Читать книгу Genesis VI - Alfred Broi - Страница 10
VIII
Оглавление„Jorik?“ Die Stimme war sanft und leise und drang nur wie durch eine dichte Nebelwand zu ihm. Es war auch das einzige, das er wahrnahm. Er spürte weder seinen Körper, noch seinen Geist. Alles war dunkel, taub und leer. „Jorik?“ Die Stimme wurde etwas lauter, blieb aber sanft. Und plötzlich spürte er auch eine Berührung. Allerdings vermochte er nicht zu sagen, wo an seinem Körper sie erfolgte. „Jorik, wach auf!“ Die Stimme wurde abermals lauter und auch ein klein wenig härter.
„Okay, lass mich mal!“ Das war eine andere Stimme. Sie klang dunkel, hart und wenig geduldig. Im nächsten Moment schon spürte er, wie etwas an ihm rüttelte.
Und es war, als würde damit seine Taubheit abgeschüttelt werden. Die Dunkelheit wich einem hellen Licht, doch anstelle der Taubheit traten vielfältige Schmerzen, die ihn komplett einzunehmen schienen und um ein Vielfaches schlimmer waren, als der Zustand zuvor.
„Nun komm schon!“ Die harte Stimme klang noch ungeduldiger und erneut wurde an ihm gerüttelt. Stechender Kopfschmerz hämmerte in seinen Schädel. Hör auf damit! schrie Jorik innerlich.
„Lass ihn!“ Das war wieder die sanfte Stimme. „Er braucht noch etwas Zeit!“
„Ich weiß, verdammt!“ Die harte Stimme klang jetzt mehr besorgt, als alles andere. „Aber das ist genau das, was wir nicht haben!“
Okay, ihr habt gewonnen! Jorik zwang sich, trotz aller Schmerzen, seine Augen zu öffnen. Er bereute es sofort, denn gleißendes Licht strömte in seinen Kopf und schien sein Gehirn wegschmelzen zu wollen. Er musste schwer stöhnen und spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Dennoch zwang er sich, die Augen offen zu halten und drückte sich sogar aus seiner Liegeposition in die Höhe. Er spürte, wie ihn helfende Hände stützten, sodass er es einfacher hatte, doch als er aufrecht saß, musste er seinem dröhnenden Kopfschmerz Tribut zollen und erbrach sich direkt vor seine Füße. Jorik spürte ekelhaft bittere Galle in sich aufsteigen und hatte das Gefühl, als drücke etwas von innen gegen sein Gesicht und wolle es ebenfalls zu Boden werfen. Sein Magen krampfte erbärmlich und er musste fast ebenso wild husten, wie würgen. Nach einer schieren Ewigkeit hatte Jorik dann das Gefühl, er würde gleich ersticken. Sein Oberkörper zuckte in die Höhe und er musste mehrmals tief durchatmen. Widererwartend gelang es ihm dabei, seinen Kopf etwas zu beruhigen.
„Komm, setz dich nach hinten!“ Da war sie wieder, die sanfte Stimme und als er nach rechts schaute, erkannte er Idis neben sich, die ihn besorgt ansah und mit leichtem Druck nach hinten schob.
Jorik ließ es geschehen. Schweratmend, komplett kraftlos und am ganzen Körper zitternd driftete sein Oberkörper nach hinten und fand schließlich Halt an der Felswand.
„Geht’s wieder?“ Das war die raue Stimme und durch einen glasigen Schleier konnte Jorik Rimbo erkennen. Sein Gesicht blickte ernst und ungeduldig, aber nicht minder besorgt.
Jorik hatte nicht die Kraft, etwas zu erwidern und auch keine Ahnung, was.
„Hier!“ Idis reichte ihm eine Wasserflasche. „Trink das!“ Jorik sah die Flasche, seine Augen leuchteten augenblicklich, seine rechte Hand zuckte in die Höhe und er wollte ihr die Flasche aus der Hand reißen, doch sie zog sie sofort zurück. „Langsam und sinnig!“ Sie schaute ihn mahnend an.
Jorik zwang sich zur Ruhe und nickte. Als Idis sie ihm ein zweites Mal hinhielt, griff er behutsam zu und setzte sie an den Mund. Sofort aber wurde die Gier zu groß und er riss sie in die Höhe, ließ das kühle Nass in sich hineinstürzen.
„Na!“ rief Idis jedoch und als er sah, dass sie Anstalten machte, ihm die Flasche erneut wegzunehmen, senkte er sie von selbst und hielt erst einmal inne.
Nach einem langen, tiefen, leisen Rülpser schaute er sie an. „Danke!“ Und dann nahm er noch einen Schluck.
„Besser jetzt?“ fragte Rimbo und in seiner Stimme schwang Ungeduld mit.
Jorik senkte die Flasche, schluckte das Wasser langsam herunter, stöhnte dabei mit geschlossenen Augen, musste dann einmal kurz husten, schaute schließlich Rimbo an und nickte. „Besser!“
„Dann wird es Zeit, dass du uns ein paar Fragen beantwortest!“
„Fragen?“ Jorik schien verwundert. „Was für Fragen?“
„Na ja, eigentlich nur eine!“ Rimbos Blick verfinsterte sich. „Was zum Teufel hat Narrix mit dir und Esha gemacht?“
„Mit…!“ Plötzlich erstarrte Jorik. „Esha!“ Seine Gesichtszüge entgleisten. „Oh mein Gott!“ Er starrte Rimbo an, dann Idis. „Wo…? Wo ist sie?“
„Hier!“ Die Stimme kam von der anderen Seite der Zelle. Sie war dunkel und tief, sie klang besorgt und tränenerstickt. Jorik erkannte sie sofort. Sie gehörte Shamos. Ruckartig drückte er sich von der Wand ab und schaute an Idis vorbei zur anderen Seite. Sein Freund, der zerstreute Wissenschaftler mit dem zerzausten Haar, saß an die Zellenwand gelehnt und Esha, die Frau, die er liebte, lag schräg vor ihm auf dem Rücken auf dem Boden. Ihren Kopf hatte er in seinem Schoss gebettet und streichelte ihn sanft. Esha selbst schien bewusstlos, denn sie regte sich nicht und ihre Augen waren geschlossen.
