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Reise nach Regensburg

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Zwei Tage nach Melk stieg Breitenbrunn in Markt Ardagger aus einem gemieteten Schlitten. Der Kutscher lud seine Truhe vor dem Wirtshof ab, den er empfohlen hatte. Vor dem Tor standen mehrere Wägen und dicker weißer Rauch stieg aus den Schornsteinen, obwohl es erst Nachmittag war. Kalt wehte der Wind vom Fluss, der sich hier von seiner ruhigen Seite zeigte und gemächlich an Baum bestandenen Inseln vorbeifloss, bevor er in sein altes Ungestüm verfiel und sich tosend den Weg durch dunkles Gefels bahnte. Strudengau hieß dieser wilde Donauabschnitt, hatte der Fuhrmann gesagt und dass bei Hochwasser viele Schiffer ihre Lasten auf Karren umluden.

„Wollt Ihr übersetzen? Kein Malheur für unsere Fährleute.“ Ein kräftiger Mann in schwarzer Tracht mit großem Hut, auf dem Tannen- und Mistelzweigen steckten, war aus dem Wirtshof getreten. „Ihr seid ein Herr, nicht wahr?“

„Kaiserlicher Offizier.“

„Prächtig, prächtig“ sagte der Mann. „Morgen setzen sie Euch über. Heute feiert unser Schiffsmeister Hochzeit. Ich bin der Progroder."

"Der was?" fragte Breitenbrunn verständnislos.

"Der Hochzeitseinlader und Abwickler." Er streckte seine Hand aus. "Preininger Michel. Wäre mir eine Ehre, Euch als Gast einzuführen! Ihr sagt doch ja?" Ohne auf Antwort zu warten, schulterte er die schwere Reisetruhe und stellte sie erst vor dem Eingang zu einem großen Saal ab.

„Hoho!“ rief er hinein, „Wir haben einen kaiserlichen Offizier als Gast!“

Beifälliges Gemurmel und lustige Zurufe begleiteten sie auf dem Weg zur Hochzeitstafel. Ohne nach seinem Namen gefragt zu haben, machte der Progroder ´den vornehmen Herrn` mit den Hochzeitern bekannt. Braut und Bräutigam waren mit Eichenlaub bekränzt, die Braut trug ein langes dekolletiertes Kleid mit Bändern und Borten, der Bräutigam einen bestickten bunten Rock und knielange Hosen aus feinem Tuch. Am grünen Janker des Brautvaters blitzten silberne Knöpfe. Ein freier Bauer, der die Früchte seiner Arbeit mit keinem Grundherrn teilen musste. Das Gesicht verriet, dass er bereits einen Ordentlichen sitzen hatte. Zwei aufgeputzte Matronen, die Mütter der Brautleute, tuschelten vertraulich miteinander, während die anderen am Tisch durcheinander redeten. Frisch und lieblich sahen die Kranzljungfern in ihren Trachten aus, während die Beistände des Bräutigams auffallend kräftige Männer waren. „Donauschiffer" sagte der Progroder. „Heute werden sie brav in die Donau schiffen, weil, wer nicht ordentlich trinkt, den Plutzer poliert bekommt.“

"Progroder, Progroder!" rief es im Saal. An der Tür blockierten Hochzeitsgäste eine Schar Vermummter, die sich gewaltsam Eintritt verschaffen wollten. „Braucht Ihr meinen Beistand?“ rief Breitenbrunn dem Davoneilenden nach.

„Setzt Euch!“ sagte einer der Kranzljungfern und wies auf den leeren Stuhl neben ihr. „Ist nur ein Spiel!“

Sie war älter als die beiden andern Hochzeitsmädchen. Ihr amüsierter Gerichtsausdruck verriet Erfahrung im Umgang mit Männern. „Das sind Leut, die der Progroder net eingeladen hat“ erklärte sie. „Nach einem kleinen Gerangel dürfen sie herein. Ist so Brauch bei uns." Breitenbrunn verstand nicht, was sie noch sagte, weil die Vermummten johlend zu den Tischen vordrangen. Blitzschnell schaufelten sie das stehen gebliebene Essen in mitgebrachte Schüsseln, oder stopften es gleich in die Münder. Breitenbrunn schaute sich die Frau neben ihm genau an. Mitte zwanzig, ziemlich groß und fest im Fleisch. Der Stoff spannte keck über ihren Brüsten, dunkle lange Zöpfe kontrastierten ihr blasses Gesicht. Anscheinend war sie ohne männliche Begleitung hier.

Schnell wie sie gekommen waren, verschwanden die Eindringlinge wieder. Die Hochzeitsgesellschaft schien erleichtert und der Progroder winkte die Musiker - Drehleierspieler, Zinkenbläser und Trommler – zum Tanzboden.

„Dem Herrn sind unsere Bräuch fremd“ stellte sie nach einer längeren Pause fest. „Woher kommt er denn?“

„Aus dem Süddeutschen.“

„Und welche Art von Offizier ist er?“

„Einer von der schnellen Kavallerie“ feixte er. Sie lachte wissend.

„Und welche Art von Frau seid ihr?“ fragte nun er. „Eine aus dem Stand der Gnädigen?“

Sie stieß ihm eine kleine Faust spielerisch gegen die Brust. "Ihr wisst, dass ich keine Gnädige bin. Ihr versucht mich, um den Finger zu wickeln!" Sie stützte das Kinn auf die Hand und streckte die Zunge heraus. „So leicht geht das nicht!“

"Der erste Tanz gehört dem Brautpaar" verkündete der Progroder. "No net!" rief die Braut und stellte sich auf einen Stuhl. "Hilf mir mit dem Kleid, Agnes!" Die reizende Bezopfte stand auf und trennte hurtig mit einer kleinen Schere die Überlänge vom Kleid. Zip, zip, zip und Schuhe und Knöchel lagen frei. Unter lautem Beifall schritt das Paar zur Tanzfläche.

Gut spielte die Musik. Die beiden drehten sich und die Gäste wiegten sich im Takt auf den Bänken bis der Progroder das Brautschupfen befahl. "Eins" riefen die Gäste und der Bräutigam schleuderte seine Angetraute hoch, dass die Haare flogen. "Zwei" riefen sie und "drei" und dann "Jessasmaria!", weil sie ihm beinahe entglitten wäre. Der Schiffsmeister war ein stämmiger Kerl. Vom Publikum angefeuert, verließ ihn die Kraft erst nach dem fünfunddreißigsten Schupfer. "Die werden gesunde Kinder haben" verkündete der Progroder und "jetzt sind Brauteltern, Beistände und Kranzljungfern dran!"

Ein Beistand, ein langer Kerl mit breiten Schultern und pockennarbigem Gesicht, zog Agnes zum Tanzboden. Breitenbrunn ging nach seiner Truhe sehen, überdies brauchte er Quartier für die Nacht. Alles war bereits vom guten Progroder arrangiert worden. Die Truhe stand in einer kleinen Kammer neben einem frisch überzogenen Bett. Er tauschte die Reisekleider gegen Hemd und Rock und die Stiefel gegen Schnallenschuhe. Die Wirtin steckte die Nase bei der Tür herein und fragte, ob der Herr auch zurechtkäme. Es wäre halt ein Notquartier, weil alle guten Zimmer von Hochzeitsgästen belegt waren. Breitenbrunn versicherte ihr, dass es an nichts fehlte und sie bat ihn, einen Blick auf die vier Männer zu werfen, die sich in der Gaststube niedergelassen hatten. Reden tat nur einer von ihnen und dem fehlten drei Finger an der rechten Hand. Ob das entlaufene Soldaten oder gar Räuber wären? Er ging sich die Männer ansehen. Dass es sich um Soldaten handelte, sah er an ihren Stiefeln und der herausfordernden Art wie sie am Tisch lümmelten. Er setzte sich mit einem Krug Wein zu ihnen. Zehn Minuten später wusste er, dass alles seine Ordnung hatte. Sie waren in venezianischen Diensten gestanden und wollten heim nach Hessen.

In seiner Abwesenheit hatten sich ein Priester und ein Mann im Stiftherrenornat an die Tafel gesetzt. Agnes tanzte mit einem anderen Beistand, schaute aber öfter zu ihm herüber.

„Gelobt sei Jesus Christus!“ sagte Breitenbrunn im Niedersetzen.

„In Ewigkeit Amen!“ Die Geistlichen waren vom wohlbeleibten rosigen Schlag, der nichts anbrennen ließ. Während sie Kipfeln und Wein zusprachen, guckten sie ständig zu den vor Anstrengung und Lust dampfenden Frauen auf der Tanzfläche. Der Priester so angestrengt, dass er beim Nachfüllen den Wein verschüttete und es nicht merkte.

„Schöne volle Früchte wachsen in dieser Gegend“ bemerkte Breitenbrunn. Zur Illustration formten seine Hände einen weiblichen Körper in die Luft.

„Ja, die gedeihen hier gut“ antwortete der Priester mit starrem Blick. „Macht das klare flinke Wasser. Ihr solltet an einem warmen Sommertag kommen! Da tummeln sich die Nixen nackig im Fluss. Man sieht alles von ihnen.“ Hochwürden seufzte tief auf. „ Brüste, Schenkel, blanke Hinterteile.“

Breitenbrunn konnte sich die Szenerie vorstellen. Vorne die Badenden, im Gebüsch der zwischen Keuschheit und Sünde schwankende Kleriker. Ein Pfaff braucht nicht zu heiraten, so lange der Bauer eine Frau hat!

„Die eben zu uns herschaut“ - Breitenbrunn deutete auf die Bezopfte - „ist auch eine von den Nixen?“

„Welche?“

„Der gleich das Kleid über der Brust platzen wird.“

„Ah, die Agnes meint Ihr. War Dorfhebamme, bis sie einen Seitenstettener Bauern geheiratet hat. Ja, die schwimmt und taucht wie ein Fisch. Jetzt ist ihr Alter tot. Hat ihr den Hof hinterlassen mit allem was dazu gehört. “

„Ihr kennt Eure Schäfchen wirklich sehr gut, Hochwürden“ lobte Breitenbrunn. „Sie trägt nicht Schwarz. Also ist das Trauerjahr vorbei?“

„Ist vorbei. Jetzt entschuldigt mich. Hier ist es zu laut und zu heiß!“

Der Priester nahm ein letztes geflochtenes Kipfel und stand auf. Ebenso der Chorherr. Nach ihrem Abgang wurde es im Saal womöglich noch ausgelassener und lauter. Die nicht tanzten, klatschten zur Musik, schlugen mit den Löffeln auf Gläser und Krüge oder saßen umschlungen auf den Bänken und wiegten sich im Takt. Agnes kam zum Tisch und sah ihn herausfordernd an.

"Wo waren der Herr?"

"Hab mich für die Nacht eingerichtet."

"Ist Euch nach Schlafen zumute?"

"Keineswegs" sagte er und stand auf, „wer viel schläft, versäumt viel! Lass uns tanzen!“

Einen langsamen Landler spielten sie, da konnte er sie an sich drücken, ohne dass es auffiel. Nach ein paar Drehungen legte sie den Mund an sein Ohr.

„Worüber habt Ihr mit dem Pfaffen geredet?“

"Darüber, dass die Liebe keine Sünde ist."

Sie kicherte. "Na, was hat er wirklich gesagt?"

"Dass im Sommer in Ardagger Nixen schwimmen."

"Er beobachtet uns beim Baden?"

"Wer will´s ihm verdenken" sagte er und strich sanft mit der Nase über ihr Ohr.

"Neue Partner!" rief der Progroder und zog ihm die Agnes weg. „Ihr kriegt die Brautmutter zum Landlern! Zeigt´s was ihr könnt´s! Aufstellung!"

