Читать книгу Sie wollte leben, einfach nur leben... - Alfred Kachelmann - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеSie blieb einige Tage bei ihren Eltern. Kümmerte sich rührend um ihre kranke Mutter und es machte ihr große Freude die Beiden wieder einmal zu bekochen, oder das Haus, das ihr Vater so gut es ging sauber hielt, von oben bis unten zu putzen. Sie genoss die Zeit, fühlte sich wieder wie ein kleines Mädchen, das keine Sorgen, keinen Kummer kannte.
Sie schlief in ihrem alten Zimmer. Ihre Eltern hatten nichts darin verändert seit sie gegangen war. Selbst ihr altes Album lag noch auf ihrer Kommode. Genau an der Stelle an der sie es an ihrem letzten Tag zu Hause liegen lies. Vater hatte ihr frische Blumen in die Vase auf dem kleinen Tisch gesteckt. Er war froh, dass sie wieder hier war. Diese kleine Geste zeigte dies. Er war nie ein Mann großer Worte gewesen, aber sie spürte seine große und ehrliche Freude über ihre Anwesenheit. Sein Lächeln, seine zärtlichen Berührungen, seine Dankbarkeit wenn sie ihn in die Arme nahm.
Er vermied über ihre Ehe oder über ihren Mann nachzufragen. In den Tagen in denen sie daheim war wurde dieses Thema nie angesprochen und seltsamerweise machte es ihr auch nichts aus. Im Gegenteil sie war dankbar dafür. Es hätte noch Wochen so weiter gehen können. Aber da war er plötzlich wieder der Gedanke an ihren Mann. Schließlich würde er nicht ewig weg bleiben. Was würde er wohl sagen oder tun wenn sie bei seiner Rückkehr nicht zu Hause wäre?
Dieser Gedanke bereitete ihr Unbehagen. Erst versuchte sie sich abzulenken, wollte solche Fragen erst gar nicht in sich aufkommen lassen. Aber es gelang ihr mit der Zeit immer weniger diese Angst, die dabei in ihr aufstieg, zu verdrängen. Es würde ihr wohl nichts anderes übrig bleiben als wieder zurückzugehen. Schließlich war sie seine Frau und noch gehörte sie an seine Seite. Warum hatte sie nur solche Angst davor?
Gestern, in den späten Abendstunden, war sie wieder zurückgekehrt in ihre eigene Wohnung. Als sie durch die Tür trat schnürte es ihr das Herz zusammen, am liebsten hätte sie sich gleich wieder umgedreht und wäre zurück auf die Straße gerannt. Zurück zu ihren Eltern die ihr dieses Gefühl der Geborgenheit, dass sie so lange vermisst hatte, endlich wieder gegeben hatten. Wärme, Liebe, Geborgenheit, das kannte sie in ihrer Ehe nicht mehr. Kälte und Unbehagen schlugen ihr entgegen als sie die Türe hinter sich schloss. Düsterheit und Angst kroch in ihrer Seele hoch als sie sich auf ihr Sofa setzte. Warum tat sie sich das an, warum ging sie nicht einfach ganz von ihm weg?
Es dauerte noch ein paar Tage bis er auch wieder zu hause eintraf. Er war wie üblich gereizt und zeigte wenig Interesse an ihr. Es interessierte ihm nicht einmal als sie begann von ihren Eltern zu erzählen. Er saß nur abwesend auf dem Sofa und hielt die Flasche Schnaps, die er immer griffbereit am Tisch stehen hatte, in der Hand. Ab und zu nahm er einen tiefen Zug aus ihr und schüttelte sich nur kurz als ihm die Scharfe des Brandes durch die Kehle lief.
Teilnahmslos und apathisch wirkte er auf sie. Erst als sie begann ihn zu fragen warum er ihr nicht vom Zusammentreffen mit ihrem Vater erzählt hatte, sprang er wütend auf, warf die Flasche achtlos zu Boden und schrie sie an sie solle endlich das Maul halten. Mit hochrotem Kopf plärrte er ihr entgegen dass er die Nase voll hätte von ihr, dass er es sich nicht mehr gefallen lassen wolle wie sie das Haus herunterkommen lies. Mit ihr könne er sich in der Öffentlichkeit nicht mehr sehen lassen. Sie sei langweilig und dumm.
Ängstlich zuckte sie zusammen, hielt ihre Hände schützend vors Gesicht, in Erwartung der Schläge, die jetzt mit Sicherheit wieder kommen würden. „Mach schon…“, ging es ihr durch den Kopf: „los mach schon, schlag endlich zu, damit wir es hinter uns bringen…“. Sekundenlang stand sie so und wartete. Aber er stürmte in die Küche, riss den Schlüssel für den Keller vom Hacken an der Wand und rannte hinaus ins Treppenhaus. Sie hörte seine stolpernden, hastigen Schritte die Holztreppe hinunter hetzen. Sie wusste was er wollte. Er würde sich jetzt eine neue Schnapsflasche aus dem verschlossenen Abteil, in das sie noch niemals hinein gehen durfte, holen, sich an-schließend auf sein Sofa setzen und sich sinnlos betrinken. Danach würde er wieder zu ihr kommen und sich sein, seiner Meinung nach, angestammtes Recht als Ehemann nehmen.
