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Das Abenteuer Jack London
ОглавлениеDer 100. Todestag des amerikanischen Schriftstellers Jack London ist ein gebührender Anlass, um sein von Abenteuerlust geprägtes Leben und seine abenteuerlichen Geschichten aus der heutigen Perspektive neu zu beleuchten. Als Jack London am 22. November 1916 nach nur vierzig Jahren eines von großer Schaffenskraft gekennzeichneten Lebens starb, war der Erste Weltkrieg in Europa voll entflammt. Zwar war Amerika noch nicht Kriegspartei, aber Jack London teilte die allgemeine Empörung über die deutsche Kriegsführung und die Parteinahme für die alliierten Mächte. In den letzten Jahren seines Lebens hatte er sich als transnational eingestellter Weltbürger mit der pazifischen Bevölkerung in Hawaii identifiziert. Im Jahr seiner Geburt hingegen war die Situation eine ganz andere.
Als Jack London am 12. Januar 1876 in San Francisco geboren wurde, schickte sich sein Heimatland gerade an, den 100. Jahrestag seiner Gründung zu feiern. Selbstbewusst und stolz auf die eigenen Errungenschaften präsentierten sich die Vereinigten Staaten von Amerika als ein fortschrittliches Land, das die Ausreisewilligen der Welt einlud, sich an seiner rasanten Entwicklung zu beteiligen. Der Mythos der ungeahnten Aufstiegsmöglichkeiten im „Vergoldeten Zeitalter“ wurde durch das Beispiel erfolgreicher Industriekapitäne wie John D. Rockefeller oder Cornelius Vanderbilt bestärkt. Zwar war die Westküste des riesigen Landes bereits von wagemutigen Pionieren erkundet worden, doch es blieb noch viel Raum für die Besiedlung der weiten Anbauflächen westlich des Mississippi, was durch staatliche Anwerbeprogramme unterstützt wurde.
Die Kehrseite dieser amerikanischen Erfolgsgeschichte zeigen sich in der Kindheit und Jugend Jack Londons. Seine frühen Jahre waren von Armut und Entbehrung in dem sich industriell entwickelnden Staat Kalifornien geprägt. Direkt nach der Schulzeit lernte er die miserablen Bedingungen der Lohnarbeit kennen. Sein großer Ehrgeiz und seine grenzenlose Energie halfen ihm, den Entschluss zu verwirklichen, sein Geld nicht mit Hand-, sondern mit Kopfarbeit zu verdienen. Die San Francisco Bay und das multiethnische Hafenmilieu weckten seine Sehnsucht nach fernen Ländern und beflügelten seinen romantischen Abenteuergeist. Die erste Seereise des 17-Jährigen auf einem Robbenfänger nach Japan lieferte den Stoff für seine erste Abenteuergeschichte. Seine vielfältigen Lebensabenteuer führten ihn als Tramp auf Eisenbahnzügen quer durch das ganze Land, in die Elendsquartiere der Metropolen San Francisco, New York und Chicago. Sie lockten ihn als Glücksritter in die Schürfgründe des hohen Nordens nach Alaska und in das Yukon-Territorium. Doch statt mit Gold kehrte er mit vielen spannenden Geschichten über die Gesetze des Lebens in der Wildnis zurück.
Erste Kontakte mit der indigenen Bevölkerung und ihrer naturverbundenen Lebensweise erwiesen sich als Kontrastfolie zu den Auswüchsen der industrialisierten Welt. Viele unterschiedliche Erfahrungen flossen in Jack Londons autodidaktisches Bildungsprogramm und seine politische Überzeugung ein. Die Lektüre der Theorien von Charles Darwin und Herbert Spencer begründete seinen Glauben an die Evolution aller Organismen von der Vor- und Frühgeschichte bis in unsere Zeit. Friedrich Nietzsches später rezipiertes Konzept der „blonden Bestie“ prägte seine zeitweise Überzeugung der Dominanz „weißer Übermenschen“, die sowohl seinen ersten großen Roman Ruf der Wildnis über die Beziehung zwischen Mensch und Tier charakterisierte, als auch seinen zweiten Erfolgsroman Der Seewolf über den Kapitän Wolf Larsen. Darüber hinaus lieferte Das Kapital von Karl Marx die Grundlage für Jack Londons sozialistische Position und die Hoffnung auf eine weltweite Vernetzung der Arbeiterklasse.