Breitenbrunn murmelte etwas von fremden Tänzen, die er nicht kannte. Aber das half nichts. Resolut packte die Matrone seinen Arm. "Des geht nit, dass einer nur mit die jungen Weiberleit tanz´n mag! Die Alten woll´n auch!". Der Progroder richtete ihn zu Recht. Sein rechter Arm umfasste die Alte, ihr linker ihn und ihre freien ausgestreckten Hände umschlangen sich. Los ging das Gehüpfe im Kreis mit dem Progroder und der schönen Agnes in der Mitte. Sie vollführten beim Tanzen allerlei komische Figuren. Fensterl, Joch, Herzerl, hießen sie. Nacheinander tanzten Paare in die Mitte und vollführten neue Faxen, die von den anderen sogleich übernommen wurden. Aber wie die Wurst hatte auch diese Sache ihr Ende. Breitenbrunn drückte der Brautmutter einen Kuss auf die Wange und schob sie weg. Ein Mann, der zur Agnes wollte, fand den Weg versperrt und ballte die Fäuste. Der Progroder drängte ihn ab. Eng umschlungen, wenn es langsam ging, und fröhlich hopsend, wenn die Trommeln wirbelten, tanzten sie in den Abend. Dass sie heimlich Zärtlichkeiten austauschten, fiel in der angeheiterten Gesellschaft nicht auf. Als die Musikanten eine Pause einlegten, zogen sie sich in eine stille Ecke zurück.

"Gefällts´s dir bei uns?" fragte sie. "Bist du mir gut?"

„Ja“ antwortete er.

„Ich hab´s gern, wenn um mich geworben wird. Bleibst du eine Weile in Ardagger? Nein? Bist wenigstens ehrlich! Aber gefallen tu ich dir?“

Er nickte und zog ein trauriges Gesicht. Die männliche Melancholie übte auf manche Frauen einen unwiderstehlichen Reiz aus.

„Was hast du denn? Plagt dich was?“ fragte sie beflissen.

„Nein“ sagte er so zögernd, dass es einem Ja gleich kam. „Es ist halt so, dass Du-“ – er legte eine bedeutungsschwangere Pause ein – „dass Du mich an eine erinnerst. War ebenso reizend und hübsch wie du. Ganz vernarrt war ich in sie!“

„Trotz meiner Sommersprossen gefalle ich dir?“

Dazu sagte er nichts. Die zarten Fleckchen störten keineswegs. Aber wenn sie deswegen an ihrer Schönheit zweifelte, war es kein Schaden.

„Oder magst du mich gerade wegen meiner Sommersprossen? Hatte die auch Sommersprossen?“

"Was spielt das für eine Rolle? Heut will ich dich!" Agnes überlegte kurz. Ihre Monatsblutung hatte vor zwei Tagen aufgehört. In den ersten Tagen konnte eine Frau nicht empfangen. Und der Offizier gefiel ihr. "Dann tu jetzt so, als ob du dich von mir verabschieden wolltest" sagte sie "und in einer Stunde kommst du in meine Kammer im ersten Stock bei der Treppe, aber so, dass dich keiner sieht!"

Die Schiffsknechte packten die Ruder, das Seil zum anderen Ufer spannte sich, die Rolle quietschte gequält und unter lautem Knirschen brach der Fährkahn durchs dünne Eis. Breitenbrunn winkte ein Lebewohl zum ersten Stock, wo die Agnes eingewickelt in einem Schaffell hinter dem Fenster stand. Nur einmal hatte sie ihm eine Frage gestellt. Warum er in den Krieg wollte, anstatt die Segnungen des Friedens an der Seite einer liebenden Frau zu genießen? Sie besaß eine Wirtschaft groß genug, um ein schönes Auslangen zu haben. "Hab mein Leben dem Kampf gegen die Türken verschrieben, Liebes!“ hatte er geantwortet, „für mich ist kein Bleiben!" Damit sie ihm nicht gram war, hatte er ihr beim Abschied einen silbernen Ohrring mit einer schwarzen Perle geschenkt. Den hatte sie gleich angesteckt und gesagt, dass sie seiner in Liebe gedenken würde. Und jetzt war er wieder alleine! Gegen die aufsteigende Wehmut – die Agnes war wirklich eine zum Liebhaben - sah er den Knechten beim Rudern zu. Einer mit roter Schnapsnase geriet häufig aus dem Rhythmus. Die aufs Deck spritzende Gischt störte die schwitzenden Knechte nicht, wohl aber ihn und die beiden anderen zum Nichtstun verdammten Fahrgäste. Auf halber Strecke entwand er dem Tölpel das Ruder und legte sich in die Riemen. Das spornte die übrigen an und der Kahn gewann rasch das andere Ufer. Auf dessen Seite stand kein Dorf, aber der

Progroder hatte ihm die Lage eines Gehöfts beschrieben, dessen Bauer einen Reiseschlitten besaß. Er sah das Gehöft und stapfte mit der Truhe auf den Schultern los.

Unter Apfelbäumen rannte ein Mädchen mit dem Besen zwei kleineren Buben hinterher, die sie mit Schneebällen bewarfen. Es erwischte einen, warf ihn zu Boden und bearbeitete mit den Borsten sein Gesicht. Der zweite kam von hinten dem schreienden Buben zu Hilfe und drosch mit den Fäusten auf das Mädchen ein. Gewandt packte sie seinen Arm und warf ihn mit Schwung zu Boden.

"Kinder!" rief Breitenbrunn, "holt´s den Bauern heraus! Ich will ihm ein Geschäft vorschlagen!" "Hölfn´s ma!" schrie das Mädchen. Der Bruder hatte ihr den Besen aus der Hand gerissen und schritt nun seinerseits zur Attacke. Breitenbrunn stellte die Truhe ab und ging energisch auf die Kinder zu. "Schluss mit der Balgerei, holt´s euren Vater!"

"Herr Vater, Herr Vater!" rief das Mädel und "blede Sau!", weil sie der Besenstiel am Kopf traf. Im darauffolgenden Gerangel kämpfte sie wie eine Löwin. Breitenbrunn schaute anerkennend zu, wie sie den einen Buben kopfüber in den Schnee schleuderte und den zweiten, der vor dem Walkürenzorn flüchten wollte, mit einem Sprung an den Beinen erwischte.

Der aus dem Haus kommende Mann ignorierte das Gerangel, obwohl die Buben aus Leibeskräften plärrten.

„Seid ihr der Alois Mattinger?“

„Wos soll´s denn sein?“

"Mir hat der Preininger Michel gesagt, dass Ihr einen Reiseschlitten gegen Geld verborgt und ich muss nach Linz." Wie erwartet, schüttelte der Bauer abweisend den Kopf. Mit Bauern Geschäfte machen, war eine öde Sache. Erst sagten sie nein, dann verlangten sie zu viel und wenn man streng mit ihnen redete, wurden sie störrisch.

"Ist keine Reisezeit" sagte Mattinger „und überdies" - er starrte kopfschüttelnd in den tadellos blauen Himmel, "kommt Schlechtwetter."

„Nicht vor Übermorgen“ sagte Breitenbrunn. „Morgen gegen Abend kann der Knecht mit dem Schlitten wieder daheim sein.“

„Dann hat er mir den Gaul ruiniert.“

„Dann lasst einen zweiten einspannen. Pferde brauchen Auslauf.“

Mattinger machte ein Gesicht, als ob er das zum ersten Mal hörte.

„Das kostet einiges dem Herrn. Januar ist keine Reisezeit.“

Sie einigten sich auf zwei Pferde und sieben Gulden. Eine Viertelstunde später fuhr der Schlitten los. Bald wurde das Land flach und die Straße bot, abgesehen von einigen Verwehungen, die umfahren werden mussten, keine Hindernisse. Mit der Gewissheit, dass er noch am Abend in Linz sein würde, döste Breitenbrunn ein. Ein fester Ruck weckte ihn. Der Schlitten hatte abrupt angehalten, eins der Pferde war protestierend hochgestiegen. "Auf der Straß´n ist mir was verdächtig" erklärte der Knecht vom Kutschbock. "Letzte Woch´n haben sie hier einen überfallen!" Breitenbrunn stand auf, um über ihn drüber zu sehen. Die Straße verlief schnurgerade. In ziemlicher Entfernung - der Kutscher musste scharfe Augen haben - sah er dunkle Schemen im Schnee. Zu klein für Menschen, zu groß für Vögel oder anderes Getier. Er spannte die Pistolen und hieß den Knecht weiterfahren. Bald entpuppten sich die Schemen als Mönche in weißen Gewändern, schwarzen Beinkleidern und Schürzen. Einer lag reglos am Boden, vier saßen oder knieten bei ihm. "Zisterzienser vom Kloster Baumgartenberg" sagte der Kutscher. „Die schlimmsten Canaillen! Ich fahr besser weiter!"

„Anhalten wirst du!“ bestimmte Breitenbrunn. Unwillig brachte der Knecht den Schlitten zum Stehen und Breitenbrunn stieg aus, um sich die Bescherung anzusehen. Die Mönche bluteten aus mehreren Wunden, einer hatte das Bein gebrochen, ein anderer den Arm, dem am Boden rann das Blut aus Ohr und Nase. Stockend schilderten sie, wie plötzlich Männer mit geschwärzten Gesichtern vor den Wagen gesprungen und den scheuenden Pferden Kapuzen übergeworfen hatten. Sodann hatte man sie herausgezerrt, ausgeplündert und mit Stöcken geschlagen, obwohl sie sich nicht wehrten.

„Die waren aus der Gegend“ knurrte der Knecht „darauf kann der Herr getrost einen lassen! Mit den Baumgartenbergern haben viele eine Rechnung offen.“

"Du anscheinend auch" sagte Breitenbrunn. "Wir nehmen sie trotzdem mit!"

"Nix da" widersprach der Knecht. "Ist kein Platz für alle."

"Wir schlichten sie hinein! Los, hilf mir mit dem Reglosen!"

"Und wer wischt das Blut von den Polstern?"

"Du, weil du ein Trinkgeld kriegst!"

Trinkgeld war das Zauberwort. Gemeinsam hoben sie den Mönch vom Boden auf Breitenbrunns Truhe. Drei komplementierten sie auf die Sitzbank, die eigentlich für zwei gedacht war und den letzten, einen wohlbeleibten, jungen, wiesen sie an, sich mit angezogenen Beinen auf seine Brüder zu legen. "Niemals" sagte der Dicke, worauf ihn der Kutscher mit einem Stoß hinein beförderte. Die drei auf der Bank schrien wie am Spieß. "Not kennt kein Gebot" sagte Breitenbrunn philosophisch, "Wir müssen euch zum nächsten Bader bringen!"

"Ich bitt Euch, nicht zu einem Bader!" sagte der Dicke. "Bringt uns nach Linz zum Chirurgen. Nach Linz wollten wir ohnehin."

„Wir ebenfalls“ sagte Breitenbrunn. „Also los!“

Die Schmerzensschreie auf der Bank wurden lauter, als die Pferde anzogen. „Bruder Andreas drückt meinem gebrochenen Arm" schrie ein Bedauernswerter. „Und mir mein armes Bein“ ein anderer.

„Ihr müsst es ertragen, Brüder, damit euch geholfen wird“ beschwichtigte der Dicke, der auf ihnen wie eine Fliege auf der Butter schwamm.

„Wie sind eure Namen?“ fragte Breitenbrunn, um sie abzulenken.

„Mein Name ist Andreas und die unter mir zappeln heißen Kaspar, Melchior und Balthasar."

"Kein Scherz?"

"Kein Scherz. Wir finden es alle drollig. Deshalb will unser Prior sie beim Heiligendreikönigspiel im Stifthaus dabei haben."

"Und wen spielt Ihr?"

"Einen Ochsen " mischte sich der Knecht ein, "weil er groß und dick wie ein Rindvieh ist."

„Was hast du gesagt?“ fragte der dicke Mönch in scharfem Ton.

„Hast schon richtig gehört! Groß und dick wie ein Rindvieh bist du!“

„Nun hört euch diesen Bauernlümmel an, Brüder! Zeigt keine Ehrfurcht vor den Dienern Gottes!"

"Wahrscheinlich ist er ein Ketzer" mutmaßte Balthasar. "Was bist du, Lümmel? Lutheraner oder Calvinist?"

"Was geht´s dich an, du Knecht der babylonischen Hure!“ fauchte der Knecht. „ Brech´ dir gleich den zweiten Arm, wenn du nicht ruhig bist!" Der Knecht drehte den Kopf und spuckte dem Balthasar ins Gesicht. „Lutherischer bin ich!“

„Lass das Spucken sein!“ herrschte ihn Breitenbrunn an.

Für einige Minuten blieb es im Schlitten ruhig, dann begannen sie hinten zu beten.

In Anbetracht der Tatsache, dass sie von einem Glaubensfeind chauffiert wurden, weder taktvoll noch klug. Außerdem hatte sich definitiv einer angeschissen. Es stank bis nach vorne.

„Sagt denen, sie sollen aufhören!“ verlangte der Knecht.

