Читать книгу Zwillingsschmerz - Ana Dee - Страница 10

Kapitel 5

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Lene erwachte allmählich aus der Narkose und schaute sich orientierungslos um. Nach und nach dämmerte ihr, dass sie sich auf der Krankenstation befand.

„Bitte nicht ...“, schluchzte sie leise.

Sie konnte sich noch genau daran erinnern, dass sie sich geweigert hatte, zum festgesetzten Termin zu erscheinen, um sich die befruchteten Eizellen einsetzen zu lassen. Aber wie war sie bloß hierhergekommen?

Mühsam versuchte sie sich aufzurichten, doch ihre Arme wollten nicht so recht gehorchen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr. Sie drehte den Kopf zur Seite und bemerkte die Fixierung an ihren Handgelenken. Völlig verstört bäumte sie sich auf, doch die Riemen gaben nicht nach.

Tränen strömten über ihre Wangen und sie hatte große Furcht vor den Konsequenzen dieses Eingriffs. Sie wollte keine Kinder. Wenn sie nur daran dachte, welche Höllenqualen die anderen Mädchen durchlitten, dann wurde ihr übel. Voller Verzweiflung schloss sie ihre Augen, um dem Schwindelgefühl Einhalt zu gebieten.

„Wie ich sehe, bist du aus der Narkose erwacht.“

Eine ihr unbekannte Krankenschwester hatte den Raum betreten und kontrollierte die Riemen.

„Tut mir leid“, murmelte sie entschuldigend, „aber die Ärztin hat angeordnet, dass wir die Fixierung erst nach vierundzwanzig Stunden lösen dürfen. Sie möchte sichergehen, dass der Eingriff auch erfolgreich war.“

Sie schüttelte das Kopfkissen auf und zog das Bettlaken an den Seiten straff.

„Ich bringe dir gleich etwas Tee, damit dein Kreislauf wieder in Schwung kommt. Du hast lange geschlafen.“ Sie nickte ihr zu und eilte aus dem Zimmer.

Lene versuchte erneut, ihre Handgelenke aus den Lederriemen zu befreien, doch sie scheiterte. Fast alle Mädchen mussten sich nach diesem Eingriff schonen und es wurde viel Wert auf die Einhaltung der Bettruhe gelegt. Sobald Lene die Krankenstation verlassen durfte, würde sie Lisa um Hilfe bitten.

„So, da bin ich wieder.“ Die Schwester war zurückgekehrt „Eine Schnabeltasse finde ich albern und so ein bunter Strohhalm wertet das Ganze doch auf.“ Sie hielt Lene den Tee unter die Nase und lächelte ihr aufmunternd zu.

Gierig leerte Lene die Tasse und lehnte sich erschöpft zurück.

„Nachdem du deinen Durst gestillt hast, solltest du noch ein bisschen schlafen.“

„Wann darf ich die Station wieder verlassen?“, fragte Lene hoffnungsvoll.

Die hübsche Schwester mit den wasserstoffblonden Haaren blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk. „Meines Erachtens hast du noch acht Stunden vor dir. Aber wenn du den restlichen Narkoserausch ausschläfst, vergeht die Zeit wie im Flug.“

Die freundliche Krankenschwester schloss die Tür leise hinter sich und Lene war mit ihren Gedanken wieder allein. Wenn sie doch nur wüsste, was man anstellen musste, um eine Schwangerschaft zu verhindern? Aber wenn sie ihnen kein Kind schenkte, was würde dann mit ihr passieren? Einige der Mädchen waren von heut auf morgen verschwunden und nie wieder aufgetaucht.

Sie wusste, dass es sich um einen ziemlich weitläufigen Komplex handelte, den sie niemals verlassen durften. Jeder Trakt wurde hermetisch abgeriegelt - ein geschützter Bereich, um das Erbe der Menschheit zu retten.

Die Regeln waren knallhart, wer dem Unterrichtsstoff nicht folgen konnte, wurde ausgemustert. Die Gesundheit jedes Einzelnen stand an oberster Stelle. Sie mussten übermäßig viel Sport treiben und bekamen einen speziellen Essenplan, der extra für sie angefertigt worden war.

Regelmäßige Untersuchungen gehörten zur Routine. Zweimal in der Woche durften sie Filme anschauen, die Bibliothek stand ihnen jedoch täglich zur Verfügung. Das gesamte Heranwachsen wurde von einer gewissen Strenge und Härte bestimmt, um einer mentalen Verweichlichung entgegenzuwirken.

Lenes Leidensgenossinnen waren alle ausgesprochen hübsch anzuschauen und ähnelten sich auf eine gewisse Weise, wenn man von der Schwangerschaft einmal absah. Äußerst intelligente junge Frauen, die vor der Blüte ihres Lebens standen.

Doch sie waren Gefangene, die sich notgedrungen unterordnen mussten. Im Speisesaal über ihnen befand sich ein riesiger Bildschirm, der den Himmel zeigte. Das war nicht mehr als eine Illusion, die ihnen ein Gefühl von Freiheit vermitteln sollte. Doch Lene wusste tief in ihrem Inneren, dass es außerhalb dieser Mauern wunderschöne Orte gab, die nicht nur in ihren Träumen existierten.

