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I Jäger und Gejagte I
ОглавлениеMavis spürte eine leichte Erschütterung des Bodens und hörte einen leisen, weit entfernten Donner. Sofort wurde er aufmerksam, spannte seinen Oberkörper an und richtete sich in seinem Sitz ein wenig auf. Doch als er sich umschaute und in die Gesichter seiner Freunde und der anderen Anwesenden blickte, konnte er nirgendwo eine gleichartige Reaktion erkennen, sodass er sich plötzlich nicht mehr sicher war, ob er womöglich nur einer Einbildung erlegen war.
Vilo und neben ihm Kaleena, Jovis und schließlich Leira saßen links von ihm und aßen stumm von dem heißen, dickflüssigen Würzbrei, den auch er in einer Schale auf dem Schoss hatte. Er sah zwar alles andere als essbar aus, doch schmeckte er ziemlich gut. Seine Freunde wirkten angespannt und geschafft, aber nicht besorgt.
Links neben ihnen saßen Cosco, Dek und Captain Tibak, alle drei hatten Wasserbecher in den Händen und tranken stumm und mit gesenktem Blick daraus. Cosco wirkte sehr ernst und nachdenklich, doch das war auch kein Wunder, wusste er seinen Sohn doch in diesem Moment in Gefangenschaft auf Kimuri.
Mavis drehte seinen Kopf nach rechts und sah zunächst den jungen Chalek und Pater Matu. Wie auch Vilo und Kaleena aßen sie stumm von dem Würzbrei. Der Priester wirkte erschöpft, doch der Junge hatte wie stets ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Woher nimmt er in dieser gottverdammten Scheißwelt nur eine derart widerlich positive Einstellung? dachte Mavis nicht zum ersten Mal.
Dann schaute er direkt neben sich und da saß Melia. Augenblicklich war er wieder berauscht von ihrem Anblick und hätte sie am liebsten in seine Arme geschlossen, von hier weggeführt und einfach nur ihre unbedingte Nähe genossen. Schon jetzt konnte er durch all den Schmutz und Schweiß hindurch den wundervollen Duft ihrer Haut riechen. Im nächsten Moment schaute sie von ihrer Schale auf und blickte ihm direkt in die Augen. Mavis erschrak beinahe und spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Ja, diese Frau war das fantastischste Wesen, dem er je begegnet war, in ihren Augen loderte ein Feuer, von dem er gefangen war, kaum, dass er in sie hinsah. Eine wohlige Gänsehaut kroch über seinen Rücken bis unter seine Schädeldecke.
Melia versuchte ein Lächeln, doch es wollte ihr nicht recht gelingen. Auch wirkte sie im Allgemeinen eher traurig, doch konnte es auch einfach nur sein, dass sie körperlich vollkommen erschöpft war. Mavis wusste, dass es noch einige Zeit brauchen würde, um ihr Verhalten und ihre Gesten wirklich zu verstehen – genauso, wie es damals gewesen war… in einem anderen Leben… vor sieben Jahren.
Jetzt kräuselte sie ihre Stirn und schaute ihn fragend an, doch er schüttelte nur den Kopf. Ganz offensichtlich hatte er sich in Bezug auf die Erschütterung und den Donner geirrt. Bevor er seinen Kopf dann wieder nach vorn wandte, konnte er sehen, dass sie ein erneutes Lächeln versuchte, welches ihr aber noch deutlicher misslang, als das erste und sie hiernach noch trauriger wirkte. Mavis wurde sich bewusst, dass er nicht mehr viel Zeit verlieren durfte, um mit ihr in Ruhe und allein zu reden. Wenn doch nur nicht dieser verdammte Krieg wäre, der sie beständig über den Planeten hetzte. Er versuchte, diese Welt noch zu retten, doch was, fragte er sich, wäre, wenn er dabei versagte und er die wenige Zeit, die ihm mit Melia noch blieb, vergeudete?
Bevor ihn dieser Gedanke jedoch übermannte, zwang er sich, sich wieder auf das Geschehen hier zu konzentrieren. Und sein Blick fiel dabei erneut auf den Mann, der ihnen auf der anderen Seite des Lagerfeuers im Kreise seiner Männer gegenübersaß. Er mochte gealtert sein – doch wer war das in den letzten Jahren nicht? – er hatte etliche Narben im Gesicht, auf dem Hals, den Armen – und sicherlich die schlimmsten im Herzen und auf der Seele – doch es war ganz eindeutig Admiral Lobos!