„Ich kann doch Mönchen nicht das Beten verbieten!“

„Dann tu ich es eben!“ Der Knecht wandte sich um. „Maul halten, römisches Drecksgesindel oder ich lass es krachen!“

Von hinten kamen drohende Rufe.

„Maria war eine Dirne!“ schrie der Knecht.

Breitenbrunn packte ihn am Kragen und redete leise auf ihn ein. „Mach weiter so, Depp, und du stehst vor dem Richter. Und du weißt was Gotteslästerern geschieht. Die Zunge reißen sie ihnen heraus!“

"Ihr wollt mich anzeigen?"

"Ich nicht, aber die Mönche. Die wissen jetzt, was du für einer bist!“

Der Knecht nahm einen tiefen Zug aus einer Schnapsflasche.

"Ich werd´s Maul halten, ich versprech´s." Er rülpste laut und reckte zwei Finger zum Schwur.

"Was tut der Ketzer jetzt?" wollten sie hinten wissen.

"Er zeigt Reue."

"Dann wollen wir um sein Seelenheil beten."

"Wartet noch!" sagte Breitenbrunn hastig. "Erst möchte ich von jedem hochverehrten Bruder Bescheid, wie es ihm geht, ob die Schmerzen erträglich sind und er bis Linz durchhält. Und will er ins Spital oder ins Kloster gebracht werden?"

Sie berieten sich. Andreas wollte ins Stifthaus, die anderen zum Chirurgen. Bruder Immanuel hatte die Augen aufgemacht und ein paar Wörter gesprochen. Mit Gottes Hilfe würde auch er den Tag überstehen. Zur Linzer Brücke waren es noch anderthalb Stunden.

"Wir wissen Eure Fürsorge zu schätzen" sagte Andreas "und wollen deshalb die Einladung aussprechen, den Herrn in unserem Haus frei zu halten, solange er für seine Geschäfte in Linz braucht.“

Breitenbrunn nahm an. Das Essen bei den Brüdern war sicherlich gut und über die frommen Sprüche konnte man hinweg hören.

"Ich war schon einmal Gast Eures Ordens" erzählte er, um das Gespräch in Gang zu halten. „Im ungarischen Raab.“

"Dort seid Ihr sicher vorzüglich traktiert worden."

"Vorzüglichst!" In Wahrheit war der Aufenthalt sehr unerfreulich gewesen. Beim Abendessen gab es Streit mit dem Abt, weil er schlecht über die kaiserlichen Soldaten redete. Und am nächsten Morgen hatten sie ihn beschuldigt, eine Marienstatue zerbrochen zu haben. Die wahren Übeltäter, seine Freunde Beck und Radlberger, hatten es amüsant gefunden. "Passt zu dir, dass du eine Marienstatue umschmeißt!" Später war ihnen das Lachen beim Lesen des neuen Dienstreglements vergangen. Alles in allem war es aber ein sehr guter Tag gewesen. Am Vormittag kam aus heiterem Himmel seine Beförderung zum Obrist Wachtmeister und mittags kommandierte er bereits die fünf Kompanien Württemberger.

Unter Glöckchengebimmel überholten sie ein auf Kufen gestelltes Fuhrwerk mit jungen Frauen, die Scherze herüber riefen, bis sie die Bescherung im Fonds sahen. Breitenbrunn hatte keine Ahnung, welchen Reim sie sich auf die blutigen Mönche machten. Jedenfalls schlugen sie das Kreuzzeichen, als der Schlitten an ihnen vorbei fuhr und die Zisterzienser bekreuzigten sich ebenfalls, sofern sie dazu in der Lage waren. Wer da vor wem mehr Angst hatte? Nur noch eine Stunde bis Linz. Die Sonne schien, der Knecht ließ die Pferde laufen und die Mönche tuschelten miteinander. Alles in bester Ordnung. Breitenbrunn sank das Kinn zur Brust und binnen kurzem schlief er so fest, dass er das Aufflammen des Religionskrieges nicht mitbekam. Erst Gotteslästerliches Fluchen weckte ihn. Der nichtsnutzige Knecht hatte angehalten und schwang die Peitsche über dem Fonds.

"Ave Maria, gratia plena" sangen die verängstigten Mönche. "Ave Dominus, Dominus tecum."

„Her mit der Peitsche!“ schrie Breitenbrunn. Zu spät! Der Riemen zeichnete eine rote Strieme auf die Stirn von Bruder Andreas.

Breitenbrunn drückte den Arm mit der Peitsche herunter. Seine freie Hand packte das Handgelenk, worauf ihm der Knecht den Ellbogen gegen die Brust stieß. Ringend stürzten sie vom Kutschbock in den Schnee. „Verprügelt ihn ordentlich!“ rief Andreas aus dem Wagen gebeugt. Das war leichter gesagt als getan. Für einen Hageren verfügte der Knecht über erstaunliche Kraft. Sie wälzten sich im Schnee, bis Breitenbrunn einen Faustschlag gegen sein Kinn gelang, der ihn schlaff machte. Mit dem Stilett aus seinem Stiefel schnitt er einen Armlangen Streifen vom Riemen und band dem Verrückten unter dem Jubel der Mönche die Hände zusammen. Bei der Rauferei war Breitenbrunn die Oberlippe geplatzt.

„Ihr habt Euer Blut für unseren Glauben gegeben“ jubelte Andreas. Breitenbrunn stieß den Knecht, der wieder zu sich gekommen war, auf den Kutschbock und nahm selbst die Zügel. „Lasst den Ketzer doch zurück!“ schlug Melchior vor.

„Einer muss den Schlitten zurückbringen!“

„Der hier wird es nicht tun!“ sagte Melchior in unheilschwangerem Ton.

Breitenbrunn lenkte nun. Der Knecht saß wortlos neben ihm und hielt auch das Maul, als sie hinten ein ´Herrgott, Dich loben wir´ anstimmten. Vor der Linzer Brücke schnitt er ihm die Fesseln durch. „Halt ja still, sonst übergeb ich dich der Wache!“ Auch die Mönche hieß er besser schweigen, wenn sie rasch zum Chirurgen wollten.

Der Soldat am Wachhaus zog eine finstere Miene, als er die blutigen Mönche sah und rief den Korporal herbei. Breitenbrunn wies auf seine Offiziersschärpe und nach einem kurzen scharfen Gespräch fuhren sie weiter.

"Danke dem Herrn!" sagte der Knecht, der wohl verstanden hatte, dass er knapp einer Verhaftung entgangen war, mit leiser Stimme.

„Wenn die Fuhre fertig ist, haust du sofort ab aus Linz! Hörst du?"

Der Kerl hatte den Ärger mit einem blauen Auge und einer schiefen Nase bezahlt. Mehr brauchte es nicht.

Eine Viertelstunde später fand die denkwürdige Fahrt mit fünf zerschlagenen Mönchen und einem rabiaten Knecht ein Ende.

Am nächsten Tag wurde Breitenbrunn in der Prälatenkutsche durch Linz chauffiert. Fußgänger, Reiter und Kutscher machten Platz und beugten die Köpfe vor dem geistlichen Herren, der, die Krempe ins Gesicht gezogen, freundlich durch die beschlagenen Fenster winkte. Wenn ihm die Lust ankam, hielt er die rechte Hand mit drei gestreckten Fingern hoch und dann sank, wer konnte, beglückt auf die Knie, weil er unerwartet und ohne reinigende Beichte die Segnung empfangen hatte. Bald fragte sich der Kutscher am Bock, was in die Leute gefahren war, dass sie gar so freundlich grüßten und später, warum es plötzlich aufhörte. Beim Blick auf das kaiserliche Schloss, das wie eine Zwingburg auf einem Felsen über der Donau thronte, war Breitenbrunn die Lust auf Schabernack vergangen. In Kürze würde er dem mächtigen Kriegsminister Hermann von Baden gegenüber stehen, einem Mann, von dem er nur Schlechtes gehört hatte. Und den musste er für seine Pläne gewinnen und nebenbei überzeugen, dass er sich ein Regiment verdient hatte. Eine harte Nuss, die er da zu knacken hatte!

Der Wagen fuhr durch eine zwei Geschosse hohe Einfahrt an der ersten Wache vorbei in den Burghof. Als der Kutscher den Verschlag öffnete, grüßte der herbeigeeilte Wachkorporal mit einer tiefen Verbeugung und einem „Gelobt sei Jesus Christus“.

„In Ewigkeit Amen“ antwortete Breitenbrunn beim Aussteigen.

„Himmelherrgott!“ schimpfte der Korporal, als er seinen Irrtum bemerkte. „Wer seid Ihr denn?“

„Du sollst Gott nicht lästern, mein Sohn!“ grinste Breitenbrunn „und von nun an jeden vor der Einfahrt nach dem Begehr fragen und nicht erst im Hof! Übergib diese zwei Schreiben dem Adjutanten des Herrn Markgrafen und melde, dass Obrist Konrad von Breitenbrunn um ein Gespräch bittet! Eil dich!“

Mit hochrotem Gesicht schickte der Korporal einen Soldaten mit den Schreiben voraus und bat Breitenbrunn mitzukommen.

Weil es leicht regnete, gingen sie unter den Arkaden zur Nordwestecke des Hofes, passierten zwei Soldaten mit aufgepflanzten Hellebarden, stiegen in den zweiten Stock, gingen an einer leer stehenden Trabantenstube vorbei und hielten vor einer breiten Tür, die sich nach kurzem Klopfen öffnete.

„Ist es möglich!“ rief ein junger Mann in badischer Hauptmannsuniform. Sein gerötetes Gesicht kam Breitenbrunn bekannt vor, doch wusste er nicht, wo er es hintun sollte.

„Ist es möglich!“ rief der Hauptmann ein zweites Mal. „Seid Ihr es wirklich? Ich konnte es nicht glauben, als ich Euren Namen hörte.“

„Ich bin´s“ sagte Breitenbrunn „und ich kenne Euch auch, obwohl mir nicht einfallen will, wann und wo wir uns getroffen haben!“

„In Raab, Baron, in Raab! Dort sind wir miteinander im Wirtshaus gesessen. Euer Kommandant hat von Magdeburg erzählt und Ihr und Euer Freund Scherzgedichte gemacht. Ich saß am Nachbartisch. Henry de Busbeque mein Name.“

„Natürlich. Ich erinnere mich. Ihr wart unter denen, die dem Rottensteirer und dem Beck ins Puff gefolgt sind. Ich hoffe, es hat sich ausgezahlt!“

„Hat es sich. Ich hoffe, Eure beiden Freunde sind noch unter den Lebenden?“

„Beck ist tot“ sagte Breitenbrunn und dann schwiegen beide, weil die Erinnerung sie übermannte.

„Ich dachte, Ihr wärt auch in Wien gefallen“ sagte Busbeque schließlich.

„Schwer verwundet wurde ich. Der Chirurg Rottensteirer, mit dem Ihr damals im Puff ward, hat mich zusammengeflickt. Kein anderer hätte das zusammengebracht.“

„Man sieht Euch nichts an“ stellte Busbeque nach einem prüfenden Blick fest. „Speisen wir am Nachmittag gemeinsam? Jetzt ist keine Zeit, sich viel zu erzählen. Durchlaucht wird Euch in Kürze rufen. Wollte sich zuvor noch Eure Schreiben ansehen, platzt wahrscheinlich vor Neugierde.

„Speisen wir gemeinsam! Ihre kaiserliche Majestät weilt beim Reichstag ins Regensburg?“

„Flugs, Busbeque!“ rief eine tiefe Stimme. „den

Herrn Obrist zu mir!“

„Alsdann, auf zum hohen Herrn“ sagte der Hauptmann, „kann´s kaum erwarten!“

Markgraf Hermann kam ihm mit ausgestreckten Händen entgegen. „Ich kann´s nicht glauben, kann´s gar nicht glauben, dass ein Offizier der Garnison vor mir steht! Wir glaubten alle tot, ja alle tot. Setzt Euch bitte, Baron. Baron von Breitenbrunn, nicht wahr? Laut meinen Offizierslisten wart Ihr im Frühjahr Hauptmann im Württembergischen Regiment, nicht wahr? Und dann hat Euch der Starhemberg befördert. Ich hab´s ja gelesen. Hat wohl viel auf Euch gehalten, der Gute! War ein harter Knochen, der keinen umsonst gelobt hat. Nehmt Platz!“

Hermann setzte sich hinter einen mit Papierbögen und Zetteln bedeckten großen Schreibtisch. Sonst herrschte in dem spärlich möblierten Zimmer, das anscheinend nichts Unnützes enthielt, schlichte Ordnung. Keine der üblichen Sammlungen von Kriegs- und Jagdtrophäen. Gobelins und Teppiche fehlten gänzlich, das einzige Bild war ein Porträt seines vor Wien gefallenen Neffen Ludwig an der weißgetünchten Wand gegenüber dem Schreibtisch. Wie jeder wusste, hatte der kinderlose Mann seinen Louis wie einen Sohn geliebt. Portrait des Kaisers gab es keines.