Die Auseinandersetzung zwischen Arbeiterklasse und Bildungsschicht prägte auch seine privaten Abenteuer. Nach dem Scheitern der ersten Ehe mit Bess Maddern, aus der zwei Töchter hervorgingen, und der leidenschaftlichen Liebe zu Anna Strunsky, die ihn als „Napoleon der Schreibfeder“ bezeichnete, fand er in Charmian Kittridge eine liebevolle Ehepartnerin, die seine literarischen und politischen Interessen teilte. Die glückliche Zeit mit Charmian genoss er auf der gemeinsamen Reise mit dem Segelschiff Snark in die Südsee und beim Leben auf ihrer sog. Beauty Ranch in Glen Ellen, in dem landschaftlich reizvollen Sonoma Valley, einem ehemaligen Indianergebiet. Dieses idyllische Leben wurde ergänzt durch Segeltörns entlang der pazifischen Küste, eine Reise mit der Pferdekutsche durch Nordkalifornien und längere Aufenthalte in Waikiki auf Hawaii, dem eigentlichen „Paradies“ des Ehepaares. Hier entdeckte Jack London trotz der immer wieder vertretenen Glaubens an die Bedeutung des „unentbehrlichen weißen Mannes“ die desaströsen Auswirkungen europäischer und amerikanischer Kolonisation, vor allem in der Zerstörung indigener Kulturen durch die westliche Zivilisation.
Die Aufenthalte in Hawaii, das 1898 von den USA annektiert wurde, bewirkten eine Veränderung seiner Lebensphilosophie. Vertrat er zunächst den Glauben an die Dominanz der angelsächsischen Gesellschaft, wurde ihm in späteren Jahren die Vision einer multiethnischen Gemeinschaft immer wichtiger. Auslöser für dieses Umdenken war der Besuch der Leprakolonie Molokai, wo er die „Aussätzigen“ als lebensbejahende und kommunikationsfreudige Menschen kennenlernte. Von Hawaii erhoffte er sich in den letzten Lebensjahren Regeneration und Linderung seiner Krankheiten, die er sich durch rücksichtslosen Umgang mit seinen Kräften und durch gefährliche Infektionen in der tropischen Südsee zugezogen hatte. 1916 wurde er von den Hawaiianern als Kamaaina, „ein Kind der Erde“, ausgezeichnet und erhielt den hawaiianischen Namen „Keaka Lakana“. In Dankbarkeit für diese Auszeichnung erinnerte er sich an seine Kindheit bei seiner afroamerikanischen Amme und entwickelte die Idee einer panpazifischen Gemeinschaft und einer Weltsprache. Der „angelsächsische Übermensch“ war zum Weltbürger geworden, der eine transnationale Demokratie favorisierte. Jack Londons Engagement für das Wohl aller Menschen manifestierte sich in der Praxis auf seiner Beauty Ranch. In Erinnerung an seine Zeit in Asien beschäftigte er sich mit chinesischen und japanischen Anbaumethoden und verfolgte eine Form der nachhaltigen Landwirtschaft. Damit stellte er sich gegen den bei der Besiedlung des amerikanischen Kontinents betriebenen Raubbau.
