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Prolog

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„Was bewegt sich am Morgen auf vier, mittags auf zwei und abends auf drei Beinen?“ Breitenbrunn erinnerte sich an das Rätsel aus dem Griechisch Unterricht. Die Sphinx hatte es Ödipus gestellt. „Nun?“ Da keines seiner Kinder die Antwort wusste, griff er zum Gehstock und ging ein paar Schritte durchs Zimmer.

„Unser Herr Vater“ riefen seine beiden Ältesten.

„Nicht bloß ich“ belehrte er sie. „Jeder Mensch, der alt genug wird, geht am Ende auf drei Beinen. Und jetzt wart ihr zwei Stunden hier! Ich bitte die jungen Herrschaften hinaus!“

Anstatt zu gehen stellten sie sich zum Schrank, wo seine Kriegsbeutestücke lagerten. Türkische und französische Fahnen, Waffen und Harnische.

„Hinaus, oder ich versohle euch die Hintern!“ drohte er und schob sie durch die Tür. Kinder waren Geschenke Gottes, gelegentlich Plagen des Teufels, die glaubten, den Vater für sich gepachtet zu haben!

Er setzte sich grummelnd auf den Stuhl, auf dem er Sommer und Winter viel Zeit verbrachte. Am Tisch lag ein Packen mit vergilbten Zeichnungen und Notizen, daneben das Manuskript zum zweiten Buch, dem noch der Prolog fehlte. „Schreibt etwas über Euch!“ hatte der Drucker geraten. „Der Leser möchte wissen, mit wem er es zu tun hat! Also keine falsche Bescheidenheit! Und bedenkt auch, welches Jahr wir haben!“ Energisch tauchte Breitenbrunn die Feder ins Tintenfass.

Geneigter Leser, erlaube mir, dieses Buch mit ein paar Worten über mich, den Verfasser, zu beginnen. Manch einer versucht sich als Dichter, ehe ihm der Bart sprießt. Ich griff erst im reifen Alter zur Feder, nachdem ich meinen Abschied aus der Armee genommen hatte, der, so viel will ich Dir verraten, nicht ganz freiwillig erfolgte. Ich hatte schwere Differenzen mit dem Kriegsminister Guido Schwarzenberg, der ein Hornochse auf zwei Beinen ist.

Vielleicht sollte er das nicht schreiben. Guido Schwarzenberg war ein einflussreicher und nachtragender Mann. Er strich die beiden letzten Zeilen.

Den Abschied nahm ich wegen meines zerschossenen Beins. Nicht meine schlimmste Verletzung, aber die erste, von der ich mich nicht restlos erholte. Ihre Majestät, Kaiser Joseph, machte mir zum Abschied ein Geschenk von fünftausend Talern, so dass ich diese Zeilen ohne Bitterkeit schreibe. Der Krieg ist eine Furie. Ich habe großes Glück, noch unter den Lebenden zu weilen.

1684 lenkte Josephs Vater, Kaiser Leopold von Habsburg, die Geschicke des deutschen Reiches. Stets bemüht, selten glücklich, weil ihm am Reichstag nur die Rolle eines Primus inter Pares zustand.

Als ich in Regensburg das erste Mal vor ihm kniete, litt er an der türkischen Auszehrung. Die Türken hatten ihm Wien und Niederösterreich weggenommen und jeder dachte, dass es noch schlimmer kommen würde. Ihm blieb gerade bis zum Frühjahr Zeit, eine neue Allianz gegen den Erbfeind aus dem Osten zu schmieden. Seine alten Verbündeten, der Herzog von Bayern und der polnische König Sobieski, waren tot und der mächtige Ludwig XIV. betrieb eine Politik, die dem Sultan in die Hände arbeitete. Die anderen europäischen Fürsten sympathisierten mit dem Kaiser und versprachen Abhilfe, wobei die reale Hilfe oft dem von Isaac Newton eben in diesem Jahr aufgestellten Gesetz folgte, wonach die Kraft der Anziehung mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Die sich unmittelbar von den Türken gefährdet sahen, gaben Geld und Soldaten, die anderen gute Worte.

Der gute Kaiser hatte also allen Grund, besorgt in die Zukunft zu blicken. Bei mir verhielt es sich anders. Ich hatte die Belagerung und Eroberung Wiens überlebt und war vom Hauptmann zum Oberst aufgestiegen. Persönliches Glück bescherte mir das Wiedersehen mit meinem Zwillingsbruder, den ein grausames Schicksal zu den Janitscharen verschlagen hatte. Diese Geschehnisse und mehr habe ich in meinen Buch, ´Der Goldene Apfel der Deutschen` niedergeschrieben.

Um mich zu bilden und Dir, geneigter Leser, einen tieferen Einblick in die folgenden Geschehnisse geben zu können, bin ich zu den Stätten gereist, wo entscheidende Politik gemacht wurde. Nicht selten setzte ich mich bei meinen Nachforschungen dem Verdacht der Spionage aus. In Paris hatte ich die Ehre, drei lange Wochen im französischen Staatsgefängnis zu verbringen. Obwohl Friede ist, wagte ich mich nicht nach Konstantinopel. Bei den Türken gelte ich immer noch als Rebell der übelsten Sorte.

So war es ein Glück, dass ich Jahre zuvor einen hohen türkischen Offizier Wochen lang verhörte, der dem Divan des Großwesirs angehörte, über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügte und die Kunst des klugen Erzählens beherrschte. Ismail Pascha redete wie ein Buch, um seinen Kopf zu retten. Was ich von ihm Erstaunliches erfuhr, gebe ich an Dich, geneigter Leser, in diesem Buch ebenso weiter wie die Erlebnisse meines lieben Bruders, der auf einem Schiff seinem alten Leben davon fahren wollte und nordafrikanischen Piraten in die Hände fiel.

Am Ende ein Wort zu den Türken. Sie geben vorzügliche Soldaten ab. Auch habe ich bei ihnen Ansätze zur Ritterlichkeit festgestellt, wie sie sich bei Christen nicht oft finden. Trotzdem werde ich sie immer hassen, weil sie mir Vater und Mutter umgebracht haben.

So Gott mir die Kraft gibt, wird diesem Buch noch ein drittes folgen, das den Großen Türkenkrieg zu Ende erzählt.

Gegeben im Jahr des Herrn 1705

Feldzeugmeister Konrad von Breitenbrunn.

Er las das Geschriebene durch und war zufrieden. Vor dem Fenster trieben dicke Schneeflocken und der Wind heulte im Kamin. Er stand auf und legte Scheite ins Feuer. Früher hatte er sich bei jedem Wetter draußen herumgetrieben, jetzt hockte er gern in der warmen Stube.

Leise, um die Kinder nicht anzulocken, stimmte er ein Lied an, das seine Soldaten im Winter gerne gesungen hatten.

Der Reif und auch der kalte Schnee

die tun den armen Landsknecht weh

wie soll´n sie sich ernähren?

Wenn sie die Straß nicht reiten mög´n

was soll´n sie dann verzehren?

Die Stadt des Kaisers

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