Читать книгу Elly - Unbeständig - Alva Furisto - Страница 7
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ОглавлениеElly vernahm ein Dröhnen, aber sie konnte nicht erkennen, ob es ihr Schädel war oder ein Geräusch von außerhalb. Sie blinzelte und fasste sich mit einer Hand an den Hinterkopf. In ihrem Haar ertastete sie geronnenes Blut. Langsam nahm ihre Umgebung Gestalt an.
Sie saß auf dem Beifahrersitz eines fahrenden Trucks. Vor ihr glitt der von den Scheinwerfern erhellte Asphalt dahin, bis ihn das Ende der Windschutzscheibe verschluckte. Noch immer leicht benommen, drehte sie den Kopf und sah den Fahrer neben sich sitzen. Es schien, als wäre er von Nebel umgeben, so verschwommen war ihre Sicht.
»Na endlich. Ich dachte, ich müsste ins nächste Krankenhaus fahren«, sagte er.
Elly spürte, wie sie sich innerlich anspannte, ihr Körper ging in Alarmbereitschaft. Jemand hatte ihr den Kofferraumdeckel auf den Kopf geschlagen. War es der Mann am Lenkrad gewesen? Was, wenn er Roger war? Aber im Grunde genügte es, wenn er nur ein weiterer ekelhafter Kerl war, der ihr an die Wäsche wollte. Bei diesem Gedanken breitete sich ein Gefühl zorniger Genugtuung in Elly aus. Wenn dem so war, würde Roger auch ihn richten, darauf konnte sie sich ja offenbar verlassen.
Erschrocken verwarf sie den Gedanken und dachte an Jacob und Frank. Sie hatte Angst, dass Roger den beiden auch noch ein Leid zufügen könnte. Deshalb war sie geflohen. Wenn Roger ihr folgte, hätte er keine Zeit mehr, den beiden Männern etwas anzutun.
»Geht es dir gut?« Die Stimme des Fahrers holte Elly zurück ins Hier und Jetzt. Wie sollte sie dem Fremden begegnen?
»Bist du stumm?«, fragte er und sah aus blauen Augen erwartungsvoll zu ihr herüber.
»Fick dich, Arschloch.« Elly hatte sich entschieden: Angriff war die beste Verteidigung, bis sie wusste, mit wem sie es zu tun hatte.
»Ein Dankeschön hätte es auch getan!«, brummte er.
Elly reckte ihm die blutverschmierte Hand entgegen und zeigte ihm den Mittelfinger. »Dafür?«
»Hey, langsam. Ich kann dich auch zum Parkplatz zurückbringen. Die Bullen sind mittlerweile bestimmt da. Sie finden die Sachen in deinem Kofferraum sicher noch interessanter als ich.«
Elly atmete tief ein. Er wusste von der Tasche und wollte sie erpressen. »Ein perverses Schwein bist du also!«
Der Fahrer strich sich mit den Fingern durch sein kurzes blondes Haar und starrte auf die Straße.
»Ich schmeiß dich an der nächsten Tankstelle raus. Schlampe.«
Elly biss sich auf die Unterlippe und musterte ihn im fahlen Licht des Führerhauses. Er hatte weiche Gesichtszüge, und das Blau seiner Augen wirkte attraktiv. Er schien gepflegt. Und nett. Gar nicht wie ein Trucker, fand Elly, jedenfalls nicht so, wie sie sich immer einen Trucker vorgestellt hatte. Aber sie kannte diese Sorte Typen. Von Äußerlichkeiten wollte sie sich nicht mehr blenden lassen.
»Du hast mir den Deckel des Kofferraums auf den Schädel geschlagen!«
»Es war der Deckel?« Er sparte es sich, sie anzusehen. Stattdessen grinste er hämisch.
»Verarsch mich nicht! Mit mir treibt man keine Späße. Du kennst den Inhalt der Tasche«, fauchte Elly.
Sie hob die Hand, um ihm einen Schlag auf den Oberarm zu versetzen, doch als er sein Gesicht zu ihr drehte, zog sie die Hand erschrocken zurück.
»Blöd, dass ich die Tasche jetzt habe. Hm?«, meinte er.
Elly wich seinem Blick aus und spähte aus dem Fenster. Ihr Herz klopfte wie wild in ihrer Brust. Angestrengt versuchte sie trotz der dunklen Umgebung herauszufinden, wo sie sich befanden, aber es war kein Straßenschild zu entdecken. Sie musste augenblicklich heraus aus diesem Truck und weg von diesem Kerl.
»Die Tasche! Ich will sie wiederhaben!«, schrie sie.
Der Fahrer drehte den Kopf noch einmal zu ihr und musterte sie für einen Augenblick, ehe er den Blick erneut auf die Straße richtete. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht und ließ gepflegte weiße Zähne aufblitzen. Elly wagte nicht, ihn direkt anzusehen, und beobachtete ihn aus den Augenwinkeln heraus.
»Das wird dich was kosten, Schätzchen.« Seine Finger trommelten vergnügt auf dem Lenkrad.
»Also bist du doch ein perverses Arschloch! Was willst du von mir?« Unbändige Wut kochte in Elly auf. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, und ihre Fingernägel gruben sich schmerzhaft in ihre Haut.
»Namen.« Seine ausdruckslose Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Ellys Gedanken überschlugen sich. Sie konnte sich keinen Reim auf seine Frage machen. Was wollte er wissen? »Welche Namen?«, fragte sie zornig.
»Deinen, Schätzchen.« Sein Mundwinkel zuckte amüsiert nach oben.
