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Ein ziemlich rauer und sehr feuchter Wind strich vom Land herüber und sorgte dafür, dass sich die Ostsee wieder einmal von ihrer unangenehmsten Seite zeigte. Die Bootsmannschaft nannte die kurzen, flachen Wellen kabbelige See und gut auszuhalten, aber die bewaffneten Krieger an Bord litten darunter sehr. Einige von ihnen zeigten eine ungesunde, fahle Gesichtsfarbe, andere hatten sich bereits übergeben und damit den Spott der Seeleute auf sich gezogen.

Etwas Gutes hatte dieser ablandige Wind jedoch.

Bislang konnten sich die fünf Boote zwar nur langsam vorwärtsbewegen, aber sie befanden sich zugleich im Schutz einer dichten Nebelbank, die ihnen die Annäherung zum Ziel erleichterte, denn damit würden sie lange Zeit genug unentdeckt bleiben ...

Doch jetzt trieb der weiter auffrischende Wind die grauen Schwaden auseinander, und allmählich klärte sich die Aussicht auf die flachen, kurzen Wellen.

Im Bug des vordersten Bootes vom Typ einer Snekke, wie sie gern in Küstennähe verwendet wurden, stand ein graubärtiger Mann, dessen Stirnadern dick vor Zorn hervortraten.

Der Waffenmeister hielt sich mit einer Hand am geschnitzten Bugkopf des Bootes fest, die andere hatte er zur Faust geballt und schlug sich damit immer wieder an den Oberschenkel. Dietrich war wütend, und seine Männer hatten das schon zu spüren bekommen. Als sich die beiden ersten würgend über den Bootsrand beugten, war er zwischen den Ruderern hindurchgegangen, hatte sie verflucht und musste schließlich einsehen, dass gegen diese Krankheit auch kein noch so lautes Brüllen half.

Jetzt aber straffte sich die kräftige Gestalt des Waffenmeisters. Der Nebel lichtete sich, die Sonne kam hervor. Er hob die rechte Hand als Sonnenschutz an die Stirn und strengte seine Augen an. Dann drehte er sich zu den Ruderern herum und rief so laut, dass auch der letzte Mann aus seiner Lethargie aufschreckte: „Segel voraus! Rudert, ihr Schwächlinge, rudert, als ginge es um euer Leben!“

Die Snekken oder manchmal auch einfach nur Schniggen genannt, besaßen einen Mast, und auf ein Zeichen des Bootsführers wurde jetzt auf allen Booten gleichzeitig das Hauptsegel aufgezogen. Der Wind fasste kräftig in den Wollstoff und blähte das große Tuch, die Ruderer stemmten sich fester in die Bodenplanken, zogen die Ruderblätter kraftvoll durch und brachten das Langschiff auf einen Kurs, der parallel zu dem winzigen weißen Punkt am Horizont lag.

Vierzig kräftige Männer arbeiteten gleichmäßig und ließen die Entfernung schnell schrumpfen. Mit Befriedigung sah Dietrich jetzt auch die anderen Boote links und rechts von ihm auftauchen. Jedes dieser seit vielen Jahren bewährten Boote war mit vierzig Ruderern besetzt, dazu kamen weitere fünfzig Bewaffnete, die auf den Planken hockten, so, wie es sich am besten für sie einrichten ließ. Platz gab es kaum genug für die neunzig Männer, aber das war ihnen egal.

Die Fahrten waren kurz, die Boote konnten leicht bewegt und zudem auch über kurze Landstrecken getragen werden. Trotz der häufig auftretenden Seekrankheit waren die Ruderer und die Waffenknechte inzwischen ein eingespieltes Team. Der Zuruf ihres Anführers beschleunigte die einzelnen Ruderschläge, jeder brannte darauf, so schnell wie möglich den Kampf zu beginnen.

Allmählich glätteten sich die verkniffenen Gesichtszüge des Waffenmeisters. Wer ihn aus der Nähe hätte beobachten können, hätte gemerkt, dass seine Augen geradezu vor Erregung zu strahlen schienen. Immer häufiger blickte er sich nach den anderen Booten um, die jetzt alle wie ein Wolfsrudel aus dem Hinterhalt auftauchten und sich dem nun gut erkennbaren Segel entgegenwarfen.

Noch war auch für Dietrich auf seinem leicht erhöhten Standpunkt nicht mehr als das Segel der Karfe zu erkennen. Die anderen, weitaus kleineren Boote konnte er noch nicht einmal ausmachen, wenn er seinen Trick anwendete. Der kampferprobte Waffenmeister Heinrich des Löwen war mit Recht noch immer stolz auf sein scharfes Auge.

