Читать книгу Der Fall mit den Todesbriefen: Kommissar Jörgensen Hamburg Krimi - Alfred Bekker - Страница 5
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»Dies ist also deine neue Bude!«, lautete der Kommentar meines Kollegen Roy Müller, als ich ihm meine neues Apartment zeigte. »Bisschen eng, aber dafür hat man einen freien Blick auf die Elbe und sieht die großen Schiffe Richtung Nordsee dampfen.«
»Wieso eng?«, sagte ich.
»Naja...«
»Ich bin ja sowieso kaum hier. Die Dusche und das Bett - mehr brauche ich doch gar nicht. Schon die Küche ist überflüssig.«
»Ich weiß, was du meinst, Uwe.«
Mein Name ist Uwe Jörgensen. Ich bin Kriminalhauptkommissar in Hamburg. Mein Kollege Roy Müller und ich sind bei einer Spezialabteilung, die sich mit der Bekämpfung der organisierten Kriminalität befasst. Klingt interessant, oder? Hat auch ein paar Nachteile. Und einer dieser Nachteile war, dass ich nun schon zum dritten mal innerhalb weniger Monate meine Wohnung hatte wechseln müssen. Unser Job bringt es nunmal mit sich, dass man hin und wieder ein paar großen Tieren aus den kriminellen Netzwerken etwas wehtun muss. Und die Stelle, die ihnen am meisten wehtut, ist das Geld. Wenn man ihnen also auf irgendeine Weise das Geschäft kaputt macht, dann reagieren die mitunter sauer.
Naja, und außerdem sitzt in der JVA Fuhlsbüttel noch der eine oder andere Oberschurke, der von nichts so sehr träumt, als es mir so richtig heimzuzahlen.
Nach ein paar unangenehmen Vorfällen in der letzten Zeit, hatte ich mich überzeugen lassen, auf Nummer sicher zu gehen.
Eigentlich bin ich ja niemand, der einfach so aus dem Weg geht.
Aber mein Vorgesetzter, Kriminaldirektor Bock, und meine Kollegen aus der Abteilung hatten wohl Recht.
Besser, man ging auf Nummer sicher.
»Hast du dich denn schon ein bisschen eingelebt, Uwe?«
»Habe ich, Roy.«
Seine Mutter muss wohl ein Roy Black-Fan gewesen sein. Aber so gut Roy und ich uns auch in all den gemeinsamen Dienstjahren kennengelernt haben mögen - zu diesem Punkt wollte er sich bislang nie so richtig äußern.
»Ich denke, hier kannst du wenigstens etwas ruhiger schlafen«, meinte Roy.
»Keine Sorge, ich schlafe immer gut.«
»Na, dann...»
An diesem und am nächsten Tag hatte ich frei. Zwei freie Tage hintereinander, das kam bei mir ziemlich selten vor.
Jedenfalls erlebte ich eine unangenehme Überraschung, als ich die Post aus dem Briefkasten nahm, die der Postbote gerade eingeworfen hatte.
Normalerweise kriege ich das ja nicht mit, weil ich dann im Dienst bin.
Dass Post nicht immer angenehm ist, weiß jeder, der schonmal eine Mahnung im Kasten liegen hatte.
Aber der Brief, der bei im Kasten lag, hatte es in sich.
Der Inhalt des nichtssagenden Couverts bestand aus einem Computerausdruck, auf dem nur ein Satz stand: WIR WISSEN, WO DU WOHNST.
Na, großartig, dachte ich.
Aber dieser Brief ist nichts im Vergleich zu den Briefen, mit denen Roy und ich es ein paar Tage später zu tun haben sollten...
*
»Los!«, sagte Roy.
Mit einem mächtigen Tritt ließ ich die Tür des Apartments aufspringen. Den Griff meiner Waffe hielt ich beidhändig und ließ den Blick in Sekundenschnelle durch den Raum schweifen.
Nichts.
Eine Kommode, auf dem ein Telefon stand, eine Garderobe mit zwei Jacken daran und ein fleckiger Teppich, auf dem irgendwann einmal jemand eine halbe Flasche Rotwein vergossen haben musste.
Eine Tür führte in einen Nebenraum.
Sie stand halb offen.
»Vorsicht«, raunte mein Freund und Kollege Roy Müller. Auch er hielt die Waffe im Anschlag.
Mit einem Satz war ich neben der Tür und presste mich gegen die Wand. Gleichzeitig bellte ein Schuss in meine Richtung.
Es war die gewaltige Feuerkraft eines Magnum-Revolvers. Der Schütze feuerte einfach durch die Tür des Nachbarraums hindurch. Das Projektil riss ein faustgroßes Loch in die Tür, ehe es auf der anderen Seite des Raums einen Spiegel in Stücke gehen ließ.
Mit weiten Sätzen durchquerte Roy den Raum und riss die Tür zum Bad auf.
Er schaute in meine Richtung und schüttelte den Kopf.
»Hier ist die Kriminalpolizei!«, rief ich indessen laut. »Wenzel, wir wissen, dass Sie da drin sind! Geben Sie auf! Das Haus ist umstellt! Sie kommen hier nicht raus!«
Keine Antwort.
Auf der anderen Seite der zerschossenen Tür schien sich nicht das Geringste zu regen und die Stille, die dort herrschte, wirkte unwirklich.
Ich atmete tief durch.
Roy stellte sich auf die andere Seite der Tür.
Wir wechselten einen kurzen Blick.
Unser Gegner saß in der Falle - und das wusste er auch. Er hatte nicht den Hauch einer Chance, dieses Haus auf eine andere Weise zu verlassen, als in Handschellen.
Jeder andere hätte unter diesen Umständen vermutlich aufgegeben und sich lieber auf die Kunst der Anwälte als auf die eigenen Schießfertigkeiten verlassen.