Und die Tatsache, dass er hier lebendig vor ihnen saß, grenzte für Mavis ehrlich an ein Wunder, an das er kaum glauben mochte, dem er sich jedoch auch nicht verschließen konnte. Um Lobos herum saß etwa ein Dutzend seiner Männer. Verwitterte, aber sichtbar entschlossene Gestalten, mit deutlichen Zeichen harter Gefechte auf ihren Körpern.
In Mavis Kopf überschlugen sich etliche Fragen, doch noch war er nicht dazu gekommen, sie zu stellen.
Vielmehr musste er noch immer an die Geschehnisse der letzten Stunden denken, die sie letztlich hierhergeführt hatten:
Nachdem sie aus der unterirdischen Hölle südlich von Porista zurückgekehrt waren und dabei tatsächlich den sagenumwobenen Kristall zur Rettung ihres Planeten in den Händen hielten, wollten sie zurück nach Kimuri fliegen, mussten jedoch dank der Hilfe Marivars erkennen, dass dort der Feind in Gestalt von Panthos Schergen Einzug gehalten hatte und Jorik, Shamos und die anderen gefangen hielt. Wenn Mavis daran dachte, dass es Menschen waren, die ihresgleichen schikanierten, wurde ihm beinahe übel und er verspürte einen unbändigen Hass auf Narrix und seine Männer. Der Planet wurde von den furchtbarsten Kreaturen heimgesucht und die Menschen hatten nichts Besseres zu tun, als sich gegenseitig zu bekämpfen. Doch er wusste nur zu genau, wer eigentlich hinter diesem himmelschreienden Komplott steckte: Commander Panthos, der als Nuri des poremischen Volkes und mittlerweile Vorsitzender des Hohen Rates, dessen Sitz sich in Eshamae unterhalb der Wasseroberfläche befand, seinen Mitgliedern weismachte, dort in Sicherheit zu sein. Mavis hoffte, dass diese aufgeblasenen, alten Schwachköpfe bald erkennen würden, dass sie Unrecht damit hatten. Noch mehr jedoch hoffte er darauf, Panthos noch einmal persönlich gegenübertreten zu können – um ihn zu töten. Für das, was er den Menschen in seinem blinden Fanatismus antat.
Doch das waren Gedanken, die er zurückdrängen musste. Hier gab es viel wichtigere Dinge zu klären.
Bevor sie ihren Kurs auf Kimuri ändern konnten, wurden sie bereits verfolgt. Ihre Flucht führte sie auf das poremische Festland nördlich von Ara Bandiks und südlich des Geländes der Imrix Corporation zum Piritak-Massiv. Ihre Hoffnung, kampflos zu entkommen, erfüllte sich nicht und so gab es ein Feuergefecht, in dem gute Menschen starben und ein Flugboot zerstört wurde. Vollkommen sinnlos!
Ihr eigenes Schiff wurde dabei so schwer beschädigt, dass sie notlanden mussten. Gerade noch in letzter Sekunde konnten sich alle in Sicherheit bringen, bevor auch es explodierte.
Ihr Weg führte sie dann in ein angrenzendes, noch immer überraschend dicht bewachsenes Sumpfgebiet ganz in der Nähe des Mioli-Flusses, der letztlich weiter nordöstlich in die Schluchten von Kindagi mündete. Mavis wusste noch genau, dass er das Wasser rauschen hören glaubte, als plötzlich der Boden unter ihren Füßen nachgab, sie über eine Art Rutsche in die Tiefe schossen, letztlich in einer großen Pfütze wieder zum Erliegen kamen und dann in nichts Geringeres blickten, als das Gesicht des todgeglaubten Admiral Lobos.
Lobos gab ein paar knappe Befehle an seine Männer und man holte sie aus dem stinkenden, feuchten Loch. Die Begrüßung erfolgte dann wortkarg, aber herzlich und sichtbar emotional, zumindest nachdem Vilo ihnen die Furcht vor Leira genommen hatte, der sie anfangs natürlich extrem distanziert gegenübergestanden waren. Während Lobos und seine Männer sie durch ein weitverzweigtes Tunnelsystem in eine ziemlich große Höhle brachten, war eigentlich er es, der ihnen Fragen stellte, als umgekehrt. In der Höhle bot er ihnen einen Platz am Lagefeuer an, um sich zu wärmen und man gab ihnen zu essen und zu trinken. Ein paar seiner Männer kümmerten sich um die wenigen Überlebenden der Hochebene südlich von Porista, die lange Zeit das Zuhause Melias gewesen war, und brachten sie in andere Höhlen.