Aber er hatte auch gelernt, dass man seinen Blick auf weit entfernte Objekte schärfen konnte, wenn man die Faust bis auf einen kleinen Tunnel schloss. Das tat er jetzt, dann drehte er sich zur Mannschaft um und gab einem der Bogenschützen ein Zeichen.

Der Mann griff zu dem Glutbecken und fachte die glimmende Holzkohle an.

Dietrich hob den Arm, um auch von den anderen Booten gesehen zu werden.

Auch die Männer auf den anderen vier Langbooten wussten, dass gleich darauf das Signal gegeben wurde. Alle Ruderer verdoppelten ihre Anstrengungen, vergessen schien alles Unwohlsein, auch bei den Waffenknechten, die am meisten unter den kurzen, harten Wellen gelitten hatten.

Als Dietrich nun die Karfe deutlich erkennen konnte, gab er den Bogenschützen das verabredete Signal. Gleich darauf stiegen zischend fünf Brandpfeile steil in die Luft, beschrieben einen weiten Bogen und versanken dann wieder im Meer. Die Besatzung der Karfe konnte die Zeichen nicht übersehen, und tatsächlich stieg auch gleich darauf ein Brandpfeil von ihrer Seite hoch hinauf in die jetzt gleißende Sonne. Die letzten Nebelschwaden waren vertrieben, die Sonne gleich darauf kräftig und brennend, als wollte sie die Zeit nachholen, in der ihr der Nebel kein Durchdringen erlaubt hatte.

Die fünf Langboote hatten sich geschickt an der moorigen Küste vor der Insel Rugia (Rügen) verborgen gehalten, waren dann auf ein Signal des Waffenmeisters hinaus auf das Meer gefahren und nun dabei, der Karfe zu begegnen.

Zugleich mit dem Brandpfeil von Bord der Karfe hatte man dort einen anderen Kurs eingeschlagen, der jetzt direkt auf die Küste führte und sich damit den fünf Booten unter der Führung des Waffenmeisters näherte.

Jetzt konnten die Ruderer auf den fünf Langbooten auch die Verfolger erkennen. Es waren drei kleine, schnelle Boote, die in der Karfe eine leichte Beute vermuteten und sie seit dem Passieren der Landspitze ausgemacht hatten.

Auch die Verfolger benutzten die wendigen Boote vom Typ der Snekke, aber sie waren nur etwa halb so lang und hatten nur jeweils zwanzig Mann Besatzung, die auch ruderten. Nach Art der Nordmänner, die in den letzten Jahrhunderten die Küsten verunsicherten und unter ihren Anführern wie Harald Blåtand oder dessen Erzfeind Bolthar Angst und Schrecken verbreiteten, waren auch die Ranen von der Insel Rugia inzwischen zu einer großen Bedrohung aller Handelsschiffe auf dem Mare Balticum, der späteren Ostsee, geworden.

Das sollte sich mit dem heutigen Tag ändern.

König Valdemar den Store von Dänemark hatte mit dem Herzog von Sachsen und Baiern, Heinrich dem Löwen, bereits im Jahre 1158 ein Bündnis gegen die Obotriten geschlossen.

Es kam zu einem regelrechten Kreuzzug gegen die Wenden (Slawen), der zunächst bei der Burg Dobin von Heinrich ergebnislos abgebrochen wurde. Aber in weiteren Schlachten gelang es den Verbündeten, die Obotriten zu schlagen. Ihr Anführer Niklot konnte sich zunächst mit der Abtretung von Ländereien freikaufen, aber bei einer neuerlichen Schlacht um die Burg Werle wurde er schließlich doch getötet. Anschließend setzte der Herzog seine Ministerialen als Verwalter ein und hatte sich nun zu einem neuen Feldzug entschlossen, weil König Waldemar, wie ihn die Sachsen nannten, erneut um Hilfe gebeten hatte.

Kaum waren die Obotriten geschlagen, meldeten sich die Ranen verstärkt zurück, ein nicht minder wildes Kriegervolk, dass für seine Seeräuberei berüchtigt war. Die Ranen unter ihrem Fürst Jaromar I. waren gefürchtet wie einst die Nordmänner, überfielen nicht nur die Handelsboote, sondern auch immer wieder die Fischerdörfer an der dänischen Küste. König Waldemar tobte vor Zorn, als man ihm von den neuen Überfällen berichtete, und schwor den Heiden Rache und blutige Vergeltung.