»Du hast doch schon einen Namen für mich. Schätzchen genügt. Da kommst du auch nicht durcheinander bei der nächsten Frau, die du mitnimmst.« Elly stellte trotzig die Füße auf das Armaturenbrett und starrte in die Dunkelheit. »Und dich nenn ich einfach Arschloch. Alles geklärt. Mehr Namen brauchen wir nicht.« Ihre Stimme zitterte. Der Schmerz in ihren Handballen ließ sie allmählich wieder zur Besinnung kommen.
Der Fahrer atmete tief ein und trat auf die Bremse. Der Truck kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Elly hatte Mühe, Halt zu finden, um nicht nach vorn geschleudert zu werden. Ihre Hand wanderte an den Türgriff. Panisch suchte sie nach dem Entriegelungsknopf.
»Wenn du abhauen willst, vergiss deine Tasche nicht. Ich will nicht damit erwischt werden.«
Elly vernahm seinen geradezu freundlichen Tonfall und wandte sich um. Er deutete in den Fußraum. Da lag die blaue Tasche. Sie musste sich nur bücken, dann hätte sie Franks Waffe. Am ganzen Körper zitternd drehte Elly den Kopf ein Stück zu ihm herum. Sie sah ihm ins Gesicht. Wie gebannt blieb ihr Blick an ihm haften.
»Genug gesehen?«, fragte er mürrisch.
»Tut mir leid. Wirklich. Ich …« Elly schüttelte den Kopf.
»Wir hatten einen Scheißstart, Schätzchen. Wenn du gehen willst, geh.«
Elly tastete mit der Hand zur Tasche. Sie konnte noch immer nicht den Blick von ihm wenden.
»Soll ich dich am nächsten Motel rauslassen? Hier im Wald ist es um diese Uhrzeit eher ungemütlich.«
Sie zögerte und biss sich auf die Unterlippe. »Hast du mir nun den Kofferraumdeckel auf den Schädel geschlagen, oder …«
Er seufzte niedergeschlagen. »Nein. Ich weiß nicht, was mit dir passiert ist. Ich hab dich bewusstlos hinter dem brennenden Wagen gefunden, die Tasche stand neben dir. Ich dachte, es wäre besser für dich, wenn ich dich nicht allein zurücklasse. Das war’s.«
»Danke.« Elly ließ den Tragegurt der Tasche los.
»Winnie.« Er streckte ihr die Hand entgegen, und sie ergriff sie.
»Elly.«
»Hallo Elly. Noch Fragen?«
Sie starrte ihn erneut an. Winnie lächelte schief.
»Klar. Das ist immer die erste Frage.«
»Tut mir leid. Es ist …« Elly streckte die Finger nach seiner linken Gesichtshälfte aus. Er wich zurück.
»Wag es nicht, mich anzufassen.« Er drehte den Kopf weg, sodass Elly nur noch seine makellose rechte Gesichtshälfte sehen konnte.
»Wie ist das passiert?«, flüsterte sie.
»Säure.« Seiner Stimme war der innere Schmerz deutlich anzuhören.
»Und das Auge hat sich verfärbt?« Elly blickte ihn an.
»Hm. Willst du nun mit zur nächsten Tankstelle?« Winnie legte die Finger um den Schlüssel im Zündschloss.
»Gern.« Sie schenkte ihm ein ehrliches Lächeln.
Winnie startete den Motor und fuhr an. Er saß völlig regungslos auf seinem Sitz, während er den Truck steuerte.
Elly schluckte und versuchte sich von Winnies Anblick zu erholen. Die Haut seiner linken Gesichtshälfte war völlig vernarbt. Sie hing herab wie geschmolzenes Wachs. Die Iris in seinem linken Auge hatte sich dunkel gefärbt und das Weiß darum war von kleinen roten Adern durchzogen. Elly fuhr sich nervös durch das blutige Haar an ihrem Hinterkopf. Sie suchte nach einem Gesprächsthema, das von ihrem gefühllosen Benehmen ablenken würde.
»Das ist nicht meine Tasche.« Sie deutete in den Fußraum.
»Das beruhigt mich. Was mich beunruhigt, ist die Frage, wem die Tasche tatsächlich gehört.« Winnie sah stur auf die Straße und schien sich auf das Fahren zu konzentrieren.
Elly schloss die Augen und wandte den Kopf ab. Wenn Winnie es nicht gewesen war, der ihr den Kofferraumdeckel übergezogen hatte, gab es nur eine Lösung.
»Roger«, flüsterte sie.
»Wer ist Roger?« Noch immer nahm Winnie den Blick nicht von der Straße.
»Ein Irrer, der mich seit Jahren verfolgt. Ich bin keine gute Gesellschaft. Der Typ ist gefährlich.« Sie beobachtete, wie sich Winnies Miene kurz verfinsterte.
»Hey, mich hält auch keiner für eine gute Gesellschaft. Lass den Kerl nur kommen.« Winnie lächelte und deutete hinter sich. Sie entdeckte die Schrotflinte hinter ihm an der Wand des Führerhauses.
»Ruh dich aus. In einer Stunde halten wir. Und wenn dieser Roger kommt, blas ich ihm das Hirn weg«, sagte er.
Elly musterte Winnie noch einmal. Sein schwarzes T-Shirt gewährte ihr einen Blick auf seinen muskulösen Oberarm. Er zwinkerte ihr freundlich zu. Vielleicht hatten sie wirklich nur einen schlechten Start gehabt. Er machte nicht den Eindruck, als wolle er sie bedrohen. Sie seufzte erleichtert. Fürs Erste schien sie in Sicherheit zu sein. Von Müdigkeit und Kopfschmerzen gequält, schloss sie die Augen.