Jorik spürte bei ihrem Anblick einen tiefen Stich im Herzen und innerhalb eines Lidschlages kamen seine Erinnerungen an die Misshandlungen von Narrix zurück. „Esha!“ Er sprang auf, geriet ins Taumeln, konnte sich aber an Idis und Rimbo abstützen, die reaktionsschnell ebenfalls aufgesprungen waren und lief auf die andere Seite. Neben Esha und Shamos sank er kraftlos auf die Knie. Als er das zerschundene Gesicht seiner Freundin sah und die deutlichen, zwei Finger breiten, dunkelroten Striemen um ihren Hals, schossen ihm Tränen in die Augen. Er hob seine zittrigen Hände und berührte Esha vorsichtig an der Wange. Dann sah er zu Shamos auf, in dessen Gesicht er eine Mischung aus Entsetzen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erkennen konnte. Seine Augen waren rot und aufgequollen, doch jetzt schien sein Freund einfach keine Tränen mehr in sich zu haben, die er noch hätte weinen können.
„Es…!“ Jorik musste schlucken. „...tut mir leid!“ Er wartete, bis Shamos ihn ansah. „Narrix hat sie als Druckmittel gegen mich benutzt. Er hat…!“ Wieder musste er schlucken. „…ihr einen Strick um den Hals gelegt und einfach angezogen. Erst dann wollte er von mir wissen, wo Marivar ist! Natürlich wollte ich es ihm sofort sagen, aber Esha verbot es mir!“ Joriks Blick wurde bitter. „Daraufhin hat er noch einmal angezogen!“ Er schüttelte den Kopf, kämpfte gegen Tränen an. „Ich habe ihn angefleht, sie wieder runterzulassen, ihn angeschrien, aber dieses widerliche Schwein hat es auch noch genossen!“ Er schniefte und schaute wieder Shamos an. „Als er dann von ihr abgelassen hat, war sie bewusstlos. Dann hat man sie zu euch gebracht!“ Für einen Augenblick herrschte Stille im Raum. „Aber Narrix wollte, dass sich Jemand um sie kümmert!?“ Er blickte zu Idis und Rimbo und erkannte, dass auch Kendig und Malawi bei ihnen waren.
Kendigs Frau nickte dann auch. „Ja, es war ein Sanitäter bei ihr und hat sie untersucht. Sie ist nur ohnmächtig!“ Ihr Gesicht war eine bitterernste Maske. „Sie hat Glück gehabt!“
Jorik nickte mit dem Versuch eines Lächelns. „Sie war so tapfer!“ Er schaute wieder zu Shamos. „Du hast eine unglaublich mutige Frau an deiner Seite!“
„Ich…!“ Shamos traten plötzlich doch wieder Tränen in die Augen. „…weiß!“ Er schluchzte, beugte sich herab und küsste Esha sanft auf die Stirn, dann hielt er sie noch etwas fester in seinen Armen.
*
„Und das glauben sie...?“ Lobos hatte den beiden Commanders aufmerksam zugehört und schaute sie jetzt, nachdem sie geendet hatten, nacheinander an. „…wirklich?“
Mavis musste kurz grinsen, denn er konnte die Zweifel seines Gegenübers nachvollziehen. Ihre Geschichte war mehr als fantastisch und barg eher die Wahrscheinlichkeit, dass die Erzähler den Verstand verloren hatten, als dass sie wahr wäre. „Ja, das tue ich!“ erwiderte er dennoch mit fester Stimme und geradem Blick. Welche andere Wahl hätte ich denn auch sonst noch? fügte er im Stillen hinzu.
„Ich glaube auch daran!“ sagte Cosco und nickte zusätzlich.
„Ich übrigens auch!“ rief Tibak von hinten.
„Dito!“ fügte Dek hinzu.
Und Leira brummte ebenfalls zustimmend.
Alle vier schauten den Admiral und seine Männer geradeheraus und forsch an, als würden sie Widerspruch erhoffen, um sich streiten zu können.
„Es gibt immerhin einige Fakten!“ meinte Vilo und blieb stehen. Da klar war, dass alle und nicht nur Lobos ihre Geschichte gehört hatten, was auch besser war, wollte er, dass alle es mitbekamen.
„Richtig!“ erwiderte Cosco. „Der Planet wird untergehen! Das ist Fakt!“ Er verzog die Mundwinkel. „Das spürt mittlerweile wohl auch der Letzte!“ Er sah in die Runde und alle nickten.
„Der sinkende Wasserstand des Mioli ist auch ein Resultat davon!“ meinte Vilo.
„Also wird es in diesem Krieg unter normalen Umständen keinen Sieger geben!“ sagte Lobos mehr zu sich selbst, als zu den anderen und nickte nachdenklich.
„Genau deshalb hatte Shamos sich auf diese Legende eingelassen!“ fügte Mavis an. „Und er fand die uralten Schriften, die ihn zu dem Amulett führten, das die verborgenen Verstecke der Formel und des Kristalls preisgaben!“
„Und dann sind sie auf getrennten Wegen auf die Suche gegangen!?“ meinte einer von Lobos Männern.