Man erzählte sich unter den Kriegern, die jetzt als vereintes Heer loszogen, um ihnen das Handwerk zu legen, dass der König geschworen habe, die Götterstatue des vierköpfigen Obergottes Svantevit eigenhändig zu stürzen und in Stücke zu schlagen.

Das war so recht nach dem Willen und Geschmack Herzog Heinrichs, und während er selbst auf dem Landweg mit einem Heer heranrückte, hatte er seinem Waffenmeister Dietrich von der Okeraue aufgetragen, mit einer starken Mannschaft das Baltische Meer von den Ranen zu befreien.

Fünf Langboote mit Sachsen und Dänen waren unterwegs, als die Falle vor der Insel Rugia zuschnappte. Die Ranen, die eben noch die nur von gut dreißig Mann geruderte Karfe für sichere Beute hielten, griffen das Schiff an und mussten erkennen, dass man keineswegs so hilflos war, wie es diese Küstenschiffe für gewöhnlich waren.

Allerdings hatte man das einzige Segel eingeholt, die Karfe trieb nur noch ein wenig mit den Wellen und schien sich in ihr Schicksal zu fügen.

Als aber die Ranen unter großem Geschrei das Schiff entern wollten, stießen sie unerwartet auf heftigen Widerstand, bei dem einige Bogenschützen die Mannschaft unterstützten.

Innerhalb kürzester Zeit waren alle drei Ranen-Boote in das Kampfgeschehen verwickelt, und keiner der einhundertzwanzig Krieger hatte mehr ein Auge für die jetzt heranschießenden Langboote der vereinigten Sachsen und Dänen. Eben noch – trotz der Gegenwehr – damit beschäftigt, mit allen Mitteln an Bord der Karfe zu gelangen, erscholl plötzlich hinter ihnen ein vielstimmiger Schlachtenschrei, der sie innehalten ließ.

Fünf Boote, schnell und wendig, führten insgesamt vierhundertfünfzig kampferprobte Männer heran, um die kleine Besatzung der Karfe in ihrem Kampf zu unterstützen. Und auch an Bord der Karfe waren mehr Männer versteckt, als man sonst zum Führen des Bootes benötigte. So kamen auf jeden Ranen nahezu vier Gegner, und trotzdem flohen diese Krieger nicht, sondern stellten sich zum Kampf.

Einer ihrer Anführer rief etwas, und der Angriff geriet ins Stocken, um sich dem neuen Gegner zu stellen. Schon schlugen die ersten Klingen der Eineinhalbhänder gegen die kurzen Sax-Schwerter, wurden Lanzen nach vorn gestoßen und von Äxten pariert.

„Vorwärts, und schont keinen!“, brüllte der Waffenmeister über die Köpfe seiner Gefolgsleute und sprang mit einem kühnen Satz mitten unter die Angreifer. Die Ranen führten überwiegend die kurzen Sax-Schwerter, die sich bei den Nordmännern auf ihren Wiking-Fahrten bewährt hatten. Dietrich und seine Krieger, die den Kampf auf dem Land zu Fuß und zu Pferd kannten, hatten ihre Erfahrungen in den ersten Seeschlachten gegen die Obotriten gewonnen und setzten sie auch jetzt wieder um.

Bogenschützen gab es nur bei Dietrichs Männern und auf der Karfe, und die Ranen bemühten sich, mit ihren kleinen Rundschilden die Pfeile abzufangen, was nur gelegentlich half, denn das Kampfgetümmel ließ ihnen nur wenig Raum.

Ihre Boote lagen längsseits zu denen der Ranen, und gleich darauf sprangen die Männer, bewaffnet mit Schwertern und kurzen Lanzen, in die feindlichen Boote und hieben auf die Ranen ein. Am schrecklichsten wütete unter ihnen der graubärtige Waffenmeister.

Man sah im Kampfgetümmel nur immer wieder sein Schwert aufblitzen, wenn er es erneut zu einem Hieb hob und es dann auf die ungeschützten Hälse oder Schultern seiner Gegner schlug.

Dietrich trug einen einfachen Spangenhelm, bei dem die Nase mit einer Verlängerung vom Helmrand geschützt wurde, dazu über seinem Gambesson ein starkes Kettenhemd. Mit jedem Hieb stieß der Waffenmeister einen lauten Schrei aus, und seine Waffenknechte, die seine Art zu kämpfen bestens kannten, folgten ihm Schritt für Schritt bis an die Bordwand der Karfe, von der jetzt die Körper der ersten Angreifer in die Ostsee geworfen wurden.

