Читать книгу Die blinde Nonne: Die venezianische Seherin 2 - Alfred Bekker - Страница 5
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Ricardo D‘Andrea war zwar durchaus trinkfest, doch er tat nur so, als würde er gemeinsam mit seinem angeblichen Kumpel von früher, Arrenzio, dem Wein überreichlich zusprechen. Meist landete die eigentlich kaum genießbare Brühe am Boden. Was nicht weiter auffiel bei dem unbeschreiblichen Schmutz und Unrat, mit dem dieser ohnedies bereits flächendeckend übersät war.
Nein, Ricardo blieb bewusst nüchtern, während die zunehmend glasiger werdenden Augen des miesen Zuhälters namens Arrenzio ihm verrieten, dass es diesem nicht ganz so gut erging. Allerdings hatte Arrenzio auch noch im betrunkenen Zustand seine Zunge weitgehend unter Kontrolle. Zu Ricardos Leidwesen. Weshalb er nichts zu hören bekam, was ihn im Fall des Serienmörders weitergebracht hätte. Auch nicht im Fall der gestohlenen Pestlaken. Ja, zu Ricardos Leidwesen. Weshalb er sich allmählich schon zu fragen begann, ob dies wirklich die richtige Strategie war, um auch nur irgendwie weiterzukommen.
Bis jemand in der Tür erschien und nach kurzem Suchen Arrenzio entdeckte, um auf diesen schnurstracks zuzusteuern.
Ricardo erkannte ihn auf Anhieb und ging rechtzeitig in Deckung. Immerhin ein Mann, der in dieser Umgebung wie der sprichwörtliche bunte Hund wirkte. Und man sah ihm überdeutlich an, dass er nicht ganz freiwillig hier erschien, sondern dass ihn der blanke Zorn leitete.
Arrenzio bekam es am eigenen Leib zu spüren, als ihn dieser Carmaro di Laurentis reichlich brutal am Rockaufschlag packte und gründlich durchschüttelte.
Wenn jemand es wagte, mit dem bulligen Zuhälter dermaßen umzuspringen, musste das eine ganz besondere Bedeutung haben, und Ricardo bemühte sich dabei weiterhin, nicht umgekehrt auch von diesem di Laurentis erkannt zu werden. Das hätte ihm nämlich gerade noch gefehlt. Denn Carmaro di Laurentis gehörte zu den hoch angesehenen Bürgern dieser Lagunenstadt. Er war jemand, der im Dogenpalast ein und aus gehen konnte, wie es ihm beliebte. Und damit war er immerhin jemand, den man niemals in einer solch verruchten Umgebung vermutet hätte.
Und sein Zorn auf Arrenzio war immerhin so groß, dass er überhaupt kein Auge für Ricardo hatte, dessen Anwesenheit er ganz einfach übersah. Er hätte nur einmal genauer hinsehen müssen, um Ricardo als den Geheimbeauftragten des Dogen zu erkennen. Denn jemand wie Carmaro di Laurentis wusste zwar nichts über die besondere Rolle Ricardos, aber sicherlich doch, dass er ein D‘Andrea war.
Dass er ihn nicht einmal bemerkte, war unter anderem sicherlich auch der Tatsache geschuldet, dass er Ricardo genauso wenig an diesem Ort erwartete.
Sicherheitshalber zog sich Ricardo dennoch weiter vom Tisch zurück, was für Außenstehende eher so wirkte, als wollte er dem sich anbahnenden Streit aus dem Weg gehen, und nicht so, als hätte er vor dem Adligen etwas zu verbergen.
Doch es kam überhaupt nicht zum Streit. Der körperlich überlegene Arrenzio duckte sich sogar vor Carmaro di Laurentis und ließ es sich demütig gefallen, von diesem ordentlich durchgeschüttelt zu werden wie ein nichtsnutziger Schuljunge, bis Carmaro di Laurentis ihn wieder losließ und nicht nur von der vorausgegangenen Anstrengung keuchend, sondern immer noch eher vor Zorn Arrenzio anzuraunzen: „Du wagst es, mich zu versetzen? Mich doch tatsächlich dort draußen in Gestank und Unrat über Gebühr warten zu lassen auf dich Abschaum?“
Arrenzio erschauerte vor Ehrfurcht, wie es erschien. Er beugte den Rücken vor dem Adligen, als sei dieser der Allmächtige in Person.
„Es – es tut mir leid, Eure Exzellenz, aber – aber ich habe es glatt vergessen. Wird nie wieder vorkommen.“
„Das will ich dir auch geraten haben. Sonst wird es kein nächstes Mal mehr geben können für dich. Ich werde dich zertreten wie einen Wurm.“
Solche Töne hätte Ricardo ausgerechnet von einem Carmaro di Laurentis niemals vermutet. Er kannte ihn zwar nur eher flüchtig, aber bislang hatte di Laurentis auf ihn tatsächlich einen eher ruhigen und sogar äußerst besonnenen Eindruck gemacht.
Ein Trugbild, das zu seiner offiziellen Rolle als Ratsmitglied passte und das er jedem vorgaukelte, dem er begegnete. Hier und jetzt jedenfalls war diese Maske endgültig gefallen. Weil der Zorn ihn übermannt hatte? Ein Zorn, verursacht durch Arrenzio, der durch die Begegnung mit Ricardo die Zeit und vor allem seine Verabredung mit diesem mächtigen Mann vergessen hatte?
Das ließ Ricardo natürlich grübeln. Es sah ja gerade so aus, als sei Arrenzio nicht nur der gefürchtete Zuhälter, sondern würde auch in irgendeiner Weise in den Diensten von Carmaro di Laurentis stehen.
Und wie sahen diese Dienste aus?
Ricardo glaubte inzwischen längst nicht mehr, dass Arrenzio irgendetwas mit diesem Serienmörder zu tun haben könnte. Aber es hatte sich in ihm tatsächlich die Gewissheit breit gemacht, dass er durchaus eine Rolle spielte beim verbotenen Handel mit Pestlaken und Kleidungsstücken von an der Pest Verstorbenen.
Und jetzt wirkte dies alles hier tatsächlich so, als wäre die Rolle von Carmaro di Laurentis in dieser Angelegenheit vielleicht sogar noch größer ...
Ricardo bemühte sich weiterhin, nicht von diesem erkannt zu werden, und spitzte seine Ohren, damit ihm auch ja nichts Wichtiges entgehen konnte.
Doch es geschah nichts weiter. Der Adlige wandte sich brüsk ab und stolzierte nach draußen; von Arrenzio gefolgt wie von einem begossenen Pudel.