Читать книгу Mühlenbrock Mörderische Nachbarschaft - Alice Wakenfield - Страница 4

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UNKRAUT

Sie öffnet das Fenster und atmet tief durch. Der Frühling ist einem heißen Sommer gewichen. In spätestens einer Stunde wird sie das Haus verrammeln müssen, die Rollläden herunterlassen und versuchen, das Hausinnere einigermaßen kühl zu halten. Sie schlüpft in ihre Flip-Flops und nimmt die Hunde mit in den Garten. Bevor es zu heiß ist, muss sie noch die Gemüsepflanzen gießen. In den letzten Jahren war Regen ihr größtes Problem gewesen. Die Tomaten waren am Strauch verfault und die Kürbisse blieben klein und reiften nicht richtig aus. Auch dieses Jahr ist Regen ihr Problem. Es gibt keinen. Der Brunnen auf ihrem Grundstück ist fast versiegt, die Erde im Garten so staubtrocken, dass sie eine sandige Spur hinter sich herzieht, als sie den Gartenschlauch packt, das Wasser aufdreht und die widerspenstige Gummischlange hinter sich her schleift.

Noch sehen die Pflanzen gut aus. Sie gießt morgens und abends, einmal die Woche düngt sie mit Brennesseljauche, das Unkraut wird ausgerupft und als Mulchschicht zwischen die Reihen des Hochbeets gelegt.

Am Zaun ranken ihre Gurken. Sie hat es riskiert, Schlangengurken anzubauen. Als besonders kälteempfindliches Gemüse hatte sie sich in einem deutschen Sommer nicht viel davon versprochen. Aber sie gedeihen prächtig. Um sie kümmert sie sich beim Gießen zuletzt, dann kann sie direkt ein paar kleine ernten und sich mittags einen leichten Snack daraus zubereiten. Summend zieht sie den Gartenschlauch um die letzte Ecke und stockt.

Da, wo gestern noch grüne Ranken den Zaun fast unsichtbar machten, wo Blüte sich an Blüte reihte, sieht sie nur braunes Gestrüpp. Alle Pflanzen sind tot, die jungen Gurken hängen braun und schrumpelig zwischen den dürren Blättern. Sie kann es nicht fassen. Am Wasser kann es nicht liegen. Sie nimmt sich für diesen Bereich des Gartens immer besonders viel Zeit. Doch als sie durch den Zaun blickt, wird ihr einiges klar. Das Unkraut auf der anderen Seite, das ihr lieber Nachbar dort seit Jahren sprießen lässt, sieht genauso aus, wie ihre Gurken. Alles ist vertrocknet und es hängt ein eigentümlicher chemischer Geruch in der Luft.

„Todeszeitpunkt?“ Kommissar Mühlenbrock zückt sein Notizbuch und blickt erwartungsvoll in Richtung Pathologe, der nachdenklich ein Thermometer betrachtet.

„Schwer zu sagen, die Außentemperatur entspricht fast Körpertemperatur. Aber wenn ich mir die Fliegen anschaue…“

„Hör mir mit der amerikanischen Scheiße auf, Karl“, wettert Mühlenbrock. „Heute? Gestern? Letzte Woche?“

„Gestern würde ich sagen, wenn ich mir die Fl…“ Er stockt. „Mehr, wenn ich ihn auf dem Tisch hatte.“ Er nickt seinen Mitarbeitern zu, die sich mit einem schwarzen Plastiksack nähern, steht auf und klopft sich den Staub von seinem weißen Overall.

„Todesursache?“, wettert der Kommissar weiter.

