame Waldgegend geschickt hatte. Seither hatte sich dieser Flecken Erde zu einem bedeutenden Ort entwickelt. Die permanente Besiedlung hatte die Bildung eines Wohlstandes abseits der klösterlichen Gemeinschaft durchaus begünstigt, so entstanden rings um die Kirche prächtige Gebäude, die nach und nach den Charakter des Ortes prägten und mit ihrem geschlossenen Bild dem Ort zu dem Ruf verhalfen, der ihn heute als Touristenziel weltweit bekannt gemacht hatten. Diese Kulisse, und die Tatsache, dass Mondsee eigentlich eine klösterliche Gründung war, war dafür verantwortlich, dass das Gotteshaus nicht nur von seiner Größe, sondern auch von seiner Ausstattung und von seinem Flair her, prädestiniert war, für höhere Weihen herzuhalten. Kein Wunder also, dass eine amerikanische Produktionsfirma diesen Ort als Hochzeitskirche weltweit bekannt gemacht hatte. Eingeweihte wissen natürlich, dass von dem Film „The Sound Of Music“ die Rede ist, eine Produktion, die weltweit bekannt ist, lediglich in Österreich eigentlich nur Insidern bekannt ist. Manche der Einheimischen wundern sich heute noch, was die täglich in Bussen ankommenden Touristen in Mondsee so fasziniert. Wie Maria bei ihrer Erklärung des Marktes anmerkte: „Man könnte so viel Geschäft machen mit diesem Geschenk der Amis, …“

Da nach der Filmhochzeit eine Kutschenfahrt anschloss, welche die gesamte Naturkulisse richtig professionell in Bild brachte, war auch diese Tour Standard bei sämtlichen Besichtigungstouren – und diese Tour führte nach Salzburg. Salzburg lag, mit dem Auto, 20 Minuten entfernt. Ein Klacks. Wenn man die Geschwindigkeitsbegrenzung missachtete und in der Stadt Glück mit einer grünen Ampelwelle hatte, konnte man es sogar in zehn Minuten bis zum Bahnhof schaffen.

Ein idealer Punkt.

Mit einem Wort. Mondsee bildete einen idealen Ausgangspunkt, sowohl für legale wie auch illegale Geschäfte.

Von der Seepromenade führte neben der Allee auch ein Wanderweg durch eine der Seewiesen Richtung Ort. Wenn man diesem folgte, gelangte man über den Karlsgarten auf den Kirchenplatz. Im Sommer gab es allerdings ein Hindernis, allerdings nur zu den bespielten Zeiten: Der Mondseer Jedermann hatte hier seinen Aufführungsort. Jetzt, während des Seefestes, machte man sich natürlich keine gegenseitige Konkurrenz, also konnten Ursprunger und Schwaiger von dem Weg vom See aus über die Bühne den Garten betreten, der durch seine alten Bäume tagsüber für einen angenehmen Schatten sorgte. Die Bänke waren beliebte Rastplätze. Tagsüber für die Bewohner des nahe gelegenen Altenheimes, nachts für zahlreiche Jugendliche, die noch über zu wenig finanzielle Mittel verfügten, ihre Zeit in den Schankgärten zu verbringen.

„Schau mal, wen wir da antreffen!“, sagte Maria, die Karl Reiter auf den ersten Blick erkannt hatte.

„Hier hat er wohl seinen Umschlagplatz“, vermutete Ursprunger.

„Ich bin nicht von der Drogenfahndung“, klärte Maria ihn auf, „frage mich also nicht etwas, das ich nicht wissen kann.“

„Es muss euch ja nicht alles verborgen bleiben“, murrte Ursprunger.

Jetzt wurde Maria das erste Mal richtig erregt.

„Hör mal zu, du Klugscheißer, du machst deinen Job und ich meinen. Vielleicht schadet es dir überhaupt nicht, wenn du wieder einmal einen Monat mit mir Dienst wechselst und meinen Streifendienst übernimmst. Dann siehst du, mit welchen Problemen wir wirklich konfrontiert sind. Mag schon sein, dass wir einen Junkie aufgreifen, aber den Drogenhandel werden wir hier ohne weitere Anhaltspunkte mit einem Junkie nicht lösen können.“

„Komm wieder runter, Maria! Ich wollte dich nicht persönlich angreifen. Bist du bereit, dass wir den Dicken ansprechen?“

Da Maria nickte, steuerte Hanns Ursprunger direkt auf die Bank zu, auf der Karl Reiter saß. Sie nahmen ihn wieder in ihre Mitte.

