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Sechs Jahre zuvor

»Was willst du, Dad? Willst du mich hier bis ans Ende meiner Tage einsperren? Ich habe um dieses Stipendium an der University of Washington gekämpft! Ich will tanzen, und ich werde es tun!« Ellys Stimme war schrill vor Aufregung.

»Nein.« Entschieden schüttelte ihr Dad den Kopf. Seine Hände lagen bewegungslos auf dem Küchentisch. Elly sah auf die andere Seite des Tisches.

»Mum!«

»Du kannst sie nicht einsperren. Sie ist einundzwanzig Jahre alt. Paul!«

Ihre Mum bemühte sich, Nachdruck in ihre Stimme zu legen.

»Ich werde diesem schamlosen Benehmen nicht Tür und Tor öffnen. Erinnere dich nur an ihr Techtelmechtel mit diesem Tänzer. Sieh sie dir an!« Ihr Dad deutete auf Elly.

Ellys Hand krampfte sich um den Autoschlüssel. Obwohl ihr Dad immer und überall ein Auge auf sie haben wollte, hatte er ihr vor drei Tagen ein Auto zum Geburtstag geschenkt.

»Sie wird nicht gehen!«, sagte er.

Elly musterte ihren Dad. Dieselben dunkelbraunen Augen. Sie hatte sie von ihm geerbt. Dieselbe Haut, die immer sonnengebräunt wirkte. Von ihrer Mum hatte Elly den Freiheitsdrang, den ihr Dad jedoch auch bei Ellys Mum immer unterdrückt hatte. Dennoch liebte Elly diesen Mann. Er war immer für sie da gewesen. Doch jetzt gerade verbaute er ihr die Zukunft. Jahrein, jahraus hatte er sie als Kind zu ihren Ballettstunden gefahren und ihr applaudiert, wenn sie einen Auftritt hatte. Immer war er voller Stolz gewesen, voller Zuneigung und Zärtlichkeit. Elly hatte sich das Stipendium an der University of Washington in Seattle ertanzt. Jetzt konnte sie sich ihren Traum, den klassischen Tanz als Studienfach zu belegen und ihre Leidenschaft zu ihrem Beruf zu machen, endlich erfüllen. Doch ihr Dad wollte sie nicht gehen lassen.

»Es ist aus! Ich lass mich nicht länger von euch bevormunden!« Sie wirbelte herum und rannte hinaus. Mit zitternden Fingern startete sie ihren Wagen. Ihr Dad schaffte es noch gerade aus der Tür, ehe sie mit quietschenden Reifen anfuhr. Im Rückspiegel beobachtete sie, wie er versuchte, ihr nachzulaufen. Dann verschwand seine Gestalt in der Dunkelheit.

Ziellos lenkte Elly den Wagen durch die verregnete Nacht. Ihre Tränen bildeten einen Schleier vor ihren Augen. Sie wollte das nicht tun. Aber wenn sie ihren Weg gehen wollte, musste sie ihre Eltern verlassen. Sie wollte frei sein, ohne dass ihr Dad ihr Grenzen setzte.

Elly dachte eine Weile nach. Was sollte sie jetzt tun, ohne Kleidung und ohne Geld? Wer könnte ihr helfen? Dann kam ihr eine Idee. Veronica. Sie kannte das junge Energiebündel vom Vortanzen für das Stipendium. Elly bewunderte diese Frau, die vor Selbstbewusstsein nur so strotzte und auf eigenen Beinen stand. Veronica hatte Elly erzählt, dass sie ihr Geld als Tänzerin in einem der Klubs der Stadt verdiente. Elly erinnerte sich an den Namen. Coopers, so hieß der Laden. Sie suchte in ihrem Mobiltelefon nach der Adresse und machte sich auf den Weg dorthin.

Der Türsteher musterte Elly argwöhnisch. Sie trug einen Wollpullover, bequeme Jeans und Turnschuhe. Die Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Offenbar gefiel dem Typen ihre Aufmachung nicht.

»Tut mir leid, Sweetheart. Das hier ist sicher nicht der richtige Ort für dich.« Ein breites Grinsen gab seine Zahnlücken frei. Elly sah zu dem Riesen auf. So leicht würde sie sich nicht abspeisen lassen.

»Ich suche Veronica.« Sie straffte die Schultern und machte sich gerade, um nicht allzu hilflos zu wirken.

»Kenn ich nicht.« Der Typ verschränkte die Arme vor der Brust. Ein unüberwindbares Hindernis, so kam es Elly vor.

»Sie tanzt hier. Ich muss sie sprechen!« Elly wollte sich ihre aufkeimende Verzweiflung nicht anmerken lassen. Ohne die Hilfe von Veronica war sie verloren.

Er zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Eine Veronica haben wir nicht.«

»Ich weiß, dass sie hier tanzt. Lass mich rein, dann such ich sie.« Elly machte Anstalten, sich an dem Riesen vorbeizudrücken, doch er packte sie mit eisernem Griff am Arm.