Dann aßen alle zunächst von dem Würzbrei und es wurde nicht geredet. Da alle ausgesprochen ausgepumpt waren, akzeptierten sie diesen Moment der Ruhe.
Doch Mavis spürte schnell, dass all seine Fragen ihm den Appetit abschnürten. Er wollte auch gerade loslegen, als er die Erschütterung gespürt hatte, sodass er zunächst wieder davon abgekommen war.
Als er jetzt aber wieder ansetzen wollte, sah er, dass Lobos seine Schale beiseitegestellt und sich stattdessen einen Wasserbecher genommen hatte, den er in den Fingern drehte, während er ihn mit nachdenklichem Blick fixierte. „Sie wollen wissen, was mit uns...!“ Er drehte seinen Kopf blicklos zur Seite, wo seine Männer saßen. Seine Stimme klang rau, tief und etwas müde „...geschehen ist und warum wir noch leben!“ Er schaute auf und seine graublauen Augen bohrten sich förmlich in Mavis und die anderen. Vilo nickte, während Mavis versuchte, die Emotionen des Admirals zu ergründen. Lobos wirkte nach außen hin vielleicht sogar noch stärker - nein, gestählter war sicherlich das bessere Wort – als noch vor Jahren, doch in seinen Augen meinte Mavis Verbitterung und Hoffnungslosigkeit zu erkennen, was ihn jedoch nicht wirklich überraschte. Jetzt lachte Lobos einmal leise auf, doch es war nur eine müde Geste, dann schaute er wieder auf das Wasserglas in seinen Händen. Für einen Augenblick blieb er still, als würde er tief in Gedanken versinken und vor seinem inneren Auge schienen düstere Bilder aufzutauchen, denn sein Blick wurde zusehends ernster. „Die Kamarulu…!“ begann er dann mit einem tiefen Atemzug, bei dem er seinen Körper straffte, seinen Kopf wieder anhob und blicklos in die Runde schaute. „…war vom ersten Bauteil, vom ersten Federstrich der ersten Zeichnung, ja…!“ Wieder lächelte er müde. „…vom allerersten Gedanken überhaupt an, das wohl mit Abstand ehrgeizigste technische Projekt, das Menschen hier auf diesem Planeten je in Angriff genommen hatten. Niemals zuvor hatte Jemand versucht, ein solch gewaltiges Objekt zu bauen, geschweige denn einen solchen Koloss danach auch noch in die Lüfte zu erheben!“ Jetzt lächelte er für einen Augenblick ehrlich erfreut. „Und doch ist es am Ende gelungen. Größer, gewaltiger und effizienter, als man es je zu hoffen gewagt hatte. Das Ergebnis war die Kamarulu, das mächtigste Schlachtschiff aller Zeiten, ausgestattet mit einer Technik, bei deren Entwicklung die besten Ingenieure von Imrix vielfach Grenzen überwinden und vollkommen neue Welten betreten mussten und dabei technischen Fortschritt für Generationen entwickelten!“ Lobos Stimme war beinahe ehrfurchtsvoll, seine Augen leuchteten. Er ließ seine Worte für einen Moment nachwirken. „Mit ihrer Indienststellung gab es Niemanden mehr, der es gewagt hätte, das poremische Volk anzugreifen. Doch auch die kriegerischen Auseinandersetzungen in anderen Ländern ließen deutlich nach. Fast schien es so, als wäre die Kamarulu ein Mahnmal für den Frieden!“ Wieder lächelte er. „Santara sah in eine wundervolle, glorreiche Zukunft!“ Plötzlich wurde sein Blick traurig und ernst. „Bis die erste Anomalie auftauchte und alles innerhalb weniger Stunden auf so furchtbare Weise änderte!“ Lobos hielt inne und schaute – dieses Mal bewusst – in die Runde, dass jeder Einzelne das Gefühl hatte, er würde ihm direkt in die Seele blicken und Viele eine Gänsehaut bekamen.
Charismatisch, dachte Mavis mit einem inneren Lächeln, ja, das war Lobos schon immer gewesen.