Tibak nickte. „Und ich schwöre bei Gott, dass ich bis zum letzten Moment an den Erfolg unserer Mission gezweifelt habe! Aber soll ich euch etwas sagen?“ Er blickte in die Runde. „Da war er, dieser Kristall. Genau wie beschrieben. Gleißend hell und wunderschön!“ Er lächelte bei dem Gedanken daran, verlor es jedoch sofort wieder. „Wenn auch im wahrhaftigen Schlund der Hölle!“
„Okay!“ Lobos nickte. „Und dann habt ihr diesen Kristall an euch genommen und hierher mitgebracht!?“
„Kann man so sagen, ja!“ meinte Dek.
Lobos sah den Sergeanten einen Augenblick an, dann nickte er. „Richtig! Da war was mit diesem Jungen!“
„Chalek!“ erwiderte Mavis.
„Chalek! Richtig! Er hat was mit dem Kristall gemacht?“
„Er hat ihn…!“ Cosco suchte nach Worten. „...aufgesogen, irgendwie in sich aufgenommen!“
Lobos und seine Männer schauten ihn etwas irritiert an.
„Hören sie!“ hob Mavis an. „Da ist sicherlich jede Menge Magie und so ein Zeugs dabei gewesen, ich weiß nicht. Ich...!“ Er schaute seine Freunde an. „Wir sind uns alle, denke ich, noch nicht völlig sicher, welche Rolle der Junge bei der ganzen Sache spielt…spielen soll...spielen wird! Aber ich bin mir sicher, die Formel wird das ans Licht bringen!“
„Die Formel?“ Lobos schien überrascht. „Richtig, die Formel, die ihre Freunde aus der Eiswüste Poremiens mitgebracht haben, bevor Narrix und seine Männer sie gefangengenommen haben!“
Der Admiral sah die beiden Commanders an, doch die wirkten gerade etwas verlegen.
„Im Prinzip schon!“ sagte Vilo salomonisch.
„Und warum nur im Prinzip?“
„Weil…!“ Mavis hielt inne und atmete einmal tief durch. „…wir zwar wissen, dass sie die Formel gefunden haben, nicht aber, was mit ihr bei oder nach dem Überfall von Narrix passiert ist!“
Lobos schürzte die Lippen. „Das heißt also, sie könnte ebenso gut auch verlorengegangen oder vernichtet worden sein!“
Mavis machte plötzlich ein ziemlich säuerliches Gesicht und brummte. „So, wie sie das sagen, klingt das jetzt echt beschissen!“
„Und es ist vollkommen voreilig!“ rief Vilo mit fester Stimme. „Jeder wusste um die Wichtigkeit der Formel und das jederzeit mit einem Angriff – wenn auch eigentlich von anderer Seite - gerechnet werden musste!“ Er schaute Cosco an, der ihm zunickte. „Ich bin mir sicher, sie haben alles getan, um die Formel zu schützen!“ Jetzt nickte er zur Selbstbestätigung. „Und Narrix, dieser miese Wichser, hat doch absolut keinen Plan, worum es hier wirklich geht! Also werden wir genau das tun, was wir vorhatten: Wir besorgen uns ein Flugboot, fliegen nach Kimuri, hauen Jorik und die anderen da raus und dann werden wir ja wissen, was mit der Formel ist!“
„Besorgen hört sich gut an!“ Als alle Tibak mit großen Augen ansahen, musste der Captain breit grinsen. „Und wir können…!“ Er deutete mit der rechten Hand nach Süd-Süd-West, wo sich ein kleiner, schwarzer Punkt über dem Horizont näherte. „…gleich damit anfangen!“
*
„Mavis?“ Rimbo schaute Jorik mit großen Augen an.
Und als sein Gegenüber nickte, fügte Kendig hinzu. „Verdammt!“
Jorik atmete einmal tief durch und sein Blick war sehr traurig. „Es ist noch schlimmer!“
Malawi fixierte ihn mit ernstem Blick an. „Was soll das heißen?“
„Sein Kommunikator muss defekt gewesen sein, denn ich konnte ihn hören, obwohl er nicht zu mir, sondern zu Marivar sprach!“
„Was?“ Das war Rimbo. „Oh verdammt!“ Man sah ihm an, dass er am liebsten irgendwo reingeschlagen hätte.
Wieder nickte Jorik. „Er hat sie kontaktiert, um ihr zu sagen, dass sie den Angriff des Flugboots überlebt hatten. Zwar wurde die Kitaja zerstört, doch sie alle blieben unverletzt!“
„Dem Himmel sei Dank!“ meinte Idis.
Jorik aber schüttelte den Kopf. „Mavis sagte, sie würden versuchen, nach Kimuri zu gelangen, um uns alle zu befreien!“
„Das dürfte ohne Flugboot aber ziemlich lange dauern!“ Malawi schaute ihren Mann an. „Zu lange für uns!“
„Nein, Moment!“ Rimbo wedelte mit dem Zeigefinger. „Moment mal!“ Er wirkte sehr nachdenklich. „Wenn Narrix weiß, wo Mavis und die anderen sind und noch dazu, welchen Weg sie jetzt einschlagen, dann…!“ Er stoppte ab, hob seinen Kopf und in seinem Blick lag bittere Erkenntnis.
„Shit!“ Kendig nickte mit säuerlicher Miene. „Du hast Recht!“
„Dann sind sie…!“ meinte Malawi.
„…auf einem verfluchten Präsentierteller!“ endete Idis und ihre Stimme klang sehr hoffnungslos.
„Jorik?“ Das war Shamos, der bislang still geblieben war, aber natürlich alles mitgehört hatte.