„Breitenbrunn, Breitenbrunn“ sinnierte der Markgraf halblaut. „Freiherren von Breitenbrunn, nie gehört. Irgendwann, wenn Zeit ist, müsst Ihr mir von Eurem Geschlecht erzählen, Herr Baron. Ja, später einmal. Ihr ward in Wien unter Starhemberg. Habt ihr auch in der Entsatzschlacht gekämpft?"

"Nein, Durchlaucht. Ich habe sie auf der Mauer verfolgt. Starhemberg schickte kurz zweitausend Mann hinaus, zog sie aber wieder zurück, weil die Lage hoffnungslos geworden war."

"Und dann ist was passiert? Keiner weiß so Recht, wie es weiterging. “

"Starhemberg hat nicht aufgegeben, Durchlaucht. Wir kämpften noch, als die Türken schon in der Stadt waren."

"Und Ihr, was geschah mit Euch?"

"Ich wurde im Straßenkampf am Schädel verletzt und verlor die Besinnung. Als ich drei Tage später aufwachte, lag ich nackig in einem türkischen Zelt. Die Türken schickten einen Arzt zu mir, einen guten Arzt. Nach vier Wochen war ich so weit erholt, dass ich aus dem Lager fliehen konnte. Ich schlug mich nach Scheibbs durch.“

„Und dann?“

„Und dann sammelte ich ein Freiwilligenheer. Bei Burgstall haben wir türkische Marodeure in einem Gefecht besiegt.“

„Famos, ganz famos! Habe von dem Gefecht gehört.“ Hermann erhob sich wieder und schritt nachdenklich, die Hände hinter dem massigen Leib verschränkt, durchs Zimmer. „Ihr sollt Euren Rang natürlich behalten. Was nun Eugenios Vorschlag betrifft, dafür brauchen wir die Zustimmung des Kaisers und wo ich das Regiment, das Euch Eugenio in seiner jugendlichen Begeisterung zugedacht hat, hernehmen soll, wissen die Götter, aber “ - Hermann setzte sich wieder an den Schreibtisch - „morgen reise ich nach Regensburg. Ihr kommt am besten mit, damit Ihr der Majestät Bericht ablegt und Eure Absichten vortragt. Habt Ihr Pferd und Wagen dabei? Nein? Dann reisen wir gemeinsam!“

„Eine Ehre, Durchlaucht“ sagte Breitenbrunn freudig überrascht.

„Auf der Fahrt könnt Ihr mir alles von der Belagerung und der Schlacht erzählen und auch vom Kampf gegen die Türken im Erlauftal. Ja, auch davon. Weil vielen Offizieren wäre das nicht eingefallen! Ihr habt zweifellos ein Kommando verdient. Das nächste geworbene Regiment geht an den Rhein. Wie würde es Euch gefallen, zur Abwechslung Franzosen gegenüber zu stehen? Der Loui isch en Lumpenhund wie der Türk ällaweil. “

„Pardon, Durchlaucht?“

„Der Ludwig ist ebenso ein Lumpenhund wie der Türke! Kennt Ihr die Geschichte von dem abgefangenen Schreiben des Sultans? Nein, Busbeque soll sie Euch später erzählen! Köstlich, köstlich! Der Brief liegt übrigens im Reichstag auf. Und nun lieber Baron muss ich Euch wegen dringender Erledigungen verabschieden. Muss ja morgen abreisen!

Wo seid Ihr abgestiegen?“

„Im Stifthaus der Zisterzienser. Auf der Reise hierher habe ich fünf Brüder aus einer misslichen Lage befreit. Jetzt darf ich bei ihnen logieren.“

Hermann schmunzelte. „Hätte Euch im Schloss Quartier angeboten, aber bleibt ruhig bei Euren Mönchen! Morgen Punkt sieben werdet Ihr abgeholt. Adieu bis morgen.“

Wieder ein herzliches Händeschütteln. „Der Markgraf mag Euch“ stellte Busbeque fest, als sie draußen waren. Wollt Ihr ein Pferd?“

„Nein.“

„Wartet einen Augenblick!“ Busbeque bog ins erste Zimmer ab und kam gleich darauf mit einem Ledertäschchen zurück.

„Der Brief kam vor zwei Monaten. Habe ihn verschlossen aufbewahrt, damit sich der Geruch nicht verliert. Feines Parfum. Ich wette, Ihr seid mit der Dame bekannt!“

Breitenbrunn nahm den Brief und gab Busbeque das Täschchen zurück. „Kommt Ihr mit nach Regensburg?“

„Habe nicht die Ehre. Muss die Stellung halten und dem hohen Herrn die Meldungen sichten und nachsenden. Wie wär´s mit drei Uhr im ´Güldenen Handschuh` am Hauptplatz?“

Breitenbrunn versprach zu kommen. Wieder in der Kutsche öffnete er Mari-Carmens Brief ohne große Begeisterung. Da waren ihre zarte Handschrift und der feine Duft, den auch Busbeque bemerkt hatte. Sie hatte aus Granada geschrieben am zweiten September. „Mi querido Conrado. Wo bist Du? Ich denke jeden Tag an Dich!“

Am zweiten September war er ausgeblutet und mit wehen Herzen im türkischen Lager gelegen und sie bei ihrem Ehemann oder Liebhaber. Falls er sich nach einer Frau gesehnt

hatte – in seinem schlechten Zustand eher unwahrscheinlich – sicher nicht nach ihr, sondern nach ihrer Zofe Ursula, die ihr Bestes gegeben hatte, ihre Herrin zu vertreten. „Ein Arrangement, das alle drei Beteiligten zufrieden stellt“ hatte sein väterlicher Freund Julius Schönberger spitz kommentiert. Ursula war sehr hübsch, Mari-Carmen eine wirkliche Schönheit, aber von flatterhaftem Wesen und von Affären belastet. Letzteres hatte ihm allerdings Ursula zugesteckt und entsprach möglicher Weise nicht ganz der Wahrheit. Er steckte den Brief, der vermutlich Liebesbeteuerungen und charmante Anzüglichkeiten enthielt, ungelesen in die Tasche.

Im Kloster gab es ein zweites Frühstück und Neuigkeiten von Bruder Immanuel und dem rabiaten Fuhrknecht. Ersterem ging es so gut, dass der Chirurg ihn am Morgen entlassen hatte, den rabiaten Knecht hatten die Büttel betrunken in einem Wirtshaus gestellt und abgeführt.

Busbeque kam in Begleitung eines Fähnrichs, der sich für seine Aufdringlichkeit entschuldigte und als Gegenleistung die Bezahlung der Zeche anbot.

.Das Gesicht kam Breitenbrunn vage bekannt vor und als er sich als Wilhelm Gottfried Morhaupt vorstellte, fiel der Groschen. Ein Morhaupt hatte in der Kompanie Hornbach gedient.

„Mein Bruder“ sagte der Fähnrich. „Ich hatte gehofft, Ihr würdet mir Zeytung geben, wie er gestorben ist.

„Er starb ehrenhaft, Fähnrich, als Hauptmann seiner Kompanie.“

Der junge Mann errötete freudig. „Hauptmann ist er geworden! Aber unter welchen Umständen ist er gestorben? Und an welchem Tag?“

Breitenbrunn hatte den Morhauptbruder gemocht und legte sich ins Zeug. "Es muss der 22. August gewesen sein, der erste Sonntag nach der verlorenen Schlacht am Kahlenberg. Die Türken hatten morgens ein großes Loch in die Schottenbastei gesprengt. Aufs Minieren verstanden sie sich und diesmal kam zum Geschick auch Glück. Ziegel und Erde rutschten gerade so in den Graben, dass sie eine formidable Rampe zur Bresche bildeten. Viermal warfen wir die Janitscharen zurück. Gegen Abend durchbrachen sie unsere Barrikade aus Holzbohlen und spanischen Reitern und pflanzten eine rote Fahne auf die Mauer. Zu diesem Zeitpunkt hatten viele die Stadt bereits verloren geglaubt. Doch in einem letzten verzweifelten Anlauf vertrieben wir sie und verschlossen die Lücke mit Sandsäcken und Steinen. In diesem heroischen Gefecht ist Euer werter Bruder draufgegangen." Es war eine knappe Darstellung, die vieles aussparte. Den Kampflärm, diese infernalische Mischung aus Geschützdonner, Gewehrfeuer, Wut- und Schmerzgeschrei, die gellende Musik der Janitscharenkapellen, die während des Gefechts spielten, das Glockengeläute, das wiederum den Verteidigern Mut machen sollte und natürlich die Angst, die ihnen anhaftete wie das schweißnasse Hemd.

"Dank Euch! sagte Busbeque. "Mein Bruder schrieb uns von Euch mit den besten Worten.“

„War ein feiner und mutiger Kerl und eine Zierde unseres Regiments.“ Verlegen brach Breitenbrunn ab, weil dem jungen Mann die Tränen in die Augen schossen. „Dank Euch nochmals, Herr Obrist! Ich werde Eure Worte an meine Eltern weitergeben.“

„Tut das, Leutnant, und drückt mein tiefstes Bedauern aus, weil jedes Wort wahr ist.“

Busbeque füllte die Gläser und sie tranken sich zu. Nach einer respektvollen Pause sagte Busbeque: "Der Lothringer hat die Schlacht verloren und der Starhemberg danach nicht kapituliert. Wäre es vom Herrn Obrist zu viel verlangt, wenn er, der an allem Teil hatte, uns einen wahrhaften Bericht über die Ereignisse in Wien von Juli bis August gibt?"

Breitenbrunn begann zu erzählen. Zunächst auf das Wesentliche beschränkt und ohne die eigene Person in den Vordergrund zu stellen. Auf den Tisch kamen getrüffelte Pasteten, Omeletten aus Wachteleiern, geschmorte Ente mit Wurzelgemüse und Tartüffel, Schinken, Würste, Käse, als Nachspeise ein Apfelstrudel und dazu ein spritziger Weißer aus der Wachau. Breitenbrunns Zunge löste sich. Seine Schilderungen der wahren Geschehnisse gerieten immer anschaulicher, der Obrist Breitenbrunn kam immer öfter vor und der Kreis der Zuhörer wuchs, bis schließlich der ganze Gasthof seiner Kommandostimme lauschte. Dass er nun vor allem über sich sprach, schien den Zuhörern besonders zu gefallen. Nachdem er vom gescheiterten Versuch, gemeinsam mit der Liebsten und dem besten Freund der Gefangenschaft zu entgehen, erzählt hatte - „Herrjeh, er verblutete in meinen Armen" – schloss ihm eine ältere Dame weinend in die Arme. "Mein armer tapferer Junge, was Ihr alles habt erleiden müssen!" Nun war die Geschichte vom Fall Wiens aus seiner Sicht mit der erlittenen schweren Verletzung zu Ende erzählt. Dass ihn sein Bruder nach zwanzig Jahren wieder erkannt und gerettet hatte, war sicher eine tolle Geschichte, aber nichts für die Ohren der Zuhörer.

"Ihre Aufmerksamkeit war sehr schmeichelhaft, aber ich geh jetzt ins Kloster schlafen." "Nein, mein tapferer Herr" rief die Alte, "ich bitte Euch, erzählt uns noch wie Ihr den schrecklichen Türken entkommen seid!" "Ja, erzählt, erzählt" wurde gerufen und die zwei halbwüchsigen Enkeltöchter der Alten schmiegten sich an ihn wie junge Kätzchen. "Erzähl der Herr Offizier, oder wir werden auf ewig unglücklich sein!"

