Читать книгу Die Stadt des Kaisers - Alfred Stabel - Страница 8
Versailles
Оглавление„Mit anderen Worten, Sire, wir haben auf dem Kontinent keine Verbündeten mehr!“ Charles Colbert Marquis de Croissy, seit fünf Jahren Außenminister Frankreichs und Vater der infamen Reunionspolitik war zum Ende seines Referats gekommen. Seit der deutsche Kaiser von den Türken schwer aufs Haupt geschlagen und König Ludwig als der Hauptschuldige ausgemacht worden war, wehte seinen Diplomaten kalter Wind ins Gesicht. Auf den Straßen wurden sie angepöbelt, ihre Kutschen von den Straßen gedrängt, ihre Bitten um Audienz, von den fürstlichen Hofmeistern abgewiesen. Der Albtraum jeden Außenministers, an dem ihm aber, wie er sich selbst ziemlich erfolgreich eingeredet hatte, die geringste Schuld traf. Kriegsminister Louvois und der König selbst hatten Frankreich kompromittiert mit ihrem Angriff auf die Spanischen Niederlande und gegen den hatte er sich klar ausgesprochen.
Mit dem zufriedenen Gesichtsausdrucks eines Mannes, dem späte Genugtuung widerfährt, nachdem seine Ratschläge in den Wind geschlagen worden waren, lehnte Colbert sich herausfordernd im Sessel zurück. Es war Viertel nach zehn. Wie immer hatte die Ministersitzung Punkt zehn begonnen. Ludwig XIV. hatte seinen Ministern mit einem Tag Verspätung ein gutes Neues Jahr gewünscht, im Gegenzug ihre Glückwünsche entgegen genommen und dann gleich als Tagesthema die Außenpolitik vorgegeben.
Den König ärgerte die selbstzufriedene Haltung seines Ministers. Die brillante Idee, die Türken gegen den Kaiser aufzuhetzen, war auf seinem Mist gewachsen. „Freut Euch das womöglich, Monsieur Colbert? “
„Es freut mich keinesfalls, Sire, keinesfalls! Mein Herz schlägt für Frankreich und seinen König. Ich wollte nur die prekäre Lage unserer Außenpolitik eindringlich beschreiben."
„Mit einer Trauerrede, Monsieur Colbert, mit einer Trauerrede" murrte Kriegsminister Louvois. „So schlimm steht es um Frankreich nicht! Wir haben Euer Gejammer satt!“
Mit Wir meinte Louvois in erster Linie sich, des weiteren den König, seinen zweiundzwanzigjährigen Sohn, den Dauphin, den greisen Kanzler Michel Le Tellier, der Louvois Vater war, den Finanzminister Claude le Peletier und Jean-Baptiste Colbert, dem Jüngeren, der das Amt des Marineministers bekleidete. Am Tisch saßen also zweimal Vater mit Sohn und ein Onkel mit einem Neffen. Finanzminister Le Peletier, der ohne physischen Verwandten am Tisch saß, sympathisierte mit Louvois und dessen Vater. Diese drei traten manchmal geschlossen gegen die beiden Colberts auf, was den König gemäß Anlass und Laune amüsierte oder auch irritierte. Der Dauphin pflegte still wie ein Geist im Rat zu sitzen, aus Angst, seinem Vater zu missfallen. Er enthielt sich auch jetzt jeder Äußerung, während die Colberts diskret protestierten und Louvois Vater und Le Peletier andeutungsweise in die Hände klatschten.