„Ja?“ Sein Freund sah ihn mit einem traurigen Lächeln an.
„Ich glaube, ich werde Narrix töten!“
Alle erstarrten in ihren Bewegungen und schauten den Wissenschaftler mit großen Augen an. Seine Worte, ihr Klang, der Anblick seines von unzähligen Tränen aufgedunsenen Gesichts, seine Augen, aus denen schon wieder Tränen herabrannen, ihr Funkeln, vor allem aber die hoffnungslose Klarheit in seinem Blick, brachte ihnen allen eine eiskalte Gänsehaut, die über ihre Körper kroch.
*
Der Pilot ist gut, dachte Mavis. Er kommt direkt aus Richtung der untergehenden Sonne, fliegt dicht über Grund und nicht zu schnell, sodass die Triebwerke für ihre Leistung nur sehr wenig Lärm machen. Für einen kurzen Moment fragte er sich ernsthaft, ob es nicht Narrix persönlich war, der das Flugboot befehligte, doch das wäre wohl zu schön gewesen.
Wenn sie den Himmel nicht beständig nach Bewegung abgesucht hätten, wäre es gut möglich gewesen, dass sie es tatsächlich übersehen hätten. Doch einem erfahrenen Fuchs wie Tibak entging es natürlich nicht.
Ihr Verhaltensmuster, das sie jetzt an den Tag legen würden, hatten sie zuvor verabredet: Mavis, Vilo, Cosco, Tibak und Dek hielten sich weiterhin am Ufer des Mioli, eine Armlänge von dichtem Buschwerk entfernt. Es sollte so aussehen, als würden sie den Weg nach Westen schnell hinter sich bringen wollen, ohne auf eine notwendige Deckung verzichten zu müssen, wenn der Feind anrückte. Das heranrauschende Flugboot sahen sie natürlich nicht, dafür aber waren sie gut - jedoch nicht zu gut - zu erkennen. Ebenso natürlich konnte die Maschine ihre Existenz mit dem Überflug nicht mehr geheim halten. Mavis und die anderen taten daher mächtig überrascht und verschwanden dann nervös im Buschwerk. Dies konnte ihnen für Angreifer am Boden wirklich guten Sichtschutz bieten, nicht aber bei einer gleichzeitigen Beobachtung aus der Luft.
Ziel war es, das das Flugboot landete, ein für fünf Personen ausreichender Trupp den Bodenangriff übernahm und auf sie zustürmte, während sich das Flugboot wieder in die Lüfte erhob, um den Männern am Boden ihre Position durchzugeben. So in die Zange genommen, würden sie nicht lange durchhalten – zumal sie auch kaum noch eigene Waffen und Munition hatten – und der Trupp konnte sie überwältigen.
Um sie aber an Bord zu holen und nach Kimuri zu bringen, musste das Flugboot wieder landen. Und da kamen Leira, Admiral Lobos und seine Leute ins Spiel…
Mavis hatte, wie alle anderen auch, im dichten Buschwerk Schutz gesucht. Aus einer Entfernung von rund dreißig Metern konnte er sehr gut sehen, wie sich die Heckklappe des Flugbootes öffnete und etwa ein Dutzend Männer in Schutzwesten, Helmen und mit Maschinengewehren hinausstürmten. Kaum hatten sie den Boden berührt und ihre Waffen in den Anschlag gebracht, hob die Maschine bereits wieder ab, drehte in ihre Richtung und donnerte knapp über dem Boden über sie hinweg.
Der Pilot ist wirklich gut! dachte Mavis. So schützt er seine Leute vor unseren Kugeln!
Dennoch feuerten er und die anderen ein paarmal in ihre Richtung, jedoch immer so, dass sie niemanden verletzten.
Der feindliche Trupp trennte sich in zwei Sechser-Gruppen und kam von zwei Seiten auf sie zu, während das Flugboot über ihnen kreiste.
Mavis und die anderen taten dann, als würden sie flüchten wollen, rannten dabei auf weitaus freieres Gelände, ohne jedoch den Busch komplett zu verlassen und damit dem einen Trupp quasi direkt in die Arme. Erschrocken drehten sie um, mussten aber erkennen, dass der andere Trupp von der anderen Seite herankam. Somit hatten sie keine Chance mehr zur Flucht und daher ließen sie ihre Waffen fallen, hoben ihre Hände in die Höhe und ergaben sich vorschriftsmäßig.
„Auf die Knie!“ brüllte einer der beiden Gruppenführer, während alle anderen mit vorgehaltener Waffe von beiden Seiten auf sie zukamen.
Mavis und die anderen taten, was verlangt wurde. Das Flugboot über ihnen drehte ab und es war zu hören, dass es wieder zur Landung ansetzte.
„Hände auf den Rücken!“
Auch das taten sie. Um sie zu fesseln ließen vier der Männer ihre Waffen sinken. Die anderen acht Personen wurden mit jeder Sekunde ruhiger, entspannter – aber auch weniger wachsam.
Das sollte ihr Fehler sein.
Was dauert denn da noch so lange?
Lieutenant Yunok stand schräg hinter dem Pilotensessel und schaute hinaus auf das vor ihnen liegende Buschwerk hinter dem das Wasser des Mioli in der Abendsonne schimmerte.