„Als man seinerzeit an mich herangetreten war und mir von dem Plan, ein mächtiges Schlachtschiff zu bauen, erzählte und mich bat, bei der Entwicklung mitzuhelfen, zögerte ich zunächst, da jede militärische Errungenschaft in erster Linie die Gefahr einer Angriffswaffe in sich birgt und erst dann der Aspekt der Verteidigung zum Tragen kommt. Da mir die ungeheure Kraft der Kamarulu jedoch bereits damals bewusst war, beschloss ich, mich dem Team anzuschließen, um genau das zu verhindern. Am Ende war ich sicher, eine starke Waffe gegen den Krieg mitentwickelt zu haben. Das man mir schließlich das Kommando über sie anbot, kam für mich tatsächlich überraschend. Es war eine besondere Ehre für mich, diesen Posten annehmen zu dürfen…und das ist es stets geblieben!“ Lobos blickte wehmütig, bevor er sich mit einem tiefen Atemzug wieder zusammenriss. „Dann kam der Einsatzbefehl für den Luftkampf über Ara Bandiks!“ Seine Gesichtszüge verhärteten sich mit jedem Wort immer mehr. „Wir wussten, mit der Kamarulu hatten wir die ultimative Schlagwaffe gegen die Invasoren. Im Luftkampf waren wir überlegen, unsere Piloten hervorragend ausgebildet. Keiner dieser…Bastarde hätte eine Chance gegen sie gehabt, doch die zahlenmäßige Übermacht war einfach unfassbar groß. Wir mussten unsere kompletten Staffeln in Einsatz bringen. Zwei Divisionen mit je vier Bataillonen, bestehend aus je sechs Kompanien mit je vier Staffeln. Das waren 447 Kampfjäger, 81 Kampfbomber, 24 Truppentransporter, 14 Aufklärungsflugzeuge und 10 Schwerlasttransporter. Insgesamt 576 Flugzeuge im Dauereinsatz!“ Wieder hielt Lobos inne und hing für einen Augenblick seinen Erinnerungen nach. „Viele gute, aufrechte Männer sind an diesem Tag in den Wolken über Ara Bandiks gestorben. Doch hätten wir es geschafft…!“ Erneut atmete er tief durch, sein Blick aber blieb ernst und traurig. „Aber dann...!“ Er hielt inne, schüttelte den Kopf und schien fast ein wenig verzweifelt. „…quoll aus dem Schlauch der Anomalie jenes gewaltige Schlachtschiff und brachte dieses Meer aus furchtbaren Kreaturen mit sich, die sich wie brennendes Öl über die Stadt ergossen!“ Lobos Gesicht war eine einzige angewiderte Maske und Mavis hätte sich wirklich nicht gewundert, wenn er ausgespien oder gar gekotzt hätte. Doch ihm ging es ähnlich, denn mit seinen Worten hatte der Admiral – und nicht nur bei ihm, sondern auch bei Vilo, Cosco und seinen eigenen Männern – furchtbare Bilder aus der Erinnerung einer der dunkelsten Stunden dieses Planeten hervorgerufen, denen sie sich kaum entziehen konnten und ihnen eine ekelhafte, eiskalte Gänsehaut über den Körper trieb.
„Und urplötzlich hatten sich die Kräfte verschoben!“ fuhr Lobos fort. „Die Kamarulu war nicht mehr die mächtigste Waffe am Himmel, hatte jetzt einen absolut gleichwertigen Gegner bekommen!“ Seine Züge nahmen einen angewiderten Ausdruck an. „Der einen entscheidenden Vorteil besaß: Er konnte trotz aktiviertem Schutzschild feuern!“ Emotionen kamen sichtlich in ihm hoch, die er nur mit Mühe unterdrücken konnte. „Und damit war der Schwachpunkt…der einzige Schwachpunkt…der Kamarulu bloßgelegt. Sie war ein Trägerschiff!“ Seine Worte klangen fast entschuldigend. „Nicht auf die direkte Konfrontation mit dem Gegner ausgelegt. Der Schutzschild diente dazu, die Jäger zu schützen, wenn sie auftankten und Munition nachluden. Um angreifen zu können, musste sie ihr Schutzschild deaktivieren!“ Er blickte ehrlich betroffen in die Runde und erkannte den nickenden Vilo. Plötzlich fiel ihm ein, dass er es – damals noch in seiner Funktion als Nuri – gewesen war, der den Befehl dazu gab. Ein guter Befehl, weil absolut alternativlos, den Lobos auch nie angezweifelt hatte „Oh, die Bewaffnung der Kamarulu war gewaltig, hätte sicherlich jeden anderen Gegner daran gehindert, sie anzugreifen, doch hatte bei ihrer Entwicklung natürlich niemand je damit gerechnet, dass sie sich einmal einem ebenbürtigen Gegner gegenübersehen würde!