Читать книгу Kommissar Jörgensen und der Hacker: Hamburg Krimi - Alfred Bekker - Страница 9

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Am späten Nachmittag hatten wir die Identität des toten Mitsubishi-Fahrers. Sein wahrer Name war Dario Brandhorst. Er hatte acht Jahre wegen Totschlags im Gefängnis gesessen. Nach der Entlassung war er untergetaucht, hatte vermutlich als Lohnkiller für die Unterwelt gearbeitet. Jedenfalls hatte er in einem Fall Fingerabdrücke und eine Zigarettenkippe hinterlassen. Später war er cleverer gewesen. Seine Spur hatte sich verloren und war auch durch sorgfältige Analyse der Arbeitsweise kaum noch identifizierbar.

Leider.

Auf die genaue Analyse des wahrscheinlichen Tathergangs durch unsere Innendienstler mussten wir wohl noch etwas warten. Der Fall war kompliziert. Wir hofften aber, dass die Kollegen am nächsten Morgen soweit waren. Dann lag auch sicher ein ballistischer Bericht vor. Und vielleicht war es bis dahin sogar gelungen, einige der Bewaffneten zu identifizieren, die sich im Lieferwagen befunden hatten.

Auch das konnte sich schwieriger gestalten.

Die Explosion hatte dafür gesorgt, dass nicht mehr von allen Toten Fingerabdrücke genommen werden konnten, mit denen unser computergestütztes automatisches Identifizierungssystem für Fingerabdrücke etwas anfangen konnte.

Unsere Kollegen hatten Dutzende von Wagennummern notiert, um mögliche Zeugen auch noch später identifizieren und vernehmen zu können. Die Zeugenvernehmungen am Tatort hatten bislang nur ein diffuses Bild ergeben. In mehreren Aussagen war allerdings von einem Motorradfahrer die Rede, der ziemlich rücksichtslos durch das Chaos hindurch gesteuert sein musste - mit einer jungen Blondine auf dem Rücksitz.

Ein Zeuge - selbst Motorradfan - meinte sich zu erinnern, dass es sich um eine Kawasaki gehandelt hatte. Ob der Kawasaki-Fahrer und seine schöne Beifahrerin irgendetwas mit dem Fall zu tun hatte, war noch nicht ganz klar.

Blieb noch das Handy des Ermordeten.

Brandhorst erwies sich selbst bei dessen Benutzung als Profi. Er hatte keine Telefonkartei im Menü angelegt. Alles, was wir hatten, waren die jeweils letzten zehn angenommenen und selbst gewählten Gespräche, deren Zeitpunkt, Dauer und Kosten.

Bei selbst gewählten Gesprächen hatte Brandhorst es wiederum mit einem Trick geschafft, die Spuren zu verwischen. Sämtliche Verbindungen waren über einen dubiosen Vermittlungsservice gegangen, so dass immer nur dessen Nummer im Menü auftauchte und nicht die des Gesprächspartners. Bis wir die vollständige Liste der Verbindungen hatten, konnten ein oder zwei Tage vergehen. Blieben die angenommenen Gespräche. Die meisten waren von Telefonzellen oder aus Lokalen geführt worden.

Mit zwei Ausnahmen.

Es hatte zwei kurze Anrufe eines gewissen Mark Vorrell gegeben. Der erste am gestrigen Abend, gegen 20.00 Uhr, der zweite ungefähr eine Stunde bevor an der Ecke Vogeldeichstraße/Rubbertstraße die Hölle losbrach.

Roy pfiff durch Zähne, als Mark Vorrells Bild auf dem Computerschirm erschien, den wir in unserem Dienstzimmer stehen hatten.

»Ein alter Bekannter«, meinte er.

»Kann man wohl sagen, Roy ...«

Wir überflogen die Angaben, die neben dem Foto fein säuberlich aufgelistet waren. Mark Vorrell, geboren am 24.2.1980, in der Computer-Hacker-Szene bekannt unter dem Pseudonym 'Big-Byte'. Seine Leidenschaft für den Rechner hatte ihm schon so manche Schwierigkeiten eingebrockt, inklusive einer Bewährungsstrafe. Mit 19 war er dadurch aufgefallen, dass er es geschafft hatte, sich in die Datenverbundsysteme der Kriminalpolizei einzuhacken. Wir konnten von Glück sagen, es damals offensichtlich nur mit einem Spaßvogel zu tun gehabt zu haben. Mark 'Big-Byte' Vorrell hatte sämtliche Gesichter der auf unseren Internetseiten zur Fahndung ausgeschriebenen Kriminellen durch die Köpfe von Micky Maus und Donald Duck ersetzt.

