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Schulzeit und Streetgangs
ОглавлениеFür die Capone-Familie muss der Wechsel von einer kleinen Stadt in Süditalien in die Großstadt eines fremden Landes trotz der Einbindung in einen italienischsprachigen Kontext viele Anpassungsschwierigkeiten mit sich gebracht haben. Warum Gabriele, der als Pizzabäcker in Italien angefangen hatte, nun einen neuen Beruf wählte und als Friseur arbeitete, ist nicht geklärt. Vermutlich wandte er sich aufgrund des großen Angebots und der damit verbundenen Konkurrenz im Bäckerhandwerk einem Metier zu, das heute noch oft in den USA mit Italien verbunden wird. Der als Markenzeichen für die Zunft der Haarschneider seit dem Mittelalter gebräuchliche Stab mit rot-weißen Streifen und blauen Enden, die auf die von Friseuren früher ausgeübte medizinische Tätigkeit – vor allem des Aderlassens – hindeuten, wird über die Ausübung des Berufs von italienischen Einwanderern oft mit den amerikanischen Nationalfarben – Rot-Weiß-Blau – assoziiert. Es spricht für seine seriöse Ausübung dieses Berufs, dass Gabriele Capone schließlich ein eigenes Friseurgeschäft betreiben konnte. Teresa setzte den schon in Angri erlernten Beruf einer Näherin fort und trug damit zum Auskommen der ständig wachsenden Familie bei. Zwischen 1896 und 1912 wurden zu den beiden italienischen Jungen noch sieben weitere Kinder, fünf Jungen und zwei Mädchen, geboren. Die Geburt und der Tod eines weiteren Mädchens mit dem Namen Rose 1910, das in gängigen Biografien erwähnt wird, ist offiziell nicht bestätigt. Stattdessen bleibt in diesen Biografien das kurze Leben von Erminia, die am 11. August 1901 geboren wurde und am 18. Juni 1902 starb, meist unerwähnt, wie Mario Gomes auf seiner Homepage festhält (siehe http://www.myalcaponemuseum.com/id213.htm). Die Karrieren von Al Capones Brüdern: Vincenzo [James] (1892–1952), Ralph [Raffaele] (1894–1974), Salvatore [Frank] (1895–1924), John [Erminio] (1901–?), Umberto [Albert] (1905–1980), Amadeo [Matthew] (1908–1967), sowie seiner Schwester Mafalda (1912–1988) verlaufen sehr unterschiedlich und sind nur teilweise mit seinen Aktivitäten verknüpft. Kindheit und frühe Jugend des in Brooklyn geborenen Alphonse Capone stehen weitgehend exemplarisch für das Aufwachsen in kinderreichen Einwandererfamilien im Umfeld einer sich rasant entwickelnden Großstadt in den USA um die Jahrhundertwende. Schon drei Wochen nach der Geburt wurde Alphonse in der nahe gelegenen St. Michael-St. Edward Kirche katholisch getauft. Diese Kirche brannte 1914 ab und wurde 1915 wenige Straßen entfernt neu aufgebaut. Der Neubau musste später einer Schnellstraße weichen. Die Unterlagen, die von den beiden Vorgängerbauten in den dritten Bau an der St. Edwards Street überführt wurden, konnten bei meinen Recherchen in Brooklyn 2018 nicht eingesehen werden, weil umfangreiche Reparaturarbeiten in der Kirche durchgeführt wurden. Es gab keine Hinweise auf Al Capone oder Informationen über die Capone-Familie, obwohl die Familie eng mit der Kirche verbunden war und Ralph und Al sich im Jugendclub, dem Young Menʹs Civic or Catholic Club, für die Belange der Kirche engagierten (s. Gomes). Bekannt ist, dass die Mutter sehr religiös und eine regelmäßige Kirchgängerin war. Diese Kirche konnte sie auch von der bei der Volkszählung („Census“) 1900 erfassten neuen Adresse in der Park Avenue No. 69 leicht erreichen. Der seit 1790 in der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika kodifizierte, alle zehn Jahre durchgeführte „Census“ bildet bis heute eine weitgehend verlässliche Auskunft über die in den USA lebenden Bürger. Der nächste Umzug der Familie im Jahr 1907 in die Garfield Place No. 38 markiert die allmähliche Konsolidierung der familiären Verhältnisse in dem neuen Land. Zum einen hatte das Familienoberhaupt Gabriele Capone die englische Sprache erlernt und sich erfolgreich um die amerikanische Staatsbürgerschaft beworben, die ihm und seiner Familie am 25. Mai 1906 offiziell verliehen wurde. Zum anderen konnte er durch seinen beruflichen Erfolg als Friseur die anrüchige Hafengegend mit seiner Familie verlassen und in eine bessere Wohngegend an einer leichten Anhöhe, der South Slope in Brooklyn, umziehen. Im Zuge zweier weiterer Wohnungswechsel in die Hausnummern 46 und letztendlich 21, von einem Apartment in ein Reihenhaus, waren die Familie und der Vater mit seinem Friseurladen schließlich erfolgreich arriviert. Zudem grenzte Garfield Place, eingerahmt von der 4. und 5. Avenue, an die besser situierte Nachbarschaft der schon aufgrund der englischen Sprache leichter assimilierbaren irischen Einwanderer. Auf der Anhöhe befindet sich zudem der schon damals beliebte Prospect Park, in dem man die Freizeit im Grünen verbringen kann.