Eigentlich hatte er damit gerechnet, dass seine Leute längst mit ihren Gefangenen auf den Rückweg waren, doch noch war niemand zu sehen. Er spürte, dass er ungeduldig wurde. Um sich abzulenken, warf er einen Blick auf den Radarschirm. Wie er bereits wusste, waren zwei feindliche Fliegerstaffeln auf dem Weg zu ihnen. Ihre Entfernung betrug rund siebzig Meilen, sie waren also noch etwa fünf Flugminuten von ihnen entfernt. Der Rüssel einer widerwärtigen Anomalie lag weitere einhundert Meilen südlich von ihnen, stellte demnach ebenso keine Gefahr für sie dar. Und Insektenbestien konnte er im Moment gar keine ausmachen. Die Voraussetzungen für eine in allen Teilen gelungene und erfolgreiche Mission waren also mehr als gegeben – wenn jetzt endlich seine Leute erscheinen und sie wieder von hier verschwinden konnten.
„Machen sie eine Infrarotabtastung von dem Gelände!“ sagte er mit ernster Miene zu dem Copiloten. Seine Geduld war am Ende. Er konnte nicht einfach nur dastehen und warten, er musste handeln.
Der Sergeant sah ihn zwar mit großen, verwunderten Augen an, doch nickte er und gab einige Befehle in das Terminal ein. Bevor er jedoch damit fertig war, war Bewegung im Buschwerk zu sehen.
Yunok sog hörbar die Luft ein. Der Copilot schaute instinktiv nach vorn und stoppte seine Eingabe. Im nächsten Moment aber entspannte sich der Lieutenant schon wieder. „Vergessen sie das mit der Abtastung!“ sagte er zufrieden und das war er auch, denn er konnte seine zwölf Männer sehen, wie sie fünf Gefangene zum Schiff eskortierten. Einer von ihnen war offensichtlich bewusstlos. Zwei Soldaten hatten ihn an je einer Schulter gepackt und schleiften ihn mit dem Gesicht nach unten zwischen sich mit. Hoffentlich war der Kerl nicht tot. Er wollte dem Captain keine Leichen bringen müssen. Doch eine innere Stimme sagte ihm, dass er beruhigt sein konnte. „Drehen sie das Schiff!“ befahl er dem Piloten. „Öffnen sie die hintere Ladeluke und schaffen sie die Männer rein!“ Während der Pilot das Flugboot mit einem kurzen Schub auf die Vertikaltriebwerke wieder von Boden hievte, um es sofort danach auf der Stelle um hundertachtzig Grad zu drehen, wartete Yunok, bis der Copilot nickte, dann sagte er wieder an den Piloten gewandt. „Sobald sie drin sind, starten sie unverzüglich!“
„Aye Sir!“ gab der Mann zurück.
„Ich bin im Laderaum!“ Yunok drehte sich um und ging.
In dem Moment, da er den Laderaum betrat, spürte er, dass das Schiff wieder den Boden berührte. Die Ladeluke war zu diesem Zeitpunkt schon zu mehr als der Hälfte geöffnet und senkte sich im nächsten Moment komplett herab.
Der Trupp mit seinen Gefangenen war noch rund zehn Meter entfernt. Yunok hatte ein paar Schritte in den Laderaum hineingemacht, doch jetzt blieb er stehen, um das Geschehen zufrieden und gelassen aus dem Hintergrund zu verfolgen. Dabei fiel ihm auf, dass seine Leute sich in Zweiergruppen näherten. Das sah irgendwie merkwürdig geordnet aus, immer einer schräg hinter einem anderen. Und wenn er jetzt genauer hinsah, erkannte er auch, dass einige Uniformen irgendwie nicht zu passen schienen. Unwillkürlich löste er seine vor der Brust verschränkten Arme und gab seine lockere Haltung auf. Irgendetwas stimmte hier nicht!
Doch bevor seine inneren Alarmsirenen zu schrillen begannen, sah er im Buschwerk hinter seinen Männern einen kurzen, grellen Blitz aufflammen und schon einen Lidschlag später krachte eine Granate knapp hinter der Ladeluke in den Boden. Eine Fontäne in einer Mischung aus Sand, Gesteinsbrocken, Flammen und Rauch zuckte in die Höhe und schwappte über die Umgebung. Sand und Steine prasselten auf die Laderampe, gegen die Außenhülle. Der Explosionsdonner rauschte in das Innere des Schiffes und erzeugte dort ein brüllendes Echo.
Sofort brach Hektik aus, da nicht klar war, wer geschossen hatte. Beim ersten Überflug hatten sie fünf Personen ausgemacht. Yunok hatte fünf Gefangene gezählt. Oder war ihr Anflug doch bemerkt worden und es hatte sich Jemand rechtzeitig verstecken können? Oder war gar der Feind in der Nähe? Doch wo waren dann die Fliegerstaffeln? Der Lieutenant war noch niemals nur feindlichen Bodentruppen begegnet, außer bei den Insektenbestien. Immer hatte es Luftunterstützung gegeben. Yunok stand vor einem Rätsel.
Woher sollte er auch wissen, dass die Wahrheit ganz woanders lag…?
Gilos hatte von Admiral Lobos nur einen einzigen Befehl erhalten. Obwohl sie nun schon seit sieben Jahren hier an den Wasserfällen des Mioli-Flusses gestrandet waren, war die alte Befehlskette aufrechterhalten worden, weil klar war, dass sie nur so vernünftig überleben konnten. Deshalb hatte er auch nicht gezögert, ihn auszuführen.
Und er tat es gut. Die Granate explodierte genau dort, wo sie auch sollte und sorgte jetzt ganz sicher für die erhoffte Verwirrung.
Deshalb ließ er die Waffe sinken und schaute relativ entspannt, aber sehr neugierig auf das Geschehen am Flugboot.
Denn von den zwölf Soldaten, die Jagd auf ihre neuen Freunde gemacht hatten, war kein einziger mehr aktiv am Geschehen dabei.