Es hatte Ende der Neunziger eine ganze Reihe solcher »Spaß»-Attacken auf die Rechner von dem Landeskriminalamt und Bundeskriminalamt gegeben. Inzwischen arbeitete so mancher dieser Cyber-Punks für uns und half die Sicherheitsvorkehrungen zu verbessern.

'Big-Byte' Vorrell gehörte nicht dazu.

Wir hatten lange nichts von ihm gehört.

Seine Bewährung war vor einem Jahr abgelaufen, so dass er sich auch nicht mehr regelmäßig bei den Behörden zu melden hatte.

Roy Müller machte ein etwas ratloses Gesicht.

»Jemand wie 'Big-Byte' ist eigentlich nicht unbedingt der typische Auftraggeber für einen Profikiller vom Schlag eines Dario Brandhorsts«, meinte er.

Ich konnte ihm da nur zustimmen.

»Tatsache ist, dass die beiden relativ kurz vor Brandhorsts Tod miteinander telefoniert haben«, wandte ich ein. Und damit war 'Big-Byte' zumindest ein wichtiger Zeuge.

Es dauerte noch eine halbe Stunde, bis wir per Computerrecherche 'Big-Bytes' neue Adresse heraus hatten.

Offenbar war der junge Meister-Hacker in letzter Zeit des Öfteren umgezogen. Selbst eine Anfrage bei seiner Telefongesellschaft führte uns zunächst in die Irre.

Wir stärkten uns noch mit einem faden Automatenkaffee. Mandy, die Sekretärin unseres Chefs und nebenbei berühmteste Kaffee-Kocherin im ganzen Gebäude, feierte an diesem Tag nämlich ein paar ihrer unzähligen Überstunden ab. So mussten wir uns mit der Automatenbrühe zufrieden geben.

»Ich hoffe, da ist wenigstens ein bisschen Koffein drin«, meinte Roy und verzog dabei das Gesicht.

Ich grinste.

»Da bekommst du bestimmt nicht mehr Koffein mit, als wenn du einmal an einer Cola-Flasche riechst!«

»Sehr witzig, Uwe!«

Zehn Minuten später quälten wir uns mit dem Sportwagen, den uns die Fahrbereitschaft der Kriminalpolizei Hamburg zur Verfügung stellte, durch den Berufsverkehr von Hamburg.

Unseren Recherchen nach hatte sich Mark 'Big-Byte' Vorrells Wohnsituation von Umzug zu Umzug stark verbessert. Als er unsere Internet-Seite auf den Kopf stellte, hatte er noch in einer miesen Gegend in Wandsbek gewohnt, jetzt residierte er in einem luxuriösen Penthouse Ecke Baumkampweg am Stadtpark. Die Sicherheitsvorkehrungen waren hier extrem. Zumindest für deutsche Verhältnisse. Security-Leute patrouillierten mit grimmigen Gesichtern in den Korridoren. Kameras machten Videoaufzeichnungen.

Ein Metalldetektor am Portal verhinderte, dass irgendjemand, der dazu nicht autorisiert war, bewaffnet in das Gebäude gelangen konnte. Security-Leute beobachteten Neuankömmlinge aus einem transparenten Kubus heraus, der aus ultrahartem Panzerglas bestand. Im Inneren dieses Glaswürfels befand sich ein Büro. Ein Monitor stand neben dem anderen. Von hier aus wurden die Videoaufzeichnungen kontrolliert. Besucher mussten sich anmelden und ausweisen.

Der Metalldetektor machte sich bemerkbar, als wir eintraten.

Die aufgeregten Gesichter der Security-Männer entspannten sich etwas, als wir ihnen unsere Ausweise entgegen hielten.

Roy Müller raunte mir zu: »Tja, wenn einem Sicherheit wichtig ist!«

»Eigentlich traurig, dass Leute glauben, dass so etwas nötig ist«, gab ich zurück.

»Da sagst du was.«

Einer von ihnen trat durch eine Panzerglastür aus dem Kubus heraus und näherte sich uns. An seinem schwarzen Uniformhemd war ein Namensschild angebracht. 'R. Notzky stand darauf.

Notzky sah sich die Ausweise genau an und nickte dann.

»Scheint alles in Ordnung zu sein. Zu wem möchten Sie?«

Ich hob die Augenbrauen. »Zu Herrn Mark Vorrell, Nr. 29.«

»Dann werde ich Herrn Vorrell ankündigen, dass Sie gleich vor der Tür seines Penthouse auftauchen werden.«

»Meinetwegen...«

Notzky ging zurück und verschwand in dem Panzerglas-Kubus.