Aber Wenzel war ein ganz besonderer Fall...
Der Mann, mit dem wir es zu tun hatten, war eine lebende Kampfmaschine. Ein Mann, der in perfekter Weise zum Töten ausgebildet war und den Mord zu seinem Beruf erkoren hatte.
In Frankfurt hatte er einen Mann mit einer zusammengerollten Zeitschrift getötet, mit der er seinem Gegner den Adamsapfel eingedrückt hatte. Wenzel war ein Mann, vor dem man sich in Acht nehmen musste - genau wie vor jenen, die sich seiner Dienste versichert hatten...
Niemand wusste, wie viele Menschen dieser Kerl umgebracht hatte, der einmal unter dem Namen Gabriel Wenzel geboren worden war und seitdem unter Dutzenden von Identitäten gelebt hatte. Zuletzt hatte er eine Stellung als Barmixer gehabt.
Eine Tarnung, sowohl für ihn selbst als auch für jenen Mann, dessen Drecksarbeit Wenzel zuletzt vermutlich verrichtet hatte: einen gewissen Mario Russo.
Wenzel war eine Art Mischung aus Chamäleon und Bluthund. Als Chamäleon verhielt er sich uns gegenüber - den Bluthund spielte er für seine Auftraggeber.
Wenzel hatte nichts zu verlieren.
Und das machte ihn unberechenbar.
Er würde buchstäblich über Leichen gehen. In Berlin hatte er sich vor zwei Jahren gegenüber vier Kollegen, die ihn festnehmen wollten, den Weg freigeschossen. Er kannte keine Rücksicht weder gegen sich selbst noch gegen andere.
Ich packte meine Waffe fester, als ich von der anderen Seite der Tür ein Geräusch hörte. Irgendetwas wurde geschoben...
Dann hörte ich Schritte...
Ich sah Roy an.
Mein Freund nickte.
»Jetzt«, zischte ich.
Ein Tritt öffnete die Tür. Ich stürmte vorwärts. Sekunden zwischen Leben und Tod, in denen alles geschehen konnte.
Eine Gestalt kletterte durch das Fenster.
Weit aufgerissene, entschlossen dreinblickende Augen sahen mich an. Das Haar fiel ihm tief in die Stirn. Zwei Reihen makelloser Zähne bleckte er wie ein Raubtier.
Und in der Rechten hielt er den gewaltigen Magnum-Revolver, dessen 45er Kaliber einem den halben Kopf wegblasen konnte.
Wenzel war schon halb aus dem Fenster heraus. Er hing noch mit der Kniekehle des rechten Beins auf der Fensterbank.
Seine Muskeln und Sehnen spannten sich. Vermutlich wollte er über die Feuertreppe entkommen.
»Waffe weg, Wenzel!«, brüllte ich.
Sekundenbruchteile lang hing alles in der Schwebe.
Aber Wenzel war in jeder Hinsicht Profi.
Er wusste, dass er seine Waffe nicht mehr hochreißen und abfeuern konnte, bevor ich ihm eine tödliche Kugel in den Oberkörper gejagt hätte.
Er wusste es und deshalb löste sich die Spannung seiner Arm-Muskeln ein wenig. Sein Gesicht verzog sich zu einem hässlichen Grinsen.
Und dann ließ Wenzel tatsächlich seine Waffe fallen. Mit einem harten Geräusch kam sie auf den Parkettboden auf.
»Zufrieden?«, knurrte er.
Sein Gesichtsausdruck wirkte wölfisch. Es waren nicht die Züge eines Mannes, der gerade aufgegeben hatte und sich mit dem Gedanken anfreunden musste, sich bald vor einem Gericht zu verantworten.
»Kommen Sie ganz langsam wieder herein!«, forderte ich.
Roy war neben mir und nahm den Walkie-Talkie aus der Manteltasche.
»Hier Kollege Müller. Wir haben ihn.«
Ich machte einen Schritt nach vorne und sagte: »Sie sind verhaftet, Wenzel. Sie haben das Recht zu schweigen. Falls Sie auf dieses Recht verzichten, kann alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht...«
»Spar dir die Litanei!«, grunzte er.
Irgendetwas stimmt nicht, ging es mir durch den Kopf. Ich zermarterte mir in diesen Sekunden den Kopf darüber, was es wohl war... Mein Instinkt schlug Alarm und ich war immer gut damit gefahren, auf ihn zu hören. Ich ließ kurz den Blick schweifen.
Die Einrichtung war nichts besonderes. Vermutlich hatte Wenzel das Zimmer möbliert übernommen. Kaufhausmöbel, die man selbst zusammenbauen musste. Nachgemachtes Kiefernholz. Die Sessel wirkten schon ziemlich abgenutzt und fast ein bisschen durchgesessen. Auf einem niedrigen Glastisch lagen einige Zeitschriften, deren Titelbilder zumeist nackte Frauen mit riesigen Brüsten zeigten.
Unruhe erfüllte mich.
Ich blickte wieder zu Wenzel.
Er bewegt sich zu langsam!, durchfuhr es mich. Aber ich wusste nicht, wie ich das interpretieren sollte. Und dann war da dieses Geräusch...
Ein Ticken.
»Verdammt!«, rief Roy.
In derselben Sekunde begriff ich es auch.
Mit einem ohrenbetäubenden Knall schien alles zu explodieren. Glas splitterte. Die Sitzecke flog in Fetzen auseinander.
Ein wahres Inferno brach aus.
Ich fühlte die mörderische Hitze und die Druckwelle. Hart kam ich auf den Boden. Durch das Chaos hörte ich Roys heiseren Schrei.
Wenzel hatte uns hereingelegt!