Die Tür wurde einen Spaltbreit aufgestoßen und Lisa schaute um die Ecke. „Bist du wach?“, wisperte sie.

„Ja“, erwiderte Lene müde.

Lisa huschte zum Bett und setzte sich auf die Kante. „Nun hat es dich also auch erwischt.“ Traurig strich sie eine Haarsträhne aus Lenes Stirn.

„Vielleicht hat es ja nicht geklappt“, presste Lene mühsam hervor.

„Die wissen sich schon zu helfen.“ Ein bitterer Zug legte sich um Lisas Mund. „Jeden Abend vor dem Einschlafen habe ich mich intensiv mit meinen Kindern beschäftigt. Durch die Bauchdecke hindurch konnte ich ihre winzigen Füßchen streicheln und ich bin so unendlich dankbar, dass ich dieses kleine Wunder erleben durfte. Ich habe ihnen geschworen, dass ich mich nach der Geburt um sie kümmern würde.“ Lisa schlug verzweifelt die Hände vors Gesicht. „Wie naiv ich doch anfangs gewesen war. Ich dachte doch allen Ernstes, dass ich mit meinen Babys diesen Trakt verlassen dürfte.“

Lene griff nach Lisas Hand, um sie zu trösten. „Wir brauchen einen Plan, einen richtig guten. Ich möchte fliehen und dabei brauche ich deine Hilfe.“

Lisa zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Für mich ist der Tod die einzige Alternative. Was soll ich in einer Welt, wo unseresgleichen verfolgt wird? Da kann ich auch gleich zugrunde gehen.“

„Das kommt für mich nicht in Frage, niemals. Wenn es außerhalb unseres Refugiums tatsächlich so schlimm sein sollte, dann bleibt mir später immer noch die Möglichkeit, mich für den Freitod zu entscheiden.“

„Ich kann dich ja verstehen, aber die Türen sind durch Codes gesichert und wer weiß schon, wie viele dieser Türen wir überwinden müssen? Haben alle den gleichen Code oder gibt es für jede einzelne Tür einen anderen?“

„Du hast es also auch schon einmal in Erwägung gezogen?“ Triumphierend blitzten Lenes Augen.

„Wie oft haben wir schon darüber fantasiert?“

„Ja, aber es nie ernsthaft ins Auge gefasst.“

Lisa verschränkte die Arme und ihr Blick wurde ernst. „Lene, das Ganze macht nur Sinn, wenn wir nicht schwanger sind. Ich nehme kaum noch Kalorien zu mir und hoffe, auf diese Weise von einer erneuten Schwangerschaft verschont zu bleiben.“

Sie räusperte sich, bevor sie weitersprach. „Ich werde mit der Zeit schwächer und die Flucht höchstwahrscheinlich nicht durchhalten. Egal wie ich es auch drehe und wende, wir sind die Verlierer ... und unsere Kinder.“

Enttäuscht sah Lene ihre beste Freundin an. „Bitte, lass es uns trotzdem versuchen“, bat sie flüsternd.

Die Zimmertür wurde schwungvoll aufgestoßen. „Auf der Krankenstation sind Kaffeekränzchen verboten.“ Schwester Mareike schob ihren fülligen Körper in das Zimmer. „Was glotzt ihr so? Irgendwann seht ihr genauso aus, wenn ihr die endlosen Hormonbehandlungen hinter euch gebracht habt.“

Lisa erhob sich. „Du bist eine von uns?“, fragte sie erstaunt.

„Was dachtest du denn? Notendurchschnitt ausgezeichnet“, antwortete Mareike voller Stolz.

„Wie viele Kinder hast du denn zur Welt gebracht?“

Lene verfolgte das Gespräch mit Argusaugen, denn Lisa schien mit Bedacht die Fragen zu stellen.

„Vier Zwillingspärchen, danach wollte mein Körper einfach nicht mehr.“ Beschämt senkte sie ihren Blick.

Lisa legte tröstend ihre Hand auf Mareikes Schulter. „Das tut mir ausgesprochen leid. Was passiert eigentlich mit uns, wenn der Kindersegen ausbleibt?“

„Du wirst nach deinen Fähigkeiten ausgebildet und unterstützt unsere kleine Kolonie. Wenn du engagierst genug bist, kannst du dir die Stationen sogar aussuchen.“

„Aber warum bist du dann hier und nicht bei deinen Kindern?“

Zu spät bemerkte Lisa ihren Fehler. Mit dieser Frage war sie eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Mareikes Miene wurde undurchdringlich und sie ging sofort auf Abstand.

„Hiermit ist die Fragestunde beendet. Sieh zu Lisa, dass du in deinen Wohnbereich kommst, sonst melde ich dich.“ Dann richtete sie ihr Wort an Lene und säuselte verschnupft. „Und für deine Gesundheit wäre es sehr förderlich, wenn du noch ein wenig schlafen würdest.“ Verärgert stapfte sie aus dem Zimmer.

Zwillingsschmerz

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