»Das ist doch eine Adresse für Paranoide, Uwe«, raunte Roy mir zu.

»Jedenfalls scheint 'Big-Byte' inzwischen vermögend genug zu sei, um sich so etwas leisten zu können.«

»Schätze, unsere Kollegen aus dem Innendienst sollten sich mal die Bankverbindungen dieses Knaben vornehmen. Irgendwoher muss sein plötzlicher Reichtum ja stammen.«

»Ehrliche Arbeit schließt du in dem Fall von vornherein aus?«

Roy zuckte die Achseln.

»Keine Ahnung ...«

»Jedenfalls bist du hier so sicher wie in Abrahams Schoß.«

»Für mich wäre das nichts.«

»Das sagst du nur, weil du dir die Miete hier von unseren Dienstbezügen als Kollegen gar nicht leisten könntest.«

Mit dem Aufzug fuhren wir hinauf. Einige Minuten später standen wir vor Vorrells Wohnungstür.

Roy wollte gerade die Klingel betätigen, da öffnete sich die Tür.

Ein schmächtiger junger Mann stand vor uns. Er hatte uns offenbar erwartet. Er trug eine übergroße Jeanshose und ein T-Shirt, das die Aufschrift I'M AN ASSHOLE trug.

Jeder stellt sich eben auf seine Weise vor,

Die einen sagen Moin. Die anderen haben einen Dienstausweis. Und manche machen das mit einem T-Shirt, auf dem eine Botschaft steht.

Ich hielt meinen Ausweis hin.

»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Dies ist mein Kollege Roy Müller. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen ...«

Vorrell kaute auf einem Kaugummi herum. Er hatte rotstichiges, ungepflegtes Haar, das ihm in den Augen hing.

Mit einer ruckartigen Bewegung seines Kopfes fegte er es davon.

»Hey, bleibt cool!«

»Keine Sorge«, sagte ich.

»Habt ihr Typen 'nen Durchsuchungsbefehl oder so was?«

»Nein, haben wir nicht.«

»Dann würde ich sagen, ihr macht wieder die Fliege. Ich lass' mich nicht von euch verscheißern. Und ohne meinen Anwalt sage ich keinen Ton.«

»In dem Fall möchte ich Sie bitten, uns zum Polizeipräsidium zu begleiten«, sagte ich. »Und was den Durchsuchungsbefehl angeht - den bekommen wir im Handumdrehen.«

Er vergrub die Hände in den Taschen.

»Hey, Bulle, warum so ungemütlich?«

»Ich schlage vor, wir unterhalten uns vernünftig. Ob Sie allerdings wollen, dass die Security auf ihren Bildschirmen alles mitbekommen, liegt ganz bei Ihnen.«

Ich deutete auf eine der ganz offen platzierten Kamera-Augen.

Vorrell zögerte.

»Kommt 'rein!«, forderte er uns dann auf.

Er führte uns in eine mindestens zweihundert Quadratmeter große Wohnung, die - abgesehen von Küche und Bad - nur aus einem einzigen Raum bestand. Wohnzimmer, Schlafzimmer und Computerzentrale in einem. In einer Ecke befand sich ein Futon. Auf einem niedrigen Tisch stapelten sich Reste einer Express-Pizza-Mahlzeit. Mehrere Computer-Schirme flimmerten. Teile des Equipments lagen überall verstreut herum.

Ich trat an die Fensterfront heran, blickte zuerst auf die Grünflächen des Stadtparks hinab, dann zu den Betonfassaden der anderen Hochhäuser in unmittelbarer Nachbarschaft.

»Was kostet die Miete hier?«, fragte ich.

»Das geht dich nichts an.« Dann lachte er auf. »Ich verdiene gutes Geld. Als freier Unternehmer. Software Consulting und so etwas. Jedenfalls habe ich seit damals die Finger von euren Internet-Seiten gelassen.«

»Inzwischen gibt es Programme, die eine von unautorisierter Seite veränderte Internet-Seite innerhalb von zehn Minuten automatisch wieder herstellt«, erwiderte Roy.

Vorrell verschränkte die Arme.

»Inzwischen gibt es aber auch Tricks, wie man diese Software ausschalten kann«, gab der Hacker zurück.

»Ich sehe, Sie kennen sich immer noch aus.«

»Man bleibt auf dem Laufenden. Aber so ein dummes Zeug wie damals werde ich sicher nie wieder machen.«

»Freut mich zu hören«, meinte Roy.

Er zuckte die Schultern.

