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Abenteuer der Kindheit und Jugend

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Als Jack London am 12. Januar 1876 in San Francisco geboren wurde, schickte sich das Land Amerika an, den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit zu feiern. Viel hatte sich ereignet in dieser Zeit, in der die Vereinigten Staaten von Amerika nach der Kolonialzeit einen politischen Neuanfang wagten und begannen, den Kontinent von den 13 Gründungsstaaten an der Ostküste bis zur Westküste zu besiedeln. Die am 4. Juli 1776 in Philadelphia unterzeichnete Unabhängigkeitserklärung und die 1789 ratifizierte Verfassung bauten auf den republikanischen Ideen der schottischen und französischen Aufklärer auf. Doch in den politischen Dokumenten erschienen weder die etwa vor 10.000 Jahren aus Asien über die Beringstraße eingewanderten Ureinwohner des Landes noch die ständig steigende Zahl afrikanischer Sklaven. Bei der allmählichen Besiedlung des Westens spielten sie allerdings eine gewichtige Rolle. Die Voraussetzung für die Besiedlung wurde in der Regierungszeit von Thomas Jefferson gelegt, dem nach George Washington und John Adams dritten Präsidenten der USA. 1803 nahm er das Angebot Napoleons an, der Geld für seine Kriegskasse und Feldzüge in Europa benötigte, die französischen Besitzungen zu kaufen, die von New Orleans am Golf von Mexiko bis an die Grenze Kanadas reichten. Dieser Louisiana Purchase bedeutete einen immensen Landgewinn, verdoppelte das Gebiet der Vereinigten Staaten und machte den Weg frei in den Westen. Schon ein Jahr später beauftragte Jefferson Meriwether Lewis und William Clark mit einer Expedition, um die Gebiete westlich des Mississippi bis zum Pazifik zu erkunden. Ausgehend von Saint Louis in Missouri am Westufer des Mississippi überquerten sie mithilfe indianischer Führer die Rocky Mountains und gelangten in ihrer Nordpassage bis zum Staat Oregon an der Westküste. Ihre Aufzeichnungen über Flora und Fauna sowie über die Begegnung mit Indianern und das erstellte Kartenmaterial dienten als Blaupause für die Eroberung des Westens.

Es verwundert nicht, dass der damit geschaffene Freiraum neue Visionen über seine Verwendung und Besiedlung eröffnete. Die erste Umsetzung einer solchen Vision war 1830 der Erlass des Indian Removal Act durch den ersten nicht der Aristokratie Neuenglands oder Virginias entstammenden Präsidenten Andrew Jackson aus Tennessee und die Umsiedlung der an der Ostküste lebenden „fünf zivilisierten Indianerstämme“ (Cherokee, Creek, Chickasaw, Choctaw, Seminolen) in das Land westlich des Mississippi. Der verlustreiche Weg auf dem „Pfad der Tränen“ in die Reservate des Westens und die damit verbundenen Traumata gingen ein in die späteren Auseinandersetzungen zwischen Weißen und Indianern im sog. Wilden Westen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Land im Krieg mit Mexiko um die Gebiete im Südwesten enorm vergrößert. Mexiko hatte nach der Unabhängigkeit von Spanien 1821 in seiner nördlichen Provinz Texas amerikanische Farmer und europäische Einwanderer angesiedelt, die Texas 1836 für unabhängig erklärten und die Aufnahme in die Vereinigten Staaten erbaten, um die von der mexikanischen Regierung verbotene Sklaverei auf ihren Plantagen fortführen zu können. Die De-facto-Anerkennung durch Präsident Andrew Jackson konnte jedoch erst endgültig nach dem Krieg mit Mexiko (1846–48) durch den Frieden von Guadalupe-Hidalgo besiegelt werden. Dadurch fielen den USA die mexikanischen Gebiete von Alta California und Nuevo Mexico zu, die neben Texas die heutigen Staaten Neu-Mexiko, Arizona, Utah, Nevada und Kalifornien umfassten. Die von dem New Yorker Journalisten John L. O’Sullivan 1845 propagierte schicksalhafte Bestimmung („Manifest Destiny“) der Amerikaner bestand in der Expansion als Teil der Vorsehung, die freie Entwicklung der ständig anwachsenden Bevölkerung über den gesamten Kontinent zu ermöglichen. Der Ansporn, die neuen Möglichkeiten im Westen wahrzunehmen, zeigte sich in dem damit verbundenen Slogan „Go west, young man“, der nach der Entdeckung von Gold im Westen 1848 den „Gold Rush“ auslöste und zu einem Ansturm auf die Goldgräbersiedlungen in Kalifornien führte.