Garfield Place 38 (Foto: Alfred Hornung)
Der Eintritt in die Grundschule begann für Al Capone allerdings noch im Schulbezirk des Hafenviertels, wo er ab 1904 die Public School No. 7 besuchte. In der nach historischen Dokumenten schlecht ausgestatteten Schule wird kaum Rücksicht auf die sprachliche Kompetenz von Schülern mit Migrationshintergrund genommen, die oft erst hier Kontakt mit der englischen Sprache aufnehmen. Man kann sicher davon ausgehen, dass im Haus Capone Italienisch gesprochen wurde, zumal die Mutter kaum Englischkenntnisse besaß oder erwarb. Die Lehrkräfte waren meist unerfahrene junge Frauen, oft Einwanderer der 2. Generation aus Irland. Es überrascht nicht, dass Al Capone seine Bildung nicht in der pädagogischen Institution, sondern auf der Straße erfuhr. Früh lernte er, seinen eigenen Lebensweg zu gehen. So wurde er Teil der Navy Street Boys, die ihr Gerechtigkeitsempfinden in der Nachbarschaft durchzusetzen versuchten. Furchtlos nahm er es dabei auch mit überlegenen Gegnern auf, wie die Geschichte seiner Auseinandersetzung mit einem Wachsoldaten im Hafen zeigte, dessen Fehlverhalten er lauthals und furchtlos anprangerte (Bergreen, 1995, S. 27). Diese frühe Einübung eigenständigen Handelns außerhalb der konventionellen gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten wurde ein sein ganzes Leben bestimmendes Handlungsprinzip. Nach dem Umzug der Familie in die bessere Wohngegend in der Garfield Place wechselte er in die William A. Butler Public School No. 133. Die nach einem bekannten Schriftsteller und Juristen (1825–1902), der an der City of New York Universität als Professor und im Hochschulrat tätig gewesen war, benannte Schule war für Al über die 4. Avenue in einem 10-minütigen Fußweg leicht zu erreichen. Dennoch hat er diesen Schulweg nicht regelmäßig und vor allem nicht lange zurückgelegt, weil er kein Interesse an dem in der Schule vermittelten Wissen entwickelte. In der 6. Klasse, die er wiederholen musste, kam es schließlich zu einer vorhersehbaren Auseinandersetzung mit seiner Lehrerin, die ihn wegen seiner Fehlzeiten zur Rede stellte. Offensichtlich hatte er mehr als die Hälfte der Schultage ohne Entschuldigung geschwänzt. Da Al diese öffentliche Maßregelung nicht auf sich sitzen lassen wollte, kam es zu einem in diesem Milieu nicht unüblichen physischen Schlagabtausch zwischen ihm und der Lehrerin, die den Vorfall dem Direktor meldete. Diese gern als frühe Manifestation selbstständiger Durchsetzungskraft zitierte Episode wiederholt sich in den Lebensbeschreibungen einer ganzen Reihe von bekannten amerikanischen Persönlichkeiten. So bekennt auch Donald Trump in seiner von Tony Schwartz verfassten autobiografischen Darstellung The Art of the Deal, dass er schon in der 2. Klasse seinem Musiklehrer ein blaues Auge verpasst habe, weil er von dessen Musikkenntnissen nicht überzeugt gewesen sei. Einer Schulentlassung entging er nach eigener Darstellung und wohl auch mit Rücksicht auf die vermögende Familie nur knapp (Trump, 1987, S. 71). Im Unterschied dazu beschloss der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Al auf die vom Direktor verabreichte körperliche Züchtigung hin, nie wieder in die Schule zurückzukehren, und beendete hiermit als 14-Jähriger seine Schulzeit. Bei meinem Besuch in der Schule wollte keiner der Gesprächspartner an den ehemaligen Schüler erinnert werden und zufällig befragte Schüler wussten nicht, dass Al Capone ihre Schule besucht hatte. Eine Suche nach einer Erinnerungstafel an den „berühmten“ Schüler erübrigte sich. Heute gehören zwei umliegende Stadtteile zum Schulbezirk der William A. Butler Public School No. 133, sodass Schüler aus dem vorwiegend von Latinos und Afroamerikanern bewohnten Gebiet Brooklyns