Читать книгу Elly - Unbeständig - Alva Furisto - Страница 5

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Elly parkte den gestohlenen Mustang auf einem einsamen Parkplatz im Wald. Wütend trommelte sie mit den Fäusten auf das Lenkrad ein. Nach etlichen Hieben hielt sie inne und sah sich zitternd im Auto um. Franks herber Geruch hing noch im Innenraum und vermischte sich mit dem Rauch von ein paar Zigaretten, die sie sich während der Fahrt angezündet hatte.

Vor wenigen Stunden hatte sie seinen Bruder Jacob in diesem Wagen geküsst und kurz darauf die beiden in ihrem Bett geliebt.

Elly schüttelte den Kopf. Es war keine Liebe gewesen, sondern Sex. Nichts weiter. Zu mehr war sie gar nicht fähig. Elly schluchzte. Irgendwie musste sie es schaffen, wieder klar zu denken. Sie legte den Kopf in den Nacken und konzentrierte sich. Doch so sehr sie sich auch bemühte, alles zu vergessen, es wollte ihr nicht gelingen. Sie sah Jacob im Hörsaal der Universität von Lock Haven sitzen, wo sie noch wenige Tage zuvor seine Dozentin gewesen war. Seine grauen Augen schienen sie nicht mehr loszulassen. Sie versank darin und erschrak, als ihr plötzlich Jacobs Bruder Frank in Polizeiuniform vor Augen stand und sie voller Misstrauen anblickte. Ihr Plan, mit Jacob eine unverbindliche Beziehung zu führen, war gründlich gescheitert. Und das alles nur, weil Roger Sykes erneut in ihr Leben getreten war. Roger, ihr Peiniger, das Monster, das ihr schon in der Vergangenheit zugesetzt hatte. Vergewaltigt hatte er sie, bedroht und verfolgt. Er hatte in ihrem Umfeld Morde begangen. Jedes Mal hatte die Polizei Elly in Verdacht gehabt, nicht zuletzt, da Roger ihren Namen am Tatort zurückließ, indem er die Wände mit dem Blut der Opfer beschrieb.

Wäre Roger nicht wieder aufgetaucht, hätte sie nicht fliehen müssen. Aber es waren zwei neue Morde geschehen.

Vor wenigen Tagen war der Dozent Simon Davids, ihr Kollege, in der Kirche der Universität von Lock Haven bestialisch getötet worden. Und sie, ausgerechnet sie hatte seine Leiche gefunden! Ja, sie hatte ihren Kollegen, nachdem er sie vergewaltigt hatte, in die Kirche gelockt, um ihn dort zu bestrafen. Aber sie hatte ihn nicht umbringen wollen. Sicher nicht. Der Schlag auf ihren Kopf war das Einzige, woran sie sich erinnern konnte, was diese Nacht betraf. Dann war sie neben der verstümmelten Leiche von Davids aufgewacht. Auch wenn sie im Zuge der Ermittlungen entlastet worden war, hatte Elly Angst. Nicht nur um sich. Sondern um die beiden Brüder.

Elly schluchzte erneut und spürte heiße Tränen ihre Wangen hinunterlaufen. Sie hatte Frank und Jacob verlassen, um zu verhindern, dass Roger den beiden etwas antat. Dafür hasste sie Roger. Er ließ ihr keinen Menschen, den sie liebte. Auch ihre Freundin und ehemalige Therapeutin May hatte er vor einigen Tagen kaltblütig ermordet. Warum nur fand dieser Albtraum kein Ende?

Elly vermisste die Brüder. Sie hatte die beiden wirklich gemocht. Und sie schämte sich vor ihrem Fürsprecher an der Universität, dem alten Pater Miles, weil sie einfach verschwunden war. Der fromme Mann, ein Bekannter ihrer Eltern, hatte ihr schließlich geholfen, die Stelle als Dozentin am ehrwürdigen Clearfield Campus zu bekommen, der theologischen Fakultät. Aber dieses Leben war nun vorbei.

In diesem Moment fiel ihr die SMS wieder ein, die sie Pater Miles bei ihrem letzten Halt geschickt hatte, damit er in Franks Haus nach den Brüdern sah. Das war jetzt einige Zeit her. Elly blickte auf ihr Mobiltelefon. Tatsächlich! Der Pater hatte ihr vor einigen Minuten eine Antwort geschickt. Er hatte Frank und Jacob an das Bett gefesselt aufgefunden. Elly hatte keine andere Wahl gehabt, als die beiden festzubinden. Sonst wären die Zwillinge ihr womöglich gefolgt.

Der Vergangenheit weiter nachzuhängen, half ihr nicht. Sie musste den Mustang loswerden. Nicht nur, dass es Franks Wagen war, das Auto war auch viel zu auffällig mit seiner roten Farbe.

An einer Tankstelle hatte sie sich bereits ein Prepaid-Handy, Zigaretten, etwas zu essen und Wasser sowie ein Päckchen Grillanzünder besorgt. Nach ihrer Flucht von Frank und Jacob trug sie kaum noch etwas mit sich, bis auf ihre Handtasche.