»So kannst du nicht in den Klub!«

Elly atmete tief durch. Der resoluten Art des Türstehers konnte sie offenbar nur mit Unverschämtheit begegnen.

»Dann streng dein Hirn an und hol sie!«, fauchte sie. »Veronica ist so groß wie ich, hat blonde Haare, blaue Augen und Kurven ohne Ende.«

Er kniff die Augen zusammen und schien zu grübeln.

»Also?«, fragte Elly.

»Die Venus! Du meinst unsere Venus!« Ein stolzes Grinsen erschien auf dem Gesicht des Türstehers.

»Meinetwegen, dann hol mir die Venus!«, sagte Elly streng und deutete mit dem Zeigefinger auf den Eingang des Klubs.

Der Typ zückte sein Mobiltelefon und tippte darauf herum.

»Wehe, die kennt dich nicht. Dann kannst du dich auf was gefasst machen!«

Elly lehnte sich an die Wand und fröstelte in der kalten und feuchten Nachtluft.

Sie beobachtete die Männer, die in den Klub gingen, und gruselte sich bei deren Anblick. Immer mehr Zweifel stiegen in ihr auf, ob ihr Plan überhaupt gelingen könnte. Sie kannte die Welt dieser Klubs nicht, und sie fürchtete sich davor.

Nach fünf Minuten trat eine stark geschminkte Frau in einem langen schwarzen Mantel aus der Tür. Ihr blondes Haar war aufwendig nach oben gesteckt und glitzerte in der diffusen Außenbeleuchtung des Klubs wie ein Weihnachtsbaum. Sie sah genervt zum Türsteher. »Was willst du?«

»Da!« Der Typ deutete auf Elly, die sich gerade von der Wand abstieß. Die Frau legte die Stirn in Falten.

»Elly Garden? Bist du das?«

»Ich brauche deine Hilfe.« Elly machte einen Schritt auf Veronica zu. Die Frau biss sich auf ihre knallrote Unterlippe. Verstört sah sie von Elly zum Eingang des Klubs und schwieg.

»Bitte. Ich brauche einen Job.« Sanft legte Elly eine Hand auf Veronicas Arm. Die Frau wandte sich ihr wieder zu und musterte sie von oben bis unten.

»Das da drin ist eine andere Welt. Nichts ist dort so, wie du es kennst. Es ist eine schlechte Welt.«

»Ich habe keine Wahl«, flüsterte Elly und blickte ihre Bekannte eindringlich an. »Meine Eltern sperren mich sonst ein. Sie wollen nicht, dass ich tanze.«

Veronica streckte ihr die Hand entgegen.

»Komm.«

Sie liefen durch einen dunklen Keller. Als sie an einer Bürotür stoppten, hielt Veronica kurz inne.

»Bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?«, fragte sie. »Das ist ein hartes Geschäft.«

Elly bemerkte Veronicas ernste Miene. Sie schien sich zu ängstigen bei der Vorstellung, dass Elly Klubtänzerin werden könnte.

»Was bleibt mir denn übrig?« Elly zuckte mit den Schultern.

»Du könntest nach Hause gehen. Du hast eines.« Veronicas wehmütiger Tonfall versetzte Elly einen Stich ins Herz. Sie schüttelte niedergeschlagen den Kopf.

»Was ist das für ein Zuhause, wenn deine Träume dort zerstört werden?«

»Hier werden deine Träume auch zerstört werden. Aber wenn du es so haben willst, werde ich dir nicht im Weg stehen.«

Veronica klopfte an die Tür, öffnete sie einen Spalt und spähte hinein.

»Kann ich reinkommen, Sam?«

»Bitte!«

Die klangvolle Stimme aus dem Inneren des Zimmers jagte Elly einen Schauer über den Rücken. Veronica stieß die Tür auf. Die beiden Frauen betraten ein aufgeräumtes Büro. Die Wände waren voller Aktenregale, in der Mitte stand ein hölzerner Schreibtisch. Dahinter saß ein älterer Herr, dessen volles Haar bereits völlig ergraut war. Er musterte Elly neugierig.

»Das ist Sam Cooper. Sam, das ist Elly. Sie sucht einen Job.«

Der stechende Blick aus seinen dunklen Augen nahm Elly den Atem.

»Was kannst du, Mädchen?«, fragte Sam ungeduldig.

»Ich … ich …« Mehr als ein Stammeln brachte Elly nicht zustande.

»Ja, du.« Sam senkte den Blick und seufzte genervt.

»Tanzen«, stieß Elly hervor und schaffte es, ihrer Stimme Nachdruck zu verleihen. Sam blickte sie irritiert an.

»Kann ich mir kaum vorstellen, dass du tanzen kannst. Sieh dich an.«

Elly folgte seinem abschätzenden Blick an ihrem Körper hinab. Ein weiter Wollpullover und Jeans. Unvorteilhafter hätte sie sich nicht kleiden können.