Drei Mann standen im Heck des ersten Bootes, und hier hatten die Kriegsknechte des Herzogs einen schweren Stand. Die bärtigen Ranen verteidigten sich gut, und als sie plötzlich die Reihe ihrer Gegner durchbrachen, um sich mit einem kühnen Sprung ins Meer zu retten, da war Dietrich wieder heran und stellte sich ihnen.

Einem Axthieb des ersten Kriegers wich er geschickt aus und schlug im Konter dem Mann sein Schwert gegen die Hüfte.

Als der einknickte, hieb ihm ein Kämpfer direkt neben dem Waffenmeister das Schwert in die Schulter, und der Verletzte kippte stumm über die Bordwand und verschwand im aufspritzenden Wasser. Weiße Gischt vermischte sich mit dem Blut des Mannes, der ziemlich schnell unterging.

Ein weiterer Angreifer wurde so schnell abgefangen, dass er bereits starb, noch bevor er seine Waffe über den Kopf reißen konnte.

Aber schon flog ein Schatten auf Dietrich zu, dem er sich nicht sofort widmen konnte.

Zwar hatte er sein Schwert schon wieder bereit, aber mit diesem Angriff hatte er nicht gerechnet.

Es war der Anführer auf diesem Boot, der auf einer der Ruderbänke gestanden hatte und sich jetzt ungeachtet der erhobenen Klinge auf Dietrich stürzte. Gleichzeitig führte er einen Hieb mit der Axt nach dessen Helm, und im letzten Moment gelang es dem Waffenmeister durch eine leichte Körperdrehung die Schlagkraft, etwas zu mildern. Immerhin hatte ihn der Schlag für einen Augenblick benommen gemacht. Dietrich hatte sich leicht zusammengekrümmt, und das wollte der andere sofort nutzen, um mit einem weiteren festen Hieb Dietrichs endgültiges Schicksal zu besiegeln.

Doch er hatte Glück. Ein Mann war an seine Seite gesprungen, um ihn zu decken.

Trotz seines getrübten Blickes erkannte Dietrich dankbar Osram von Hauenfels, einen deutschen Ritter, der sich allerdings nicht Herzog Heinrich, sondern König Waldemar angeschlossen hatte. Osram band sofort zwei nachdrängende Ranen, die sich zu dem angeschlagenen Dietrich drängten, bis sie von dem Ritter niedergestreckt wurden.

Aber der Waffenmeister war in seinem Leben so oft in ähnlichen Situationen gewesen, dass er noch in der Lage war, seine Schwerthand zu drehen, so dass die Schwertspitze steil nach oben ragte.

Und als der Rane zum vernichtenden Schlag ausholte, stieß Dietrich seine Hand nach oben, durchbohrte das Kinn des Angreifers so heftig, dass die Schwertspitze unterhalb der Nase herausdrang. Das besiegelte bereits das Schicksal des Kriegers. Dann riss er das Schwert zurück, stieß mit der anderen Hand den Gegner von sich und schlug mit einem kräftigen Hau sein Schwert gegen die Beine des Ranen. Der brach zusammen, und nun war sein Ende unausweichlich. Die Schwertspitze fuhr ihm durch den Nacken und trat auf der Vorderseite zwischen den Rippen wieder heraus.

Ein dicker Blutstrom ergoss sich auf die Planken, der Rane versuchte noch einmal die Axt zu fassen, die Augen brachen bereits, dann streckte sich sein Körper, und er war tot.

Einen Moment verharrte Dietrich und atmete tief durch, dann sah sich der Waffenmeister rasch um, überblickte die Gesamtsituation und stieß einen lauten Schrei aus, der allen Überlebenden zeigte, dass die Ranen besiegt waren. Nicht ein einziger Mann hatte das Gefecht überlebt, rings um die Boote trieben Körper auf den Wellen, die Planken der Ranen-Boote waren glitschig vom Blut.

Dietrich wischte seine Klinge an einem Körper ab, der halb über die Bordwand hing. Dann packte er die Beine des Toten und kippte ihn ins Wasser.

Einen Moment noch sah er dem Körper hinterher, wie er von Wellenberg zu Wellental getragen wurde – ehe er aus seinem Sichtfeld verschwand.