mit denen aus der vornehmen Park-Slope-Wohngegend, angrenzend an den Prospect Park auf der Höhe, zusammentreffen. Park Slope gilt mit den im 19. Jahrhundert erbauten, heute mehrere Millionen teuren Brownstone-Reihenhäusern als eine der beliebten Wohnlagen von Wall-Street-Bankern und deren Familien. Der Park, auf dessen Gelände 1776 die Schlacht von Long Island im Unabhängigkeitskrieg mit der Niederlage Washingtons gegenüber den Engländern geendet hatte, wurde 1867 nach den Plänen von Frederick Law Olmsted und Calvert Vaux, die vorher den Central Park in Manhattan gestaltet hatten, eröffnet und bildet ein gern genutztes Erholungsgebiet inmitten von Brooklyn. Es ist nicht bekannt, ob Al Capone diese Gelegenheit zur Abwechslung nutzte, denn sein Revier waren der Billard-Raum neben dem Elternhaus in der Garfield Place, die Brooklyn-Docks und die Gesellschaft der Streetgangs.
Sitz der John Torrio Association (Foto: Alfred Hornung)
Auf dem Weg zur Schule kam Al Capone an dem Gebäude vorbei, in dem das schon bekannte Gangstergenie Johnny Torrio im 2. Stock sein Quartier bezogen hatte, die John Torrio Association. In dem an der Ecke von Union Street No. 674 und der 4. Avenue gelegenen stattlichen Haus betreibt heute die angesehene Brownstone Bread and Bagel Company ihr gut besuchtes Geschäft und Restaurant.
Auch hier findet man keinen Hinweis auf den Bewohner Anfang des 20. Jahrhunderts. Al Capones Erfahrungen, die er sich bei den Navy Street Boys und den Garfield Place Boys erworben hatte, waren eine bessere Vorbereitung auf die nun beginnende Laufbahn als die Schule. In den Kämpfen der rivalisierenden Gruppen, die zwischen den sizilianischen, jüdischen und irischen Einwanderern stattfanden, hatte er sich als Anführer bewährt. Besonders die Auseinandersetzung mit den irischen Nachbarn, die durch die englische Sprache und die Wohngegend nahe des Prospect Park privilegiert waren, wurde heftig geführt mit gegenseitigen Verunglimpfungen, was ihm unter anderem den Namen „Macaroni“ einbrachte. Die erste Wohngegend der Familie in der Navy Street bot dem jungen Al Gelegenheit, sich als Mitglied der Navy Street Boys im Kampf mit den irischen Jugendlichen auszuzeichnen. Oft entzündete sich der Streit im Umkreis von Bars, die von Iren betrieben wurden, deren Vormachtstellung durch Prügeleien auf der Straße angefochten wurde. Ein weiterer Streitpunkt war die beiden Einwanderergruppen gemeinsame katholische Religion. Die Iren fühlten sich immer schon als die besseren Katholiken angesichts des von ihnen kritisch beäugten italienischen Lebensstils und anderer Verhaltensweisen. Zudem konnten die Iren auf eine lange Einwanderergeschichte zurückblicken, die schon in der Kolonialzeit begonnen hatte, als die Enteignung der Katholiken durch den englischen Lordprotektor Oliver Cromwell bei der Rückeroberung Irlands 1649 eine erste Auswandererwelle auslöste. Der angesehene Status irischer Einwanderer wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts durch das Erscheinungsbild verarmter Iren abgelöst, die Mitte des Jahrhunderts nach dem Ausfall der Kartoffelernten in Irland vor der großen Hungersnot flohen und sich in den Hauptstädten der Ostküste niederließen. Zwischen 1850 und 1860 betrug die Zahl der Iren fast eine Million, und sie stellten fast 50 Prozent aller Einwanderer dar. Die meisten von ihnen, etwa 275.000, lebten in New York City. Die über das ganze Jahrhundert kontinuierliche Einwanderung ermöglichte eine leichtere Eingliederung in die amerikanische Gesellschaft. Die Ablehnung ihrer katholischen Religion durch Puritaner und andere protestantische Konfessionen konnte durch ihren Bildungsgrad, insbesondere durch die weitgehend vorhandene Lese- und Schreibfertigkeit im Englischen, kompensiert