„Lösungen wollen wir hören!“ fuhr Louvois fort. „Keine Grabgesänge.“
Charles Colberts glaubte bereits eine Lösung gefunden zu haben, wollte sie aber später und sicherlich nicht auf Druck Louvois vortragen. Mit gewichtiger Miene legte er ein Gold besticktes seidenes Täschchen auf den Tisch. So fremd und fein sah es aus, dass sich sofort alle Augen darauf richteten. „Das kam gestern aus Marseille, Sire.“
„Ich hoffe, es ist nicht das, wofür ich es halte!“ sagte der König. „Wer ist der Absender?“
„Der Osmanische Großwesir Mustafa Pascha. Die Türken nennen ihn Kara Mustafa, weil er dunkel wie ein Kaffer ist.“
Ärgerliches Staunen. Vergangenes Jahr war ein Schreiben Sultan Mehmeds an Ludwig XIV. von den Österreichern abgefangen und übersetzt worden. Seither dienten diverse Textstellen in Journalen und Druckschriften als stärkstes Mittel antifranzösischer Propaganda. Besonders populär war die vom Sultan gewählte Anrede ´An meinen geliebten Bruder Ludwig, König zu Frankreich und Deutschland.` Wer es nicht glaubte, konnte das Original am Reichstag besichtigen.
„Diesmal haben sich die Türken für ihre Post eines unserer Kriegsschiffe bedient“ sagte Colbert beschwichtigend.
Ludwig nahm das Täschchen an sich. „In welcher Sprache ist das Schreiben abgefasst?“
„In Osmanisch und Latein.“
„Wir werden es lesen und den Herren im nächsten Ministerrat vortragen“ versprach der König.
„Sire!“ protestierte Louvois, „Colbert hat es gelesen, da bin ich sicher und ich will es auch lesen und die anderen Minister ebenfalls.“
„Geduldet Euch, Louvois! Wir fahren mit unserem Thema fort! Wir haben unsere Verbündeten auf dem Kontinent verloren, Unsere Diplomatie ist zum Stillstand gekommen. Wie können wir wieder zum Status quo kommen?“
„Sire“ sagte Colbert, „Es bedarf eines Schwenks in der Politik. Weg von den Türken und hin zum Deutschen Reich!“
„Eure Ansichten sind uns bekannt, Colbert.“
„Sehr wohl, Sire. Aber hört mich bitte weiter an. Ihr habt mir gestattet, meine diplomatischen Fühler auszustrecken. Das habe ich getan. Und mit einigem Erfolg.“
Colbert zog ein Taschentuch heraus und putzte sich umständlich die Nase, was, wie jeder am Tisch wusste, sein probates Mittel war, ihre volle Aufmerksamkeit zu haben. Dieses Mal brauchte es besonders lange, bis das Tuch wieder in seiner Weste verschwand.
„In London“ fuhr Colbert fort, „hat es vergangene Woche ein heimliches Treffen unseres Gesandten mit dem kaiserlichen Diplomaten Graf Caprara gegeben.“
„Steigt die heilige römische Majestät etwa vom hohen Ross herunter?“ witzelte Louvois.
Colbert ignorierte ihn. „Alberto Caprara ist ein hochrangiger Diplomat. Vor zwei Jahren hat er in Konstantinopel die Verhandlungen geführt.“
„Und ist dabei gescheitert“ grinste Louvois.
„Schweigt jetzt!“ wies ihn der König zurecht. „Habt Ihr dieses Treffen eingefädelt, Colbert?“
„Jawohl, Sire.“
„Und wer weiß davon?“
„Die beiden Gesandten, Sire, und auf Seiten des Kaisers wohl nicht mehr Personen, als in diesem Kabinett sitzen. Für den Kaiser ist Diskretion oberstes Gebot. Man stelle sich die Entrüstung am Reichstags vor, wenn die Sache bekannt würde.“
„Was wurde in London geredet?“
„Noch nichts Essentielles, Sire, es war eine erste Annäherung. Der Kaiser ist zu Geheimverhandlungen bereit."