„Das war ein perfekter Plan, Dietrich! Die Ranen werden nun vielleicht ein wenig aufmerksamer sein, wenn sie an eine leichte Beute glauben!“

Der Mann, der sich breitbeinig auf dem Deck der Karfe bewegte, war Liudolf von Dahlum, der schon an seiner Seite gegen die Obotriten gekämpft hatte und nun die Burg Quetzin befehligte, die er von den Feinden im Handstreich erobert hatte. Er war einer der Ministerialen, die von Heinrich zur Verwaltung der eroberten Gebiete eingesetzt wurde.

Ähnlich seinem Freund Dietrich konnte er aber nie lange an einem Fleck ausharren, sondern war dankbar für den Ruf, sich dem gemeinsamen Heer wieder einzureihen.

„Hast du großes Verluste, Liudolf?“, erkundigte sich Dietrich, und der Freund grinste breit über sein sonnengebräuntes, von einem rötlichen Bart umrahmtes Gesicht.

„Nicht der Rede wert, Dietrich. Zwei Leichtverletzte, die in Kürze schon wieder dabei sein können. Wo ist Osram? Ah, schon wieder auf seinem Boot. Dank sei dir für deinen Beistand, das vergesse ich dir nicht!“

Damit drehte er sich wieder zu den anderen um und fuhr fort: „Wir fahren jetzt, wie vereinbart, mit allen Booten nach Rugia an die Westküste.“

„Ja, aber wir halten Abstand voneinander. Außer Sichtweite der jeweils anderen Boote. Kein Beobachter auf der Insel soll erkennen, wie stark wir sind. Schlagt einen Bogen hinaus auf das Meer, wir werden versuchen, noch vor Einbruch der Dämmerung einen geschützten Ankerplatz zu finden. Du ankerst aber etwa einen Bogenschuss von der Küste entfernt und landest erst, wenn dir ein Brandpfeil als Zeichen die Stelle angibt, an der du uns finden wirst. Ich möchte in jedem Fall vermeiden, dass uns der Feind frühzeitig bemerkt.“

„Die Burg liegt doch aber auf der östlichen Seite der Insel, oder?“

Dietrich nickte und fuhr sich dabei durch den dichten, grauen Bart.

„Ja, das trifft zu. Und doch wird Jaromar nicht so nachlässig sein, und diese Seite der Küste unbeobachtet zu lassen. Wir müssen auch mit den Fischern rechnen, die sicher jedes fremde Boot melden werden.“

Liudolf lachte fröhlich auf. „Wenn auch, das wird ihnen wenig nutzen. Wann erwartest du die Boote des Königs?“

„Gegen Mittag des morgigen Tages, Liudolf. Dann ziehen wir alle am Abend gegen Jaromar und greifen ihn mit dem ersten Licht vom Land wie vom Wasser aus an. Es muss eine Überraschung werden, damit die Ranen ihre Burg nicht lange halten können. Ich weiß, dass es eben nur eine schwache Besatzung gibt. Sollte es Jaromar gelingen, aus dem Land seine Krieger zusammenzurufen, werden wir einen schweren Stand haben.“

„Unbesorgt, Dietrich! Wir werden es diesem Heidenpack schon zeigen, zu was wir fähig sind! Ich glaube nicht, dass die Ranen besser kämpfen können als die Obotriten!“

Dietrich stimmte nicht in sein Lachen ein.

Er hatte diese slawischen Krieger als harte und gefährliche Gegner kennen gelernt. Der jüngere Liudolf war da ein wenig sorgloser.

Wenig später verschwand die Karfe in eine andere Richtung, die fünf großen Boote nahmen die eroberten, kleineren in Schlepptau, und man hielt erneut auf die Küste zu. Noch konnte man an Bord keine Einzelheiten in der Nähe des geplanten Ankerplatzes erkennen, aber die Späher der Ranen hatten die Flotte längst bemerkt und verständigten sich untereinander durch Läufer. Ein erfahrener Krieger blieb auf seinem Beobachtungsposten zurück, während der zweite zum nächsten Posten lief, um die Annäherung der Feinde zu vermelden.

Auf diese Weise erreichte die Nachricht Fürst Jaromar, noch bevor die dänisch-sächsische Kampfeinheit den geeigneten Ankerplatz für die Nacht gefunden hatte.

Er ließ als erste Maßnahme die Wälle der Burg überprüfen, dann ging er hinüber in den Tempel des Svantevit, um zu beten.

Jalite: Die Ranenhexe 1

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