“ Sein Blick wurde wieder finster. „Doch genauso war es. Ihre Jäger konnten unsere Kampfjets attackieren, das feindliche Schiff die Kamarulu und unsere Jäger. Wir hatten somit gar keine andere Wahl, als ihnen zu helfen. Doch kaum hatten wir unseren Schutzschild deaktiviert, zogen wir allen Beschuss auf uns. Die Durchschlagskraft ihrer Waffen war absolut mörderisch und etwas, dem wir nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatten. Innerhalb kürzester Zeit mussten wir schwere Treffer hinnehmen und den Schild schließlich wieder hochfahren. Jetzt aber hatte sich das feindliche Schlachtschiff auf uns eingeschossen und es war absolut klar, dass es alles daransetzen würde, die Kamarulu zu zerstören!“ Lobos hielt inne und atmete einmal tief durch. „Ich habe das gesehen und eine Entscheidung getroffen!“ Seine Züge verhärteten sich. „Einem weiteren Beschuss durch das Schlachtschiff und die feindlichen Jäger hätten wir trotz Schutzschild nicht viel länger standhalten können. Die Kamarulu wäre zu einem Feuerball am Himmel über Ara Bandiks geworden und hätte am Boden alles Leben ausgelöscht. Also befahl ich abzudrehen und nach Nordosten zu fliegen, zum Piritak-Massiv. Wenn es uns gelänge, das gewaltige Schiff wegzulocken, hätten es unsere Piloten nur mit den feindlichen Jägern zu tun und damit noch eine Siegchance! Und wir gegen das Schlachtschiff in den Schluchten des Bergmassivs vielleicht auch!“ Er nickte mehrmals, als würde er in Gedanken seine Entscheidung nochmals durchdenken und zu demselben Schluss kommen. „Tatsächlich ging der Feind auf unser Manöver ein und folgte uns, doch der Flug wurde mehr und mehr ein Spießroutenlauf, bei dem wir weitere schwere Treffer hinnehmen mussten, bis schließlich der Schutzschild ausfiel! Damit war klar, dass die Schluchten des Bergmassivs unsere einzige und letzte Rettung waren! Bevor wie sie aber erreicht hatten, gelang es dem Feind, noch eine letzte, gewaltige Breitseite auf uns abzusetzen! Die Zerstörungen an und in der Kamarulu waren unvorstellbar und uns allen klar, dass wir das Schiff nicht mehr retten konnten! Alles was uns noch blieb, war, zu versuchen, das feindliche Schlachtschiff mit uns in den Tod zu ziehen! Also bereiteten wir alles für die letzte Fahrt der Kamarulu vor!“ Er stockte wieder und atmete nochmals ein, bevor er fortfuhr. „Ich gab den Befehl, vollen Schub zu leisten, obwohl nur noch vier der sechs Triebwerke intakt waren. Doch mir war klar, dass wir alles daransetzen mussten, den Bergeinschnitt, dem wir gerade folgten, hinter uns zu bringen, bevor ihn das feindliche Schlachtschiff erreicht hatte. Das hätte die Kamarulu zwar nicht mehr gerettet, uns aber vielleicht noch in die Lage versetzt, einen hohen Blutzoll für unseren Tod zu fordern.
Und es gelang tatsächlich!
Wir hatten die erste Biegung durchlaufen, bevor der Feind den Taleinschnitt erreicht hatte.
Und es wurde sogar noch besser:
Das Tal, in dem wir uns befanden, fiel stark ab. Aus dem Felsmassiv zu unserer Rechten stürzten die gewaltigen Wassermassen des bis dahin unterirdisch verlaufenden Mioli-Flusses herab. Die tosende Gischt spannte eine dichte Nebelwand vor uns auf.
Ich erinnerte mich an diese Stelle, da ich in meiner Kindheit schon einmal hier gewesen war und wusste daher, dass sich schon nach weniger als einer Meile zwei weitere, dicht aufeinanderfolgende Wasserfälle von absolut beachtlicher Größe anschlossen. Hiernach verschwindet der Mioli nach einigen Meilen wieder im Planeteninneren, bevor er am Fuße der Schluchten von Kindagi erneut austritt und sich mit dem Kindagi-Strom vereint.
Hier sah ich eine Chance, mit letzter Kraft den Jäger zum Gejagten zu machen und ihn in einen Hinterhalt zu locken.