„Gut gemacht, Colbert!“ lobte der König. „Ist jemand hier der Meinung, dass geheime Verhandlungen mit dem Kaiser uns zum Nachteil gereichen könnten? Dann soll er jetzt sprechen!“
„Ich sehe keinen Nachteil“ sagte Kanzler Michel le Tellier und alle bis auf Louvois nickten zustimmend.“
„Zuerst hätte ich gerne gewusst, was im Schreiben dieses Schwarzen Mustafa steht, Sire!“
Ludwig ignorierte ihn. „Colbert, was meint Ihr wird der Kaiser von Uns wollen? Und welche Zugeständnisse würde er machen?“
„Seine geringste Forderung wird eine beeidete Garantie sein, dass wir am Rhein Ruhe geben. Dadurch bekommt er Regimenter gegen die Türken frei. Das allein für sich, wird ihn aber nicht zufriedenstellen. Er wird militärischen Beistand verlangen und ein Darlehen, um seine Kriegskosten zu decken."
"Höchst amüsant" lachte Louvois. "Der Kaiser ist so gut wie bankrott. Welche Sicherstellung könnte er uns geben, Colbert?"
"Eins seiner Erblande. Wie wäre es mit Vorderösterreich?"
„Nicht schlecht. Und an welche Summe habt Ihr gedacht?“
"An noch keine bestimmte. Ein Darlehen kann Teil eines Anbots an den Kaiser sein. Genaueres wird später verhandelt."
„Und was wollen Wir vom Kaiser verlangen?" fragte der König. "Wie weit würde der Kaiser gehen, um zu kriegen, was er will?“
„Soweit wie es seine Ehre und der deutsche Reichstag zulassen.“
„Und was heißt das genau?“
„Dass er Eure Gebietsgewinne anerkennt.“
„Das ist Uns zu wenig! Was sagt Unser Herr Sohn? Was sollen Wir vom Kaiser fordern?“
Dauphin Ludwig errötete. „Den polnischen Thron für meinen Onkel Philippe?“
„Sehr uneigennützig gedacht“ lobte der König. „Aber denkt zunächst einmal an Euch! Würdet Ihr nicht gerne auf dem bayrischen Herzogstuhl Platz nehmen? Dort sitzt sich´s bequem. Ihr seid mit einer Wittelsbacherin verheiratet. Oder wollt Ihr nach der polnischen Krone greifen oder gar“ - Ludwig senkte seine Stimme zu einem bedeutungsvollen Flüstern - „nach der römisch deutschen, die Euch zu Leopolds Nachfolger bestimmt?“
„Wie Ihr es wünscht, Sire.“
Die Gefügigkeit seines Sohnes verstimmte den König. Er ging zu einem der acht Fenster und schaute auf die riesige Baustelle. Obwohl es dicke Flocken schneite, wurde fieberhaft am neuen Seitenflügel gearbeitet. Nach dem Tod des alten Jean Baptiste Colbert hatte er mit Verzögerungen gerechnet, weil er ihn für unersetzlich hielt. Und sich Gottlob geirrt. Hunderte Arbeiter karrten Baumaterial herbei, schlugen Steine zurecht, zerrten sie an riesigen Flaschenzügen hoch und setzten sie ins Mauerwerk. Ob sie sich der Tatsache bewusst waren, dass unter ihren Händen seine Residenz zum größten und schönsten profanen Bauwerk emporwuchs? Vielleicht würde ihn das Volk einmal seinen ´großen König` nennen wegen dieses Schlosses. Gewonnene Kriege, starke Herrschaft, fester Glaube und vorausblickendes Denken hatten ihn in den Augen der Welt bereits groß gemacht. Doch zum Gesamtbild des ganz großen Monarchen gehörte mehr, nämlich Großzügigkeit und maßvoller Umgang mit seinesgleichen. Vielleicht sollte er dem armen Cousin Leopold gegen die Türken unter die Arme greifen, ohne ihm dabei die Hosen auszuziehen? Er ging zum Tisch zurück. Dort war ein scharfes Wortgefecht zwischen den Parteien Colbert und Louvois entbrannt. Im Grunde hatte Ludwig nichts dagegen, wenn sich seine Minister von Zeit zu Zeit in die Haare kriegten, so lange sie dabei die Form wahrten. Bei Louvois durfte man das nicht unbedingt voraussetzen. Er schien kurz davor, Colbert an die Gurgel zu fahren. Der scharfe Hund musste an die Leine!