Lobos, das monströse Bärenwesen, er und die anderen hatten sich gut versteckt und im entscheidenden Moment eiskalt, schnell und effektiv zugeschlagen. Allein Leira hatte mit einem einzigen Prankenschlag gleich vier Soldaten ins Reich der Träume geschickt. Ohne dass auch nur ein einziger Schuss fiel, konnten sie die Truppe aus dem Flugboot überwältigen und ihnen die Waffen abnehmen. Gilos war sehr überrascht, wie gut sie alle noch miteinander harmonierten, doch war es für ihn ein Zeichen dafür, dass sie noch immer eine kampfstarke Truppe waren.
Dann sprach Commander Mavis und machte den Männern mit wenigen, emotionslosen, aber unheimlich deutlichen Worten ihre Situation klar. „Man sagte euch, wir wären Verräter. Das ist eine Lüge. Doch wir sind vogelfrei und haben daher nichts mehr zu verlieren. Also tut, was man euch sagt und ihr werdet leben. Tut es nicht und wir sind alle tot. Uns…!“ Er blickte in die Runde seiner Verbündeten und alle nickten. „…ist das einerlei!“
Von den Männern aus dem Boot widersprach niemand, niemand protestierte, niemand wollte den Helden spielen.
Also mussten sich sieben der zwölf Männer ihrer Kleidung entledigen und wurden dann gefesselt. Sie lagen jetzt hilflos neben Gilos und wurden von Leira mit finsterer Miene bewacht, was sie dermaßen einschüchterte, dass sie nicht wagten, sich auch nur zu bewegen. Ihre Kleidung zogen Lobos und die anderen an. Er, Gilos, sollte zurückbleiben und mit dem Granatwerfer im richtigen Moment Panik erzeugen, denn selbstverständlich wären sie alle irgendwann so nah am Flugboot gewesen, dass sie ihre Finte nicht mehr länger hätten aufrechterhalten können.
Dieser Zeitpunkt war vor wenigen Augenblicken gewesen.
In der jetzt herrschenden Verwirrung konnten sie schließlich ihr eigentliches Ziel verfolgen: Die Übernahme des Flugboots. Und Gilos hatte quasi einen Logenplatz zum Zuschauen.
Der Qualm war dick und undurchdringlich und Mavis liebte ihn.
In dem Moment, da die Granate detoniert war und ihre Energie in alle Richtungen freigesetzt hatte, änderte sich das Bild vor dem Flugboot dramatisch.
Gezielte Schläge setzten die verbliebenen Soldaten außer Gefecht und sie sackten zu Boden. Vilo, der den Ohnmächtigen gespielt hatte, war blitzschnell auf den Beinen und rannte, ebenso wie alle anderen, geduckt, aber so schnell es ging, seitlich an der Qualmwolke entlang zur Laderampe. Wenige Augenblicke später hatten sie das Innere des Schiffes erreicht.
Mavis erkannte etwa zehn bis fünfzehn Personen dort, doch alle konzentrierten sich mehr auf die Explosion, als auf die anstürmenden Männer. Offensichtlich hatten sie sie noch nicht als Bedrohung registriert. Das verhalf ihnen zu einigen, wenigen Sekunden, die sie aber effektiv nutzten. Beinahe gleichzeitig konnten fünf weitere Männer ausgeschaltet werden. Erst dann schienen die anderen zu bemerken, dass auch die vermeintlichen Geiseln frei herumliefen. Doch bevor für sie an Gegenwehr überhaupt zu denken war, waren weitere vier von ihnen ausgeschaltet. Die restlichen fünf Männer suchten sofort den Kampf und lieferten ehrenvolle Gegenwehr, doch Mavis war sicher, dass sie am Ende den Kürzeren ziehen würden.
Er selbst klinkte sich aus und rannte in Richtung Cockpit, um frühzeitig zu verhindern, dass man dort Wind von der Aktion bekam und womöglich einen verdammten Funkspruch absetzen konnte. Mit flinken Schritten durchquerte er das Schott, das ins Mittelschiff führte. Schnell, aber lautlos blickte er sich um, doch er konnte Niemanden sehen. Seine Hoffnung, dass das Boot nur mit kleiner Besatzung geflogen war, schien sich zu bewahrheiten. Somit rechnete er im Cockpit mit maximal vier weiteren Männern. Den Überraschungseffekt und konsequente Härte vorausgesetzt, sollte er sie überwältigen können.
In Gedanken focht er den Kampf dort auch schon aus und spürte plötzlich beim nächsten Schritt die Kälte von Stahl in seinem Nacken, begleitet von den Worten. „Keinen Schritt weiter!“
Es wäre ja auch zu schön gewesen, wenn alles glattgegangen wäre!
Mavis hob seine Hände an und ließ dabei seine Waffe fallen. Während er sich langsam umdrehte, zwang er sich zur Ruhe und Konzentration, denn natürlich war er nicht gewillt, sich wirklich aufhalten zu lassen.
Doch Yunok war nicht so dumm, wie Mavis hoffte. Während sich der Commander umdrehte, riss er seine Pistole in die Höhe. Er wollte Mavis mit dem Knauf gegen die Stirn schlagen, um ihn auszuschalten, zögerte jedoch solange damit, um ihm dabei in die Augen sehen zu können. Für einen winzigen Moment war er dann überrascht, weil ihm klar wurde, dass er sich einen Verräter anders vorgestellt hatte, als den Mann, den er jetzt vor sich hatte. Plötzlich war hinter ihm ein knarrendes Geräusch zu hören. Augenblicklich zeigte sich in Mavis Blick Überraschung, gefolgt von einem lockeren „Hey!“, gerichtet an Jemanden schräg hinter Yunok. Das irritierte den Lieutenant. Er stoppte seinen Schlag und sein Kopf zuckte unwillkürlich nach hinten.