Ich verlangte der Kamarulu so viel mehr ab, als sie eigentlich noch zu Geben im Stande war, doch zeigte sich, welch fantastisches Schiff wir gebaut hatten. Es gelang uns, einen schier unglaublichen Looping zu fliegen, bei dem wir das Schiff am höchsten Punkt nach rechts abkippen ließen. So konnten wir der Bergflanke folgen und dann quasi um den Gipfel herumfliegen. Es war Millimeterarbeit, überall ächzte und stöhnte es, der Stahl, die gesamte Konstruktion brüllte wütend auf, doch brach sie nicht auseinander. Unser Pilot…!“ Lobos deutete auf einen noch recht jungen Mann mit kurzen, schlohweißen Haaren, dunkel leuchtenden Augen und einer kurzen, spitzen Nase, die seinem Blick etwas Schelmisches verlieh. „…vollbrachte in diesen und den darauffolgenden Momenten nicht weniger als ein waschechtes Wunder!“ Der Angesprochene lächelte. Lobos wandte sich zu ihm um und sah ihn direkt an. „Ich habe noch niemals zuvor einen besseren Mann auf diesem Posten gehabt. Unser aller Leben…!“ Er deutete auf die anderen Personen aus seiner Mannschaft. „…ist dein Verdienst! Solltest du jemals wieder fliegen können und eine Besatzung brauchen, kannst du auf mich…auf uns alle… zählen!“ Überall wurde genickt und der Pilot war jetzt sichtlich bewegt.
Und als Lobos dieses Mal fortfuhr, klang seine Stimme sehr emotional und aufgekratzt, hallte beinahe geheimnisvoll und unheilschwanger in der Höhle wieder, als würden die Ereignisse von damals jetzt tatsächlich noch einmal vor seinem inneren Auge ablaufen und zogen damit innerhalb weniger Sekunden ausnahmslos jeden in seinen Bann
Es gelang dem Piloten, das Schiff aus dem Radarbereich des Feindes zu bringen. Die Kamarulu gab ihr Letztes. Ein weiteres Triebwerk fiel aus. Nur mit Mühe konnte sie den nötigen Schub erzeugen, um sich überhaupt noch an der Flanke des Berges in die Höhe zu schrauben. Kurz vor dem Gipfel hatte sich die Geschwindigkeit derart verringert, dass ich befürchtete, sie würde auf den letzten Metern versagen. Immer wieder wurde der Rumpf des Schiffes zusätzlich durch wuchtige Explosionen erschüttert, die ihm quasi die Eingeweide herausrissen und für eine bedrohliche Schlagseite sorgten.
Allen an Bord, dessen bin ich sicher, war klar, dass dies die letzte Reise der Kamarulu sein und dass es keine Überlebenden geben würde. Der endgültige Absturz eines derart gewaltigen Schiffes würde solch immense Energien freisetzen, dass alles innerhalb weniger Momente zu Staub verbrennen würde.
Komm schon, rief ich mit schweißnasser Stirn mehr zu mir selbst und betrachtete besorgt den Geschwindigkeitsmesser, der weiterhin gnadenlos abfiel. Nur noch dieses eine Mal, Kleine! Der Gipfel war noch zweihundert Meter von uns entfernt. Sie musste doch nur noch wenige Sekunden durchhalten. Das Brüllen der verbliebenen Triebwerke hatte sich mittlerweile zu einem erbärmlichen Heulen gewandelt und der gesamte Rumpf des Schiffes begann zu erzittern. Nun komm schon, brüllte ich und meine Männer starrten mich entsetzt an.
Dann hatte der Bug den Gipfel erreicht und schob sich darüber hinaus.
Wo ist unser Zielobjekt? rief ich.
Es hat den Eingang in das Tal fast erreicht!
Lassen sie das Schiff über den Bug kippen und gehen sie auf Frontalkurs! Behalten sie volle Leistung auf den Triebwerken bei.
Der Pilot nickte und wenige Momente später legte sich die Kamarulu in eine scharfe Rechtskurve, indem er den gesamten Rumpf kippte und dabei den Bug in die Tiefe drückte. Eben noch mit dem Blick in den Himmel, erschienen jetzt wieder massive Felsformationen vor uns und rasten in einer wilden Geschwindigkeit dicht an uns vorbei.
Kaum war der Bug soweit gesunken, dass wir den Einschnitt, in dem wir selbst noch vor nicht einmal einer Minute gewesen waren, sehen konnten, konnten wir auch den gewaltigen Rumpf unseres Verfolgers ausmachen, wie er sich langsam in das angrenzende Tal hineinschob.