Tränen des Entsetzens und der Angst liefen ihr über ihr Gesicht. Langsam ging sie in ihr Schlafzimmer, legte sich angekleidet auf ihr Bett und verharrte reglos. Hoffentlich würde es schnell gehen. Hoffentlich tat er ihr nicht so weh. Sie hörte ihn noch wieder aus dem Keller herauf kommen. Hörte das Sofa ächzen unter der Last als er sich achtlos darauf fallen lies. Sie lag da und wartete…
Irgendwann musste sie eingeschlafen sein. Als sie die Augen aufmachte war es dunkel im Zimmer. Das Mondlicht warf bereits lange Schatten der Bäume, die vor ihrem Haus standen, durchs Fenster. Ängstlich lauschte sie hinüber ins Zimmer. Schließlich war sie der Meinung, dass er noch dort auf seinem Sofa sitzen und Schnaps trinken würde. Sie ver- hielt sich ganz leise, atmete selbst ganz flach, nur damit sie auch jedes Geräusch, das er machen könnte, auffangen würde. Aber da war nichts.
Nicht das kleinste Geräusch drang zu ihr herüber. Nichts, da war nichts. Anstatt sich zu beruhigen kroch ihr die Angst immer tiefer hinein in ihre Seele. Sie wagte kaum noch zu atmen, bewegte keinen Muskel ihres Körpers, nur um ihn nicht noch auf sich aufmerksam zu machen. So lag sie fast eine ganze Stunde lang. Sie wusste es, weil sie die Turmuhr vom nahen Rathaus hatte leise schlagen hören.
Fast eine Stunde lag sie völlig regungslos, vollkommen ruhig aber fast wahnsinnig vor Angst. Wann würde er im Türrahmen erscheinen, wann würde er sich über sie werfen, ihr seinen schnapsgetränkten Atem ins Gesicht blasen? Wann würde er kommen und wütend und sinnlos auf sie einschlagen? Tränen liefen ihr dabei über ihre Wangen.
Sie war erschöpft und ausgelaugt. Ausgelaugt von diesem Mann. Einem Mann, der ihr einmal versprochen hatte sie zu lieben und zu ehren, so wie ein Mann es mit seiner Frau tun sollte. Dieser Mann, der sie behandelte als wäre sie seine Leibeigene, als sei sie es nicht wert sich seine Frau zu nennen. Was war nur aus ihnen geworden…?
Irgendwann musste sie wieder eingeschlafen sein. Die aufgehende Sonne schien durchs Fenster und tauchte den kleinen Raum in ein unwirkliches rötliches Licht. Fast schien es als brenne die alte Lerche, die direkt vor ihrem Haus stand. Vorsichtig drehte sie sich auf die Seite und erschrak als sie ihn im Türrahmen stehen sah. „In Ordnung, wir haben zu reden…steh auf und komm!". Hasserfüllt und zornig klang seine Stimme: „Na, nun komm schon!".
Es dauerte einige Minuten bis sie sich so weit geordnet hatte, dass sie ihm ins Wohnzimmer folgen konnte. Dort stand er mit dem Rücken zu ihr am Fenster, blickte düster auf den Platz vor dem Haus hinab. Seine Stimme war plötzlich ruhig und gefährlich scharf. Er sagte ihr, dass sie sich sicher gefragt hat wo er in den letzten Tagen gewesen sei. Er wolle nicht um den heißen Brei herum reden, sondern offen mit ihr die Sache besprechen. Er habe auf seinen Fahrten in Österreich eine andere Frau kennengelernt. Mit eben dieser Frau käme er einfach besser zurecht. Sie sei fraulicher, reifer und überhaupt…
Er kenne diese Frau schon länger, wie lange allerdings verriet er nicht. Sie hätten bereits ein Kind miteinander. Ein kleines Mädchen. Seine einzige Tochter. Er hinge sehr an ihr. Sie könne sich jetzt überlegen ob sie damit leben kann dass er seine Zeit in Österreich verbringt, oder ob sie sich von ihm trennen wolle. Geld würde sie in diesem Fall nicht von ihm bekommen. Schließlich müsse er sich um die andere Frau und deren Tochter kümmern.
Dann sagte er gar nichts mehr. Stumm und abwartend stand er da. Sie hatte die letzten Worte kaum noch gehört. Plötzlich begann sich das ganze Zimmer um sie zu drehen und sie sank stumm in sich zusammen.
Er war schon wieder gegangen als sie zu sich kam. Zumindest hatte er so viel Anstand besessen sie auf das Sofa zu betten und hatte sie nicht achtlos am Boden liegen lassen. Das war es dann wohl…, aber was sollte sie jetzt machen…? Zu ihren Eltern konnte sie zwar zurück aber wovon sollten sie leben? Sie und das Kind das langsam in ihr heranwuchs. Erst Gestern war ihr klar geworden dass sie schwanger sein musste. Was sollte sie bloß tun…?