Читать книгу Psychose Deutschland - Alois Zeindl - Страница 9
3. Arbeit macht frei
ОглавлениеHeute gehen wir ins Jobcenter. Da gibt es Jobs. So wie im Einkaufscenter. Jobs in allen Farben und Schattierungen. Rote, blaue, grüne, gelbe, schwarze, weiße, graue und sogar rosarote Jobs. Violette habe ich auch schon gesehen. Mir gefallen aber auch die bordeauxfarbenen recht gut.
Ja, im Jobcenter, da kann man sich einen Job aussuchen und mit nach- hause nehmen. Und es gibt sie in allen Preisklassen. Es gibt teure Jobs und ganz billige. Es gibt duftende und stinkende Jobs.
Es gibt Jobs mit und ohne Socken. Auch welche mit und welche ohne
Schuhe. Es gibt auch Jobs mit und welche ohne Noppen. Jobs mit und ohne Sex.
Es gibt saubere und schmutzige Jobs. Große und kleine Jobs. Je nach
Wunsch und Bedarf kann man sich den passenden Job aussuchen. Es gibt dort süße Jobs, scharfe Jobs, saure Jobs und auch bittere. Da hat
man Jobs mit und ohne Schaum. Es gibt Jobs zum rein beißen und auch
welche zum lutschen. Es gibt Jobs mit und ohne Bakterien. Es gibt sonnige Jobs und auch neblige. Es gibt Jobs mit und ohne Schnee. Sogar
welche mit und ohne Eis. Ja, und es gibt richtig intelligente Jobs.
Und es gibt auch Depperl-Jobs. Es gibt Jobs mit und ohne Windeln. Auch Jobs mit und ohne Waffen. Und es gibt Jobs mit und ohne Lohn.
Doch die meisten sind ohne. Das braucht man heutzutage nicht mehr so.
Wer einen schweren Job will, kann sich einen schweren Job aussuchen. Und wer einen leichten Job will, der kann sich einen leichten Job aussu-
chen. Für jeden Geschmack gibt es den passenden Job. Ehrlich, die haben so ein super Jobangebot, da in diesem neuen Job-Center, in
diesem Jobbi-Jobbi-Jobbi-Center. Und wenn du ein richtiges Jobberl bist, dann gehst du gleich hin da in dieses Job-Center und holst dir einen
schönen geilen Job.
Im Jobcenter, da bekommt man immer gleich ein Glas Sekt in die Hand gedrückt, sobald man es betritt. Wer keinen Sekt mag, der kann auch ein
Pils haben, oder ein Cola, einen Saft oder ein Wasser. Ja, und eine richtig
knackige Bratwurst spendieren sie einem zur Begrüßung.
Und die Vegetarier bekommen einen Blumenkohl mit gerösteten Sem- melbröseln.
Überall stehen Berater und Jobfachleute, die einem die unterschiedlichs-
ten Jobs vorführen und einen auch zu den Tischen und Ständen mit den verschiedenen Jobs begleiten. Man kann die Jobs auch gleich anprobie-
ren. Wenn einer zu eng ist, nimmt man einfach einen größeren. Das ist wie bei den Kondomen. Die einen brauchen nur die ganz normalen und
die anderen brauchen eben XXL, aber das ist alles im Jobcenter nicht das geringste Problem.
Sogar 1-Euro-Jobs gibt es jetzt körbeweise im Jobcenter, denn die sind bei ihrer guten Qualität für diesen Preis natürlich sehr begehrt. Deshalb
sind sie auch immer gleich wieder weg. Man muss sehr früh aufstehen und bevor sie das Jobcenter öffnen schon draußen vor der Tür in einer
Schlange warten, wenn man noch so einen super-schönen 1-Euro-Job bekommen will. Obwohl die Jobanbieter diese 1-Euro-Jobs sogar mit
großen LKWs anliefern, auf Paletten aufgestapelt, sind sie immer gleich wieder weg, weil sich alle um so ein Schnäppchen reißen.
Da im Jobcenter, da gibt es aber auch Jobs mit viel Ansehen und Jobs mit wenig Ansehen. Und welche mit und welche ohne Anerkennung. Es gibt
bunte und es gibt auch einfarbige. Es gibt Jobs zum Stehen und es gibt
Jobs zum Sitzen. Neulich hatten sie auch welche zum Liegen da. Ja, sogar zum Fliegen habe ich auch schon welche gesehen.
Neuerdings haben sie dort einen Spiegel. Da braucht man nur rein-
schauen und schon wird einem automatisch der richtige Job ausgesucht. Ein Berater hilft einem dann noch bei der Job-Anprobe und erklärt
einem die Bedienungsanleitung für diesen Job, die man aber auch selbstverständlich noch schriftlich mit nachhause bekommt. Mit viel
Spaß und Lust und Freude kann man sich dann in diesen schönen, neuen Job einarbeiten.