Geschmeichelt setzte sich Breitenbrunn wieder. Auch die Umstände seiner Flucht waren nichts für fremde Ohren, aber zur Erheiterung der guten Leute ließ sich ein Schwank wie ein Schrank zusammen zimmern. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Weinglas. "Also meinetwegen. Ich war Gefangener vom Ali Pascha, einem finsteren Obertürken aus den asiatischen Steppen.“ Eine Geschichte erzählte sich wie von selbst, sobald ein guter Anfang gemacht war. „Für drei Beutel Gold hatte mich der Pascha den grimmigen Soldaten Tökölys, die mich wie ein Schwein gestochen hatten, abgekauft, sein Leibarzt meine Wunden zusammengeflickt. Anfangs bekam ich gutes Essen und Ali erkundigte sich häufig nach mir. Als ihm zu Ohren kam, dass der Kaiser keine Gefangenen auslösen würde, geriet er in Zorn. „Was mache ich jetzt mit dem Unnützen?“ fragte er seine Berater. "Die Kuh hat mich drei Beutel Gold gekostet und jetzt gibt sie keine Milch!" „Verkauf ihn als Sklaven, Herr“ schlug einer vor, „damit dein Verlust nicht so hoch ist!“ „Erziehe ihn zum wahren Glauben!“ ein anderer. "So soll es sein" entschied Ali. "Die Liste meiner Sünden ist lang. Ein gottesfürchtiges Werk tut Not. Gelobt sei Allah, der Herrscher der Welt, er soll Muselmann werden, für mein teures Geld" Und weil gelacht wurde, dichtete Breitenbrunn weiter: "Bei Muhammed, dem Propheten, er soll lernen das Beten. Darum studiere er fleißig fortan, die dreitausend Suren des Koran!"

"Und habt Ihr sie studiert" fragte kichernd eine Dame. "Mitnichten! Ich weigerte mich, so dass ich keinen Reis mehr bekam und hungern musste. Am vierten Tag erschien der Imam mit zwei riesigen Kerlen und einem Dolmetsch. ´Lerne täglich einen Absatz aus dem heiligen Buch, oder die Pforten der Hölle werden sich vor dir auftun!´ Ich versprach es. Der Imam begann mit der ersten Sure. Immer wieder sprach er sie mir vor. Ich sprach sie ihm willig nach, aber wenn er mich aufforderte, das Gehörte am Ende wiederzugeben, blieb ich stumm. Schließlich gab er auf. ´Ali Pascha, das Gehirn eines Giauren ist zu klein, um die Worte unsres Propheten zu erfassen!`“ „Was ist ein Giaur?“ wollten die Zuhörer wissen. „Ein Ungläubiger. Der Pascha verdonnerte mich zum Schafe hüten. Mit gefesselten Füßen hoppelte ich hinter den Schafen und Lämmern her, hielt sie zusammen, lernte aus den Zitzen der Muttertiere trinken und spürte meine Kraft zurückkommen. Dem Pascha gelüstete es, mich zu demütigen. Wenn er Gäste bewirtete, wurde ich zum Singen geholt. Die brachen in schallendes Gelächter aus, oder hielten sich die Ohren zu, weil ihr Geschmack in der Musik nicht dem unsren gleicht, was Ali wohl wusste, aber leugnete. Zur Strafe für mein schlechtes Singen erhielt ich kein Essen und keine Decke für die Nacht. Ich war die sechste Woche bei ihm, als er mich in sein Zelt rufen ließ. Bei ihm saßen der Dolmetsch und ein junges Weib." An dieser Stelle kamen Breitenbrunn Bedenken wegen der jungen Zuhörerinnen. Er fühlte mit beiden Händen in das Fleisch der beiden Mädchen, die frech seine Sitznachbarn weg gedrängt hatten, um nah bei ihm zu sitzen. Sie fühlten sich beinahe erwachsen an und kicherten, anstatt von ihm wegzurücken. "Ein schönes Weib war das“ fuhr er fort. „Unter dem dünnen seidenen Kleid schimmerte ein pechschwarzer biegsamer Körper. ´Dies ist Asballa, meine neue jungfräuliche Sklavin`, ließ mir Ali sagen. ´Ihr Schoß verheißt die Wonnen des Paradieses. Jedoch verhindern meine Leibesfülle` - Ali war rund wie ein Fass - ´und ein Nachlassen der Steifigkeit, dass ich ihr Löchlein öffne. Deshalb befehle ich dir, es für mich zu tun!´ ´Sehr gerne, verehrter Pascha` antwortete ich und warf mich dankbar vor ihm auf den Boden. ´Zu früh gefreut´ grinste Ali. ´Ich werde mit heruntergelassenen Hosen über dir stehen und dich anpissen, wenn du nach getaner Arbeit nicht sogleich von ihr runter steigst! Perforieren sollst du sie, nicht ficken!`

Fieberhaft sann ich nach, wie ich auf meine Rechnung kommen konnte, ohne nass zu werden. Ich behauptete, sie nicht durchbohren zu können, ohne sie angefasst zu haben und verlangte nach einer Decke gegen meine Scham. Ali bedeutete sein Einverständnis und die Decke wurde über uns gelegt. Auch durfte ich ihre Brüste anfassen, was nebenbei gesagt, gar nicht nötig gewesen wäre. Auf Asballa wäre auch der Heilige Hieronymus spitz geworden. Mühelos drang ich in sie, Asballa stöhnte auf und ich schrie ´Es will mir nicht gelingen, es will mir nicht gelingen!` und bearbeitete sie mit sanften Stößen. Was weiter geschah, liegt auf der Hand."

"Angepisst wurdet Ihr!" riefen die Zuhörer vergnügt.

"Weil es Ali zu lange dauerte, zog er die Decke weg und dann rauschte es im Zelt wie am Wasserfall. ´Niemals so gut gepisst` sagte Ali und lachte bis ihm die Luft wegblieb. Hernach wurde mir ein eiserner Ring mit einer Kette um den Hals gelegt. ´Fortan lebst du als Schwein! Wenn ein Muselmann vorbeikommt, musste du auf allen Vieren laufen und grunzen!` Ahmed, mein Aufpasser, schlug mich mehrmals am Tag mit dem Stock. Den Reis bekam ich in einem Fressnapf, trinken musste ich aus dem Pferdeeimer. Meine Lage dauerte den Dolmetsch. ´Es ist nicht recht, wie sie dich behandeln. Gerne würde ich dir helfen, wenn ich nur wüsste wie!` `Du kannst mir helfen, guter Mann`, antwortete ich. ´Lehre mich in deiner Sprache den Satz ´Ahmed, schließ sofort die Ketten auf!`. Den Satz übte ich hunderte Male mit des Paschas quäkender Stimme. Es konnte klappen, denn Ahmed war dumm wie Bohnenstroh. Am Abend kam er mit einem Krug Schnaps ins Zelt. ´Hehehe!` lachte er beim Trinken, ´hehe!` und spielte mit dem Schlüssel zu meinem Schloss, den er an einem Band um den Hals trug. Bald war es finster im Zelt und er verfiel in einen schnarchenden Schlaf. Sicherheitshalber wartete ich eine Stunde, dann rief ich: ´Ahmed, schließ sofort die Ketten auf!` Schlaftrunken erhob sich der Unhold aus seiner Ecke und torkelte auf mich zu. Es dauerte eine Weile bis er den Schlüssel ins Schloss kriegte, aber dann machte es klick und die Eisen fielen ab. Nun gab ich ihm mit dem Stock freudig zurück, was ich so oft empfangen hatte. Dem Pascha hätte ich es auch gern heimgezahlt, aber er schlief inmitten seiner Leibwache. Ich schlich zur nächsten Koppel und ritt flugs in die Freiheit."

Am nächsten Morgen stieg Breitenbrunn mit brummendem Kopf zu Hermann und seinen Sekretär in die Kutsche. Von der Klosterpforte winkten ihm Andreas und die Heiligen drei Könige zu. Breitenbrunn wischte sich Andreas feuchten Schmatz von der Wange und winkte zurück, bis der Wagen die erste Kurve fuhr. "Bei denen ward ihr Hahn im Korb" stellte der Sekretär fest. "Weshalb denn?“ "Das tut jetzt nichts zur Sache, Wilmersdorf" sagte der Markgraf. "wir müssen Dringendes bereden! Seht, was mir am Abend druckfrisch aus der Presse zugeflogen ist, Baron!" Der Minister zog einen gebundenen Stoß Papier hervor. "Eine Schilderung von Belagerung und Schlacht!" Breitenbrunn griff nach dem Papier und zog so lange an einem Ende, bis Hermann losließ. Wahrhafte und umständliche Beschreibung, was in und um Wien im Juli und August anno 1683 täglich vorgelaufen. Entworfen von einem Soldaten der Wiener Garnison. Kein Name.

"Gott verdamm mich!" Breitenbrunns erste Reaktion war Freude, dass noch ein anderer das Massaker überlebt hatte. Hermann missverstand ihn. "Ja, lieber Baron, da war einer schneller als Ihr. Dem winkt jetzt ein schöner Batzen Geld!"

"Es war nie meine Absicht, meine Erlebnisse drucken zu lassen, Durchlaucht.“

"Vielleicht ist es auch nur ein Machwerk?" sinnierte Hermann, "ein Produkt der Fantasie. Ich habe es fürs erste überflogen. Und jetzt will ich es zurück! Ihr könnt es lesen, wenn ich es gelesen habe!"

In Wahrheit hatte der Markgraf es bereits studiert und war zur Ansicht gelangt, dass es ohne Zweifel von einem Augenzeugen verfasst worden war und zwar von einem, der mit dem Heerführer Karl von Lothringen sympathisierte. Breitenbrunns Name tauchte mehrmals auf als Protegé Starhembergs und Starhemberg war immer auf der Seite des Lothringers gestanden. Wenn man also eins und eins zusammenrechnete, kam der Baron als Verfasser in Frage.

"Seid Ihr sicher, dass nicht Eure Hand die Feder führte?"

Breitenbrunn sah ihn erstaunt hat. "Wenn´s so wär, warum sollt ich´s nicht bekennen?"

"Ja, warum solltet Ihr nicht! Habt Ihr eine Idee, wer es war?"

"Nein. Vielleicht kommt mir beim Lesen die Erleuchtung."

"Ihr werdet es lesen, aber zuerst meine Neugierde befriedigen, Baron. Ist es wahr, dass der Lothringer die Schlacht ohne Zentrum geschlagen hat? Und dass der rechte Flügel ohne Infanterie kämpfte?"

"Soweit ich es sehen konnte - ich stand ja auf der Stadtmauer - ja."

"Und ohne Reserven?"

"Ohne Reserven! Er kämpfte in arger Unterzahl, Durchlaucht und hätte gesiegt, wenn sich nicht die verdammten Ungarn eingemischt hätten. War verdammtes Pech!"

„Das vorhersehbar war, Breitenbrunn, höchst vorhersehbar! Hat der Lothringer gedacht, die Ungarn kämen zum Frühstück?“

„Der Herzog hat heldenhaft gekämpft, Durchlaucht.“

„Und hat es genutzt, Breitenbrunn? Nein, ganz im Gegenteil. Unsere Ostarmee ist vernichtet! Verdammter Narr, der Lothringer! Und mein armer Neffe ist tot!“

Wie viele andere auch, dachte Breitenbrunn, und eine nicht kleine Zahl wäre noch am Leben, wenn sich der Lothringer und du nicht wie Hund und Katz gerauft hätten. Und du bräuchtest jetzt nicht in dein Taschentuch schniefen! Warum bloß hat der Kaiser, den man einen klugen Mann nennt, euch zwei bissige Gäule vor den Karren gespannt?

„Chm, chm“ räusperte sich Hermanns Sekretär. „Und was geschah nach der Schlacht? Graf Starhemberg kämpfte entschlossen weiter?“

Hermann winkte ab. "Davon hat mir der Herr Baron schon gestern erzählt. Wirklich heldenhaft, der Starhemberg! Obwohl die Garnison zusammengeschrumpft war und das Wiener Volk gegen ihn revoltierte, hat er niemals aufgegeben. Wo waren wir gestern stehengeblieben, ah ja, im Erlauftal. Was wurde aus Eurem kleinen Bauernheer, Breitenbrunn?"

"Es verlief sich, Durchlaucht, nachdem wir die Türken vertrieben hatten. Sehr zur Freude der Scheibbser Bürger, die fortan für nichts aufkommen mussten. Gott steh ihnen bei, denn der Feind kommt wieder! Wenn ich der türkische Generalissimus wär, tät ich diesen Landstrich als nächstes erobern wegen seiner Erzöfen und Schmieden.“

„Gott sei Dank, hört er Euch nicht! Dass er mit einem großen Heer zurückkommt, ist so sicher wie das Amen im Gebet“ sagte der Markgraf.