Dieser winzige Moment der Unachtsamkeit reichte Mavis jedoch vollkommen aus. Seine Hände zuckten nach unten, die linke ergriff die Waffe des Lieutenants und sorgte dafür, dass er nicht feuern konnte, die rechte umfasste den Unterarm Yunoks. Gleichzeitig drückte Mavis seinen Arm nach außen weg. In dem Moment, da der Lieutenant erkannte, was geschah und sein Kopf zurückzuckte, machte Mavis einen halben Schritt nach vorn und hämmerte seine Stirn wuchtig gegen die Stirn seines Gegners. Yunok hatte das Gefühl, sein Kopf würde explodieren. Bevor er jedoch aufschreien konnte, spürte er, wie ihm das Knie seines Gegners in einem hammerharten Schlag in den Bauch jegliche Luft nahm. Sein Oberkörper wollte vornüber klappen, doch Mavis hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen rechten Arm waagerecht gegen Yunoks Brust gedrückt und nagelte ihn wie ein Wrestler rücklings zu Boden. Der Lieutenant schlug mit großer Wucht auf den Rücken und den Hinterkopf und stöhnte nochmals auf, während es schwarz vor seinen Augen wurde. Dennoch zuckte sein Oberkörper reflexartig ein letztes Mal in die Höhe. Mavis war jedoch sofort bei ihm und schickte ihn mit zwei blitzschnellen, ultraharten Faustschlägen endgültig ins Reich der Träume.
„Bin ich froh, dass ich nicht dein Feind bin!“ Das war Vilo, der jetzt ebenfalls im Gang erschien.
Mavis brummte nur kurz freudlos. „Ist hinten alles klar?“
Vilo nickte. „Wir können das Cockpit stürmen!“
Jetzt nickte Mavis, doch bevor er sich umdrehte, meinte er noch. „Wer sagt dir eigentlich, dass ich dein Freund bin?“ Er blickte sein Gegenüber ausdruckslos an, dann aber musste er kurz grinsen, bevor er sich auf den Weg ins Cockpit machte.
„Blödmann!“ erwiderte Vilo mit einem säuerlichen Lächeln und Kopfschütteln. „Wenn das alles hier jemals vorbei ist, will ich einen Ringkampf. Zwölf Runden!“
Mavis blieb unvermittelt stehen, drehte sich um und grinste. „Und nur der Mama-Schrei beendet ihn!“
Vilo nickte sofort.
„Ist gebongt!“ Mavis hielt seinem Freund die Hand hin und der schlug ein.
„Geil! Einmal Fresse polieren für Vilo!“ flötete Mavis, während er sich umdrehte und weiterging.
Vilo konnte nur noch die Augen verdrehen und ihm grinsend folgen.
Wenige Augenblicke später hatten sie das Cockpit erreicht und mit einem kurzen Blick hinein die Situation dort erfasst. Es gab drei Männer: Der Copilot saß auf seinem Sitz, ein zweiter Mann stand neben ihm, hatte sich zu ihm herabgebeugt und redete leise mit ihm. Mavis und Vilo nahmen an, dass es der Pilot war. Die dritte Person stand keine zwei Meter von ihnen entfernt, hatte ihnen jedoch den Rücken zugedreht, weil sie einige Instrumente kontrollierte.
Das muss der Maschineningenieur sein. Mavis überlegte kurz, wie sie vorgehen sollten. Nach zwei Sekunden drehte er sich zu Vilo. „Der Copilot ist für dich, ich nehme die anderen beiden!“ flüsterte er und sein Freund nickte. Daraufhin packte Mavis die Waffe, die er Yunok abgenommen hatte fester und visierte damit den Piloten an. „Hey!“ rief er laut auf. Während sich der Maschinen-Ingenieur zu ihnen herumdrehte, stoppte der Pilot die Unterhaltung und schaute zu ihm herüber. In diesem Moment schleuderte Mavis die Waffe mit aller Kraft in seine Richtung, während Vilo an ihm vorbei ins Cockpit stürmte. Einen Lidschlag später krachte die Pistole mit einem hohlen Knall frontal gegen die Stirn des Piloten, er schrie auf und sackte dann bewusstlos zur Seite. Zu diesem Zeitpunkt war auch Mavis schon unterwegs und stürmte auf den Maschinen-Ingenieur zu, der ganz sicher nicht wusste, wie ihm geschah. Während er Mavis mit weit geöffneten Augen erstaunt ansah, hob der Commander seine rechte Hand, spreizte sie weit auseinander, klatschte sie frontal in das Gesicht seines Gegenübers und hämmerte so seinen Hinterkopf kurz, aber knallhart gegen die Konsole hinter ihm. Der Mann schrie erstickt auf, dann verlor auch er das Bewusstsein.
Vilos Weg war viel länger und der Copilot ließ sich nur einen kurzen Wimpernschlag von den Aktivitäten der Angreifer ablenken, dann schon zuckte seine Hand zum Funkgerät. Doch er hatte gerade erst den Knopf gedrückt, da stand sein Widersacher auch schon neben ihm und schnalzte mit der Zunge. Der Sergeant drehte sich unwillkürlich in Vilos Richtung und starrte ihn mit großen Augen an.
„Böser Junge!“ meinte der Commander aber nur und schaute sein Gegenüber finster an.
Der Copilot erschrak für einen winzigen Moment sichtbar, dann aber schien ihm klar zu sein, dass er eigentlich nur sprechen musste, um durch den geöffneten Funkkanal eine Warnung nach Kimuri absetzen zu können. Allerdings kam er gerade einmal dazu, seinen Mund zu öffnen und einen abgehakten Ton von sich zu geben, da krachte bereits Vilos Faust blitzschnell und sehr hart in einem Abwärtshaken gegen sein Jochbein und er ging augenblicklich bewusstlos zu Boden.