Interessant sind vor allem die neuen Energiesparjobs, weil sie einem auch zusätzlich noch beim Energie-sparen helfen. Also ich informiere
mich da immer sehr gerne, in diesem schönen, neuen Jobcenter, wenn ich dort so angenehm durch die Jobläden schlendere. Die Job-Berater in
diesen Jobcenter sind wie die Einkaufberater in den Einkaufscenter bestens ausgebildet und können einem über alles eine deutliche Aus-
kunft geben.
Also zum Beispiel gibt es dort Jobs, wo man für 5 Euro in der Stunde die
Straße pflastern kann. Dann haben sie auch Jobs, wo man für 3 Euro in der Stunde Arsch auswischen im Altersheim kann. Diese Jobs habe ich
aber an manchen Tagen auch schon für 2 Euro die Stunde gesehen. Die waren dann immer gleich weg. Die Polen und die Rumänen hätten
beinahe zum Raufen angefangen, wenn sie so einen Job haben wollten.
Na ja, und wie gesagt, am begehrtesten sind natürlich die 1-Euro-Jobs, denn die bereiten so viel Freude. Die Arbeitgeber freuen sich da immer
so, wenn man so billig für sie arbeitet. Dann wird man während der
Arbeit gelobt und gelobt. Also, wenn man ein richtiger Lakai ist, da freut man sich dann doch. Da will doch keiner mehr noch mehr. Da kann
man doch nur noch zufrieden sein.
Da weiß man wenigstens noch, für was man arbeitet. Arbeiten tut man doch immer für die anderen und nicht für sich selber. Das ist doch auch wohl der Sinn der Arbeit. Da freut man sich doch, wenn man seinem Arbeitgeber, der einem einen Job so billig zur Verfügung stellt, eine so große Freude machen kann. Da freut man sich doch. Es gibt doch nichts Schöneres im Leben als so eine Freude. Das ist Liebe. Ja, das wollte ich dir sagen. Im neuen Jobcenter, da kannst du dir kostenlos Liebe holen. Die Berater informieren einen dann, welche Art der Liebe am besten zu einem passt. Wie bei einer Massage gibt es sie in den unterschiedlichsten Varianten, hart, schroff und weich, zart und einfühlsam, mit und ohne Duft, nass und trocken, mit und ohne Sex, je nach Bedarf. Wer gerne küsst, der kann selbstverständlich gerne küssen. Das mögen die Jobcen- ter-Angestellten auch so gerne, das Küssen und Schmusen. Die sind doch so glücklich und so frei mit ihrem Job. Und genau so wollen sie es auch für die Kunden, die sich im Jobcenter einen Job holen und sich von ihnen dafür gerne beraten lassen. Da setzt man sich gerne auch stunden- lang dafür zusammen auf ein Sofa, wenn die Beratung mal länger dauert. Das Jobcenter ist so wie ein Paradies. Man findet garantiert darin den richtigen Job und freut sich riesig, wenn man ihn mit nachhause neh- men kann und dann immer anderen damit eine Freude macht wie bei einem Liebesakt. Man fühlt sich dadurch so richtig frei. Deshalb steht auch am Eingang beim Jobcenter in ganz großen Buchstaben über der Türe geschrieben „ARBEIT MACHT FREI“ und high, ja high, ja so high high high. Man könnte bald statt Jobcenter schon Glückscenter sagen. Denn es macht einen so glücklich. Wenn man wieder rauskommt, fühlt man sich wie rund-erneuert und man könnte Luftsprünge machen vor Glück.
Ja, ´Glückscenter`, das wäre der richtige Name für das Jobcenter.
Denn das Jobcenter ist so wie das Einkaufscenter ein Center, ein moder- nes Paradies, wo man sich das Glück nur abholen muss.
Und ich warte gerade auf meinen jungen Verlobten, der gleich kommt und mich abholt, weil wir gehen jetzt dann miteinander ins Jobcenter
und suchen uns die passenden Jobs für uns.
Er wollte eigentlich schon hier sein, denn wir hatten es abgemacht, dass er um 8:00 Uhr hier ist.
Das Aufgebot haben wir beim Standesamt für die Eintragung und
Begründung unserer Lebenspartnerschaft schon gemacht. Wir haben also schon einen Termin an dem wir heiraten. Unser Altersunterschied
ist zwar sehr groß, denn ich bin schon 51 Jahre alt und er erst 21 Jahre jung. Es liegen also ganze 30 Jahre zwischen uns, doch wir lieben uns mit
Herz und Seele.
Wir ergänzen uns vollkommen. Er ist wirklich alles für mich und ich bin es für ihn. Noch wohnt er bei seiner Mutter. Unser aller Glück besteht in unserer Liebe.