Mit Tränen in den Augen stieg Elly aus dem Wagen und durchsuchte ihn. Alles, was sie nützlich fand, warf sie neben dem Auto in den Kies.

Zuletzt öffnete sie den Kofferraum. Ihr Herz begann zu rasen, als sie sah, was sich darin befand. Sie taumelte zurück und blickte sich hastig um. Dann bewegte sie sich wieder auf das Heck des Wagens zu, als säße ein wildes Tier darin, das ihr auflauerte.

Zitternd griff sie nach der blutverschmierten blauen Tasche. Sie zog den Reißverschluss auf und riss schluchzend die Hand zurück. Was war das?

Franks Waffe lag in der Tasche, ebenso ein paar Einwegspritzen, Ampullen und der leere Beutel einer Blutkonserve. Darunter entdeckte Elly blutverschmierte Blätter, die sie auf Mays Schreibtisch gesehen hatte. Diese Tasche musste mit den Morden an Davids und May zu tun haben, aber wie kamen diese Dinge in Franks Wagen?

Vor Ellys Augen begann die Umgebung zu verschwimmen. May hatte sie als Ärztin betreut, nachdem ihr Verfolger Roger Sykes sie missbraucht und dann all diese schrecklichen Taten begangen hatte, bei denen er Ellys Namen am Tatort hinterließ. May war zu einer Freundin geworden.

Elly erinnerte sich an die Notizen, in denen ihre Freundin infrage gestellt hatte, ob Roger überhaupt existierte. Elly selbst wusste nicht einmal, ob sie jemals sein Gesicht gesehen hatte. Verdrängte ihr Unterbewusstsein den Anblick des Mannes, der sie terrorisiert und all die Menschen bestialisch ermordet hatte, die ihr etwas bedeuteten?

Roger hatte mit ihr gesprochen. Sie bedroht. Sie wusste, wie er sich anfühlte, nachdem er sie vergewaltigt hatte. Aber hatte sie jemals sein Gesicht gesehen?

Elly verstand nicht, wie die Tasche in dieses Auto kam. Hatte Frank die Sachen verschwinden lassen, um Elly zu entlasten?

Mit verweinten Augen betrachtete Elly noch einmal den Inhalt der Tasche. Entschlossen eilte sie zur Beifahrertür, holte die Tüte mit ihren Tankstelleneinkäufen aus dem Wagen und kramte mit zitternden Fingern darin herum, bis sie die Grillanzünder fand. Sie zündete einen der platten an und legte ihn auf das Vorderrad des Mustangs. Alles, was sie an die Vergangenheit erinnerte, wollte sie vernichten.

Sie war bei May gewesen, kurz bevor diese ermordet worden war. Die Einwegspritzen und die Blutkonserven stammten womöglich aus Mays Arztpraxis. Wie sonst kamen sie zusammen mit den Blättern von Mays Schreibtisch in diese Tasche? May selbst hatte Elly noch eine gefüllte Spritze gegeben, gefüllt mit einem Beruhigungsmittel. May hatte Elly gebeten, die Spritze bei sich zu tragen, um sich im Notfall verteidigen zu können, nachdem Elly ihr berichtet hatte, dass Roger Sykes womöglich wieder hinter ihr her war.

Elly hatte das Mittel Davids in den Hals injizieren wollen, doch ihr Versuch war misslungen. Dann war Roger aufgetaucht und hatte sie bewusstlos geschlagen. Oder etwa nicht? Elly schloss weinend die Augen und fragte sich, ob sie Roger nicht vielleicht doch selbst erfunden hatte. Womöglich hatte ihr krankes Hirn diesen Mann erdacht, um ihre eigenen Gräueltaten zu vertuschen? So sehr Elly sich auch konzentrierte, sie erinnerte sich an nichts, was in Zusammenhang mit den letzten zwei Morden stand. War sie tatsächlich bewusstlos gewesen, als Davids getötet wurde? Oder hatte sie eine Art Filmriss, der sie vor den Bildern ihrer eigenen Gräueltaten bewahrte? Tief in ihr schlummerte die Erinnerung an eine grausame Tat. Kurz glaubte Elly den kalten Griff eines Messers in ihrer Hand zu spüren, dann erschien ein See aus Blut vor ihren Augen.

Der beißende Geruch und das Lodern eines Feuers rissen sie aus ihren Gedanken.

Der Reifen des Mustangs brannte. Elly sah aufgeregt von den Flammen zu dem geöffneten Kofferraum und wieder zurück. Eben noch war sie sich sicher gewesen, diese Tasche vernichten zu müssen. Jetzt kam es ihr falsch vor, denn die Waffe wäre vielleicht noch nützlich und die anderen Gegenstände könnten ihr dabei helfen, Klarheit über die Tat in der Universitätskirche zu bekommen.

Hastig beugte sie sich in den Kofferraum und griff die Tasche. Der dumpfe Schlag auf ihrem Hinterkopf schmerzte fürchterlich, bevor es um sie herum dunkel wurde.

Elly - Unbeständig

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