»Ich würde so etwas nur dann noch einmal machen, wenn es sich wirklich lohnt. Der Fun, den wir dabei hatten, war den ganzen Ärger nicht wert.« Er grinste. »Aber wie ihr seht, kann ich mein Wissen inzwischen produktiver einsetzen und richtig gut Geld damit verdienen.«

Ich griff in die Innentasche meiner Jacke und hielt ihm ein Bild von Brandhorst hin.

»Kennen Sie diesen Mann?«

»Nie gesehen.«

»Vielleicht sehen Sie mal richtig hin!«

Vorrell nahm sich zwei volle Sekunden Zeit, schüttelte dann aber energisch den Kopf. Schließlich reichte er mir das Bild zurück.

»Tut mir leid! Was ist mit dem Kerl?«

»Er heißt Dario Brandhorst, ist aber auch unter ein paar anderen Namen bekannt«, erwiderte ich. »Brandhorst wurde heute bei einer Schießerei Ecke Vogeldeichstraße/Rubbertstraße umgebracht.«

Vorrell hob die Augenbrauen.

»Ich verstehe nur nicht, was das Ganze mit mir zu tun haben soll. Hey, Mann, bleib cool! Ihr werdet doch nicht im Ernst auf den Gedanken gekommen sein, dass ich vielleicht mit einem Schießeisen herumgeballert habe.« Vorrell lachte heiser auf. »Ich würde mich mit einer Waffe eher selbst verletzen als meinen Gegner.«

»Sie haben mit Brandhorst telefoniert«, stellte ich sachlich fest. »Etwa eine Stunde bevor er erschossen wurde. Vielleicht waren sie der letzte Mensch, mit dem er gesprochen hat. Am Abend zuvor haben Sie gegen zwanzig Uhr mit ihm gesprochen. Das sind Tatsachen, die Sie mit diesem Mann in Verbindung bringen.«

Vorrell sah mich überrascht an. Einen Augenblick lang fiel die coole Maske von ihm ab, die er sich zugelegt hatte. Seine schmächtige Gestalt stand da wie ein Fragezeichen.

»Hey, du redest Quatsch!«

»Ich rede keinen Quatsch«, sagte ich. »Und ich möchte jetzt wissen, was Sie mit Herr Brandhorst zu besprechen hatten!«

»Ihr blufft!«, fauchte Vorrell dann.

»Wir haben Ihre Nummer aus dem Menü von Brandhorsts Handy«, erläuterte ich kühl. »Und dazu werden Sie schon irgendeine Erklärung abgeben müssen.«

Vorrell fuhr sich mit der Hand durch das ungepflegte Haar, strich es sich mit einer fahrigen Geste zurück.

»Ich muss gar nichts!«, meinte er. »Am besten ich rufe meinen Anwalt.« Er ging zum Telefon, nahm den Hörer ab.

»Das können Sie natürlich tun«, sagte ich. »Aber vorher sollten Sie jedoch noch eines wissen. Dario Brandhorst war ein Profi-Killer. Und die Tatsache, dass Sie mit ihm telefonischen Kontakt hatten, kurz bevor er in eine Schießerei verwickelt war, kann Sie in alles Mögliche hineinziehen, Herr Vorrell.«

'Big-Byte' legte den Hörer wieder auf. Er ballte die Hände zu Fäusten. Dann ließ er sich in einen der rollbaren Drehsessel fallen. Nervös tickte er mit den Fingern auf der Armlehne herum.

»Vielleicht kannten Sie Brandhorst unter dem Namen Peter Vanderbeek«, versuchte ich ihm eine Brücke zu bauen. Jedenfalls war unter dem Namen Peter Vanderbeek sein Mobilfunkanschluss angemeldet.

Vorrell atmete tief durch.

»Herr Jörgensen, ich ...«

Weiter kam er nicht.

In dieser Sekunde barst eine der Fensterscheiben.

Ein Ruck ging durch Big-Bytes Körper.

Für Sekundenbruchteile sah ich den hauchdünnen roten Laserstrahl eines Laserpointers aufzucken. Doch es war bereits zu spät.

Vorrell rollte die Wucht des ersten Treffers ein paar Meter auf seinem Drehstuhl zurück.

Der erste Treffer durchschlug Vorrells Brustbein, ein zweiter erwischte ihn in der Herzgegend.

Ich duckte mich, riss die SIG aus dem Holster.

Der Schütze musste in einem der benachbarten Hochhäuser in Stellung gegangen sein. Der nächste Schuss folgte. Einen der Computerschirme erwischte es. Roy kauerte hinter dem Schreibtisch. Per Handy verständigte er bereits die Kollegen.

Kommissar Jörgensen und der Hacker: Hamburg Krimi

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