„Hallo Karl“, begrüßte ihn Ursprunger und hielt ihm gleich seine Polizeimarke unter die Nase. „Wir möchten uns ein wenig mit dir unterhalten.“

„Ich habe nichts getan“, kam gleich die erste Abwehrreaktion des Dicken. Auf Grund seiner Statur stand ihm plötzlich die doppelte Anzahl von Schweißperlen auf der Stirn, und das, obwohl die Sonne schon längst nicht mehr schien. Auch unter seinen Achseln breitete sich die schweißdurchnässte Fläche aus. Trotz der in einiger Entfernung stehenden Laterne bemerkte Ursprunger diesen Umstand.

„Du wirst doch kein schlechtes Gewissen haben“, sagte er in einem freundlichen Ton und blickte Karl offen an. Der wusste natürlich genau, dass der Tonfall des Polizisten mit seinen wahren Empfindungen absolut nichts zu tun hatte.

„Weshalb sollte ich ein schlechtes Gewisse haben, ich habe doch nichts getan?“

„Solange du das als Frage stellen musst. Weißt du es nicht selber?“

„Was?“

„Na, dass du etwas angestellt hast.“

„Verdammt, ich habe nichts angestellt. Was willst du mir unterstellen?“

„Wir wollen dir überhaupt nichts unterstellen. Wir haben lediglich eine Frage gestellt“, klärte ihn Maria auf.

„Karli, Karli …“, begann Ursprunger in singendem und tadelndem Ton.

„Ich bin nicht dein Karli!“, verwehrte sich Karl Reiter diese Anrede.

„Dann machen wir es direkt!“ Ursprungers rechte Hand ergriff den linken Arm von Karl Reiter und presste ihn am Oberarm die Muskeln zusammen. Er kannte genau die Stelle, an der mit minimalem Kraftaufwand der höchstmögliche Schmerz zu erzielen war. Besonders dann, wenn er Daumen und Zeigefinger gegenseitig auf und ab bewegte. Der Dicke zuckte zusammen und musste einen Schmerzensschrei unterdrücken.

„He, das darfst du nicht!“, rief er.

„Du darfst auch keine Drogen verkaufen“, stellte Ursprunger klar und sagte: „Du hast doch Franz Mock gut gekannt. Hast du ihn etwa umgebracht?“ Um ihn nicht noch mehr zu reizen, lockerte er den Druck auf Karls Muskeln.

„Das willst du mir anhängen?“

„Wenn ich keinen anderen Mörder finde …“ Ursprunger ließ den Satz unvollendet ausklingen und Karl Reiter in einem Sturm der Gefühle zurück.

„Das kannst du mir nicht anhängen! Du hast keine Beweise dafür.“

„Die werde ich schon finden.“

„Die kannst du gar nicht finden, denn ich war es nicht.“

„Aha. Dann nähern wir uns also der Situation, die wir zu Anfang hatten. Was kannst du mir über Franz Mock erzählen? Wer hatte wohl ein Interesse daran, ihn zu ermorden?“

„Was weiß ich?“

„Du warst es also nicht?“

„Was soll diese blöde Frage?“

„Oh, das ist schon mancher drauf reingefallen.“

„Dann muss er schon dumm gewesen sein.“

„Du musst das anders herum sehen, Karl. Sie haben sich nicht als dumm gesehen, sondern als sehr clever. Dabei halten sie sich immer für klüger. Wir Polizisten sind ja immer die Dümmeren.“

Karl blickte Ursprunger an. Er war sich anscheinend nicht im Klaren, ob er jetzt auf den Arm genommen wurde oder nicht. Am besten war es wohl, wenn er diese Situation einfach ignorierte. Er verhehlte nicht, dass er sich unwohl fühlte. Am liebsten wäre er einfach aufgestanden und davon gegangen, aber irgendwie war er sich ziemlich sicher, dass ihm der Bulle das nicht durchgehen hätte lassen. Er wäre ihm zumindest nachgegangen und hätte ihn begleitet. Bis er darauf gekommen wäre, dass er gar kein Ziel ansteuerte.

Verdammt, heute war der erste Tag des Seefestes In Mondsee. Da hätte er gute Geschäfte machen wollen. Und jetzt hatte er einen Bullen im Schlepptau. Der vermieste ihm natürlich das ganze Geschäft. Er ergab sich also der Situation. Mit einem Seufzer in der Stimme, sagte er endlich: „Sag schon, was liegt an?“

„Wer hat Franz Mock umgebracht? Ich denke, du weißt, wer es war.“

„Wie kommst du darauf?“

„Na, erstens war er dein Freund, zweitens warst du vielleicht nicht dabei“ – dass Ursprunger ihm hier eine Verteidigungsbrücke baute, bekam Karl Reiter nicht mit – „und drittens kann man selbst in Mondsee nicht einfach so jemanden um die Ecke bringen, ohne dass es jemand mitbekommt.“

„Ich weiß es trotzdem nicht“, beharrte Karl.