»Du weißt, was das hier für ein Klub ist?« Sam grinste. Elly nickte. Enttäuschung breitete sich in ihr aus. Ihr Plan schien schon im Ansatz gescheitert zu sein.

»Gib ihr eine Chance, Sam!« Veronica ging einen Schritt auf den Schreibtisch zu.

Sam deutete auf Elly. »Hast du keine Augen im Kopf? Ich hab die Bullen am Hals, wenn ich sie tanzen lass. Sie sieht aus wie sechzehn und schaut so kläglich drein, dass ich mich kaum traue, noch ein Wort zu sagen.«

Elly schluckte hörbar. Sam schien jeden ihrer Atemzüge zu beobachten. Und sie genoss seine Aufmerksamkeit. Sam Coopers geheimnisvolle Aura zog sie in ihren Bann, und plötzlich wünschte Elly sich nichts sehnlicher, als Teil seiner Welt zu sein.

»Gleich bricht sie in Tränen aus. Ich brauche toughe Mädels in meinem Klub.« Er winkte ab und sah auf seine Unterlagen. Elly bekam eine Gänsehaut. Sie wollte sein Interesse, seine Bewunderung.

»Sie kann es, Sam!« Veronica schaute mutlos zu Elly und zuckte mit den Schultern.

»Ich bin nicht die Heilfürsorge.« Sam wedelte mit der Hand, ohne noch einmal aufzublicken, und bedeutete ihnen, den Raum zu verlassen.

Elly wusste, was Sam erwartete. Eine selbstbewusste Frau, die souverän mit ihren Reizen spielte. Diese Fähigkeit steckte in ihr, sie hatte sie nur ihrem Dad zuliebe immer versteckt. Nun wollte sie nichts mehr, als dass dieser Mann mit den stechenden braunen Augen ihr Potenzial erkannte. Mit Stolz und Begehren sollte er sie ansehen. Elly zog den Haargummi aus ihrem Zopf.

»Lass gut sein, Veronica«, meinte Sam, als diese etwas einwenden wollte. »Ich tu dir gern einen Gefallen, weil du eines meiner besten Mädels bist. Aber mit der da hat es keinen Zweck.«

Veronica warf Elly einen mitleidigen Blick zu.

Elly entwirrte ihr Haar. Sie schloss die Augen und hörte in Gedanken ihren Lieblingssong, während sie aus ihren Stiefeletten schlüpfte. Langsam fand sie sich im Rhythmus ein und wippte mit dem Fuß. In Gedanken von der Musik umgeben, ließ sie ihre Hüften kreisen und ging einen Schritt in Richtung Schreibtisch. Stolz warf sie den Kopf in den Nacken und starrte Sam herausfordernd an. Mit der Zunge befeuchtete sie ihre vollen Lippen. Er neigte den Kopf und kniff verunsichert die Augen zusammen. Elly drehte sich und zog sich dabei den Wollpullover aus. Direkt vor Sams Schreibtisch kam sie zum Stehen. Sie ließ ihren Oberkörper nach vorn fallen. Zufrieden beobachtete sie, dass Sam zusammenzuckte, als sie ihre Hand vor ihm auf den Schreibtisch klatschte und ihn aufreizend ansah. Angespornt von seiner Reaktion, reckte sie den Kopf in die Höhe und bewegte ihre Schultern zum Rhythmus der Musik in ihren Gedanken. Dann stützte sie die Fingerkuppen auf die Tischplatte und zeigte ihm ihr wohlgefülltes Dekolleté. Mit einer entschlossenen Handbewegung fegte sie den Schreibtisch leer und sprang darauf.

Sie sah auf Sam hinab und schob eine Hand über ihren Hals, über ihre Brüste hinweg, bis in ihren Schritt. Sinnlich wiegte sie sich in dem nur für sie hörbaren Rhythmus, sank auf dem Schreibtisch auf die Knie, ohne Sam aus den Augen zu lassen. Dem Klubbesitzer stand der Mund offen. Er starrte sie an.

Elly setzte sich und spreizte die Beine vor ihm, so weit es die Jeans zuließen. Dann stellte sie ihre nackten Füße auf seinen Schenkeln ab. Sie leckte über ihren Zeigefinger und strich damit über Sams Lippen, ohne dabei den Blick von ihm zu wenden. Ganz nah beugte sie sich neben sein Ohr, ließ einen Fuß bis in seinen Schoß wandern und spürte seine pochende Erektion unter der Fußsohle.

»Genügt dir das, oder muss ich dir einen blasen, um einen Job zu bekommen?« Sie hörte Sam schlucken. Seine Hand fuhr in ihren Nacken. Sie spürte seine Lippen an ihrem Ohr.

»Fürs Erste würde es genügen, wenn du meinen Schreibtisch aufräumst.«

»Und dann?«, flüsterte Elly, noch immer nah an seinem Ohr.

»Dann will ich sehen, wie du auf der Bühne tanzt.«

Elly - Unbeständig

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