„Dann verstehe ich nicht, warum Ihr nicht mehr Regimenter nach Osten werft, Durchlaucht.“

„Weil das Reich auch eine Grenze im Westen hat, Breitenbrunn und weil es dort ebenfalls brennt. Und nachdem Euch die Soldaten davongelaufen waren?“

„Begab ich mich als erstes zur Garnison in Enns. Die wärmte sich den Arsch am Ofen, also weiter nach Krems, weil es hieß, dass dort ein Regiment Dragoner unter einem schneidigen Obristen den Feind zurückdrängt. So traf ich den jungen Prinzen Eugen. Wir verstanden uns auf Anhieb und schmiedeten Pläne, wie wir die Ungarn und Türken im Frühjahr ordentlich ins Schwitzen bringen. Er mit seinen Dragonern und ich mit einem Regiment Infanterie. Wir kämpfen das Nordufer frei und werfen die Türken-"

"Genug spintisiert" unterbrach ihn der Markgraf. „Achill und Agamemnon ziehen in den Krieg und Troja bebt. Ich rate Euch ab, so vor dem Kaiser zu reden. Ich sehe schon, ich muss Euch auf die Audienz gründlich vorbereiten!“

Hermann nahm die Perücke vom geschorenen Kopf. Der Sekretär tat es ihm gleich. In seinen verfilzten Haaren klebten Nissen.

„Ihr besitzt keine Perücke, Baron?“

„Sollte ich denn?“

„Von einem Offizier wird erwartet, dass er beim Kaiser mit Perücke vorspricht."

"Und wenn ich sage, dass ich aus Gewissensgründen keine Perücke trage?“

„Wieso aus Gewissensgründen?“

„Weil die Perücken aus Frankreich stammen und die Franzmänner ebenso unsere Feinde sind wie die Türken. Ich weigere mich, ein Requisit des Feindes aufzusetzen!“

Hermann und der Sekretär sahen sich entgeistert an.

„Ich will auch nicht französisch reden oder zu einer Französin ins Bett steigen.“

„Hört hört!“ lachte der Markgraf „Der Reichstag hat bereits Maßnahmen gegen Frankreich beschlossen, aber auf die Perücken und französischen Liebchen wurde vergessen. Vielleicht könnte Euer Landkreis einen Antrag stellen. Woher stammt Ihr, Breitenbrunn?“

„Ihr nehmt mich nicht Ernst, Durchlaucht“ lenkte der falsche Baron ab. „Verbietet die Einfuhr französischer Perücken und es bleibt viel Geld im Land, Geld das für den Krieg besser ausgegeben ist.“

„Soll der Baron eine Klage beim Reichskammergericht stellen!“ witzelte der Sekretär und kratzte sich am verfilzten Kopf. „Vielleicht mit den Worten Ceterum censeo galerum esse delendam! Reichsacht über alle Perückenträger!“

„Galera esse delendam“ verbesserte Breitenbrunn. „galera- galerorum-galeris-galera-galera- galeris. Setzt es gefälligst in die Mehrzahl! Mit dem Verbrennen einer einzigen Perücke ist es nicht getan!“

„Genug davon“ forderte Hermann. Breitenbrunn war in Fahrt gekommen. „Eine Anmerkung, Durchlaucht! Die Einfuhr französischen Duftwassers soll ebenfalls verboten sein. Warum sollen Deutsche wie ihre Feinde riechen?"

Hermann ignorierte ihn und zog sein Chronometer heraus.

„Halber neune erst! Holt die Konfektschachtel hervor, Wilmersdorf! Ich bin ein ungeduldiger Reisender" sagte er zu Breitenbrunn gewandt. "Es ärgert mich, wenn der Kutscher die Pferde zu sehr schont, oder der Wilmersdorf jede Stunde seine Blase entleert. Wenn ich mein Amt niedergelegt habe, werde ich keinen Schritt aus meinem Garten tun und die Vöglein beim Singen belauschen. Wie das der heilige Franziskus getan hat. Und jetzt ist was, Wilmersdorf? Ihr müsst austreten, weil wir übers Pinkeln gesprochen haben?" Hermann zog an der Schnur und der große Wagen hielt an. Breitenbrunn stieg nach dem Sekretär aus und drehte, während der Hagere sein Geschäft verrichtete, im matschigen Schnee ein paar Runden um die Kutsche. In der letzten Stunde war der Wolkenschleier so dicht geworden, dass die Sonne wie eine abgeblendete Laterne im Süden stand. Umgeben war sie von fluffigen bizarren Wolkengebilden, die in träger Würde über das Firmament segelten, ohne dabei Gestalt, Richtung oder Geschwindigkeit zu ändern. Bleierne Schwere lag in der Luft und nichts war zu hören, als das Knarren und Knarzen der Bäume unter dem feuchten Schnee. Dem Leutnant der Leibwache bereitete das Sorgen. „Wir sollten heute nicht über Passau hinaus fahren, Durchlaucht."

„Meint Ihr, dass schlechtes Wetter kommt“ knurrte der Minister, „oder seid ihr bloß des Reitens müde? In diesem Fall könnt Ihr vorne beim Kutscher Platz nehmen! Wilmersdorf! Wilmersdorf! “ Der Sekretär kam mit gelöstem Gesichtsausdruck aus dem Wald gestapft. „Lasst die schwarze Truhe in den Wagen schaffen! Jetzt wird gearbeitet!“

Hermann diktierte Briefe in Befehlsform. Beim Niederschreiben erwies sich Wilmerdorf als wahrer Tintenkünstler, der die schaukelnden und hüpfenden Bewegungen der Karosse mit schnellen Bewegungen der Schreibhand ausglich. Die Schreiben ergingen an diverse Landtage und Städte, die für die Verproviantierung frisch geworbener Truppen aufkommen sollten. Eine Armee zu ernähren, war immer schwierig gewesen. Nach den Verheerungen durch Türken und Tataren hatte sich die Lage zugespitzt. Leere Dörfer, unbestellte Felder, keine Ernten, keine Abgaben an die Landtage, keine Kontributionen an den Krieg.

„Falls Ihr zugehört habt, Breitenbrunn“ sagte Hermann, während der Sekretär sein nächstes Geschäft verrichtete, dann wisst Ihr jetzt, worum es im Krieg wirklich geht. Ums Geld nämlich. Mich ärgern die reichen Pfennigfuchser, die auf ihren Schätzen wie Drachen sitzen. Euer geliebter Starhemberg war so einer. Reich wie Krösus, aber für sein Liebkind, den Ausbau der Festungsanlagen, wollte er nichts herausrücken. Nicht einmal seine Leibeigenen hat er zum Arbeiten nach Wien geholt, mich aber ständig wegen des Geldes angegangen."

Breitenbrunn schmunzelte, denn Starhemberg war für seine Knausrigkeit bekannt gewesen. „Gebt mir zwei Regimenter Dragoner, ein paar dutzend fester Kisten und einen Taxateur mit einem Stoß vorgedruckter Schuldscheine, Durchlaucht, und Ihr habt das Etat bis zum Frühjahr beisammen.“

„Verstehe ich Euch recht, Ihr wolltet gewaltsam Kriegsgeld einheben?“

„Gegen die Ausstellung von Schuldscheinen versteht sich. Jede aufgebrachte Münze, jede Silberschüssel, jeder Goldring würde nach dem geschätzten Wert eingetragen. Zu dem Zweck wäre ein Taxateur dabei.“

„Was für ein Einfall! Ihr habt einen gefährlich räuberischen Zug an Euch, Breitenbrunn“ lachte Hermann. „Kein Wunder, dass Euch die Bauern gefolgt sind!“

Schwarze Wolken im Westen und böiger Wind bewogen Hermann an diesem Tag nicht über Passau hinauszufahren. In der Erzbischöflichen Residenz wurde in Windeseile ein standesgemäßes Diner für den kaiserlichen Minister auf die Beine gestellt. Man kannte einander bestens vom letzten Sommer, als der Kaiser mit seiner Entourage hier einige Woche in Wartestellung verbracht hatte. Dabei hatte Leopold aus seinen täglichen Gängen auf den Wallfahrtsberg Trost und Erbauung geschöpft. Und abends an der gleichen Tafel gesessen wie Breitenbrunn. Zur Ehre und Unterhaltung des Herrn Markgrafen hatte der Hofmeister des Prälaten schnell illustre Gäste einberufen. Das Licht hunderter Kerzen spiegelte sich auf dem dreiteiligen vergoldeten Tafelaufsatz und dem schweren silbernen Geschirr. Zusammengeschmolzen hätte es drei Regimenter Infanterie geworben und über ein Jahr verpflegt.

"Wisst Ihr, mein Sohn, was aus der schönen Kopie unserer Muttergottes in der Mariähimmelfahrtskapelle bei Wien geworden ist?" Die Frage stellte der Gastgeber, Fürstbischof Graf Pötting, Breitenbrunn. "Uns plagt die Sorge, die Türken könnten es geschändet oder ganz vernichtet haben.“ Breitenbrunn lag die sarkastische Gegenfrage auf der Zunge, ob der Herr Fürstbischof wüsste, was aus den geschändeten Wienerinnen geworden war. Stattdessen sagte er, dass er leider nichts über den Verbleib des wunderbaren Bildes berichten konnte. (Wahrscheinlich hatten die Türken der Maria die Augen ausgestochen und dem Jesukind einen Bart gemalt.) Der Abend erteilte ihm eine Lektion in unverfänglichen Tischmanieren. Geistliche bekreuzigten sich, bevor sie zum Weinglas griffen, alle tupften sich vor dem Trinken die Mundwinkel mit der Serviette ab, das Nachschenken besorgten die Lakaien. Wurde eine neue Flasche geöffnet, nahm stets ein anderer Gast den ersten Schluck und gab eine Expertise ab. Gegessen wurde herzhaft, getrunken auch, anders als in einer Offiziersrunde aber nicht laut gelacht oder geschrien, und keiner hieb die Fäuste auf den Tisch und prahlte mit seinen Taten. Und statt der Finger wurden ausschließlich Gabeln benutzt! Aber die Jagdhunde strichen um den Tisch und schnappten nach dem Fleisch, das ihnen der Bischof zuwarf.

Das Gespräche drehte sich um die angespannte Situation in Bayern und das fatale Wirken des Kölner Kurfürsten Maximilien Heinrich von Bayern, der nach der französischen Pfeife tanzte. Er machte dem Kaiser auf Betreiben Ludwig XIV. die Vormundschaft über Joseph Clemens, dem minderjährigen Bruder von Herzog Max Emanuel, der vor Wien gefallen war, streitig. Der zwölfjährige Knabe war ein Faustpfand, sein Vormund würde in Bayern die Politik machen.

"Egal wie das Reichsgericht urteilt" sagte ein bayrischer Diplomat, "Ludwig wird ohnehin über kurz oder lang in Bayern einmarschieren unter dem Vorwand, das Land vor den Türken schützen zu müssen. In Wahrheit steckt er mit dem osmanischen Sultan unter einer Decke."

Der Mann hegte die Überzeugung, dass Franzosen und Türken einen Pakt mit dem Ziel geschlossen hatten, sich die Habsburgischen Erblande, Salzburg, Bayern und Baden zu teilen. Ein englischer Lord, der bisher nichts gesagt hatte, wollte nun wissen, ob es für diesen Pakt schlüssige Beweise gab. Die gäbe es, antwortete Hermann, beispielsweise in Form eines Briefes, den der Sultan an seinen ´verehrten französischen Bruder Ludwig` gesandt hatte. Oder die erpresserische Politik des Franzosen gegen Spanier, Portugiesen, Genuesen, Malteser, Venezianer, die einer heiligen päpstlichen Liga gegen die Türken beitreten wollten.

Das wären bloße Indizien, antwortete der Engländer, aber keine handfesten Beweise für einen geltenden Vertrag. Man durfte die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass das französisch-osmanische Bündnis weniger eng war, als angenommen. Falls sich nun alle christlichen Staaten gegen Frankreich wendeten, bliebe Ludwig XIV. in der Isolation nur die Flucht nach vorne und er würde das Bündnis mit dem Sultan eingehen, das es bislang noch nicht gab. Deshalb durfte man Ludwig die Tür nicht vor der Nase zuschlagen.