„Dann werden wir dich wohl mitnehmen müssen, bis dir etwas einfällt“, sagte Ursprunger und holte aus seiner Gesäßtasche – auf Grund der Temperaturen trug er keine Jacke – Handschellen hervor.

„Das geht nicht! Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen.“

„Was regst du dich auf?“, meinte Ursprunger. „Ich will etwas wissen. Du willst etwas loswerden …“ Die Augen des Polizisten blickten fragend sein Gegenüber an.

„Du kannst mich verprügeln, ich kann dir trotzdem nicht mehr sagen“, sagte Karl Reiter und wandte sich fast hilfesuchend an Maria Schwaiger:

„Können Sie mich vor dem Wahnsinnigen retten?“

„Gib einfach eine klare Antwort“, riet ihm die Polizistin.

„Was will er denn wissen?“, rief Karl fast verzweifelt?

„Was weißt du über den Mord an Franz Mock. Wer hat ihn umgebracht? Und weshalb?“

„Zumindest bei einer der Fragen solltest du uns weiterhelfen können“, ergänzte Hanns Ursprunger.

„Franz wollte immer an die Spitze der Organisation drängen. Ich glaube, er wusste, wer hier der Boss war. Irgendwie hat er geglaubt, das schützt ihn.“ Karl Reiter schwieg.

„Wie geht es weiter?“

„Das ist alles. Franz hat immer eine große Klappe geführt. Und eines Tages wartete er mit der Nachricht auf, dass er die Führungsebene geknackt hat. Genau das waren seine Worte. Er hat sie geknackt. Aber er hat uns natürlich nichts verraten. Das wollte er anscheinend allein durchziehen – und den ganzen Gewinn selber einheimsen.“

„Er hat doch wohl eine Andeutung fallen lassen.“

„Nein, hat er nicht!“

„Hast du Wully in der Zwischenzeit getroffen?“

„Klar, der hat mir auch erklärt, dass ihr nur an Franz interessiert seid.“

„Halte dich heute trotzdem zurück! Die Kollegen der Drogenfahndung sind ebenfalls unterwegs, aber das ist vermutlich kein Geheimnis für dich. Und sieh zu, dass du nicht auf frischer Tat ertappt wirst. Kann sein, dass ich dich noch brauche, und dann würde ich dich nicht gerne in einer Zelle sprechen.“

*

Ein kurzes Treffen mit seiner Gattin war möglich. Es reichte gerade für ein Gespräch und eine Absichtserklärung, so früh wie möglich den Dienst zu beenden. Maria Schwaiger sah sich in der Zwischenzeit auf dem Festivalgelände um und verharrte eine Weile bei den Unterhaltungsbuden, dem Ringelspiel, den Auto- Scootern und dem Tagada und ähnlichen Attraktionen.

Das Publikum setzte sich aus den Schülern aus der Mittelschule und den ersten Jahrgängen der höheren Schulen zusammen. Hier ging es zwar hoch her, aber die Klientel war, von ein paar Ausnahmen abgesehen, nicht ihre Zielgruppe. Zwar gab es stets solche, die sich besonders cool vorkommen wollten und als älter gelten wollten, als sie eigentlich waren, aber sie waren so wenige, dass sie sie vernachlässigen konnte.

Dabei, überlegte sie, wäre hier ein Ansatz gegeben, um künftige Schwierigkeiten von Beginn an zu minimieren, wenn man sich gerade um diese wenigen Möchtegerns kümmerte.

Maria schlenderte langsam zurück. Sie kam nicht umhin, Hanns Ursprunger zu beobachten, der sich richtig unbefangen mit seiner Angetrauten und deren Freundin amüsierte. Sie gestand sich ein, dass ihr diese Leichtigkeit noch abging. Sie setzte sich dennoch zu ihm. Hanns Frau musterte sie unverhohlen. Sie war von gleichen Typ.

Eine Gefahr, durchzuckte es die Frau . Aber sie sprach es nicht aus, Immerhin vertraute sie ihrem Mann so weit, dass sie wusste, dass er sich unbesonnen in einen Abenteuer stürzen würde.

„Heute Nacht wird niemand die Nachtlokale besuchen“, bemerkte die Gattin des Polizisten. „Eure Nacht braucht nicht so lange werden.“

„Täuschen Sie sich nicht!“, wandte Maria ein, weil sie einfach dachte, sie musste etwas sagen, um ihr Hiersein zu rechtfertigen. „Ein Festival-Besucher findet hier sein Auslangen, aber wer etwas Bestimmtes sucht, der sucht das Lokal auf, von dem er weiß, dass er dort das bekommt, was er sucht.“

„Du drückst dich sehr neutral aus“, bemerkte Hanns‘ Frau.