*
„Wir müssen hier raus!“ sagte Malawi leise und schaute die anderen mit großen, durchdringenden Augen an.
Kendig, Rimbo, Jorik und Idis, die ihr gegenübersaßen, starrten im ersten Moment überrascht und beinahe entsetzt zurück.
Doch dann nickte ihr Mann. „Sie hat Recht!“ Er blickte zu den anderen. „Wir müssen damit rechnen, dass es Narrix gelingt, Mavis und die anderen ebenfalls gefangen zu nehmen!“
„Und wenn er erst einmal alle von uns zusammen hat...!“ fügte Idis finster an.
„…steht unserer Hinrichtung wahrlich nichts mehr im Wege!“ endete Rimbo mit einem Nicken und einem verächtlichen Lacher.
„Wenn es uns aber gelingt, hier auszubrechen…!“ sagte Malawi.
„…steht er womöglich wieder genau da, wo er jetzt steht!“ Auch Jorik schien der Gedanke logisch.
„Also machen wir es, oder wie?“ Malawi blickte in die Runde und alle nickten zögerlich.
*
Mavis stand auf der hinteren Laderampe und schaute zum Ufer des Mioli auf das Buschwerk, in dem sie sich noch vor wenigen Minuten vor den anstürmenden Soldaten versteckt hatten.
Diese – jetzt jedoch gut verschnürte Gefangene – wurden gerade von Captain Tibak, Leira und Lobos Leuten in das Innere des Schiffes geschafft.
Vilo, Captain Cosco und Sergeant Dek befanden sich im Cockpit der Talura und bereiteten ihren Start vor.
Mavis wartete mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf Admiral Lobos, der mit den anderen zum Fluss gegangen, bisher aber noch nicht zurückgekehrt war. Auch fehlte noch einer seiner Leute.
Doch Mavis blieb gelassen und den Umständen entsprechend entspannt. Lobos wusste, dass sie nicht mehr viel länger hier verweilen durften. Feindliche Fliegerstaffeln waren auf dem Weg zu ihnen, ebenso eine verdammte Anomalie. Nur ihr Start und ihre Flucht nach Westen würde ein weiteres Annähern verhindern.
Außerdem würde sicherlich schon bald eine Statusanfrage aus Kimuri hier eingehen und dann wollte Mavis sehr gern schon in der Luft sein.
Er atmete einmal tief durch und einen Augenblick später konnte er den Admiral tatsächlich aus dem Busch hervorkommen und auf das Schiff zulaufen sehen. Dass er allein war, registrierte er wohl, doch blieb er ruhig, bis der Admiral das Schiff erreicht hatte.
„Alles klar?“ fragte er dann.
Lobos nickte. „Ich habe Pilas zurück in die Höhlen geschickt, damit er den anderen berichten kann, dass wir zumindest unser erstes Etappenziel erfolgreich hinter uns gebracht haben. Außerdem sollten Vorkehrungen für die feindlichen Fliegerstaffeln oder gar die Anomalie getroffen werden – für den Fall, dass sie nicht abdrehen, wenn wir gleich von hier verschwinden!“
Mavis sah den Admiral einen Augenblick ausdruckslos an, dann nickte er. Lobos Anweisungen und Gedanken waren logisch und gut.
„Wie weit sind wir hier?“
„Fertig!“ erwiderte Mavis, ging mit Lobos gänzlich ins Innere des Schiffes und betätigte dort den Schließmechanismus für die Laderampe. Während sie in die Höhe fuhr, stellte er über Headset eine Verbindung zum Cockpit her. „Vilo?“
„Ja?“
„Wir sind soweit! Ihr könnt starten!“
Und noch bevor die Luke vollständig geschlossen war, spürte Mavis, wie die Triebwerke hochgefahren wurden und das Schiff vom Boden abhob.
*
„Das ist der Plan?“ Rimbo schaute mit gerunzelter Stirn in die Runde.
„Was fragst du denn so blöd?“ raunte seine Frau sofort zurück. „Du hast doch daran mitgearbeitet!“
Rimbo sah sie mit einem leichten Grinsen an, lachte heiser auf und schüttelte dabei den Kopf. „Wir werden alle sterben! Ihr wisst das?“
„Ach was!“ wehrte Kendig ab. „Wir hätten schon so oft tot sein müssen, wir werden auch das überstehen!“
„Sieh es doch mal so!“ meinte Malawi. „Totgeglaubte leben eben bekanntlich länger!“
„Also ich finde den Plan…!“ Alle wirbelten herum, denn das war Eshas Stimme gewesen. Sie klang schwach, rau und krächzend. Als sie sahen, dass sie wach war, waren alle sichtbar froh und auch Esha konnte sich ein müdes Lächeln nicht verkneifen. „…optimistisch!“ beendete sie ihren Satz. Irgendwie schien das die anderen eher zu betrüben, deshalb fügte sie an. „Aber Optimismus ist geil. Ich bin auf jeden Fall dabei!“
„Na also!“ Idis grinste breit und schaute Rimbo direkt an, der daraufhin zunächst zerknirscht zu sein schien, dann aber ebenfalls lächelte.
„Aber nur…!“ Esha drehte ihren Kopf so, dass sie Shamos ansehen konnte, der noch immer schräg hinter ihr saß und ihren Kopf streichelte. „…dass das klar ist!“ Sie sah ihm direkt in die Augen und ihr Blick wurde todernst. „Ich werde Narrix töten!“