Dieser scharfsinnige Einwand des Lords wurde in der Runde mit Kopfschütteln quittiert. „Wer nicht mit Frankreich verhandelt hat, weiß nicht, was wahre Niedertracht ist, mein Herr“ polterte Markgraf Hermann. „Unter diesem Bourbonen ist Frankreich zum Schurkenstaat geworden. Seine Minister sind Kretins, allen voran Louvois, der für seinen König noch keinen ehrlichen Krieg gewonnen hat. Aber Charles II. Stuart ficht das nicht an. Er hält weiter Ludwig die Stange und man fragt sich weshalb. ´Pecunia non olet` sagt man, aber ich behaupte, dass es im Londoner Tower gewaltig stinkt!“

Nach dieser schweren Beleidigung seines Königs blieb dem Engländer nach Dafürhalten der Zuhörer, die in der streitsüchtigen Kultur des Kontinents aufgewachsen waren, eigentlich keine andere Wahl, als den Minister mit Schwert oder Pistole zu fordern. Doch der Engländer nahm die Wort gelassen auf. "Ich bin kein Mann der Royals, Markgraf, sondern ein Mann der Wissenschaft. Politik kümmert mich nur am Rande."

"Gut gesprochen" lobte der Gastgeber erleichtert. Er hatte schon seinen kleinen Hof in den Schlagzeilen diverser Druckschriften gesehen: In Passau kam ein englischer Lord bei einem Duell mit dem kaiserlichen Kriegsminister zu Tode, (oder umgekehrt), nachdem der Markgraf zuvor.....

Pötting hob sein Glas. "Trinken wir auf die Gesundheit und das Glück beider Majestäten!" und der englische Gast fügte ein herzhaftes ´Confusion to the Turks` bei.

Als Nachspeise wurden gewürzte heiße Weine und aus Teig gebackene Tierfiguren und Wappenmotive serviert.

„Unser Mehlspeiskoch hat die Kuchen für die werten Gäste kreiert“ erklärte der Hofmeister. „Sie mögen sich darin wiederfinden!“ Des Markgrafen Kuchen hatte die Form eines Schildes mit rotem Schrägbalken auf gelbem Grund. Auf dem Teller des Lords lag ein Ritter zu Pferd, der den Drachen tötete und auf Breitenbrunns ein knuspriger Bär. Vielleicht eine Anspielung auf das dicke Bärenfell, das er bei der Ankunft getragen hatte.

"Schmeckt mir" sagte der Engländer. "Kennt Ihr zufällig die Rezeptur?" Breitenbrunn kannte sie genau, weil er Martha und Ursula im Fidelen Weinfass bei der Zubereitung des Rosinenteigls zugesehen hatte. "Milch und Mehl zäh vermischen, Schmalz vom gleichen Gewicht wie Zucker und Hageputteneinkoch, mit der Hefe nicht sparen, ein wenig Salz und die Rosinen müssen im Mehl gewälzt werden, damit sie nicht absinken. Soll die Oberfläche knusprig sein, streut man nach einer halben Stunde des Backens in Milch eingelegte geriebene Haferflocken darauf und gibt Obacht, dass sie im Rohr nicht zu dunkel werden."

"God bless you!" sagte der Engländer beschwingt, "das war eine genaue Angabe. Ihr hättet das Zeug zum praktischen Gelehrten."

"Ich ein Gelehrter?" staunte Breitenbrunn. "Ich versteh nichts anderes als den Krieg."

"Dann ist es Euch von der Natur in den Schoß gelegt!" Breitenbrunn fühlte sich geschmeichelt. "Und seid Ihr ein Gelehrter?"

"Ein natural philosopher. Das Wort gibt es im Deutschen nicht, ich muss es umschreiben. Ein natural philosopher studiert die Physik der Natur ohne methaphysisches Beiwerk. Dabei bedient er sich der Methode der Empirie, das heißt er beobachtet und experimentiert, bis er zu einem stichfesten Ergebnis kommt."

"Und was trieb Euch nach Passau?"

"Bin auf dem Heimweg nach England. Sollte für die Royal Society den östlichen Donauraum kartographieren. Als der Krieg ausbrach, verlegte ich meine Arbeit nach Westen. Jetzt habe ich genaue Karten und Zahlen von 200 Strommeilen."

"Ihr habt die Ufer vermessen und Karten angelegt?"

"Und die Wasser- und Lufttemperaturen dreimal täglich gemessen und aufgezeichnet. By the way. Ich wollte mich mit einem italienischen natural philosopher in Belgrad treffen, bevor der Krieg losging. Graf Luigi Marsigli aus Bologna. Sagte, er wollte in kaiserliche Dienste treten, wenn die Türken loslegen.. Habt Ihr zufällig von ihm gehört?"

"Wenn es der Marsigli ist, den die Tataren bei Raab geschnappt haben, dann steht er jetzt in osmanischen Diensten als Kaffeekoch oder Galeerenruderer."

Der Lord nahm es gefasst auf. "Der Marsigli ist ein geschickter Mensch und wird sicherlich freikommen."

"Ihr habt Euch gestern lange mit dem Engländer unterhalten" stellte Hermann in vorwurfsvollen Ton fest. Sie saßen bereits um fünf am Morgen wieder in der Kutsche, weil der Markgraf die lange Strecke bis Regensburg an einem Tag zurücklegen wollte. "Der Mann könnte ein Spion sein!"

Breitenbrunn lachte. "Ein Spion, der die Natur bespitzelt? Er nennt sich Natural Philosopher oder Praktischer Gelehrter. Er sagt, dass es in der Natur wie in einer Küche zugeht. Hitze, Wasser, Luft und Dampf wirken auf die Substanzen ein, geben ihnen Form und Geschmack. So wie der Koch muss sich auch der praktische Gelehrte an Vorgaben halten, dass seine Arbeit gelingt. Was dem Koch das Rezept ist, ist dem Gelehrten die Methode. Verwendet er dieselben Methoden und Stoffe, erhält er stets dieselben Ergebnisse. Diese Vorgehensweise heißt Empirie. Entwickelt hat sie der englische Staatskanzler Francis Bacon, ein englischer natural philosopher.“

"Potztausend! Ich weiß zwar was Küchenlatein bedeutet, von einer Küchenphilosophie habe ich noch nie gehört. Wollt Ihr jetzt statt des Schwertes den Kochlöffel schwingen?“

"Wenn es Durchlaucht beliebt, würde ich jetzt gerne das Diarium lesen."

"Nehmt es" sagte Hermann gönnerhaft "und findet heraus, wer es geschrieben hat!"

Im Diarium stand nichts von den langwierigen Vorbereitungen der Verteidiger, der Verfasser begann mit der Beschreibung der Gefechte in den brennenden Wiener Vorstädten am 13. Juli, woraus Breitenbrunn schloss, dass er zu einem Regiment gehört hatte, das sich unmittelbar vor der Einkesselung in die Stadt geflüchtet hatte. Das schloss einmal die Männer der Stadtwachen und des Kaisersteinschen Regiments aus. Und dann fiel ihm auf, dass die übliche Auflistung der Regimenter und ihrer Offiziere fehlte. Das sprach dafür, dass der Verfasser keinen Überblick über den Truppenstand gehabt hatte, also ein Außenseiter, oder ein Mann von niedrigem Rang gewesen war. Über den Stadtbrand und die Pulverexplosion am vierzehnten berichtete der Anonymus, dass das von zwei Ungarn gelegte Feuer den zehnten Teil der Häuser verzehrt und den größeren Teil des Schwarzpulvers vernichtet hatte. Am 15. Juli wurde er erstmals namentlich genannt:

In der Nacht ist Obristwachtmeister Breitenbrunn mit achtzig Freiwilligen gegen die türkischen Gräben im Südwestabschnitt ausgefallen. Es gab einen erbitterten Kampf, in dessen Verlauf die Angreifer die Oberhand behielten und die vordersten türkischen Gräben zuschütteten, so dass die türkischen Mineure am Morgen mit ihrer Arbeit im Abschnitt neu beginnen mussten. Stadtkommandant Starhemberg ließ jedem Freiwilligen einen Gulden auszahlen und dankte den beteiligten Offizieren. Eingebrachte türkische Gefangene behaupteten, dass das Heer des Großwesirs hundertzwanzigtausend Mann stark wäre, einhundertzwanzig Geschütze und Verpflegung und Tierfutter für drei Monate mitführte.

An solche Angaben konnte sich Breitenbrunn nicht erinnern, sie konnten aber der Wahrheit entsprechen. Die nächsten Tage wurden kurz abgehandelt. Zu der von Starhemberg am 19. Juli verordneten Kampfpause vermerkte er, dass sich wunderlicher Weise auch die Türken daran hielten.

Der Herr Stadtkommandant geruhte nicht seine Absichten mitzuteilen, so dass sich Garnison und Volk in fruchtlosen Vermutungen ergingen und die Hoffnung aufkeimte, dass Kaiser und Sultan sich auf einen späten Frieden geeinigt hätten. Diese Spekulationen fanden ein jähes Ende, als in der Nacht zum 23. Juli drei Regimenter gegen die Türken ausfielen. Es zeigte sich, dass der Angriff verraten und der Feind wohl vorbereitet war. Wegen der hohen Verluste traf Graf Starhemberg Anweisung, nur mehr bei der höchsten Dringlichkeit gegen den Feind auszufallen.

Dann kam der 24. Juli, der Tag, an dem die zwei ungarischen Brandstifter auf dem Hohen Markt unter begeisterter Anteilnahme des Volkes hingerichtet worden waren. Die stundenlange Quälerei war dem Verfasser eine ganze Seite wert.

Als nun die beiden Schurken von Pferden auf den Richtplatz geschliffen, drückten ihnen die Henkersknechte in herzlicher Begrüßung die glühenden Eisen ins Fleisch. Der Anonymus hatte die Hinrichtung zunächst mit Befriedigung verfolgt, dann waren ihm Bedenken gekommen. "Als die Brandstifter nun mit gebrochenen Gliedern auf dem Rad lagen, schien manchen der Zuseher die Strafe genug. Sie verließen die Richtstätte, bevor sie dem Feuer übergeben wurden.

Der Schreiber hatte den letzten Akt der Hinrichtung nicht mitansehen wollen. Was sagte das aus? Gar nichts. Viele waren nicht bis zum Ende geblieben.

25. Juli. Vormittags ließen die Türken im südwestlichen Verteidigungsabschnitt drei Minen springen, die unterschiedlich große Schäden an den Palisaden anrichteten. Am Nachmittag wurde Obrist Wachtmeister Breitenbrunn noch zur rechten Zeit aus einem eingestürzten Stollen gezogen. Kommandant Starhemberg mahnte den verantwortlichen Oberingenieur Rimpler, beim Pölzen der Stollen nicht Holz zu sparen. Doch woran es in Wahrheit mangelte, waren im Stollengraben und Zimmern erfahrene Bergleute.

Das klang so, als ob der Autor sich in unmittelbarer Nähe aufgehalten hatte.

Vor Tagesanbruch zündeten die türkischen Maulwürfe am Schottenglacis eine gewaltige Mine, die viel Erdreich in den Graben warf und an den Mauern Schaden anrichtete. Bevor noch der Schlag der Detonation verhallt war, rutschten hunderte Janitscharen, die auf Lauer gelegen waren,

über die entstandene Rampe in den Graben, aus dem sie nach dreistündigem Kampf unter Zurücklassung vieler Toter und Verletzten wieder vertrieben wurden. In diesem blutigen Gefecht zeichneten sich die Obristen Mannsdorf, Beck und Kuttulinsky aus. Der Leutnant der Nachtwache sollte nun vor ein Kriegsgericht gestellt werden, doch gewährte der Stadtkommandant ihm die Gnade, seine Ehre mit einem Ausfall retten zu dürfen. Um den Leutnant sammelten sich dreißig Freiwillige, die ihm sogleich in das Labyrinth der türkischen Gräben folgten.

Bei der Kommandeursbesprechung wurde eine neue Einteilung der Infanterie in sechzehn Bataillone bekanntgeben, die sich in Gefechtsdienst, Bereitschaft und Freiwache alle zwölf Stunden ablösen sollen. Der Mannschaftsstand betrug an diesem Tag 7200 Soldaten zu Fuß und 560 zu Pferd.