werden. Dies wirkte sich vor allem in der 2. Generation aus, die zunehmend im Dienstleistungsgewerbe tätig wurde, wobei vor allem junge Frauen – wie in Al Capones Schule – den Lehrberuf ergriffen. Gleichzeitig engagierten sich die irischen Einwanderer im politischen Leben, im Kampf für die Situation der Arbeiter, in der Gemeindeverwaltung und der Parteipolitik. Als Wähler der Demokratischen Partei kamen sie in New York mit den Machenschaften der Sons of Tammany-Gesellschaft in Kontakt, die sich eigennützig der Anliegen der Einwanderer annahm, um sie für ihre Zwecke zu missbrauchen. Den Höhepunkt erreichten diese korrupte Parteipolitik und Instrumentalisierung der Einwanderer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem berüchtigten Boss der Gesellschaft William M. Tweed. Natürlich versuchten auch politisch interessierte Iren, die Kollusion zwischen der Geschäftswelt und der Politik für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, und imitierten das ihnen von den Amerikanern vorgeführte Boss-System.
Der 1822 als Sohn irischer Einwanderer in New York geborene John Kelly (1822–1886) entwuchs seiner irischen Nachbarschaft und entwickelte sich zu einem Führer der Tammany Hall, der als Sheriff in New York fungierte und schließlich als erster Katholik Abgeordneter im Repräsentantenhaus wurde (1855–58). Die Wahl des Namens Tammany, eines den Weißen freundlich gesonnenen Häuptlings des Lenni Lenape-Stammes, für die Organisation und seines Titels „Sachem“ für den Boss sollten Kelly wohl eine unangefochtene Stellung verleihen und seine illegalen Aktivitäten verklären. Mit Sicherheit kann angenommen werden, dass die Rivalität zwischen den Iren und Italienern einen harten Wettbewerb um alternative Geschäftsmodelle beinhaltete, der durch die ethnische Komponente einer weißen Einwanderergruppe gegenüber den dunkelhäutigen Süditalienern noch verschärft wurde. Die von den verfeindeten Jugendgruppen ausgefochtenen Straßenkämpfe waren eine Art Stellvertreterkrieg um die Diskriminierung und bestehende Vorurteile des amerikanischen Mainstreams gegenüber Einwanderern. Besonders betroffen von der Ablehnung waren die Süditaliener und Sizilianer, die für die Etablierung krimineller Vereinigungen verantwortlich gemacht wurden. Dazu gehörten die schon in Sizilien bestehenden Verbrecherorganisationen der Mafia, der Camorra sowie der Mano Nera, deren berüchtigtes Erkennungszeichen eine schwarze Hand war und die als Black Handers in den USA Karriere machten. Der im Mafia-Zentrum Corleone auf Sizilien aufgewachsene Ignazio Saietta war um 1890 nach New York gekommen und hatte dort die Praktiken der „Schwarzen Hand“ eingeführt, die mit Drohbriefen Geld erpresste und ihre Forderungen mit Repressalien wie Entführung oder Mord durchsetzte. Sie wurde zum Vorläufer des nach dem sizilianischen Vorbild in Amerika etablierten Zusammenschlusses verschiedener mafiöser Familien unter dem Namen Cosa Nostra. Im Konflikt mit irischen Einwanderern um illegale Einnahmequellen war ihnen mit den 1900 gegründeten White Handers eine Konkurrenzorganisation erstanden. Die irische Antwort der „Weißen Hände“ auf die süditalienischen „Schwarzen Hände“ muss auch im Kontext der virulenten Schwarz-Weiß-Konfrontation und den Menschen anderer Hautfarbe in den USA gesehen werden. Diese historischen Vorgänge ebenso wie Al Capones Leben wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren mit aufwändigen Hollywood-Produktionen einem breiten Publikum wirkungsvoll präsentiert, wobei die Nachfahren italienischer Einwanderer, die Regisseure Francis Ford Coppola und Brian de Palma sowie Al Pacino in der Hauptrolle in der Verfilmung von Mario Puzos Romanen, das Genre des Mafiafilms zur Unterhaltungskultur ausbauten.