Wieder erzitterte die Kamarulu und fast gleichzeitig erschütterte eine gewaltige Explosion den Rumpf, als das hintere der beiden Flugdecks an der Steuerbordseite in einem gleißenden Feuerball zerfetzt und abgesprengt wurde.
Die riesige Stahlkonstruktion raste in die Tiefe und krachte mit unbändiger Wucht auf den Bergrücken, wo sie noch einmal in einer irrsinnig wuchtigen Detonation vollständig zerrissen wurde.
Triebwerke aus! brüllte ich. Gehen sie auf Parallelkurs über das feindliche Schiff! Zielerfassung für alle Waffensysteme!
Der Offizier tippte seine Befehle ein, dann nickte er mir zu. Ziel ist erfasst!
Also dann meine Herren, rief ich, um den gewaltigen Lärm des Schiffes zu übertönen. Es war mir eine Ehre, mit ihnen fliegen zu dürfen! Und jetzt…Feuer!
Es war ein unglaubliches Schauspiel:
Die Kamarulu donnerte beinahe im Sturzflug auf das feindliche Schiff hinab, bevor sich ihr Bug wieder hob. Zu diesem Zeitpunkt befand sie sich etwa eine halbe Meile hinter ihm. Kaum hatte sich der Rumpf ausgerichtet, wurde der Feuerbefehl ausgeführt.
Innerhalb weniger Augenblicke zuckten annähernd achtzig Projektile aller Größen und Sprengkraft aus den Mündungsrohren unseres Schiffes und jagten auf den Feind zu, wo sie einen Wimpernschlag später beinahe zeitgleich einschlugen und ihre gewaltige Energien freisetzten.
Der Schutzschild des feindlichen Schiffes konnte einige der Angriffe abwehren, doch die meisten fanden ihr Ziel und trieben ihre tödliche Wucht durch die Außenhaut in das Innere hinein. Überall flammten grelle Blitze auf, schossen Feuer und Trümmerteile in alle Richtungen, vermischten sich mit dunklem Qualm zu gigantischen Flammenfäusten.
Immer wieder zuckte der Rumpf erbärmlich unter den Einschlägen der Projektile und der Wucht der Detonationen. Fast augenblicklich stoppten die Maschinen des Schiffes, während die Kamarulu mit hoher Geschwindigkeit nur einhundert Meter über seinem Rumpf hinwegdonnerte und Sekunden später mit schwerer Schlagseite und unzähligen eigenen Flammenherden in der Nebelwand aus Wolken und Gischt, hervorgerufen durch den gewaltigen Wasserfall aus dem Bergmassiv zur Rechten, verschwand.
Stille erfasste die Höhle, als Lobos geendet hatte, denn seine Worte hallten noch deutlich in den Köpfen der Anwesenden nach. Diejenigen, wie Vilo, Mavis, Cosco, Tibak, aber auch Pater Matu, die wussten, wovon der Admiral gesprochen hatte, waren gefangen von den Bildern, die seine Worte erzeugten, doch auch die anderen, wie Kaleena, Melia und Chalek, die die Kamarulu nie gesehen hatten und von militärischer Kampfführung nicht viel verstanden, waren beeindruckt und sprachlos.
Überraschenderweise war es Lobos selbst, der wieder seine Stimme erhob. „Unser Feind muss mächtig geschockt von unserer Attacke gewesen sein, denn er feuerte nicht mehr auf uns. Außerdem stoppte er seine Maschinen. Wenige Augenblicke später muss er dann hinter dem Nebel die gewaltigen Explosionen gesehen haben, die unser Ende zeigten. Als das feindliche Schiff schließlich über die Wasserfälle hinweg flog, war zu sehen, dass es schwere Schäden hatte hinnehmen müssen. Es drehte dann nach Süden ab. Wir haben es seither nicht wiedergesehen!“
Wieder trat Stille ein, denn Mavis und die anderen wussten nicht, wie sie Lobos überraschende Worte deuten sollten.
Vilo musste dann wohl der Meinung gewesen sein, zumindest irgendetwas zum Besten zu geben. „Verdammt Admiral. Sie und ihre Männer sind aber auch ein verwegener Haufen!“ Er grinste und nickte beeindruckt.