„Wenn ich ihn…“, setzt Karl an, besinnt sich dann aber unter dem strengen Blick eines Besseren. „Wahrscheinlich ist er ohnmächtig geworden und hat sich den Kopf an seinem gemauerten Grill angeschlagen. Der Schädel besteht nur noch aus Brei, da wo einst Atmung und Herzschlag gesteuert wurden. Warum er umgefallen ist, keine Ahnung.“

„Fremdverschulden?“

Es ist heiß, sehr heiß. Alle wollen schnell wieder in ihr klimatisiertes Büro. In der Hitze scheuert die Dienstmütze am Kopf. Alles fühlt sich aufgequollen an. Mühlenbrock ist gereizt.

„Kann ich nicht ausschließen, sieht aber erstmal nach einem Unfall aus.“ Karl schält sich aus seinem Overall, der an seiner feuchten Haut klebt. „Gib mir etwas Zeit für die toxikologische Untersuchung. Ich tippe eher auf Kreislaufversagen. Er war nicht mehr der Jüngste, auch wenn er es so scheinen lassen wollte. Man sagt, er hätte zwei Freundinnen. Vielleicht hat er auch einen Verstärker eingeschmissen, wer weiß?“

Mühlenbrock guckt verdutzt. „Verstärker?“

Karl dreht die Augen zur imaginären Decke und macht eine eindeutige Bewegung mit dem Becken.

Der Kommissar wird noch roter, guckt verschämt zur Seite und brummt: „Sachen gibt’s.“

Er gibt seinem Team ein Handzeichen, alles zusammen zu räumen. Er will nur noch raus aus der Hitze. Ein Beamter der Spurensicherung macht noch ein paar Fotos, dann sammeln sie die gelben Schilder ein und flüchten in ihre klimatisierten Kleinbusse.

Sie steht hinter den fast geschlossenen Rollläden und schaut sich das Schauspiel an. Ihre rechte Hand ist tief im Fell ihres Schäferhundes vergraben. Sie empfindet keine Trauer. Sie ist froh, dass er endlich weg ist, der Gurkenmörder. Sie hockt sich auf den Boden und lässt zu, dass der Welpe auf ihren Schoß krabbelt. Gedankenverloren zündet sie sich eine Zigarette an und schließt ihre Augen.

Im Revier stellt Mühlenbrock sich vor die Klimaanlage. Er schließt die Tür hinter sich und zieht alles aus, was noch einigermaßen moralisch vertretbar ist. Die Akte Depenbrock liegt hinter seinem Rücken auf dem Schreibtisch. Er positioniert den Ventilator, den er selbst gekauft hat, strategisch günstig auf seinem Schreibtisch und setzt sich an seinen vorläufigen Bericht. Sein Hirn arbeitet in der Hitze langsamer als sonst. Er liest die Aufstellung der Spurensicherung, betrachtet gelangweilt die Fotografien und tippt die ersten Zeilen in das Formular ein.

Sein Telefon klingelt.

„Mühlenbrock? Ach du bist es, Karl. Und? Was gefunden? Ach? Soso. Den Verstärker also? Haha. Ein Unfall? Sicher? Okay, dann wäre das erledigt.“

Er schiebt die Fotos zusammen, irgendein Bild irritiert ihn, aber er verdrängt die Gedanken. Es ist viel zu heiß zum Denken.

„Fall abgeschlossen“, denkt er und freut sich auf den Freibadbesuch mit seinen Enkeln.

Der Pathologe näht Depenbrock nachlässig zu. „So ein Chauvi“, denkt er, „das hat er jetzt davon. Zwei Freundinnen in seinem Alter. Das konnte nicht gut gehen.“ Fast tut ihm der schlaffe Körper auf seinem Tisch leid, aber es ist viel zu heiß für Gefühle. Er wird gleich nach Hause in sein ruhiges Appartement gehen.

Sie öffnet Gerd die Tür. „Alles gut?“, fragt sie nach einem aufmerksamen Blick in sein Gesicht.

Gerd grinst. „Erwartest du jetzt Mitgefühl? Erst meine Katze, dann deine Gurken. Der Unkrautvernichter war noch fast zu gut für ihn.“

Mühlenbrock Mörderische Nachbarschaft

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