Breitenbrunn war bei dieser Kommandeursbesprechung gewesen. Die Angaben stimmten. Der Schreiberling berichtete nun ausführlicher und facettenreicher als zu Beginn. Zum achtundzwanzigsten Juli schrieb er:

Wie an den vorangegangenen Tagen schossen die Jäger des Grafen Kielmannsegg gar treffsicher mit ihren langen Flinten aus den Fenstern der kaiserlichen Burg. Für die Türken, die keine Gewehre mit gedrehten Läufen kennen, war es ein Rätsel, dass die Kugeln bevorzugt ihre Paschas und Offiziere aus dem Wege räumten. Da Graf Kielmannsegg ein Wettschießen verordnet hatte, gab es Preise für die besten Schützen.

Die Kutsche hielt, weil es dem Sekretär im Bauch krampfte. Breitenbrunn stieg ebenfalls aus, um sich an der frischen Luft die Beine zu vertreten. Im Geröll des Donauufers sah er Steine, die sich zum Blatteln eigneten. Sorgfältig suchte er drei aus. Der erste Wurf geriet zu steil, der zweite zu flach, beim dritten hüpfte der Stein lustig übers gewellte Wasser. Der Leutnant der Leibwache gesellte sich zu ihm und glückliche fünf Minuten lang lief ein Wettbewerb, wessen Steine öfters abprallten, bevor sie im Wasser versanken. Breitenbrunn hatte eben mit dem Leutnant gleichzogen, als Markgraf Hermann mit voller Stimme "Ausgespielt, die Herren!" und "Allez, allez, allez, vous bonhommes joyeux!" rief. Breitenbrunn kam grinsend zum Wagen und Hermann wunderte sich nicht zum ersten Mal, welcher Kinderstube dieser ungehobelte Baron entwachsen war. Eine dementsprechend giftige Frage lag ihm bereits auf den Lippen, als ihn ein schwermütiger Gedanke durchfuhr. Sein Louis war auch von ungestümem, bisweilen taktlosem Benehmen gewesen, das durch Anfälle knabenhaften Charmes erträglich gemacht wurde. Nein, nicht bloß erträglich! Veredelt! Louis war bei aller Raubeinigkeit auch vornehm gewesen. Er hatte sich fein auszudrücken gewusst und den Damen Gedichte vorgetragen. Das tat Breitenbrunn sicher nicht und trotzdem spürte er eine Art geistiger Verwandtschaft zu seinem Neffen. Er würde ihn beim Kaiser protegieren so gut er konnte. "Nun, Breitenbrunn, ist Euch die Erleuchtung gekommen, wer das Diarium verfasst haben könnte?"

"Nein, Durchlaucht."

Er kam zum 13. August, dem Tag vor der Entsatzschlacht:

Um Mitternacht stiegen vom Kahlenberg weiße Raketen hoch, wie es vereinbart worden war, so dass wir einander in die Arme fielen und uns erstmals zu unserem Glück gratulierten durften. Kommandant Starhemberg ließ sogleich mit zwei weißen und drei roten Raketen als Zeichen höchster Not Antwort schießen. Eine Stunde vor der Dämmerung ist dann der Herr Breitenbrunn mit achthundert Musquetieren zu einem Ausfall über den Kanal in die Leopoldstadt gerudert. Weil es dunkel war und die Mission alle gebührliche Heimlichkeit verlangte, beobachtete nur die Defension auf den Wällen ihr Ablegen. Eine halbe Stunde später war vom Lager der Ägypter Schießen und Schreien zu hören, die auf die Biberbastei stiegen, sahen das ägyptische Lager in Flammen und die Janitscharen, die noch nicht erschlagen worden, in wilder Flucht davon stürzen. General Starhemberg gab nun Befehl, gegen die äußeren Donauinseln vorzurücken, wo sich das Heer Tökölys zur Überquerung des Flusses anschickte. Mit Trommeln und Gesang, beklatscht und bejubelt von den Zusehern, zogen die siegreichen Soldaten auf der Nordseite des Kanals zum Tabor. An diesem Morgen beglückwünschten sich viele Wiener zu ihrer baldigen Befreiung und die konsternierten Türken gaben zwei Stunden lang keinen einzigen Schuss ab. Trotz dieses schönen Erfolges kam es Mittags zum Streit zwischen dem Obristen Breitenbrunn und dem Kommandanten, der die Retirierung in die Stadt befohlen hatte, ein Befehl der sich im Nachhinein als unglücklich herausstellte, insofern die Ungarn ungestört übers Ufer setzten und den unglücklichen Ausgang der Schlacht entscheidend mitbestimmten.

Gottverflucht, sagte sich Breitenbrunn, der Mann hat mich gemocht und dann war ihm mit einem Mal klar, wer das Diarium geschrieben, oder besser gesagt, initiiert hatte, weil so gut Deutsch konnte Jovan Dimitrovic, der serbische Gaukler, der ihm aus dem eingestürzten Minenstollen gezogen und unter Kielmannsegg als Scharfschütze gedient hatte, nicht. Tränen der Rührung schossen ihm in die Augen. Der Jovan lebte!

Hermann, der seinem Sekretär diktierte, hatte den Gefühlssturm nicht bemerkt. Breitenbrunn las weiter und kam nach einer halben Stunde zum letzten Kapitel:

Am 24. August machte ein gefangener Janitschar auf der Folter die Aussage, dass der Großwesir den Generalsturm für den nächsten Morgen befohlen hatte. Und tatsächlich sahen wir die Türken den ganzen Tag mit Vorbereitungen beschäftigt. Der Herr Stadtkommandant hielt in herzlichen Worte eine Rede an die Verteidiger, in denen er ihnen für die gezeigte Tapferkeit dankte. Der Franziskaner, der täglich vor Tausenden am Platz bei den Michaelern die Apokalypse gepredigt hatte, sparte sich die düsteren Worte und versprach allen guten Christen der Stadt das Paradies. Auf Befehl des Herrn Grafen Starhemberg buken die Bäcker frisches Brot und die Wirte hielten ihre Gäste frei. Angeregt durch Suff und Völlerei gaben sich viele in Angesicht des nahen Untergangs den tollsten Ausschweifungen hin. Stündlich schwollen Lachen und Geschrei an, worüber sich die Türken in den Gräben wohl sehr gewundert. Nun soll der werte Leser nicht glauben, dass sich die Verteidiger willenlos ihrem Schicksal ergaben. Auf den Mauern zunächst und dann in den Gassen wurde verbissen bis in den Nachmittag gerungen und die meisten unserer Tapferen starben mit dem Schwert in der Hand, wohl wissend, dass kein Pardon gegeben würde. Eine kleine Gruppe Schützen schaffte es auf die Turmstube von St. Stefan. Sie verbarrikadierten den Aufgang und schossen durch die Fenster. Alle Versuche, sie aus ihrem Adlerhorst zu holen, scheiterten, bis am vierten oder fünften Tag das Schießen von selbst aufhörte. Als nun die Türken zur Wahrschau hinaufstiegen, fanden sie das Nest zu ihrem Ärger leer. Sie suchten in den Gassen und Häusern und ihre Gesichter wurden immer länger, bis sie schließlich aufgaben und behaupteten, dass der Zorn Allahs die Ungläubigen getroffen hatte. Unbeschreiblicher Zorn und Gram erfasste die Wiener, als an einem Freitagnachmittag ein muselmanischer Gebetsrufer von den Mauern der Kathedrale plärrte. Von diesem Tag an betrat der Sultan täglich das entweihte Gotteshaus, um dort zwei oder drei Stunden zu verweilen. Diese Gewohnheit geriet ihn zum Verhängnis. Eine Flintenkugel, abgefeuert aus einem zerstörten Haus an der Ecke zum ´Graben`, warf den heidnischen Tyrannen nieder, als er aus der Kathedrale kommend sein Pferd bestieg. Nun war der Jammer unter den Türken groß und die Schützen nutzten die entstandene Verwirrung, um den Häschern ein zweites Mal zu entkommen.

"Gott verdamm mich, Durchlaucht! Der Sultan hat vom Jovan Dimitrovic eins auf den Pelz gebrannt bekommen!"

"Dimitrovic? Ist das der Mann, der´s geschrieben hat?"

"Kein Zweifel, dass er das ist. Korporal Dimitrovic von den Scharfschützen."

"Gut. Dann können wir nach ihm suchen lassen. Schreibt den Namen auf, Wilmersdorf! Bin sehr zufrieden mit Euch, Breitenbrunn. Ich will Euch bei Hofe einführen, allerdings" - Hermann setzte eine strenge Miene auf - "mit der Bedingung, dass Ihr das Fluchen einstellt und Euch überhaupt einer gefälligeren Ausdrucksweise bedient. Das kaiserliche Audienzzimmer ist kein Feldlager! In Regensburg bekommt Ihr von mir ein Buch zum Lesen. Ist von einem Franzosen geschrieben, ja von einem Franzosen. Dem Chevalier de Méré. Legt gefälligst Eure frankophobe Haltung ab, wenn es um Fragen des Geschmacks geht! Das Buch für Kavaliere ist in Dialogform geschrieben, also kurzweilig. Ich möchte, dass Ihr es studiert, als ob es die Bibel wäre."

"Und wenn ich mich wie ein spanischer Offizier benehme?" schlug Breitenbrunn vor. „Bei den Spaniern war ich Fähnrich.“

"Dann benehmt Euch meinetwegen wie ein Spanier, alles ist besser als Eure Bärbeißigkeit!“

Der Markgraf tätschelte kurz Breitenbrunns Knie, um seinen Worten die Schärfe zu nehmen. „Will nicht, dass Eure Ambitionen an Fragen der Etikette zerbrechen! Und jetzt erzählt mir von Eurer Dienstzeit bei den Spaniern. Stimmt es, dass sich die wegen jeder Bagatelle duellieren? Habt Ihr Euch duelliert?“

Breitenbrunn erzählte vom ersten Duell mit einem Leutnant, kaum älter als er, der sich in die selbe Dame verschossen hatte, pikanter Weise die Geliebte ihres Oberst, der in Unkenntnis ihrer Gründe den Schiedsrichter beim Zweikampf abgegeben und nach dem ersten Blut – Breitenbrunns Blut, mit dem Degen war er nie gut gewesen – abgebrochen hatte, weil ihn die beiden jungen Männer dauerten. Danach waren sie Freunde und Bauchschwäger geworden.

„Was sind Bauchschwäger?“ wollte der Sekretär wissen.

„Bauchschwager wird man zu einem Mann, der kurz zuvor oder danach auf der selben gelegen hat“ erklärte Breitenbrunn und der Markgraf schlug die Hände zusammen. „Um der Liebe Christi willen, solche Geschichten dürft Ihr nicht erzählen, Breitenbrunn! Ihr werdet diesen Franzosen lesen!“

„Werde ich“ versprach Breitenbrunn. „Wollt Ihr mehr von meiner Zeit bei den Spaniern hören, Durchlaucht?“

„Erzählt mir von der Ausbildung im Spanischen Heer! In welcher Einheit habt Ihr gedient?“

„In einem Infanterieregiment mit halbem Mannschaftsstand, das als volles Regiment geführt wurde. Den nicht ausbezahlten Sold strichen die Kommandeure ein. Da fehlte so einer wie der Starhemberg, der über sie drüber gefahren wäre.“

„Dem Starhemberg habt Ihr Euch sehr verbunden gefühlt“ stellte der Markgraf fest. „Jetzt berichtet mir kurz, was Ihr im Spanischen Heer als Fähnrich gelernt habt und danach gebe ich Euch eine Einführung, was Euch in Regensburg erwartet! Quartier kann ich Euch keines geben. Ich wohne im ersten Stock eines Bürgerhauses auf Miete.“

Etwas verwundert begann Breitenbrunn seinen Bericht, der wegen der vielen Fragen, die Hermann zur Organisation und Reglementierung stellte, noch nicht abgeschlossen war, als sie Regensburg erreichten. Von einem Platz behauptete der Markgraf, dass hier mit Quartieren gehandelt wurde und hieß ihn aussteigen. „Meldet Euch morgen um neun bei Obersthofmeister Graf Lamberg im Gasthof ´Zum Goldenen Kreuz`! Ich lasse Euch auf die Audienzliste schreiben! Morgen steht Ihr dem Kaiser gegenüber!“

Die Stadt des Kaisers

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