Ach, da klingelt er ja schon an der Tür. Ich freue mich schon so auf ihn und auf das Jobcenter heute. Schnell öffne ich ihm die Türe.
„Hallo Liebster, Guten Morgen.“ „Mein Liebster, Hallo. Wie geht es dir?“
Wir küssen uns auf den Mund, während wir uns umarmen und einer den anderen in Liebe festhält. „Ach, ich bin so froh, dass du jetzt da bist.
Ich freue mich, dass wir heute zusammen ins Jobcenter gehen.“
„Ich freue mich auch. Bestimmt finden wir endlich die richtigen Jobs für uns.“
Also, wir fahren mit dem Bus und mit der U-Bahn zum Jobcenter. Dort
sehen wir, dass die Eingangstüre aus Glas in tausende von Splittern zerschlagen ist. Etwas befremdend erscheint es uns, dass hier bereits am
Eingang und überall drinnen auch uniformierte Wachtposten stehen. Dennoch freuen wir uns über den heutigen Begrüßungscocktail, der aber
leider nur eine braune Molke mit angeblichen Schokoladen-Aroma ist, die uns beiden so vorkommt als wäre es das Abspülwasser von gestern.
Und statt der Bratwürste gibt es heute braunen Haferbrei in Malz-Sirup mit oben drauf ein paar Holunderbeeren.
Wir schlendern herum. Vor manchen Jobläden haben wir uns sogar lange in die Warteschlangen gestellt bis wir endlich zu den begehrten
Jobs kamen, die dann aber immer schon vergeben waren. Die Jobverkäu- fer haben dann gesagt, dass wir als Trost eine Banane haben können,
wenn wir eine wollen. Wir wollten dann auch schon keine Banane mehr und haben dankend abgelehnt.
Das Jobcenter ist riesengroß und hat so viele Etagen, dass wir es gar nicht mehr überblicken. Wir suchen und suchen. Alle Jobs schauen wir uns an.
Auch die vielen 1-Euro-Jobs haben wir durchgewühlt. Wir haben aber leider noch immer keinen gefunden, der uns passen würde. Wir haben
schon so viele probiert. Langsam werden wir jetzt müde und wir können bald nicht mehr.
„Sag mal!“ sage ich zu meinem Verlobten. „Was ist denn da los? Letztens war es noch ganz anders. Ich kam mir vor wie im Jobparadies. Es gab so
viele Jobs. Und die haben mich fast alle so angesprochen. Ich hätte beinahe jeden gerne gemacht. Und heute spricht mich überhaupt keiner
mehr an. Wenn ich mal einen finde und ihn anprobiere, dann passt er mir doch wieder nicht.
Schön langsam gebe ich es auf. Was meinst du?“ „Die guten Jobs sind jetzt alle schon vergeben.“, sagt mein Verlobter. „Wir sind zu spät.“
Da kommt ein Jobcenter-Angestellter auf uns zu und sagt: „Haben die beiden jungen schwulen Herren keinen Job gefunden?“ „Nein.“ sagen wir beide gleichzeitig. „Es ist keiner mehr da für uns.“ Ich ergänze: „Wir haben es aufgegeben, dass wir noch den richtigen Job für uns finden werden.
Wir können nicht mehr. Wir sind furchtbar müde. Und wir sind mit den
Nerven fertig.“
„Dann müssen Sie den Lift da hinten nehmen. Sehen Sie ihn? Den Lift mit der schwarze Türe. Sie brauchen nur auf den Knopf drücken. Der
Lift kommt. Sie brauchen nur einsteigen. Die Türe geht dann von selber
zu und der Lift bringt Sie automatisch da hin wo sie hingehören. Den
Rest wird man Ihnen dort erklären. Alles Gute wünsche ich Ihnen.“
„Gut. Danke.“ sagen wir und gehen zu dem Lift mit der schwarzen Türe. Als wir vor dieser Türe stehen, sehen wir, dass ein Totenkopf auf sie
drauf gemalt ist.
Mein Verlobter sagt: „Was meinst du? Sollen wir da wirklich hineingehen in diesen Lift? Glaubst Du, dass das noch einen Sinn hat?“ „Doch ja.“
sage ich. „Schatz, wir versuchen alles. Den Versuch ist es immer wert. Ich
bin auch neugierig. Ich will wissen wo uns dieser Lift hinbringt und wie man uns dort weiterhilft.“ „Also gut.“ sagt er und fügt hinzu: „Aber
warum ist hier dieser Totenkopf?“
„Ach, Schatz, das ist doch nur ein Spaß von denen.“ sage ich. „Na ja. Mal schauen.“ sagt er.
Wir drücken auf den Knopf. Der Lift kommt. Die schwarze Tür geht auf.