„Ja!“ Das war Melia und alle schauten sie ziemlich überrascht an, weil ausgerechnet sie das Wort ergriff. „Aber es erklärt nicht wirklich…!“ Sie wurde, ob der vielen Blicke auf sich, etwas unsicher. „…warum…ähm…sie noch leben!“ Sie blickte hilfesuchend zu Mavis. „Oder?“
Mavis schaute Melia zunächst ebenso überrascht an, wie alle anderen, doch dann erkannte er, dass sie einfach nur Recht hatte und lächelte ihr zu. Sie erwiderte diese Geste jedoch nur sehr kurz, dann wurde sie wieder ernst…nein, nicht ernst…traurig. „Melia hat Recht!“ sagte er dann aber und wandte sich an Lobos. „Wie zum Teufel sind sie noch rechtzeitig von Bord gekommen?“
Alle Blicke waren jetzt auf den Admiral gerichtet, doch der antwortete nicht sofort, sondern schaute zunächst jeden Einzelnen an, bis sein Blick auf Mavis haften blieb, der in den Augen seines Gegenübers ein Funkeln und auf seinen Lippen sogar ein leichtes Lächeln zu erkennen glaubte. Als Lobos dann den Mund öffnete, sagte er nur ein einziges Wort: „Gar nicht!“
„Wie bitte?“ Mavis glaubte sich verhört zu haben.
„Was soll das heißen?“ fragte Cosco. „Dass sie den Absturz an Bord des Schiffes überlebt haben?“
Der Admiral antwortete nicht, sondern nickte nur.
„Was?“ platzte Vilo hervor. „Aber das ist doch Bullshit!“ Seine Miene verdunkelte sich zusehends. „Niemand kann den Absturz der Kamarulu überleben!“
„Stimmt!“ Lobos nickte erneut. „Allein die sechs Triebwerksreaktoren haben so viel Energie in sich, um alles zu Staub zu verbrennen!“
„Eben!“ Vilo fühlte sich bestätigt. „Meine Rede!“
Mavis schaute den Admiral direkt an. „Und dennoch sitzen sie alle hier!?“ Sein rechtes Auge verengte sich dabei zu einem schmalen Schlitz. „Wie passt das zusammen? Gab es noch einen intakten Jet an Bord. Oder eine Rettungskapsel?“ Er schaute zu Vilo. „Hatte sie Rettungskapseln?“
„Nein!“ erwiderte sein Freund. „Sie hatte keine!“
Lobos nickte erneut. „Richtig! Und einen intakten Jet gab es auch nicht!“ Wieder hatte Mavis das Gefühl, dass der Admiral leicht amüsiert wirkte.
„Ich glaube…!“ hob Melia an und erneut blickten alle zu ihr. Für eine Sekunde befiel sie Unsicherheit, doch dann straffte sich ihr Oberkörper. „…der Admiral meint nicht, dass er beim Absturz an Bord war…!“ Sie erkannte, dass Mavis sie ansah und warf ihm einen kurzen, ernsten Seitenblick zu. „sondern, dass…ähm…es keinen Absturz… gegeben hat!“ Sie schaute Lobos mit großen Augen an, dessen Lächeln daraufhin etwas stärker wurde.
„Was?“ platzte Vilo ziemlich gereizt hervor. „Aber das ist doch noch größerer Blödsinn!“ Er warf Melia einen abschätzigen Blick zu. „Ich habe das Satellitenbild gesehen. Alles hier war eine einzige, gewaltige Flammenwolke!“
„Das stimmt!“ pflichtete Lobos ihm mit ernster Miene bei, dann wandte er sich an Melia, schaute sie direkt an und lächelte milde. „Aber ich würde dennoch nicht mit ihr schimpfen!“
„Klar!“ zischte Vilo genervt. „Weil sie keine Ahnung hat!“
„Vilo!“ Das war Mavis, für dessen Geschmack sein Freund jetzt zu hart agierte. Er wollte nicht, dass er Melia so anfuhr. „Hör auf!“
„Was?“ protestierte sein Freund jedoch.
Bevor er aber noch etwas sagen konnte, hob Lobos seine Stimme soweit an, dass alle seine nächsten Worte sehr gut hören konnten und er auch die Aufmerksamkeit der beiden Männer hatte. „Nein, weil sie...!“ Er grinste. „…Recht hat!“
Für einen Moment war es mucksmäuschenstill in der Höhle.
Dann platzte Mavis hervor. „Was?“
„Sie wollen uns verarschen, oder was?“ rief Vilo.
„Nein!“ erwiderte Lobos ruhig und gelassen. „Und ich kann es auch beweisen!“