"Haltet den Mund Louvois und hört mir zu! Wir brechen den Winterfeldzug ab! Ihr holt Unsere Truppen heim! Die Belagerung von Luxemburg wird aufgehoben! Und Ihr Colbert schreibt nach London! Wir sind zu Geheimverhandlungen bereit. Als Ort schlage ich eine Stadt an der französisch-deutschen Grenze vor. Fürs erste soll der kaiserliche Botschafter wissen, dass Wir Unserem Cousin zu Hilfe eilen wollen im Austausch für ein kleines politisches Geschenk. Welches, soll er selbst bestimmen. Die polnische Krone für unseren Bruder, oder den bayrische Herzogstuhl für unseren Sohn."
Die beiden Colberts klatschten in die Hände und nach kurzem Zögern auch Kanzler Tellier und Finanzminister Le Peletier. Louvois saß wie versteinert da. "Sire! Sire!"
"Keine Einwände, Louvois´! Ihr bringt unsere Truppen binnen vier Wochen nach Frankreich zurück, oder Ihr werdet diesem Kabinett und Paris Adieu sagen. Zuvor aber die Bastille von innen kennenlernen!"
"Sire, bitte hört mich an! Majestät brauchen auf niemanden Rücksicht nehmen. Euer Heer wird mit jedem Gegner fertig! Ihr könnt Euch mit den Türken absprechen, ja sogar offen verbünden! Spricht der Papst den Bann über Euch aus, Sire, gründet Ihr eine nationale Kirche nach englischem Vorbild. Die Mehrzahl der französischen Bischöfe steht hinter Euch. Ihr lasst sie einen französischen Papst wählen, der residiert in Avignon und des Papstes Bann ist ein Wisch Papier, nicht mehr!“
„Unerhört!“ riefen alle Minister, Charles Colbert am lautesten. Die Minister wussten von den Bemühungen der Majestät, den englischen König in den Schoss der römischen Kirche zurückzuführen. Charles II. zögerte noch, weil er einen Bürgerkrieg fürchtete. Und nun kam Louvois mit diesem skandalösen Vorschlag!
„Häretiker!“ Kanzler Le Tellier haute dem Sohn eine grimmige Ohrfeige herunter. "Verzeiht ihm, Sire, er sagte dies nur in der Absicht, Euch in bester Weise zu dienen."
Der Gedanke eine römisch-französische Kirche zu gründen, falls der Papst ihm die Sakramente verweigerte, war Ludwig selbst schon gekommen. Er hatte ihn aus Sorge um sein Seelenheil verworfen.
"Mein Kompliment, Le Tellier! Ihr besitzt noch einen starken Arm! Aber die ketzerischen Äußerungen Eures Sohnes wiegen so schwer, dass sie mit einer gutgemeinten väterlichen Ohrfeige nicht getilgt sind! Marquis de Louvois!“
„Sire?“
„Ihr werdet noch heute Beichte ablegen, Klitzeklein Eurem Beichtvater wiedergeben, was Ihr da gesagt habt und seine Strafe in Demut empfangen. Schwört mir das bei der Heiligen Mutter Gottes!“
„Ich schwöre es bei der Heiligen Mutter Gottes, Sire.“
„Macht Euch auf schwere Buße gefasst.“
„Das tue ich, Sire, wenn es denn sein muss!“
Die Vorstellung, dass sein Kriegsminister längere Zeit Fasten musste und Striemen seinen Rücken zierten, war recht vergnüglich. Die Tischuhr schlug zwölf, der Ministerrat war zu Ende und Außenminister Colbert verbeugte sich tiefer als sonst vor seinem König.