Wir gehen hinein.
Die schwarze Tür geht wieder zu. Jetzt stellen wir fest, dass in diesem Lift innen überhaupt keine Knöpfe sind. Der Lift startet automatisch und wir
spüren dass er nach unten fährt. Er fährt sehr lange nach unten, so als
wolle er bis in das Erdinnere fahren. Er hört nicht mehr auf. Der Lift fährt und fährt nach unten. Wir fahren jetzt schon fünf Minuten lang
nach unten.
Wir beide bekommen schön langsam Panik und ich sage zu meinem
Liebsten neben mir: „Sag mal! Wo bringt uns dieser Lift hin? Warum hört er nicht mehr auf? Wie weit geht es denn da noch runter? Es kommt
mir ja schon beinahe so vor als ob er uns gleich in die Hölle runter fährt. Was hat uns denn dieser Mann erzählt?“
„Ehrlich, ich bekomme jetzt auch Angst.“ sagt mein Verlobter. Da bleibt der Lift plötzlich stehen und seine schwarze Tür geht wieder auf. Wir
kommen in einen überdimensional großen Saal mit weißem Mar- morboden und ohne Fenster, jedoch mit heller elektrischer Beleuchtung.
Dieser ungeheuer geräumige Saal ist ganz klar achtkantig, mit hohen
Betonwänden, die in einem gräulichen Ton gehalten sind. Und die Decke mit ihrer unbeschreiblich großen Fläche ist aus blitzendem Stahl. Die Beleuchtung kommt auch von da oben. Alles wirkt ganz modern und sauber.
Wenn man genau hinsieht, dann erkennt man, dass da sogar auch Duschköpfe befestigt sind, da oben an der Decke. Daher sage ich zu meinem Verlobten: „Siehst du die Duschköpfe da oben an der Decke? Für was haben sie denn Duschköpfe da oben in so einem Saal? Hast du so etwas schon mal gesehen?“ „Nein. Ich weiß es auch nicht.“ antwortet er mir. „Keine Ahnung.“
„Vielleicht kann man hier tanzen und dann kommt von da oben die
Musik?“ frage ich ihn.
„Keine Ahnung.“ sagt er nochmal.
Auf der rechten Seite steht am Ende dieses riesengroßen Saals ein kleiner
Mann in einem schwarzen, eleganten Anzug, mit weißem Hemd und mit schwarzer Krawatte und mit glänzenden schwarzen Lackschuhen. Seine
Haare sind mit Haarpomade ganz streng nach hinten frisiert.
Sein Gesicht ist aber so ein Allerwelts-Gesicht, das man kaum von einem runden Sitzkissen unterscheiden kann. Vor ihm steht eine ganz, ganz
lange Schlange Menschen die bis an das ganz linke Ende des Saals geht.
Diese Menschenschlange ist so kunterbunt wie beim Karneval. Und man muss sich fragen, was die hier in diesem schrecklich kalt wirkenden Saal
machen. „Warum sind wir jetzt hier? Und warum sind die hier alle da, diese unterschiedlichen Menschen?“ fragt mich mein Verlobter.
„Keine Ahnung.“ sage jetzt ich, „Komm! Wir müssen uns hinten anstel- len.“ „Und warten und warten und warten und warten und warten und
warten...“ sagt er. „Ja. Ein bisschen Geduld muss man schon haben.“ sage ich.
Wir schauen uns beide diese verschiedenartigsten Menschen an und bewundern sie. Da sehen wir die interessantesten Typen. Wir sehen
Punks. Wir sehen Hippies. Wir sehen Spießer. Wir sehen junge und alte. Wir sehen Frauen und Männer. Wir sehen welche mit langen Haaren
und welche mit kurzen. Wir sehen Blondinen und wir sehen Grauhaari- ge. Auch Menschen mit roten, grünen und blauen Haaren. Ach, wir
können heute so viele eigenartige Menschen sehen. Das gefällt uns. Wir mögen sie auch alle irgendwie.
Wir sehen große und kleine Menschen. Wir sehen Mütter mit Kindern. Wir sehen Menschen mit verschiedenen Hautfarben, auch blaue und
gelbe. Manche haben ein rosarotes Gesicht. Manche wirken grünlich. Und wir sehen Männer mit Bart und welche ohne Bart. Ach, alles mögli-
che, was es an Menschen gibt, sehen wir. Manche haben eine Tasche dabei und manche keine.
Und wir vertreiben uns damit die Zeit, diese Menschen anzuschauen, sie sympathisch oder unsympathisch zu finden, sie zu bewundern und uns
über sie zu amüsieren. Wir unterhalten uns flüsternd nebenbei ein bisschen, bis ich schließlich vor diesem kleinen schwarz gekleideten
Mann an der Reihe bin.