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Eine Wanderung mit Folgen
ОглавлениеDa ich wusste, dass Günther die Abende meist allein zu Hause verbrachte, was seine Stimmung bestimmt nicht besserte, und ich jeden Abend nach der Arbeit, um frische Luft zu schnappen, für zwei bis drei Stunden durch ein nahe gelegenes Waldstück wanderte, dachte ich mir, dass es für Günther doch abwechslungsreicher wäre, wenn ich ihn abholen würde, und er mitwandern könnte.
Wie gedacht, so getan, nur dass ich mir nicht hätte träumen lassen, dass ich dadurch den Müller’schen Haussegen auf Tage hinaus schief stellen würde.
Ja, jetzt fragen Sie sich als Leser sicher, „wie denn das?“.
Als ich an einem besonders schönen sonnigen Abend gegen 18.00 Uhr nach Hause kam, rief ich Günther an und sagte, dass ich ihn in fünf Minuten zu einem Spaziergang abholen würde.
Als ich eben diese fünf Minuten später bei ihm vor der Haustür erschien, teilte er mir mit, dass er noch seine Mutter zum Hallenbad fahren müsste, und ob ich nicht in einer halben Stunde nochmal vorbeikommen könnte.
Da es Herbst war, und die Sonne schon bald am wolkenlosen Himmel als orangeroter Feuerball hinter dem Horizont versinken würde, wonach es innerhalb Minutenschnelle empfindlich kühl würde, wenn nicht gar richtig kalt, und eine zwanzig minütige Autofahrt vor uns lag, hätte ein halbstündiges Warten gleichzeitig das Aus für die Wanderung bedeutet.
Genau dieses versuchte ich auch Günther klarzumachen, mit dem Vorschlag, dass ich ihn doch am folgenden Tag mitnehmen könnte. Er sollte seine Mutter heute ruhig zum Schwimmbad fahren, und da sie nach einer Stunde wieder abgeholt werden wollte, wäre dieses für unsere Wanderung auch nicht sehr zuträglich gewesen. Gerade am Ziel angekommen, hätten wir nämlich schon wieder kehrt machen müssen.
Doch Günther meinte, wenn er sage, dass er mitkomme, dann komme er auch mit. Er könne mich ja jetzt nicht alleine losgehen lassen, was im Wald am Abend viel zu gefährlich wäre. Obwohl ich ihm sagte, dass ich schon öfter (eben täglich bei gutem Wetter) abends alleine dort wanderte, ohne jemals überfallen oder niedergeknüppelt worden zu sein, bestand er darauf mitzukommen.
Davon abgesehen, welcher Räuber, Dieb oder sonstige Verbrecher stellt sich in einem großen Waldgebiet hinter einen Baum und wartet, ob in den nächsten zwei Wochen mal eine Menschenseele vorbeikommt?
An dieser Stelle kann ich alle beruhigen. Im Dunkeln dort zu wandern ist sicherer (es sei denn man erschreckt sich vor einem im Busch raschelnden Dachs, Fuchs oder Reh, oder man fürchtet den Ruf des Kauzes), als abends im Dunkeln vor seiner eigenen Haustür zum Ascheneimer zu gehen.
So kam es denn, dass Günther meinte, seine Mutter könne ihn nicht immer in Beschlag nehmen und ihr sagte, dass sie zu Fuß zum Hallenbad gehen solle, und er sie dann wieder abholen würde. Sagte es und stieg in meinen Wagen, während seine Mutter wutentbrannt noch etwas hinter ihm herrief, was ich nicht verstehen konnte, weil die Wagentür schon zuknallte.
Die Wanderung war wirklich interessant. Besonders der Teil, der querwaldein führte, direkt auf eine Lichtung, die man eigentlich nicht hätte betreten dürfen.
Als aufmerksamer Beobachter stellte ich ziemlich früh fest, dass auf dem vor uns liegenden Hochsitz ein Jäger mit Gewehr im Anschlag auf ein Reh zielte. Ich drehte sofort um und wollte wieder zurückgehen, bevor man uns versehentlich für erlegbares Wild hielt, was ich auch Günther mitteilte.
Doch der war so damit beschäftigt, mir von seinen Problemen zu erzählen, es waren derer so viele, dass ich nach zehn Minuten Wanderung schon nicht mehr hingehört hatte, sondern nur noch automatisch alle zwei Minuten nickte und alle vier Minuten „stimmt“ sagte.
Also, wie bereits gesagt, er war so damit beschäftigt Probleme zu wälzen, dass er weder die Rehe, noch den Hochsitz mit Jäger gesehen hatte. Er hörte auch nicht, was ich sagte, und ging immer schön weiter, allerdings jetzt eben ohne mich, da ich mich in genau entgegengesetzter Richtung entfernte.
Günther marschierte geradewegs auf die Schonung, was die Rehe, nachdem sie Witterung aufgenommen hatten, in die Flucht schlug, ohne dass er sie gesehen hatte, und den Jäger, der den schönen Braten nicht nur vor Augen sondern auch vor der Flinte hatte und in Vorfreude auf der Zunge schmecken konnte, so sehr aufregte, dass er zwar nicht gleich auf Günther schoss, sicherlich aber dieses am liebsten getan hätte. Wutentbrannt brüllte der Jäger dafür so laut los, dass nun auch die letzten noch in der Nähe befindlichen Tiere vor Schreck Reißaus nahmen und Günther wie angenagelt stehen blieb. Welche Worte da fielen, möchte ich nicht unbedingt schriftlich für die Nachwelt festhalten.
Pünktlich, um seine Mutter abzuholen, wieder bei Günthers Haus angekommen, wollte ich mich verabschieden, was jedoch absolut unmöglich war. Günther blieb einfach in meinem Wagen sitzen und erzählte mir wieder von seinen Problemen.
Auch ein mehrmaliges Erinnern daran, dass er seine Mutter abholen wollte, konnte ihn nicht zum Aussteigen bewegen.
Nachdem so 45 Minuten vergangen waren, sah ich einen Schatten hinter meinem Wagen auf das Haus zu huschen und darin verschwinden - Günthers Mutter. Sie war zu Fuß nach Hause gekommen und hatte sich dabei, wie ich anschließend erfuhr, in der Kühle mit nassen Haaren eine handfeste Erkältung zugezogen.
Seit diesem Abend hing natürlich der Haussegen schief. Die Mutter sprach nicht mehr mit Günther, und Günther nicht mehr mit ihr. Und auf mich war seine Mutter natürlich auch sauer.
Da wollte man Günther helfen, aus den Problemen herauszukommen, und war dann daran schuld, dass sich noch viel größere Probleme auftaten.
So hatte ich an diesem Abend, obwohl völlig unschuldig, einen riesigen Keil zwischen Günther und seine Mutter getrieben und dadurch den häuslichen Zoff und Ärger bei ihnen statt vermindert nur noch verstärkt.