Eine weitere Bewegung von Ost nach West ergab sich aus dem agronomischen Raubbau auf den Baumwollplantagen im Süden der USA. So entstanden entlang des Mississippi feudale Besitztümer in Louisiana. Jede Gründung eines neuen Staates auf dem Weg in den Westen war mit der Sklavenfrage verknüpft. Um das zwischen Nord- und Südstaaten bestehende Gleichgewicht im Kongress beizubehalten, musste jeweils über die Legalisierung der Sklaverei entschieden werden. Erst der Bürgerkrieg (1861–65) sollte nach der von Präsident Abraham Lincoln 1863 erlassenen Emanzipations-Proklamation und den nach seinem Tod in die Verfassung aufgenommenen Zusätzen 13 und 15 die Freiheit für afroamerikanische Bürger und das Wahlrecht für afroamerikanische Männer herbeiführen. Insgesamt ergab sich durch die Öffnung des Westens eine Dynamisierung und Mobilisierung des Landes, die in der erzwungenen Umsiedlung der Indianer/Native Americans, der Abwanderung freier Afroamerikaner („Freedmen“) aus den ehemaligen Sklavenstaaten und den ständig wachsenden Einwanderungszahlen im Laufe des 19. Jahrhunderts ihren Ausdruck fand.

Nach der Konsolidierungsphase der jungen Nation und der Bewährung im Bürgerkrieg begann 1865 eine neue Zeitrechnung. Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Rekonstruktion des primär agrarischen Südens durch die weitgehend industrialisierten Nordstaaten brachte zahlreiche Veränderungen mit sich. Diese neue Nord-Süd-Konstellation wurde kontinuierlich durch die Erschließung des Westens ergänzt. Unternehmerischer Erneuerungsgeist und eine Pioniermentalität führten dazu, dass in den unerforschten und wenig besiedelten Gebieten im Westen neue Möglichkeiten zur Umsetzung genutzt wurden. Gestützt wurden diese Interessen durch die Gesetzgebung in Washington, D.C. 1862 erließ Präsident Abraham Lincoln den Homestead Act, der mündigen Bürgern die Besiedlung freier Landflächen im Umfang von etwa 64 Hektar erlaubte, die nach 5 Jahren in ihren Besitz übergingen. Im selben Jahr unterzeichnete Lincoln den Pacific Railroad Act, der den Bau der transkontinentalen Eisenbahnschienen an zwei Unternehmen vergab. Damit konnte das an der Ostküste entstandene Eisenbahnnetz sukzessive auf den Westen ausgedehnt werden. Während die Union Pacific Railroad Company von dem im Mittleren Westen liegenden Staat Iowa aus den Bau vorantrieb, arbeitete ihr die Central Pacific Railroad Company von Kalifornien aus entgegen, um sich an einem gemeinsamen Punkt zu treffen. Heute ist dieser Treffpunkt am Promontory Mountain in Utah ein historisches Monument in der Geschichte Amerikas und eine beliebte Attraktion für Touristen. Von den 4000 Arbeitern, die von Sacramento aus zwischen 1863 und 1869 den Eisenbahnbau bis nach Utah in die Rocky Mountains vorantrieben, waren 80 Prozent chinesische Wirtschaftsmigranten. Die Fertigstellung dieser transkontinentalen Verbindungslinie belegte eindrucksvoll die kontinentale Ausdehnung des Landes. Diese Größe und Macht wurden bei der Jahrhundertfeier effektvoll in Szene gesetzt.