Das umfangreiche literarische und journalistische Werk belegt eindrucksvoll das abenteuerliche Leben Jack Londons, aus dem er immer wieder für seine Geschichten schöpfte. So veröffentlichte er zwischen 1898 und 1916 mehr als 50 Bücher, darunter 27 Romane, 6 autobiografische Werke, 4 Dramen, politische Essays, Reportagen, Essaysammlungen und 196 Kurzgeschichten. Dieser immense Umfang seines Werks vermittelt einen differenzierten Blick auf Jack London und steht im Gegensatz zu der üblichen Reduktion des Autors auf die populären Tiergeschichten und die sozialpolitischen Romane. In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts galt er als der kommerziell erfolgreichste amerikanische Schriftsteller. Doch sein exzessiver Lebensstil und die Finanzierung mehrerer Haushalte sowie der Ausbau der Beauty Ranch brachten ihn immer wieder in finanzielle Notlagen.
Auch im Ausland fanden Jack Londons spannende Abenteuergeschichten schnell begeisterte Leser. Erwin Magnus übersetzte in den 1920er-Jahren die meisten Werke für ein deutsches Publikum und stellte eine erste zwölfbändige Gesamtausgabe (Berlin 1926–1932) zusammen. In der Sowjetunion wurde Jack London als politischer Schriftsteller von Maxim Gorki und Lenin geschätzt und avancierte dort zum wichtigsten amerikanischen Autor seiner Zeit. Auch in der DDR lag der Fokus der Rezeption auf den politischen Schriften, die in den Zeiten der studentischen Protestbewegung der 1960er-Jahre auch im Westen neu entdeckt wurden.
In seinen Schriften bleibt Jack London dem rassistischen sprachlichen Duktus seiner Zeit verhaftet, der auch in vielen deutschen Übersetzungen reproduziert wird. Grundsätzlich werden die Werke Londons in dieser Biografie aus vorhandenen deutschen Übersetzungen zitiert, wobei vorzugsweise neuere Versionen genutzt werden, die das sprachsensitive Bewusstsein unserer Zeit im Einklang mit einer Wertschätzung ethnischer Differenz reflektieren. In den parenthetischen Quellenangaben wird die Jahreszahl der jweils ersten deutschen Übersetzung genannt, während sich die Seitenzahlen auf die in der Bibliografie aufgeführte Ausgabe beziehen. Alle anderen Übersetzungen aus dem Englischen sind die eigenen.
Neue Ansätze in der Geschlechter- und Umweltforschung haben modifizierte Sichtweisen auf Jack London und sein Werk ermöglicht, die auch in diese Biografie eingegangen sind. Jack London: Abenteuer des Lebens lädt dazu ein, das Abenteuer Jack London neu zu entdecken. Dabei werden Parallelen zwischen den Krisen und Herausforderungen seiner und unserer heutigen Zeit deutlich. Finanzkrisen, die ethnische Diversifizierung der Gesellschaft, das Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich und der rücksichtslose Umgang mit Macht haben seine Zeit ebenso bestimmt wie nun unsere. Das macht ihn und sein Werk so modern und so spannend für heutige Leserinnen und Leser.
Für die tatkräftige Unterstützung bei der Abfassung von Jack London: Abenteuer des Lebens bin ich vielen Menschen sehr zu Dank verpflichtet. Frau Jasmine Stern hat dieses Projekt bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft von Anfang an betreut und durch die verschiedenen Stadien der Produktion wesentlich gefördert. Das gründliche Lektorat von Frau Dr. Mechthilde Vahsen und ihre wertvollen Vorschläge haben zur Verbesserung der Darstellung beigetragen. An der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz haben Johannes Brauer, Stephanie Marx und Timothy Walker bei den Recherchen geholfen. Joy Katzmarzik hat das gesamte Manuskript editorisch begleitet, verschiedene Übersetzungen beigesteuert und zusammen mit Melanie Hanslik Korrektur gelesen. Der größte Dank gilt meiner Frau, Prof. Dr. Beate Neumeier und unserem Sohn Alexander, der uns auf den Spuren von Jack London im Yukon Territorium, in Alaska und auf Hawaii mit der Kamera begleitet hat. Ohne diese Unterstützung hätte diese Biografie nicht erscheinen können.