„Sie weiß nicht, worüber du informiert bist“, erklärte Hanns. „Aber sie hat recht. Einen Disco-Besuch werden wir uns heute nicht ersparen können.“

„Soll ich dich etwa begleiten?“

„Nicht notwendig“, antwortete Hanns. „ Es gibt manche Aktionen, da habe ich dich lieber nicht dabei.“

*

Die Mondseealm war trotz des Trubels am See gut besucht. Die Disco befand sich etwas außerhalb des Zentrums. Mit Ausnahme eines McDonald`s und einer Tankstelle gab es hier keine unmittelbaren Nachbaren. Günstig für das Nachtgeschäft, da kein Anrainerprotest zu erwarten war.

Das Geschäft der Disco ging ohnehin erst nach Mitternacht so richtig los. Und der Umsatz wurde an den Bars gemacht. Deshalb gab es auch mehr als eine.

Eine Zeitlang beobachten Hanns Ursprunger und Maria Schwaiger das Geschehen, ehe sie sich in den Trubel stürzten, das heißt, eigentlich nur Hanns, denn Maria blieb die stille Beobachterin. Ihr genügte es bereits, von ihrem Beobachtungspunkt die Avancen der jungen Männer abzuwehren, die sie an eine andere Bar oder gar auf die Tanzfläche abschleppen wollten. Etwas, das sie unter anderen Umständen vielleicht sogar gefreut hätte.

Lang nach Mitternacht griff Hanns sie plötzlich an der Hand und zog sie von ihrem Mineralwasser fort und brachte sie vor die Tür. Dort hatte sich eine Gruppe von jungen Männern versammelt, die auf den ersten Blick ihrem Bedürfnis nach einer Zigarette nachgingen. Hanns nahm darauf keine Rücksicht.

„Polizei! Ich kontrolliere eure Ausweise!“, rief er schon beim Näherkommen und hielt ihnen seine Plakette entgegen.

Seine laute Stimme entging keinem der Männer. Schon in der ersten Sekunde erkannte Maria, weshalb Hanns so vorging, denn an dem Verhalten erkannte sie bei drei jungen Männern gleich, dass diese ein schlechtes Gewissen besaßen bzw. etwas zu verbergen hatten. Einer von ihnen sah sich bereits verdächtig nach einem möglichen Fluchtweg um.

Klar, dass er das erste Opfer von Hanns wurde. Hanns konnte es sogar nicht unterlassen, ihn darauf hinzuweisen.

„Wer so verdächtig aussieht, hat garantiert etwas zu verbergen!“

Der Junge zitterte etwas, fügte sich aber den Anweisungen. Er zückte seinen Ausweis und ließ anstandslos seine Personalien aufnehmen. Nur als es zur Körperkontrolle kam, weigerte er sich. Hanns schickte ihn mit Maria zum Polizeiauto. Dort sollte er auf ihn warten, und damit er schön dort blieb, passte Maria auf ihn auf.

Dann, mitten während der Kontrolle der restlichen Leute, fiel Hanns ein Gesicht auf, das er sich bereits auf der Festwiese eingeprägt hatte.

„Kontrollier‘ die Jungs und lass mich in Ruhe, du Idiot!“, raunte derjenige so leise, dass garantiert niemand außer Ursprunger ihn verstand.

„Das könnte dir so passen!“, sagte Ursprunger. „Personalausweis!“

„Ich führe keinen bei mir.“

„Du kennst den Sandlerparagraphen?“

„Festnehmen kannst du mich nicht!“, beharrte der andere und blickte Ursprunger wütend an. Der Sandlerparagraph, wie er im Umgangsjargon hieß, bedeutete nichts anderes, als dass man sich jederzeit ausweisen können musste. Wenn dies nicht der Fall war, hatte die Exekutive im Prinzip das Recht, die entsprechende Person bis zur Feststellung der Identität mitzunehmen.

„Name!“, verlangte Ursprunger energisch.

Während er dies noch sagte, bemerkte er, dass sich die anderen jungen Männer langsam von ihm entfernten. Da alle, die sich in seinen Augen irgendwie aufmerksam verhalten hatten, kontrolliert worden waren, ließ er sie abziehen. Dennoch nahm er die Personalien auf.

Als er dann zu Maria zurückkehrte, meinte der Mann spöttisch: „Was hat das alles gebracht?“

„Wir sehen uns noch!“

„Davon bin ich überzeugt. Doch jetzt kann ich wohl gehen, oder?“

Ursprunger nickte.

Krimi Doppelband 2220

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