Die 1876 veranstaltete Weltausstellung in Philadelphia dokumentierte die neue Größe der Nation mit bahnbrechenden Erfindungen wie Telefon und Schreibmaschine. Amerika präsentierte sich, eingebettet in den internationalen Reigen der 37 ausstellenden Weltnationen, als ein modernes, industrialisiertes Land mit unbeschränkten Möglichkeiten, das den Armen und Heimatlosen der Welt eine Zukunft bot. Diese Willkommensbotschaft wurde später auf dem Sockel der Freiheitsstatue eingraviert. Die Statue selbst, ein Geschenk Frankreichs zur Jahrhundertfeier, war während der Weltausstellung nur partiell präsent: als ausgestreckter Arm mit Fackel. Erst 10 Jahre später konnte die fertiggestellte Statue offiziell im Hafen von New York errichtet und zum Signal der Freiheit für die Einwanderer werden. Das an den Koloss von Rhodos erinnernde Gedicht der jüdisch-amerikanischen Dichterin Emma Lazarus The New Colossus (1883) bringt diese Botschaft zum Ausdruck:

Nicht wie der metallene Gigant von griechischem Ruhm,

Mit sieghaften Gliedern gespreizt von Land zu Land.

Hier an unserem meerumspülten hesperischen Tore soll stehen

Eine mächtige Frau mit Fackel, deren Flamme

Der eingefangene Blitzstrahl ist, und ihr Name

Mutter der Verbannten lautet. Von ihrer Leuchtfeuerhand

Glüht weltweites Willkommen, ihre milden Augen beherrschen

Den luftüberspannten Hafen, den Zwillingsstädte umrahmen.

„Behaltet, o alte Lande, euren sagenumwobenen Prunk“, ruft sie

Mit stummen Lippen. „Gebt mir eure Müden, eure Armen,

Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren,

Den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten;

schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen,

Hoch halt‘ ich mein Licht am gold’nen Tore!“

(Auf die Freiheitsstatue, 1953)

Diese pathetisch anmutende Freiheitsrhetorik entsprach den offiziellen Anwerbekampagnen für neue Arbeitskräfte in Europa und machte die USA schließlich zusammen mit Kanada zum klassischen Einwanderungsland. Das mit den hinzugewonnenen neuen Gebieten westlich des Mississippi enorm vergrößerte Land bot den zahlreichen Immigranten aus Europa und Asien Anreiz und Raum zur Realisierung ungeahnter Möglichkeiten. Es verwundert nicht, dass die Einwohnerzahl der USA von 1850 bis 1880 kurz nach der Geburt Jack Londons von 23 Millionen auf 50 Millionen anstieg und eine weitere Verdoppelung auf fast 100 Millionen am Ende seines Lebens 1916 erreicht wurde. Dieser sprunghafte Anstieg der Bevölkerungszahlen motivierte die Politiker des Landes, dem imperialistischen Geist europäischer Mächte folgend, die territoriale Expansion auch über die Kontinentalgrenzen hinaus zu verfolgen. Dass diese gravierenden Veränderungen neben vielen positiven Entwicklungen auch negative Effekte zeitigten und dass manche Hoffnungen und Träume der Ankömmlinge aus Europa und Asien sich in Amerika nicht erfüllten, sollte auch Jack London in seinem Leben erfahren. In zahlreichen Kurzgeschichten, Romanen, Reiseberichten und Aufsätzen hat er dies bis zu seinem frühen Tod 1916 literarisch dokumentiert und kritisch begleitet.

Jack London

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